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Erwiderung an Young Struggle: Wer von der PKK und Rojava redet, darf nicht vom US-Imperialismus schweigen!

Diskussionsbeitrag von Tom Hensgen

Letztes Jahr habe ich den Diskussionsbeitrag ,,Das Selbstbestimmungsrecht der Völker und die kurdische Frage”i verfasst, in dem ich die Haltung von Young Struggle (YS), der MLPD, der Perspektive Kommunismus (PK) und dem Kommunistischen Aufbau (KA) zu Rojava/Nordostsyrien und der PKK kritisiert habe. Vorab erstmal vielen Dank an die brasilianischen Genossen für die Übersetzung auf portugiesischii. Es freut mich, dass dieser Text viele Leute erreicht hat, da ich weiterhin der Meinung bin, dass viele Kommunisten der proimperialistischen PKK (diese Einschätzung habe ich in meinem vorherigen Beitrag begründet) hinterherlaufen statt notwendige Analysen anzustellen.

Im Januar hat YS darauf zweiteilig (iii // iv) geantwortet. Ich finde es gut, dass sie auf meinen Text eingegangen sind. In diesem neuen Text von mir geht es mir primär um die Eigenständigkeit nationaler Bewegungen und konkret um das Verhältnis der PKK zu den USA, im Anhang behandele ich kurz die Vorwürfe von YS gegenüber der TKP. Es geht mir in dieser Debatte um eine Abgrenzung gegenüber Revisionismus und Opportunismus, um den Kampf zur Überwindung der Krise der Kommunistischen Bewegung (KB). Solche Debatten über strittige Fragen sind wichtig, um eigene Standpunkte zu hinterfragen, die Krise der KB zu verstehen, die Argumentationen transparent zu machen und diese Krise lösen zu können. Schließlich versuche ich, dass die Leser die Debatte nachvollziehen können, wie es zu den unterschiedlichen Standpunkten kommt und wie diese inhaltlich verteidigt werden.

Beachtet in diesem Text, dass ich sowohl in Ich-Form als auch in der Wir-Form schreibe. Alles was nicht die Wir-Form beinhaltet, ist meine eigene Meinung. Diskussionsbeiträge auf unserer Website spiegeln nicht zwangsläufig die Positionen der gesamten Organisation wider, sie entstehen nicht aus kollektiven Diskussionsprozessen.

Inhaltsverzeichnis

  1. Eine Zusammenfassung meiner Kernthesen
  2. Die notwendige Eigenständigkeit revolutionärer und nationaler Bewegungen
  3. Das Selbstbestimmungsrecht der Nationen
    1. Die nationale Frage im Verhältnis zum Imperialismus
    2. Zum Dualismus in der Propaganda
    3. Die Entwicklung der objektiven Bedingungen in Bezug auf das Selbstbestimmungsrecht
  4. Der proimperialistische Charakter der PKK
  5. Der Vergleich mit Palästina
  6. Fazit
  7. Anhang: Die Verleumdungen von YS gegen die TKP

1. Eine Zusammenfassung meiner Kernthesen

Die Kernthesen aus meinem letzten und diesem Beitrag:

  • Revolutionäre und nationale Bewegungen müssen eigenständig sein. Nationale Bewegungen sollten hauptsächlich anhand ihres Verhältnis zum Imperialismus bewertet werden.
  • Die PKK hat sich ab den 1990er Jahren dem US-Imperialismus zugewandt. Seit Jahren orientiert sich die PKK/PYD an den USA, dabei handelt es sich nicht um eine militärische Notwendigkeit. Die PKK/PYD stärkt die Rolle der USA in Westasien auf militärischer (z.B. Militärbasen) und ökonomischer Ebene (z.B. Ölvertrag).
  • Die Stärkung des US-Imperialismus in Westasien dient nicht dem Kampf für die Befreiung der Völker und der sozialistischen Revolution, sondern steht diesem im Wege.
  • Der Kampf der PKK/PYD bringt die Kurden nicht näher zum Sozialismus, der palästinensische Volkswiderstand nutzt dem Kampf für den Sozialismus.
  • Die TKP organisiert in der Türkei türkische und kurdische Werktätige, um den Kampf für die sozialistische Revolution zu führen. Die TKP ist nicht reformistisch und nicht sozialchauvinistisch. Ihr Kampf für den Sozialismus beinhaltet das Eintreten für die Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen der kurdischen Arbeiterklasse.

 

2. Die notwendige Eigenständigkeit revolutionärer und nationaler Bewegungen

Eines der wichtigsten Prinzipien kommunistischer Parteien (KPen) ist die Eigenständigkeit. Eine KP muss ideologisch, organisatorisch und finanziell unabhängig von der Bourgeoisie und der Sozialdemokratie sein, um den Kampf gegen sie führen zu können. Gerade aufgrund von der Schwäche der Kommunisten in vielen Ländern haben sich Parteien und Organisationen der Sozialdemokratie angenähert, um so zu versuchen, mehr Arbeiter zu erreichen und zu organisieren. Eine solche Annäherung ist aber kein Weg aus der Krise der Kommunisten, sondern verfestigt diese. Dieses Thema wurde unter Anderem 2019 beim internationalen Treffen kommunistischer und Arbeiterparteien in der Türkei aufgegriffenv.

Wie ist das bei nationalen Bewegungen? In meinem vorherigen Beitrag habe ich ausgeführt, dass insbesondere nationale Bewegungen vor der Gefahr stehen, von mächtigen und starken Staaten ausgenutzt zu werden und in eine Abhängigkeit geraten können und geraten. Einige Beispiele dafür habe ich bereits genannt. Staaten und ihre Monopole wollen ihre Profite erhöhen, indem sie die Kontrolle über Rohstoffquellen und Absatzmärkte erkämpfen, Zugang zu billigen Arbeitskräften und Handelswegen erlangen und ihre Konkurrenten schwächen. Um dies zu erreichen, organisieren vor allem die USA und die EU in verschiedenen Ländern Regime Changes und verursachen Bürgerkriege, wodurch Länder zerstört und Millionen Menschen ermordet werden.

Aus diesen Gründen ist es für nationale Bewegungen äußerst wichtig, dass sie sich nicht instrumentalisieren lassen. Wenn sie den Einfluss des Imperialismus stärken, wie z.B. die Militärpräsenz der USA in Westasien, dann ist dies nur eine Hilfe zur Durchsetzung US-amerikanischer Interessen in der Region, ein weiterer Türöffner für das US-amerikanische Militär, eine weitere Bedrohung aller Völker in der gesamten Region. Die Militärpräsenz der USA steht nicht für Frieden, sie führt zur Destabilisierung, Zerstörung und Zerstückelung von Ländern, zu Ausbeutung und fortlaufender Unterdrückung der Dortlebenden. Nationale Bewegungen müssen stets dafür kämpfen, den Einfluss und die Präsenz der USA und der EU zu bekämpfen. Wenn eine nationale Bewegung sich von den USA abhängig macht, um eine nationale Kapitalistenklasse zu stürzen, wird damit eine US-freundliche Regierung geschaffen und keine Befreiung erkämpft. Daher ist die Unabhängigkeit nationaler Bewegungen vom Imperialismus wichtig. Eine Unabhängigkeit nationaler Bewegungen von anderen Staaten, wie z.B. Russland und China, ist ebenfalls notwendig, um unabhängig vom Imperialismus sein zu können. Denn gerade die großen imperialistischen Blöcke können solche Bewegungen für sich nutzen. Wenn nationale Bewegungen taktische Bündnisse eingehen sollten, wären das spezielle Sonderfälle, bei denen z.B. die Kräfteverhältnisse nahezu ausgeglichen oder zu Gunsten der nationalen Bewegung sein müssen.

Young Struggle (YS) behauptet, ich würde den Marxismus-Leninismus karikieren und zitiert aus Lenins Schrift ,,Über eine Karikatur auf den Marxismus und über den ,,imperialistischen Ökonomismus”. Dann zitiere ich doch auch mal aus dieser Schrift:

,,Der Marxismus gibt eine solche Analyse und sagt: wenn das „wirkliche Wesen“ eines Krieges zum Beispiel der Sturz einer nationalen Fremdherrschaft ist (wie dies insbesondere für das Europa von 1789-1871 typisch war), so ist dieser Krieg fortschrittlich vom Standpunkte des unterdrückten Staates oder Volkes. Wenn das „wirkliche Wesen“ des Krieges die Neuverteilung der Kolonien, die Teilung der Beute, der Raub fremden Bodens ist (so ein Krieg ist der von 1914-1916), dann ist die Phrase von der Vaterlandsverteidigung „reiner Volksbetrug“.

Wie kann man nun das „wirkliche Wesen“ eines Krieges erfassen und bestimmen? Der Krieg ist die Fortsetzung der Politik. Man muss die Politik vor dem Kriege, die Politik, die zum Krieg geführt und ihn herbeigeführt hat, studieren. Wenn die Politik eine imperialistische war, d. h. eine Politik der Verteidigung der Interessen des Finanzkapitals, des Raubes und der Unterdrückung von Kolonien und fremden Ländern, dann ist auch der Krieg, der sich aus dieser Politik ergibt, ein imperialistischer. Wenn die Politik eine Politik der nationalen Befreiung war, d. h. die Massenbewegung gegen die nationale Unterdrückung zum Ausdruck brachte, dann ist der Krieg, der sich aus dieser Politik ergibt, ein nationaler Befreiungskrieg.

[…]

Ein Krieg gegen imperialistische, d. h. unterdrückende Mächte von Seiten der unterdrückten (z. B. kolonialen Völker) ist ein wirklich nationaler Krieg. So ein Krieg ist auch heute möglich. Die „Vaterlandsverteidigung“ seitens eines national unterdrückten Landes gegen ein national unterdrückendes ist kein Betrug, und die Sozialisten sind keineswegs gegen die „Vaterlandsverteidigung“ in einem solchen Kriege.“vi

Warum dieses Zitat?

  • In meinem vorherigen Diskussionsbeitrag habe ich bereits dargelegt, dass die PKK sich ab den 1990ern zu einer Organisation entwickelt hat, die sich am westlichen Imperialismus orientiert. Dieser politisch-ideologische Standpunkt der PKK bildet die Grundlage für ihr Handeln und der bewaffnete Kampf, den sie (sowie YPG/YPJ/SDF) führt ist eine Fortsetzung ihrer prowestlichen Politik mit anderen Mitteln.

  • Bei ihrem Kampf geht es daher nicht darum, die Kurden von nationaler Fremdherrschaft zu lösen, sondern von der einen Fremdherrschaft in die andere zu führen: Statt von der syrischen Regierung unterdrückt zu werden, haben sich die PKK/PYD von den USA abhängig gemacht. Das wirkliche Wesen des Krieges ist also eine Neuverteilung der Beute.

  • Ein Krieg, der sich gegen imperialistische Mächte richtet und für die Abschaffung nationaler Unterdrückung ist, ist ein fortschrittlicher, nationaler Befreiungskrieg. Doch einen solchen Krieg führen PKK/PYD nicht. Ihr Kampf dient den ökonomischen Interessen der USA, dem Errichten weiterer US-Militärbasen, dem Ausbeuten der Rohstoffe und das nicht zufällig, sondern weil der PKK-Vorsitzende Öcalan will, dass sich die PKK an den USA orientiert. Darauf bin ich bereits in meinem vorherigen Diskussionsbeitrag eingegangen.

Eine nationale Befreiungsbewegung darf nicht um eine Neuverteilung der Beute kämpfen, zum Spielball imperialistischer Interessen und ein Anhängsel dessen werden. Die Eigenständigkeit nationaler Bewegungen vom Imperialismus ist eine notwendige Eigenschaft, um einen fortschrittlichen Charakter aufweisen und um im Sinne der Arbeiterklasse handeln zu können.

3. Das Selbstbestimmungsrecht der Nationen

Ein Aspekt aus meinem vorherigen Beitrag, der für Unklarheiten und Missverständnisse gesorgt hat, ist, dass ich nicht zwischen dem ,,Recht auf nationale Selbstbestimmung” und der ,,Unterstützung des Kampfes um nationale Selbstbestimmung” unterschieden habe. Was bringt eine Unterscheidung, wenn aus dem ,,Recht auf nationale Selbstbestimmung” nicht zwangsläufig die ,,Unterstützung des Kampfes um nationale Selbstbestimmung” folgt? Ich habe geschrieben, dass ich das ,,Recht” nicht für universell halte, sondern dass dieses unter den konkreten Bedingungen analysiert werden muss. Dementsprechend kann daraus in einer bestimmten historischen Situation eine Einschätzung folgen, die später ggf. wieder revidiert werden muss. Bei der Erarbeitung einer kommunistischen Strategie und Taktik darf dem Kampf um nationale Selbstbestimmung nämlich nie die höchste Priorität eingeräumt werden. Kommunisten müssen primär darauf orientieren, gegen den Imperialismus und für den Sozialismus zu kämpfen, danach müssen auch nationale Bewegungen bewertet werden. Das bedeutet nicht, dass Kommunisten nationale Kämpfe in ,,ihrem” Sinne ausnutzen sollten oder könnten, denn die Kommunisten haben keine ,,eigenen” Interessen, sondern vertreten die der Arbeiter- und Volksmassen aller Nationen. Es kann Situationen geben, in denen der Kampf um nationale Selbstbestimmung dem Kampf gegen den Imperialismus und für den Sozialismus dienlich ist und es kann andere Situationen geben, in denen dieser dem im Wege steht. Daher nutzen allgemeine Phrasen vom ,,Recht auf nationale Selbstbestimmung” niemandem, sondern nur die konkrete Anwendung und Behandlung der Frage, ob und warum bestimmte Kämpfe unterstützenswert sind.

3.1. Die nationale Frage im Verhältnis zum Imperialismus

Der Kommunistische Aufbau (KA) hat in seiner Grundlagenschulung ein eigenes Kapitel zur nationalen und kolonialen Frage, weil ich dieses interessant finde, zitiere ich direkt zu Beginn daraus:

,,Die nationale und die koloniale Frage sind heute, unter den Bedingungen des Imperialismus, auf das Engste miteinander verknüpft. Auch unter den Bedingungen des Neokolonialismus bleibt die nationale Frage eine allgemeine und internationale Frage, bleibt der Kampf um die Befreiung der unterdrückten Völker ein wesentlicher Bestandteil des Kampfes gegen das imperialistische System, des Kampfes um die sozialistische Revolution. Die unterdrückten Völker sind deshalb überall auf der Welt wichtige Verbündete der Arbeiter:innenklasse. Was bedeutet das konkret für die Positionierung kommunistischer Parteien und Organisationen gegenüber den nationalen Befreiungskämpfen auf der Welt?

Selbstbestimmungsrecht der Nationen

Die Kommunist:innen treten für das Recht der Nationen auf Selbstbestimmung ein. Dies bedeutet das Recht der unterdrückten Völker der abhängigen Länder und Kolonien nicht bloß auf eine kulturelle Autonomie, sondern auf vollständige Lostrennung von den unterdrückenden Staaten und auf eine selbständige staatliche Existenz. Diese selbstständige staatliche Existenz wird noch heute vielen Völkern verwehrt, wie z.B. den Kurd:innen und Palästinenser:innen.

Das Recht der Nationen auf Selbstbestimmung ist dabei keine formalrechtliche Frage, die losgelöst vom allgemeinen Kampf gegen den Imperialismus betrachtet werden darf. Es geht darum, dass die unterdrückten Nationen in den Kolonien und Neokolonien Bündnispartner:innen des Proletariats sind, darum, die revolutionären Möglichkeiten in den nationalen Befreiungsbewegungen für den Kampf gegen das imperialistische System auszunutzen. Es geht darum, die (neo)kolonialen Länder aus einer Stütze des imperialistischen Systems in eine Reserve für die proletarische Revolution zu verwandeln. Wie dies am besten geschehen kann, muss immer konkret analysiert werden.

Das bedeutet, dass es von Seiten der Kommunist:innen kein formales Herangehen an die nationale und koloniale Frage geben darf: Weder darf die staatliche Einheit eines Landes zum Selbstzweck erklärt werden, noch ist jede nationale Bewegung an sich fortschrittlich und unterstützenswert. Es geht darum, diejenigen nationalen Befreiungsbewegungen zu unterstützen, die den Imperialismus objektiv schwächen, die auf seinen Sturz ausgerichtet sind: „Die Frage nach den Rechten der Nationen ist keine isolierte, in sich abgeschlossene Frage, sondern ein Teil der allgemeinen Frage der proletarischen Revolution, der dem Ganzen untergeordnet ist und vom Standpunkt des Ganzen aus betrachtet werden muss. In den vierziger Jahren des vorigen Jahrhunderts war Marx für die nationale Bewegung der Polen und Ungarn und gegen die nationale Bewegung der Tschechen und Südslawen. Warum? Weil die Tschechen und Südslawen damals ‚reaktionäre Völker‘, ‚russische Vorposten‘ in Europa, Vorposten des Absolutismus waren, während die Polen und Ungarn ‚revolutionäre Völker‘ waren, die gegen den Absolutismus kämpften. Weil die Unterstützung der nationalen Bewegung der Tschechen und Südslawen damals eine indirekte Unterstützung des Zarismus, des gefährlichsten Feindes der revolutionären Bewegung in Europa, bedeutete.“ Auch heute versuchen die imperialistischen Staaten in ihrem Kampf um die Weltherrschaft, nationalistische Bewegungen in anderen Ländern aufzubauen, um ihre Konkurrenz zu schwächen. So haben die westlichen imperialistischen Länder unter Führung der USA beispielsweise seit Jahrzehnten separatistische islamistische Bewegungen in bestimmten Gebieten Russlands (z.B. Tschetschenien) und Chinas (z.B. Xinjiang) aufgebaut. Ebenso stachelten sie in den 1990er Jahren nationalistische Bewegungen in Jugoslawien auf, um das Land zu zerstückeln und die Beute unter sich aufzuteilen. Hieran war Deutschland, das gute Beziehungen etwa zu kroatischen Faschist:innen unterhält, maßgeblich beteiligt. Deutschland setzt in seiner imperialistischen Geostrategie in Europa außerdem auf die wirtschaftliche Durchdringung bestimmter Regionen in seinen Nachbarländern, z.B. Flandern in Belgien, der Lombardei in Italien, oder Katalonien in Spanien, und unterstützt in diesem Zusammenhang auch nationalistische Bewegungen in diesen Gebieten. Das bedeutet nicht, dass z.B. die Unabhängigkeitsbewegung in Katalonien nicht auch fortschrittliche Potenziale entfaltet hat, insofern sie größere Teile der Arbeiter:innen und unterdrückten Volksmassen in den Kampf gegen den spanischen Imperialismus einbezogen hat. Genau das ist es, was jeweils im Rahmen konkreter Analysen differenziert herausgearbeitet werden muss. Der Punkt ist jedoch, dass Kommunist:innen nicht jeder objektiv reaktionären Bewegung hinterherlaufen dürfen, nur weil sie sich das Etikett „nationale Befreiungsbewegung“ anheftet.

In diesem Zusammenhang sind weitere Punkte wichtig:

Der fortschrittlich-antiimperialistische Charakter einer Bewegung ist nicht in Stein gemeißelt, sondern kann sich im Verlauf der Entwicklung ändern, z.B. wenn nationale Bewegungen sich von einem imperialistischen Staat stückweise freikämpfen, um sich danach an einen anderen imperialistischen Staat zu ketten. Dies war das Schicksal zahlreicher Befreiungsbewegungen in den 1970er und 1980er Jahren (z.B. Vietnam, Angola), die sich letztlich dem Herrschaftsbereich des sowjetischen oder chinesischen Imperialismus unterworfen haben.

Das Eintreten der Kommunist:innen für das Recht auf Selbstbestimmung und staatliche Lostrennung ist auch bei fortschrittlichen nationalen Bewegungen nicht damit zu verwechseln, dass die Lostrennung auch unbedingt immer die beste Strategie im revolutionär-antiimperialistischen Kampf ist. Hier ist immer die Frage, welche Forderungen und welche Kampfmittel in einer konkreten Situation am besten geeignet sind, um die Klassenfrage hinter der nationalen Frage hervortreten zu lassen und den antiimperialistischen Kampf in den Kampf um die sozialistische Revolution zu überführen. Nichtsdestoweniger verteidigen Kommunist:innen das Recht auf Lostrennung stets genau aus diesem Grund, nämlich um allen nationalen und kolonialen Unrat beiseite zu räumen, und die Klassenfrage klar sichtbar zu machen. Besonders wichtig ist dieser Punkt für die Kommunist:innen in den unterdrückenden Ländern, die sonst Gefahr laufen, zu Chauvinist:innen und Helfershelfer:innen des eigenen Imperialismus zu werden.

Zusammenfassend muss die nationale Bewegung der unterdrückten Völker also konkret, vom Standpunkt der wirklichen Resultate in der Gesamtbilanz des Kampfes gegen das imperialistische System und für die sozialistische Revolution eingeschätzt werden.“vii

Der KA, eine hoxhaistische (Hoxha war Generalsekretär der Partei der Arbeit Albaniens) Organisation, schreibt natürlich von einem ,,sowjetischen Imperialismus“. Diesen gab es nie. Damit möchte ich mich aber nicht in diesem Text befassen, ein Genosse hat bereits die Einschätzungen des KA zur Sowjetunion kritisiert.viii Abgesehen davon, stimme ich dem KA-Zitat grundsätzlich zu. Daher hier nochmal einige Aussagen daraus zusammengefasst:

  1. Das Recht der Nationen auf Selbstbestimmung ist keine formale Frage, denn nicht jeder Kampf um nationale Selbstbestimmung ist fortschrittlich und unterstützenswert.

  2. Es geht darum, diejenigen nationalen Befreiungsbewegungen zu unterstützen, die den Imperialismus objektiv schwächen, die auf seinen Sturz ausgerichtet sind.

  3. Die USA und Deutschland stärken nationale Bewegungen und missbrauchen das Selbstbestimmungsrecht zu ihrem Interesse.

  4. Kommunisten dürfen nicht objektiv reaktionären Bewegungen hinterherlaufen, nur weil sie sich das Etikett „nationale Befreiungsbewegung“ anheften.

  5. Der fortschrittlich-antiimperialistische Charakter einer Bewegung ist nicht in Stein gemeißelt, sondern kann sich im Verlauf der Entwicklung ändern.

  6. Kommunisten treten für das Recht auf Lostrennung ein, um allen nationalen und kolonialen Unrat beiseite zu räumen, und die Klassenfrage klar sichtbar zu machen. Wenn ich den KA richtig verstehe, treten Kommunisten aber nicht immer für dieses Recht ein, was vor allem in den Punkten 1, 2 und 4 deutlich wird.

  7. Kommunisten aus ,,unterdrückenden Nationen”, die nationale Bewegungen aus unterdrückten Nationen das Recht auf Selbstbestimmung verwehren, laufen Gefahr zu Chauvinisten und Helfershelfern des ,,eigenen“ Imperialismus zu werden.

  8. Die nationale Bewegung der unterdrückten Völker muss konkret, vom Standpunkt der wirklichen Resultate in der Gesamtbilanz des Kampfes gegen das imperialistische System und für die sozialistische Revolution eingeschätzt werden.

Wichtig ist es, dass Kommunisten aus ,,unterdrückenden Nationen” nicht jeder Bewegung hinterherlaufen, nur weil sie sich ,,nationale Befreiungsbewegung“ nennen, sondern ihr Verhältnis zum Imperialismus analysieren und damit untersuchen, ob sie im Interesse der Arbeiterklasse handeln. Abhängig vom konkreten Verhältnis zum Imperialismus, kann eine Kommunistische Partei (KP) also zu dem Schluss kommen, dass sie bestimmte nationale Bewegungen nicht unterstützt. In einem solchen Fall besteht die Gefahr, dass sich die KP zu Chauvinisten und Helfershelfern des ,,eigenen“ Imperialismus entwickelt, weshalb gezielt dagegen vorgegangen werden muss. Die KP muss den Kampf gegen nationale Unterdrückung als Bestandteil des Kampfes für den Sozialismus betrachten, die Arbeiter der verschiedenen Völker in ihr organisieren und auf Augenhöhe mit ihr kämpfen. All das sehe ich bei der TKP (mehr dazu im Anhang).

Der KA geht differenziert an die Sache heran, während YS allgemeine Phrasen fast schon ausreichen: ,,Jede Nation – auch die Kurd*innen – haben ein Recht auf Selbstbestimmung, ohne wenn und aber.”ix und ,,Die kurdische Frage ist älter als der Imperialismus als monopolistischer Kapitalismus und kann nicht vom Interesse des US-Imperialismus abhängig gemacht werden.”x Also will YS die nationale Frage unabhängig und isoliert vom Imperialismus bewerten?

Auch wenn ich hier den KA zum Selbstbestimmungsrecht der Nationen zitiere und ihm da grundsätzlich zustimme, muss ich noch anmerken, dass wenn es dann um die Anwendung der Theorie auf die konkrete, aktuelle Lage und die objektiven Bedingungen vor Ort sowie die Schlussfolgerungen daraus geht, ich die Haltung vom KA ablehne. Das habe ich bereits in meinem letzten Diskussionsbeitrag zum Ausdruck gebracht.

3.2. Zum Dualismus in der Propaganda

So wie ich den 1. Teil von YS verstanden habe, geht es ihnen in ihrer Kritik an meinem Beitrag vor allem um den Dualismus in der Propaganda. Dafür haben sie Zitate ergänzt und deshalb werfen sie mir Elektizismus vor. Was besagt der Dualismus in der Propaganda? Türken und Kurden sollen unterschiedliche Propaganda betreiben. So schreibt es zumindest YS: ,,Während Kommunist:innen der unterdrückenden Nation also das bedingungslose Recht auf Loslösung der unterdrückten Nation verteidigen und fordern, dafür kämpfen, agitieren Kommunist:innen der unterdrückten Nation für die „freiwillige Einheit“ der Völker.”xi

Das ist vor allem aus drei Gründen falsch: Erstens gibt es in der Türkei nicht zwei Nationen, die sich gegenüber stehen. Was ist mit den Zaza, den Lasen, den Armeniern usw. usf.: Haben diese Völker ein eigenes Recht auf nationale Selbstbestimmung, sollen sie sich der kurdischen Nationalbewegung unterordnen oder ist es YS egal? Zweitens kann aufgrund dieses Dualismus keine einheitliche Bewegung der verschiedenen Völker aufgebaut werden. Drittens ist es so nicht möglich, Kurden und Türken in einer Kommunistischen Partei gemeinsam zu organisieren, da der Dualismus dem Demokratischen Zentralismus (DZ) widerspricht.

Lenin und Stalin vertraten in bestimmten Situationen diesen dualen Standpunkt. Aber statt das jetzt mechanisch zu übertragen, sollte man sich mal die Lage in der Türkei anschauen: In der TKP sind Kurden, Türken und auch Kommunisten anderer Völker miteinander vereint und betreiben eine einheitliche Propaganda. Genau das ist auch notwendig, um eine einheitliche Bewegung aufbauen und stärken zu können, um schließlich gemeinsam den Sozialismus erkämpfen zu können. Die Kurden der Partei verfassen nicht ihre ,,eigene” Propanganda, die anders sei als die der Türken in der Partei. Das würde das Entstehen einer einheitlichen Bewegung der verschiedenen Völker für den Sozialismus verhindern und es wäre ein Bruch mit den Prinzipien des DZ. Die Prinzipien des DZ müssen unbedingt für alle Kommunistischen Parteien gelten. Entweder hat YS ein Problem mit den Prinzipien des DZ oder will für Kurden, Türken und evtl. auch für andere Völker in der Türkei getrennte Parteien und als Ziel keine sozialistische Türkei.

Lenin sprach in gänzlich anderen Situationen vom Dualismus. Wenn man Lenins Ausführungen zum Dualismus anwenden möchte, sollte es sich bei der unterdrückten Nation um eine Kolonie oder bei der betreffenden Organisation wenigstens nicht um eine proimperialistische Organisation wie die PKK oder HDP handeln. Und wenn man der Dualismus-Haltung von YS folgt, dann müsste ich als Kurde doch das Recht haben, eine staatliche Abspaltung durch die kurdischen Nationalbewegung abzulehnen und stattdessen für die Einheit der Völker im gemeinsamen Kampf für den Sozialismus einzutreten. Aber YS spricht mir das Recht ab, diese Haltung zu vertreten. Indem YS mir das Recht abspricht, diese Haltung zu vertreten (,,Da ist auch nicht mehr wichtig, ob Hensgen „als Kurde“ denkt und schreibt – wie er im letzten Satz noch ergänzt, als würde die Information seine Standpunkte „kurdischer“ aussehen lassen.”xii) widersprechen sie ihrer eigenen Dualismus-Haltung, die besagt, dass Angehörige unterdrückter Nationen dies vertreten dürfen. Meine Positionierung zur PKK ergibt sich eh nicht aus meiner eigenen Herkunft heraus, sondern aufgrund meines marxistisch-leninistischen Bewusstsein und der Analyse objektiver Tatsachen.

YS erweckt mit ihrer Dualismus-Argumentation den Eindruck als wäre der Kampf zur ,,Lösung” der kurdischen Frage höher zu gewichten als der Kampf gegen den Imperialismus bzw. unabhängig von einer Analyse des Imperialismus zu bewerten und zu führen. Das Wort Lösung musste ich in Anführungszeichen setzen, weil der Ansatz von YS unter diesen Umständen keine Lösung herbeiführen kann. Denn der real stattfindende Kampf wird von einer proimperialistischen Organisation, der PKK, angeführt. Die Kommunisten (YS, TKŞ und MLKP), die diesen Kampf unterstützen haben keine marxistisch-leninistische Analyse, sie schweigen vom US-Imperialismus (z.B. im Programmxiii der TKŞ wird der US-Imperialismus nicht erwähnt). Sie können Lenin zum Dualismus zitieren, aber sie stärken den Imperialismus statt die kurdische Frage lösen!

Wenn man die Dualismus-Argumentation fortführt, müssten sich Kurden und Türken in getrennten politischen Parteien organisieren. Doch ist das wirklich die Konsequenz aus Lenins und Stalins Ansichten? War Lenin dafür, dass alle unterdrückten Völker ihre eigene Partei haben? 1897 gründete sich der ,,Allgemeine Verband jüdischer Arbeiter Litauens, Polens und Russlands” (kurz: Bund). 1903 äußerte sich Lenin zu der Frage, ob das jüdische Proletariat eine eigene selbständige Partei braucht oder ob sie Teil der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands (SDAPR) sein sollten: ,,Doch den „Bund” für eine selbständige politische Partei erklären, heißt den Grundirrtum in der nationalen Frage in seiner ganzen Unsinnigkeit bloßstellen, denn diese selbständige Partei wird unbedingt und unvermeidlich zum Ausgangspunkt eines Umschwunges in den Anschauungen des jüdischen Proletariats und der jüdischen Sozialdemokraten überhaupt werden. Die „Autonomie” in den Statuten von 1898 sichert der jüdischen Arbeiterbewegung alles, was sie braucht: Propaganda und Agitation in jüdischer Sprache, eigene Literatur, eigene Konferenzen, die Aufstellung von besonderen Forderungen bei der Herausbildung eines allgemeinen sozialdemokratischen Programms, die Befriedigung der örtlichen Nöte und Bedürfnisse, die sich aus den besonderen Bedingungen des jüdischen Lebens ergeben. In allem anderen ist die vollständige und engste Verschmelzung mit dem russischen Proletariat notwendig, sie ist notwendig für den Kampf des gesamten russischen Proletariats. Und dem ganzen Wesen der Sache nach [ist] jede Angst vor dem „Überstimmtwerden” bei einer solchen Verschmelzung unbegründet, denn vor dem Überstimmtwerden im besonderen Fragen der jüdischen Bewegung sichert gerade die Autonomie, in Fragen des Kampfes gegen den Absolutismus o[d]er, des Kampfes gegen die gesamte russische Bourgeoisie müssen wir als eine einzige, einheitliche, kampffähige Organisation auftreten. Wir müssen uns auf das gesamte Proletariat stützen, ohne Unterschied der Sprache Und der Nationalität, auf das, durch die ständige gemeinsame Lösung der theoretischen und der praktischen, der taktischen und der organisatorischen Fragen geeinte Proletariat. Wir dürfen keine Organisationen schaffen, die getrennt marschieren, die ihre eigene Wege gehen; wir dürfen die Kraft unseres Ansturms nicht durch Zersplitterung in zahlreiche selbständige politische Parteien schwächen, keine Entfremdung und Isolierung in unsere Reihen hinein tragen, um dann nachher die künstlich eingeimpfte Krankheit mit den Pflastern der berüchtigten „Föderation” zu heilen.”xiv

So wie Lenin sagte, der Bund sollte Teil der SDAPR sein, sage ich die kurdischen Werktätigen in der Türkei sollten Teil der TKP sein. Und innerhalb der TKP sollten sie mit ihren Genossen in der Agitation und Propaganda nicht getrennt bzw. dualistisch, sondern einheitlich auftreten, damit meine ich, dass es natürlich Agitation und Propaganda auf mehreren Sprachen gibt, aber nicht mit unterschiedlichen, gegensätzlichen Inhalten. Wie sich Kommunisten zur nationalen Frage positionieren, sollte nicht von einer dogmatisch-schematischen Falschanwendung der Klassiker abhängen, sondern von einer konkreten Analyse der objektiven Bedingungen. Die Positionierung zur nationalen Frage muss im Sinne der Proletarier aller Völker analysiert werden, d.h. in erster Linie als eine antiimperialistische Sache. Genauso analysieren es auch die kurdischen und türkischen Werktätigen der TKP. Das ist keine Entstellung oder Karikatur Lenins, sondern die korrekte Anwendung seiner Lehre auf Grundlage der gegebenen Verhältnisse in der Türkei. Das heißt, ob das Recht auf Lostrennung oder der Kampf zur freiwilligen Einheit propagiert wird, sollte keine Frage der Herkunft sein, sondern im Rahmen einer Analyse herausgearbeitet werden.

3.3. Die Entwicklung der objektiven Bedingungen in Bezug auf das Selbstbestimmungsrecht

Wir leben heute in der gleichen Epoche wie Lenin und Stalin: im Imperialismus bzw. Monopolkapitalismus. Die beiden haben erklärt, dass der Kampf um nationale Befreiung nur dann unterstützenswert ist, wenn er dem Kampf gegen Imperialismus und für Sozialismus dient und damit haben sie recht. Als die Sowjetunion existiert hat, hat sie weltweit zahlreiche nationale und antiimperialistische Kämpfe unterstützt. Seitdem die Sowjetunion jedoch zerschlagen wurde und es keinen starken sozialistischen Block mehr gibt, gibt es weltweit keinen Staat mehr, auf den sich nationale Bewegungen bei ihrem Kampf stützen können. In meinem vorherigen Diskussionsbeitrag habe ich bereits ausgeführt, inwiefern die USA und auch die EU nationale Kämpfe instrumentalisieren, das Selbstbestimmungsrecht missbrauchen und für sich ausnutzen. Gerade vor diesem Hintergrund muss der Charakter nationaler Bewegungen analysiert werden. Natürlich darf man nicht schlussfolgern, dass deshalb nationale Unterdrückung egal sei, sondern die Art und Weise, wie das Ende nationaler Unterdrückung erkämpft wird, muss konkret und im Verhältnis zum Imperialismus beantwortet werden.

Unsere Genossen aus der Türkei haben einige Texte zur nationalen Frage veröffentlicht, die ich sehr interessant finde:

,,Der Nationalstaat war während des gesamten zwanzigsten Jahrhunderts typisch für den kapitalistischen Staat. Der Übergang vom 19. Jahrhundert zum 20. Jahrhundert kann im Rahmen eines solchen Normalisierungsprozesses bewältigt werden. Während sich der Kapitalismus entwickelt und sich auf der ganzen Welt ausbreitet, können wir die Entstehung von Nationalstaaten einen nach dem anderen sehen, ohne die ungleiche Entwicklung zu vernachlässigen. Jede erwähnte Periode kann auch in Bezug auf die Mission und Bildung des Nationalstaates neu gelesen werden.

Erstens fällt die Bildung des Nationalstaates mit den fortschrittlichen Jahren der Bourgeoisie zusammen. Dann stehen sich in Gegenwart dieses Staates das Proletariat und die Bourgeoisie gegenüber, wobei der Staat zweifellos eine Institution unter der Kontrolle und dem Dienst der Bourgeoisie ist, die die herrschende Klasse ist.

Nachdem das Proletariat zuerst die Macht übernommen hat und dann in vielen Ländern, gibt es jetzt Staaten auf der internationalen Bühne, die die Arbeiterklasse repräsentieren. Während dieser Periode wird die Bildung neuer Nationalstaaten natürlich von der Phase des Kampfes um Klassen beeinflusst werden. In Gegenwart eines Pols, der die Arbeiterklasse repräsentiert, haben nationale Bewegungen die Chance, sich vom kapitalistischen Lager zu lösen und gleichzeitig den Imperialismus zu konfrontieren. In der Phase der Entstehung dieser Nationalstaaten ist der globale Kampf zwischen Sozialismus und Kapitalismus entscheidend. Nationale Bewegungen, die sich gegen den Imperialismus positionieren, sind revolutionäre Dynamiken, trotz des bürgerlichen Charakters, den sie tragen.

Schließlich, nach der Auflösung des Sozialismus, ist der bürgerliche Charakter am Werk, um dem Imperialismus zu dienen, in Ermangelung einer Macht, die sich zugunsten der Arbeiterklasse verhalten wird. Der Nationalstaat trägt einen doppelten Charakter: ein Mittel, das stattdessen andere Formen der Macht anstrebt, aber nicht aufgegeben werden kann, weil diese Formen nicht reifen können, und auf der anderen Seite eine Form der Souveränität, die das Maximum aus seiner Bildung ziehen wird.”xv

Ich finde es sehr spannend wie die TKP nationale Bewegungen im Verlaufe der Zeit betrachtet: Von der Entstehung der Nationalstaaten, hin zur Existenz des sozialistischen Lagers und seit der Zerschlagung des Sozialismus. Aufgrund der aktuellen Kampfbedingungen sieht also auch die TKP die Gefahr und mehrfach genutzte Option, dass die EU und USA nationale Kämpfe in ihrem Sinne so beeinflussen, dass sie letzendlich dem Imperialismus dienen statt der Befreiung unterdrückter Völker.

Wie man an das Selbstbestimmungsrecht nicht herangehen darf, erklärt die TKP unmissverständlich: ,,Die Linke kann nicht unterstützen, dass eine Nation ihr Recht auf Selbstbestimmung ausübt, nur um ihr eigenes Schicksal zu bestimmen, ohne gegen den Imperialismus zu kämpfen, ohne den Internationalismus zu verteidigen, ohne über die Interessen der Arbeiterklasse und der sozialistischen Revolution nachzudenken.” xvi

Das Selbstbestimmungsrecht der Nationen ist unter den aktuellen Bedingungen – der Nichtexistenz eines sozialistischen Lagers – eine komplizierte Angelegenheit. Nationale Bewegungen sind besonderen Herausforderungen und Risiken ausgesetzt, denn die Gefahr, zu einem Spielball des Imperialismus zu werden, ist besonders groß. Das Selbstbestimmungsrecht ist daher wie auch vor hundert Jahren eines, welches unter den konkreten Bedingungen analysiert werden muss: Welche Taktik ist richtig, um sich dem strategischen Ziel zu nähern? Was folgt aus einer Kooperation nationaler Bewegungen mit dem Imperialismus? Wie kann eine Kooperation mit den großen imperialistischen Blöcken vermieden werden? Diese und weitere Fragen müssen sich Kommunisten stellen.

4. Der proimperialistische Charakter der PKK

In meinem vorherigen Diskussionsbeitrag habe ich einige Aussagen zur PKK gemacht, diese vertrete ich weiterhin und sehe mich durch die Antwort von YS nicht widerlegt. Es gibt einige Sätze in der Antwort von YS, in denen sie auf die PKK und auch auf den US-Imperialismus eingehen, z.B.: ,,Die kurdische Frage ist älter als der Imperialismus als monopolistischer Kapitalismus und kann nicht vom Interesse des US-Imperialismus abhängig gemacht werden.”xvii Mit diesem einen Satz bestätigen sie also meine Befürchtungen. Ich habe in meinem Beitrag erklärt, dass politische Bewegungen nicht isoliert bewertet werden können, sondern im Weltmaßstab betrachten werden müssen. Die USA sind nicht irgendein Staat, sondern an der Spitze des Weltsystems, sie destabilisieren und zerstören Staaten und das insbesondere in Westasien. Es ist daher im Sinne aller Völker Westasiens, sich gegen die USA und den Imperialismus an sich zu wenden. Die USA müssen aus Westasien komplett verdrängt werden, um die Lebensbedingungen verbessern zu können und dem Kampf für den Sozialismus überhaupt eine Grundlage geben zu können. Es geht bei der Bewertung der PKK aber nicht bloß um die Interessen des US-Imperialismus wie es YS im zitierten Satz andeutet, sondern vor allem um das strategische Bündnis beider Akteure. YS sagt in dem Zitat aber ganz offen: Kurden gibt es länger als den Imperialismus und daher seien der Imperialismus und die USA egal.

Das war jetzt erstmal nur ein Satz aus der Antwort von YS, was hat YS noch zu sagen: ,,Die angeführten Zitate Hensgens zur ideologischen Charakterisierung der PKK als „proimperialistisch“ sind echt, nur nicht repräsentativ. Wir würden Hensgen zustimmen, wenn er sagen würde, dass die kurdische Befreiungsbewegung widersprüchliche Aussagen macht und die Linie zum Imperialismus nicht deutlich wird; denn das stimmt! Dies findet seine soziale Basis aber eben im kurdischen Kleinbürgertum, deren direkter Vertreter die PKK ist. Die ideologische Linie des Apoismus und die revolutionäre alltägliche Politik/Linie der kurdischen Freiheitsbewegung stehen in einem logischen Widerspruch zueinander; mehr noch: während die Theorie des „demokratischen Kommunalismus“ reformistisch ist, ist die Bewegung, die diese erkämpft, revolutionär.”xviii

Es stimmt, dass es auch aus der PKK US-kritische Aussagen gibt. Aber wenn es aus der PKK proimperialistische und antiimperialistische Aussagen gibt, was bedeutet das? Bei YS klingt es, dass die Haltung der PKK/PYD aufgrund von diesen widersprüchlichen Aussagen ausgeglichen bzw. ,,okay” sei. Die Tatsache, dass es seit den 1990ern kontinuierlich diese Aussagen aus der PKK-Führung gibt, dass daraus auch konkrete Taten folgten wie die US-Militärbasen und den Ölvertrag, zeigen den problematischen Charakter dieses Bündnisses. Die antiimperialistischen Aussagen aus der PKK/PYD und ihnen nahen Organisationen, die YS meint, sind vor allem solche, die den Charakter des Bündnisses relativieren, falsche Vergleiche aufstellen und unehrlich sind. Um dies zu zeigen, bin ich in meinem Diskussionsbeitragxix auf Talal Cudi und Riza Altun eingegangen. Solche und weitere Aussagen können natürlich für die Leser irreführend sein, sie stehen aber nicht repräsentativ für das Denken und Handeln der beiden Parteien und können die PKK/PYD nicht in antiimperialistische Organisationen verwandeln. Auch Genossin Klara Bina ist in ihrem Diskussionsbeitrag darauf eingegangen, dass es innerhalb der PKK widersprüchliche Standpunkte und Aussagen gibtxx. Dass es unterschiedliche Positionen in der PKK gibt, wissen wir, doch darüber, was für den Charakter der PKK folgt, haben YS und ich unterschiedliche Meinungen. Wenn man sich z.B. hier in Deutschland die Linkspartei anschaut, muss festgestellt werden, dass darin Leute sind, die revolutionäre Aussagen tätigen. Sollte ich jetzt sagen, dort werden ,,widersprüchliche Aussagen” getätigt? Das wäre zwar richtig, aber es verkennt den bürgerlichen und systemstützenden Charakter der Linkspartei.

Weiteres Argument von YS: ,,Hensgen versteht nicht oder verschließt seine Augen vor der einfachen Realität, dass diese Zusammenarbeit [zwischen PKK/PYD und Assad] nicht aus der Sicht der PKK oder der PYD in Rojava ein „No-Go“ war, sondern von Anfang an aus der Sicht des syrischen Regimes. Ganz im Gegenteil versichert die PYD, dass sie die syrische staatliche Integrität wahren, mit dem syrischen Regime verhandeln und eine „Lösung auf Grundlage eines gesamtsyrischen Veränderungsprozesses“ finden wollen. In der Hinsicht gab es Verhandlungen seit 2014, die sich seit 2018 intensiviert haben. Nur erkennt das syrische Regime die beiden Hauptforderungen, die Demokratisierung Syriens (in Form einer neuen Verfassung) und die Dezentralisierung der Herrschaft (und die Anerkennung der kurdischen Autonomie) in keinster Weise an. Unter russischer Beobachtung setzt sich das Assad-Regime die Liquidierung jeglicher national-demokratischer Errungenschaften und die Rückkehr zu den Verhältnissen vor 2011 zum Ziel.”xxi

Meine Erläuterungenxxii zum syrischen Staat als alternativen Bündnispartner bezogen sich explizit auf den Fall, wenn die PKK/PYD nicht proimperialistisch wäre (Konjunktiv!). Es handelt sich bei der Bündnisfrage also um eine Frage, die nicht 2014 bei der Schlacht um Kobane erst auf den Tisch kam, sondern bereits nach dem Fall der Sowjetunion mit dem Ende des sozialistischen Lagers fing die PKK an, sich zu fragen, ob Sozialismus überhaupt möglich sei und ihr Vorsitzender sagte auf einem Parteitag 1995, dass die USA Fortschritt repräsentieren würde. Obwohl er einige Jahre später von den USA entführt und festgenommen wurde, festigte sich sein proimperialistischer Standpunkt und die PKK/PYD stützten dies. Somit war bereits vor dem Krieg in Syrien klar, mit wem die PKK/PYD Bündnisse eingehen will. Das sagen sie ja auch selbst, wie z.B. der YPG-Sprecher Polat Can: ,,Lange vor dem Kobane-Widerstand hatten wir Beziehungen zu vielen Ländern einschließlich den USA. Als Kobane angegriffen wurde, wurde unsere Beziehung stärker und unser Austausch wurde in der Praxis umgesetzt. Die dringliche Situation hat einige Dinge beschleunigt. Eine wahre Partnerschaft wird realisiert, wenn die Situation schwer ist und sich Parteien gegenseitig unterstützen.”xxiii Im Endeffekt ist der Beginn der militärischen Zusammenarbeit von PYD und den USA nichts anderes als die Fortsetzung der bestehenden Politik mit anderen Mitteln: Die Standpunkte der PYD haben sich nicht sonderlich geändert, die Beziehungen zu den USA waren nicht neu, die Zusammenarbeit hat bloß andere Formen angenommen. Das Bündnis PYD-USA als ,,militärische Notwendigkeit” zu bezeichnen, würde dieses auf den militärischen Charakter reduzieren und behaupten, dass es erst spontan zustande gekommen wäre, was nicht der Wahrheit entspricht. Auch die Behauptung die PYD würde stattdessen ein Bündnis mit dem syrischen Regime wollen, muss anhand ihrer vorher jahrelangen Annäherung an den westlichen Imperialismus analysiert werden.

Weiteres Argument von YS: ,Jenseits von Staat, Gewalt und Macht“ ist ein wichtiges Buch, in dem die neue ideologische Linie Abdullah Öcalans zusammengefasst nachgelesen werden kann, sie ist aber nicht die bindende Bibel der kurdischen Befreiungsbewegung, Vielmehr ist auszugehen von der theoretisch-praktischen Gesamtheit.”xxiv

Wenn es die ,,bindende Bibel” wäre könnte sich PKK auch direkt umbenennen und nochmal ihre Flagge ändern. Dann müssten sie auch nicht Linken in aller Welt vorspielen, es handle sich um ein ,,taktisches” und ,,militärisch notwendiges” Bündnis. Wenn es die ,,bindende Bibel” wäre, dann müssten die PKK/PYD ganz offen proimperialistisch sein. Aber das versuchen sie ja eher zu verstecken, nicht zuzugeben, zu relativieren usw. usf. Dennoch spielt dieses Buch eine wichtige Rolle und offenbart, die Tolerierung und Ehrung offen proimperialistischer und antikommunistischer Äußerungen. Der kurdische Studierendenverband in Deutschland (YXK) veranstaltet damit Lesekreise. Es gibt einen extrem krassen Personenkult um Öcalan. Er ist seit 1978 – der PKK-Gründung – der PKK-Vorsitzende. Natürlich hat sein Hauptwerk eine hohe Relevanz für die Bewegung. Daher sollte man nicht versuchen, diese mit den Worten es ist keine ,,bindende Bibel” herunterzuspielen. Abgesehen davon habe ich in meinen vorherigen Diskussionsbeitrag bereits dargestellt, dass sich der Proimperialismus der PKK bei weitem nicht auf ihr theoretisches Hauptwerk reduzieren lässt, sondern bereits in den 90ern hervorkam und seitdem mehr und mehr fester Bestandteil von Theorie und Praxis, also von ihrer theoretisch-praktischen Gesamtheit, wurde.

Das nächste Argument von YS: ,,Die PKK wird vom US-Imperialismus und der EU bekämpft, die Türkei wird in ihrem Krieg gegen die Guerilla und die legale kurdische Politik vollständig auf allen Ebenen (politisch, diplomatisch, wirtschaftlich und militärisch) unterstützt und mitgetragen.”xxv

Auch die Tatsache, dass PKK-Kader sowie -Anhänger von starker Repression betroffen sind, spricht nicht gegen den proimperialistischen Charakter der PKK. Es ist viel eher ein Beleg dafür, wie unsinnig es von der PKK ist, trotz der starken Repression weiterhin Hoffnungen auf die USA zu setzen. Insbesondere die Entführung und Festnahme Öcalans, bei der Israel und die USA eine wichtige Rolle gespielt haben, zeigen die Widersprüchlichkeit des Ganzen. Denn einige Jahre später erhalten Funktionäre der PYD Visa in die USA und andere westliche Staatenxxvi, sodass sie mit Staatsvertretern dort ihre Absprachen und Abkommen treffen können. Die Zusammenarbeit von der PYD und den USA findet nicht auf Augenhöhe statt (was aufgrund von den Kräfteverhältnissen nicht möglich ist), die USA nutzt die PYD und die PYD ist damit einverstanden. Schließlich hat sich Öcalan in zahlreichen Schriften, die er im Gefängnis verfasst hat, klar geäußert: Er findet die EU und die USA fortschrittlich und dass sich die PKK an diesen orientieren sollte. Die PKK/PYD sind natürlich keine willenlosen Marionetten des Westens bzw. der NATO. Das wäre auch gar nicht möglich, alleine aufgrund der Widersprüchlichkeiten und Differenzen innerhalb der NATO. Mit proimperialistisch meine ich, dass die PKK/PYD objektiv und subjektiv auf mehreren Ebenen und über einen längeren Zeitraum mit einem imperialistischen Block paktiert.

YS findet es wichtig, in seinem Text zu thematisieren, dass die PYD/YPG/YPJ nicht nur zu den USA, sondern auch zu Russland Beziehungen haben. Warum ist das wichtig? In der Regel erwähnen es PYD-Anhänger, um dessen Zusammenarbeit mit den USA zu relativieren und zu behaupten, die PYD nutze alle Möglichkeiten und Widersprüche aus, die sich aus der Konkurrenz der beiden imperialistischen Blöcke ergeben. Die Zusammenarbeit mit den USA ist aber keineswegs mit der mit Russland zu vergleichen, dafür können einige Gründe angeführt werden, unter Anderem: Die PKK bezeichnet Russland nicht als fortschrittlich, sie lädt Russland nicht dazu ein, Militärbasen aufzubauen und schließt keine langfristigen ökonomischen Verträge ab. Die Zusammenarbeit in einzelnen Teilen Rojavas/Nordostsyrien mit Russland ist keine Legitimation für ihr strategisches Bündnis mit den USA.

Das nächste Argument von YS: ,,Abkommen mit US-amerikanischen Unternehmen wurden erst auf Grundlage des militärischen Bündnisses gegen den IS beschlossen und waren „begrenzt“ auf die Unterstützung der Föderation bei der Produktion und dem Schutz des „Öl“s. Die Gebiete der Ölfelder sind weiterhin im Visier des IS und werden von Zeit zu Zeit auch Ziel von Angriffen von „schlafenden Zellen“.

Der Caeser-Act der USA und westlichen Imperialisten gegen Syrien verbietet ökonomische Investitionen und Handel in Syrien. Auch Rojava-Nordsyrien ist nicht ausgenommen von diesem Embargo. Das Ölabkommen mit Delta Energy war eine Ausnahme, die aber auch schon abgelaufen ist! Biden hat das Abkommen nicht erneuern lassen. Das heißt; aktuell gibt es gar kein aktuelles Öl-Abkommen mehr. Wenn das Abkommen mit der US-amerikanischen Delta Crescent Energy LLC mit der Föderation Argument für die politisch-strategische Einheit, mehr noch Abhängigkeit sein kann, muss die „Aufgabe des Abkommens“ als Gegenargument anerkannt werden.”xxvii

Der Caeser-Act ist ein Gesetz, welches Sanktionen gegen Syrien umfasst. Der Öl-Deal zwischen Rojava/Nordostsyrien und den USA war möglich, da es dafür eine Sanktionsbefreiung gab und diese wurde von Biden nicht verlängert. Da hat YS recht. Als ich meinen Diskussionsbeitrag geschrieben habe, war mir das nicht bekannt. Scheinbar hat Biden also mit Trumps Absichten gebrochen. YS will uns nun verkaufen, dass der Charakter der PKK/PYD davon abhängig ist, was Trump oder Biden gerade wollen. Sollte der Charakter von PKK/PYD nicht eher von ihnen selbst abhängig sein? Sie selbst haben den Ölvertrag nicht beendet, sie würden ihn gerne weiterführen. Lesen wir doch selbst in der von YS aufgeführten Quelle nach:

,,”Unsere wirtschaftliche Situation ist so schwierig. Wir befinden uns unter wirtschaftlicher Belagerung mit internationalen Sanktionen und geschlossenen Grenzen. Und es war eine besonders schwierige Situation in diesem Jahr wegen des Mangels an Regen”, sagte eine Vertreterin des Syrischen Demokratischen Rates in Washington, Sinam Mohammed, gegenüber Al-Monitor.

Trotz der jüngsten Nachrichten ist Sinam immer noch optimistisch für gute Beziehungen zur derzeitigen Regierung.

“Wir haben ausgezeichnete Beziehungen zur Biden-Regierung”, fügte sie hinzu.”xxviii

Der syrisch-demokratische Rat ist der politische Arm der SDF, der von den YPG/YPJ aufgebauten Kampfeinheiten in Rojava/Nordostsyrien. Sie hatten also nicht nur zur Trump-Regierung, sondern haben auch zu Biden-Regierung gute Beziehungen. YS sagt über den Öl-Vertrag, dass dieser eine Ausnahme sei. Was sagt die Biden-Regierung, was sagt das Sanktionsgesetz Caeser-Act?

,,Der amerikanische Gesandte im Nordosten Syriens bestätigte bei seinem heutigen Treffen mit der Autonomen Verwaltung des Kantons Kobanê, dass das, was mit dem Strafrecht im Rahmen des Caesar’s Act zusammenhängt, die Bereiche der Autonomen Verwaltung ausschließt und es eine gemeinsame Arbeit und Koordination im Rahmen der amerikanischen Unterstützungsprogramme geben wird.”xxix

YS nennt den Öl-Vertrag einen ,,Ausnahme”-Vertrag. Das US-Sanktionsgesetz gilt nicht mehr für Rojava/Nordostsyrien, politische Vertreter aus Rojava/Nordostsyrien beziehen sich positiv auf die Biden-Regierung und sprechen von ,,ausgezeichneten Beziehungen” zu ihr. Dann können jetzt also weitere ,,Ausnahme”-Verträge mit den USA kommen? YS schreibt immerhin selbst, dass es eine ,,Notwendigkeit ökonomischer Beziehungen zu ,,äußeren” Kräften” gebe.

Die ursprünglich vereinbarte Laufzeit des Ölvertrages ist mit 25 Jahren extrem lang und zeigt, dass bei Abschluss des Vertrages die Bereitschaft vorhanden war, langfristige, ökonomische Abkommen einzugehen. Es ist davon auszugehen, dass diese Absicht auf der Seite der PKK/PYD weiterhin vorhanden ist. Im Mai erschien ein Artikel bei Rudaw, der genau darauf eingeht: ,,Mazloum Abdi, Generalkommandeur der kurdisch geführten Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF), begrüßte am späten Freitag die Entscheidung der USA, ausländische Investitionen im Nordosten Syriens (Rojava) zuzulassen, und sagte, sie begrüßen alle Unternehmen, dort zu investieren.”xxx

Die strategische Orientierung und Unterordnung der PKK/PYD gegenüber den USA bezieht sich also – wie in meinem vorherigen Beitrag beschrieben – auf eine politisch-ideologische, ökonomische und militärische Ebene. Viele, die diese Zusammenarbeit verharmlosen oder legitimieren, reduzieren sie auf den militärischen Aspekt, um zu behaupten, dass es eine notwendige Zusammenarbeit sei. Das entspricht nicht der Realität. Es ist wichtig, den militärischen Aspekt ebenfalls hervorzuheben: Unsere Genossen aus Österreich haben erst im April in einem Artikelxxxi über die verstärkte militärische Präsenz und Aktivität der USA in Rojava/Nordostsyrien berichtet. Diese Präsenz ist für die USA ein Türöffner, um in der gesamten Region militärisch agieren zu können. Aber die Kooperation beschränkt sich keineswegs auf diesen Aspekt. Alle Aspekte des PKK/PYD-USA Bündnis insgesamt stehen für den proimperialistischen Charakter dessen.

5. Der Vergleich mit Palästina

In meinem Diskussionsbeitrag habe ich kurz erläutert, weshalb ich den in der deutschen Linken verbreiteten Palästina-Kurdistan-Vergleich für unpassend und schädlich halte. Ich bin dabei auf das Verhältnis von PKK/PYD, Fatah, Hamas und PFLP zum Imperialismus eingegangen. Was sagt YS dazu?

Sie schreiben: ,,Hensgen und die Vertreter:innen des sozialchauvinistischen Lagers, allen voran die TKP und DHKP-C können doch nicht behaupten, die Palästinenser:innen hätten weniger Beziehungen zu imperialistischen Kräften als die Kurd:innen.”xxxii

Wenn YS das Verhältnis palästinensischer Kräfte zum Imperialismus noch problematischer einstuft, als es das Verhältnis der PKK/PYD zu den USA sei, dann ist YS eine genauere Erklärung dazu schuldig. Denn erstens greifen die Ausführungen aus ihrem Beitrag dazu m.E. zu kurz und zweitens will YS anscheinend viele regionale Mächte nicht als imperialistisch charakterisieren. Welche palästinensischen Organisationen und welche imperialistischen Kräfte meint YS und welche Schlussfolgerungen sollten daraus folgen?

Was machen ,,die Palästinenser”?

  • In meinem vorherigen Diskussionsbeitrag und in der diesjährigen KO-Stellungnahmexxxiii zur Nakba steht sehr deutlich, dass wir die palästinensische Autonomiebehörde nicht als Teil des palästinensischen Volkswiderstands, sondern als Gegner dessen betrachten.

  • YS: ,,Die Hamas hatte direkte Beziehung zu Iran, später aber hat sie die Beziehung zu Erdogans Türkei vertieft und seine politische Führung dementsprechend nach Katar getragen.”xxxiv Ja, die Hamas hat Beziehungen zu relevanten Mächten innerhalb der Region. Sie ist zwar Teil des palästinensischen Volkswiderstands, aber selbst keine antiimperialistische Kraft.

  • In meinem vorherigen Beitrag habe ich mich dann auf die PFLP bezogen, da sie antiimperialistisch sei. Ich habe jedoch ihr Verhältnis zu Syrien und dem Iran ausgeklammert. Im Mai hat sogar ein Vertreter des ZK der PFLP am chinesisch-arabischen Forum teilgenommen. Die PFLP schreibt auf ihrer Website vom ,,Sozialismus chinesischer Prägung” und dass sich die Kommunisten weltweit an China orientieren solltenxxxv. Ich weiß nicht, wie weit diese Position innerhalb der PFLP vertreten ist und welche konkreten Auswirkungen sie auf ihre Praxis hat. Ihr Verhältnis zum Imperialismus ist damit zumindest fragwürdig.

  • Es gibt die Palästinensische Volkspartei (PPP) und die Palästinensische Kommunistische Partei (PCP). Beide sind über das Solidnetxxxvi mit der KKE, der TKP und weiteren KPen lose verbunden. Teilweise unterstützen sie Erklärungen, die im Solidnet veröffentlicht werden.

Ich halte – wie beschrieben – die Eigenständigkeit revolutionärer und nationaler Bewegungen gegenüber dem Imperialismus für notwendig. Da der Imperialismus nicht bloß ein paar westliche Staaten sind, sondern das ganze Weltsystem umfasst, ist es an dieser Stelle wichtig, die Hamas und die PFLP zu kritisieren. Eine Kommunistische Partei in Palästina muss eine Bewegung aufbauen, die sich klar gegen beide imperialistische Pole richtet und sich weder von ihnen noch von regionalen Mächten abhängig macht. Sie muss sich auf ihr Volk und das internatioale Proletariat stützen.

Insgesamt ist also festzustellen, dass nicht nur die nationale Bewegung um die PKK, sondern auch einige Kräfte in Palästina keine klare antiimperialistische Ausrichtung haben. Dennoch kann man dies nicht miteinander gleichsetzen. Das Ziel des palästinensischen Volkswiderstands ist die Zerschlagung Israels, was zwangsläufig eine Verbesserung der Lebens- und Kampfbedingungen und damit ein Potenzial für den Kampf um den Sozialismus darstellt. Daher ist der Widerstand zu begrüßen, wobei Kommunisten vor Ort darum kämpfen müssen, die Führung zu erlangen und direkt den Kampf um den Sozialismus auf die Tagesordnung zu setzen. Der Kampf der PKK stärkt jedoch die Rolle der USA in Westasien, ihre Militärbasen vor Ort sind eine potenzielle Grundlage zur Durchführung weiterer Interventionen, Regime Changes, zum Anzetteln von Bürgerkriegen und zum Zerschlagen jedes revolutionären Potenzials. Daher muss ich hiermit zwar teilweise Aussagen aus meinem vorherigen Beitrag zurücknehmen, aber die Behauptung von YS, dass Palästinenser mehr Beziehungen zu imperialistischen Kräften hätten als Kurden ist nicht haltbar. Mir geht es hierbei aber im Gegensatz zu YS nicht um ,,mehr Beziehungen” oder um ,,weniger Beziehungen”, sondern darum, mit welchen imperialistischen Kräften, in welchem Ausmaß sowie Kontext die Beziehungen stattfinden und welche Folgen drohen.

6. Fazit

Bereits in meinem vorherigen Beitrag habe ich beide imperialistischen Blöcke und ihre Rolle in Westasien behandelt. Revolutionäre Bewegungen dürfen sich weder der NATO noch der SCO unterordnen. Damit meine ich nicht, dass die Stärke, Aggressivität oder die Art und Weise, wie diese ihre ökonomischen Interessen durchsetzen identisch wären, sondern dass die Interessen beider Blöcke in einem unversöhnlichen Widerspruch zu den Interessen des internationalen Proletariats stehen. Sie sind nicht in Westasien, um dort Frieden zu stiften oder um im Sinne der dortigen Völker zu handeln, sondern um den Kampf um die Neuaufteilungxxxvii der Welt zu ihren Gunsten zu bestreiten, anhand dessen ist das Vorgehen der russischen, chinesischen und us-amerikanischen Bourgeoisie zu bewerten.

Die Arbeiterklasse braucht einen eigenständigen Charakter, um den Kampf für den Sozialismus führen zu können und nicht zu einem Anhängsel oder Spielball eines bürgerlichen Staates oder imperialistischen Blocks zu werden. Kein Anhängsel oder Spielball zu werden bedeutet, dass eine Zusammenarbeit revolutionärer Bewegungen mit bürgerlichen Regierungen (z.B. der syrischen) nicht generell, sondern nur in Ausnahmefällen (z.B. drohender Regime Change durch die USA) als Option in Betracht gezogen werden darf, eine solche potenzielle Zusammenarbeit muss von vornherein begrenzt (z.B. auf die Bekämpfung des IS, Verdrängung der USA) sein, es muss eine ideologische und organisatorische Anpassung verhindert werden und es müssen von der bürgerlichen Regierung Zugeständnisse eingefordert sowie umgesetzt werden (z.B. bürgerliche Rechte für die Kurden in Syrien). Ein solches Bündnis birgt immer zahlreiche Gefahren, daher sollten revolutionäre Bewegungen, die solche eingehen mit dem Partner in etwa auf Augenhöhe agieren, d.h. in etwa gleich stark sein, um eine Unterordnung zu vermeiden. So sind meine Ausführungen zum hypothetischen PKK-Syrien Bündnis zu verstehen, als eine taktische Angelegenheit. Nachdem die Sinnhaftigkeit und Notwendigkeit eines solchen Bündnisses nicht mehr gegeben wären, müssten Revolutionäre in einer revolutionären Situation die Waffen gegen ihre ,,eigene” Bourgeoisie (also den syrischen Staat) richten und den Sozialismus erkämpfen.

Ich habe in meinem vorherigen Beitrag geschrieben, dass YS mit ihrer Haltung zur PKK/PYD proimperialistische Organisationen unterstützt. Dabei habe ich ausgeführt, dass YS nicht bewusst proimperialistisch handelt, sondern vermutlich analysefaul ist. Auf diese Einschätzung von mir reagiert YS mit dem Verweis auf eine Broschüre zur ,,Selbstverwaltung”xxxviii. Wieso YS gerade auf diese Broschüre verweist, ist ein Rätsel. Mir ist die Broschüre bekannt, in meinem vorherigen Diskussionsbeitrag habe ich sie bereits erwähnt und kurz kritisiert. Analysefaul nenne ich YS nicht, weil ich behaupten würde, dass YS nichts schreiben würde, sondern weil sie (und auch die MLKP und TKŞ) in ihren Texten den US-Imperialismus nicht oder nur möglichst kurz thematisieren möchten. Ihre Broschüre zur ,,Selbstverwaltung” ist 32 Seiten lang, davon behandeln vielleicht 1-2 Sätze den US-Imperialismus. Der Verweis auf diese Broschüre bekräftigt also umso mehr meine Behauptung, dass YS so wenig wie möglich über den US-Imperialismus schreibt, sondern umso eher davon ablenken will und analysefaul ist. Wenn man sich die MLKP und TKŞ anschaut, dann ist diese Ignoranz gegenüber dem US-Imperialismus und Unterschätzung dessen wohl eine sehr wichtige Gemeinsamkeit und vermutlich auch notwendig, um ein Anhänger der PKK/PYD zu sein. In ihrer zweiteiligen Antwort an mich, ist YS nun auf den US-Imperialismus eingegangen, nachdem ich sie dazu aufgefordert habe. Ich bin jedoch der Meinung, dass sie die Rolle der USA sowie das Bündnis mit ihr massiv unterschätzen und relativieren, was für die Praxis fatale Konsequenzen hat.

Mit diesem Diskussionsbeitrag reagiere ich auf die Unterstellungen von YS, einige Anmerkungen dazu folgen im Anhang. YS wirft mir u.a. Elektizismus, Ökonomismus und Chauvinismus vor. Sie zitieren 10 Seiten Lenin, schreiben viel zur Geschichte der Kurden, dann einige Seiten gegen die TKP und einige Seiten zur TKŞ. Aber wie bereits Klara Bina in ihrem Kommentarxxxix als Reaktion auf den ersten Teil von YS geschrieben hat, geht es um die PKK. Die Ausführungen von YS dazu fand ich relativ schwach. Alles in allem bleibt es festzuhalten, dass die PKK eine proimperialistische Organisation ist, dass sie nicht im Interesse des kurdischen Volkes bzw. der kurdischen Völker und erst recht nicht im Interesse des internationalen Proletariats handelt. Auch aktuelle Ankündigungen des türkischen Staates einen erneuten Angriff auf kurdische Gebiete durchzuführen, ändern nichts an meiner Haltung: Die Perspektive für den Sozialismus und das Ende der nationalen Unterdrückung bietet nicht die PKK und ihre Kooperation mit dem US-Imperialismus, sondern die TKP. Dass die USA der PKK/PYD nicht hilft, wenn die Türkei droht und angreift, zeigt umso mehr, dass sich die PKK/PYD den falschen Partner ausgesucht hat. Gerade dass jetzt die PYD-nahe SDF die syrische Regierung um Hilfe bittetxl, zeigt erneut, dass diese Bündniskonstellation sinnvoller wäre als eine Unterordnung unter bzw. Abhängigkeit von den USA.

Mir ist es wichtig, meine Meinung sowie die dahinterliegende Argumentation offen und transparent darzulegen. Ich habe in meinem vorherigen Beitrag bewusst fordernd eingeladen, auf meinen Text zu reagieren, sodass mein Text aus einer anderen Perspektive kritisch überprüft wird. In der Antwort von YS sehe ich keine Widerlegung meiner Position, dafür beinhaltet ihr Text eine Anhäufung von falschen Unterstellungen gegenüber der TKP und mir. Wenn wir die Texte der Genossin Klara Bina mitzählen, ist das jetzt der vierte Beitrag (xli // xlii // xliii // dieser hier) zum Thema PKK und vermutlich reicht das auch erstmal so. YS schreibt, dass sie sich bis zum Sturz des Imperialismus mit dem befassen wollen, was sie unter ,,Sozialchauvinismus und imperialistischer Ökonomismus” verstehen. Vielleicht ist jetzt aber bereits ein Punkt erreicht, an dem wir sagen können, dass die Leser nun die Argumentationen von mir und auch von YS nachvollziehen und sich selbst eine Meinung über diese bilden können.

Abschließend möchte ich nochmal – wie in meinem vorherigen Text – anmerken, dass ich selbst jahrelang auf Demonstrationen und auch zahlreichen anderen Veranstaltungen für die Solidarität mit der PYD/YPG/YPJ usw. war. Ich habe im Laufe der Zeit meine Meinung geändert und sehe die Haltung derer, die solidarisch mit den genannten Organisationen sind und ggf. sogar langfristig ihren politischen Schwerpunkt darauf legen, kritisch. Trotz allem möchte ich betonen, dass ich den Mut und die Bereitschaft von denen, die aus Deutschland in die Berge gehen und für die PYD/YPG/YPJ kämpfen, respektiere. Die politische Bewegung darum hat einen Märtyrerkult aufgebaut, der jedoch dazu führt, Jugendliche umso mehr dazu zu motivieren, unter Führung der PYD/YPG/YPJ/MLKP zu kämpfen. Meine Kritik daran habe ich nun in zwei Texten transparent gemacht. Für die sozialistische Revolution bedarf es eines bewaffneten Kampfes, dieser muss jedoch auf Grundlage eines revolutionären Programmes und einer ML-Analyse erfolgen, was m.E. bei der MLKP nicht der Fall ist.

Ich hoffe, dass ich mit diesem Beitrag erneut zum Nachdenken und zum Diskutieren anrege. In diesem Beitrag habe ich versucht deutlich zu machen, wie Themen miteinander zusammenhängen. Die Imperialismusanalyse ist das Fundament für die Analyse bzw. Haltung zur nationalen Frage, zum proletarischen Internationalismus, zum Staat, zur Strategie und Taktik, zur Praxis usw. usf., aber eben nicht umgekehrt: Im Zuge der Einschätzung des Charakters einer Bourgeoisie als faschistisch und/oder kolonialistisch besteht eine hohe Gefahr, sich auf der Suche nach einem Bündnispartner, einem imperialistischen Pol unterzuordnen. Das geht mit der Unterschätzung imperialistischer Akteure einher. Wenn Kommunisten jedoch zu einem Anhängsel des Imperialismus werden, stärken sie diesen statt eigenständig zu sein und eine revolutionäre, antiimperialistische Position einnehmen zu können. Eine konkrete Situation in einer Region darf nicht dazu führen, die Imperialismusanalyse über Bord zu werfen, sondern muss anhand dieser betrachtet werden.


 

7. Anhang: Die Verleumdungen von YS gegen die TKP

Bevor ich auf die Verleumdungen von YS gegenüber der TKP genauer eingehe, möchte ich mich kurz zu unserem Verhältnis gegenüber der TKP äußern, um mögliche Missverständnisse zu vermeiden: Die KO und die TKP haben keine Beziehungen zueinander, wir sind keine Schwesterorganisationen. Die TKP und die KO eint es, dass sie den realen Sozialismus (gegenüber bürgerlichen, trotzkistischen, hoxhaistischen und maoistischen Verleumdungen, wie z.B. der Sozialimperialismusthese) verteidigen, daraus ergibt sich die Zugehörigkeit zur gleichen ideologischen Strömung. Die TKP ist Teil der ,,Initiative kommunistischer und Arbeiterparteien Europas”xliv, in unserer internationalen Resolution von unserer 2. Vollversammlungxlv heben wir diesen Zusammenschluss positiv hervor. Die Veröffentlichungen der Kommunistischen Parteien (KPen) innerhalb der Initiative verfolgen wir interessiert. Aufgrund von ideologischer Nähe – auch über die Sozialismusfrage hinaus – z.B. in der Ablehnung von Reformismus und Etappentheorien und im Verständnis des Imperialismus, interessiere ich mich für diese Organisation und beziehe mich positiv auf sie. Sie ist inhaltlich also weitaus stärker als alles, was ich von anderen KPen aus der Türkei weiß.

YS schreibt in seiner Antwort auf meinen Diskussionsbeitrag sehr viel über die TKP. Da ich mich positiv auf die TKP beziehe, ist es natürlich legitim, dass YS in einer Antwort Kritik äußert. Aber in ihren Äußerungen zur TKP verdrehen sie Sachen und nutzen Begriffe falsch, sie nutzen ihre falschen Aussagen gegenüber unseren Genossen aus der Türkei, um mich zu diskreditieren (,,Denn mit seiner Referenz (der TKP) steht er standfest auf dem Boden des türkischen Chauvinismus.”xlvi). Das solle wohl irgendwie als Diskussionswaffe dienen, um den Leser zu überzeugen, dass ich falsch liegen müsse. Im Folgenden gehe ich auf acht Textstellen (mit A-H bezeichnet) von YS zur TKP etwas ein, um dies gerade zu rücken. Alternativ könnte ich auch einfach TKP-Texte hier verlinken, aber ich versuche es möglichst zugänglich zu machen, sodass es nicht unbedingt notwendig ist, zahlreiche TKP-Texte zu lesen, die nicht auf deutsch verfügbar sind. Um die kurzen Ausführungen in diesem Anhang zu vertiefen, empfehle ich für die weitere Befassung mit der TKP das Durcharbeiten ihrer Internetseiten. Leider sind einige Stellen in diesem Anhang sprachlich etwas holprig, da ich Texte der TKP auf türkisch genommen habe, um sie zu zitieren, aber die Übersetzung meines Browsers nicht perfekt ist.

 

A) Vorwurf Kemalismus: YS führt nicht aus, was sie meinen und unterstellen unseren Genossen den Mord an der damaligen TKP-Führung zu begrüßen.

YS: ,,Die T“K“P: eine sozialchauvinistische und kemalistische Partei” und ,,Die Ermordung der Führer:innen der historischen TKP durch die kemalistische Führung führte aber zu einem tiefen Bruch mit dieser revolutionären Position zur Regimefrage.”xlvii

YS schreibt erst, die TKP sei kemalistisch und danach, dass die kemalistische Führung die Führung der historischen TKP ermordete. Damit wird impliziert, dass die heutige TKP den Mord an den damaligen Führern gut finden würde. Den Mord an den Führern der historischen TKP verurteilen unsere Genossen klar: Die TKP führte im Januar in mehreren Städten große Gedenkveranstaltungen für die Führer der historischen TKP durchxlviii. Damit ist bewiesen, dass sie den Mord an der historischen Führung nicht begrüßen, sondern auf’s schärfte verurteilen.

Was ist nun dran, an dem Vorwurf des Kemalismus? Alle in der Türkei lebenden Völker haben einen Befreiungskampf gegen den Imperialismus geführt. Dieser Kampf mündete in die Gründung der türkischen Republik, einen Staat, der in seinen jungen Jahren unter Anderem für Säkularismus und Zusammenarbeit mit der Sowjetunion stand. Ja, darauf beziehen sich unsere Genossen positiv. Der TKP ist bewusst, dass unter Mustafa Kemal der kurdische Teil der Bevölkerung unterdrückt wurde, sie behandeln dies in mehreren Textenxlix. Den Kampf der jungen Türkei gegen den Imperialismus zu begrüßen, ist etwas anderes als die Unterdrückung gegen die Kurden zu befürworten. Unsere Genossen wendeten und wenden sich stets gegen die Unterdrückung der Kurden. Wenn YS die TKP kemalistisch nennt, sollte YS das mal definieren und belegen. Aber dafür müsste YS das ganze etwas differenzierter betrachten. Ich halte diesen Aspekt in meinem Text bewusst kurz, da das eigentliche Thema der Debatte nicht der Kemalismus, sondern die PKK ist.

B) Vorwurf Sozialchauvinismus: Ursprung des Vorwurfes ist, dass YS die Geschichte und Argumente der TKP nicht kennt und den Charakter der PKK und HDP nicht wahrhaben will.

YS: ,,Die Neugründung der TKP 1921 unter Şefik Hüsnü geschah auf klassenversöhnerischer Basis und das wirkte sich unmittelbar auf die politische Positionierung gegenüber der kurdischen Frage aus. Seitdem bewegt sich die TKP auf einer sozialchauvinistischen Grundlage. Diskutieren wir die Linie der aktuellen TKP anhand ihrer letzten Erklärung zur kurdischen Frage. Erstens ignoriert die TKP die politischen Subjekte der kurdischen Nation. Die Aussage, dass das kurdische Volk der Ansprechpartner bei der Lösung der kurdischen Frage ist mag volksnah und demokratisch klingen, ist aber nichts anderes als die bewusste Leugnung der kurdischen Befreiungsbewegung als politische Repräsentant:innen der Kurd:innen. Dass die TKP die PKK als die Hauptstütze der kurdischen Realität und deren politischen Repräsentanten Abdullah Öcalan nicht als Ansprechpartner anerkennt, ist nachvollziehbar (ausgehend von der programmatischen und ideologischen Linie). Aber dass sogar die HDP ignoriert wird und nicht als die Partei der kurdischen kollektiven Kampfes und als Ansprechpartner anerkannt wird, ist nicht nur eine ideologische Schwäche, sondern eine Schuld, die Wiederspieglung der Leugnungspolitik des kemalistischen Regimes gegenüber den Kurd:innen war. Sogar die kemalistische CHP hat zugegeben, dass die Lösung der kurdischen Frage ohne die HDP unmöglich ist und dass sie die HDP als legitime Ansprechpartner anerkennen werden. Natürlich war das eine taktische Aussage im Hinblick auf die Wahlen. Trotzdem zwingt die national-demokratische Kraft sie, die politischen Subjekte der Kurd:innen anzuerkennen. Die TKP aber ignoriert die Subjekte. Gleiches zeigt sich auch bei dem Versuch, ein „neues sozialistisches Bündnis“ jenseits der und ohne die HDP zu etablieren.”l

Die heutige TKP (Kommunistische Partei der Türkei) ist der Nachfolger der SIP (Partei für Sozialistische Macht), die SIP war der Nachfolger der STP (Partei der sozialistischen Türkei ). Diese drei Parteien sehen bzw. sahen sich in der Tradition der historischen TKP.

Um nicht ganz so weit zurück in die Geschichte zu gehen, beginne ich mal mit der Zeit nach der PKK-Gründung: Unsere Genossen in der Türkei haben die PKK sowie ihre legalen Arme anerkannt und unterstützt, bevor diese proimperialistisch wurden. Die STP trat für das Recht der Kurden auf staatliche Lostrennung ein. Die STP (bis zu ihrem Verbot 1993) und die SIP kannten die Legitimität und Autorität der kurdischen Nationalbewegung an. Die STP und SIP wollten, dass die PKK und ihr nahestende kurdische Organisationen die Kurden organisieren, weshalb sie selbst gar nicht in kurdischen Provinzen aktiv war. Nach dem Verbot der STP und der Gründung der SIP erklärte sich diese mit der DEP – der Demokratiepartei (Vorvorvorvorvorgängerpartei der heutigen HDP) solidarisch. Aufgrund vom staatlichen Druck gegen die DEP und dem Verbot ihr gegenüber an den Kommunalwahlen 1994 teilzunehmen, entschied sich die SIP dazu, die Wahlen zu boykottieren. Die SIP sah die DEP als einen Vertreter des kurdischen Volkes und betrachtete ihren Ausschluss aus den Wahlen als Ausschluss des kurdischen Volkes. Dass sich die PKK und ihre legalen Arme in Theorie und Praxis um 180 Grad gewendet haben, hat die SIP genau beobachtet. Die TKP (Gründung 2001) baute ab 2001 nach und nach zahlreiche Parteistrukturen in kurdischen Provinzen auf. (li // lii)

Unsere Genossen haben in den 2000er Jahren entschieden, die kurdische Arbeiterklasse nicht mehr der PKK zu überlassen, ihr proimperialistischer Charakter hatte sich bereits offen herauskristalisiert, weshalb ihr Kampf keine Perspektive für die Arbeiterklasse mehr bieten konnte. Also steht fest, dass die TKP nicht sozialchauvinistisch ist, sondern dass sie ihre Unterstützung der kurdischen Nationalbewegung davon abhängig macht, ob sie einen fortschrittlichen Charakter hat. Als sie diesen hatte, hat sie sie unterstützt und seitdem sie proimperialistisch ist, organisiert die TKP selbst kurdische Werktätige aus kurdischen Provinzen in ihren Reihen und kämpft mit ihnen gemeinsam für den Sozialismus. Im Text ,,Arbeiter und Kurden” den die TKP im Januar veröffentlicht hat, schreibt sie: ,,Kurdische Arbeiter zu organisieren, um den Sozialismus zu erkämpfen, ist heute die dringendste Aufgabe in der kapitalistischen Türkei.”liii

Sie gehen auch auf die Ursachen ein, warum es eine Notwendigkeit für den gemeinsamen Kampf gibt: ,,Auf türkischer Ebene ist der gemeinsame Kampf eine Notwendigkeit mit bestimmten Ursachen und Bedingungen. Der wichtigste dieser Gründe und Bedingungen ist, dass die kurdische und die türkische herrschende Klasse ihre wirtschaftlichen Aktivitäten auf demselben “nationalen” Markt fortsetzen. Der Feind ist monolithisch.”liv

Dieser gemeinsame Kampf der Kurden und Türken berücksichtigt natürlich, dass beide Völker nicht gleichberechtigt sind, dass es für die kurdischen Arbeiter als doppelt-unterdrückte (als Arbeiter und als Kurden) spezifische Formen von Agitation und Propaganda bedarf sowie auch spezifische Forderungen im Kampf um die Verbesserung ihrer Lage. Nur so ist ein wirklich gleichberechtiger Kampf auf Augenhöhe möglich. Kurdewari ist eine Institution der TKP, die die kurdische Kultur pflegt, schützt und weiterentwickelt. Der Genosse Ozkan Öztaş hat einige sehr interessante und wertvolle Beiträge im Zusammenhang mit der kurdischen Kultur geleistet. Er hat das Buch ,,Kurdische Kunst in der Sowjetunion” verfasst. Die Sowjetunion leistete einen großen Beitrag zur Entfaltung der kurdischen Kultur: Der erste Film in der kurdischen Geschichte, der erste kurdische Roman, das erste kurdische Theaterstück, der erste Unterricht auf kurdisch und die am längsten laufende kurdische Zeitung, all das gab es in der Sowjetunion. Dies behandelt der Genosse in seinem Buch und verbindet so die Errungenschaften des ersten sozialistischen Staates mit dem Kampf der kurdischen Arbeiterklasse.lv Kurdewari hat öffentliche Seiten auf Facebook und Twitter, die sich jeder anschauen kann. Dort werden z.B. kurdische Gedichte gepostet oder auch Transparente unserer Genossen, die sich an Demos beteiligen. Ein Beispiel ist das Transparent mit dem kurdischsprachigen Spruch: ,,Imperialismus, wir werden dich besiegen!”lvi

YS unterstellt der TKP Sozialchauvinismus, weil sie die PKK und HDP nicht als ,,legimte Vertreter” der Kurden anerkennt. Sind es denn die ,,legitimen Vertreter”? Ich denke nicht!

Solange die PKK eine proimperialistische Organisation ist und den US-Imperialismus (ob bewusst oder nicht) stärkt, führt sie objektiv betrachtet keinen Befreiungskampf. Die PKK-Bewegung bzw. wie YS es beschönigend formuliert die kurdische ,,Befreiungsbewegung” ist nicht der Repräsentant der Kurden. Die TKP schreibt: ,,Die Antwort der TKP lautet, dass die Ansprechpartnerin weder das Parlament noch Abdullah Öcalan sein können, sondern dass es das werktätige Volk ist. […] Die Mentalität, die das kurdische Volk ignoriert, es dazu zwingt, dass es seine eigene Existenz leugnet, und es unterdrückt, trägt eine große Verantwortung dafür, dass einige Kurden in diesem Land ihre Hoffnung auf die internationalen Großmächte gesetzt haben. Es ist auch eine Schande für uns alle, dass wir nicht in der Lage waren, uns gegen diese Mentalität und diese ungerechte Ordnung als Ganzes stark zu machen.”lvii

Die TKP ignoriert die PKK nicht, sie erwähnt ihren Vorsitzenden, erklärt aber, dass er eben nicht die Lösung ist. Gleichzeitig leistet die TKP Selbstkritik, dass sie nicht in der Lage waren sich gegen die kurdenfeindliche Mentalität und ungerechte Ordnung stark zu machen. Das hängt natürlich damit zusammen, dass sie noch nicht lange in den kurdischen Provinzen der Türkei aktiv ist, dennoch hat sie in dieser Zeit bereits viele kurdische Werktätige organisiert und sich viel für sie eingesetzt.

Und wieso die TKP die HDP nicht als Ansprechpartner der Kurden anerkennt?

Eines der Probleme der HDP ist die Propagierung und Etablierung der These, dass die kurdische Frage die Hauptfrage und das Hauptproblem der Türkei sei. Sie ist eine Hauptthese der HDP und die Politik der HDP wird im Wesentlichen von dieser These geleitet. Diese Herangehensweise rückt die eigentliche Hauptfrage in der Türkei, nämlich die soziale bzw. Klassenfrage, in den Hintergrund und verschleiert den Klassengegensatz zwischen den Werktätigen und Kapitalisten in der Türkei allgemein. Dadurch wird also vom gemeinsamen Klassenkampf der kurdischen und türkischen Arbeiter abgelenkt und stattdessen eine Trennung dieser forciert. Die HDP propagiert damit einheitliche Interessen zwischen kurdischen Kapitalisten und Werktätigen, da es ja laut dieser These als erstes um die kurdische Frage und die Befreiung aller Kurden (kurdischer Kapitalisten und Arbeiter gemeinsam) in der Türkei geht. Das nutzt schließlich den kurdischen Kapitalisten und auch den türkischen Kapitalisten, weil sie die kurdischen Arbeiter vom Klassenkampf abhält und die Spaltung der Arbeiter in der Türkei vertieft.

In der HDP sind kurdische Herrschende, Kapitalisten und Großgrundbesitzer wie z. B. der Großgrundbesitzer Ahmet Türk organisiert. Sie wollen ihre Klasseninteressen über die HDP durchsetzen. In der HDP sind auch Revolutionäre vorhanden, die sich an den Interessen der Arbeiterklasse orientieren möchten. In ihr gibt es also eine Klassendifferenziertheit, was sie u. a. auch deshalb schwer in die bürgerliche Klassendiktatur in der Türkei vollkommen integrieren lässt. Sie ist (noch) ein heterogenes und dynamisches Subjekt, das sich aber in der Vergangenheit in vielen wichtigen politischen Fragen auf der Seite der Bourgeoisie positioniert hat.

Die Kritik der TKP an der HDP ist auch kein Geheimnis. Zum Beispiel in ihrem Bericht zu ihrer außerordentlichen Parteikonferenz im Januar gehen unsere Genossen darauf ein:

,,In mancher Hinsicht ist die Entwicklung der HDP, die als zweite sozialdemokratische Partei der Türkei bezeichnet werden kann, zweifellos das Produkt einer ganz anderen Dynamik.

Seit den 1980er Jahren, als sich das Kurdenproblem zu einer sozialen Dynamik entwickelte, die auf der armen Bauernbewegung in der Türkei basierte, waren alle Widersprüche, die eine nationale Bewegung bergen kann, nacheinander zu spüren, und es gab bedeutende Veränderungen in der Klasse, im ideologischen Charakter und in der politischen Positionierung dieser Bewegung.

Als wichtige politische Kraft kann die HDP nicht unabhängig von diesem Prozess behandelt werden. Es ist nicht möglich, eine Bewertung vorzunehmen, indem man das Gewicht der Probleme, die die Kurden in diesem Land und anderen Ländern der Region erleben, die Legitimität der Forderungen des kurdischen Volkes nach Gleichheit und Freiheit und den klassen-, ideologischen und politischen Charakter der HDP ignoriert.

Die Kommunistische Partei der Türkei hat im vergangenen Jahr ihre Herangehensweise an die Kurdenfrage dargelegt und der Öffentlichkeit erneut mitgeteilt (die Erklärung, dass der Ansprechpartner für das kurdische Problem die Werktätigen sind) und dass ihre bedeutende Unterstützung unter dem kurdischen Volk die HDP nicht zu einem Vertreter der kurdischen Arbeiter macht, weil sie durch das politische Parteiprogramm, ihre Haltung zu wichtigen Fragen, die Politik der Allianzen bewertet werden kann. Unter diesem Gesichtspunkt hat die HDP, die keine homogene Struktur hat und viele verschiedene Elemente einschließlich Revolutionäre hat, drei Hauptthemen: Ihre Herangehensweise an Klassenwidersprüche, ihre Haltung gegenüber imperialistischen Zentren und ihre Position zum Säkularismus ist eher voller Fehler als Unsicherheit.

In der Türkei ist es nicht möglich, eine Orientierung auf der Grundlage des Konsenses von Arbeit und Kapital auf der Linken zu halten. Der Wunsch der HDP, in der türkischen Politik und von Zeit zu Zeit Verhandlungen mit den Herrschenden durchzuführen, passt nicht zur Definition von “links”. Die Herausforderungen, Platz für die HDP oder ähnliche Formationen im System zu schaffen, liegen jedoch auf der Hand, was die HDP zu einem dynamischen und offenen politischen Subjekt für Veränderungen macht. Als politische Partei, deren langjährige Machthaber meist im Gefängnis sitzen und deren Bürgermeister und Abgeordnete aus grundlosen Gründen verhaftet wurden, hat die HDP Schwierigkeiten, ideologische und politische Koordinaten festzulegen.

Ungeachtet dessen hat die Kommunistische Partei der Türkei wiederholt gesagt, dass sie sich von politischen Strukturen distanzieren wird, die die Gründung der Republik Türkei als illegitim betrachten, die arbeitende Bevölkerung durch ethnische Identitäten diskriminieren und zur gegenseitigen Eskalation des Nationalismus führen und nationale Diskriminierung und Repression als Rechtfertigung für die Assoziation mit imperialistischen Kräften und Projekten nehmen. Diese Distanz kann nicht im Namen des “Kampfes für Demokratie” geschlossen werden, denn der Kampf für Demokratie ist ein Kampf, der einen funktionierenden Charakter hat, antiimperialistischen, aufgeklärten Charakter und auf Klassendynamiken und nicht auf Identitäten basieren sollte.

Darüber hinaus ist eine Quelle des ideologischen und politischen Wandels, den die nationale Bewegung, die sich als kurdische arme Bauernbewegung manifestiert, im Laufe der Zeit erlebt hat, die Schwäche der türkischen Arbeiterbewegung. Die Stärkung und Sozialisierung der türkischen Linken innerhalb der Arbeiter aller Nationen mit ihrer eigenen unabhängigen Existenz wird das politische Gleichgewicht der Türkei von oben nach unten verändern und die Vorurteile der kurdischen Frageachse positiv beeinflussen.

In diesem Sinne ist die TKP zu allen Arten von Interaktionen und konstruktiven Haltungen bereit, um eine Einheit und unabhängige Macht der Arbeiterklasse in der Türkei zu werden und Antiimperialismus und Säkularismus durch ein breiteres Segment zu vertreten. Was die TKP nicht akzeptieren wird, ist, sich in ihre inneren Angelegenheiten einzumischen, ihre Grundprinzipien aus dem einen oder anderen Grund außer Kraft zu setzen und Teil einer klassenideologischen Unsicherheit zu sein.”lviii

 

Der Generalsekretär der TKP, Kemal Okuyan, äußert sich in einem Interview ebenfalls sehr deutlich zur HDP: ,,Die HDP geht bei drei grundsätzlichen Fragen einen ganz anderen Weg als wir. Dies ist nicht unser Anspruch. Es ist eine objektive Tatsache. Die Herangehensweise der HDP an Imperialismus, Reaktion und das aktuelle Ausbeutungssystem ist offensichtlich. In diesem Sinne ist die HDP für uns kein Bündniselement.lix

Der Kommunistische Frauenverband der TKP veröffentlichte 2016 einen Text gegen die HDP-Abgeordnete Hüda Kaya, da sie dem Kampf für den Säkularismus im Wege steht.lx Die HDP hat also bei sich Mitglieder, die sogar Abgeordnete werden können und werden und sich nicht für eine säkulare Türkei einsetzen, sondern stattdessen die Verbindung von Staat und Religion noch weiter stärken wollen. Kaya ist nämlich nicht die einzige mit solchen Positionen. Bis Altan Tan 2018 aus der HDP austrat, war er ebenfalls HDP-Abgeordneter, auch er wurde von der TKP kritisiert, da er sich gegen Säkularismus ausgesprochen hat.lxi

Zusammenfassend kann also festgehalten werden, dass die TKP gute Gründe hat, weshalb sie die PKK und (damalige) HDP vor dem Paradigmenwechsel als Ansprechpartner der kurdischen Arbeiter sah, aber seitdem diese proimperialistisch wurden, diese nicht mehr als Ansprechpartner sehen. Dass die Vorvorgängerin der TKP die damalige PKK und die Vorvorvorvorvorgängerpartei der HDP anerkannte und unterstützte zeigt, dass die TKP nicht sozialchauvinistisch ist. Sie erkennt den Wandel der PKK und ihres Klassencharakters sowie ihren engen Bezug zum Imperialismus und hat aufgrund dessen ihre Einschätzung angepasst. Um es nochmal mit den Worten der TKP zu sagen: ,,Es ist an der Zeit, die Interessen der gemeinsamen Klasse zu erklären, zu verarbeiten und aufzubauen, dass die Interessen der kurdischen Arbeiter völlig getrennt von den kurdischen reichen Klassen, den “kurdisch-freundlichen” Imperialisten und den religiösen Reaktionären sind.”lxii

Die HDP und PKK führen die Kurden nicht zum Sozialismus, sie können die kurdische Frage nicht lösen und daher keine ,,Ansprechpartner” sein.

C) Vorwurf Sozialchauvinismus: Ursprung dieses Vorwurfes ist einfach, dass YS seine eigenen Augen verschließt.

YS: ,,Um diesen Sozialchauvinismus zu vertuschen, klammern sie sich an die allgegenwärtige Lüge, „dass einige Kurden in diesem Land ihre Hoffnung auf die internationalen Großmächte gesetzt haben“ und führen so die altbekannte Argumentation fort, die PKK teile in US-amerikanischer Aufsicht das Land.”lxiii

Es ist keine Lüge. Es sind auch nicht bloß ,,einige Kurden”, leider sind es sehr viele Kurden, die mit HDP und PKK symphatisieren, das heißt mit den Vertretern, die Hoffnungen auf internationale Großmächte setzen. Bereits in meinem letzten Diskussionsbeitrag habe ich bewiesen, dass die PKK diese Hoffnungen hat. YS schafft es in seinen Antworten nicht, mich zu widerlegen, sie stempeln es bloß als ,,Lüge” ab. Das ist nun wirklich ein sehr schwaches Fundament für ihren Sozialchauvinismus-Vorwurf.

D) Vorwurf Sozialchauvinismus: Ursprung dieses Vorwurfes ist es, dass YS bewusst Begriffe verdreht.

YS: ,,Die Erklärung ist ein ausgezeichnetes Beispiel für den im ersten Teil ausführlich diskutierten Monismus in der Bewertung. Indem die TKP erklärt, dass „weder der kurdische oder der türkische Nationalismus […] dem anderen vorgezogen werden“ kann, setzt er die beiden Nationalismen gleich. […] Ohne auf die grundlegenden theoretischen Details einzugehen, die wir im ersten Teil ausführlich ausgeführt hatten, ist die Gleichsetzung des Nationalismus der Kurd:innen (im Folgenden werden wir das Patriotismus einer unterdrückten Nation nennen) und den Kampf für politischen Status und Selbstbestimmung mit dem chauvinistischen Nationalismus der unterdrückenden Nation von Erdogan-Bahceli-Perincek-IYIP-CHP die gröbste und offenste Form des Sozialchauvinismus.”lxiv

Hier hat YS es geschafft, den Nationalismus der Kurden mit Patriotismus gleichzusetzen. Eines haben sie dabei jedoch offen gelassen: Sie erklären nicht, ob sie die beiden Begriffe (Nationalismus und Patriotismus) nicht verstehen oder ob sie die TKP bewusst missinterpretieren. So wie ich den Text von YS verstehe, kommt der Begriff Patriotismus im Programm der MLKP vor, daher gehe ich mal davon aus, dass YS diesen Begriff kennt und die TKP bewusst missinterpretiert.

Gerade in der Türkei sind Patriotismus und Nationalismus in einem antagonistischen Gegensatz zueinander. Wenn man in der Türkei patriotisch sein will, muss man konsequent antinationalistisch und konsequent internationalistisch sein. Denn die einzelnen Nationalismen spalten die Arbeiterklasse des Vaterlandes sowie das Vaterland an sich. Kommunisten sind Patrioten für die Befreiung des Vaterlandes von Imperialismus, Kapitalismus, Nationalismus und der Reaktion, sie kämpfen also für ein sozialistisches Vaterland.

Der kurdische Nationalismus entsteht aus den nationalen Klasseninteressen der Bourgeoisie, ihrem Streben nach einem nationalen Markt, einem eigenen Nationalstaat, der Unterdrückung der eigenen sowie anderer Nationen beinhaltet. Er ist ein Produkt der Bourgeoisie und des Imperialismus. Der kurdische Nationalismus entsteht nicht bei kurdischen Werktätigen von alleine und ist keine natürliche oder legitime Ideologie, die aufgrund der Unterdrückung der Kurden entsteht. Forderungen von Kurden bspw. nach dem Recht auf Bildung in der Muttersprache werden von der TKP aufgestellt. Das ist selbstverständlich keine kurdisch-nationalistische Forderung, sondern eine, die sich gegen den Nationalismus der türkischen Bourgeoisie richtet.

Und hier noch in den Worten der TKP zum Unterschied zwischen Patriotismus und Nationalismus: ,,Patriotismus heißt, die eigene Heimat vor dem Imperialismus zu schützen und gleichzeitig die Kapitalisten des eigenen Landes zu bekämpfen. Patriotismus oder Heimatliebe ist die eigene Heimat im Lichte der Interessen der Arbeiterklasse zu schützen. Heimatliebe heißt zu betonen, dass die Arbeiterklasse und die Bourgeoisie niemals gleiche Interessen haben werden und können.

Nationalismus jedoch, postuliert die Gleichheit aller Menschen (vor dem Gesetz), betont gleichzeitig, dass keine Klassenunterschiede sehen darf und spaltet die Arbeiter entsprechend ihrer Nationalitäten. In Wahrheit jedoch, ist der Nationalismus ein Instrument, um den Menschen entsprechend der Interessen der Bourgeoisie eine Richtung zu geben. Rückblickend war Nationalismus in der Geschichte ein Instrument zu Verwirklichung der Interessen der Bourgeoisie, indem Völker zu imperialistischen Kriegen gegeneinander überredet und gegeneinander ausgespielt wurden.”lxv

Die TKP sieht in der Arbeiterklasse in der Türkei eine gemeinsame Identität und um den gemeinsamen Kampf dieser zu stärken, muss gegen jede Form von Nationalismus gekämpft werden: ,,Wir sagen seit langem, dass eine Arbeiterklasse, die ihr Land nicht gegen den Imperialismus verteidigen kann, keinen Anspruch auf Machtkampf hat. Das ist richtig, es trifft sowohl türkische als auch kurdische Arbeiter zusammen. Die Lösung besteht darin, die kurdische nationale Dynamik in Klassen einzuteilen. Vielmehr geht es darum, auf die von der Bourgeoisie in dieser Richtung durchgeführte Operation zu reagieren. Die Klassenidentität, die türkische und kurdische Arbeiter gemeinsam entwickeln werden, erfordert keine nationale Diskriminierung. Und eine der Leitbedingungen dieser gemeinsamen Identität ist das bewusste Ausschließen von Nationalismen.”lxvi

,,Der Nationalismus ist eine Katastrophe in dem Sinne, dass er einen Arbeiter dazu anstiftet, seinen Ausbeuter einem Armen einer anderen Nation vorzuziehen; oder die Ausbeuter seines eigenen Landes zu bevorzugen, während er die Ausbeuter anderer Nationen hasst.

[…]

Es gibt einen großen Unterschied zwischen Nationalismus und Patriotismus; während Nationalismus auf die Freisprechung einheimischer Ausbeuter hinausläuft, impliziert Patriotismus den Willen, das Land von einheimischen und ausländischen Ausbeutern zu reinigen.

Und das ist es, was die Menschheit braucht.

[…]

Eine Unabhängigkeitsbewegung, die sich auf die ausbeutenden Klassen im 21. Jahrhundert stützt, kann der Menschheit keineswegs dienen. Das Prinzip der Selbstbestimmung hat unter diesen Umständen keine Gültigkeit. Das einzige Prinzip der heutigen Revolutionäre ist es, gegen die Ausbeuter zu kämpfen.”lxvii

Während YS in Bezug auf die Kurden Nationalismus und Patriotismus gleichsetzt, kommen sie zu dem Schluss, dass dieser unbedingt fortschrittlich sein solle. Kommunisten müssen jedoch zwischen Nationalismus und Patriotismus differenzieren und gegen den Nationalismus aller in der Türkei lebenden Völker ankämpfen, um eine Einheit dieser im Kampf für den Sozialismus herstellen zu können. Ähnlich war es in der Sowjetunion, Stalin sagte dazu: ,,Deshalb ist es notwendig, diese zweifache Aufgabe der russischen Kommunisten (ich meine den Kampf gegen den großrussischen Chauvinismus) und der nicht-russischen Kommunisten (ich meine ihren Kampf gegen den antiarmenischen, antitatarischen, antirussischen Chauvinismus) in den Thesen festzulegen. Andernfalls würden die Thesen einseitig werden, andernfalls würde man weder im Staats- noch im Parteiaufbau zum Internationalismus gelangen. Führen wir den Kampf nur gegen den großrussischen Chauvinismus, so wird dieser Kampf den Kampf der tatarischen und anderen Chauvinisten verdecken, der sich im Lande ausbreitet und der besonders jetzt, unter den Verhältnissen der NGP, gefährlich ist. Wir müssen unbedingt den Kampf an zwei Fronten führen, denn nur wenn wir den Kampf an zwei Fronten führen – auf der einen Seite gegen den großrussischen Chauvinismus, der die Hauptgefahr in unserer Aufbauarbeit bildet, und auf der anderen gegen den lokalen Chauvinismus – kann Erfolg erzielt werden; denn ohne diesen zweifachen Kampf wird der Zusammenschluss der russischen Arbeiter und Bauern mit den Arbeitern und Bauern anderer Nationalitäten nicht gelingen. Im entgegengesetzten Fall kann es zu einer Anspornung des lokalen Chauvinismus, zu einer Politik von Prämien für den lokalen Chauvinismus kommen, was wir nicht zulassen dürfen.”lxviii

Es müssen also beide Formen von Nationalismus und Chauvinismus bekämpft werden. Auch wenn eine der beiden gefährlicher ist, heißt das nicht, den ungefährlicheren zu stärken. Der gemeinsame Kampf, die Einheit der Arbeiterklasse, ist eine Voraussetzung für die sozialistische Revolution.

 

E) Vorwurf Ökonomismus: Ursprung dieses Vorwurfes ist es, dass YS sich nicht über die Standpunkte der TKP informiert hat.

YS: ,,Die TKP ignoriert jegliches kollektive Recht der Kurd:innen, begrenzt das kurdische Problem auf einige kulturelle Rechte (wie die Freiheit der Sprache), kann dieses Recht aber noch nicht einmal als kollektives Recht formulieren (wie Bildung in kurdischer Muttersprache etc.), definiert und löst das Problem nicht, sondern schlägt vor, von demokratischen und kollektiven Rechte als unterdrückte Nation abzusehen, der gemeinsamen Zukunft in der „sozialistischen Türkei“ willen – denn da wird es auch keine kurdische Frage geben. Indem Fragen der Demokratie auf diese Weise auf den Sozialismus verlagert werden, verlieren demokratische Bewegungen und Forderungen ihre eigene Kampfbasis. Das ist der imperialistische Ökonomismus, den Lenin schon ausführlich diskutiert und offengelegt hatte.”lxix

Entweder weiß es YS nicht oder sie unterstellen der TKP Standpunkte, die von ihnen nicht vertreten werden. Die TKP formuliert die Bildung in kurdischer Muttersprache als kollektives Recht und fordert es: Aus der TKP-Kampagne von 2021 zur Verstaatlichung der Bildungsdienstleistungen eine Forderung: ,,Wissenschaftliche, säkulare und muttersprachliche 12 Jahre Grundbildung sind obligatorisch und kostenlos, damit alle Kinder unter 18 Jahren staatlich garantierte Bildung erhalten”lxx. In der Broschüre ,,Die TKP in 100 Fragen”lxxi wird unter Punkt 32 auf der Seite 42 die Frage ,,Was denkt die TKP über die Bildung auf Muttersprache?” behandelt.

Das war also schon der Ökonomismusvorwurf von YS? Sie unterstellen unseren Genossen, dass sie nicht für eine Verbesserung der Lage der Kurden kämpfen würden, obwohl gerade die Bildung in der Muttersprache ein sehr wichtiges Beispiel dafür ist und diese Forderung wird keineswegs auf die Zeit nach der Revolution verschoben.

Mit der Beseitigung des Kapitalismus wird der Nationalismus nicht automatisch verschwinden. Im Sozialismus-Programm der TKP geht sie auf ihre Vorstellungen vom Sozialismus ein und thematisiert darin unter Anderem den Kampf gegen den Nationalismus in der Zeit nach der Revolution, da dieser auch dann weiterhin eine wichtige Rolle für das Wohl der Gesellschaft einnimmt: ,,Die türkischen und kurdischen Menschen sind gleichgestellt. Dies ist ein Gründungselement einer sozialistischen Türkei. Es werden Maßnahmen ergriffen, um Segregations- und nationalistische Bestrebungen, die charakteristisch sind für die kapitalistische Türkei, zu liquidieren.”lxxii

F) Vorwurf Reformismus: Ursprung dieses Vorwurfes ist die linksradikalistische Denkweise von YS.

YS: ,,Während die TKP relative Freiheit der Organisierung und Versammlung genießt, TKP-Mitgliedschaft gesetzlich geschützt wird, ist die MLKP eine funktional zwei-geteilte Partei mit illegal organisiertem Skelett bestehend aus Berufsrevolutionär:innen, deren Führer:innen und Aktivist:innen getötet, verhaftet und vertrieben werden, die Mitgliedschaft mit mindestens 7,5 und bis zu 15 Jahren Haft bestraft wird.”lxxiii

Dass die Führer der MLKP vom Staat langjährige Haftstrafen bekommen, gefoltert und ermordet werden hängt damit zusammen, dass die MLKP eine bewaffnete Organisation ist und einen bewaffneten Kampf führt. Uns darf es aber nicht darum gehen, eine bewaffnet kämpfende Organisation zwangsläufig einer unbewaffneten vorzuziehen. Denn gerade bei der MLKP sehen wir ja, dass ihnen dieser Kampf wichtiger ist als das Vertreten einer marxistisch-leninistischen (ML) Analyse. Der Kampf für den Sozialismus, die Bewaffnung der Arbeiterbewegung usw. müssen auf der Grundlage einer ML Analyse erfolgen. Wer aber einfach den ML über Bord wirft und sich dort unterordnet, wo bewaffnet gekämpft wird, der ist von einer ,,Kinderkrankheit” befallen, nämlich vom linken Radikalismus.

Die TKP ist natürlich auch von Repression betroffen, sie war verboten und hat 2001 ihre Legalität erkämpft. Welche Mitglieder welche konkreten Repressionen erfahren, muss an dieser Stelle nicht ausgeführt werden, da es bei dieser Frage nicht um die Repression geht, sondern um ML oder Linksradikalismus. YS stellt die Thematik der Repression also falsch dar.

Gemäß der Darstellung von YS gäbe es gegen PKK/MLKP usw. so viel Repression wie möglich und gegen die TKP gar keine. Wie ich oben gezeigt habe, erhalten verschiedene Funktionäre der PYD ihre Visa um in EU-Ländern Staatsvertreter zu treffen und Vereinbarungen abzuschließen. Unsere Genossen wollten Anfang Juni eine Theatertour in Deutschland machen und haben keine Visa erhaltenlxxiv. Es ist zwar richtig, dass die PKK/MLKP usw. deutlich mehr und in anderem Ausmaße von Repression betroffen ist als die TKP, das macht aber die MLKP nicht zu ,,besseren” Kommunisten, es macht die PKK nicht zu Antiimperialisten und es verhindert nicht, dass die TKP ebenfalls Repression erfährt.

G) Vorwurf des Reformismus: Ursprung dieses Vorwurfes ist es anscheinend, dass YS die mögliche Unwissenheit seiner Leser ausnutzen will.

YS: ,,Während die TKP den Kampf für den Sozialismus abhängig macht von Ungewissheiten und nicht konkretisieren kann, wie sie die Diktatur des Proletariats in der Türkei errichten wird (unbewaffnet, mit einem Volksaufstand, im Parlament oder wie?), stellt die MLKP die Gewinnung der politischen Freiheiten durch eine „antiimperialistische, antikoloniale, geschlechterbefreiende demokratische Revolution“ als Voraussetzung für den Kampf für den sozialistischen Aufbau in einem Staat, der aktuell faschistisch ist und entwickelt die revolutionäre Strategie und Taktik dementsprechend, versucht alle Mittel für den Sieg der Revolution (friedlich, basierend auf praktisch-legitimen Kampfmitteln und bewaffnet, Guerilla in der Stadt und in den Bergen, die demokratischen Kräfte im Parlament, durch Bündnisse mit anderen revolutionären antifaschistischen Kräften etc.) zu mobilisieren.”lxxv

Auch hier ist es ganz einfach: ,,Die Antwort der TKP lautet, dass die Ansprechpartnerin weder das Parlament noch Abdullah Öcalan sein können, sondern dass es das werktätige Volk ist.”lxxvi Den Text der TKP kennt YS, da steht, dass das Parlament nicht der Ansprechpartner ist. Also wird die Diktatur des Proletariats auch nicht über das Parlament erkämpft, das weiß man dann eigentlich als aufmerksamer Leser. Die TKP kämpft für eine sozialistische Revolution in der Türkei, natürlich nicht mit der Vorstellung, dass diese unbewaffnet ablaufen wird.

Die MLKP ist eine hoxhaistische Partei und sieht den Kampf für den Sozialismus aktuell nicht als ihre Aufgabe, sondern stattdessen geht es ihr darum, vorher eine ,,(neu)demokratische Revolution” zu erkämpfen (zumindest in ,,nicht-imperialistischen” Ländern, wozu anscheinend die Türkei gehört). Diese ,,Revolution” nennen sie zwar ,,antiimperialistisch”, sie richtet sich aber nicht gegen den US-Imperialismus (zumindest nicht konsequent, aufgrund von ihrer Unterordnung unter die PKK). Und im Zuge der ,,demokratischen Revolution” sollen die Eigentumsverhältnisse anscheinend nicht angetastet werden, die Ausbeutung der Arbeiterklasse solle bestehen bleiben, es geht ihr mit dieser ,,Revolution” nämlich wie sie schreiben um die ,,Eroberung der politischen Freiheit”. Dieses Konzept der Etappentheorie, welches von Hoxhaisten und Maoisten vertreten wird, zeigt eines der Probleme ihrer Strömunglxxvii.

Marxisten-Leninisten hingegen setzen den Kampf für den Sozialismus direkt auf die Tagesordnung. Die TKP lehnt jede Form von Etappentheorien ab, die sozialistische Revolution ist ihr strategisches Ziel. Sie ist in Teilen der Gewerkschaften verankert und hat mit der KKE (kommunistische Partei Griechenland) gemeinsam eine wichtige Rolle in der kommunistischen Weltbewegung.

 

H) Vorwurf den Imperialismus nicht verstehen zu können:

YS: ,,Ohne weiter zu vertiefen, möchten wir an dieser Stelle auch unterstreichen, dass das „Imperialismus-Verständnis“ der TKP veraltet ist. Es reicht ein Blick in die industrielle Produktion. Dort wird man sehen können, dass die finanz-ökonomische Abhängigkeit im Rahmen der imperialistischen Globalisierung die Industrie erst entwickelt und die Türkei in ein gemäßigt entwickeltes kapitalistisches Land gemacht hat. Es geht uns nicht um eine Verschönigung des Imperialismus, sondern um das Verständnis der materiell-gesellschaftlichen Realität. Mit der Verlagerung der industriellen Produktion aus den imperialistischen Ländern in die Neokolonien haben sich die alten Industrieländer (imperialistischen Länder) in finanz–kapitalistische Zentren, die Neokolonien in industrielle Produktionszentren verwandelt.”lxxviii

YS wirft erst unseren Genossen aus der Türkei vor, ein veraltetes Imperialismusverständnis zu haben und sagt dann, es reiche ein Blick auf die industrielle Produktion. Hier geht es aber vor allem darum, welche Staaten am mächtigsten sind, was ihre Interessen und Strategien sind, inwiefern diese Staaten ML-Taktiken missbrauchen, politische Bewegungen als Spielball nutzen, überall ihre Militärbasen aufbauen, Angriffskriege führen, Millionen Tote verursachen, Rohstoffe erbeuten, Regime Changes durchführen, Länder verwüsten und Marionettenregime aufbauen. Darüber müssen wir reden!

Bekanntlich diskutieren wir gerade in der KO über den Imperialismuslxxix. Wir sind uns sehr uneinig. Die Klärung wollen wir kollektiv angehen, unsere Diskussionstribüne ist der erste Versuch, die verschiedenen Argumentationen gegenüberzustellen, um einen Überblick über den Dissens zu gewinnen. Außenstehende sind eingeladen, die Beiträge zu lesen, mit uns zu diskutieren und sich zu positionieren.

YS stellt sich so dar als hätten sie die Wahrheit, die richtige Haltung zum Imperialismus, bereits verinnerlicht. Das halte ich vor allem aufgrund ihrer Haltung zu den m.E. proimperialistischen Organisationen für äußerst fragwürdig. YS bezieht sich auf die TKŞ, diese Organisation ist wohl ihre Perspektive für die Menschen in Syrien, Iran, Irak und die Türkei. Die TKŞ (Tevgera Komûnîst a Şoreşger – Kommunistische Revolutionäre Bewegung) bezeichnet sich als kommunistische Komponente der ,,Rojava-Revolution”.

Was findet sich im Programmlxxx der TKŞ? Die demokratische Organisierung in Räten nimmt darin viel Raum. Das klingt zwar schön und stößt sicherlich auf viel Zustimmung, aber auch auf offene Fragen. In meinem letzten Diskussionsbeitrag habe ich nämlich gefragt, wer diesen Ölvertrag zwischen Rojava/Nordostsyrien und den USA beschlossen hat, ob es die Räte oder eine Parteispitze war, darauf geben YS und die TKŞ keine Antwort. So bleiben weite Teile des TKŞ-Programms für mich sehr fragwürdig.

Zudem ist in ihrem Programm keine Rede von den USA! Warum? Wie ist das mit dem Bündnis zu den USA, wie wird es eingeschätzt, wann und wie soll es beendet werden? All das lässt die TKŞ offen, sie ignoriert es und lenkt bewusst ab mit schönen Gerede. Weiß die TKŞ nicht, dass PYD und PKK einen proimperialistischen Charakter haben? Sah man – wie ich in meinen letzten Diskussionsbeitrag dargelegt habe – die Ansätze dazu nicht bereits in den 1990er Jahren? Spielen die USA keine relevante Rolle in ganz Westasien und speziell in Syrien, sodass man die Rolle der USA einfach ignorieren kann? Im Programm wird Syrien als Kolonialmacht und Hauptkraft der Konterrevolution beschrieben, während die USA nicht erwähnt wird, was das bedeutet ist für mich klar: Es ist nichts anderes als die Legitimierung des Bündnisses mit den USA gegen den syrischen ,,Kolonialismus”. YS, MLKP und TKŞ wollen es wohl nicht offen zugeben und ziehen sich einen radikal-demokratischen Mantel über, um Zustimmung für ihre Politik zu finden.

Weil ich die Nutzung des Kolonialismus-Begriffes von YS für falsch halte, habe ich in meinem vorherigen Diskussionsbeitrag YS nach einer genaueren Erklärung dazu gefragt. In den Erläuterungen von YS sehe ich keinen Beweis dafür, dass der Iran, der Irak, Syrien und die Türkei kolonialistisch sind/waren. Selbst wenn es sich um Kolonialismus handeln sollte, kann der Kampf dagegen nicht losgelöst von einer Analyse des Imperialismus unterstützt werden. Die USA sind der mächtigste Imperialist und Syrien ist ein kleiner Staat, man kann ihn nicht mal als Regionalmacht bezeichnen. Der Kampf gegen den syrischen ,,Kolonialismus” kann doch keine politisch-ideologisch Anbiederung an die USA, ein enges militärisches und wirtschaftliches Bündnis (und daher eine Unterordnung) von PKK/PYD mit den USA rechtfertigen. Und was sagen die Kommunisten (z.B. YS, MLKP und TKŞ) dann dazu: Sie schweigen über den Imperialismus und denken sich: ,,Hauptsache es geht gegen Kolonialismus”. Ich verstehe nicht, wie sie unseren Genossen ein veraltetes Imperialismusverständnis vorwerfen können, während sie ihre Vorstellungen vom Kolonialismus nicht in einen Zusammenhang mit dem Imperialismus und den aktuellen, konkreten Bedingungen setzen.

YS schreibt ,,Die Türkei ist kein imperialistischer Staat, sondern selbst abhängig vom Imperialismus.”lxxxi

Das zeigt m.E. ein falsches Imperialismusverständnis. Die fünf Imperialismus-Merkmale von Lenin beziehen sich nicht auf einzelne Länder, sondern auf die Epoche und das Weltsystem, in dem wir leben. Dass Staaten von anderen abhängig sind, macht sie nicht zu nicht-imperialistischen Staaten. Mehr dazu kann in verschiedenen Diskussionsbeiträgen auf der Imperialismus-Diskussionstribüne der KO nachgelesen werdenlxxxii.

Wie ich nun in meinen beiden Texten versucht habe zu zeigen, hat YS ein falsches Verständnis vom Imperialismus und gleichzeitig die falschen Schlussfolgerungen. In beiden Aspekten, der Theorie und der Praxis, ist die Orientierung der TKP die richtige. Während die Genossen von YS in Syrien die USA dazu einladen, weitere Militärbasen zu errichten, gehen unsere Genossen in der Türkei vor den Militärbasen der USA auf die Straße, um deren Schließung zu fordernlxxxiii.


xxxvii Mit Neuaufteilung ist gemeint, dass im Imperialismus Staaten danach streben ihre Einflüsse auszudehnen, andere auszubeuten und versuchen diese zu kontrollieren. Die beiden imperialistischen Blöcke konkurrieren miteinander um die Vergrößerung ihres Einflussgebietes, sie stehen in einem Kampf um die Neuaufteilung der Welt unter ihnen. Es gibt jedoch nicht nur ausbeutende Staaten und ausgebeutete, sondern auch zahlreiche Zwischenstufen, d.h. schwächere Staaten, die aber selbst andere Staaten ausbeuten.

lxxxii Ich empfehle insbesondere diesen Diskussionsbeitrag zur Imperialismusanalyse: Zur Verteidigung der Programmatischen Thesen der KO! | Kommunistische Organisation

Aktuelles

Gegen den Frieden der Unterdrücker!

Eine Friedens- bzw. Anti-Kriegs-Bewegung, welche die aggressive Rolle der NATO, oder der Besatzungsmacht Israel nicht erkennt und das Narrativ der Kriegstreiber bedient, wird damit in letzter Konsequenz eine Pro-Kriegs-Bewegung. Sie verurteilt die Gewalt der Unterdrückten so wie es die Unterdrücker tun.

Bericht zum 5. Mitgliederkongress der Kommunistischen Organisation

Der 5. Mitgliederkongress der KO hat stattgefunden. Erfahrungen aus unserer Spaltung und der akti-ven Beteiligung in Kämpfen gegen den Krieg der NATO und den Völkermord in Palästina geben nachdrücklich Aufgaben für uns selbst und die Bewegung auf. Sie erfordern praktische Konsequen-zen. Ein zentraler Beschluss: Die Organisierung eines umfassenden und öffentlichen Studienganges zur Geschichte des Kommunismus.