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Ist es für die Einordnung des Konfliktes so wichtig, ob Russland imperialistisch ist?

von Diana Barth

Ich habe zwei Punkte, die ich mich während der jetzigen Diskussion frage: Warum hinterfragen wir, ob Russland imperialistisch ist und warum ist das der Hauptgrund anhand dessen der Krieg bewertet wird? Denn die Schlussfolgerung: Russland ist imperialistisch, also ist auch der jetzige Militäreinsatz zu verurteilen oder Russland ist nicht imperialistisch also ist auch dieser Militäreinsatz nicht zu verurteilen, wirken beide verkürzt auf mich.

Wurde von der KO nicht bisher immer vom russischen Imperialismus gesprochen (Wie in dieser Veröffentlichung [1])? War nicht schon das russische Zarenreich imperialistisch? Und setzt nicht erst der Imperialismus die sozialistische Revolution auf die Tagesordnung? Denn, entgegen der Behauptung Russland war damals zu rückständig, also noch nicht bereit zur sozialistischen Revolution, behauptete Lenin:

„In Rußland muß sich die Diktatur des Proletariats infolge der sehr großen Rückständigkeit und des kleinbürgerlichen Charakters unseres Landes unvermeidlich durch gewisse Besonderheiten im Vergleich mit den fortgeschrittenen Ländern unterscheiden. Aber die Hauptkräfte – und die Hauptformen der gesellschaftlichen Produktion – sind in Rußland die gleichen wie in jedem beliebigen kapitalistischen Lande, so daß diese Besonderheiten keineswegs das Allerwichtigste betreffen können.“ [2] oder “und schließlich ein Land, das in ökonomischer Hinsicht am meisten zurückgeblieben ist (Rußland), in dem der moderne kapitalistische Imperialismus sozusagen mit einem besonders dichten Netz vorkapitalistischer Verhältnisse überzogen ist.” [3]

Und was würde es heißen im Umkehrschluss zu sagen, dass Russland nicht imperialistisch ist? Dass die sozialistische Revolution nicht auf der Tagesordnung steht? Was wäre Russland dann sonst? Kapitalismus der freien Konkurrenz? Und wieso gibt es keine Diskussion darüber, dass man in Italien vom italienischen Imperialismus spricht? Ist Italien so viel mächtiger als Russland oder was sind die Kriterien wonach man Italien als ein imperialistisches Land bezeichnen kann, Russland aber nicht? Und wenn Imperialismus nicht nur von aggressiver Außenpolitik definiert ist, dann sollte, ob ein Land imperialistisch ist auch nicht nur von seiner Stellung im Weltsystem abhängen? (Den Eindruck hatte ich in Klaras Diskussionsbeitrag) 

“Eine der zentralen Spaltungslinien in der kommunistischen Weltbewegung ist die Debatte um die These „objektiv antiimperialistischer“ Staaten. Nach dieser Auffassung spielten bestimmte kapitalistische Staaten eine „objektiv antiimperialistische“ und damit friedensfördernde Rolle. So wird z.B. Russland wegen seiner Interessendivergenzen mit den USA oft eine solche Rolle zugesprochen. Diese These ist jedoch falsch. Sie beruht auf der falschen Vorstellung, der Imperialismus sei die Vorherrschaft einiger, „westlicher“ oder „nördlicher“ Staaten wie der USA, Westeuropas und Japans. Wir halten jedoch daran fest, dass der Imperialismus eine gesetzmäßige Entwicklung des Kapitalismus in seinem monopolistischen Stadium ist.“ [4]. Anhand des letzten zitierten Satzes de programmatischen Thesen verstehe ich gerade Imperialismus als letzte Stufe des Kapitalismus und somit jedes Land, dass sich vom Kapitalismus der freien Konkurrenz in ein monopol-kapitalistisches Land entwickelt hat, als imperialistisch. Und ich verstehe es bislang auch als gesetzmäßige Entwicklung, die jedes Land durchläuft. Wenn durch die Konzentralisation und Zentralisation des Kapitals das Kapital nach Kapitalexport drängt, muss das doch in jedem kapitalistischen Land geschehen? Also eben auch Russland?

Aber in diesem Konflikt frage ich mich eigentlich nicht, ob Russland imperialistisch ist, sondern ob nicht auch in einem imperialistischen Land die Interessen der Arbeiterklasse sich zeitweise überschneiden können mit denen der nationalen Bourgeoisie. Wie in ein paar der letzten Diskussionsbeiträgen dargelegt wird, wäre das bei einem nationalen Krieg der Fall. Lenin schloss die Möglichkeit der Umwandlung eines imperialistischen Krieges in einen nationalen nicht aus. Ich finde das Beispiel von Domenico Losurdo spannend. Er meint, diese Situation sei im 2. Weltkrieg eingetreten. Zum Beispiel als Frankreich oder Italien besetzt worden sind. Hier ging es um eine nationale Befreiung von einem Besatzer. Das heißt, dass zwei imperialistische Länder trotzdem einen nationalen Krieg führen mussten. [5] Die RKAP bringt auch das Beispiel Großbritanniens in einem Beitrag, bei dem die englischen Kommunisten, weil die Regierung gerade gegen den deutschen Faschisten kämpfte, still hielten: “Bezeichnend ist jedoch, dass die UdSSR und die Kommunisten anderer Länder zu dieser Zeit beispielsweise Äthiopien unterstützten, eine absolute Monarchie mit einer Vielzahl mittelalterlicher Überreste, die sich im Krieg mit dem faschistischen Italien befand. Und schließlich bildete sich allmählich ein antifaschistischer Block, dem die UdSSR, die USA, Äthiopien und viele andere Länder mit sehr unterschiedlichen sozioökonomischen und politischen Strukturen angehörten. Für die englischen Kommunisten zum Beispiel ist die antikommunistische Churchill-Regierung immer feindlich gewesen, aber unter diesen konkreten historischen Bedingungen musste ihre Position korrigiert werden.“ [6]

Ich frage mich ob das hier Beispiele sind, in denen zum einen ein imperialistischer Krieg sich in einen nationalen wandelte und in denen ein imperialistisches Land überschneidende Interessen der Arbeiterklasse mit der nationalen Bourgeoisie hatte. Oder waren die Länder plötzlich nicht mehr imperialistisch, nur weil es zeitweise Überschneidungen mit dem Interesse des internationalen Proletariats mit der nationalen Bourgeoisie eines Landes gab? Ich sehe gerade jedenfalls nicht den Widerspruch, dass Russland nicht imperialistisch sein kann und es nicht trotzdem zeitweise überschneidende Interessen der Arbeiterklasse mit der nationalen Bourgeoisie geben kann. Gerade frage ich mich eher, und sehe das Hauptproblem darin, ob der Krieg wirklich den Interessen der weltweiten Arbeiterklasse entspricht oder nicht. Aber selbst wenn das nicht zutrifft, sehe ich auch nicht das Problem die NATO weiterhin als Hauptfeind und Aggressor zu benennen.

Natürlich brauchen wir eine Klärung zum Imperialismusverständnis. Ich glaube nur, dass wir auch nach der Klärung der Imperialismusfrage den Konflikt weiterhin unterschiedlich bewerten können und wir erstmal weiterhin keine Positionierung zu diesem finden werden. Egal ob am Ende Russland als imperialistisch eingestuft wird oder nicht, den Konflikt selbst werden wir noch mal konkret einordnen müssen.

[1] https://kommunistische-organisation.de/stellungnahmen/schluss-mit-der-aggression-gegen-russland/

[2] Lenin, Ökonomik und Politik in der Epoche der Diktatur des Proletariats, Sämtl. Werke, Bd.XXIV, S.508 russ.

[3] Lenin, Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus

[4] KO, Programmatische Thesen, https://kommunistische-organisation.de/programmatische-thesen/4-der-imperialismus/

[5] Domenico Losurdo, Der westliche Marxismus – Wie er entstand, verschied und auferstehen könnte, S.61f.

[6] https://rkrp-rpk.ru/2022/03/25/%d1%83%d0%ba%d1%80%d0%b0%d0%b8%d0%bd%d1%81%d0%ba%d0%b8%d0%b9-%d0%bd%d0%b0%d1%86%d0%b8%d0%b7%d0%bc-%d0%ba%d1%80%d0%be%d0%b2%d0%b0%d0%b2%d1%8b%d0%b9-%d1%81%d0%bb%d0%b5%d0%b4-%d0%b4%d0%bb%d0%b8%d0%bd/ (Mit deepl.com übersetzt)

Aktuelles

Bericht zum 5. Mitgliederkongress der Kommunistischen Organisation

Der 5. Mitgliederkongress der KO hat stattgefunden. Erfahrungen aus unserer Spaltung und der akti-ven Beteiligung in Kämpfen gegen den Krieg der NATO und den Völkermord in Palästina geben nachdrücklich Aufgaben für uns selbst und die Bewegung auf. Sie erfordern praktische Konsequen-zen. Ein zentraler Beschluss: Die Organisierung eines umfassenden und öffentlichen Studienganges zur Geschichte des Kommunismus.

Bericht über die Kundgebung “From the River to the Sea – Palestine will be free!”

Bericht von der Kundgebung: Wenn der Innenminister die Gerichte ignoriert... Die Polizei hat verhindert, dass wir die Parole rufen konnten - obwohl wir vor Gericht Recht bekommen haben. Aber wir haben mehr über die Parole, die Geschichte, über den Befreiungskampf Palästinas und über demokratische Rechte in Deutschland informiert und die erste Kundgebung unter dem Motto "From the River to the Sea" abgehalten! Um unsere Grundrechte müssen wir weiter kämpfen!