Faschismusdebatte und Erstarken neofaschistischer Kräfte in Indien

Themen: Faschismus

Ein Aufmarsch der paramilitärischen faschistischen RSS. Foto von: Suyash Dwivedi, Wikimedia Commons, CC BY-SA 4.0

von Surjeet Singh

Wir veröffentlichen die einzelnen Kapitel und Abschnitte der Broschüre „Faschismus – Kommunistische und bürgerliche Analysen im Überblick“ als Fließtexte Online. Die gesamte Broschüre ist bereits auf der Website verfügbar.


Einleitung

Nach über zehn Jahren Regierung unter Narendra Modi und seiner BJP (Bharatiya Janata Party) wird in Indien zunehmend über die Frage des Faschismus diskutiert. Verschiedene kommunistische Parteien, darunter die CPI (Communist Party of India) und die CPI(ML) (Communist Party of India – Marxist-Leninist), bezeichnen die gegenwärtige politische Führung offen als faschistisch. Im Gegensatz dazu ist die CPI(M) (Communist Party of India – Marxist) in der Verwendung des Begriffs „faschistisch“ zurückhaltender und bemüht sich um eine differenzierte Analyse. Für diesen Ansatz wurde sie von anderen linken Parteien kritisiert, die ihr vorwerfen, den Charakter der aktuellen indischen Regierung nicht klar genug zu benennen. Statt den indischen Staat oder die gegenwärtige politische Ordnung direkt als faschistisch zu bezeichnen, erklärte die CPI(M) kürzlich, dass die derzeitige Regierungsform „neofaschistische Merkmale“ aufweise.

Der vorliegende Text beleuchtet einige grundlegende Aspekte dessen, was die CPI(M) unter „Neofaschismus“ und „neofaschistischen Merkmalen“ versteht. Der Text gliedert sich in vier Teile:

Abschnitt 1 befasst sich mit der Einschätzung und Charakterisierung der Modi-Regierung durch die CPI(M). Grundlage dafür sind die letzten vier politischen Resolutionen der Partei, die auf den vergangenen vier Parteitagen verabschiedet wurden.

Abschnitt 2 analysiert die Auffassung von Faschismus und Neofaschismus durch die CPI(M), die eng mit dem Verständnis der Partei bezüglich der Entwicklung des Imperialismus nach dem Zweiten Weltkrieg verknüpft ist. Dabei wird auch auf den Klassencharakter der herrschenden Eliten in Indien eingegangen und darauf, wie diese zu untergeordneten Verbündeten des von den USA geführten Imperialismus geworden sind. Nach Auffassung der CPI(M) bedingt diese Unterordnung den Einsatz „neofaschistischer“ Kräfte innerhalb Indiens.

Abschnitt 3 untersucht die verschiedenen Akteure und Kräfte, die den Wandel hin zu einem Neofaschismus in Indien vorantreiben – insbesondere die RSS (Rashtriya Swayamsevak Sangh), eine landesweite Organisation mit faschistischen Zügen, die eine hinduistische Vorherrschaft anstrebt. Thematisiert wird auch die Ideologie der RSS, das sogenannte Hindutva, sowie das enge Verhältnis zwischen der RSS und der BJP, dem politischen Arm der Organisation. Dieser Abschnitt beleuchtet außerdem, wie die indische Großbourgeoisie und das internationale Finanzkapital die Agenda der RSS unterstützen.

Teil 4 schließlich thematisiert die Angriffe der Modi-Regierung auf die hart erkämpften Rechte der Arbeiterklasse.

Es ist hervorzuheben, dass die CPI(M) eine differenzierte Debatte über die politische Entwicklung in Indien führt, um opportunistische oder falsche Allianzen mit nicht-linken bzw. bürgerlichen Parteien im Kampf gegen die BJP zu vermeiden. Angesichts der wachsenden Bedeutung einer breiten demokratischen Front gegen neofaschistische Kräfte ist eine präzise und vorsichtige Analyse entscheidend. Nur so lassen sich klare politische Grenzen zwischen bürgerlichen Kräften und der kommunistischen Bewegung aufrechterhalten – ein zentrales Anliegen dieser Debatte.

Die Kritik an der CPI(M) zielt daher weniger auf ihr Engagement gegen rechte und kapitalistische Kräfte ab – denn sie bleibt die stärkste organisierte linke Kraft im Land – sondern vielmehr auf die Frage der richtigen terminologischen Einordnung.[1] Drittens konnte die Partei aufgrund ihrer starken Präsenz in Massenorganisationen und sozialen Kämpfen eine praktisch relevante Debatte führen. Dies zwingt sie dazu, konkrete Antworten auf die brennenden Fragen der Gegenwart zu geben.

1. CPI(M)s Charakterisierung der Modi-Regierung

Seit dem Machtantritt der von der BJP geführten Koalitionsregierung NDA (National Democratic Alliance) im Jahr 2014 hat die CPI(M) vier nationale Parteitage abgehalten, auf denen jeweils eine eigene politische Resolution verabschiedet wurde. Die 21. Politische Resolution[2] aus dem Jahr 2015 bezeichnete Modis Regierungsübernahme als eine „Konsolidierung des Rechtsrucks in der indischen Politik“. Dieser Rechtsruck, so die Resolution, verknüpfe den neoliberalen Kurs mit der Hindutva-Bewegung und einer „proimperialistischen Ausrichtung“.

Auf dieser Grundlage erklärte die Partei den Kampf gegen die von Modi geführte BJP zur „wichtigsten Aufgabe“. Gleichzeitig betonte sie jedoch, dass sie auch im Widerstand gegen die BJP eine oppositionelle Haltung gegenüber der INC (Indian National Congress)[3] beibehalten werde und weder eine „Vereinbarung noch eine Wahlallianz“ mit dieser Partei eingehen wolle. Die CPI(M) warf der INC vor, durch ihre neoliberale und volksfeindliche Politik zur Popularität der BJP beigetragen zu haben.

In der 22. Politischen Resolution[4], die im Jahr 2018 veröffentlicht wurde, stellte die CPI(M) fest, dass die vier Jahre unter Narendra Modi „eine weitere Konsolidierung der politischen Rechten in Indien“ zur Folge gehabt hätten. Diese Entwicklung äußere sich in einer aggressiven Umsetzung neoliberaler Politik, einer Zunahme sektiererischer Gewalt, „autoritären“ Angriffen auf die parlamentarische Demokratie und deren Institutionen sowie in der Festigung Indiens als „strategischer Junior Partner der USA und des Imperialismus“.

Erstmals sprach die Partei in dieser 22.Resolution von der „Entstehung faschistischer Tendenzen“ sowie von „faschistischen Angriffen“ auf Minderheiten – darunter Muslime, Indigene, Menschen aus rückständigen Kasten – sowie auf progressive Intellektuelle. Ziel dieser Angriffe sei es, „Gegner der Hindutva einzuschüchtern“. Darüber hinaus stellte die Resolution fest, dass die BJP die INC als „dominante politische Kraft der großen bürgerlichen Landbesitzerklassen“ abgelöst habe.

Auf Grundlage dieser Einschätzungen erklärte die CPI(M), dass die Niederlage der BJP und ihrer Verbündeten die zentrale Aufgabe sei – eine Aufgabe, die durch die „Mobilisierung aller säkularen und demokratischen Kräfte“ erreicht werden müsse. Zwar ließ die Partei ein „Verständnis“ mit der INC in bestimmten, vorab abgestimmten Fragen zu, schloss jedoch weiterhin jede politische Allianz mit ihr aus.

Im Jahr 2019 wurde die von Narendra Modi geführte BJP mit einer noch größeren Mehrheit erneut ins Parlament gewählt. Trotz dieser gestärkten Position bezeichnete die 23. Politische Resolution[5], die im April 2022 veröffentlicht wurde, die Regierung weiterhin nicht als faschistisch. Stattdessen stellte die Resolution fest, dass die fortschreitende Machtkonsolidierung der BJP zu einem „voll entwickelten Autoritarismus“ geführt habe, in dem „die Regierung aggressiv die sektiererische Hindutva-Agenda der faschistischen RSS verfolgt“. Diese Agenda beinhalte „bösartige Hass- und Gewaltkampagnen gegen die muslimische Minderheit“.

Zudem hielt die Resolution fest, dass „sich die BJP-Regierung den strategischen, politischen und sicherheitspolitischen Interessen der USA untergeordnet hat“ und sich zu einem verlässlichen, untergeordneten Verbündeten des US-Imperialismus entwickelt habe. Die anhaltende Verfolgung neoliberaler Politik – betrieben auch im Interesse des Imperialismus – untergrabe die wirtschaftliche Souveränität Indiens und habe „die Wirtschaft in eine andauernde Rezession und Krise gestürzt“, eine Krise, die autoritäre Herrschaftsformen erforderlich mache.

Darüber hinaus enthält die Resolution zwei zentrale Einschätzungen: Erstens habe sich unter Modi eine sichtbare Kooperation zwischen bestimmten Sektoren der Großindustrie und dem Staat herausgebildet. Zweitens signalisiere der systematische und organisierte Angriff auf die säkularen und demokratischen Grundsätze der indischen Verfassung „die wachsende Realität, dass die Modi-Regierung Indien in Richtung eines Hindutva-Staates führt“.

Vor diesem Hintergrund erklärte die Resolution, dass die Hauptaufgabe darin bestehe, die BJP zu isolieren und zu besiegen. Dies schließe auch die Zusammenarbeit mit säkularen Oppositionsparteien im Parlament in ausgewählten Fragen mit ein. Die Resolution betonte zudem ausdrücklich, dass geeignete Wahlkampftaktiken anzuwenden sind, um bei Wahlen die Bündelung der Anti-BJP-Stimmen zu maximieren.

Die oben genannte politische Taktik, die in der 23. Politischen Resolution verabschiedet wurde, führte zur Bildung des sogenannten I.N.D.I.A. Bloc (Indian National Developmental Inclusive Alliance). Im Rahmen dieses Blocks schlossen sich rund 20 prominente regionale und nationale Parteien, darunter die INC und die CPI(M), auf einer Plattform zur Mandatsverteilung (keine politische Allianz) zusammen, um bei den nationalen Wahlen, die von April 2024 bis Juni 2024 stattfanden, möglichst viele Anti-BJP-Stimmen zu bündeln.[6]

Während die INDIA-Plattform von tiefen politischen Widersprüchen zwischen den beteiligten Parteien geprägt war, bestand das gemeinsame Anliegen der Plattform in der Verteidigung des demokratischen und säkularen Charakters der indischen Verfassung gegen die erstarkten rechten Kräfte und faschistischen Organisationen, die von der „großen Bourgeoisie“ des Landes unterstützt wurden.

Infolge der Mandatsverteilungsplattform gelang es der BJP nicht, bei den nationalen Wahlen die Mehrheit zu erringen. Zwar konnte die BJP mithilfe ihrer Verbündeten erneut eine Koalitionsregierung bilden, doch bezeichnete die CPI(M) das Ergebnis als Rückschlag für die BJP, da diese ihre Mehrheit im Parlament verloren hatte – ein Verlust, der als „herber Schlag für das Image der Unbesiegbarkeit, das um Narendra Modi aufgebaut worden war“, gewertet wurde. [7]

Das Wahlergebnis wurde als Ablehnung der von der BJP und ihren Verbündeten propagierten sektiererischen und hasserfüllten Politik sowie als Urteil über die mangelhafte Regierungsleistung in Bereichen wie Arbeitslosigkeit, Preissteigerungen und der Notlage der Landwirtschaft verstanden. Die Partei erklärte, das Ergebnis wäre für die BJP und ihre Verbündeten noch schlechter ausgefallen, hätte die Wahlkommission für faire Wettbewerbsbedingungen gesorgt – insbesondere durch das Unterbinden des Missbrauchs zentraler Behörden gegen Oppositionsparteien, des massiven Geldeinsatzes durch die BJP sowie der hetzerischen, hasserfüllten und sektiererischen Rhetorik Narendra Modis.

Insgesamt erklärte die CPI(M), das Wahlergebnis sei „ein Signal, dass die Menschen alle Angriffe auf die Demokratie, die Verfassung und ihre Lebensgrundlagen zurückschlagen werden“.

Aufgrund ihrer unabhängigen Stärke spielte die CPI(M) eine entscheidende organisatorische und ideologische Rolle bei der Bildung des I.N.D.I.A.-Blocks.

Die Debatte und die „Kontroverse“ um die Verwendung oder Nichtverwendung des Begriffs „Faschismus“ verschärften sich innerhalb der indischen kommunistischen Bewegung mit dem Abschluss des 24. Nationalen Parteitags der CPI(M) (2. bis 7. April 2025). Die daraus hervorgegangene 24. Politische Resolution[8] der CPI(M) erklärt, dass trotz der Zunahme der Kämpfe der Bevölkerung gegen das von der Modi-Regierung vertretene Hindutva-Unternehmensregime die autoritären Bestrebungen der Regierung zur Unterdrückung der Opposition und der Demokratie „neofaschistische Merkmale“ aufweisen. Damit verwendet die CPI(M) zum ersten Mal den Begriff „faschistisch“ in direktem Bezug auf die nationale Situation. Es ist jedoch wichtig anzumerken, dass die Partei die Modi-Regierung nach wie vor nicht eindeutig als faschistisch einstuft, sondern erklärt, dass die gegenwärtige Regierungsform „neofaschistische Merkmale“ aufweise. Das Wort „Merkmale“ bezeichnet Eigenschaften oder Tendenzen, die sich jedoch noch nicht zu einer neofaschistischen Regierung und politischen Ordnung entwickelt haben. Außerdem verwendet die Partei den Begriff „neofaschistisch“ und nicht „faschistisch“, wenn sie über die Regierung Modi spricht.

Außerdem erklärt die Resolution, dass der autoritäre Angriff auf den säkularen, föderalen und demokratischen Charakter des indischen Staates sowie die sektiererische Gewalt und Marginalisierung von Minderheiten in den letzten Jahren zugenommen haben. In diesem Zeitraum hat die Regierung Modi ihre strategischen Beziehungen zu den Vereinigten Staaten verstärkt und sich zunehmend den geopolitischen Interessen der USA im asiatisch-pazifischen Raum und im Nahen Osten angepasst. Zudem hat die wachsende Dominanz des Imperialismus über die indische Wirtschaft in den letzten Jahren zu einer anhaltenden wirtschaftlichen Verlangsamung geführt, deren Last auf die arbeitenden Klassen, einschließlich der Bauernschaft, abgewälzt wurde, die unter einer schweren Agrarkrise leidet.

Auf Grundlage dieser Einschätzungen setzte die Partei die politische Taktik fort, die sie bereits in ihrer 23. Politischen Resolution beschlossen hatte. Sie erklärte den Kampf gegen die BJP und deren Isolierung zur Hauptaufgabe, die durch die Mobilisierung säkularer Kräfte und Oppositionsparteien im Land erreicht werden könne. Die Partei kündigte an, mit den Parteien des INDIA-Blocks im Parlament und bei vereinbarten Themen auch außerhalb des Parlaments zusammenzuarbeiten. Der kürzlich zu Ende gegangene 24. Parteitag räumte jedoch selbstkritisch ein, dass es der Partei nicht gelungen sei, die Vorgabe zur Stärkung der unabhängigen Parteikräfte umzusetzen.

Dies ist eine Zusammenfassung der Debatte und Analyse innerhalb der CPI(M) hinsichtlich der Charakterisierung der Modi-Regierung.

2. CPI(M)s Verständnis des Neofaschismus

2.1 CPI(M)s Analyse des Imperialismus und ihr Verständnis von „Neofaschismus“

Das Verständnis der CPI(M) vom Begriff „Neofaschismus“ ist eng mit ihrer Auffassung des heutigen Imperialismus verknüpft.

Die Partei sieht den Imperialismus gegenwärtig in einer Phase „gedämpfter“ interimperialistischer Widersprüche – im Gegensatz zur Frühphase des Imperialismus, als die stark ausgeprägt waren und schließlich zu den beiden Weltkriegen führten.

Imperialismus und Faschismus im frühen 20. Jahrhundert

In ihrer „Anmerkung zur Verwendung des Begriffs ‚Neofaschismus‘“ vom 4. Februar 2025 erklärt die Partei, dass der Begriff „neo“ neu oder eine zeitgenössische Version von etwas Älterem bedeutet. Neofaschismus wird verwendet, um ihn vom klassischen Faschismus zu unterscheiden, der in den Zwischenkriegsjahren in Europa entstand – etwa in Italien unter Mussolini und in Deutschland unter Hitler.

In dieser Zeit führte die Weltwirtschaftskrise von 1929 bis 1933 zur Großen Depression, und die ‚interimperialistischen Widersprüche‘ verschärften sich, wobei „sowohl der Erste als auch der Zweite Weltkrieg ein Ergebnis interimperialistischer Widersprüche waren“. Die faschistischen Kräfte schafften nach ihrer Machtergreifung die bürgerliche Demokratie ab und nutzten den Krieg zur Steigerung der Rüstungsproduktion sowie zur Überwindung der Wirtschaftskrise. Das Monopolkapital in diesen Ländern unterstützte die faschistischen Kräfte uneingeschränkt, um mit extremen Maßnahmen die Krise zu bewältigen. Die prägenden Merkmale dieser Periode waren daher die verschärften interimperialistischen Widersprüche, die tiefe Wirtschaftskrise und die Unterstützung der faschistischen Kräfte durch das Monopolkapital.

Es fehlt jedoch der ausdrückliche Hinweis, dass neben der tiefen Wirtschaftskrise auch der daraus resultierende Weltkrieg den Versuch der imperialistischen Mächte darstellte, die Welt neu aufzuteilen. Die CPI(M) erkennt diesen wesentlichen Aspekt der beiden Weltkriege jedoch an und widerspricht ihm nicht.

Imperialismus heute

Die Partei argumentiert, dass die interimperialistischen Widersprüche heute „abgedämpft“ sind, wobei bestehende Rivalitäten nichtmilitärisch gelöst werden. Diese Dämpfung ist das Ergebnis der wirtschaftlichen, politischen und militärischen Konsolidierung einer Handvoll imperialistischer Länder unter der Hegemonie der USA nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Notwendigkeit einer solchen Konsolidierung ergab sich aus der massiven Zerstörung der Produktivkräfte in den imperialistischen Zentren während des Krieges, die diese Länder in eine existenzielle Krise stürzte. Diese Krise wurde durch die Stärkung des sozialistischen Blocks und der weltweiten nationalen Befreiungskräfte zusätzlich verschärft.

Die Möglichkeit einer solchen Konsolidierung entstand hingegen, weil die USA aus dem Krieg als unangefochtene wirtschaftliche und militärische imperialistische Macht hervorgingen, was ihnen eine Führungsrolle gegenüber anderen imperialistischen Mächten ermöglichte.

Die wirtschaftliche Konsolidierung der imperialistischen Mächte hat zu dem geführt, was die CPI(M) als „globales Finanzkapital“ bezeichnet. Dieses Finanzkapital, das „frei“ um die Welt fließt, ist das Resultat der Verschmelzung des Finanzkapitals der imperialistischen Länder. Die Wurzeln dieser Verschmelzung lassen sich bis zur Einführung des Bretton-Woods-Systems (BWS) nach dem Zweiten Weltkrieg zurückverfolgen, das entscheidend zur wirtschaftlichen Stabilität des Imperialismus beitrug.

Während das BWS die Verschmelzung ermöglichte, führte die Abschaffung des Systems im Jahr 1973 und die Einführung eines neoliberalen Regimes zur Entfesselung des nun verstärkten Finanzkapitals. Die während des BWS-Regimes auferlegten Kapitalverkehrskontrollen wurden aufgehoben, was dem globalen Finanzkapital ermöglichte, weltweit zu fließen und sich dadurch herauszubilden. Dieses globale Finanzkapital erleichtert die Dämpfung der interimperialistischen Widersprüche. Die materielle Grundlage für diese Dämpfung liegt also in der aktuellen Wirtschaftsstruktur des Imperialismus bzw. in der Entwicklungsstufe des Finanzkapitals.

Die Existenz des „globalen Finanzkapitals“ bedeutet, dass der Imperialismus heute – anders als zu Beginn des 20. Jahrhunderts, als das Finanzkapital einzelner imperialistischer Mächte die ausschließliche Kontrolle über ihre Kolonien ausübte – keine ausschließlichen Finanzkolonien mehr besitzt. Stattdessen ist das Finanzkapital jeder imperialistischen Macht, das gemeinsam als „globales Finanzkapital“ fließt, in jedem Land der Peripherie präsent. So war Indien zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine ausschließliche Finanzdomäne des britischen Imperialismus, während heute die Finanzkapitale aller imperialistischen Mächte – darunter die USA, Großbritannien, Deutschland, Frankreich usw. – in diesem Land vertreten sind. Für die CPI(M) ist das „globale Finanzkapital“ das hervorstechendste Merkmal des heutigen Imperialismus, da es bedeutet, dass die imperialistischen Mächte keine exklusiven Finanzdomänen mehr besitzen.

Die Dämpfung der interimperialistischen Widersprüche bedeutet jedoch nicht, dass diese nicht mehr existieren. Sie bestehen weiterhin, und bemerkenswert ist, dass sie mit nichtmilitärischen Mitteln gelöst werden. In ihrer ideologischen Resolution von 2012 erklärte die Partei, dass die Widersprüche zwischen den imperialistischen Ländern nicht nur „existieren, sondern sich angesichts des kapitalistischen Grundgesetzes der ungleichen Entwicklung in Zukunft zwangsläufig verschärfen werden“. Dies führt zu Interessenkonflikten zwischen den kapitalistischen Zentren, deren relative Stärke sich häufig in Auseinandersetzungen um die Kontrolle von Ressourcen oder in Bestrebungen zur Neuordnung der Welt niederschlägt. [9]

Tatsächlich hat die CPI(M) in den letzten zehn Jahren argumentiert, dass sich die interimperialistischen Widersprüche infolge der seit 2007/08 andauernden Wirtschaftskrise erneut verschärfen – wie etwa der Brexit und die Sprengung von Nord Stream II zeigen. Die Wirtschaftskrise und die Unfähigkeit des Imperialismus, aus dieser herauszukommen, verschärfen den zentralen Widerspruch des Kapitalismus – den zwischen Kapital und Arbeit –, was wiederum andere Widersprüche verstärkt, einschließlich der interimperialistischen Widersprüche, des Widerspruchs zwischen imperialistischen und nichtimperialistischen Ländern sowie des Widerspruchs zwischen Imperialismus und Sozialismus. In der 24. politischen Resolution der Partei wurde erklärt, dass mit der Wahl Trumps in den USA „die Möglichkeit besteht, dass es aufgrund seiner Politik in Bezug auf den Klimawandel, das europäische Bündnis und die NATO erneut zu Spannungen zwischen den imperialistischen Ländern kommt“.

Neofaschismus

Für die CPI(M) ist die anhaltende Wirtschaftskrise des Imperialismus die materielle Grundlage des Neofaschismus. In ihrer Anmerkung zur Verwendung des Begriffs „Neofaschismus“ bezeichnet die Partei den Neofaschismus als „Produkt der Krise des Neoliberalismus“ und als ein „globales Phänomen“.[10] Weiter heißt es, dass „neofaschistische Kräfte in verschiedenen Ländern entstanden sind und in einigen wenigen an die Macht gekommen sind. Anders als in den 1930er Jahren sind die zwischenimperialistischen Widersprüche heute jedoch aufgrund des Aufstiegs des globalen Finanzkapitals gedämpft, sodass neofaschistische Regime keine Kriege aus imperialistischen Rivalitäten heraus führen. Zudem „versuchen rechtsextreme und neofaschistische Kräfte, die neoliberale Krise und die daraus resultierende Unzufriedenheit der Bevölkerung mit populistischer Rhetorik auszunutzen. Wenn sie jedoch an die Macht kommen, brechen sie nicht mit der neoliberalen Politik, sondern verfolgen weiterhin dieselbe Politik, die im Interesse des Großkapitals steht.“

Obwohl die Wirtschaftskrise nach wie vor die materielle Grundlage des Neofaschismus bildet, ist bemerkenswert, dass die imperialistischen Länder aufgrund der gedämpften interimperialistischen Widersprüche nicht miteinander Krieg führen. Stattdessen wird die Last der Krise und der sich verschärfenden Widersprüche von rechtsextremen und neofaschistischen Kräften auf die arbeitende Bevölkerung abgewälzt, sobald sie an die Macht gelangen. Diese Kräfte lösen sich nicht von der neoliberalen Politik, obwohl sie durch die Ausnutzung der Unzufriedenheit der arbeitenden Bevölkerung an die Macht gekommen sind.

Ein weiteres bemerkenswertes Merkmal des Neofaschismus, wie in der Anmerkung erläutert, ist, dass er ein globales Phänomen ist. Dies liegt daran, dass die imperialistische Krise globale Ausmaße hat. Das globale Finanzkapital unterstützt die rechtsextremen und neofaschistischen Kräfte, die in verschiedenen Ländern aktiv sind und in den Diensten des Finanzkapitals die arbeitenden Menschen weiterhin angreifen.

Laut der CPI(M) nutzen die neofaschistischen Kräfte Wahlen, um ihr politisches Projekt voranzutreiben, verzichten jedoch nicht auf das Wahlsystem, sobald sie an der Macht sind. Stattdessen unterdrücken sie oppositionelle Kräfte mit „autoritären“ Methoden und „streben an, durch Arbeit von innen heraus Veränderungen in der Staatsstruktur für einen längeren Zeitraum herbeizuführen“. Es muss genauer untersucht werden, warum die neofaschistischen Kräfte nicht auf das Wahlsystem verzichten und wie sie versuchen, die Staatsstruktur von innen heraus zu verändern. Zudem stellt sich die Frage, wie lange diese Kräfte das bürgerliche Wahlsystem aufrechterhalten würden – und wann sie es schließlich abschaffen.

2.2 Der Charakter der herrschenden Klassen Indiens, ihre Unterordnung unter den US-geführten Imperialismus und die Notwendigkeit „neofaschistischer“ Kräfte in Indien

Es ist von großer Bedeutung, den Charakter der herrschenden Klassen in Indien und ihre Beziehung zum Imperialismus zu verstehen.

Das Programm[11]  der CPI(M) weist darauf hin, dass der indische Kampf für nationale Befreiung, obwohl er „dank der massiven Beteiligung der Arbeiterklasse, der Bauernschaft, der Mittelschicht, der Intelligenz, der Frauen, der Studenten und der Jugend“ erfolgreich war, dennoch unter der Führung der Bourgeoisie stand. Dies führte dazu, dass auch die Führung des neu unabhängigen indischen Staates in die Hände der Bourgeoisie fiel. Für die Erneuerung der indischen Gesellschaft nach der Unabhängigkeit im Jahr 1947 war es entscheidend, die Fesseln zu sprengen, die den Produktivkräften durch den parasitären Großgrundbesitz und das ausländische Kapital auferlegt worden waren. „Aus Angst vor den möglichen Folgen einer konsequenten Umsetzung der Aufgaben der demokratischen Revolution schmiedete die Großbourgeoisie jedoch ein Bündnis mit den Großgrundbesitzern und ging Kompromisse mit dem Imperialismus ein.“ Seit der Unabhängigkeit 1947 wird der indische Staat von der Großbourgeoisie geführt, die ein Bündnis mit den Großgrundbesitzern eingegangen ist und Kompromisse mit dem Imperialismus gemacht hat. Das ist der Charakter der herrschenden Klassen in Indien. Die INC (Indian National Congress) war die politische Front dieser herrschenden Klassen, bis sie im Laufe des letzten Jahrzehnts von der BJP abgelöst wurde.

Die Beziehung der indischen Großbourgeoisie zum Imperialismus muss besser verstanden werden. Die CPI(M) erklärt, dass diese Beziehung von „Konflikt“ und „Kollusion“ geprägt ist. Im Parteiprogramm heißt es:

„3.4 Nach der Unabhängigkeit manifestierte sich der duale Charakter der Bourgeoisie in Konflikten und Kollusion mit dem Imperialismus. Die Großbourgeoisie, die die Führung des Staates übernahm, schlug einen besonderen Weg der kapitalistischen Entwicklung ein. Sie ging Kompromisse mit dem Imperialismus ein und hielt an ihrem Bündnis mit dem Großgrundbesitz fest. Sie nutzte ihren Einfluss auf den Staat, um ihre Position zu stärken, indem sie einerseits das Volk angriff und andererseits versuchte, die Konflikte und Widersprüche mit dem Imperialismus und dem Großgrundbesitz durch Druck, Verhandlungen und Kompromisse zu lösen. In diesem Prozess hat sie enge Verbindungen zu ausländischen Monopolisten geknüpft und teilt die Macht mit den Großgrundbesitzern. Mit der Liberalisierung ist die Großbourgeoisie zur stärksten Verfechterin der Öffnung der Wirtschaft für ausländisches Kapital und des Aufbaus enger Verbindungen zum internationalen Finanzkapital geworden; sie ist die treibende Kraft hinter der Forderung nach Privatisierung des öffentlichen Sektors und der gesamten Wirtschaft.“

Die obige Analyse der CPI(M) zeigt, dass Indien zwar in hohem Maße politische und sogar wirtschaftliche Unabhängigkeit erlangte, das ausländische Finanzkapital jedoch in gewissem Umfang in der indischen Wirtschaft präsent blieb. Die Präsenz des Imperialismus in Indien nahm in den 70er- und 80er-Jahren allmählich zu, doch erst in den 1990er-Jahren gelang es dem Imperialismus und dem ausländischen Kapital (globalem Finanzkapital), infolge des Strukturanpassungsprogramms, das zur Liberalisierung und Privatisierung der indischen Wirtschaft führte, tief in die indische Wirtschaft einzudringen. Seit den 1990er-Jahren wurde fast jeder Sektor der indischen Wirtschaft – darunter Einzelhandel, Banken, Versicherungen, verarbeitende Industrie, Bergbau, Bildung, Eisenbahn, Medizin, Landwirtschaft, Immobilien usw. – für die Übernahme durch den Imperialismus geöffnet. Wie die CPI(M) oben klarstellt, ist die indische Großbourgeoisie der größte Befürworter der Privatisierung und Liberalisierung der indischen Wirtschaft, um dem imperialistischen Kapital den Zugang zu ermöglichen, und hat so enge Verbindungen zum globalen Finanzkapital geknüpft. Infolge dieser starken Verbindungen ist Indien im Laufe der Jahre zwangsläufig zu einem untergeordneten und starken Verbündeten des von den USA angeführten Imperialismus geworden, was sich in Indiens Unterstützung des Völkermords Israels und seiner Ausrichtung auf die strategischen Ziele der USA im asiatisch-pazifischen Raum zeigt.

Heute jedoch stecken der Imperialismus und der globale Finanzkapitalismus in einer tiefen Wirtschaftskrise. Die engen Verbindungen zwischen der indischen Wirtschaft und dem Imperialismus bedeuten, dass die Krise des Imperialismus auch auf die indische Wirtschaft übergegriffen hat. Alle oben genannten politischen Resolutionen der CPI(M) thematisieren beide Probleme: die sich verschärfende und anhaltende Wirtschaftskrise des Imperialismus und die zunehmende Unterordnung Indiens unter den von den USA angeführten Imperialismus. Für die CPI(M) bilden diese beiden Aspekte die materielle Grundlage für das Verständnis der gegenwärtigen politischen Situation in Indien. Die zunehmende Unterordnung Indiens unter die USA und die anhaltende Wirtschaftskrise des Imperialismus – und damit die Krise der indischen Wirtschaft – erfordern den Einsatz rechtsextremer und neofaschistischer Kräfte, um die Lasten der Krise auf die arbeitende Bevölkerung abzuwälzen und zu verschärfen. Die herrschenden Klassen benötigen autoritäre Maßnahmen aufgrund der Verzweiflung, die durch den anhaltenden wirtschaftlichen Abschwung im Land und den fortwährenden Widerstand der Arbeiterklasse gegen die Angriffe auf ihre Rechte entsteht.

3. Die Zusammensetzung und der Charakter der neofaschistischen Kräfte in Indien und der Angriff auf die Rechte der Arbeiterklasse.

Die CPI(M) beschreibt in ihrer Anmerkung zur Verwendung des Begriffs „Neofaschismus“ die Zusammensetzung der neofaschistischen Kräfte in Indien wie folgt:

„In Indien wird der Neofaschismus von der RSS und ihrer Hindutva-Ideologie geprägt, die gemäß unserem Parteiprogramm faschistisch ist und unter der Herrschaft der BJP Macht ausüben kann. Die Kombination aus der sektiererischen Hindutva-Ideologie, der neoliberalen Krise und der Durchsetzung des Autoritarismus im Interesse der Großbourgeoisie sind allesamt Bestandteile eines Proto-Neofaschismus.“

Somit sind die RSS (Rashtriya Swayamsevak Sangh) mit ihrer Hindutva-Ideologie, die BJP als ihr politischer Arm, der Neoliberalismus, der Imperialismus und die Großbourgeoisie die wichtigsten Faktoren, die berücksichtigt werden müssen, wenn man über Neofaschismus in Indien spricht. Über den Charakter der BJP und ihre Beziehung zur RSS schreibt das Programm der CPI(M) Folgendes:

„7.14 Die BJP ist keine gewöhnliche bürgerliche Partei, da sie von der faschistischen Rashtriya Swayamsevak Sangh geleitet und dominiert wird. Wenn die BJP an der Macht ist, erhält die RSS Zugang zu den Instrumenten der Staatsmacht und zum Staatsapparat. Die Hindutva-Ideologie fördert die Wiederbelebung und lehnt die vielfältige Kultur Indiens ab, mit dem Ziel, eine Hindu Rashtra (Hindu-Nation) zu errichten.“

Für die CPI(M) ist die BJP also keine normale Partei, da sie von der faschistischen RSS kontrolliert wird, deren Ziel die Errichtung einer Hindu-Nation ist. Die BJP ist der politische Arm der RSS. Um die BJP beurteilen zu können, ist es daher entscheidend, die RSS zu verstehen.

Die CPI(M) beschreibt die Rashtriya Swayamsevak Sangh, was grob übersetzt „Nationale Selbsthilfeorganisation“ bedeutet, als „die größte Bedrohung für die Einheit und Integrität Indiens, für seinen demokratischen und sekulären Charakter und für die indische Verfassung selbst. Durch ihre spaltenden und faschistischen Aktivitäten dient die Sangh den Interessen des Konzernkapitals und imperialistischer Kräfte, indem sie die Klasseneinheit der arbeitenden Bevölkerung zerstört.“[12]

Die Gründung der RSS

 Die erste formelle Idee zur Gründung einer hinduistischen Organisation, die Hindus vor den „Gräueltaten“ der Muslime schützen sollte, wurde 1923 von hinduistischen Nationalisten mitten im Freiheitskampf gegen die britischen Kolonialherren vorgeschlagen. Die RSS wurde schließlich 1925 mit dem unmittelbaren Ziel gegründet, eine „militante Kraft zur Bekämpfung der Muslime und nicht zur Fortführung der antibritischen nationalen Bewegung“ zu bilden. Aufgrund ihres langfristigen Projekts zum Aufbau einer hinduistischen Nation beteiligte sich die RSS nicht an der nationalen Befreiungsbewegung, die auf die Einheit zwischen Hindus und Muslimen abzielte. Darüber hinaus lag der Impuls für die Gründung der RSS auch in der Bekämpfung der Anti-Kasten-Bewegung, die sich im Laufe des Kampfes um die Unabhängigkeit Indiens verstärkt hatte.

Das Hindutva-Projekt und die Hindutva-Ideologie

 Obwohl es zum Zeitpunkt der Gründung der RSS kein formelles Dokument gab, das ihre Philosophie erklärte, war dennoch klar, dass die Organisation zur Konsolidierung der Hindus auf der Grundlage der Hindutva gegründet wurde. Die Broschüre der CPI(M) über die RSS und die Hindutva beschreibt den Entstehungsprozess der Hindutva-Philosophie am besten:

„Zwei Jahre vor der Gründung der RSS veröffentlichte V.D. Savarkar (ein wichtiger Ideologe und Gründungsmitglied der RSS) im Jahr 1923 eine ideologische Broschüre mit dem Titel Essentials of Hindutva(Grundlagen der Hindutva). Bei einer späteren Neuauflage wurde der Titel in Hindutva: Who is a Hindu?(Hindutva: Wer ist ein Hindu?) geändert.

Der Kern dieser ideologischen Broschüre bestand darin, zu definieren: „Alle Menschen, unabhängig von ihrem Glauben, die Indien als ihr Mathrubhumi (Mutterland), Pithrubhumi (Vaterland) und Punyabhumi (Heiliges Land) betrachten, fallen unter den Geltungsbereich der Hindutva. Diejenigen, die in Indien leben, deren Punyabhumi jedoch anderswo liegt, wie die Muslime (Mekka und Medina) und die Christen (deren Heiliges Land zu den derzeit zerstörten palästinensischen Gebieten Jerusalem, Bethlehem usw. gehört), fallen nicht unter den Begriff Hindutva.“

Savarkar behauptete weiter, dass Hindutva ein politisches Projekt sei, das nichts mit der hinduistischen Religion zu tun habe. Für die Etablierung von Hindutva gab er den Slogan „Hinduisiere das Militär, militarisiere das Hindunat“ – Inspiration für die aktuellen „Agnipath“- und Hindutva-Kampagnen voller giftigem Hass, Gewalt und Terror.

Dieses RSS-Konstrukt des Nationalismus ist seine ideologisch-theoretische Rechtfertigung für die Errichtung seiner „Hindu-Nation“ (die vom Hinduismus als Religion sehr weit entfernt ist und eigentlich „Hindutva-Nation“ heißen sollte). Dies wurde erstmals vom damaligen Sarsanghchalak oder Obersten Führer der RSS in We of Our Nationhood Defined formuliert, das erstmals 1939 veröffentlicht wurde. Dies verschaffte der RSS sowohl eine ideologische Grundlage in Form von Ideen und Prinzipien als auch eine Organisationsstruktur zur Verwirklichung des Ziels einer faschistischen „Hindutva-Nation“.

Dies basiert auf der Behauptung des verstorbenen RSS-Chefs, dass „die Hindus dieses Land über acht- oder sogar zehntausend Jahre lang unangefochten und ungestört besessen haben, bevor es von einer fremden Rasse erobert wurde“. Und deshalb wurde dieses Land „als Hindustan, das Land der Hindus, bekannt“[13]. Historische Fakten stören sie nicht. Das Wort Hinduismus wurde von den Arabern geprägt, um die Länder jenseits des Flusses Sindhu (Indus) zu beschreiben. Die Bewohner dieser Länder wurden „Hindus“ genannt. (Phonetisch wird „S“ im Arabischen zu „H“!)

Nachdem die Hindutva-Supremacisten auf der Grundlage einer unwissenschaftlichen und ahistorischen Analyse behauptet hatten, dass die Hindus immer eine Nation gewesen seien und auch weiterhin eine Nation bleiben würden, führten sie den intoleranten, faschistischen Inhalt einer solchen Hindutva-Nation weiter aus.

Golwalkar nennt fünf Merkmale (oder „Einheiten“), die seiner Meinung nach eine Nation definieren: „Geografisch (Land), rassisch, religiös, kulturell und sprachlich“[14]. Alle folgenden Argumente zielen darauf ab, zu beweisen, dass die Hindus in Indien all diese Merkmale aufweisen und somit seit jeher eine Nation seien.

Die Schlussfolgerung liegt nahe: „In Hindustan existiert die alte hinduistische Nation und muss auch weiterhin existieren; nichts anderes als die hinduistische Nation.“ Alle, die nicht zur nationalen, d. h. hinduistischen Rasse, Religion, Kultur und Sprache gehören, fallen natürlich aus dem Rahmen des wirklichen „nationalen“Lebens.

Die CPI(M) stellt weiter fest, dass

„die Ideologie der RSS, wenn man sie von allen hochtrabenden Phrasen befreit, im Grunde auf anti-muslimischem, anti-christlichem und anti-kommunistischem Hass beruht. Sie ist im Wesentlichen faschistisch geprägt.“

3.1 Die Verbindung der RSS zu klassischen faschistischen Kräften

„Die RSS hatte von Anfang an sehr enge ideologische Verbindungen zum Faschismus. Im März 1931 besuchte einer der Gründer der RSS, B.S. Moonje, während seines Aufenthalts in Europa zur Rundtischkonferenz Italien, um die Balilla-Bewegung (eine italienische faschistische Jugendorganisation) zu beobachten, deren Organisationsmethoden zu studieren, und traf im März sogar den faschistischen Diktator Benito Mussolini. Viele faschistische Prinzipien flossen in die Ideologie und Organisation der RSS ein. 1938 gründete die RSS ihre Bhonsle-Militärschule in Nashik in Maharashtra, die noch heute besteht. Im selben Jahr unterstützte Savarkar die Besetzung des Sudetenlands durch Hitler. Golwalkar schöpfte den Großteil seiner Inspiration und Ideen aus pro-nazistischen deutschen Schriftstellern. Er übernahm vieles von diesen Autoren, um seine Ideen des kulturellen Nationalismus zu formulieren.“

Um ihr Ziel einer hinduistischen Nation zu erreichen, verfolgt die RSS eine siebenfache Strategie:

„Erstens durch die unkritische Verherrlichung der alten indischen Geschichte; zweitens durch die künstliche Konstruktion einer homogenen hinduistischen Identität und eines monolithischen Hinduismus; drittens durch die Darstellung von Muslimen, Christen und Kommunisten als die Ursachen allen Übels, das die Nation heimsucht, und deren Beseitigung als den einzigen Weg zur Erneuerung und zum Aufbau einer großen Nation; viertens durch die Brandmarkung indischer Muslime und Kritiker der Hindutva als antinationale und pro-pakistanische Verräter; fünftens durch die Bekämpfung aller Ideen und Traditionen aus der Vergangenheit, die ihrer Ideologie widersprechen, als Erfindungen linker und liberaler Intellektueller, die von ausländischen Ideen beeinflusst sind; sechstens durch die „Saffronisierung“ (d. h. Kommunalisierung[15]) des Bildungswesens mit der Überarbeitung von Lehrbüchern, um junge Menschen zu indoktrinieren; siebtens, indem sie alle Themen aufgreift, die zu einer Polarisierung der Gemeinschaften führen können, um Feindseligkeit und Hass gegenüber Muslimen und Christen unter Hindus zu schüren und so kommunale Spannungen und Konflikte zu fördern; schließlich durch den Aufbau paramilitärischer Organisationen, um ihre faschistische Agenda durchzusetzen, indem sie den Staatsapparat infiltriert und für ihre Zwecke nutzt.“

Die RSS greift regelmäßig zu gewalttätigen Mitteln, darunter religiöse Unruhen, um sektiererischen Hass unter der Bevölkerung, insbesondere in der armen Arbeiterklasse, zu schüren. Sie ist der stärkste Befürworter der neuen Staatsbürgerschaftsregeln, die vor einigen Jahren von der Regierung Modi eingeführt wurden und weithin als Versuch gelten, Muslimen oder Kritikern des Hindutva-Projekts in Indien die Staatsbürgerschaft zu entziehen. 1948 wurde Mahatma Gandhi von einem prominenten Mitglied der RSS ermordet, weil er sich für die Einheit zwischen Hindus und Muslimen eingesetzt hatte. V.D. Savarkar wurde ebenfalls als einer der Mitverschwörer des Mordes an Gandhi angeklagt. Daraufhin wurde die RSS für kurze Zeit verboten. Um die Aufhebung des Verbots auszuhandeln, ging die RSS einen Kompromiss mit der indischen Regierung ein. Sie versprach, ihre Aktivitäten auf kulturelle Fragen zu beschränken und sich aus der Politik herauszuhalten. Damit entstand die Notwendigkeit, einen separaten politischen Arm unter ihrer Führung und Kontrolle aufzubauen, um ihre politischen Aktivitäten voranzutreiben. So wurde die BJP als politische Partei gegründet. In ihrer Broschüre über die RSS und Hindutva schreibt die CPI(M) über die BJP:

„Die BJP ist somit nichts anderes als der politische Arm der RSS, der die Staatsmacht und alle wichtigen Organe des indischen Staates kontrolliert. Sie strebt nun die Zerstörung der säkularen, demokratischen Verfassungsrepublik und die Verwirklichung des politischen Projekts der RSS an: die Errichtung einer fanatisch intoleranten, faschistischen ‚Hindu Rashtra‘ (Hindu-Nation).“

Heute ist die RSS eine landesweite Organisation mit Ortsgruppen im ganzen Land. Laut der Broschüre gab es bis 2019 „59.266 Shakhas (Ortsgruppen), 17.729 wöchentliche Versammlungen und 8.328 monatliche Treffen. Sechzig Prozent der Mitglieder der RSS-Shakhas sind Schüler und Studenten. Fast 29 Prozent der Shakhas bestehen aus jungen Geschäftsleuten und Händlern. Die RSS hat kürzlich beschlossen, 1.000 Pracharaks (Redner oder Delegierte) in verschiedene Teile des Landes zu entsenden, in denen Expansionsmöglichkeiten bestehen.“

Von der RSS geführte Organisationen „erhalten massive Finanzmittel aus aller Welt. Unternehmen unterstützen sie stark, indem sie einen Großteil ihrer Mittel für soziale Verantwortung umleiten. Die Zentral- und Landesregierungen der BJP fördern sie auf vielfältige Weise.“

Die RSS ist eine paramilitärische Organisation

Die RSS „fördert die Bewaffnung und Militarisierung der hinduistischen Gemeinschaft. Sie bietet Ausbildung im Umgang mit tödlichen Waffen.“ Darüber hinaus „wird in Shakhas der Umgang mit Lathis (Stöcken) trainiert, während in den OTCs (Officer Training Camps) unter dem Deckmantel der Selbstverteidigung mit Messern, Schwertern und Pistolen geübt wird.“ Die RSS hat auch Trainings zum Bau von Benzinbomben und Molotowcocktails angeboten, die bei vielen prominenten Unruhen im Land zum Einsatz kamen.

„Die Struktur und das Verhalten der Shakhas sind sehr martialisch. Das Tragen einer Uniform aus weißem Hemd, schwarzer Mütze, Gürtel, braunen Schuhen und khakifarbener Shorts (heute Hosen) ist obligatorisch. Zu Beginn der Shakha-Versammlung wird die safranfarbene Flagge gehisst und salutiert, wobei die Hände auf die Brust gelegt und die Köpfe geneigt werden. Die RSS behandelt die Flagge als ihren Guru. Die safranfarbene Flagge wurde als Flagge der Sangh angenommen und symbolisiert die traditionellen Werte der Hindus.“

Klassenbasis der RSS

Das Verständnis der sich wandelnden Klassenbasis der RSS ist entscheidend für das Verständnis des Aufkommens des Neofaschismus in Indien. Von Anfang an genoss die RSS die Unterstützung von Fürsten, Landadeligen und den oberen Kasten der Gesellschaft. Darüber hinaus vertrat die RSS die Interessen des Kleinbürgertums und der Mittelschicht, insbesondere der Kaufleute und Händler. „Nach der Unabhängigkeit, insbesondere in den 1970er- und 1980er-Jahren, nutzte die RSS erfolgreich die zunehmende Religiosität und die Schwächung des säkularen Nationalismus, um in die neu entstandene städtische Mittelschicht in Kleinstädten vorzudringen.“ Allmählich entwickelten auch die „alten feudalen Großgrundbesitzer, die kapitalistischen Landbesitzer und die reichen Bauern“ eine Unterstützung für die RSS. Heute hat sie sich „in alle Bereiche der Gesellschaft ausgebreitet. Sie ist nicht mehr nur ein Phänomen der oberen Kasten, da sie auch Teile der unteren Kasten integriert hat“. Allmählich gelangte die Großbourgeoisie Indiens „zu der Überzeugung, dass die BJP mit ihrer aggressiven autoritären Politik alle Kräfte, die den Interessen der Großbourgeoisie entgegenstehen, in Schach halten kann“. In der Broschüre heißt es weiter, dass „die internationale Finanzwelt und das indische Unternehmenskapital ebenfalls mit der RSS zufrieden sind, da sie der BJP bei der Umsetzung ihrer Liberalisierungspolitik hilft. Ihr schriller hindutva-kultureller Nationalismus ersetzt den antiimperialistischen Nationalismus der Jugend, sodass deren politische Energien nicht in der Opposition gegen den Imperialismus verbraucht werden, sondern gegen den inneren Feind – Minderheiten, insbesondere Muslime – gelenkt werden.“

So sehen wir, wie sich die RSS von einer Organisation mit einer Klassenbasis aus landbesitzender Feudalaristokratie und Kleinbourgeoisie zu einer Organisation entwickelte, die die Gunst des internationalen Finanzkapitals und der indischen Großbourgeoisie gewann, da der autoritäre Ansatz der RSS die Instrumente für den Angriff auf die Arbeiterklasse und die Umsetzung neoliberaler Politik liefert.

Neoliberalismus und die Zusammenarbeit der indischen herrschenden Klassen mit der RSS

Prakash Karat, ehemaliger Generalsekretär der CPI(M), schreibt in seiner Broschüre Communalism and Neo-liberal Policies (Sektierertum und neoliberale Politik), dass „der Aufstieg des Hindutva-Sektierertums mit dem Beginn der Liberalisierung in Indien zusammenfällt und diese beiden Kräfte autoritäre Tendenzen angeheizt haben“. [16]

Der Aufstieg des Autoritarismus in Indien muss vor dem Hintergrund des Aufkommens des Neoliberalismus verstanden werden, durch den die herrschenden Klassen, einschließlich des Imperialismus, in der landesweiten Maschinerie der RSS einen wichtigen Verbündeten für die Umsetzung ihrer arbeiterfeindlichen Politik gefunden haben. Karat schreibt, dass „die Tendenz der bürgerlichen herrschenden Klasse, die bürgerlichen demokratischen Rechte einzuschränken und auszuhöhlen, sich mit dem Aufkommen der imperialistischen Globalisierung, der Hegemonie des globalisierten Finanzkapitals und der Durchsetzung der neoliberalen Ordnung verschärft und in eine qualitativ neue Phase eintritt“. 

Ein wesentlicher Bestandteil der neoliberalen Ordnung ist die Forderung nach „Flexibilität der Arbeit“, deren Folge die Schwächung der Gewerkschaften ist. Im Rahmen des autoritären Vorstoßes der Regierung Modi wurden Vorschläge zur Änderung der Arbeitsgesetze diskutiert, um die Rechte der Arbeitnehmer zu beschneiden und die Gewerkschaften einzuschränken. Obwohl die hart erkämpften Rechte der Arbeiterklasse seit Beginn der neoliberalen Politik in Indien Anfang der 1990er-Jahre unter Beschuss stehen, hat Indien in den zehn Jahren der Herrschaft von Modi einen beispiellosen Angriff auf die Rechte der Arbeiterklasse erlebt. Dieser Angriff hat sich seit Beginn der Wirtschaftskrise, die eine Verlagerung der Lasten auf die Arbeiterklasse erfordert, noch verschärft.

4. Der Angriff auf die Rechte der Arbeiterklasse – ein „Hire and Fire“-Regime:

In den zehn Jahren der Herrschaft Modis wurden die Arbeitsgesetze des Landes umfassend ausgehöhlt. Tapan Sen, Generalsekretär des Centre of Indian Trade Unions (CITU) und Mitglied des Politbüros der CPI(M), gibt einen Überblick über den Angriff auf die Rechte der Arbeiterklasse.[17]

Zunächst hat die Regierung Modi 44 zentrale Arbeitsgesetze durch eine Handvoll neuer Gesetze ersetzt. Das Arbeitsgesetz über Löhne hat die obligatorische Überprüfung der Arbeitsbedingungen und die Durchsetzung der Arbeitsgesetze faktisch abgeschafft. Dies stellt einen der schwerwiegendsten Angriffe auf die Arbeitsrechte dar, da Kapitalisten ohne die Angst vor Kontrollen keine Veranlassung mehr sehen, gesetzliche Vorgaben einzuhalten. Darüber hinaus überlässt das Gesetz die Festlegung der Mindestlöhne implizit den Landesregierungen, was zu einem verschärften Wettbewerb zwischen den Bundesstaaten um Kapitalinvestitionen führen könnte – auf Kosten der Löhne der Arbeiterklasse. Das Gesetz erlaubt es Arbeitgebern zudem, für einen Streiktag acht Tage Lohn abzuziehen, wenn der Streik von der Regierung als illegal eingestuft wird.

Das Arbeitsgesetz über industrielle Beziehungen schränkt das Recht der Arbeitnehmer auf Protest, Streik und Agitation gegen Missstände drastisch ein und macht die Gründung von Gewerkschaften nahezu unmöglich. Das Gesetz erweitert die Befugnisse der zuständigen Behörden, Anträge auf Registrierung einer Gewerkschaft abzulehnen und bereits registrierte Gewerkschaften zu verbieten. Die Registrierung von Gewerkschaften wird erschwert, und die endgültige Entscheidung über die Anerkennung einer Gewerkschaft liegt beim Arbeitgeber. Darüber hinaus erlaubt das Gesetz jedem Betrieb mit weniger als 300 Beschäftigten, Arbeitnehmer ohne Genehmigung der Regierung nach Belieben zu entlassen. Dadurch fallen 90 % der Beschäftigten im Fabriksektor und fast die gesamte als Leiharbeiter beschäftigte Arbeiterklasse unter das „Hire and Fire“-System der Kapitalisten.

Angesichts drohender Entlassungen werden sich Arbeiter kaum gegen die ihnen auferlegten sklavenähnlichen Bedingungen zur Wehr setzen können. Die Organisation in Gewerkschaften und die Teilnahme an Streiks werden damit faktisch unterbunden. Während bisher Streiks 21 Tage im Voraus angekündigt werden mussten, sieht das neue Gesetz eine Frist von sechs Wochen vor. Doch selbst das ist nicht einfach: Mit der Ankündigung soll automatisch ein Schlichtungsverfahren zwischen Arbeitern und Arbeitgebern beginnen – selbst wenn die Beschäftigten kein solches beantragt haben. Solange das Verfahren läuft, ist ein Streik verboten. Da sich das Verfahren beliebig hinziehen kann, ist faktisch jeder Streik illegal. Wer sich dennoch beteiligt, riskiert Geld- oder sogar Freiheitsstrafen.

Die Definition von Streik wurde erweitert und umfasst nun auch Gelegenheitsurlaub, wenn ihn mehr als 50 % der Beschäftigten gleichzeitig nehmen. Eine kollektive Sonderfreistellung gilt damit ebenfalls als Streik – und ist ohne Genehmigung illegal, was hohe Strafen zur Folge hat. Zudem entzieht das Gesetz den Beschäftigten das Recht auf rechtliche Vertretung vor Gericht. Auch die Unterstützung von Arbeitskämpfen durch normale Bürger wird unter Strafe gestellt. Kapitalisten hingegen bleiben bei Verstößen gegen das Arbeitsrecht weitgehend unbehelligt. Die Regierungen der Bundesstaaten können Arbeitgeber sogar von der Einhaltung der wenigen verbliebenen Schutzvorschriften befreien.

Das nächste Gesetz, das sogenannte Gesetz über soziale Sicherheit, ist ein Trick, um die für die soziale Sicherheit der Arbeitnehmer bestimmten Mittel, wie z. B. Pensionsfonds, für riskante Spekulationen an der Börse verfügbar zu machen. Bereits 2015 kündigte die Regierung Modi den Plan an, bis zu 15 % der Pensionskasse für Spekulationen des Finanzkapitals an der Börse umzuleiten. Sogar das Gesetz über die Vorsorgekassen für Arbeitnehmer wurde geändert, um die Bereitstellung der Pensionskasse für Arbeitnehmer für die Arbeitgeber freiwillig zu machen. Auch das Gesetz über die staatliche Versicherung für Arbeitnehmer wurde geändert, um private Versicherungen anstelle der staatlichen Versicherung zuzulassen.

Als ob dies nicht genügte, hat die Modi-Regierung drei Möglichkeiten zur „Befristung“ von Arbeitsverhältnissen massiv ausgeweitet, wodurch die Entlassung von Beschäftigten erheblich erleichtert wird.[18] Die erste Maßnahme ist das Outsourcing: Kapitalisten können Arbeitskräfte über Drittanbieter beschäftigen und sich so der Verantwortung gegenüber diesen entziehen.

Die zweite Maßnahme ist die Einführung der sogenannten „befristeten Beschäftigung“. Mit diesem System hat die Regierung Modi die Schleusen für die Beschäftigung von Zeitarbeitern in allen Bereichen der indischen Wirtschaft geöffnet. Durch eine Änderung des Gesetzes über die Regeln für die Beschäftigung in der Industrie (Rules for Industrial Employment Standing Order Act) können Arbeitgeber sowohl im öffentlichen als auch im privaten Sektor nun Arbeitnehmer für einen Zeitraum von sechs Monaten oder einem Jahr einstellen und ohne Vorankündigung oder Entschädigung entlassen. Diese Entlassungsbefugnis hängt wie ein Damoklesschwert über den Köpfen der Zeitarbeitskräfte, da sie gezwungen sind, ungerechte und sogar unmenschliche Arbeitsbedingungen zu akzeptieren, die ihnen von den Kapitalisten auferlegt werden, um ihren Arbeitsvertrag für einen weiteren kurzen Zeitraum verlängert zu bekommen. Der Mechanismus der befristeten Beschäftigung hat das Kräfteverhältnis zugunsten der Arbeitgeber verschoben, was daran zu erkennen ist, dass die Zeitarbeitskräfte, die Anspruch auf den gleichen Lohn wie normale Festangestellte haben, aus Angst, ihren Arbeitsvertrag nicht verlängert zu bekommen, nicht den gleichen Lohn fordern.

Schließlich ermöglicht die dritte Maßnahme den Kapitalisten, Auszubildende zu beschäftigen. Unter dem Vorwand, die Qualifikationen der Jugend des Landes zu verbessern, hat die Regierung Modi Programme eingeführt, die es den Kapitalisten gestatten, Auszubildende anstelle von normalen Arbeitnehmern zu beschäftigen, ohne ihnen die ihnen zustehenden Sozialleistungen oder sogar Löhne zu gewähren. Eines der Programme sieht sogar ein dreijähriges Programm für Auszubildende vor, die ohne Mindestlohn beschäftigt werden können. Zudem erlaubt eine Änderung des Ausbildungsgesetzes die Beschäftigung eines Auszubildenden anstelle eines Arbeiters über Jahre hinweg, ohne dass diesem die für einen Arbeiter üblichen Leistungen zustehen. Die Definition des Arbeiters wurde so geändert, dass 30 % der gesamten Belegschaft durch Auszubildende ersetzt werden können.

Die von Modi geführte BJP, der politische Arm der RSS, hat all diese Gesetzesänderungen auf Geheiß der indischen Großbourgeoisie und des imperialistischen Finanzkapitals durchgesetzt, die sich über den restriktiven Charakter der indischen Arbeitsgesetze beschweren und eine viel freiere Hand gegenüber den Arbeitnehmern fordern. Der autoritäre Ansatz der von der RSS geführten BJP verschafft den Kapitalisten die notwendigen Instrumente, um Massenbewegungen zu unterdrücken, Hass und sektiererische Spaltungen in der Gesellschaft zu schüren, die Einheit der Arbeiterklasse zu zerschlagen und letztlich die Rechte der Arbeiter anzugreifen. Wie bereits erwähnt, bedeutet die tiefe systemische Krise des Imperialismus des 21. Jahrhunderts, dass autoritäre Herrschaft für die Imperialisten und ihre Verbündeten weltweit zunehmend zur Notwendigkeit wird.

Fazit

Das Verständnis der CPI(M) vom Neofaschismus ist eng mit ihrem Verständnis vom Imperialismus heute verflochten. Die Abschwächung der interimperialistischen Widersprüche bedeutet, dass der Imperialismus heute, anstatt Kriege gegeneinander zu führen, die Last der Krise auf die Arbeiterklasse abwälzt. Die herrschenden Klassen, die auch die Interessen des globalen Finanzkapitals vertreten, nutzen rechte und neofaschistische Kräfte, um die Kämpfe der Arbeiterklasse und ihre hart erkämpften Rechte zu unterdrücken.

Die Partei hat große Vorsicht walten lassen, die von Modi geführte Regierung offen oder opportunistisch als faschistisch zu bezeichnen. Dies hat viel damit zu tun, dass das herrschende politische Establishment nach dem Verständnis der Partei die bürgerlich-demokratischen Institutionen nicht vollständig abgeschafft hat. Darüber hinaus möchte die Partei falsche Allianzen mit bürgerlich-demokratischen Parteien vermeiden und eine Verwischung der Grenzen zwischen diesen und der kommunistischen Partei verhindern.


[1] https://kashmirtimes.com/opinion/comment-articles/strange-debate-about-fascism

[2] https://CPI(M).org/21st-congress-political-resolution/

[3] Wie unten erläutert, war der indische Kampf um nationale Befreiung zwar aufgrund der massiven Beteiligung der Arbeiterklasse, der Bauernschaft, der Mittelschicht, der Intelligenz, der Frauen, der Studenten und der Jugend erfolgreich, doch blieb die Führung des Kampfes in den Händen der Bourgeoisie. Dies wiederum bedeutete, dass auch die Führung des neu unabhängigen indischen Staates in die Hände der Bourgeoisie fiel. Die indische Großbourgeoisie verriet den nationalen Befreiungskampf, indem sie die Aufgabe vernachlässigte, die produktiven Kräfte aus den Fesseln der feudalen Verhältnisse zu befreien. Um eine Stärkung der Arbeiterbewegung in Indien zu verhindern, verbündete sich die indische Großbourgeoisie daher mit der feudalen Landbesitzerklasse. Die INC war das politische Gesicht dieser Allianz zwischen der Großbourgeoisie und der feudalen Klasse in Indien.

[4] https://CPI(M).org/documents-22nd-congress-political-resolution/

[5] https://CPI(M).org/documents-23rd-congress-political-resolution/

[6] https://www.business-standard.com/elections/lok-sabha-election/lok-sabha-which-parties-are-members-of-the-india-bloc-the-seats-they-won-124060600837_1.html

[7] https://peoplesdemocracy.in/2024/0609_pd/people%E2%80%99s-verdict-setback-bjp

[8] https://CPI(M).org/draft-political-resolution-for-24th-congress/
Da die endgültige Fassung der Resolution noch nicht online veröffentlicht wurde, wird hier nur der Entwurf der Resolution bereitgestellt. Der hier wiedergegebene Inhalt des Entwurfs der 24. Resolution wurde jedoch vom 24. Nationalkongress bestätigt.  

[9] https://CPI(M).org/resolution-ideological-issues/

[10] https://peoplesdemocracy.in/2025/0302_pd/note-use-term-%E2%80%98neo-fascism%E2%80%99

[11] https://CPI(M).org/party-programme/

[12] CPIM, ‘Threat of RSS and Hindutva Forces, How to Counter them’, Für die Parteiausbildung, CPIM Veröffentlichung, Progressive Printers, Delhi, April 2023

[13] Golwalkar, M. S., We or Our Nationhood Defined, Bharat Publications, Nagpur, 1939, S. 6.

[14] Golwalkar, M. S., We or Our Nationhood Defined, Bharat Publications, Nagpur, 1939, S. 33.

[15] Erläuterung vom Autor des vorliegenden Textes hinzugefügt.

[16] Karat, Prakash, ‘Neo-Liberal Policies and the RSS-BJP Combine’, RSS versus India, Nummer 4, CPI(M) Veröffentlichung, Progressive Printers, Delhi, Dezember 2015.

[17] Sen, Tapan, ‘Government Move on Amendment of Labour Laws – Design to impose slavery’. Centre of Indian Trade Unions, New Delhi, Progressive Printers, Juni 2015

[18] Conspiracy to Impose Slavery on Working Class; ‘Hire and Fire’ without Changing Laws. Reject Anti-People Anti-National Governance, a CITU Pamphlet.