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Homeoffice – ein weiterer Angriff auf gewerkschaftliche Organisierung

„Den Laptop abends mit nach Hause nehmen, die Homeoffice-Phase kann jederzeit  beginnen“: Solche und ähnliche Emails haben im März wohl hunderttausende Beschäftigte in Deutschland erhalten. Auf dem Höhepunkt der Corona-Pandemie hat ein Drittel aller Beschäftigten ins Homeoffice gewechselti, vor allem besserverdienende Büroangestellte.

Hatten die Unternehmensführungen bisher nach eigener Aussage Sorge, ihre Untergebenen würden im Homeoffice weniger arbeiten als vertraglich vereinbart, sind sie durch diese erzwungene Homeoffice-Phase auf den Geschmack gekommen. Nachdem sich gezeigt hat, dass weiter Anlagen geplant, Komponenten designt und Texte gelayoutet wurden, wollen laut Umfragen die meisten Unternehmen das Homeoffice auch nach der Corona-Krise beibehaltenii.

Auch Dreiviertel der Beschäftigten im Homeoffice wollen weiter von zu Hause aus arbeiteniii. Der DGB nennt das Homeoffice „ein Modell der Zukunft“ und Bundesarbeitsminister Hubertus Heil hat das Thema sogar zur Chefsache erklärt. Ist die Zeit der Arbeitskämpfe etwa vorbei? Ist auf einmal der Widerspruch zwischen maximalem Profit der Unternehmenseigentümer, also der Kapitalistenklasse, und dem Streben der Beschäftigten nach einem möglichst hohen Lohn aufgehoben? Es sollte stutzig machen, wenn scheinbar plötzlich die Interessen der Belegschaften und der Profiteure ihrer Arbeit übereinstimmen.

Welche Rolle spielt Homeoffice in Deutschland?

Das Phänomen Homeoffice ist Teil der „Flexibilisierung der Arbeit“, wie sie seit Jahrzehnte vorangetrieben wird. Breit umgesetzt wurde das Konzept zum ersten Mal in den USA im Zuge der Ölkrise in den 1970er-Jahren, auch um eine energiesparendere Stadt- und Verkehrsplanung zu entwickeln. Später wurde die Heimarbeit um den Gedanken des „remote office work” erweitert: Wenn die entsprechende Telekommunikations-Infrastruktur vorhanden ist, kann praktisch jeder Ort als Arbeitsplatz dienen. Egal ob im Zug oder im Auto, im Café oder in der Ferienwohnung – jeder Ort mit Internetverbindung wurde potenziell zum Arbeitsplatziv.

Trotz mehrerer Versuche von Politikern und einzelnen Unternehmen in den 1980er- und 1990er-Jahren, Homeoffice in Deutschland breiter einzuführen, blieb bis zur Corona-Pandemie der Anteil der Beschäftigten im Homeoffice bei nur 4 Prozent. Damit liegt der Anteil deutlich unter dem EU-Durchschnitt von 17 Prozent, obwohl eigentlich 40 Prozent der Beschäftigten im Homeoffice arbeiten könntenv.  Dieser Anteil von 40 Prozent entspricht den Arbeitsplätzen, für die man keine direkte Kommunikation oder Handlungen vor Ort braucht, die auf digitalem Weg erledigt oder übermittelt werden können. Überwiegend handelt es sich um Büro-Tätigkeiten, schließlich können etwa Pflege, Kinderbetreuung, Montagen oder das Handwerk nur schwer ins Homeoffice ausgelagert werden.

Durch Homeoffice ist die Arbeit vor allem räumlich flexibilisiert, was aber auch oft zeitliche Flexibilisierung und Entgrenzung mit sich bringt: Arbeit und Privates findet an einem Ort statt, und nach Feierabend nochmal kurz Mails zu checken geht eher im Homeoffice. Deshalb ist es umso wichtiger zu klären, welche Rechte und Ansprüche mit dieser Arbeitsform verknüpft sind. Dafür sind scharfe Begriffe wichtig, weil mit unterschiedlichen Begriffen auch unterschiedliche Arbeitsrechte verbunden sind. „Mobiles Arbeiten“, „(Alternierende) Telearbeit“, „Teleheimarbeit“ – um eine gültige Definition von Homeoffice streiten sich Gewerkschaften, Versicherungen, Anwaltskanzleien, Arbeitsrechtler und der Staat, wenn sie die Regeln verhandeln.

Seit 2016 ist für „Homeoffice“ an einem festen Arbeitsplatz in der Arbeitsstättenverordnung der Begriff „Teleheimarbeit“ verankert, die Arbeit wird also aus der Ferne („Tele“), aber von zu Hause aus erledigt. Wird die Arbeit teilweise im Betrieb verrichtet, dann wird das „alternierende Telearbeit“ genannt. Im „mobilen Arbeiten“ sind Handwerker, Vertriebler, Monteure oder Ingenieure auf Dienstreise eingeordnet – jeder Fünfte arbeitet inzwischen sovi.

Knifflig wird es mit der Zuordnung von gelegentlichem Homeoffice. Ist das Teleheimarbeit oder mobiles Arbeiten? Die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV)vii und die Gewerkschaft Verdiviii sehen offenbar kurzfristiges Homeoffice als mobiles Arbeiten. Würde Homeoffice dagegen als Telearbeit oder Teleheimarbeit eingeordnet, müsste das Unternehmen gemäß der Arbeitsstättenverordnung §2 das Büro zu Hause einrichten und auf Gefährdung für die Gesundheit prüfen. Weil aber Homeoffice von Unternehmen als Kostenersparnis gesehen wird, wehren sich die Kapitalisten natürlich gegen diese Sichtweise und versuchen teilweise, Homeoffice als mobiles Arbeiten einzuordnen. Dafür kann argumentiert werden, wenn es im jeweiligen Betrieb noch keine Vereinbarung für die Arbeit an einem festen, ergonomisch passend eingerichteten Arbeitsplatz gibt und der Beschäftigte stattdessen auch zum Beispiel am Küchentisch oder von unterwegs arbeiten könnte.

So ist momentan also für die Beschäftigten im Homeoffice oft nicht klar, ob sie für eine Kostenerstattung von Büromöbeln eine Rechtsgrundlage haben oder in welchen Fällen sie versichert sind, welches Arbeitsrecht also für sie gilt.

Wir müssen die Diskussion ums Homeoffice führen

Einer Untersuchung der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung zufolge gibt es einige Ziele, die vielen Telearbeits-Vereinbarungen gemeinsam sind: Kosteneinsparung, höhere Arbeitsqualität, Integration hochqualifizierter Beschäftigter, höhere Motivation, mehr Selbstverantwortung, Umweltentlastung und bessere Vereinbarkeit von Familie und Berufix. Das klingt auf den ersten Blick nach Vorteile für die Beschäftigten. Und in den Gewerkschaften und in vielen Betrieben wird Homeoffice auch eher unkritisch diskutiert, die Gefahren werden meist ausgeblendet. Ist Homeoffice aber wirklich die Antwort auf wachsenden Stress und Zeitdruck? Ist es tatsächlich die Lösung für Probleme wie Umweltverschmutzung, Arbeitslosigkeit, Verkehrschaos und die Auflösung der Familie in der Arbeitswelt?

Im Umgang mit dieser Frage gilt es, den Kollegen und Kolleginnen mit ihrem Wunsch nach Homeoffice erstmal zuzuhören. Denn dahinter stecken reale Probleme, die belastend sind. Häufig nennen Beschäftigte den langen Fahrtweg als wichtigsten Grund – gerade in Städten mit teuren Zentren ziehen viele aufs Land. Ursache sind hier also eigentlich die hohen Mieten, die im Kapitalismus in die Tasche privater Vermieter oder Immobiliengesellschaften wandern. Oft fehlt auch eine Betriebskantine oder das Essen dort ist schlecht. In diesem Fall könnte für eine preiswerte, gute Kantine gekämpft werden – und dabei vielleicht auch Kollegen mobilisiert werden, die bisher noch nicht an Gewerkschaftskämpfen teilgenommen haben.

Ein sehr häufiges Problem ist das Großraumbüro: Viele Menschen sitzen auf engem Raum zusammen, sodass oft mehrere gleichzeitig telefonieren oder sich unterhalten. Zum akustischen Stress kommen die trockene, wenig klimatisierte Luft und fehlende Rückzugsräume hinzu. Da diese Beschwerden einzeln betrachtet nicht dramatisch wirken, neigen Manager laut der Studie eines Marktforschungsunternehmens dazu, diese Probleme abzuwertenx.  Dabei kann das Großraumbüro spürbare Folgen für die Gesundheit haben, wie Wissenschaftler herausfanden: Studienteilnehmer, die im Großraumbüro arbeiteten, waren doppelt so häufig krank wie die übrigenxi.  Doch der Kampf gegen das Großraumbüro ist aus einem ähnlichen Grund schwierig wie derjenige gegen das Homeoffice: Durch die Umwandlung von kleineren Büros in Großraumbüros sparen die Unternehmen Fläche und damit Mietkosten. Dieser Faktor ist nicht zu unterschätzen. In einigen Großstädten wie Frankfurt oder Köln drängen die Unternehmen schon in die Randbezirke, um den hohen Mieten auszuweichenxii.

Gerade während der Corona-Pandemie spielte außerdem für viele Beschäftigte im Homeoffice die fehlende Kinderbetreuung eine Rolle. Diese vermeintliche Lösung verpasst allerdings wieder die Chance, sich gemeinsam mit anderen zu gesellschaftlichen Konflikten zu organisieren: Statt auf Kämpfe für bessere Kinderbetreuung zu setzen, lassen wir mit der Einführung des Home Office als Lösung zu, dass das Problem auf die individuelle Ebene der einzelnen Kollegen verlagert wird. Die Konsequenz daraus ist, dass Eltern tagsüber durch ihre Kinder nicht so viel arbeiten können wie vorher und somit häufiger am Wochenende oder nach dem Schlafengehen ihrer Kinder noch mal an den Schreibtisch müssenxiii. Eine aktuelle Umfrage des SORA-Instituts ergab sogar, dass jedes zehnte Elternteil im Home Office Nachts arbeitet, um die Kinderbetreuung zu gewährleistenxiv. Statt so zur Entspannung des Alltags beizutragen, verschlimmert dieser Weg die Belastung. .

Das zeigt, dass viele Argumente, die für Homeoffice angeführt werden, eigentlich auf Missstände in der Gesellschaft hinweisen. Die breite Einführung von Homeoffice würde vielleicht vereinzelt eine oberflächliche Verbesserung bedeuten, aber die tieferliegenden Probleme blieben bestehen. Statt diese Fragen individuell zu lösen, sollten wir diese Probleme durch eine kämpferische Gewerkschaftsarbeit gemeinsam bekämpfen. Diese Zusammenhänge sollten im Gespräch mit Kollegen und Kolleginnen im Betrieb aufgedeckt werden. So schaffen wir Problembewusstsein und können Ansätze finden, um direkt die Wurzel des Problems anzugreifen: den Kapitalismus.

Vereinzelung und Spaltung

Dagegen würde das Extremszenario – Vollzeit Homeoffice – bedeuten, die Spaltung und Vereinzelung der Belegschaften weiter voranzutreiben. Die Arbeiterklasse ist schon heute massiv gespalten in Leiharbeiter, Facharbeiter, befristet Angestellte und weitere Formen von Beschäftigungsverhältnissen. Gemeinsam, über diese Spaltungen hinweg, für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen zu kämpfen, ist selten geworden. So wurden bis vor einigen Jahren in manchen Tarifkämpfen Leiharbeiter als Streikbrecher eingesetzt gegen die streikenden Festangestellten. Ein anderes Beispiel für Spaltung ist die Tatsache, dass besser bezahlte Kopfarbeiter manchmal Festgeld- oder Sockelforderungen ablehnen, zum Nachteil der unteren Gehaltsgruppen.

Heimarbeit würde die Belegschaft weiter in Hand- und Kopfarbeiter spalten, aber auch allgemein den sozialen Kontakt und Zusammenhalt schwächen. Letztlich ist es dann egal, wo mein Kollege sitzt – da ich ihn nicht kenne, wird er mir bei Konflikten mit dem Chef oder dem Unternehmen auch eher nicht helfen. Die Vereinsamung und Vereinzelung der Menschen schreitet so weiter voran. Das Corona-Homeoffice hat gezeigt, wie schwierig es ist, die Kollegen zu organisieren. Kollegen auf die Gewerkschaft, Tariffindung, Aktionen vor dem Betriebsgebäude und ähnliches anzusprechen, wird durch Homeoffice deutlich erschwert.

Derart geschwächt wird die Arbeiterklasse den Angriffen auf ihre Errungenschaften noch weniger als in den vergangenen Jahren etwas entgegensetzen können. Der mittelhessische Unternehmensverband fordert zum Beispiel schon jetzt, die gesetzliche Ruhezeit von 11 Stunden aufzuweichen. De facto ist das in der Energiebranche bereits geschehen während der Corona-Krise. Auch für eine Auslagerung einzelner Arbeitsplätze ins Ausland ist mit der Einführung des Homeoffice schon der wichtigste Schritt getan – denn wenn ein Angestellter gar nicht mehr ins Büro kommt und die Arbeitsprozesse trotzdem funktionieren, liegt für die Unternehmensführung der Gedanke nahe, dass der Schreibtisch auch in einem Niedriglohnland stehen kann. Das größte Hindernis wäre dann nur noch die Sprache, was aber für internationale Großkonzerne mit englischer Betriebssprache auch kein Argument mehr ist.

Ohne Solidarität untereinander werden Arbeiter und Arbeiterinnen ihre Interessen nicht durchsetzen können. Als Einzelne sitzen sie am kürzeren Hebel gegenüber der Unternehmensführung, auch wenn es sich etwa um klare Rechtsbrüche des Vorgesetzten wie Diskriminierung oder eine ungerechtfertigte Kündigung geht. Aber auch wenn das Unternehmen Stellenstreichungen oder gar die Werkschließung plant, können Einzelne nichts dagegen ausrichten. Die Kolleginnen und Kollegen sind zu Hause noch mehr als bisher auf sich gestellt. Homeoffice kann somit zum Einfallstor werden, um generell kollektive Organisierung zu unterbinden und erkämpfte Errungenschaften zu beseitigen.

Mehrarbeit und gesundheitliche Schäden

Ein weiterer Vorteil für die Unternehmensführungen ist der Umstand, dass Homeoffice eher zu längeren Arbeitszeiten führt, wie eine Studie des Instituts WSI ergeben hat – ein allgemeines Phänomen der Flexibilisierung, wie bereits oben erwähnt. Eine aktuelle Studie in deutschen und europäischen Betrieben hat außerdem gezeigt, dass Homeoffice wegen Überstunden und ständiger Verfügbarkeit Probleme im Familienleben verursachtxv. Ein Drittel der Beschäftigten kontrollieren regelmäßig am Wochenende oder Feierabend ihre Emails, die Hälfte ist telefonisch rund um die Uhr erreichbar, obwohl sie das eigentlich nicht wollen. Das bringt rechtliche Probleme mit sich, die auf den einzelnen Arbeiter geschoben werden. Liegt zum Beispiel bei einem Unfall auf dem Dienstweg der letzte Mailcheck weniger als die durch das Arbeitszeitgesetz festgelegte Ruhezeit von 11 Stunden zurück, greift nicht mal der Versicherungsschutz. Auch die Verantwortung für den Datenschutz – seien es herumliegende oder weggeworfene Unterlagen – liegt im Homeoffice nicht beim Unternehmen.

Für die Gesundheit der Beschäftigten ist das Homeoffice in mehrfacher Hinsicht schädlich: Wie eine AOK-Studie zeigt, schadet die häufige Arbeit im Homeoffice tendenziell der psychischen Gesundheit. Die Studienteilnehmer schliefen schlechter, waren reizbarer und konnten sich schlechter konzentrieren als im Büro arbeitende Angestelltexvi. Auch eine Studie der internationalen Arbeitsorganisation ILO hat festgestellt, dass Arbeit im Homeoffice zu mehr Stress und Schlaflosigkeit führtxvii. Aber auch die körperliche Gesundheit darf nicht vergessen werden. Bisher ist das Unternehmen verpflichtet, durch Sicherheitsbeauftragte und ergonomisch geprüfte Büromöbel dafür zu sorgen, dass die Beschäftigten geschützt sind vor Unfallgefahren und Langzeitschäden. Auch hier wird die Verantwortung auf den einzelnen Angestellten zu Hause abgewälzt.

Ein weiterer Faktor führt zu Mehrarbeit auf Kosten der Belegschaft: Begegnete man auf dem Flur oder im Büro Kollegen, die krank wirkten, konnte darüber gesprochen werden – mit dem möglichen Ergebnis, dass die Krankheit zu Hause auskuriert wird. Durch Homeoffice wird ein solcher Austausch deutlich schwieriger, meist bleibt das Arbeiten trotz Krankheit unbemerkt. Schweizer Arbeitgeberverbände forderten sogar vor zwei Jahren, Homeoffice einzuführen, damit kranke Beschäftigte weiterarbeiten können, ohne andere anzustecken. Der Schritt, im Krankheitsfall vom Bett aus Emails zu beantworten oder sogar ein paar Stunden mit dem Laptop zu arbeiten, ist viel kleiner, als trotz Krankheit zum Büro zu fahren. So werden erkämpfte Rechte schleichend ausgehöhlt, ohne dass die Unternehmen sich offen dafür einsetzen müssten.

Es profitieren vor allem die Unternehmen

Eine von Unternehmen offen genannte Motivation für das Homeoffice ist es, dass Bürofläche und Infrastruktur eingespart werden können. Im Extremfall gipfelt das in dem Motto „Bring Your Own Device“ (BYOD) – so muss der Belegschaft nicht einmal der Laptop gestellt werden. Weniger direkt sichtbar als die Büromieten sind andere Kosten der Infrastruktur. Viele Unternehmen stellen eine Kantine und Kaffeeküche für ihre Mitarbeiter. Manche boten bisher Unterstützung für die Kinderbetreuung an oder haben sogar Kitas vor Ort, andere zahlten einen Jobticket-Zuschuss. Hinzu kommen Kosten für Strom, Heizung, Internet, etc. Ein großer Teil dieser Ausgaben könnte bei überwiegender Abwesenheit der Belegschaft eingespart werden. Falls außerdem das Homeoffice nicht als Teleheimarbeit eingeordnet wird, sind die Unternehmen nicht verpflichtet, für das Büromaterial zu bezahlen. Von der Zahl der Drucker bis zu Schreibwerkzeug kann so zusätzlich einiges eingespart werden. Sollte die Arbeit der Angestellten eines Unternehmens zu mehr als 50 Prozent ins Homeoffice verlagert werden, wird es schwierig für Betriebsrat und Beschäftigte, sich gegen Einsparungen bei all diesen Punkten zu wehren. Ein Teil der Kosten würde direkt auf die Beschäftigten abgewälzt, da selbstverständlich weiterhin Dokumente gedruckt werden und das Homeoffice so eingerichtet werden muss, dass die Arbeit auf Dauer nicht gesundheitsschädlich ist.

IBM und viele Start-ups haben das Spiel der Flexibilisierung unter dem modern klingenden Begriff „Cloudworker“ noch weiter getrieben: Die Mitarbeiter werden zu Tagelöhnern. Das Programm „Liquid“ von IBM vergibt so auf einer Plattform Aufträge. Dort wird sich wie in einer modernen Kampfarena darauf gestürzt, denn wer den Auftrag am schnellsten und flexibelsten bearbeitet, steigt in der Auftragshierarchie nach oben.

Homeoffice ist ein weiterer Schritt in diese extremen Formen der Flexibilisierung, da es eine Voraussetzung für Konzepte der Cloudworker und des „BYOD“ ist.

Angriff auf erkämpfte Errungenschaften

Mit dieser Flexibilisierung – jederzeit, von jedem Ort aus arbeiten zu können, als Leih- oder Schichtarbeiter, als Minijobber oder befristet Beschäftigter – bröckeln die seit mehr als 100 Jahren erkämpften Verbesserungen in den Arbeitsbedingungen. Regeln, die für alle verlässlich gelten, scheinen überholt – warum nicht gleich ganz abschaffen und es dem Einzelnen überlassen, passend zu seiner Situation seine Rechte auszuhandeln? So steht am Ende jeder alleine gegen die geballte Macht der Unternehmensführung. „Mitbestimmung light“, für besonders innovative kleinere Unternehmen, wird von der Kapitalseite gefordert. Die FDP will dem „Sturm der Digitalisierung“ durch „Freiheitszonen“ von Staat und Gewerkschaft begegnen, also die Gelegenheit nutzen, um möglichst viele erkämpfe Errungenschaften wieder abzuschaffenxviii.

Die Forderung, immer flexibler zu sein, schlägt sich im Gemüt nieder: Laut einer aktuellen AOK-Studie ist fast die Hälfte der Befragten kürzlich vom Chef außerhalb der Arbeitszeit kontaktiert worden. Im Jahr 2011 waren es noch deutlich weniger. Zugleich verdoppelten sich in den vergangenen 20 Jahren die Fehlzeiten wegen seelischer Krankheiten, sodass z.B. 11% der AOK-Versicherten betroffen warenxix.

Wer sich gegen diese Veränderungen wehrt, wirkt altbacken, wie ein „Ewiggestriger“. Tatsächlich ist die Entwicklung von Arbeitsmitteln, Technologie, Bildung und Infrastruktur – also der Produktivkräfte – an sich positiv, ermöglicht sie doch, mit immer weniger menschlicher Arbeitskraft immer mehr zu produzieren. Begriffe wie „non-stop-working“ könnten auch aus den Arbeitersiedlungen des frühen 20. Jahrhunderts stammen, nur dass das prekäre Verhältnis von Arbeit und Freizeit damals noch nicht „Work-Life-Blending“ („Vermischung von Privat- und Arbeitsleben“) genannt wurde.

Fakt ist: Der Versuch, die Maschinenlaufzeiten bzw. Betriebszeiten auf die ganze Woche auszudehnen, ist so alt ist wie der Kapitalismus. Nur verpacken es die Herrschenden heute schöner. Und ein Teil davon ist eben die Tendenz zum Homeoffice.

Wie kämpfen wir für unsere Interessen als Arbeiterklasse?

Unternehmen führen Homeoffice nicht ein, um auf Bedürfnisse der Beschäftigten einzugehen, sondern um ihre Gewinne durch Mehrarbeit und Kostenersparnis zu steigern. Deshalb sollten wir in der gewerkschaftlichen Arbeit die Probleme, für die Homeoffice angeblich Lösungen bietet, mit den Kollegen und Kolleginnen diskutieren. So können wir Problembewusstsein schaffen und den Weg für gemeinsame Kämpfe aufzeigen.

Auf Grundlage dieser Diskussionen müssen wir mit unseren Kollegen und Kolleginnen die tieferliegenden Probleme angehen. Um beispielsweise mehr Zeit mit der Familie zu haben und generell die Lebensqualität zu verbessern, sollte man nicht Homeoffice einführen, sondern gemeinsam eine Arbeitszeitverkürzung erkämpfen. Auch mangelnde Kinderbetreuung und hohe Mieten müssen wir thematisieren.

Eine klare Position gegen Homeoffice ist dafür eine Voraussetzung, denn sonst haben wir gar keine Gelegenheit, solche Diskussionen und die Kämpfe zur Verbesserung unserer Lage zu führen. Wir sollten uns in Gewerkschaften und im Betrieb dafür einsetzen, dass sich Homeoffice als Arbeitsform nicht verfestigt. Andernfalls drohen die weitere Spaltung und Schwächung der gewerkschaftlichen Organisierung – und wir hätten Angriffen der Unternehmen noch weniger entgegenzusetzen.

i ARD, Tageschau, „Altmaier gegen Recht auf Homeoffice, Sendung vom 23. Mai 2020 

ii Alipour et. Al, „Homeoffice während der Pandemie und die Implikationen für eine Zeit nach der Krise, ifo Institut, München, 2020, https://www.ifo.de/DocDL/sd-2020-07-alipour-falck-schueller-homeoffice.pdf

iiiHoffmann, „Studie: Weniger Stress im Homeoffice – Wirtschaft skeptisch“, krankenkassen.de, 22.07.2020,https://www.krankenkassen.de/dpa/339888.html

iv Wolfgang Gitter/ Helga Herrmann/Ulrich Lohmar: “Telearbeit”, Beiträge zur Gesellschafts- und Bildungspolitik, Institut der deutschen Wirtschaft, Nr. 109, 1985. https://www.sbg.ac.at/ges/people/wagnleitner/sa/pph/entwicklung.htm

vBrenke, Karl (2016): Home Office * Möglichkeiten werden bei weitem nicht ausgeschöpft. In: DIW-Wochenbericht, Jg. 83, H. 5, S. 95-105. https://www.iab.de/de/informationsservice/informationssysteme/infoplattform/infoplattform-publikationsdetails.aspx/Publikation/k160208u01

viVogl/Nies, „Betriebs- und Dienstvereinbarungen – Analyse und Handlungsempfehlungen“, Hans Böckler Stiftung, 2011,https://www.boeckler.de/pdf/mbf_bvd_mobile_arbeit.pdf

viiDGUV, Homepage, „Home-Office: So bleibt die Arbeit sicher und gesund“, Artikel vom 16.03.2020,https://www.dguv.de/de/mediencenter/pm/pressemitteilung_385472.jsp

viii Verdi, „Mobile Arbeit – Empfehlungen für die tarif- und betriebs-politische Gestaltung“, 2019, https://innovation-gute-arbeit.verdi.de/ueber-uns/forschungsprojekte/prentimo/++co++f16148e2-4632-11e9-b67c-525400afa9cc

ix Kamp, „TelearbeitAnalyse und Handlungsempfehlungen“; Hans Böckler Stiftung, 2000 https://www.boeckler.de/pdf/p_edition_hbs_31.pdf

xCio, Homepae, „Stressfaktor Großraumbüro“, Artikel vo, 06.07.2020 https://www.cio.de/a/stressfaktor-grossraumbuero,3259109

xiNowotny, „Flexibel ins Burn-out“, science.ORF.at, Artikel vom 26.12.2015, https://sciencev2.orf.at/stories/1763603/index.html

xii Manus, „Steigende Büromieten in Frankfurt zwingen Unternehmen in die Randgebiete“, FrankfurterRundschau, Artikel vom 17.01.2020,https://www.fr.de/frankfurt/frankfurt-steigende-bueromieten-zwingen-unternehmen-randgebiete-13429732.html

xiiiRecius, „Studie zeigt die wahren Auswirkungen des Homeoffices“, Wiwo, Artikel vom 22.04.2019, https://www.wiwo.de/erfolg/beruf/exklusive-zew-studie-studie-zeigt-die-wahren-auswirkungen-des-homeoffices/24231044.html

xivKurier, Homepage, „Home-Office: Mütter hauptverantwortlich für Kinderbetreuung“, Artikel vom 05.05.2020 https://kurier.at/chronik/oesterreich/eltern-im-home-office-muetter-hauptverantwortlich-fuer-kinderbetreuung/400832651

xv Abendroth, A.-K./Reimann, M. (2018): Tele-work and work-family conflict across workplaces. Investigating the impli-cations of work-family-supportive and high-demand workplace cultu-res, in: Contemporary Perspectives in Family Research: The Work-Family Interface: Spillover, Complications, and Challenges 15, S. 323-348, van der Lippe, T./Lippényi, Z. (2018): Beyond formal access: Organizational context, working from home, and work-family conflict of men and women in European workplaces, in: Social Indicators Research

xvi Junginger, „AOK-Studie zeigt: Arbeiten im Home-Office macht unglücklich“, Augsburger Allgemeine, Artikel vom 17.09.2019,https://www.augsburger-allgemeine.de/geld-leben/AOK-Studie-zeigt-Arbeiten-im-Home-Office-macht-ungluecklich-id55461121.html

xvii AFP, „Study links working remotely to more stress, insomnia“, Medical Express, Artikel vom 15.02.2017, https://medicalxpress.com/news/2017-02-links-remotely-stress-insomnia.html

xviii Scholz, Christian. Mogelpackung Work-Life-Blending: Warum dieses Arbeitsmodell gefährlich ist und welchen Gegenentwurf wir brauchen. John Wiley & Sons, 2017.

xix Wolfgang Dunkel, Nick Kratzer, Wolfgang Menz: Permanentes Ungenügen und Veränderung in Permanenz – Belastungen durch neue Steuerungsformen, in: WSI Mitteilungen 7/2010 https://www.boeckler.de/de/boeckler-impuls-die-neuen-formen-der-arbeitsbelastung-8951.htm

Aktuelles

Gegen den Frieden der Unterdrücker!

Eine Friedens- bzw. Anti-Kriegs-Bewegung, welche die aggressive Rolle der NATO, oder der Besatzungsmacht Israel nicht erkennt und das Narrativ der Kriegstreiber bedient, wird damit in letzter Konsequenz eine Pro-Kriegs-Bewegung. Sie verurteilt die Gewalt der Unterdrückten so wie es die Unterdrücker tun.

Bericht zum 5. Mitgliederkongress der Kommunistischen Organisation

Der 5. Mitgliederkongress der KO hat stattgefunden. Erfahrungen aus unserer Spaltung und der akti-ven Beteiligung in Kämpfen gegen den Krieg der NATO und den Völkermord in Palästina geben nachdrücklich Aufgaben für uns selbst und die Bewegung auf. Sie erfordern praktische Konsequen-zen. Ein zentraler Beschluss: Die Organisierung eines umfassenden und öffentlichen Studienganges zur Geschichte des Kommunismus.