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Entwicklung des Kapitalismus in Russland

Von Käthe Knaup, Max Granzow und Alexander Kiknadze

Veröffentlicht: 13.08.2024

Abstract

Der Kapitalismus wurde in Russland durch die Konterrevolution in eine Volkswirtschaft eingeführt, deren Zweck eine planmäßige Erhöhung des Lebensniveaus des sowjetischen Volkes und die Unabhängigkeit vom Kapitalismus war. Dieser Umbau der Ökonomie und seine gesellschaftlichen und politischen Folgen bis heute werden im Folgenden dargestellt. Die erste Periode der Konterrevolution und Perestroika zeigt, inwiefern die Zerschlagung der einstigen Planwirtschaft und die Einführung des Kapitalismus dazu führten, dass Russland schließlich in die Regeln der imperialistischen Weltordnung gezwungen wurde. Diese Integration führte zu einem Niedergang der russischen Volkswirtschaft und ihrer Währung, was Kapitalflucht und den Ausverkauf durch die neue russische Bourgeoisie zur Folge hatte. Der Niedergang gipfelte in der weltweiten Finanzkrise 1998, die in Russland zur Staatspleite führte. Dieser Zustand war auch für große Teile der russischen Bourgeoisie nicht haltbar, sodass der seit 2000 amtierende Präsident Wladimir Putin sein Projekt der strategischen Nationalisierung der Ökonomie umsetzen konnte. Dieses Projekt bezweckte eine kapitalistische Entwicklung der russischen Volkswirtschaft, die auf eine strategische Unabhängigkeit gegenüber dem Westen abzielte. Dafür wurden insbesondere strategisch zentrale Bereiche der Volkswirtschaft verstaatlicht und eine Wirtschafts- und Handelspolitik der Importsubstitution, Schuldenkonsolidierung und Exportdiversifizierung vorangetrieben. Mit einer solchen Neuausrichtung des russischen Kapitalismus sollte die Integration in den kapitalistischen Weltmarkt der nationalen Entwicklung der russischen Volkswirtschaft dienen und nicht zu deren Ausverkauf führen. Ebendiese Integration in den internationalen Kapitalverkehr bei gleichzeitig weiterhin existierender ungleicher Abhängigkeit von Kapital- und Technologieimport, Rohstoffexport und Aufrechterhaltung von Devisenreserven dient dem imperialistischen Westen nun als Waffe gegen Russland: Seine Sanktionen zielen auf genau diese Schwächen ab. Teile der russischen Bourgeoisie erkennen diese Unsicherheit und Gefahr und sind bereit, ihr Kapital abzuziehen. Dieses Verhältnis des russischen Kapitals zum Staat ist eine wichtige Erkenntnis in der Diskussion um Russlands imperialistischen Charakter. Ob Russland sich, bspw. durch weitere Import- und Exportsubstitutionspolitik mit nichtwestlichen Staaten, unter kapitalistischen Bedingungen aus einer solchen Abhängigkeit lösen kann, wird Gegenstand zukünftiger Betrachtungen sein. Die Enteignung der Bourgeoisie und der Wiederaufbau des Sozialismus wird von russischen Kommunisten aus diesen Gründen als Notwendigkeit für die Verteidigung Russlands gegen die imperialistische Aggression gesehen.

Teil I: Konterrevolution und Perestroika

Die Einführung des Kapitalismus in eine sozialistische Produktionsweise hat es historisch noch nie gegeben. Mit den Anfängen dieser Entwicklung in der Sowjetunion (SU), ihrer Zuspitzung bis zur Auflösung der SU und den Entwicklungen, die aus den Widersprüchen dieses historisch einmaligen Übergangs entspringen, befasst sich der folgende Teil I.

Hintergrund: Entwicklungen in der SU

Bereits in den 1970er Jahren traf die sowjetische Staatsführung Entscheidungen, die zu einer zunehmenden Rückständigkeit und Abhängigkeit der Reproduktion und Entwicklung der sowjetischen Volkswirtschaft von den imperialistischen Hauptmächten führten1Im Folgenden kann nicht tiefer auf grundsätzlichere politische Orientierungen, z.B. die Bedeutung der „Friedlichen Koexistenz“, die zu solchen wirtschaftspolitischen Entscheidungen führten, eingegangen werden. Ziel dieses Kapitels ist es ausschließlich, die Abfolge von Entwicklungen logisch darzulegen, die zu einer Zerstörung der sowjetischen Volkswirtschaft und darauf folgenden Integration der neuen russischen Volkswirtschaft in den kapitalistischen Weltmarkt der imperialistischen Weltordnung führte.: Mit den in den 1970er Jahren steigenden Ölpreisen und der Entdeckung riesiger Vorkommen in Sibirien erhöhten sich die Deviseneinnahmen der Sowjetunion. Diese ermöglichten es, Güter, die für die Reproduktion und Erneuerung der sowjetischen Industrieanlagen notwendig waren, schnell und einfach auf dem kapitalistischen Weltmarkt zu erwerben. Das führte zu seinem Investitionsstau in der nationalen Ökonomie, da durch die Möglichkeit des Einkaufs dieser Güter kein Bedarf an einer eigenen Weiterentwicklung gesehen wurde. Diese Stagnation führte aufgrund der Weiterentwicklung der westlichen Volkswirtschaften zu einer technologischen und industriellen Rückständigkeit und damit einer Abhängigkeit der Reproduktion der sowjetischen Volkswirtschaft von den internationalen Rohstoffpreisen. Sinkende Rohstoffpreise führten folglich zu ökonomischen Problemen. Eine derartige Entwicklung fand aufgrund ähnlicher Reformen auch im Landwirtschaftssektor statt. Damit verlor die Sowjetunion zum Teil ihre Nahrungsmittelsouveränität an den kapitalistischen Weltmarkt, da Nahrungsmittelimporte abhängig von Devisenreserven, vor allem in US-Dollar, wurden. Der Zusammenbruch der Ölpreise in 1970er Jahren provozierte in der späten Sowjetunion schließlich sogar in den Großstädten eine ernsthafte Krise der Lebensmittelversorgung.

Diese Umstände wurden in der Debatte über die Ursachen dieser Probleme nicht als Folge der Abkehr vom Prinzip „Sozialismus in einem Land“ und der Hinwendung zum kapitalistischen Weltmarkt erkannt, sondern vielmehr dem Sozialismus als Produktionsweise insgesamt zugeschrieben. Folglich wurden weitere Reformen zur Aufgabe der sozialistischen Produktionsweise durchgeführt, nunmehr bereits unter der politischen Agenda der „friedlichen Koexistenz“ mit dem imperialistischen Westen. Die Reformen führten zu einer langsamen Herausbildung von individuellen ökonomischen Privatinteressen in der Sowjetunion, die im Folgenden kurz angerissen wird:

Eine wichtige Reform war die Aufgabe des sowjetischen Außenhandelsmonopols, also der strategisch unabdingbaren, vollständigen staatlichen Kontrolle des sowjetischen Außenhandels. Nun konnten Produktionsgenossenschaften, spezielle Formen des kollektiven Eigentums in der SU, sowjetische Rohstoffe frei handeln. Sie machten dabei Gewinne aufgrund von Preisunterschieden im inländischen Einkauf auf der einen, und Weltmarktpreisen auf der anderen Seite. Andere Reformen verstärkten die Autonomie der sowjetischen Betriebe, was zu einem Wandel in der Zielstellung der Produktion von volkswirtschaftlicher- hin zu betrieblicher Rentabilität führte.  Die schrittweise Preisfreigabe war eine weitere wichtige Reform, auf die weiter unten eingegangen wird.

Eine weitere Struktur, in der sich die neuen Privateigentümer herausbildeten, waren die sogenannten Zentren der wissenschaftlich-technischen Kreativität der Komsomol- Verbände (Kommunistische Jugend, Anm. d. Verf.). Sie wurden im Laufe dieser Reformen für mehr „Eigenständigkeit“ und der Mobilisierung des „subjektiven Faktors“ (so häufig der Sprachgebrauch von Gorbatschow) beauftragt, mit in die SU importierten Waren selbstständig zu handeln und die innersowjetische Zahlungsabwicklung zwischen den Unternehmen zu organisieren. Durch bewusste Ausnutzung von Preisunterschieden wurden in diesen Strukturen ebenfalls erste Geldgewinne erzielt. Eine letzte wichtige Quelle der privaten Bereicherung waren Fremdwährungsdarlehen des Staates, die auf den nunmehr weit verbreiteten Schwarzmärkten gehandelt wurden. Auch durch die Ausnutzung unterschiedlicher Wechselkurse des US-Dollars, einerseits auf dem Schwarzmarkt und andererseits auf dem inneren sowjetischen Markt, wurden erhebliche Geldgewinne erzielt. Die Zerstückelung und Unterminierung der sowjetischen Planwirtschaft durch die erwähnte Auflösung ihrer Produktionsbeziehungen, insbesondere in der industriellen Produktion, führte bereits viele Jahre vor der Konterrevolution zu einem materiellen, aber auch politischen Rückgang des Industrieproletariats als Stütze der sozialistischen Bewegung, sowohl in wirtschaftlicher Hinsicht als auch im Bewusstsein. Diese Schwächung des Industrieproletariats, zusammen mit den inzwischen materiell etablierten Privatinteressen und den Individualfreiheiten, die diese Privatinteressen rechtlich absicherten, fand mit der Konterrevolution ihren politischen Ausdruck – und zwar innerhalb der KPdSU selbst. Die Abschaffung der sozialistischen Produktionsweise war das Ergebnis eines Beschlusses der regierenden Partei, die sowjetische Nationalökonomie auf eine kapitalistische Grundlage zu stellen. Die zu diesem Zeitpunkt bereits weit fortgeschrittenen Interessen waren in der Partei vertreten.

Die politische Programmatik der Konterrevolution und Perestroika

Die wirtschaftspolitische Agenda der Perestroika war die Einführung kapitalistischer Prinzipien und Maßstäbe in die übernommene sowjetische Volkswirtschaft

Die SU war den kapitalistischen Geschäftsprinzipien nicht unterworfen, weil sie nicht auswärtigem Geld und Handel ausgesetzt war. Durch die Erträge der sozialistischen Nationalökonomie entwickelte sich die SU zur Weltmacht und zum größten Feind der westlichen Welt: Sie war in der Lage, die Gesellschaft mit allem Lebensnotwendigen zu versorgen, sodass die Sphäre der gesellschaftlichen Reproduktion nicht vom Ausland erpressbar war. Der Sozialismus brach nicht aufgrund einer eigenen ‚Unfähigkeit‘ zusammen – im Gegensatz zur Ideologie seiner Feinde hat er funktioniert.

Die Behauptung, dass sich die sowjetische Wirtschaft 1985 in völliger Stagnation befunden habe, entspricht nicht den Tatsachen. Dennoch zeichnete sich ein gewisser Krisentrend ab – ein kontinuierlicher Rückgang der Wirtschaftswachstumsraten seit dem Ende des achten Fünfjahresplans 1966-1970 (Lebskij 2016, S. 9). 

Lebskij schreibt, dass es Mitte der 1980er Jahre reale Möglichkeiten gab, die Stagnation und die drohende Wirtschaftskrise zu überwinden. Dazu wäre es jedoch notwendig gewesen, sich auf die Stärken der sowjetischen Wirtschaft zu stützen, eine objektive wirtschaftliche Analyse und Bewertung des Zustands der Gesellschaft durchzuführen und einen durchdachten Plan zur Überwindung der Krise zu entwickeln (Lebskij S.10, aus: G. Khanin). Politisch war dies jedoch nicht gewollt und wurde daher nicht umgesetzt. Das Programm der Reformer war es, die sowjetische Ökonomie auf eine kapitalistische Marktwirtschaft umzustellen. Die Prinzipien kapitalistischen Wirtschaftens (Angebot, Nachfrage, Privateigentum, Geld, Banken, …) sollten durch Regierungsbeschlüsse in diese Ökonomie eingeführt werden. Sie bewerteten die sozialistische Wirtschaft nach den Maßstäben kapitalistischen Wirtschaftens. An die sowjetische Ökonomie wurden damit Maßstäbe angelegt, die ihren bisherigen Grundsätzen und Zielen widersprachen: Die sozialistische Wirtschaft verfolgte ganz andere Zwecke als eine kapitalistische: Der Zweck allen Wirtschaftens in der Sowjetunion war ein Aufbau, der auf eine Selbstversorgungsfähigkeit des Landes und eine Arbeitsorganisation, die nicht im Dienste einer Kosten-Ertrags-Rechnung einzelner Betriebe, sondern der gesamtem Volkswirtschaft gerichtet war. Diesen Grundwiderspruch trug die Einführung kapitalistischer Prinzipien in eine sozialistische Volkswirtschaft in sich. Die Folgen dieses Widerspruchs sollen folgend ausgeführt werden.

Anfang der 90er Jahre gab es drei Fraktionen innerhalb der KPdSU. Die erste Fraktion forderte eine Rückbesinnung auf den Sozialismus und lehnte die Reformen also ab – sie wird in der bürgerlichen Literatur als ‚konservative Fraktion‘ (im Sinne der Erhaltung und Rückbesinnung auf die kommunistische Programmatik) bezeichnet. Die zweite Fraktion bestand aus den Kräften um Boris Jelzin, die häufig als ‚radikale Reformer‘ bezeichnet wurden. Die dritte Fraktion waren die ‚Zentristen‘, die durchaus eine prokapitalistische, aber in Abgrenzung zu den ‚Radikalreformern‘ gemäßigtere Umgestaltung der Sowjetunion anstrebten und sich dadurch von ‚Konservativen‘ und ‚Radikalreformern‘ abgrenzten. In dieser Auseinandersetzung setzten sich die Kräfte um Jelzin durch. Ihre politische Agenda war es, mit einer radikalen und schnellen Einführung kapitalistischer Prinzipien das Wirtschaftsleben Russlands zu einem „Teil der herrschenden Klasse der Welt“, einer „Weltmacht“ zu machen (Lebskij 2016). Die Reformen, ihre Widersprüche und Folgen werden nun im Einzelnen aufgeführt.

Die Preisfreigabe führte zu einem massiven Umverteilungsprozess des gesamtvolkswirtschaftlichen Reichtums

Mit der Preisfreigabe ab 1992 sollte eine kapitalistisch rentable Produktion in den Einzelbetrieben ermöglicht werden. Dies wurde mit der mangelnden Flexibilität des sowjetischen Preissystems begründet, die eine rentable Produktion behindert und zu den bestehenden wirtschaftlichen Problemen beigetragen soll. Die entsprechenden Richtlinien für die Preisfreigabe traten ab 1992 für ganz Russland in Kraft, ab März 1992 wurden im Sinne einer weiteren Dezentralisierung der russischen Volkswirtschaft den Regionen Vollmachten erteilt, eigene Preisregelungen einzuführen (Höhmann 2004).

Die Funktion des Preises im sowjetischen Preissystem, nämlich als gesamtwirtschaftliches und staatliches Steuerungsinstrument für die Zuteilung von Produktions- und Konsumgütern, sollte abgelöst werden. Im Kapitalismus ergeben sich die Preise grundsätzlich aus der Berechnung des einzelnen Betriebs aus Kostpreis (der Preis des Kapitalisten bei der Produktion einer Ware) und Profit, den der Betrieb macht. Sie können entsprechend, um ihren Profit zu erhöhen (bzw. um bei steigendem Kostpreis den Profit zu erhalten), die Preise einfach erhöhen. Die Betriebe ergriffen diese Gelegenheit sofort: Sie erhöhten die Preise, um ihre Gewinne zu steigern, oder konzentrierten sich auf die Produktion höherpreisiger Waren. Dies führte zu einem Mangel an billigen Konsumgütern, deren Produktion folglich unrentabel wurde (Lebskij 2016).

Dies führte in ganz Russland zu einem massiven Umverteilungsprozess des zirkulierenden Geldes von den konsumierenden Massen (Käufern) zu den produzierenden Betrieben (Verkäufern). Die Käufer wurden unfähig, zu konsumieren, was zu Massenarmut führte, während die Betriebe daraufhin Schwierigkeiten hatten, ihre Produkte abzusetzen. Die zuvor im Sozialismus gut abgestimmten Lieferketten wurden unterbrochen, wodurch weiterverarbeitende Betriebe nicht mehr produzieren konnten und Lebensmittel entweder unbezahlbar wurden oder gar nicht mehr produziert wurden. Diese Prozesse führten zu einer weiteren Zerrüttung der Produktionsbeziehungen und einem Rückgang der Produktion auf 10 % pro Monat im Jahr 1992 (GSP 1992).

Fazit: Die wirtschaftlichen Zusammenbrüche Ende der 90er sind die Folge der Perestroika-Reformen

Der Fokus auf die Entwicklung einzelner, autonomer Wirtschaftseinheiten zerstörte letztlich die Einheit des bisherigen sowjetischen Wirtschaftskomplexes, der nur funktionieren konnte, weil alle seine Teile einem großen, einheitlichen landesweiten Plan folgten. Die Festlegung von Gewinn und Rentabilität als Hauptkriterien für die effiziente Führung eines Unternehmens verwandelte sowjetische Fabriken in halbunabhängige Warenproduzenten. Sie waren halbunabhängig, da sie weiterhin von den bestehenden sowjetischen Liefer- und Produktionsbeziehungen abhängig waren, begannen jedoch schließlich, andere Unternehmen als Konkurrenten zu betrachten. Dies zerrüttete die sowjetischen Produktionsbeziehungen und führte zu dem anfänglichen wirtschaftlichen Zusammenbruch und Massenverarmung Anfang der 90er Jahre.

Entzugsmaßnahmen der Betriebe aus der russischen Volkswirtschaft

Der Rubel wird kein kapitalistisches Geld

Die staatlich verordnete Fortsetzung der Produktion, die allerdings aufgrund der o.g. Widersprüche und daraus resultierenden Probleme kaum Überschüsse abwarf, führte zu einem permanenten Geldmangel und damit zu Problemen der Betriebe, ihre Produktion fortzusetzen. Durch die Umverteilung des Geldes, die aus der Preisfreigabe resultierte, verlor der Rubel zunächst seine Funktion als Zahlungsmittel für Konsumgüter – schließlich verfügten die Konsumenten kaum noch über ihn. Die Zirkulation wurde dadurch ständig unterbrochen, was dazu führte, dass in der Folge keine nennenswerte Kapitalakkumulation in der russischen Volkswirtschaft stattfand. Der Rubel wurde somit nicht zu Kapital, das nennenswert akkumuliert werden konnte. In der Folge kam es sogar dazu, dass Betriebe ihre Erzeugnisse direkt untereinander tauschten, ohne den Rubel als Tauschmittel zu verwenden, um ihre Produktion fortzusetzen. Teilweise entlohnten die Betriebe ihre Arbeiter auch direkt mit den Produkten, die sie selbst hergestellt hatten. (GSP 1992).

Die politische Führung, unterstützt von westlichen Beratern, diagnostizierte diese Probleme als eine einer kapitalistischen Wirtschaftskrise analoge „Konjunkturkrise“, der mit höheren Investitionen und Kreditierungen entgegenzukommen sei. Folglich gründeten die Betriebe Gemeinschaftsbanken, um sich selbst zu kreditieren und sich damit formell mit Rubeln zu versorgen. Die russische Zentralbank unterstützte dies mit einer expansiven Geldpolitik, also einer Verbilligung der Kreditnahme. An der schwachen Rentabilität der Betriebe änderte eine solche formelle Kreditierung jedoch nichts. Folglich wurde die Akkumulation materiell unterlaufen: Der Rubel blieb trotz aller Ausgaben durch die Banken weiterhin eine Währung, an deren Vermehrung kein echtes Interesse bestand.

Der Ausverkauf der Produktionsmittel als Mittel zur Umgehung der Betriebe

Die radikalste Entzugsmaßnahme der neuen Privateigentümer aus dieser zum Verdienen von echtem Geld untauglichen russischen Volkswirtschaft, war der Ausverkauf: Die Betriebseigentümer verkauften folgerichtig – aufgrund der nicht lohnenden inländischen Produktion und dem verständlicherweise fehlenden Interesse, nutzlose Rubel zu verdienen – ihre Gebäude, Produktionstechniken, Ingenieure und Dienstleistungen auf dem Weltmarkt gegen harte Währungen. Das durch einen solchen Ausverkauf erworbene Geld in harter Währung wurde in der Folge in den westlichen Standorten der Kapitalakkumulation investiert und kaum in die russische Produktion. Diese Aneignung von Geld durch Ausverkauf und in der Folge Akkumulation im Ausland (Kapitalflucht) führte zu massiven Produktions- und Versorgungsausfällen in ganz Russland – und damit zu einer weiteren Verschärfung der sozialen Lage in Russland.

Die Zerstörung der Reproduktion der Arbeiterklasse und die Folgen für die russische Volkswirtschaft und ihre Währung

Mit der Preisfreigabe wurde das Grundelement des sozialistischen Staates, die Reproduktion der Volkswirtschaft und ihrer Bevölkerung, aufgegeben. In der Folge fielen alle Bürger, die nicht in Betrieben lohnarbeitend tätig waren, schlagartig unter das staatlich ermittelte Existenzminimum. Logische Folge dieser Entwicklung war die Verlumpung durch Arbeitslosigkeit und Verbäuerlichung der Arbeiterklasse durch Rückkehr in die private Subsistenzwirtschaft, um die eigene Reproduktion privat zu bestreiten.

Selbst bei Arbeitern, die in Lohn und Brot standen, ließ sich die Existenz mit Rubellöhnen aufgrund der oben beschriebenen Prozesse der Umverteilung, Produktionsausfälle und Verlust der Qualität der Währung als Zahlungsmittel kaum noch bestreiten.

Die Reproduktion der Arbeiterklasse war zu dieser Zeit damit weiterhin von staatlichen Alimentierungen abhängig, zumindest was ihre Ausstattung mit Geld betraf. Der Staat reagierte in dieser Phase entsprechend mit Versorgungsmaßnahmen, die aber allenfalls den Charakter von finanziellen Überlebenshilfen in Rubel hatten.

Die Freigabe der Preise bewirkte also mit der Umverteilung von Geld von den Konsumenten zu den Produzenten nur eine Zerstörung der ererbten Versorgungsbeziehungen. Es wurde also nicht der bezweckte Produktionsaufschwung, sondern nur Armut auf der einen und unbrauchbares Geld auf der anderen Seite produziert. Bei der umfassenden Geldrechnung und den erwähnten Ausverkaufsgeschäften der neuen Eigentümer stellte die politische Führung fest, dass brauchbares Geld offenbar nur im Ausland erhältlich war.

Folgemaßnahmen: Aufspaltung der vermeintlich „preismanipulierenden“ (Staats-)Monopole

In der russischen Regierungspolitik wurden die konstant hohen Preise trotz sinkender Nachfrage und die ausbleibenden wirtschaftlichen Erfolge nicht der Untauglichkeit der sowjetischen Volkswirtschaft für eine kapitalistische Marktwirtschaft und der daraus folgenden Zerrüttung der Produktionsbeziehungen zugeschrieben, sondern ausschließlich der (auch tatsächlich vorkommenden) Preismanipulation durch die Betriebe, insbesondere durch große. Es wurde diagnostiziert, dass diese großen Betriebe ihre Marktmacht nur zum eigenen Vorteil ausnutzten und nicht im Sinne einer funktionierenden nationalen kapitalistischen Entwicklung handelten. Daher wurde beschlossen, ihnen diese Marktmacht zu entziehen, indem die großen Betriebe in kleinere Einheiten aufgespalten wurden, um eine echte marktwirtschaftliche Konkurrenz zu schaffen.

Dies wurde Mitte 1992 staatlich in die Tat umgesetzt und wird heute, in Abgrenzung zu der „kleinen Privatisierung“ der sowjetischen Einzelbetriebe (vgl. oben), „große Privatisierung“ genannt (Höhmann 2004). Die großen und mittleren Staatsbetriebe wurden privatisiert, ihre Produktionsmittel und Arbeiter in die Hände privater Geldbesitzer gelegt – in der Erwartung, dass sich diese die Betriebe nun zu marktwirtschaftlich freien und kapitalistisch rentablen Unternehmen entwickeln würden. Die Geldbesitzer hatten den Auftrag, mit den ihnen übertragenen Betrieben Geld zu verdienen. Sie wurden dabei durch den Erwerb der Betriebe zu extrem niedrigen Symbolpreisen vergütet. (Kagarlitzki, 2012).

Das Ziel, die ehemaligen Staatsbetriebe durch die Privatisierung kapitalistisch rentabel zu machen, wurde allerdings kaum erreicht. Der Großteil der neuen Eigentümer erwarb die Betriebe offenbar in der Kenntnis, dass in dieser Volkswirtschaft kein großes Geld zu verdienen war. Sie betrachteten die Betriebe vor allem als Spekulationsobjekte, mit der Erwartung, dass sie irgendwann, nicht sofort, in der Lage sein würden, Geld zu vermehren. Entsprechend wurden sie nicht mit dem (staatlich beabsichtigten) Ziel erworben, Produktion zu betreiben und als industrielles Kapital zu fungieren. Viele Betriebe standen nach ihrem Erwerb durch die Geldbesitzer zunächst als reine Spekulationsobjekte still oder wurden, wenn sie brauchbar waren, direkt gegen harte Währung auf dem kapitalistischen Weltmarkt verkauft. Dadurch wurde schließlich genau das Gegenteil des beabsichtigten Ziels erreicht (GSP 1992).

Mit der Maßnahme der Privatisierung der Staatsbetriebe wurden damit nur formale Eigentumstitel in die Welt gesetzt, die nicht die bezweckte Geldvermehrung und industrielle Produktion mit sich brachten. Das bezweckte kapitalistische Wachstum stellte sich damit in Russland auch durch die Privatisierungs- und Aufspaltungspolitik der russischen Führung kaum ein.

Die Folge für den Rubel- die sogenannte „Inflation“

Investoren war in den frühen 90er Jahren also klar, dass Investitionen in diese Volkswirtschaft keine großen Gewinne bringen würden. Zu dieser Zeit gab es entsprechend international keine Nachfrage nach dem Rubel – er besaß praktisch keinen Außenwert, da er im internationalen Geschäft gar nicht gehandelt wurde. Sein Wertverlust war zu dieser Zeit also nicht relativ im Vergleich zu anderen auf den Geldmärkten gehandelten Währungen, sondern absolut (GSP 1992). Dieses Phänomen des absoluten Verlusts des Außenwertes des Rubels wurde von der russischen Regierung und ihren finanzpolitischen Beratern zu dieser Zeit als Inflation interpretiert, also als relativer Wertverlust der Währung im Vergleich zu anderen Währungen auf den internationalen Geldmärkten.

Regierung und Berater schlussfolgerten daraus, dass eine „antiinflationäre Geldpolitik“, analog zu der in westlichen Staaten, gegen diesen Wertverlust erforderlich sei. Daher reduzierten sie die „expansive Geldpolitik“ zur bisherigen Kreditierung der Betriebe und leiteten ab dem ersten Quartal 1992 einen Sparhaushalt ein.

Der Sparhaushalt zur Stärkung des Rubels und seine Auswirkungen auf die Zahlungsfähigkeit der russischen Betriebe

Der Sparhaushalt, der die zuvor gewährten formellen Kredite zur Fortsetzung der Produktion beendete, hatte weitere äußerst negative Auswirkungen auf die russische Volkswirtschaft. Die wichtigste Folge dieses Sparhaushaltes war, dass den vom Staatshaushalt durch Geldzuweisungen organisierten Bereichen der nationalen Produktion und sozialen Versorgung die staatliche Existenzgrundlage entzogen wurde (vgl. Gaidar: Kürzungen der Unternehmenssubventionen und Rüstungsausgaben).

Die Streichung der staatlichen Kreditierungen bedeutete für die betroffenen Betriebe, dass ihre Produktion nun vollständig von der Zahlungsfähigkeit der Kunden abhängig war. Diese Zahlungsfähigkeit war jedoch aufgrund der oben geschilderten Prozesse der Umverteilung des gesamtvolkswirtschaftlichen Reichtums weg von den Konsumenten stark eingeschränkt. Zahlungsunfähig gemachte Verbraucher zogen damit in der Folge zahlungsunfähige Betriebe nach sich.

Darüber hinaus sollten sich die Betriebe, die durch diese Reformen stark in Geldnot geraten waren, keine Kredite mehr beschaffen können, da sie nach den staatlichen Kriterien als nicht erfolgreich galten. Ihr Geld versickerte lediglich, statt sich zu vermehren. Da sie für die Versorgung ihres Geldbedarfs häufig selbst Banken gegründet hatten und diese Selbstkreditierung in Rubel (s.o.) entsprechend unterbunden werden sollte, wurde nach dem Vorbild kapitalistischer Staaten auch das private Geldverleihwesen eingeschränkt: Der Leitzins wurde von der russischen Zentralbank von 8 auf 20 %, die Pflichteinlagen der Banken von 2 auf 20 % erhöht.  Diese Reformen führten nicht zur beabsichtigten Erhöhung des Werts des weiterhin international nicht gehandelten Rubels, sondern zum Gegenteil: Der Entzug von Geld durch den Sparhaushalt und die Einschränkung der Selbstkreditierung führten bei den Betrieben zu einfacher Zahlungsunfähigkeit.

Bereits 10 Wochen nach Beginn dieses Sparhaushaltes scheiterte das Projekt: Das Steuersystem war zusammengebrochen, die Einnahmen aus der Privatisierung der Staatsbetriebe lagen weit unter den Erwartungen, und Kredite sowie Zinsen in Höhe von 532 Mrd. Rubel waren überfällig (GSP 1992). Daher wurden die Reformen schnell zurückgenommen oder angepasst.

Die Aufteilung der Sowjetunion unter die neuen „unabhängigen Staaten“ führt zum Ausverkauf ihrer Produktion

Mit der Auflösung der Sowjetunion und der der daraus resultierenden Loslösung der ehemaligen Sowjetrepubliken zerbrachen auch die einheitlichen Produktionsbeziehungen zwischen den Republiken. Durch die neuen nationalen Grenzen wurden die Produktionsbeziehungen unterbrochen, und die nun „unabhängigen“ Volkswirtschaften sollten fortan eigenständig agieren, anstatt Teil eines gemeinsamen Systems zu bleiben. Als eigenständige „unabhängige“ Volkswirtschaften hatten sie jedoch nie fungiert, da ihre Betriebe stets als Teile der gesamten sowjetischen Volkswirtschaft agierten und nicht als eigenständige Einheiten. Die neu entstandenen Nationalstaaten entwickelten unterschiedliche und teilweise gegensätzliche politische Interessen, die sie wirtschafts- und außenpolitisch durchsetzten: Zölle, gegenseitige Handelsbeschränkungen oder -förderungen, sowie Streitigkeiten über die nationale Zugehörigkeit grenzüberschreitender Produktionseinheiten, führten in der Folge zu Unterbrechungen bis hin zum Abbruch der bisherigen sowjetischen Produktions-, Handels- und Lieferbeziehungen. Dementsprechend gab es zu dieser Zeit zahlreiche Fälle, in denen Betriebe der weiterverarbeitenden Industrien ihre Produktion einstellen mussten, da notwendige Vorprodukte in einer anderen, nun ‚unabhängigen‘, ehemals sowjetischen Republik hergestellt wurden und deren Importkosten im Verhältnis von Kosten und Marktpreis nicht mehr rentabel waren (GSP 1992).

Daraus folgte in allen neuen unabhängigen Staaten die schnelle Einsicht, dass ihre Produktionsmittel und -einheiten nicht als Produktionsmittel für eine nationale Akkumulation funktionieren konnten.  Sie wurden, analog zu den Ausverkäufen aus der Russischen Föderation (vgl. oben), nun vor allem als Exportmittel ins Ausland gegen harte Devisen betrachtet und verkauft, bzw. auch als Spekulationsobjekte gehandelt (GSP 1992). Die durch diese Verkäufe ersten großen Dollareinnahmen waren auch in diesen Republiken die Eigenkapitalgrundlage für die neue Bourgeoisie.

Diese Ausverkäufe verstärkten die Unterbrechung der Produktionsketten und führten zu einer weiteren Verknappung von Gütern in allen Republiken. Die Untauglichkeit der jeweils nun nationalen Währungen der neuen unabhängigen Staaten als kapitalistisches Geld verstärkte sich. Analog zum Rubel gab es auf den internationalen Geldmärkten keine Nachfrage nach den neuen nationalen Währungen, da Investitionen in diese Volkswirtschaften völlig uninteressant waren und höchstens als Spekulationsobjekte in Betracht kamen.

Die Russische Föderation und die anderen nun unabhängigen Staaten wirtschafteten sich durch den Ausverkauf ihrer nationalen Produktionsmittel gegen Devisen in harte Währungen in eine Abhängigkeit vom Weltmarkt hinein. Das bedeutet, dass sie nun gezwungen waren, die Reproduktion ihrer nationalen Volkswirtschaften durch Handel zu sichern, indem sie Weltmarktgüter importierten (zu dieser Zeit nicht nur Hochtechnologie und Maschinen, sondern auch Nahrungsmittel) und Rohstoffe oder ihre eigenen Produkte auf dem Weltmarkt exportierten. Sie wirtschafteten sich mit ihrer neuen „Freiheit“ somit in einen Zwang hinein, Devisen verdienen zu müssen.

Der Westen unterstützte diesen Prozess in seinem Interesse, genau diese Abhängigkeit aufzubauen, z.B. mit Exportbürgschaften für Devisenbeschaffung.

Die Devisenbeschaffung bedeutete also keinen nationalen Gewinn und keinen materiellen Beitrag zur nationalen Akkumulation durch Erneuerung der Produktionsanlagen, sondern war ein Ausverkauf von Reichtümern und eine Aufzehrung vorhandener Produktionsmittel.

Politisch entwickelten sich die „nationalen Aufbruchprogramme“ und der damit verbundene Devisenbeschaffungszwang der neuen unabhängigen Staaten damit in die permanente Aufgabe, sich nach auswärtige Interessen zu richten.

Entsprechend konkurrierten die unabhängigen Staaten darum, sich den Gläubigern der ehemals sowjetischen Auslandsschuldner als solide verlässliche Schuldner für die Möglichkeit der Aufnahme neuer Schulden anzubieten. Diese Konkurrenz wurde vor allem gegenüber der neuen Russischen Föderation ausgetragen, die sich als rechtmäßiger Nachfolgestaat der SU und damit als der verlässlichste Schuldner anbot. Die neuen unabhängigen Staaten nationalisierten in der Folge ihre jeweils nationale Abteilung der ehemals sowjetischen Vneshekonombank (Außenhandelsbank) und beschlagnahmten die Devisenkonten auf dem eigenen Terrain, um sie der russischen Kontrolle zu entziehen und sie somit unter ihre eigene nationale Kontrolle zu bringen. In der Folge gelangten kaum noch Devisen aus den neuen unabhängigen Republiken in die russische Außenhandelsbank, sodass ihre Devisenreserven entsprechend sanken (GSP 1992).

Das rasche Schrumpfen der russischen Devisenreserven stellte aufgrund der oben beschriebenen Abhängigkeit der Volkswirtschaft von Importen aus den Weltmärkten ein existenzielles Problem dar. Daher entschied die russische Regierung im Februar 1992, 40 % der Gewinne aus Exportgeschäften zur Begleichung eigener Schulden abzuschöpfen, was für die Exporteure eine sehr drastische Maßnahme war. Diese Entscheidungen führt zu einer Verstärkung der Umgehungsmaßnahmen der Kapitalisten: Sie sicherten ihr im Ausland verdientes Geld gegen den russischen Staat ab, indem sie es im Ausland deponieren oder Außenhandel auf eigene Faust betrieben, was nun durch die Aufgabe des Außenhandelsmonopols und breite Gesetzeslücken möglich war (GSP 1992).

Die Notwendigkeit der ständigen Devisenbeschaffung, der Kontrollverlust über ebendiese durch die Abtretung des Außenhandels an das private Kapital und die Konkurrenz um die Schuldenbedienung, also die Etablierung als verlässlicher Schuldner gegenüber den westlichen Gläubigern, führte zu anhalten Konflikten zwischen den Nachfolgestaaten der SU. Dies brachte den Westen in eine Machtposition, er konnte nun als Schuldner die Konditionen setzen und damit auch politischen Einfluss geltend machen. Dieses einseitige Verhältnis wurde schlussendlich mit der Aufnahme der Nachfolgestaaten der SU in den Internationalen Währungsfonds (IWF) folglich politisch und rechtlich institutionalisiert.

Die Überführung der russischen Wirtschaft unter die Aufsicht der imperialistischen Hauptmächte durch den IWF

Mit diesem Schritt gelang dem Westen die politische Aufsicht über die Schuldenbewirtschaftung der Russischen Föderation. Die Aufnahme Russlands in den IWF führt zu einer Steigerung der Abhängigkeit vom Weltmarkt, weil die ihm gewährleisteten Kredite von 24 Mrd. USD in ebendiesen Dollar zurückgezahlt werden mussten.

Die Kreditvergabe erfolgte, wie beim IWF üblich, nur unter der Bedingung der Einhaltung von Reformen, die ein Abtreten der wirtschaftspolitischen und fiskalischen Souveränität an den IWF bedeuteten:

Die durchgesetzten Sparreformen durch Privatisierungen, Kürzungen von „Defiziten“ u.Ä. führten unweigerlich zu Preissteigerungen. Dies war ganz im Sinne der russischen Regierung, da so der Wert des Rubels stieg (vgl. oben): Im Sommer 1992 wurde der Rubel durch einen Präsidentenerlass mit Gesetzeswirkung allen (auch ausländischen) Geschäftssubjekten als verbindliches Zahlungsmittel vorgeschrieben. Dieses Gesetz wäre ohne eine materielle Grundlage, nämlich einen Umtauschkurs von Rubel in Devisen, nicht möglich gewesen. Eine solche Sicherheit konnte Russland zu diesem Zeitpunkt selbst nicht garantieren, erst die Unterstützung des IWF machte diesen Schritt möglich. Die Absicherung des Umtauschkurses der nationalen Währung hatte seine materielle Grundlage nun also in der ausländischen Kreditgarantie und nicht in der Potenz der nationalen Volkswirtschaft. Mit diesem Schritt war die Abhängigkeit der Souveränität des „neuen Russlands“ von den Regeln der imperialistischen Weltordnung institutionalisiert und gesichert.

Das Ergebnis der Perestroika: Die Abhängigkeit Russlands von den Regeln imperialistischer Weltordnung

Die Perestroika-Reformer setzten mit ihrem Programm in den Jahren 1992-1993 einen neuen russischen Kapitalismus in die Welt, in dem die nationale Staatsmacht keine Kontrolle mehr über ihre Ökonomie und folglich ihr Geld innehatte. Sie bewirtschaftete zu dieser Zeit einen nach außen wertlosen Rubel und den permanenten Zwang sich für die Devisenbeschaffung politisch, wirtschaftlich und fiskalisch herzurichten. In dieser Zeit wurde keine nennenswerte Kapitalistenklasse geschaffen, die innerhalb des Landes zu Reichtum gelangte; stattdessen akkumulierte sie ihren Reichtum im Ausland.

Teil II: Der Zusammenbruch 1998

Im Verlauf der 1990er Jahre erlebte die Russische Föderation einen Rückgang der Industrieproduktion um 56 % im Vergleich zu 1988. Bis 1994 erreichte das Produktionsniveau das der ehemaligen Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik (RSFSR). Gleichzeitig vollzog sich, bedingt durch die weitere Liberalisierungspolitik u.a. im Bankensektor, eine Gründungswelle neuer Bankinstitutionen. Der wirtschaftliche Zusammenbruch führte dazu, dass der Staat nicht mehr genügend Steuern für den Haushalt einnehmen konnte. Dies wurde zusätzlich durch ein dezentrales Steuersystem verschärft, bei dem nicht alle Zahlungen aus den Föderationssubjekten ihren Weg nach Moskau fanden, sowie durch weitverbreitete Steuerhinterziehung, insbesondere in Form von Kapitalflucht ins Ausland. Generell wird in dieser Zeit ein Kapitalabfluss von bis zu 400 Mrd. USD vermutet. Gleichzeitig hatte die Russische Föderation als Rechtsnachfolger der Sowjetunion deren Auslandsschulden übernommen, was die finanzielle Belastung zusätzlich erhöhte.

Diese Ausgangslage, sowie die sich anbahnende Hyperinflation, veranlasste den russischen Staat ab 1995 eine Reihe von Reformen durchzuführen, um die Lücken im Haushalt zu füllen und die Wirtschaft, zumindest zeitweise, zu „stabilisieren“. Kernstück der Reformen war dabei ein sogenannter Wechselkursanker, der den russischen Rubel in einem festen Wechselkurskorridor im Verhältnis zum US-Dollar festsetzte. Dies konnte durch die ausreichend vorhandenen Devisenreserven in der Ankerwährung (hier dem US-Dollar) durchgesetzt werden. Dies führte dazu, dass sich der Rubel bis Mitte des Jahres stabilisierte, was wiederum zur Folge hatte, dass die Kapitalbewegung von einer Kapitalflucht zu einem Anstieg von Kapitalimporten (fast ausschließlich in den Finanzmarkt) umkehrte. Russland wurde in dieser Zeit als „Emerging Market“, also Schwellenmarkt, eingestuft, was ausländischen Investoren suggerierte, dass das Marktrisiko in der Russischen Föderation geringer sei.

Eine weitere wichtige Reform war die Umstellung der Finanzierung der öffentlichen Haushalte auf den privaten Kapitalmarkt. Ehemalige Zentralbankkredite wurden durch Schatzwechsel mit kurzer Laufzeit (rus. GKO, gosudarvstvennyie kratkosrochnyie beskuponnyie obligazii), sowie durch Wertpapiere mit einer Laufzeit zwischen einem und drei Jahren und einem flexiblen Zinssatz (OFZs) verdrängt. Zwischen 1995 und 1997 stieg der Gesamtbetrag dieser Anleihen von 50 Mrd. Rubel auf 350 Mrd. Rubel an. Für Anleger waren besonders die GKOs attraktiv, da sie eine kurze Laufzeit hatten: 70 % liefen weniger als 150 Tage, und 17 % sogar nur 30 Tage. Zugleich garantierten sie hohe Renditen: Bis 1997 lagen diese bei 20 %, stiegen jedoch im folgenden Jahr auf 150 %. Dadurch verschuldete sich der russische Staat erheblich, indem er versprach, das Geld der Gläubiger schnell zu vermehren – sowohl in Rubel als auch in Fremdwährungen, insbesondere dem US-Dollar. Für die ausländischen Anlieger waren die Investitionen in GKOs durch den stabilen, künstlich hochgehaltenen Rubelkurs interessant. Eine Abwertung des Kurses hätte zur Folge gehabt, dass der Kapitalimport sofort zum Erliegen käme und gleichzeitig die Schulden der Russischen Föderation in Fremdwährungen anstiegen. Ende 1997 betrug die Staatsverschuldung 123,5 Mrd. USD, was 27,5 % des BIP entsprach. Auch die Banken hatten sich erheblich in Auslandswährungen verschuldet, unter anderem zur Finanzierung des Kaufs von GKOs und OFZs. Im Jahr 1998 beliefen sich die Verbindlichkeiten der Banken in Auslandswährungen auf etwa 250 % ihres Guthabens in diesen Währungen.

Im Juli 1997 begann in Thailand die „Asienkrise“, ausgelöst durch die Freigabe der Landeswährung Baht. Auch andere Länder wie Indonesien, Malaysia, die Philippinen, Singapur und Südkorea waren betroffen. Diese Krise hatte zwei wesentliche negative Auswirkungen auf die Russische Föderation: Erstens kam es zu einer Neubewertung der Schwellenmärkte, was zu einer Flucht der Anleger in westliche Anlagemöglichkeiten führte. Zweitens fiel der Dollarpreis für Öl und Gas um 30 %, was unter anderem durch die verringerte Nachfrage infolge der Asienkrise bedingt war. Daraus folgte, dass der russische Staat am 17. August 1998 zahlungsunfähig wurde und seine Schulden nicht mehr begleichen konnte. Infolgedessen wurde die Rückzahlung der Schulden für drei Monate ausgesetzt, und der zuvor festgelegte Rubelkurs wurde freigegeben. Zuvor hatte man versucht, den Rubel durch Stützungskäufe und den Erwerb von Devisen zu stabilisieren, unter anderem mithilfe eines IWF-Kredits. Die Freigabe des Wechselkurses hatte eine Abwertung um 50 % zur Folge. Gleichzeitig konnten die Banken aufgrund des Zahlungsmoratoriums ihre GKOs und OFZs nicht in liquide Mittel umwandeln, was die Pleitewelle der russischen Banken stark vorantrieb. Innerhalb eines Jahres verringerte sich die Anzahl der Banken in Russland von 1600 auf 1390. Laut einer Weltbankstudie aus dem Jahr 1999 waren von den 18 größten Banken vor der Krise nun 15 zahlungsunfähig, gleichzeitig hatte sich das Eigenkapital des gesamten Bankensystems halbiert.

Was das Finanzsystem schwer traf, führte gleichzeitig zu einem Aufschwung in der Industrie der Russischen Föderation. Diese war, wie bereits erwähnt, im Vergleich zur Wirtschaftskraft der Sowjetunion stark geschwächt und durch den hohen Rubelkurs im Export benachteiligt. Nach der Abwertung des Rubels profitierte die Industrie von den niedrigeren Wechselkursen und dem wachsenden Interesse an russischen Waren im Ausland. Beispielsweise verdoppelte sich der Exportwert zwischen 1998 und 2002.

Das politische Ergebnis der Finanzkrise war, dass Teile der aufstrebenden russischen Bourgeoisie die Notwendigkeit eines stabilen Wirtschaftssystems mit stärkerer staatlicher Kontrolle erkannten. Die Krise traf vor allem den Bankensektor hart, wodurch einflussreiche Kapitalistengruppen wie die Semibankirschina (Sieben-Bankiers-Bande) durch den Bankrott ihrer Banken an wirtschaftlicher Macht und Einfluss verloren oder zu der Erkenntnis kamen, dass der Staat eine stärkere Rolle in der Wirtschaft spielen müsse.

Eine weitere Folge war ein Konzentrationsprozess innerhalb der russischen Wirtschaft, der durch Unternehmensfusionen geprägt war. Zusätzlich erkannte der russische Staat die Wichtigkeit einer teilweisen Kontrolle des Rohstoffexportes und übernahm, beispielsweise mit dem Konzern Gazprom, mehr Kontrolle über die Staatseinnahmen. Dabei wurde die Abhängigkeit von den internationalen Finanzmärkten durch eine Abhängigkeit vom Ressourcenexport ersetzt. Dieser Export führte zwar zu einem schnellen Anstieg des Wachstums, dieser beruhte aber vor allem auf dem hohen Ölpreis, der zwischen 1998 und 2004 von 74 USD auf 232 USD anstieg.

Ein Beispiel für die Forderung nach verstärkter staatlicher Intervention war die Gründung des Russländischen Verbands der Industriellen und Unternehmer (RSPP). Dieser Verband entstand nach einem Treffen der 19 größten Unternehmer mit Putin im Juli 2000. Der RSPP diente als Plattform zur Institutionalisierung des „ideellen Gesamtkapitalisten,“ indem er wirtschaftspolitische Forderungen bündelte und diese geschlossen gegenüber dem Staat vertrat. Putin schieb 1999 über die neue Rolle des Staates: „Unabhängig davon, wem natürliche, insbesondere mineralische Ressourcen gehören, hat der Staat das Recht, den Prozess ihrer Entwicklung und Nutzung zu regulieren und dabei im Interesse der Gesellschaft als Ganzes und der einzelnen Eigentümer zu handeln. Damit deren Interessen ins Spiel kommen, im Widerspruch zueinanderstehen und um einen Kompromiss zu erzielen, ist die Hilfe staatlicher Stellen erforderlich“. Ergänzt wird die Bedeutung der wirtschaftlichen Stabilität durch das Eintreten für die „Integrität“ der Russischen Föderation: Sowohl RSSP als auch der neue Ministerpräsident Putin standen für eine Bekämpfung des Separatismus in Tschetschenien (Kriegsbeginn 1999).

Teil III: Entwicklung des Kapitalismus in Russland 2000-2008

Phase der Stabilisierung in Russland: Agenda einer strategischen Steuerung des russischen Kapitalismus

Die Jahre 2000 bis 2008 gelten als die Phase der Stabilisierung in Russland. Nach der Finanzkrise unter Jelzin wurde unter Wladimir Putin die Staatsmacht im Kreml zentralisiert und der Ausverkauf der russischen Produktion gebremst. Die Entwicklung wurde vom westlichen Imperialismus äußerst kritisch betrachtet, da ihr Einfluss auf die russische Entwicklung dadurch deutlich gehemmt wurde. Gleichzeitig trat die Russische Föderation in dieser Phase außenpolitisch deutlich selbstbewusster auf. Dieser Aspekt soll in diesem Text aber nicht tiefergehend betrachtet werden. Vielmehr sollen die politische und ökonomische Entwicklung betrachtet und auch die Auswirkungen auf die Arbeiterklasse in Russland mit einbezogen werden.

„Staatsmacht wiedererlangen“

Wladimir Putin wurde 1999 von Jelzin zum Ministerpräsidenten ernannt. Es handelte sich also nicht um ein komplett neues Gesicht, sondern um jemanden, der das Ansehen Jelzins genoss. Dafür gewährte Putin Jelzin Immunität, er ließ seine Vergangenheit – inklusive Staatsbankrott – ruhen.

Zu Beginn seiner Amtszeit schätze Putin die Souveränität und Sicherheit der Russischen Föderation als gefährdet ein. Dies machte er an vier Punkten fest:

  • Die Ökonomie war zerfasert. Es gab keinen geregelten Binnenmarkt, die russische Ökonomie war davon geprägt, dass Produktionsmittel ausverkauft wurden.
  • Die zerfaserte Ökonomie war stark abhängig vom ausländischen Finanzkapital
  • Die staatliche Macht konnte sich nur sehr begrenzt durchsetzen. Dies wurde auch an vielen Separationsbewegungen in den einzelnen Regionen der RF deutlich.
  • Die staatliche Macht war außerdem angeschlagen da viele Beamte nicht dem Staat als solches verpflichtet waren, sondern mehr einzelnen Oligarchen.

Putins Programm sah deswegen eine Restaurierung der staatlichen Macht vor. Um die Einmischung verschiedener Oligarchen in die Angelegenheiten des Kremls zu verhindern oder zumindest einzuschränken, fand im Jahr 2000 ein Treffen mit den zehn größten Kapitalisten statt. Bei diesem Treffen wurde vereinbart, dass sie nicht verpflichtet sind, den Ursprung ihres Vermögens offenzulegen, sich jedoch im Gegenzug nicht in die Politik einmischen dürfen.

Der bekanntesten Separationsbewegung, der in Tschetschenien, wurde mit harter Hand begegnet. Die russische Armee griff durch, um ein Zerfallen der Russischen Föderation zu verhindern und ein Exempel gegen alle Kräfte zu statuieren, die ähnliche Absichten hegten. Auch wenn die Macht mehr im Kreml zentralisiert werden sollte, gab es gleichzeitig Bestrebungen, das autonome Handeln der einzelnen Regionen zu fördern. Dies geschah wohlgemerkt in einer Zeit, in der sich einige Regionen als „souveräne Staaten, assoziiert mit der Russischen Föderation“ bezeichneten und folgend mehr Freiheiten in ihrer sozioökonomischen Politik erhielten. Inwiefern dies zu einer Auseinanderentwicklung je nach ökonomischer Stärke führte, lässt sich hier jedoch nicht abschließend beurteilen.

Wie oben schon beschrieben, kann man bei der Übernahme des Präsidentenamtes durch Putin nach Jelzin, nicht von einem kompletten Machtwechsel sprechen. Dies zeigt sich auch daran, dass im Jahr 2003 77 % der staatlichen Führungsschicht aus der ehemaligen Nomenklatura der Gorbatschow- und Jelzin-Zeit stammten. Seit 2000 ist dieser Anteil sogar noch gestiegen, insbesondere in den Bereichen Sicherheit und Militär. Gleichzeitig kam es jedoch auch zu einer Verjüngung des Personals: 24 % des Führungspersonals wurden seit 2000 ersetzt. Wie oben schon beschrieben, kann man bei der Übernahme des Präsidentenamtes durch Putin nach Jelzin, nicht von einem kompletten Machtwechsel sprechen. Dies zeigt sich auch daran, dass im Jahr 2003 77 % der staatlichen Führungsschicht aus der ehemaligen Nomenklatura der Gorbatschow- und Jelzin-Zeit stammten. Seit 2000 ist dieser Anteil sogar noch gestiegen, insbesondere in den Bereichen Sicherheit und Militär. Gleichzeitig kam es jedoch auch zu einer Verjüngung des Personals: 24 % des Führungspersonals wurden seit 2000 ersetzt.

 Putin selbst bezeichnete den russischen Staat 2008 als weiterhin korruptes und bürokratisches System und forderte eine weitere Dezentralisierung und größeres Vertrauen in die Ministerien. Zu dieser Zeit arbeiteten 25 Mio. Menschen für den Staat.

Die Armee der RF setzte sich größtenteils aus den Überresten der in der Jelzin-Zeit stark reduzierten Roten Armee zusammen. Das betraf vor allem die Kernwaffen, die weiterhin als Abschreckung dienten. Von 1994 bis 2003 verringerte sich der Verteidigungsetat von 20 % auf 16 % des Staatshaushaltes. Nach Protesten aus dem militärisch-industriellen Komplex wurden das Verteidigungsbudget um 27 % angehoben, von 413 Mrd. Rubel auf 528 Mrd. Rubel. Im Jahr 2008 wurde beschlossen, dass bis 2020 eine neue Strategie für den Aufbau der bewaffneten Kräfte erforderlich ist.

Nach der Konterrevolution und der Einführung des Kapitalismus fehlte bis 2000 eine stringente Steuerpolitik, und es wurden kaum Steuergelder eingezogen. Im Jahr 2001 wurde dann eine Flat-Tax eingeführt, die eine allgemeine Steuer von 13 % für Unternehmen und Arbeiter festlegte. Diese niedrige Steuer sollte die Steuermoral erhöhen, um so überhaupt wieder einen staatlichen Zugriff auf Unternehmen und Löhne zu bekommen. So konnten schon deutlich mehr Steuereinnahmen als unter Jelzin eingenommen werden. Ziel der Steuerreform war es, Finanzreserven in Rubel aufzubauen, die für Krisen und soziale Verpflichtungen verwendet werden könnten, unabhängig von ausländischen Devisenreserven.

Die niedrige Unternehmenssteuer sollte auch die internationale Konkurrenzfähigkeit der russischen Unternehmen erhöhen. Um die Belastungen der Finanzkrise 2008 abzumildern, wurden die sozialen Verpflichtungen der Unternehmen noch weiter verringert. Das wurde damit begründet, dass eine Senkung der Steuerlast für Bürger und Unternehmen erforderlich sei, um Investitionen in die Entwicklung des menschlichen Kapitals zu stimulieren.

Durch die Finanzkrise unter Jelzin hatte sich Russland beim IWF verschuldet. Um sich von dieser Abhängigkeit abzulösen, wurden die Steuereinnahmen, die man durch den Rohstoffhandel einnahm (300 Mrd. allein in 2001) vor allem für den Abbau solcher Auslandsschulden eingesetzt. Allein 2001 wurden 40 % des Haushaltes für die Rückzahlung von Krediten genutzt. So konnte 2003 die IWF-Kredite vollständig zurückgezahlt werden.

Die Bundesrepublik forderte 2002 500 Mio.€ von der RF für Transferrubel aus DDR/SU-Zeiten zurück. Dieser Transferrubel war für wirtschaftliche Beziehungen zwischen der DDR und der Sowjetunion eingeführt worden. Die beanstandeten 500 Mio. € waren wohl relativ niedrig angesetzt, was von deutscher Seite aus damit begründet worden war, dass Russland sehr präzise seine Schulden an den Pariser Club (informelles Gremium für die Vermittlung von Zahlungsabläufen zwischen Staaten) seit 2000 zurückzahlte.  Insgesamt betrugen die Schulden an die BRD aber bis 2004 weiterhin 14 Mrd. Euro. Bis 2008 konnte die RF ihre Auslandsschulden auf auf 3 % des BIP reduzieren.

Russland konnte bis 2004 seine Devisen- und Goldreserven auf 117,4 Mrd. USD erhöhen. Der Rubel erholte sich wieder nach der Finanzkrise. Damit erhöhen sich wieder die Preise russischer Produkte im Ausland, nachdem sie durch den niedrigen Kurs des Rubels sehr billig geworden waren.

Ab 2000 griff der russische Staat stärker als zuvor in die russische Wirtschaft ein. Das war auch nötig, da eine funktionierende Wirtschaft auch notwendig für die Reproduktion der Arbeiterklasse war. Etwas wie ein Sozialstaat musste erst wieder aufgebaut werden, sodass die Arbeiterklasse konsumieren und sich reproduzieren konnte. Denn das größte Entwicklungspotential sah man in der Hebung der Produktivität der Arbeitskräfte. Um eine Ausbeutung durch ausländische Unternehmen zu beschränken, wurden insgesamt 42 Branchen vor ausländischen Investitionen geschützt.

Wie oben schon angedeutet wurde die Politik Putins, aber auch Medwedews, im Westen stark kritisiert. Dies lag besonders am selbstbewussteren Auftreten international. Hier soll nur beispielhaft auf die Rede Putins auf der Münchner Sicherheitskonferenz im Jahr 2007 eingegangen werden, da sie diesen Wandel verdeutlicht. Putin forderte dort mehr „Multipolarität“ statt „US-Vorherrschaft“, was er mit „Demokratisierung der internationalen Machtverhältnisse in der Weltgemeinschaft“ begründete. Er kritisierte, dass Abrüstungsverträge nur einseitig eingehalten würden und der Westen seinen Verpflichtungen nicht nachkäme. Dieser Wandel auf dem internationalen Parkett war nur durch den eigenen wirtschaftlichen Aufschwung möglich.

Die Erholung der russischen Nationalökonomie

Insgesamt lässt sich sagen, dass sich die russische Wirtschaft nach der Finanzkrise von 1999 in den frühen 2000er Jahren recht schnell erholte. Das BIP wuchs im Jahr 2000 bereits um 7 %, die Industrieproduktion sogar um 9,8 %. Dieses wirtschaftliche Wachstum hatte verschiedene Ursachen, die nicht allein in der neuen Kontrolle des russischen Staates zu suchen sind. Die Rubelabwertung von 1998 ermöglichte es, russische Produkte sehr günstig auf dem internationalen Markt zu verkaufen. Zudem stieg der weltweite Erdölpreis, was insbesondere dem rohstoffexportlastigen Sektor der russischen Wirtschaft zugutekam. In diesem Zusammenhang beschränkte der russische Staat die Binnenpreise für Energieträger, wodurch die inländische Produktion verbilligt und der Konsum innerhalb der Bevölkerung angekurbelt wurde. Ein weiteres staatliches Mittel zur Steuerung der wirtschaftlichen Entwicklung war die Einführung staatlicher Überwachung der Unternehmen. Dafür wurden auch die Geheimdienste mit einbezogen. Trotz der verstärkten staatlichen Kontrolle wurde bis 2005 weiterhin angenommen, dass etwa 25 % der Wirtschaft nicht vollständig erfasst oder reguliert waren.

Ein Ergebnis des wirtschaftlichen Wachstums waren insbesondere die gesteigerten Exporte. Bis 2003 konnten diese um 29,8 % erhöht werden, während die Exporte in die GUS-Staaten sogar um 33,8 % stiegen. Insgesamt wurde der Warenumschlag mit dem Ausland vergrößert, und zwar um das Fünffache. Dabei spielten Staatsbetriebe eine bedeutende Rolle, da sie sowohl die finanziellen Mittel bündeln als auch die notwendigen organisatorischen Kapazitäten bereitstellen konnten. Trotz der aufsteigenden Tendenzen blieb die Kapitalflucht ein Problem der russischen Ökonomie, die im Jahr 2000 bei immer noch 20 Mrd. USD lag. Gleichzeitig nahmen die Investitionen in die RF zu, von 2000 bis 2008 waren es 82 Mrd. USD.

Russland verfügt über reiche Vorkommen an Rohstoffen, insbesondere an Erdöl und Gas. Durch die Übernahme der beiden großen Unternehmen Jukos und Sibneft durch die Staatskonzerne Rosneft und Gazprom konnte der russische Staat die Kontrolle über die Rohstoffexporte zurückgewinnen. Bis 2007 kontrollierte der Staat somit wieder über 40 % der Förderungen. In den 90er Jahren waren zusätzlich Konzessionen zur Förderung von Öl und Gas an ausländische Konzerne vergeben worden. Für ihre Gewinne aus den Förderungen mussten sie keine Abgaben bezahlen, solange sie ihre Unkosten noch nicht wieder reingeholt hatten, was zu einer ständigen vorgeblichen Unkostenerhöhung seitens der Unternehmen führte. Deshalb wurden u.A. diese Konzessionen auf den Prüfstand gestellt und zum Teil wieder zurückgenommen. Trotzdem kamen 2007 weiterhin 26 % der Ölfördermenge ausländischem Kapital zu.

Trotz großer Gewinne durch Exporte der Rohstoffe kam es 2001 zu einer Energiekrise im Inland. Es zeigte sich, dass ein Spannungsfeld in der russischen Ökonomie zwischen dem Bedarf an Rohstoffen im eigenen Land und der Exportmenge existierte.

2007 war das Jahr des größten Zuwachses des BIP (+8,1 %). Damit lag die RF noch vor Italien und Frankreich. Insgesamt lag das Wirtschaftswachstum von 2000 bis 2007 bei 72 %. Trotzdem lag das Verhältnis von Investitionen aus dem Ausland zu Investitionen russischen Kapitals ins Ausland weiterhin bei 15:1. Es kann also davon ausgegangen werden, dass Russland zu dieser Zeit keinen nennenswerten Netto-Kapitalexport betrieb.

Das Geschäft mit Europa beschrieb Putin 2008 weiterhin als schwierig:  europäischen Firmen würden sich nicht an Absprachen halten und russische Firmen würden vom europäischen Markt ferngehalten werden, z.B. bei atomaren Brennstoffen. Unter den europäischen Ländern nahm die Bundesrepublik Deutschland eine besondere Rolle in den wirtschaftlichen Beziehungen zu Russland ein. Sie begrüßte insbesondere die Marktliberalisierung, da sie ihrem Export hochwertiger Industrieprodukte zugutekam.

Es ist wichtig zu erkennen, dass die russische Wirtschaft nicht so weit diversifiziert werden konnte, wie ursprünglich geplant. Im Jahr 2008 machten Rohstoffe noch 80 % der russischen Exporte aus, während Industrieprodukte lediglich 15 % ausmachten. Besonders die Rüstungsindustrie spielte eine bedeutende Rolle, da sie als einziger wettbewerbsfähiger Sektor gilt, der zudem staatlich dominiert wird. Während der Finanzkrise zeigte sich jedoch, dass selbst die profitablen Rohstoffunternehmen nicht stabil aufgestellt waren und 2008 mit 150 Mrd. Rubel unterstützt werden mussten.

Insgesamt konnte sich die russische Wirtschaft im weltweiten Vergleich von Platz 22 im Jahr 1999 auf Platz 11 im Jahr 2008 verbessern.

Sozio-ökonomische Verbesserungen für die russische Arbeiterklasse im Rahmen der kapitalistischen Möglichkeiten

Nur das wirtschaftliche Wachstum kann eine tatsächliche zuverlässige Grundlage für eine langfristige Lösung der sozialen Probleme, auch für Armutsbekämpfung geben. (Putin 2006)

Für weite Teile der russischen Arbeiterklasse war die Tausch- und Selbstversorgung weiterhin essenziell, um über die Runden zu kommen. Aus diesem Grund spiegeln die Lohnstatistiken in diesem Fall nicht unbedingt das tatsächliche Einkommen der Arbeiterinnen und Arbeiter wider.

Wie bei der Besteuerung wurde auch der Minimallohn niedrig gehalten, um zu verhindern, dass Unternehmen in die Schattenwirtschaft abwandern. Im Jahr 2002 sollte der Minimallohn an das Existenzminimum gebunden werden, was eine erhebliche Verbesserung der Lebensbedingungen versprochen hätte. Dieses Vorhaben wurde jedoch 2004 zurückgezogen, und zusätzlich wurden die Lohnnebenkosten gesenkt.

Im Jahr 2007 wurde der Minimallohn von 1.100 auf 2.300 Rubel angehoben. Da der Steuerfreibetrag jedoch nicht erhöht wurde, unterlag ein größerer Teil des Einkommens der Besteuerung. Der Minimallohn lag weiterhin unter dem Existenzminimum und stand im starken Kontrast zur boomenden Wirtschaft und den hohen Gewinnen der Unternehmen. Zudem galt der Minimallohn nicht landesweit, sondern konnte von den Regionen angepasst werden. Insgesamt stiegen die Löhne bis 2007 um das 2,5-fache. Der Sozialstaat wurde zwar aufgebaut und sollte gemäß der Agenda größere Teile der Bevölkerung unterstützen, dennoch spiegelte er auch die marktliberale Linie Putins wider: Bürger wurden dazu angeregt, sich selbst um ihre Renten- und Gesundheitsversorgung zu kümmern. Parallel dazu wurden die Sozialabgaben der Arbeitgeber 2004 von 35,6 % auf 26 % gesenkt. Zudem wurde 2005 eine Erhöhung des Rentenalters beschlossen: Für Männer von 60 auf 68 Jahre und für Frauen von 55 auf 63 Jahre. Dies konnte nicht durchgesetzt werden, weil der Widerstand zu groß war und damit auch 2007 noch immer jeder zweite Mann vor dem Eintritt in die Rente verstorben wäre.

Eine weitere einschneidende Maßnahme war die Abschaffung von Vergünstigungen für viele Arbeiter und Veteranen bei Medikamenten und dem öffentlichen Personenverkehr im Jahr 2006. Diese Vergünstigungen stammten noch aus der Sowjetunion und sollten durch Geldleistungen ersetzt werden. Für einige stellte dies einen positiven Schritt dar, da sie ohnehin keinen Zugang zu vergünstigtem ÖPNV hatten. Für andere hingegen bedeutete die Kürzung einen erheblichen Einschnitt, da die angebotenen Geldleistungen nicht ausreichten, um die Kosten für Medikamente zu decken. Neben den Einsparungen für den Staat wurde die Kürzung auch damit begründet, dass man sich von dem sozialistischen Erbe trennen wolle.

Die Armut, die mit der Konterrevolution in die Russische Föderation einzog, blieb auch nach 2000 erheblich. Im Jahr 2007 galten 16,3 % der Bevölkerung als extrem arm. Auch wenn die absolute Armut von 40 % 2000 auf 20 % 2008 der Bevölkerung sank, blieb sie dennoch ein bedeutendes Problem, da nach wie vor die Hälfte der Bevölkerung weniger als 60 % des durchschnittlichen Einkommens verdiente.

Teil IV: Russlands Kapitalismus nach und in den Krisen

Die Weltwirtschaftskrise 2008 und die ab 2015 verhängten Sanktionen haben die materielle Krisenanfälligkeit der politischen Agenda, die in Teil III dargelegt wurde, deutlich gemacht. Sie haben der Regierung aufgezeigt, dass alle Bemühungen, eine unabhängige Entwicklung Russlands zu verfolgen und dabei den Westen einzubeziehen, zum Scheitern verurteilt sind. Im folgenden Teil wird die Politik seit 2008, ihre Widersprüche und Folgen für Russland untersucht.

Die Politik seit 2015 und 2022: Versuche der Trennung vom Westen

Seit 2008, und insbesondere seit der intensiven Sanktionspolitik ab 2015, die durch die Eingliederung der Krim in die RF ausgelöst wurde, bemüht sich Russland verstärkt darum, die strukturellen Probleme zu verringern, die seine Abhängigkeit vom Rohstoffexport und seine Anfälligkeit bedingen.

Ein wichtiges Mittel für den Kampf gegen die oben dargelegte schädliche Abhängigkeit von ausländischem Kapital- und Warenimport ist eine verstärkte Importsubstitutionspolitik. Ziel ist es, ein nationales Produktionssystem zu schaffen, das, geschützt vor überlegenen Importen, neue Strukturen entwickelt und in Bezug auf Preise, Qualität und Diversität ein Niveau erreicht, das mit internationalen Wettbewerbern vergleichbar ist. Dieses nationale Produktionssystem soll den Import von Gütern durch eine eigenständige Produktion ablösen. (vgl. Vercieul, 2023, S.50).

Weiterhin wird, wie schon ähnlich in den frühen 2000er Jahren, die Diversifizierung der Wirtschaft angestrebt, um die Abhängigkeit der Volkswirtschaft aus den Exporterlösen der Rohstoffförderung zu senken. Dies treibt Russland insbesondere seit den extremen Primär- und Sekundärsanktionen gegen seine Exporte voran.

Brangsch (2022) bezeichnet diese Maßnahmen als „neue Lösungen für alte Probleme“; in Anbetracht dessen, dass es diese Bemühungen allerdings schon in den frühen 2000er Jahren gab, ist fraglich, ob es sich wirklich um „neue Lösungen“ handelt. Ein wesentlicher Unterschied ist freilich die verstärkte Abwendung vom Westen auf der einen und Zuwendung in Richtung China, Indien u.A.

Was diese politische Agenda für das Verhältnis zwischen Staat und Kapital innenpolitisch bedeutet, ist derzeit Gegenstand intensiver Debatten und Interessenkonflikte in Russland. Brangsch beschreibt, dass es in den russischen Führungskreisen nach wie vor „wirtschaftsliberale Strömungen“ gibt, die gegen „konservative“ Kräfte kämpfen. Dies deutet darauf hin, dass westlich orientierte Kräfte weiterhin Einfluss in den russischen Eliten haben. Die Militäroperation in der Ukraine sei ganz offensichtlich ohne Zustimmung breiter Teile des russischen Großkapitals entschieden worden. Um solche Unsicherheiten in Zukunft zu vermeiden, sei ein Umbau der Kapitalistenklasse mit dem Ziel einer stärkeren politischen Loyalität das Ziel.

Ob dies angesichts der strukturellen Probleme Russlands in der daraus resultierenden mangelhaften Attraktivität als Akkumulationsstandort – trotz der o.g. Reformen – realistisch ist, wird sich in den nächsten Jahren zeigen.

Teil V: Der Zustand der russischen Volkswirtschaft als langfristiges Ergebnis der (Wirtschafts-) Politik in Russland 

Die russische Volkswirtschaft ist durch die staatliche Übernahme und Interventionen der aus Sicht der Regierung strategisch relevanten Abteilungen (siehe Teil III) auf der einen, und der Widersprüche der Kapitalisierung der sozialistischen Gebrauchswertökonomie auf der anderen (Teil II) weiterhin geschieden in rentable und unrentable Abteilungen.

Die Programmatik der Putin-Regierung war und ist die Herstellung eines nationalen Kapitalismus, der Gewinne für den Erfolg und Selbstbehauptung Russlands in der Staatenwelt abwirft. Ein solcher Kapitalismus wurde aus ihrer Sicht von der Jelzin-Administration zwar bezweckt, aber noch nicht erfolgreich in die Welt gesetzt. Als zentraler politischer Handlungsschwerpunkt folgt daraus bis heute, dass der Staat die Kommandogewalt über seine Wirtschaft und sein Geld zurückerlangt – auch gewaltsam gegen die Interessen einzelner Eigentümer (vgl. Teil III).

Der Staat hat sich durch diese Politik einen maßgeblichen Einfluss auf die Entscheidungen der Staatsbetriebe eingekauft. Durch staatliche Investitionen soll die Produktivität dieser Betriebe vorangebracht werden. Durch solche Übernahmen sollen die Exporterlöse für die Entwicklung der russischen Volkswirtschaft abgesichert werden. Aus dieser wirtschaftspolitischen Zielsetzung, gepaart mit den finanziellen Begrenzungen, vor denen der russische Staat steht, folgt jedoch, dass er nur sehr bestimmte Abteilungen der Volkswirtschaft so übernehmen, bezuschussen und kontrollieren kann. Vercieul  bezeichnet dies als „selektiven Staatsmonopolismus“, bei dem die wirtschaftlichen Aktivitäten des Staates zwar zugenommen haben, sich jedoch auf spezifische Branchen konzentrieren (ebd. S.40). Auf die finanzielle Begrenztheit dieser Politik geht Vercieul ein, der unterschiedliche Einschätzungen der russischen Monopolkommission, Fachzeitschriften und des IWF über den staatlichen Anteil an Unternehmensbeteiligungen zitiert (ebd. S.45), die hier jetzt aber nicht vertieft werden.

Das Problem der Scheidung in rentable und unrentable Abteilungen der russischen Volkswirtschaft ist nicht etwa nur ein für Russland zu bedauernder Einschnitt des russischen BIP, sondern ein fundamentales Problem für seine Volkswirtschaft als Ganzes: Alle Abteilungen seiner Volkswirtschaft sind weiterhin, aufgrund der in Teil I und Teil II geschilderten postsowjetischen Produktionsbeziehungen, organisch aufeinander angewiesen (vgl. Teil I und II). Die gesamtnationale Kapitalakkumulation ist daher abhängig von der gegenseitigen Notwendigkeit der Einzelbetriebe, Kapital zu akkumulieren. Die Konsequenz dieses fundamentalen Problems ist ein negativer Zirkel/“Teufelskreis“: Die mangelnde Rentabilität des einen Betriebs wirkt sich notwendig negativ auf die Rentabilität des anderen aus und die wiederum auf den dritten etc. Es stellten sich also weiterhin nur sehr schleppend kapitalistische Produktions- und auch Konkurrenzbeziehungen in der russischen Binnenwirtschaft (und auch im GUS-Wirtschaftsraum) ein.

Auf dieses Problem reagiert der russische Staat mit zwei Maßnahmen. Erstens versucht er, mit Staatsaufträgen, v.a. in der Infrastruktur, die unrentablen Abteilungen zu „unterstützen“ – in dem Sinne, dass er sie durch seine Aufträge produzieren lässt. Zweitens werden die rentablen Betriebe verpflichtet, die unrentablen zu unterstützen – in dem Sinne, dass sie dabei gesetzlich unter Druck gesetzt werden (durch Importsteuern) und finanziell unterstützt werden, ihre Vorprodukte von russischen Produzenten zu beziehen bzw. den Verkauf ihrer Produkte an russische Firmen, z.T. zu günstigeren Konditionen, dem Verkauf an ausländische Kunden vorzuziehen oder direkt mit ihrem Kapital in die unrentablen Betriebe zu investieren.

Eine weitere Verpflichtung, die der Staat den Betrieben auferlegt, besteht darin, einen größeren Anteil an den Reproduktionskosten der Bevölkerung zu tragen. Er ist weiterhin darauf aus, den in Teil I und Teil II geschilderten Niedergang der Ressource der menschlichen Arbeitskraft als Hindernis für einen nationalen kapitalistischen Erfolg Russlands zu verhindern. Die Betriebe werden entsprechend dazu verpflichtet, überhaupt, regelmäßig und ausreichend Löhne zu zahlen. Dies scheiterte bisher und bis jetzt nicht nur an der „Dreistigkeit“ der Betriebe, dies nicht zu tun – ein Resultat der neuen Freiheit, die ihnen das neue kapitalistische Russland gewährte – die Zahlung von Löhnen, die die Reproduktion der Arbeiterklasse halbwegs ermöglichen kann, scheitert auch schlicht daran, dass die Betriebe selbst nicht in der Lage waren, dafür ausreichend Geld zu verdienen und folglich die Lohnkosten zu stemmen.

Die hier dargelegten staatlichen Verpflichtungsmaßnahmen für das Kapital – die Unterstützung der unrentablen Betriebe durch die rentablen und die Zahlung der Reproduktionskosten der Arbeiterklasse – mindert die Rentabilität der Betriebe weiter. Dadurch wird sowohl vom Staat als auch vom Kapital Geld investiert, das sich nicht oder nur schlecht kapitalistisch rentiert, also unproduktiv verausgabt wird. Dies hat Folgen:

Die großen kapitalistisch erfolgreichen Energiekonzerne beklagen Kapitalmangel und stellen fest, dass ihre von staatlichen Krediten ermöglichten Investitionen in russische Förder-, Entwicklungs- und Forschungsmethoden nur mäßig Gewinn abwerfen. In der Folge entscheiden sie sich gegen solche Investitionen und a) sparen das Geld oder b) verkaufen die noch in der Sowjetunion erschlossenen Vorkommen bis zur Neige.

Solche Entscheidungen, die die Unternehmen im Rahmen ihrer Unternehmensfreiheit treffen, stehen gegen das staatliche Interesse, die russische Volkswirtschaft zu einer erfolgreich kapitalistischen zu machen. Sie rufen entsprechend politische Reaktionen hervor – eine maßgebliche ist die, dass der Staat selbst Unternehmen und Banken gründet.

Staatliche Unternehmensgründungen und Kreditierung

Russland gründete sechs staatliche Öl- und Gascluster, um den im vorherigen Kapitel dargelegten privatkapitalistischen Entscheidungen der Betriebe, die in dieser Branche tätig sind und von denen sich ein Beitrag zur nationalen Akkumulation erhofft wird, entgegenzuwirken.

Auch das russische Finanzwesen, das ursprünglich für die Kreditierung der Betriebe geschaffen wurde, hat außerhalb des Rohstoffsektors nur begrenzte Möglichkeiten, erhebliche Gewinne zu erzielen. Infolgedessen gibt es im Finanzsektor keine ausreichenden Kapitalreserven, um große wirtschaftliche Projekte zu finanzieren. Folglich bleibt der Staat (mit seinen Banken Sberbank und VTB) und nicht etwa kleinere russische Privatbanken der Hauptakteur für die Kreditschöpfung und Kreditvergabe für die russischen Unternehmen. Und damit setzt sich auch die Problematik der russischen Staatsverschuldung als wesentliches Element der Initiierung wirtschaftlichen Erfolges fort: Durch kontinuierlich unproduktive Staatsinvestitionen wird das aufgenommene Staatsschuldenkapital nicht in produktives Geldkapital umgewandelt. Diese Investitionen führen zu keiner oder nur unzureichend erfolgreichen Kapitalakkumulation, die sie als gerechtfertigt erscheinen lassen würde. Damit bleiben auch die Kreditvergabe-Bedingungen, v.a. die Kreditkosten durch steigende Zinsen des russischen Staates, erschwert. Die Kreditfähigkeit des russischen Staates hängt weiterhin stark von den Devisenreserven der Zentralbank ab.

Diese Politik hat also nur zum Teil das erreicht, was bezweckt wurde. Die Scheidung der russischen Volkswirtschaft in einen kleinen kapitalistisch rentablen und einen in der Breite kapitalistisch unrentablen Teil bleibt. Diese Zweiteilung wird auch mit der Politik der Putin-Administration fortgesetzt: Weiterhin werden solche erfolgreichen kapitalistischen Inseln hergestellt, erhalten und gefördert und auch weiterhin wird der Erhalt unrentabler Produktionsabteilungen staatlich befohlen – mit ebendem fortschreitenden Ruin dessen Produktionsapparats, da Investitionen in Erneuerung und Instandhaltung dieser Abteilungen vom Kapital als nicht rentabel beurteilt werden.

Russland schafft es also bei aller staatlich subventionierten Produktivität nicht zu einer weitreichenden kapitalistischen Rentabilität. Mit Ausnahme von Waffen sind russische Waren auf dem Weltmarkt nicht weiter nachgefragt. Damit beruht das ganze Projekt der nationalen Stärke Russlands auf kapitalistischer materieller Grundlage weiterhin auf vor allem einer Geldquelle: Die Öl- und Gasvorkommen. Diese Quelle unterliegt Schwankungen und politischen Entscheidungen, die außerhalb Russlands politischer Gewalt liegen. Sie und damit das ganze russische kapitalistische Staatsprojekt ist damit angreifbar. Deshalb entscheidet sich Russland, vor allem nach dem Einbruch der Ölpreise in der Krise 2008 für ein weiteres Instrument, das aus seiner Sicht die Akkumulation im Land voranbringen soll: Kapitalimport aus dem Ausland.

Kapitalimport aus dem Ausland- die Zurichtung Russlands als attraktiver Investitionsstandort

Der Einbruch der Ölpreise infolge der Krise 2008 und die darauf folgende Spekulationen gegen Russlands Staatsschulden haben die Herrschenden zur Erkenntnis gebracht, dass ihr Aufbauprojekt sehr stark von Faktoren, die außerhalb ihrer Kontrolle liegen, abhängt. Dies und die Erkenntnis, dass inländische private und staatliche Investitionen zu keiner Erweiterung der Rentabilität der Volkswirtschaft führen, hat sie in dem Beschluss bestärkt, ihre industrielle Basis durch Kapitalimport aus dem Ausland zu erweitern.

Für diesen Zweck gibt es drei Mittel: Sonderwirtschaftszonen für ausländisches Kapital, die Bereitstellung unrentabler Betriebe für ausländisches Kapital und die Öffnung des russischen Marktes für ausländische Unternehmen (GSP 2013).

Die zweite Maßnahme- die Bereitstellung von Betrieben für ausländisches Kapital- wird durch bestimmte investitionsfreundliche Bedingungen verstärkt. Russland ist insbesondere wegen seiner niedrigen Umweltschutzstandards attraktiv für bestimmte Industrieinvestitionen, da diese Standards für westliche Investoren in ihren Heimatländern zusätzliche Kosten verursachen. Darüber hinaus werden Teile der noch kaum kapitalisierten Landwirtschaft für ausländische Investitionen geöffnet. Zuletzt – und das ist der politisch besonders zentrale Punkt – werden russische Betriebe als „verlängerte Werkbank“ für westliches Kapital angeboten. Attraktiv werden solche Investitionen vor allem aufgrund im Vergleich zu westlichen Staaten geringen Arbeitsschutzstandards und Löhnen.

Politisch brisant, und im Gegensatz zur Zielsetzung stehend, ist dieser Schritt vor allem deshalb aus zwei Gründen: Erstens, weil mit einer solchen Funktionalisierung der russischen Betriebe ein Verlust der nationalen Souveränität über technologische und fertigungstechnische Fähigkeiten einhergeht, ein schmerzhafter Verlust für die internationale Konkurrenzfähigkeit aber auch Souveränität der über die eigenen staatlichen Gewaltmittel (Flugzeugindustrie). Zweitens, weil mit der Öffnung des russischen Marktes, v.a. für weltbeherrschende Autokonzerne, die für Arbeitsplätze und Autos für die russische Bevölkerung sorgen sollten, vor allem zu Profiten ebendieser Konzerne, die mangels rentabler Investitionsmöglichkeiten in Russland ihr dort verdientes Kapital vor allem außerhalb von Russland investieren. Die russische Zahlungsfähigkeit wird hier also aus Russland abgeschöpft und nicht dort reinvestiert, was für eine nationale Kapitalakkumulation notwendig wäre.

Zusammengefasst führt der Import von ausländischem Kapital nach Russland und die dafür staatlich hergestellten Investitionsbedingungen dazu, dass konkurrenzfähigere ausländische Kapitale vor allem russische Betriebe auf dem eigenen Markt verdrängen. Die bezweckte Verringerung der Scheidung des Landes in rentable und unrentable Abteilungen zum Zweck einer erfolgreicheren gesamtnationalen Kapitalakkumulation wird damit nicht, wie beabsichtigt, erreicht, sondern verschärft.

Anwerben von ausländischem Finanzkapital

Die in Kapitel III skizzierte erfolgreiche Schuldenkonsolidierung wird in Russland als gute Bedingung für die Anwerbung von internationalen Finanzkapital gesehen, dass die mangelhafte Investitionsfähigkeit und -tätigkeit des russischen Staates und Kapitals kompensieren soll.

Das Finanzkapital schätzt die Kreditwürdigkeit des Staates und der Betriebe jedoch äußerst kritisch ein. So wird einerseits durchaus in die rentablen Abteilungen der russischen Wirtschaft investiert. In Abteilungen mit zweifelhaften Wachstumsaussichten wird allerdings weniger investiert und wenn, dann wird sich das damit verbundene Risiko mit hohen Zinsraten und Kreditkonditionen in Rechnung gestellt – eine Rechnung, die sich ein russischer Betrieb mit zweifelhaften Erfolgsaussichten dreimal überlegt. Grundlage dieses Zweifels der Investoren ist, dass der kapitalistische Erfolg russischer Betriebe – wenn er denn eintritt – stark abhängt von der auswärtigen Nachfrage der russischen Rohstoffe. Ein weiterer Mangel, den die Investoren benennen, ist der zunehmende unrentable Einsatz der Staatseinnahmen für die Alimentierung für die Fortsetzung der Produktion und Reproduktion der Arbeiterklasse (s.o.). Das Finanzgewerbe urteilt über Russland als Anlagesphäre und seine Währung selbst als schwach, weil es abhängig ist vom Devisenschatz in der Leitwährung, der wiederum abhängig ist vom Rohstoffexport des Staates und der unterliegt einigen Gefahren. Die ins Land geholte Finanzwelt sieht sich deshalb gezwungen, ihr in Rubel verdientes Geld in Devisen zu tauschen und in außerrussischen, also nicht in Rubel lautenden Finanzanlagen zu vermehren. Das gilt auch für russische Geldkapitalisten.

Das westliche Finanzkapital, das nach Russland kommt und dort akkumuliert wird, verlässt also in der Summe das Land. Der ausgehend von ihren Investitionen akkumulierte Reichtum wird dort in der Summe mehr außer Land geschafft, als er für eine nationale Akkumulation reinvestiert wird. Es handelt sich in Summe also um Kapitalabfluss. Dieser Kapitalabfluss ist damit keineswegs Ausdruck einer weltweiten Eroberung russischen Finanzkapitals, sondern ganz im Gegenteil Ausdruck der weiterhin existierenden Schwäche der russischen Volkswirtschaft, des Staates und seiner Währung.

Vercieul schlussfolgert, dass sich an der Art und Weise, wie Russland in die Weltwirtschaft eingebunden ist, seit den 90er Jahren kaum etwas verändert hat. Er führt diese Stagnation auf die hier so ähnlich skizzierten immanenten Probleme des postsowjetischen Kapitalismus zurück, die er als „Russian Disease“ bezeichnet. Die Abhängigkeit der nationalen Akkumulation und damit Reproduktion des russischen Staates von den Rohstoffexporten sei weiterhin gegeben und damit seine hohe Anfälligkeit für äußere Schocks wie Sanktionen und Ölpreisschwankungen (Vercieul 2023, S.43).

Alle Versuche Russlands, dem ernsthaft entgegenzutreten, d.h. seine strategischen Interessen von den ökonomischen Machthebeln des Westens unabhängig zu machen, scheiterten in der Regel am Widerstand der westlichen Regierungen. Das Ziel, sich als Macht aufzubauen, die ihre wirtschaftlichen Beziehungen als politische Hebel nutzen kann, um ihren Interessen Geltung zu verschaffen – diesen strategischen Statusgewinn wollen die westlichen Staaten nicht zulassen. Beispielhaft für den Widerstand seien hier einmal die zahlreichen Versuche der EU genannt, einen Zugewinn an russischer Marktmacht zu verhindern. Darüber hinaus mobilisieren die USA seit jeher Flüssiggas, um die europäischen Staaten von der Abhängigkeit russischen Gases zu „befreien“. Insbesondere diese Politik schadet den russischen Staatsfinanzen erheblich, da teure Pipelines als Investitionsruinen liegen bleiben. Zuletzt gibt es zahlreiche Beispiele für die aktive Verhinderung russischer Investitionen in die EU.

Zusammenfassung: Der russische Kapitalismus heute und seine Einbindung in die imperialistische Weltordnung

Der russische kapitalistische Staat ist bis heute ökonomisch und politisch sehr instabiles. Genau auf diese Instabilität zielen die schon seit Jahren forcierten Sanktionen und ökonomischen Druckmittel gegenüber Russland ab.

Ein wesentlicher Grund für diese ökonomische Instabilität ist die Abhängigkeit der russischen Ökonomie von den Erlösen des Verkaufs fossiler Brennstoffe, Vorprodukten und Mineralstoffen. Denn der Verkauf dieser Rohstoffe bzw. Vorprodukte hat aufgrund der ökonomischen Rückständigkeit Russlands notwendigerweise das Ziel, Devisen in Weltwährung (v.a. USD und EUR) zu beschaffen, um damit den Einkauf von Waren und Technologien zu finanzieren, die für die nationale Entwicklung importiert werden müssen. Russland ist nicht in der Lage, diese Waren und Technologien selbst zu produzieren, sodass dieser Teil der Wertschöpfung nur in einem sehr geringen Maße stattfindet. Die russische Volkswirtschaft ist damit in keiner Weise konkurrenzfähig gegenüber den großen westlichen Industrienationen. Darüber hinaus unterliegen die Währungen, die sich Russland als Devisen beschaffen muss, der politischen Kontrolle der Länder, deren Zentralbanken sie emittieren (d.h. FED in USA und EZB in Europa) und in denen sich die Zentren des internationalen Finanzkapitals befinden.

Die russische Volkswirtschaft muss mit ihren strategischen Exportgütern – sowohl in privaten als auch in staatlichen Betrieben produziert – auf dem Weltmarkt Devisen verdienen. Diese Devisen werden benötigt, um die für die Produktion dieser Güter und die allgemeine Reproduktion des Landes erforderlichen Waren, insbesondere Technologie und Maschinen, zu importieren. Nur aufgrund dieser strategischen Bedeutung ist in den Unternehmen dieser Branchen auch der russische Staat Hauptanteilseigner – das war die wesentliche Änderung der politischen Agenda Russlands mit dem Regierungsantritt Putins. Diese Abhängigkeit der Reproduktion der Volkswirtschaft durch die Devisenbeschaffung durch Rohstoffexport stellt eine weitere extreme strategische Schwäche dar, die die politischen Feinde Russlands durch bspw. Gas- und Ölembargos, so geschehen 2022, ausnutzen können.

Weiterhin muss sich Russland aufgrund seiner Rückständigkeit notwendig ausländischen Unternehmen mit einer überlegeneren Produktivität als Investitionsstandort anbieten – es betreibt also Kapitalimport. Dafür bietet es dem internationalen Kapital billige Arbeit, Energie, Grundstoffe und einen großen Absatzmarkt an. Diese Notwendigkeit bedeutet eine strategische Schwäche, da diese Länder entsprechend ihrer politischen Ziele diese Unternehmen auch wieder abziehen können. Der Abzug von westlichem Kapital war entsprechend 2022 ein wichtiges Sanktionsinstrument gegen Russland.

Zuletzt muss sich Russland für die Refinanzierung seiner Schulden und besagten Importen auf dem Weltmarkt auf den internationalen Finanzmärkten durch Emission von Staatsanleihen Devisen beschaffen. Die Stabilität seiner Währung ist abhängig von den nationalen Devisenreserven in den Weltwährungen. Auch dies stellt eine strategische Schwäche dar, die von seinen politischen Gegnern genutzt wird. Das Einfrieren der russischen Devisenreserven, der Ausschluss Russlands aus SWIFT und das Verbot des Einkaufs russischer Staatsanleihen ist den imperialistischen Hauptmächten möglich, da sich die Institutionen ebendieses internationalen Finanzkapitals auf ihrem Hoheitsgebiet befinden. Sie sind damit in der Lage, Russland komplett vom internationalen Zahlungsverkehr auszuschließen (SWIFT) und außerdem in den Status eines Schuldners ohne Kredit (Verbot des Aufkaufs russischer Staatsanleihen) zu werfen.

Durch die Konterrevolution, den Ausverkauf in den 90er Jahren und die, wenn auch selbstbewusster artikulierte, fortgesetzte Teilnahme an der imperialistischen Weltordnung seit 2000 hat sich Russland in eine starke Abhängigkeit von den imperialistischen Hauptmächten manövriert. Die Reproduktion und Entwicklung des kapitalistischen Russlands ist damit materiell wesentlich von dieser Devisenbeschaffung und damit stark vom politischen Willen der imperialistischen Hauptländer abhängig. Für diese Einbindung in die imperialistische Weltordnung entscheidet sich die bürgerliche russische Regierung. Die Widersprüche und Schwächen, die dies mit sich bringt, wird regelmäßig von den linken Kräften in Russland politisch angegriffen.

So wird Russland in der internationalen und v.a. russischen Politikwissenschaft als „halbperipherer Kapitalismus“ bezeichnet.

Diese Abhängigkeit ist ein Kriegsmittel der politischen Feinde Russlands: Teile der industriellen und kommerziellen Aktivitäten im Land befinden sich in der Hand von ausländischen Kapitalen, die in der Lage sind, diesem ihr Kapital zu entziehen und dass auch tun, wenn es die politische Agenda ihres jeweiligen Staates ist, z.B. 2022 der Rückzug von British Petrol aus Rosneft – Anteil bis dato 20 %.

Die überlegene Produktivität und viel investitionswilliges Kapital des Westens werden so zu strategischen Kampfstoffen gegen ein Russland, das auf solche Produkte und Kapitalimporte weiterhin schlecht oder gar nicht verzichten kann.

In der Konsequenz führen diese Maßnahmen zu weiteren Ausfällen in der wirtschaftlichen Reproduktion des Landes, was wiederum Arbeitslosigkeit und soziale Verwerfungen nach sich zieht. Diese Effekte werden vom Westen bewusst provoziert, um eine Spaltung zwischen dem russischen Volk und seiner Regierung herbeizuführen, die als materielle Grundlage für eine mögliche politische Destabilisierung dienen könnte. Ob und inwiefern sich Russland unter kapitalistischen Bedingungen durch die im letzten Kapitel kurz dargelegten Entkopplungsversuche von einer solchen Abhängigkeit und Unterlegenheit lösen kann – das wäre ein politisch interessante Gegenstand einer weiteren Arbeit.

Quellen

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    Im Folgenden kann nicht tiefer auf grundsätzlichere politische Orientierungen, z.B. die Bedeutung der „Friedlichen Koexistenz“, die zu solchen wirtschaftspolitischen Entscheidungen führten, eingegangen werden. Ziel dieses Kapitels ist es ausschließlich, die Abfolge von Entwicklungen logisch darzulegen, die zu einer Zerstörung der sowjetischen Volkswirtschaft und darauf folgenden Integration der neuen russischen Volkswirtschaft in den kapitalistischen Weltmarkt der imperialistischen Weltordnung führte.

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Kommentare

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    Im Folgenden kann nicht tiefer auf grundsätzlichere politische Orientierungen, z.B. die Bedeutung der „Friedlichen Koexistenz“, die zu solchen wirtschaftspolitischen Entscheidungen führten, eingegangen werden. Ziel dieses Kapitels ist es ausschließlich, die Abfolge von Entwicklungen logisch darzulegen, die zu einer Zerstörung der sowjetischen Volkswirtschaft und darauf folgenden Integration der neuen russischen Volkswirtschaft in den kapitalistischen Weltmarkt der imperialistischen Weltordnung führte.

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