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Lasst uns über die Katastrophe reden!

Beitrag zur Diskussionstribüne Klima&Kapitalismus – keine Positionierung der Kommunistischen Organisation (siehe Beschreibung der Diskussionstribüne)

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Ein Beitrag von Klara Bina

Ich möchte den Stab dort aufnehmen, wo Genosse Thanasis seinen Artikel beendet, nämlich bei dem Versuch die Debatte zu fokussieren. Er stellt vier Fragen in den Raum, die seiner Ansicht nach die wichtigen Fragen sind, auf die wir uns konzentrieren sollten. Er schreibt, dass es um vier Fragen gehen soll: um die Ursachen der Erwärmung, ihren Folgen, darum unter welchen Bedingungen das Problem gelöst werden kann und darum wie die Kommunisten die Klimafrage in ihre Strategie und Taktik einbetten sollen.

Meiner Ansicht nach sollten wir noch einen Schritt zurückgehen und fragen, welche Vorstellungen es von den kommenden Veränderungen gibt. Geht es darum, dass der Klimawandel das Leben auf der Erde erschweren oder fast unmöglich machen wird? Geht es also darum, dass wir es mit einer kommenden Katastrophe zu tun haben oder reiht sich die so genannte Klimakrise in die vielen anderen Verschlechterungen und Gefahren ein, die der Kapitalismus mit sich bringt. Wenn wir diese Frage nicht geklärt haben, dann werden wir in dieser Debatte aneinander vorbeidiskutieren. Und das sollten wir nicht tun.

Über einen anderen gedanklichen Weg, ist auch schon Genosse Thanasis selbst darauf gekommen, dass es die „entscheidende Frage“ ist:

„Es ist nun sehr problematisch, wenn die drei Genossen das Hauptproblem in der Panikmache ausmachen, ohne sich die Frage zu stellen, ob diese Panik sich vielleicht auf einen realen Kern bezieht, ob also katastrophale Veränderungen der Lebensbedingungen der Menschheit tatsächlich bevorstehen, oder ob das alles nur ein großer Schwindel ist. Das wäre aber die entscheidende Frage, mit der man sich zuerst beschäftigen müsste, bevor man sich ein Urteil darüber anmaßt, wie der sogenannte ‚Alarmismus‘ einzuschätzen ist.“ Liegt es an uns, dass wir den Elefanten im Raum nicht sehen? Möglich ist es. Vielleicht weil wir Angst vor der Panik haben? Umso mehr sollte man uns durch Konkretisierung des Faktischen überzeugen. Im vorliegenden Text werde ich zeigen, dass das aber bisher nicht geleistet wurde.

Vorab: worum es in der Debatte nicht geht!

Die Diskussion ist bis jetzt unter anderem deshalb diffus, weil es zu einer Vermengung sehr unterschiedlicher Fragen gekommen ist. Erstens wird das sehr konkrete Thema „Klima“ mit der allgemeinen Umweltfrage vermengt. Die Frage danach wie der Kapitalismus die Umwelt des Menschen zerstört und wir Kommunisten dagegen vorgehen sollten, ist eine wichtige Frage. Dazu nur ein paar Worte.

Selbstverständlich gibt es Umweltzerstörung im Kapitalismus. Der Kapitalismus beutet Mensch und Natur ohne Rücksicht auf Verluste aus und zerstört beide. Er wird es immer weiter tun. Erst im Sozialismus/Kommunismus werden wir für den Menschen produzieren und dazu gehört unsere Umwelt nicht zu zerstören. Wir haben aber keine Debatte zum Thema Umweltzerstörung im Kapitalismus eröffnet, sondern eine Klima-Debatte! Und dieses Thema hat eine ganz besondere Eigenschaft: es geht in ihr um eine Katastrophe, die nahe bevorstehen soll. Diese Debatte ist von einer diffusen Angststimmung geprägt und hat immense Folgen auf das Bewusstsein. Hier wird es vor allem wichtig sein den ideologischen Kampf zu führen.

Wohingegen der Kampf gegen Luft- und Wasserverschmutzung und so weiter von Anbeginn ein Teil des Kampfes der Arbeiterbewegung für die Verbesserung ihrer Lebens- und Arbeitssituation waren und immer noch sind. Kommunisten haben hier die Aufgabe sich – wie in allen anderen Kämpfen – mit all ihrem Wissen und ihrer Kraft einzubringen.

Warum ist die Frage nach der „Katastrophe“ so wichtig?

Diese Frage ist deshalb so wichtig, weil sie überhaupt den Anlass zur Eröffnung der Diskussionstribüne gibt. Wir eröffnen ja nicht solche Tribünen beliebig für alle Themen. Das wäre auch absurd. Es ist doch so: Genossen haben aufgrund der ‚Dringlichkeit‘ (die Klimakrise sei zeitkritisch) vehement darauf gepocht, dass wir jetzt diskutieren müssen, weil es um überlebenswichtige Fragen ginge. Wenn keine Katastrophe erwartet wird, dann ist die Frage, warum diese Hektik?

Wir haben mit unserem Artikel auf diese Stimmung reagiert. Wir haben versucht uns weitestgehend mit der vorherrschenden gesellschaftlichen Stimmung und den Interessenlagen zu befassen und diese auf ihre Begriffe hin anzudiskutieren und nicht so sehr mit dem von den Genossen formulierten Aussagen. Es wäre vielleicht besser gewesen, wenn die Genossen, die die Gefahren der kommenden klimatischen Katastrophe sehen, einen Aufschlag gemacht hätten. So hätten wir mit einer Kritik unmittelbar auf ihre Argumente eingehen können. Wir hätten dann mit den oben genannten Fragen beginnen sollen, um erst einmal die Positionen im Klartext auf den Tisch zu bekommen. Nun ist es nicht mehr ganz klar, worum es eigentlich in der Debatte geht. Philosophische, strategische, gesellschaftspolitische und naturwissenschaftliche Fragen werden je nach Belieben aufgegriffen und sich mit ihnen auseinandergesetzt. Was aber ist eigentlich der Kern der Debatte, was ihre Dringlichkeit begründet?

Im ersten Artikel der Genossen TJEH (Thanasi/Jakob/Ernesto/Hans-Christoph) heisst es dazu:

„Leider kann es keine ernsthaften Zweifel mehr daran geben, dass die menschliche Zivilisation in der nahen Zukunft auf katastrophale klimatische Veränderungen im globalen Maßstab zusteuert und dass diese Bedrohung von den Emissionen an Treibhausgasen verursacht wird.“ Das ist der Anlass für die Debatte. Es ist die Feststellung, dass wir uns kurz vor einer Katastrophe befinden. Ich habe mir die Mühe gemacht und in den bisherigen Artikeln versucht mehr über diese kommende Katastrophe zu erfahren. Dazu gleich mehr.

Bevor wir uns die Aussagen anschauen, sollten wir uns drüber im Klaren sein, was wir denn überhaupt mit einer Katastrophe meinen. Denn vielleicht reden wir auch deshalb aneinander vorbei, weil die einen lediglich eine „graduelle Veränderung“, die anderen aber eine schicksalhafte Wende verstehen.

Das Wort Katastrophe kommt aus dem Griechischen und bedeutet Wendung. In Tragödien sind Katastrophen der Punkt, an dem sich das Schicksal des Helden entscheidet. Daraus entwickelte sich die heute verwendete Bedeutung: es ist das Ereignis, an dem sich das Schicksal eines Menschen oder gar eines Volkes (in unserem Fall vielleicht sogar einer Gattung) entscheidet. Diese Definition setze ich hier als die Bedeutung von Katastrophe, so wie ich ihn verstehe voraus und bitte die anderen Genossen ihr Verständnis auch offen zu legen.

Unter den vier verschiedenen Autoren TJEH mag es darüber vielleicht keine Verständigung gegeben haben, aber ein Autor, nämlich Hans-Christoph Stoodt scheint tatsächlich auch die hier vorgestellte Definition zu teilen, wenn er in einem Artikel auf seinem Blog folgendes schreibt:

„Vielleicht, wer weiß! Die Wissenschaftler von „Science for Future“, die Aktivist*innen von „Fridays for Future“ oder „Ende Gelände“ sind keine Schwarzmaler und Spaßverderber. Im Gegenteil. Sie stellen klar: wir haben noch eine Chance. Ein Zeitfenster von einigen Jahren. Wir müssen es nutzen, um alles zu verändern, damit wir weiter glücklich sein und leben können. Nutzen wir den Spielraum, den uns die Worte „Vielleicht“ und „Wer weiß“ geben – im Vertrauen darauf, dass wir Menschen Gott zu schade sind, um gnadenlos uns selbst vernichten zu sollen – und mit uns die Schöpfung.“ (Hans-Christoph Stoodt, Sommer 2019, https://wurfbude.wordpress.com/2019/07/01/vielleicht-die-welt-im-zeichen-des-jona/)

Ich werde nicht auf die Einzelheiten in diesem Zitat eingehen, sondern nur festhalten, dass hier offensichtlich eine Katastrophe in „einigen Jahren“ erwartet wird, bei der es möglich ist, dass wir Menschen „gnadenlos“ uns selbst und „die Schöpfung“ vernichten.

Halten wir also fest, es ist die Katastrophenstimmung, die uns veranlasst hat den Artikel mit dem Titel „Wir werden nicht in Panik geraten“ zu schreiben. Wir halten auch fest, dass im Artikel von TJEH eine Art Katastrophe erwartet wird und mindestens ein Autor auch das gleiche Verständnis von einer Katastrophe hat, die auch hier vorgeschlagen wird. Schauen wir uns nun an, was in den vorgelegten Artikeln zur kommenden Katastrophe konkret gesagt wird.

Genosse Thanasis schreibt, dass wir es „mit einer graduellen, wenn auch vermutlich exponentiell ansteigenden Verschlimmerung der Lage zu tun haben, je mehr sich das Klima erwärmt.“, was noch nicht besonders konkret ist und auch noch nicht dem Anliegen eine kommenden Katastrophe zu beschreiben gerecht wird.

Er schätzt die Prognosen des IPCC als zu optimistisch ein. Es gäbe aber zugleich keinen Anlass zur Annahme, dass „wir in den nächsten Jahrzehnten mit dem ‚Weltuntergang‘, also dem Aussterben der Menschheit aufgrund von steigenden Temperaturen rechnen müssen.“ Einerseits könnte man aus der Aussage, das IPCC wäre zu optimistisch schließen, dass es ja viel schlimmer sein wird als erwartet und als öffentlich behauptet wird, – kurzum also doch eine Katastrophe zu erwarten sei. Andererseits hat man den Eindruck, dass Genosse Thanasis selbst vor einer Vorstellung, dass es eine Katastrophe geben könnte, zurückschreckt. Jedoch reicht es nicht zu sagen, es werde schon kein „Weltuntergang“ geben. Es würde ja reichen zu sagen, dass z.B. „die natürlichen Lebensgrundlagen der Menschheit“ so sehr zerstört werden, dass die Menschheit oder ein Großteil der Menschheit nicht mehr wird überleben können. Jedenfalls bleibt an dieser Stelle Genosse Thanasis Zahlen und Fakten schuldig, warum wir nicht von einer katastrophalen Situation ausgehen müssen.

Dann wird Genosse Thanasis etwas ‚genauer‘, als es ihm darum geht, die Bedrohungslage im Vergleich zu einem Weltkrieg zu beschreiben: „Während aber der genaue Beginn eines Weltkrieges sich nicht voraussagen lässt, haben wir es bei der ‚befürchteten Klimakatastrophe‘ mit einem gut erforschten Phänomen zu tun, das sich graduell anbahnt und dem wir gerade sozusagen zusehen. Warum ist also die Kriegsangst begründeter als die Angst vor dem Klimawandel?“

Es werden also zwei Phänomene gegenüber gestellt: beim Weltkrieg könne man den genauen Beginn nicht voraussagen, bei der „befürchteten Katastrophe“ (die Anführungszeichen von Genossen Thanasis erschließen sich mir im Zitat nicht!) hätten wir es aber mit einem gut erforschten Phänomen zu tun. Heisst das, dass man den genauen Beginn der Klimakatastrophe also voraussagen kann? Ist das so? Warum schreibt der Genosse denn nicht mehr über diese Fragen? Wann genau wird das sein? Ein ungefährer Zeitraum wäre auch hilfreich.

Im Artikel von TJEH lesen wir dazu: „Setzen sich die aktuellen Tendenzen fort, wird die globale Erwärmung wahrscheinlich bereits irgendwann zwischen 2030 und 2052 die Schwelle von 1,5 °C überschreiten.“ Es wäre an dieser Stelle gut gewesen zu sagen, ob das dann schon die Katastrophe ist oder nicht. Dann werden ein paar Zeilen lang Aussagen über die Geschwindigkeit der Erwärmung getroffen, um zu schlussfolgern: „Diese Geschwindigkeit ist viele Tausend Male zu hoch, als dass sich die Evolution der Arten auf der Erde daran anpassen könnte.“ Und das hört sich erst einmal alarmierend an, bleibt aber völlig unklar, ob das jetzt einfach nur schade ist oder ob es die totale Vernichtung der Arten bedeutet. Hier bedarf es sicherlich einer Konkretisierung. Schon die Formulierung „viele Tausend Male“ unterstellt etwas sehr Krasses und der Leser wird erst einmal stocken. Was aber heisst es genau, dass die Evolution der Arten sich nicht wird an diese Geschwindigkeit anpassen können? Gerade weil der Artikel nicht genauer ausführt, was das denn nun heisst, könnte man auch verstehen, dass die Gattung Mensch damit gemeint sein könnte? Geht es um alle Arten? Und was heisst „nicht anpassen“?

Jedoch wird im gleichen Artikel auch folgendes geschrieben: „Wir wollen an dieser Stelle nicht die unterschiedlichen Prognosen diskutieren, die von einem Zusammenbrechen der Zivilisation in einigen Jahrzehnten ausgehen. Es liegt in der Natur solcher Prognosen, dass sie mit hoher Unsicherheit operieren, was die naturwissenschaftlichen Daten angeht.“ Und: „Entscheidend ist aber, dass es nicht die eine Schwelle gibt (z.B. 1,5 oder 2°C), bis zu der der Klimawandel noch beherrschbar wäre und nach deren Überschreitung die Menschheit alle Hoffnung fahren lassen müsste. Solche Vorstellungen, die teilweise in den Medien verbreitet werden, sind grober Unsinn. Vielmehr haben die negativen Folgen des Klimawandels längst begonnen und werden ja auch jetzt schon, vor Erreichen des 1,5-Grad-Zieles, immer spürbarer.“

An dieser Stelle mag der Leser vielleicht schon vergessen haben, dass am Anfang desselben Artikels (siehe das Zitat oben im vorliegenden Text) gesagt wurde, dass es „keine ernsthaften Zweifel mehr daran geben (kann), dass die menschliche Zivilisation in der nahen Zukunft auf katastrophale klimatische Veränderungen im globalen Maßstab zusteuert und dass diese Bedrohung von den Emissionen an Treibhausgasen verursacht wird.“ Hieran wird deutlich, dass die Autoren sich selbst nicht ganz klar darüber sind, was sie eigentlich meinen. Es wäre für die Debatte jedenfalls sehr hilfreich, wenn hier von den Autoren etwas mehr Klarheit geschaffen werden würde.

Was die Auswirkungen der Klimaveränderungen angeht, gehen die Genossen in diesem Aufschlagsartikel auf ein paar Punkte ein: Steigerung des Meeresspiegels, extreme Wetterereignisse, also „Hitze- und Kältewellen, Überschwemmungen, Tornados, Dürren, Waldbrände etc.“, Flora und Fauna werden verändert, manche Tier- und Pflanzenarten werden damit womöglich nicht zurecht kommen, werden aussterben oder in andere Regionen wandern, tropische und subtropische Krankheiten werden sich ausbreiten. Im Artikel werden vor allem Katastrophen benannt, die schon passiert sind und im Zusammenhang mit diesen genannten Prognosen werden im Artikel Opferzahlen von vergangenen Fällen von Naturereignissen vorgestellt. Es wird damit unterstellt, dass diese Menschen aufgrund der Naturereignisse ums Leben gekommen sind und nicht aufgrund ihrer Klassenzugehörigkeit. Das ist leider falsch. Kein Mensch würde oder sagen wir besser nicht so viele Menschen würden Naturereignissen zum Opfer fallen, wenn wir nicht in einer Klassengesellschaft leben würden. Schon nur Vergleiche zwischen Ländern wie Kuba und Haiti zeigen, welchen Unterschied es macht, wie mit den Naturereignissen gesellschaftlich verfahren wird. All diese tatsächlichen menschlichen Katastrophen sind jetzt schon real und sie haben nichts bzw. nur oberflächlich etwas mit dem Klima zu tun. Wäre der Kapitalismus weltweit überwunden, dann würden sicherlich keine Menschen durch Hunger, Krankheit, Krieg und Naturkatastrophen massenweise sterben müssen.

Über 800 Millionen Menschen waren im Jahre 2017 von Hunger betroffen, nur in zwei Kriegen (Irakkrieg und dem so genannten „Krieg gegen den Terror“) kamen zirka 2 Millionen Menschen ums Leben. Bei den 10 größten Naturkatastrophen zwischen 1980 und 2016, also in fast 40 Jahren kamen zirka 1 Million Menschen ums Leben. Nur Kurzsichtige und Apologetiker des Kapitalismus würden die letztgenannten Opfer als Opfer von Naturkatastrophen bezeichnen. Sie sind aber in der Realität Opfer von Armut und imperialistischer Ausbeutung. Es reicht also nicht die Opferzahlen von Hitzewellen oder Tornados zu nennen, um daraus zu folgern, wie schrecklich die Zukunft sein wird. Dafür müsste man erstens konkrete Aussagen darüber treffen, wann mit welchen Verschlimmerungen konkret zu rechnen ist, um dann zu sagen, welche Maßnahmen notwendig sind, um diese so glimpflich wie möglich für die Betroffenen zu überwinden. Aber die Genossen haben ja selbst festgestellt, dass es mit den Prognosen so eine Sache ist. Ich habe weder die Expertise, noch die Zeit mich in das Thema zu vertiefen, welche Aussagen welcher Organisationen, Institute und Forschungseinrichtungen zuverlässig sind, also welche Methoden angewendet werden und wie die Daten ausgewertet werden, auf welchen Modellen ihre Aussagen beruhen usw., geschweige denn ein Urteil darüber zu fällen, wie diese Aussagen dann in der Vermittlung verarbeitet und – davon sollten wir ausgehen – je nach Interesse so oder so gesellschaftspolitisch zum Einsatz kommen, aber ich kann ja mal anhand eines einzigen Beispiels die Schwierigkeiten aufzeigen:

Die World Meteorological Organization (WMO) hat 2006 die Behauptung aufgestellt, dass es keine Anhaltspunkte dafür findet, dass auch nur ein einzelner Wirbelsturm mit dem Klimawandel in Verbindung stünde. Oder schaut man sich die Forschungen zu den Prognosen bezüglich der Möglichkeit der Ergrünung der Sahara als Folge des Klimawandels an, dann sind dort gänzlich widersprechende Aussagen zu hören. Das ist ja auch vollkommen in Ordnung, denn wir haben es ja offensichtlich mit besonders komplexen Fragestellungen zu tun, die auch die Naturwissenschaftler vor großen Aufgaben und vor allem vor sehr vielen Fragen stellt.

Die Art aber wie die Genossen mit ihrem Artikel sich dieses komplexe Thema aneignen, wird der Sache nicht gerecht. Hier könnte man zwar das Fass darüber aufmachen, ob wir nun alle kurzerhand zu Experten in diesen Fragen werden können, aber ich werde dieses Fass an dieser Stelle bewusst nicht öffnen.

In diesem Zusammenhang möchte ich eine – etwas traurige – Leseempfehlung geben. Traurig deshalb, weil die Ausgabe des Kursbuch, um die es geht, aus dem Jahre 1973 ist. In ihrer Ausgabe 33 mit dem Titel Ökologie und Politik oder Die Zukunft der Industrialisierung schreibt Hans Magnus Enzensberger:

„Daß eine bis vor kurzem noch marginale Wissenschaft (gemeint ist damit die ‚Humanökologie’, Anm. Der Autorin) innerhalb weniger Jahre in den Mittelpunkt erbitterter Auseinandersetzungen gerückt ist, läßt sich durch Schneeballwirkung der Massenmedien allein nicht erklären. Es hängt mit der zentralen Aussage zusammen, die in der heutigen Humanökologie gemacht wird: einer Aussage, die sich auf die Zukunft bezieht, die also zugleich prognostischer und hypothetischer Art ist. Von dieser Aussage ist einerseits jeder betroffen, weil sie sich auf die Existenz der Gattung bezieht, andererseits kann niemand ein sicheres und abschließendes Urteil über sie fällen, weil sie sich letzten Endes erst in der Zukunft verifizieren oder falsifizieren läßt. Diese Hypothese läßt sich folgendermaßen zusammenfassen: Die industrialisierten Gesellschaften der Erde produzieren ökologische Widersprüche, die in absehbarer Zeit zu ihrem eigenen Zusammenbruch führen müssen.“ (Enzensberger, Hans Magnus: Zur Kritik der politischen Ökologie, in: Kursbuch 33, Ökologie und Politik, Oktober 1973)

So traurig es ist zu sehen, dass wir uns 46 Jahre später in dieser Frage auf der Bewusstseinsebene eher zurück- als vorwärts bewegt haben, so erfreulich ist doch die Tatsache, dass trotz damals schon konstatierter Absehbarkeit der Katastrophe sie noch nicht eingetreten ist: die Gattung Mensch hat es überlebt. Was nicht heisst, dass wir trotzdem zig menschliche Katastrophen haben durchleben müssen.

Welches Fazit ziehen wir bisher aus den Katastrophen-Vorstellungen der Genossen?

Ich stelle fest, dass alle Genossen, die zurzeit eine kommende Klima-Katastrophe prognostizieren in allen Fragen konkrete Antworten schuldig geblieben sind:

Erstens in der Frage, mit welchem Zeitraum wir nun zu rechnen haben. Zweitens in der Frage, worin diese Katastrophe nun bestehen soll, außer in dem im ersten Artikel sehr kurzen Aufzählung von Ereignissen und ihren schon vorhandenen Folgen (also z.B. Hitzewelle von 2019: soundsoviele Tote). Denn wenn das die kommende Katastrophe sein soll, dann sind wir ja schon mittendrin und das Thema Klima kann sich einreihen unter all die anderen Fragen, die die kapitalistische Zerstörung mit sich bringt. Es wird in den Artikeln viel geschrieben über Dinge, die passieren könnten oder schon passieren, aber das macht noch keine Katastrophe aus. Auch die Dringlichkeit wird nicht herausgearbeitet und es erschließt sich mir nicht, mit welcher Begründung eine solche Gewichtung vorgenommen wird, nämlich dass wir es hier mit einem besonders relevanten Thema zu tun hätten und von der Einschätzung dieser Fragen gar der Aufbau einer KP abhängen würde, aber dazu später mehr.

Gesetzt den Fall: die Katastrophe kommt!

Was machen dann die Kommunisten? Das ist tatsächlich eine sehr wichtige Frage. Warum? Erstens weil an den Lösungsvorschlägen derjenigen, die von einer Katastrophe ausgehen einiges über ihre Ernsthaftigkeit in der Frage, ob es ihrer Meinung nach eine Katastrophe geben wird oder nicht, erkannt werden kann. Zweitens weil wir daran unsere Sozialismus- und Klassenkampfvorstellungen schärfen können.

Schauen wir uns also an, welche Lösungen die Genossen unterbreiten. Diese sind zugegebenermaßen nicht nur rar, sondern widersprüchlich. Im Artikel von TJEH wird dazu folgendes geschrieben:

„Und auch wenn die 2 °C einmal überschritten sind, wozu es aller Wahrscheinlichkeit nach kommen wird, da die sozialistische Weltrevolution wohl kaum in den nächsten Jahren bevorsteht, wird der Kampf gegen jedes weitere Zehntelgrad Erwärmung umso notwendiger sein, eben weil jedes weitere Zehntelgrad den Planeten ein Stückchen lebensfeindlicher macht, mehr Verlust an Menschenleben und mehr irreparable ökologische Schäden bedeutet und es für die Zukunft schwieriger macht, entgegenzusteuern. Auch im Kapitalismus muss also zumindest für eine Verlangsamung der globalen Erwärmung gekämpft werden, und sei es nur, um der Menschheit Zeit zu verschaffen, sich den Kapitalismus vom Hals zu schaffen.“

Das hört sich nun danach an, als gäbe es doch wenigstens eine Art Abmilderungsmöglichkeit für die es sich im Kapitalismus zu kämpfen lohnt. Wo aber bleibt hier das zeitkritische und die Aussage, dass es unmöglich sei das Problem im Kapitalismus anzugehen? Oder geht es den Genossen nur darum, dass es im Sozialismus ‚endgültig’ gelöst wird. Wenn es so ist, wie es hier steht, also wenn der Kampf um jedes Zehntelgrad geführt werden kann, ohne dass wir einer Katastrophe entgegensteuern, stellt sich die Frage umso mehr, warum wir dieser Frage so einen besonderen Stellenwert vor den vielen anderen Fragen einräumen müssen. Verhält es sich nicht etwa mit allen anderen Kampffeldern so? Schließlich wurde ja mit „besonderer Dringlichkeit“ und so weiter argumentiert. Wenn aber an der Aussage festgehalten wird, dass wir vor einer Katastrophe stehen, dann mutet der Vorschlag Kämpfen um jedes Zehntelgrad als eine Beruhigungspille an. Man könnte dann eigentlich gleich sagen kämpfend werden wir alle untergehen.

Nimmt man nichtsdestotrotz den Vorschlag ernst, stellt sich des Weiteren die Frage, wie dieser Kampf denn konkret aussehen soll. Kampf für bzw. gegen Zehntelgrade? Wie genau? Wo setzen Kommunisten an? Schaut man sich die globale Verteilung der CO2-Produktion an, sind doch China und Indien die größten ‚Sünder‘. Werden dann die ‚deutschen‘ oder ‚europäischen‘ Zehntelgrade nicht ganz schnell Hundertstelgrade? Wie verhalten wir uns konkret zu den Forderungen von FFF? Wie zum Klimapaket der Bundesregierung?

Zunächst einmal stelle ich fest: so geht man nicht im Katastrophenfall vor. Die Genossen müssen sich entscheiden: entweder haben wir es in „naher Zukunft“ mit „katastrophalen klimatischen Veränderungen“ zu tun oder nicht. Wenn ja, dann kann man nicht mit Zehntelgraden kommen. Wenn nein, dann können wir über die Richtigkeit (Klassenperspektive) der Forderungen und eine kommunistische Strategie im Katastrophenfall diskutieren. Hieran sehen wir wieder wie wichtig es ist, dass die Genossen erst einmal für sich klären, wie das nun mit der Katastrophe ist. Wenn es so sein sollte, wie Stoodt unterstellt, dann wäre es absurd nicht „jetzt umzukehren“, weil wir sonst nicht überleben werden.

Im gleichen Artikel der Genossen TJEH wird hauptsächlich argumentiert, dass die letztendliche Lösung der Klimafrage nur im Sozialismus möglich sein wird, was unter uns ja insofern eine Art Konsens ist, da wir davon ausgehen, dass durch Planwirtschaft viele Probleme der Menschheit gelöst werden.

Genosse Thanasis geht in seinem neuen Artikel nicht wirklich auf die Frage ein, wie jetzt mit der Klimafrage umgegangen werden soll. Er verweist auf die Darlegung im ersten Artikel. Er flüchtet sich in allgemeinen Ausführungen über Sozialismus und was da Alles möglich war und sein wird. Auch geht er allgemein auf die Frage des Reformkampfes ein, was aber an dieser Stelle wenig mit der Debatte zu tun hat.

Was aber hat das mit der jetzigen Klima-Diskussion zu tun? Haben wir diese Plattform eingerichtet, um darüber zu diskutieren, wie wir im Sozialismus Umweltprobleme lösen? Nein! Haben wir die Diskussion um einen allgemeinen Kampf gegen Umweltzerstörung eröffnet? Nein! Die Debatte wurde eröffnet, weil Genossen die Klima-Frage als eine strategisch besonders wichtige, ja brennende Frage unserer Zeit bezeichnen und auf die Dringlichkeit pochen. Genosse Thanasis schreibt das explizit in seinem Artikel: „Für den Aufbau einer kommunistischen Partei ist eine Klärung in diesen Fragen eine notwendige Bedingung, denn es wird nicht möglich sein, sich zu diesem wichtigen Politikfeld auf Dauer ‚neutral‘ zu verhalten oder dazu zu schweigen.“ Mir zumindest erschließt sich aus der Lektüre der 20 Seiten nicht, wie der Genosse darauf kommt. Deshalb die Bitte, das doch mal kurz und knapp zu erklären. Erwarten wir eine Katastrophe? Wenn ja, wann? Wenn ja, welche Auswirkungen wird es haben? Wenn ja, wie können wir die Katastrophe verhindern?

Warum wir diese Debatte führen müssen!

Und wenn wir zu dem Schluss kommen sollten, dass das Klima-Thema sich einreihen kann unter all die anderen wichtigen Themen, die wir behandeln müssen, sollten wir über die grassierende Angst bezüglich einer nahenden Klimakatastrophe weiterhin sprechen, ganz egal, ob sie wirklich naht oder nicht. Wir müssen darüber sprechen, um die Vernebelungen zu lösen und Ablenkungen beiseite zu schieben und um die Arbeiterklasse auf die kommenden Kämpfe vorzubereiten. Eine Arbeiterklasse, die aufgrund von diffusen Ängsten entweder zu autoritären, massenfeindlichen Kompromissen bereit ist oder zum Hedonismus und zur Verrohung neigt, wird ihre historische Rolle – den Umsturz der kapitalistischen Barbarei – nicht wahrnehmen können.

Aktuelles

Gegen den Genozid im Namen „feministischer Außenpolitik“!

Während heute in den Medien routiniert über Gleichberechtigung der Geschlechter gesprochen wird, trägt die feministische Außenpolitik der Bundesregierung parallel dazu den Genozid an den palästinensischen Frauen und Familien selbstbewusst mit. Dabei werden als Rechtfertigung alte kolonialistische Narrative genutzt, die ein Bild der Rückständigkeit des Nahen Ostens zeichnen und sowohl Männer als auch Frauen entmenschlichen. Der Widerstand gegen die zionistische Besatzung wird von Frauen und Männern getragen und unterstützt. Der 8. März ist für uns Tag der proletarischen Frauenbewegung, über alle Ländergrenzen hinweg.

Podcast #41 – Ralf Hohmann über Strafrechtsverschärfung und Gesinnungsjustiz

Mit dem Rechtswissenschaftler Ralf Hohmann diskutieren wir diskutieren wir über den Hintergrund des Abbaus demokratischer Rechte. Es geht um die Tendenz zur Vorverlegung der Strafbarkeit; das Zusammenspiel aus Medien, NGO’s, Justizwesen und Politik und den politischen Kontext für die Erweiterung der Repressionskapazitäten des Staates.