Die Querfront ist ein Irrweg
Themen: Deutscher Imperialismus, Massenarbeit
Alle Zeichen stehen auf Krieg. Während die NATO den Krieg in der Ukraine mit Waffenlieferungen immer weiter eskaliert, bereitet sie im Hintergrund den direkten Krieg gegen Russland vor. Protest und Gegenwehr sind in Deutschland, abseits von den Protesten gegen den Genozid in Palästina, kaum vorhanden. Unter anderem liegt dies liegt an der Krise der Friedensbewegung. In Diskussionen um eine Stärkung der Friedensbewegung erscheint die Querfront als vermeintlich attraktive Lösung: Eine möglichst breite Friedensbewegung dürfe sich nicht in links und rechts spalten lassen, ist in diesem Kontext oft zu hören. Auch in Friedensgruppen und der Massenarbeit begegnen uns diese Debatten immer wieder.
Wir wollen mit dieser Artikelreihe einen Überblick über die Geschichte, Entwicklung und Strategien rund um die Querfront-Frage geben. Nicht um gegen die Friedensgruppen, die sich zu diesen Fragen nicht klar positionieren, Stimmung zu machen – so wie die Medien die Friedensbewegung als „rechtsoffen“ diffamieren – sondern um in Diskussion zu treten und zu zeigen, dass Querfront immer eine Strategie von oben war und welche Ziele die Rechten damit verfolgen.
Im zweiten Artikel der Reihe widmen sich Martha Stern und Niklas Schumann aktuellen Querfrontbestrebungen. Dabei gehen sie auf ihre eigenen Erfahrungen in der Friedensbewegung ein und widmen sich den Argumenten der Querfront-Unterstützer.
Teil 1 der Reihe: Querfront – Kampfbegriff und reales Problem!
Redaktion der KO
Die Querfront ist ein Irrweg
Von Martha Stern und Niklas Schumann
Als Aktive in der Friedensbewegung wollen wir in diesem Text auf ein Problem eingehen das droht die Friedensbewegung auf einen Irrweg zu bringen: Querfrontstrategien gewinnen an Einfluss. Wir erleben im Rahmen unserer politischen Tätigkeit zunehmend, wie sich Aktivisten und Autoren der Friedensbewegung für eine Zusammenarbeit mit der AfD aussprechen. Teils werden selbst die neofaschistischen Freien Sachsen (eine Vorfeldstruktur der Partei die Heimat, ehemals NPD) als „Partner im Kampf für Frieden“ gesehen. Gleiches gilt für die AfD. Uns ist es wichtig, diese Erfahrungen und Auseinandersetzungen, die wir in der Friedensbewegung gemacht haben, öffentlich zu reflektieren und auf die Argumente der Querfront-Unterstützer einzugehen. Unsere Kritik richtet sich also nicht nur an Dieter Dehm und die Freidenker, sondern an alle Unterstützer einer Querfront.
Wir verfassen diese Kritik auch, weil diese rechte Kaperfahrt weite Teile der Friedensbewegung erfassen kann, wenn wir nicht dagegen vorgehen. Wir können beobachten, wie Teile der (ostdeutschen) Friedensbewegung ihre inhaltlichen Grundlagen zugunsten der „breiten Bewegung“ aufgeben, ohne die Frage der eigenen inhaltlichen und gesellschaftlichen Stärkung ernsthaft zu stellen. Das gilt für klare Anti-NATO-Positionen, wie für antifaschistische und internationalistische Standpunkte.
Dresden als erfolgreiches Testfeld und Impulsgeber
Proteste unter Beteiligung von rechten und neofaschistischen Akteuren sind keine Seltenheit. Vor allem in verschiedenen ostdeutschen Städten wird wöchentlich mit Friedensforderungen, aber bspw. auch mit Losungen für den „Stopp der Massenmigration“ zu Montagsprotesten mobilisiert. Man wähnt sich in einer Kontinuität zu den Protesten in der DDR, sowie zu den Corona-Demos und Pegida-Aufmärschen.
In Dresden stellen die Ostermärsche einen Höhepunkt derartiger Mobilisierungen dar. Dort demonstrierten dieses Jahr 6.000 Menschen unter dem Motto „Frieden kennt keine Brandmauer“. AfD und Freie Sachsen beteiligten sich mit Transparenten, Schildern, Ordnern und lieferten die nötige Infrastruktur für die Demo. Auf der Bühne begrüßte der Organisator und Freie-Sachsen-Aktivist Marcus Fuchs Redner wie den Komiker Uwe Steimle, den TV-Pfarrer Jürgen Fliege, die Politologin Ulrike Guérot, den Schauspieler Dieter Hallervorden und den Liedermacher Tino Eisbrenner. Nahezu alle betonten, wie wichtig es sei, sich angesichts der Kriegsgefahr nicht mehr in Rechts und Links spalten zu lassen.
Die Querfront setzt Impulse: Vor dem Hintergrund solcher Mobilisierungserfolge erleben wir, wie sich vermehrt Friedensaktivisten für eine Zusammenarbeit mit rechten Kräften aussprechen. Wer aktiv in der Friedensbewegung ist, ist ständig damit konfrontiert, wie die Notwendigkeit, Massen auf die Straße zu bringen auf unsere gesellschaftliche Bedeutungslosigkeit stößt. So werden beispielsweise die Montagsproteste als attraktive Anlaufstelle wahrgenommen. Dass sich dort in verschiedenen Städten Neonazis an der Organisation beteiligen, Transparente tragen und Reden halten, bringt der Freude über wöchentliche „Friedensdemonstrationen“ keinen Abbruch.[1]
Nachdem Ulrike Guerot sich öffentlichkeitswirksam mit Björn Höcke über das Potential der AfD als Friedenspartei austauschte, zog mit Dieter Dehm die nächste „Größe“ der Friedensbewegung nach, um sich (im YouTube Kanal von Compact) mit dem AfD-Landeschef zu unterhalten. Die AfD sei zwar keine klare Anti-NATO-Partei, aber immerhin für Frieden mit Russland, so Dehm.[2] Ein Achtungszeichen bietet in dieser Hinsicht der Aufruf „Marxisten für Zusammenarbeit mit der AfD“, der sich für eine rechtsoffene Friedensbewegung ausspricht.
Alle für den Frieden?
Wie argumentieren die Unterstützer der Querfront für eine solche Zusammenarbeit? Inhaltliche und organisatorische Eigenständigkeit sind kein Luxus ruhiger Zeiten, sondern Voraussetzung für eine starke Friedensbewegung. Die Querfrontals dezidiert rechtes Projekt greift um dem entgegenzuwirken auf Linke-Unterstützer zurück, deren allgemeines Credo lautet: Es „muss zunächst mit allen Mitteln und Bündnispartnern verhindert werden, dass der ‚westlich‘ dominierte Imperialismus aus den Befehlszentren und Untergründen der NATO die Erde in einen dritten, womöglich atomaren Weltkrieg reißt.“[3] So formulieren es beispielsweise die Unterzeichner des Aufrufes „Marxisten wollen für Frieden punktuell mit AfD“, die einen „Kurswechsel der traditionellen Friedensbewegung“ fordern.
Die Argumentation ist häufig die Gleiche. Das formulierte Ziel ist die Verhinderung des Dritten Weltkriegs. Die Gefahr eines „nuklearen Infernos“ wird dabei häufig als Totschlagargument genutzt. Man habe angesichts dieser Entwicklung keine Zeit mehr, sich über politische Differenzen und unterschiedliche Orientierungen zu streiten. Ganz in diesem Sinne agitiert beispielsweise Reiner Braun dafür der „Ausgrenzeritis“ den Kampf anzusagen und für einen „Minimalkonsens“ zu streiten. Als Linker könne man nur „rechtsoffen“ sein, so Braun.[4]
Die notwendige Voraussetzung für den Anti-Kriegs-Kampf ist eine starke, große und breite Friedensbewegung. Die größte Masse an Menschen mit einer Antikriegshaltung fänden sich aber innerhalb der AfD, so die Einschätzung der Freidenker und namhafter Größen der Friedensbewegung.[5] Die Querfront, also die Zusammenarbeit mit diesen Kräften, erscheint ihnen daher logisch, ja unumgänglich, wenn man Schlagkraft entwickeln möchte.
Die Friedensdemagogie der AfD schlägt Wurzeln, aber sollte uns das überraschen? Ist mit der Losung des Friedens nicht für jeden Krieg mobilisiert worden und hat nicht jede Propagandamaschine, vom ersten Weltkrieg bis zur Bombardierung Jugoslawiens, genau das bewiesen? Wenn wir keine Strategie gegen rechte Organisationen und Parteien in der Friedensbewegung entwickeln, werden sich Kräfte wie die AfD an die Spitze setzen, die in der Praxis für die Wehrpflicht, bedingungslose Unterstützung für Israel und das 5% Aufrüstungsziel der NATO einstehen.[6] Die AfD hat mir ihrer Fremdenfeindlichkeit noch dazu einen Hebel geschaffen, um den Frust der Massen auf Sozialabbau und Kriegspolitik stattdessen gegen Migranten zu richten.
Die völlig unterschiedlichen Positionen und Einschätzungen, die in der Kommunistischen Bewegung zur AfD vorherrschen, stellen nicht nur ein großes Problem für antifaschistische Kämpfe dar, sondern auch für den Kampf in der Friedensbewegung. Es mangelt an kollektiver Beschäftigung und Bildung, sowie an Diskussionen zur Rolle und zum Charakter der AfD.
Streit auf Augenhöhe?
Die Unterstützer der Querfront halten entgegen: Wenn „wir als ‚Linke‘ dafür dann auch neben ‚Rechten‘ demonstrieren“ (…) „werden wir doch dabei den kultivierten Streit über offene Fragen, die uns etwa von der AfD trennen, nicht scheuen!“[7]
Wir unterstellen den Unterzeichnern des zitierten Manifestes, dass sie sich als Marxisten nicht die Illusion machen, die AfD sei immun gegen den Kriegsdrang des Imperialismus. Aber wenn sie das nicht ist, dann muss diese Friedensbewegung, um konsequent antimilitaristisch zu werden oder zu bleiben, unabhängig von der AfD arbeiten. Dann geht es nicht um „offene Fragen“, sondern um grundlegend verschiedene Interessen zwischen der Bewegung und der AfD. Dann ist „kultivierter Streit“ nicht mehr als die Kapitulation vor den gesellschaftlichen Kräfteverhältnissen. Denn Fakt ist, dass einerseits die Friedensbewegung klein, geschwächt und in Teilen orientierungslos ist. Sie trägt nicht mehr den Charakter einer realen gesellschaftlichen Bewegung, sondern ist vielmehr eines Überbleibsels. Andererseits haben die AfD und neofaschistische Gruppierungen ein relativ klares Programm vor Augen. Die Querfront ist eine rechte Taktik zur Stärkung der Rechten selbst – und solange oder sobald sie die Hegemonie haben, müssen sie sich auch nicht scheuen, eine Querfront einzugehen. Sie haben nichts zu verlieren.
Dieser „kultivierte Streit“ fände also mit einer starken, staatlich finanzierten Partei und Bewegung statt, die strategisch und organisatorisch gewappnet ist, die Friedensbewegung zu vereinnahmen, und das auch bereits tut. Und noch dazu kommt es in der Realität häufig gar nicht zum „kultivierten Streit“. Stattdessen wird Kritik an rechten Organisationen und ihren Funktionären zugunsten der „Querfront“ und der Zusammenarbeit mit „der breiten Masse“ untergeordnet. Aber letztlich beides: Sowohl der „kultivierte Streit“, der der Stellung der AfD nichts entgegensetzt als auch die Unterordnung dienen vor allem der Legitimation der weitaus stärkeren und einflussreicheren Initiatoren der Querfront.
Wenn die Unterstützer der Querfront die Kritik an diesem schädlichen Opportunismus in eine Frage der „Links-Rechts-Verwirrung“ umdeuten, ist das Ausdruck des unpolitischen Umgangs mit der Friedensbewegung. Klaus Hartmann, aber auch Dieter Dehm, bezeichnen das „Links-Rechts-Schema“ bspw. häufig als „Irrationalismus“.[8] Die Betitelung der AfD als „rechtsextrem“ wird vorrangig als Strategie anderer bürgerlicher Parteien betrachtet, die im Hintergrund eine Faschisierung und Militarisierung der Gesellschaft vorantreiben. Falsch ist das nicht – aber leider nur die halbe Wahrheit, wenn das Ziel sein soll, der Friedensbewegung Orientierung zu geben. Die AfD trägt mit ihrer chauvinistischen und rassistischen Propaganda einen wesentlichen Teil zur Kriegsvorbereitung bei.
Für jeden „Marxisten“ sollte ersichtlich sein, dass man die AfD und die Freien Sachsen genauso wenig wie die SPD und die Grünen als Partner in der Bewegung empfangen darf. Es ist und bleibt uns ein Rätsel, wie neue bürgerliche oder offen reaktionäre Parteien als grundsätzlich vertraute Partner behandelt werden, weil sie plötzlich eine scheinbar(!) wünschenswerte Linie vertreten.
Aber die Anhänger und Mitläufer?
Die Integration und Ablenkung von Protestpotentialen ist eine wichtige Funktion der AfD. Während die Partei eine Formierung von neofaschistischen und (national-)konservativen Kräften vorantreibt, gibt sie sich weiterhin erfolgreich als Partei des kleinen Mannes, als Interessenvertreterin der Ostdeutschen und als Partei gegen den elitär-linksgrünen, antirussischen Mainstream. Ihre Agitation gegen Waffenlieferungen an die Ukraine und gegen Russland-Sanktionen trifft auf die Zustimmung Vieler, die ein ernsthaftes Interesse an Frieden mit Russland haben. Kein Wunder, die bürgerlichen Medien treiben ganz bewusst unzufriedene Bevölkerungsschichten in die Arme der AfD: „Du bist für Frieden mit Russland? Dann willkommen in einer Ecke mit den Putinknechten von der AfD“ lautet hier das Credo.
Und ja, genau deshalb muss vor allem die Anhängerschaft dieser Partei, davon überzeugt werden, dass ihr Interesse nach Frieden und sozialer Sicherheit nicht durch die AfD vertreten wird und der Rassismus der Partei zur Spaltung und Ablenkung dient. Das wird allerdings niemals gelingen, wenn man sich der Querfront hinwendet, die AfD einlädt, legitimiert und ihr eine Bühne bietet. So kaschiert man lediglich die eigene Bedeutungslosigkeit, anstatt dieses Problem aufzuarbeiten und anzugehen.
Für einige Organisationen und Aktivisten ist die Querfront und allem voran die AfD deshalb eine tatsächliche Alternative geworden: Eine Alternative dazu, eine eigenständige Orientierung entwickeln zu müssen und sich langsam und hartnäckig aus der Bedeutungslosigkeit herauszukämpfen, in die uns die Konterrevolution alle geworfen hat. Vor allem aber eine Alternative dazu, sich genau diese Bedeutungslosigkeit einzugestehen. In der Masse der Querfrontmobilisierung fühlen sich kommunistische und Friedenskräfte endlich wieder in ihr Recht gesetzt, Teil einer großen Bewegung zu sein. Die Orientierung auf die Querfront scheut den ernsthaften Kampf um eine internationalistische und antiimperialistische Bewegung – eine Friedensbewegung, die Deutschland wirklich braucht.
[1] Der Telegramkanal der Freien Sachsen Dresden liefert zahlreiche Belege; https://t.me/freiesachsen_dresden/5623 https://t.me/freiesachsen_dresden/5582 https://t.me/freiesachsen_dresden/5555 https://t.me/freiesachsen_dresden/5550
[2] Compact: Dehm Uncut, ab Minute 17:30.
[3] Autorenkollektiv, Marxisten wollen für Frieden punktuell mit AfD
[4] Herbert Münchow: Brückenbauer, https://www.unsere-zeit.de/brueckenbauer-4779028/.
[5] Siehe: Doris Pumphrey: Friedensbewegung zwischen NATO-Mantra, Äquidistanz und Abgrenzung. In: Protestbewegungen. Strategien der Zersetzung und Spaltung (Freidenker 2-24), S. 23. Und: Diether Dehm: Ein neuer deutscher Faschismus – kommt er wieder völkisch?. In: Protestbewegungen. Strategien der Zersetzung und Spaltung (Freidenker 2-24), S. 33. Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann (2025): Ist die Entscheidung wirklich so schwer? | Linke Zeitung. Klaus Hartmann (2024): Wählen? Aber wen? Von Klaus Hartmann – Sicht vom Hochblauen.
[6] https://kommunistische-organisation.de/stellungnahmen/warum-die-afd-keine-friedens-und-arbeiterpartei-und-die-ampel-keine-alternative-gegen-rechts-ist/
[7] Autorenkollektiv, Marxisten wollen für Frieden punktuell mit AfD
[8] Video: Klaus Hartmann bei MOATS: https://www.freidenker.org/?p=18001