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Das Selbstbestimmungsrecht der Völker und die kurdische Frage

Ein Diskussionsbeitrag von Tom Hensgen

Die Kurden leben vor allem in der Türkei, im Irak, im Iran und in Syrien. Der vorliegende Diskussionsbeitrag behandelt in erster Linie die politische Orientierung der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und ihrer Schwesterorganisationen (PJAK im Iran, PYD in Syrien und PCDK im Irak). Zwischendurch werden kurz die Patriotische Union Kurdistans (PUK) und die Kurdisch-Demokratische Partei (KDP) thematisiert, die führenden Parteien der ,,autonomen“ Region Kurdistan im Irak. Die unterschiedlichen kurdischen Organisationen haben teilweise ein feindliches Verhältnis zueinander.

Weite Teile der kommunistischen Bewegung in Deutschland sind solidarisch mit der PKK, der ,,Selbstverwaltung” in Rojava/Westkurdistan/Nordostsyrien unter Führung der PYD und zum Teil legen sie sogar ihren Schwerpunkt auf diese Thematik. Genau das lehne ich ab. Meine Kritik richtet sich unter anderem an die sich als marxistisch-leninistisch (ML) begreifenden Strukturen wie Young Struggle (YS), die MLPD, die Perspektive Kommunismus (PK) und den Kommunistischen Aufbau (KA).

Nur weil es scheinbar so viele Kommunisten sind, die mit der PKK solidarisch sind, bedeutet das nicht, dass sie richtig liegen. Im Gegenteil kann dies als eines von vielen Symptomen der Krise innerhalb der kommunistischen Bewegung betrachtet werden und muss daher kritisch reflektiert werden. Wichtig dabei ist, dass politische Debatten sachlich und mit Argumenten, statt emotionalisiert, polemisch und mit unbelegten Thesen geführt werden, diesen Hinweis finde ich insbesondere bei diesem Thema relevant.

  1. Der ML und das Selbstbestimmungsrecht der Völker
  2. Kurzer Abriss zum Charakter der PKK: Ist die PKK revolutionär?
  3. Die USA und Westasien
  4. Wie die USA das Selbstbestimmungsrecht der Völker missbrauchen
  5. PKK und USA: Ist die PKK proimperialistisch?
    1. ideologisch
    2. militärisch
    3. ökonomisch
  6. Alternativer Bündnispartner für die PKK
  7. Die TKP zum Imperialismus und Westasien
  8. Palästina-Kurdistan-Vergleich
  9. Fazit

1. Der ML und das Selbstbestimmungsrecht der Völker

Es ist umstritten, ob es ein kurdisches Volk und eine kurdische Sprache gibt oder ob mehrere kurdische Völker und mehrere kurdische Sprachen existieren. Gleichzeitig ist es ungeklärt, ob die Kurden eine eigenständige Nation sind. Es gibt die These, dass die Kurden (sowie andere Völker auch) in der Türkei seit der Gründung der Republik und der Entstehung der türkischen Nation ein Teil der türkischen Nation sind. Verteidiger dieser These gehen teilweise davon aus, dass es im Laufe der Zeit nie zu einer Herausbildung einer eigenständigen kurdischen Nation kam. İbrahim Kaypakkaya, Gründer der TKP/ML, gehört zu den ersten, die davon sprechen, dass es eine eigenständige kurdische Nation innerhalb der Türkei gebe [1]. Die verschiedenen Definitionen dazu und die Debatte darum möchte ich jedoch ausklammern und die Annahme treffen, dass es eine/mehrere kurdische Nationen gebe. Das anzunehmen ist überhaupt erst die Grundlage, um die Frage nach dem Selbstbestimmungsrecht behandeln zu können.

Innerhalb der kommunistischen Bewegung ist es eigentlich klar, dass das Selbstbestimmungsrecht der Völker nicht bedingungslos und jederzeit für alle Nationen gilt, sondern von den konkreten, objektiven Gegebenheiten abhängig ist. Jedoch gibt es einzelne Akteure, die von diesem Standpunkt abweichen. Um in das Thema einzuleiten beziehe ich mich auf die Haltung von Marx, Engels, Lenin und Stalin. Dies halte ich für sinnvoll, da ihre Analysen weiterhin aktuell sind und daher eine gute Orientierung darstellen, um heutige Fragen rund um das Selbstbestimmungsrecht behandeln zu können.

Marx und Engels hatten kein eindeutiges Verhältnis zu nationalen Befreiungsbewegungen. Sie sprachen sich bspw. für die Lostrennung Irlands [2] aus, aber gegen die Unabhängigkeit der Slawen [3]. Hier muss bedacht werden, dass zwischen den beiden Texten knapp 20 Jahre vergangen sind und sich ihre Position im Laufe der Zeit entwickelt hat. Entscheidend ist, dass sie sich nicht bedingungslos für die staatliche Lostrennung aller unterdrückten Nationen ausgesprochen haben.

Ende des 19. Jahrhunderts sowie Anfang des 20. Jahrhunderts gab es in der kommunistischen Bewegung breite Diskussionen zur nationalen Frage, beteiligt waren u.a. deutsche, holländische, polnische und russische Kommunisten. Im Laufe dieser Diskussionen revidierte Lenin Teile seiner Standpunkte, was daran deutlich wird, dass seine neueren Texte den älteren teilweise widersprechen. Im Folgenden zitiere ich Lenin zum Selbstbestimmungsrecht aus dem Werk ,,Die Ergebnisse der Diskussion über die Selbstbestimmung“, da dies seine finalen Standpunkte zusammenfasst:

,,“Aber wir können doch nicht für einen Krieg zwischen den großen Völkern sein, für das Hinschlachten von 20 Millionen Menschen um der problematischen Befreiung einer kleinen Nation willen, deren Bevölkerung vielleicht 10-20 Millionen zählt!“ Natürlich können wir das nicht! Aber nicht deshalb nicht, weil wir die vollständige nationale Gleichberechtigung aus unserem Programm hinauswerfen, sondern weil die Interessen der Demokratie eines Landes den Interessen der Demokratie mehrerer und aller Länder untergeordnet werden müssen. Nehmen wir an, daß sich zwischen zwei großen Monarchien eine kleine befindet, deren Landesfürst durch verwandtschaftliche und andere Bande mit den Monarchen beider Nachbarländer „versippt“ ist. Nehmen wir weiter an, daß die Ausrufung der Republik in dem kleinen Lande, die Vertreibung seines Monarchen, in der Praxis einen Krieg zwischen den zwei großen Nachbarländern um die Wiedereinsetzung dieses oder jenes Monarchen in dem kleinen Lande bedeuten würde. Kein Zweifel, daß die gesamte internationale Sozialdemokratie [gemeint sind Kommunisten, Anmerkung des Autors] wie auch der wahrhaft internationalistische Teil der Sozialdemokratie des kleinen Landes in diesem Falle gegen die Ersetzung, der Monarchie durch die Republik wäre. Die Ersetzung der Monarchie durch die Republik ist nichts Absolutes, sondern nur eine der demokratischen Forderungen, die den Interessen der Demokratie (und natürlich in noch höherem Maße des sozialistischen Proletariats) als Ganzes untergeordnet ist. Sicherlich würde ein solcher Fall nicht die geringste Meinungsverschiedenheit unter den Sozialdemokraten beliebiger Länder hervorrufen. Aber würde auf Grund dessen irgendein Sozialdemokrat den Vorschlag machen, die Losung der Republik überhaupt aus dem Programm der internationalen Sozialdemokratie zu streichen, so würde man ihn gewiß für verrückt halten. Man würde ihm sagen: Es geht nicht an, die elementare logische Unterscheidung zwischen dem Besonderen und dem Allgemeinen zu vergessen. […] Um ein internationalistischer Sozialdemokrat zu sein, darf man nicht nur an seine eigene Nation denken, sondern muß höher als sie die Interessen aller Nationen, ihre allgemeine Freiheit und Gleichberechtigung stellen. […] Umgekehrt muß der Sozialdemokrat einer kleinen Nation den Schwerpunkt seiner Agitation auf das zweite Wort unserer allgemeinen Formel legen: „freiwillige Vereinigung“ der Nationen. Er kann, ohne seine Pflichten als Internationalist zu verletzen, sowohl für die politische Unabhängigkeit seiner Nation als auch für ihren Anschluß an den Nachbarstaat X, Y, Z usw. sein. In allen Fällen aber muß er gegen die kleinnationale Beschränktheit, Abgeschlossenheit und Isolation kämpfen, für die Berücksichtigung des Ganzen und Allgemeinen, für die Unterordnung der Interessen des Teils unter die Interessen der Gesamtheit. […] Erstens gibt es keine einzige demokratische Teilforderung und kann es keine geben, die nicht zu Mißbräuchen führen könnte, wenn man den Teil nicht dem Ganzen unterordnet; wir sind nicht verpflichtet, „jeden“ Unabhängigkeitskampf oder „jede“ republikanische oder antiklerikale Bewegung zu unterstützen. […] In den polnischen Thesen (III, Ende von Punkt 2) wird gegen die Idee eines unabhängigen polnischen Pufferstaates der Einwand erhoben, daß dies „eine hohle Utopie kleiner, ohnmächtiger Gruppen ist. Verwirklicht, würde diese Idee die Schaffung eines kleinen polnischen Rumpfstaates bedeuten, der die Militärkolonie einer oder einer anderen Großmächtegruppe, ein Spielball ihrer militärischen und wirtschaftlichen Interessen, ein Ausbeutungsgebiet des fremden Kapitals, ein Schlachtfeld der zukünftigen Kriege wäre.“ All das ist sehr richtig gegen die Losung der Unabhängigkeit Polens für heute, denn selbst eine Revolution in Polen allein würde hier nichts ändern, die Aufmerksamkeit der polnischen Massen würde aber abgelenkt werden von der Hauptsache: vom Zusammenhang ihres Kampfes mit dem Kampf des russischen und des deutschen Proletariats. Es ist kein Paradox, sondern eine Tatsache, daß das polnische Proletariat als solches heute der Sache des Sozialismus und der Freiheit, auch der polnischen, nur dienen kann, wenn es gemeinsam mit dem Proletariat der Nachbarländer gegen die engstirnigen polnischen Nationalisten kämpft. Es ist unmöglich, das große historische Verdienst der polnischen Sozialdemokraten im Kampf gegen diese letzteren zu leugnen. […] Die polnischen Sozialdemokraten können jetzt nicht die Losung der Unabhängigkeit Polens aufstellen, denn als proletarische Internationalisten können die Polen nichts dafür tun, ohne sich wie die „Fracy“ zu Lakaien einer der imperialistischen Monarchien zu erniedrigen.“ [4]

Auch Stalin behandelte nationale Befreiungsbewegungen, er knüpfte an die Inhalte Lenins an und wendete diese auf die damaligen Kämpfe an. An folgendem Zitat wird deutlich, dass auch er das Selbstbestimmungsrecht der Völker nicht allgemein bejaht, sondern immer in Abhängigkeit von den konkreten Bedingungen untersucht:

,,,Die einzelnen Forderungen der Demokratie‘, sagt Lenin, ,darunter das Selbstbestimmungsrecht, sind nichts Absolutes, sondern ein kleiner Teil der allgemein-demokratischen (jetzt: allgemein-sozialistischen) Weltbewegung. Es ist möglich, dass in einzelnen konkreten Fällen der Teil dem Ganzen widerspricht, dann muss man den Teil verwerfen.'[ … ] So verhält es sich mit der Frage der einzelnen nationalen Bewegungen, des möglichen reaktionären Charakters dieser Bewegungen, natürlich nur, wenn man sie nicht vom formalen Standpunkt, nicht vom Standpunkt abstrakter Rechte, sondern konkret, vom Standpunkt der Interessen der revolutionären Bewegung betrachtet. Das gleiche gilt auch für den revolutionären Charakter der nationalen Bewegungen überhaupt. Die zweifellos revolutionäre Natur der gewaltigen Mehrzahl der nationalen Bewegungen ist ebenso relativ und eigenartig, wie die mögliche reaktionäre Natur mancher einzelner nationaler Bewegungen relativ und eigenartig ist. Der revolutionäre Charakter einer nationalen Bewegung unter den Verhältnissen der imperialistischen Unterdrückung setzt keinesfalls voraus, dass an der Bewegung unbedingt proletarische Elemente teilnehmen müssen, dass die Bewegung ein revolutionäres beziehungsweise republikanisches Programm, eine demokratische Grundlage haben muss. Der Kampf des Emirs von Afghanistan für die Unabhängigkeit Afghanistans ist objektiv ein revolutionärer Kampf, trotz der monarchistischen Anschauungen des Emirs und seiner Kampfgefährten, denn dieser Kampf schwächt, zersetzt, unterhöhlt den Imperialismus, während der Kampf solcher ,verbissenen‘ Demokraten und ,Sozialisten‘, ,Revolutionäre‘ und Republikaner wie, sagen wir, Kerenski und Zereteli, Renaudel und Scheidemann. Tschernow und Dan, Henderson und Clynes während des imperialistischen Krieges ein reaktionärer Kampf war, denn er hatte die Beschönigung, die Festigung und den Sieg des Imperialismus zur Folge. Der Kampf der ägyptischen Kaufleute und bürgerlichen Intellektuellen für die Unabhängigkeit Ägyptens ist aus denselben Gründen objektiv ein revolutionärer Kampf, obgleich die Führer der ägyptischen nationalen Bewegung bürgerlicher Herkunft und bürgerlichen Standes sind, obgleich sie gegen den Sozialismus sind, wohingegen der Kampf der englischen ,Arbeiterregierung für die Aufrechterhaltung der abhängigen Stellung Ägyptens aus denselben Gründen ein reaktionärer Kampf ist, obgleich die Mitglieder dieser Regierung proletarischer Herkunft und proletarischen Standes sind, obgleich sie ,für‘ den Sozialismus sind. Schon gar nicht zu reden von der nationalen Bewegung anderer, größerer kolonialer und abhängiger Länder, wie Indien und China, bei denen jeder Schritt auf dem Wege zur Befreiung, auch wenn er gegen die Forderungen der formalen Demokratie verstößt, ein wuchtiger Hammerschlag gegen den Imperialismus, das heißt zweifellos ein revolutionärer Schritt ist.“ [5] 

Zusammenfassung der wesentlichen Aspekte beider Zitate:

– Die Interessen der Demokratie eines Landes sind den Interessen der Demokratie mehrerer und aller Länder untergeordnet.

– Einzelne demokratische Forderungen (wie das Selbstbestimmungsrecht der Völker) sind den Interessen der Demokratie als Ganzes untergeordnet.

– Die elementare logische Unterscheidung zwischen dem Besonderen und dem Allgemeinen ist wichtig. (Im Allgemeinen sind Kommunisten für das Selbstbestimmungsrecht, jedoch müssen Kommunisten die konkreten Bedingungen betrachten, daher können sie in besonderen Fällen auch dagegen sein müssen.)

– Um ein internationalistischer Kommunist zu sein, darf man nicht nur an seine eigene Nation denken, sondern muss höher als sie die Interessen aller Nationen, ihre allgemeine Freiheit und Gleichberechtigung stellen.

– Die Berücksichtigung des Ganzen und Allgemeinen beinhaltet die Unterordnung der Interessen des Teils unter die Interessen der Gesamtheit.

– Es gibt keine einzige demokratische Teilforderung und kann es keine geben, die nicht zu Missbräuchen führen könnte, wenn man den Teil nicht dem Ganzen unterordnet.

– Es kann nützlich sein, gemeinsam mit dem Proletariat der Nachbarländer zu kämpfen, statt für eine staatliche Lostrennung einzutreten, die ggf. zur Folge hätte, eine Militärkolonie einer Großmächtegruppe, einen Spielball von militärischen und wirtschaftlichen Interessen, ein Ausbeutungsgebiet fremden Kapitals oder ein Schlachtfeld zukünftiger Kriege zu kreieren.

– Objektiv revolutionär ist ein Kampf, wenn er den Imperialismus schwächt, zersetzt und unterhöhlt. Wenn ein nationaler Kampf den Imperialismus schwächt, müssen Kommunisten für das Selbstbestimmungsrecht eintreten.

– Reaktionär ist ein Kampf, wenn er die Beschönigung, die Festigung und den Sieg des Imperialismus zur Folge hat. Wenn ein nationaler Kampf den Imperialismus stärkt, müssen Kommunisten gegen das Selbstbestimmungsrecht eintreten.

Ich erwähne die Klassiker des ML aber nicht, weil sie automatisch alles richtig machen würden. Auch sie haben in verschiedenen Bereichen Fehler gemacht, die wir kritisch aufarbeiten müssen. Ich denke jedoch, dass die beiden Zitate und die Stichpunkte zentrale und richtige Aspekte aufzeigen, an denen wir uns orientieren müssen.

2019 veröffentlichte YS eine Polemik gegen die DKP, die TKP und die Kommunistische Organisation (KO). Darin widersprechen sie entschieden der Haltung der Klassiker zum Selbstbestimmungsrecht der Völker: ,,Jede Nation – auch die Kurd*innen – haben ein Recht auf Selbstbestimmung, ohne wenn und aber.” [6] Also meinen sie, dass das Selbstbestimmungsrecht der Völker, d.h. das Recht auf staatliche Lostrennung, komplett unabhängig von den konkreten Bedingungen jeder Nation ,,ohne wenn und aber” gelten würde. Entweder haben sie die Haltung von Marx, Engels, Lenin und Stalin nicht verstanden oder sie lehnen diese bewusst ab, ohne dabei offene Kritik an den Klassikern auszuüben. 

In einem Interview von Juni 2021 erklärt die MLKP: ,,Unter der Herrschaft der Imperialisten wurde Kurdistan in vier Kolonien aufgeteilt. Aus diesen Gründen hat der kurdische nationale Befreiungskampf einen objektiven antiimperialistischen Charakter.” [7] Es wirkt daher so, als wolle die MLKP ihre aktuelle Einschätzung der Situation ausschließlich auf Grundlage der Ereignisse unmittelbar im Anschluss an den 1. Weltkrieg begründen: Weil das kurdische Siedlungsgebiet vor hundert Jahren viergeteilt wurde, sei die Frage nach dem Selbstbestimmungsrecht unabhängig von den aktuellen Bedingungen zwangsläufig zu bejahen? Nein, die Herangehensweise der MLKP ist ebenfalls eine Abkehr vom ML. Auch ihre These, dass die kurdischen Gebiete vier Kolonien seien und die kurdischen Kämpfe daher antikoloniale Kämpfe seien, lehne ich ab. Die MLKP müsste erklären, wie sie Kolonialismus definiert und weshalb dieser Begriff zutreffen sollte. Es gibt auch einige andere Ethnien, die im osmanischen Reich lebten und heute als nationale Minderheiten in den bestehenden Staaten leben – sind diese ebenfalls kolonisierte Völker? Sind alle Staaten, in denen Nationen unterdrückt werden, automatisch Kolonialmächte?

Zusammenfassend sollte festgehalten werden, dass MLer das Selbstbestimmungsrecht von den konkreten Bedingungen abhängig machen (müssten), wobei YS und die MLKP davon abweichen und es für universell gültig halten. Im Folgenden gehe ich auf die konkreten Bedingungen ein, um zu untersuchen, wie die PKK einzuschätzen ist und ob das Selbstbestimmungsrecht unter den aktuellen Bedingungen für die kurdische Frage zu bejahen ist.

2. Kurzer Abriss zum Charakter der PKK: Ist die PKK revolutionär?

Um die PKK beurteilen zu können, ist es relevant, ihre Haltung zum Klassenkampf und zum Imperialismus zu analysieren. Aufgrund ihrer Standpunkte dazu schätze ich die PKK nicht als revolutionär oder fortschrittlich ein.

1978 hat sich die PKK in der Türkei gegründet und verstand sich als ML Partei. 1984 riefen sie den bewaffneten Kampf gegen den türkischen Staat aus, ihr Ziel war es, einen sozialistischen kurdischen Staat zu gründen. Nachdem die Sowjetunion 1989/1990 zerschlagen wurde, begann sich die PKK zu wandeln. Der Niedergang des Sozialismus war möglicherweise (die inneren Triebkräfte in der PKK müssten genauer untersucht werden, um das sicher beantworten zu können) die Hauptursache für den Paradigmenwechsel der PKK, weitere Aspekte in den Folgejahren verstärkten die Tendenz: Die militärische Unterlegenheit der PKK gegenüber der Türkei führte zu mehreren einseitigen Waffenstillständen in den 90ern und 1999 wurde der PKK-Vorsitzende Öcalan von mehreren Geheimdiensten international gesucht und dann festgenommen.

Bestandteile des Wandels der PKK waren u.a. die Aufgabe des ML als Weltanschauung, die Aufgabe des Ziels, einen kurdischen Staates mit einem Guerillakrieg zu erkämpfen, und der Entwurf des demokratischen Konförderalismus (DK). Der DK wird sowohl von der PKK als auch von ihren Schwesterparteien (PJAK im Iran, PYD in Syrien und PCDK im Irak) vertreten und versucht umzusetzen. Die PKK ist mit ihren Schwesterparteien in der Union der Gemeinschaften Kurdistans (KCK) als Dachorganisation zusammengeschlossen. Gemäß dieser Ideologie will die KCK lokale Selbstverwaltungsstrukturen aufbauen und sich so von den bestehenden Staaten unabhängig machen, ihre Lösung wird daher auch staatenlos und anarchistisch genannt. So schrieb Öcalan 2011 in seiner Broschüre ,,demokratische Nation“: ,,Die vollständige Demokratie ist ein Zustand ohne Staat“ [8], wobei seine staatenlose Utopie keine klassenlose Gesellschaft ist, sondern eine Gesellschaft, die auf Klassenversöhnung beruht. Die Vorstellung der Klassenversöhnung hat fatale Auswirkungen auf die konkrete Praxis und die Strategie. Der DK sieht es nicht vor, dass kapitalistische Staaten zerschlagen oder Kapitalisten enteignet werden. In Nordostsyrien/Rojava versucht die PYD, dieses Konzept umzusetzen: In Artikel 41 des dortigen Gesellschaftsvertrages werden Privateigentum explizit geschützt und Enteignungen abgelehnt [9]. Vor Ort wurden Organisationen aufgebaut, wie die Saziyen Cîvaka Sîvîl, in denen sich Arbeiter und ihre Chefs gemeinsam organisieren [10], die Klassenzusammenarbeit ist scheinbar ein fester Bestandteil der PKK-Ideologie. In einem Artikel auf der Website von ,,Make Rojava Green Again” von 2018 steht: ,,Dörfer, die bevorzugen bei der kapitalistischen Ökonomie zu bleiben, sind frei das selbst zu entscheiden, werden jedoch vom kommunalen Wirtschaftsnetzwerk ausgeschlossen.” [11]. Die kommunale Wirtschaftsform, die ebenfalls eine Form des Kapitalismus ist, ist bloß ein freiwilliges Angebot. Es soll ein Konsens zwischen den Besitzenden und Besitzlosen gefunden werden, gleichzeitig lehnt die PKK Hegemonie ab: „Der Demokratische Konföderalismus bietet keinen Platz für jegliches Streben nach Hegemonie. Dies gilt besonders für den Bereich der Ideologie.” [12]. Sascha Stanicic schrieb dazu 2015 in der ,,Freiheitsliebe”: ,,Plastischen Ausdruck findet dieser Versuch die Interessen der Reichen, Unternehmer und Grundbesitzer mit denen der armen Massen zu versöhnen in der Tatsache, dass Akram Kamal Hasu zum Premierminister des Kantons Cizîre wurde. Er gehört zu den reichsten Unternehmern Syriens.” [13]. Im theoretischen Hauptwerk der PKK ,,Jenseits von Staat, Macht und Gewalt” (im folgenden als ,,Hauptwerk” bezeichnet), welches 2004 erschien, steht dazu: „Der grundlegende Fehler ist die antagonistische Gegenüberstellung von Kapitalisten und Arbeitern.“.

Da es die YPG/YPJ (militärischer Arm der PYD) durch das Machtvakuum seit 2011 geschafft hat, für die Kurden in Syrien kulturelle und bürgerliche Rechte zu erkämpfen, könnte man von einer bürgerlichen Revolution sprechen. Dies lehne ich jedoch ab. Es ist nämlich notwendig, das Geschehen in Relation zur Gesamtheit der gesellschaftlichen Verhältnisse zu setzen. Ich bin davon überzeugt, dass der Kampf der YPG/YPJ die Kurden und auch die anderen Völker vor Ort nicht einen Schritt weiter zum Sozialismus gebracht hat, sondern im Gegenteil durch das Verhältnis zu den USA sie in eine noch schlechtere Lage als zuvor gebracht hat. Daher lehne ich es ab, den Kampf revolutionär oder fortschrittlich zu nennen. Auf den folgenden Seiten dieses Textes wird meine Haltung dazu genauer erklärt. YS spricht von einer Revolution in Rojava/Nordostsyrien: ,,Die Revolution in Rojava ist eine national-demokratische Revolution, die die kolonialistische Herrschaft des syrischen Kolonialismus aufgebrochen und somit die nationale Befreiung gewonnen hat.“ [14]. YS bezeichnet Syrien genau wie die MLKP als kolonialistisch und geht daher von einem antikolonialen Kampf aus. Wenn die kurdischen Gebiete unter Assad eine Kolonie gewesen wären, müssen die MLKP und YS unbedingt eine Erklärung abliefern, weshalb sie heute keine Kolonie der USA sind. Die Kurden wurden nämlich nicht befreit, sondern sind jetzt von einer anderen Macht abhängig und zwar von einer Großmacht, die viel stärker als Syrien ist. Daher ist der Kampf keine national-demokratische Revolution. Kann man von einer anderen Art von Revolution sprechen? Einige der eingangs erwähnten Organisationen bezeichnen die Erkämpfung des DK als ,,Frauenrevolution“. Sowohl aus den obigen Gründen als auch weil die Eigentumsverhältnisse nicht angetastet werden, lehne ich den Begriff in diesem Kontext ab. Die Anwendung dessen führt m.E. zu einer ideologischen Verwirrung des Revolutionsbegriffes und einer Verbürgerlichung in Bezug auf die Haltung zur Befreiung der Frauen. In ihrem Hauptwerk schreibt die PKK selbst, dass sie eine reformistische Organisation ist: „Hauptpunkt der politischen Programmatik sollte also eine Reform sein, die eine Bereitschaft des Staates zur Demokratie jenseits leerer Versprechungen garantiert.” Aus den hier aufgezählten Gründen ergibt sich mein Standpunkt, dass die PKK und die ihr nahestehenden Organisationen nicht revolutionär sind.

Abgesehen davon, dass die PYD nicht revolutionär ist, muss auch betrachtet werden, dass sie eben nicht für ein friedliches Zusammenleben aller Völker steht, wie es in der deutschen Linken oft dargestellt wird: ,,Eines Tages müssen die Araber, die in kurdische Gebiete gebracht wurden, vertrieben werden.” sagte der ehemalige Ko-Vorsitzende der PYD, Salih Muslim, 2013 in einem Interview gegenüber Rudaw [15]. Die PYD spricht sich nicht nur gegen Araber in Nordostsyrien/Rojava aus, es kommt hinzu, dass sich Öcalan gegen Auswanderungen von Kurden ausspricht. Sie betrachten Rojava/Nordostsyrien anscheinend als ein Gebiet, welches nur oder zumindest vor allem von Kurden bewohnt sein sollte. Öcalan geht sogar so weit, dass er eingewanderten Kurden die Schuld für Rassismus in Deutschland gibt: ,,Leider wird das entwickelte Deutschland aufgrund der Rückständigkeit unseres Volkes etwas verschmutzt. Das macht mich traurig. Deutschland hätte diese Schlechtigkeit nicht zugefügt werden dürfen. Es gibt so viele kurdische Menschen ohne Arbeit. Sie kamen aus zerstörten Dörfern und sind auf illegalen Wegen nach Deutschland geschickt worden. Das hätte nicht passieren dürfen. Auch das war ein Verbrechen. Sie wurden in die Elendsviertel der Vorstädte gepfercht. Deswegen macht sich erneut Rassismus breit. Berechtigterweise übrigens! Ich finde, auch die Rechten sind im Recht. Ich sage offen, ich denke in diesem Punkt nicht wie ein Sozialdemokrat. Die Rechten haben recht.“ [16]. Gesagt hat er das bereits 1997, also vor seiner Inhaftierung. In diesem Kontext muss noch betont werden, dass es in den 90ern eine faschistische Progromwelle gegen Flüchtlinge und Migranten in Deutschland gab!

Um die Fragen des Selbstbestimmungsrechtes und auch des nicht-revolutionären Charakters genauer behandeln zu können, müssen wir uns die Strategie der USA anschauen und die Haltung der PKK demgegenüber, sowohl in deren Theorie als auch in deren Praxis.

3. Die USA und Westasien

Nach dem Fall der Sowjetunion entwickelten die USA den Greater Middle East Plan (GMEP). Mit dieser strategischen Neuorientierung zielen sie darauf ab, in Westasien Zugang zu Rohstoffen, Handelsrouten und Absatzmärkten zu erlangen. Steven A. Cook, Autor vom Council on Foreign Relations, einem einflussreichen US-Think-Tank, schrieb 2018, dass der Kampf gegen Terrorismus, die Eindämmung des Irans und die Unterstützung für Israel die drei zentralen Elemente der US-Strategie in Westasien sind. Weiterhin schreibt er: ,,Die YPG war ein effektiver Partner im Kampf gegen den IS – auch wenn sie Verbindungen zur PKK hat, die über Jahrzehnte einen Aufstand gegen die Türkei angeführt hat – und wird ein Teil langfristiger amerikanischer Präsenz in Syrien, um den Iran einzudämmen und abzuschrecken.” [17].

Die MLKP schreibt: ,,Die USA wollen nicht nur den IS besiegen, sondern auch den Iran einkreisen, den Einfluss Russlands begrenzen und Israel schützen, daher wollen sie ihre Existenz in Syrien aufrechterhalten und die einzige Kraft, auf die sie sich stützen können, sind die SDF [syrisch-demokratische Kräfte, Militärbündnis unter der Führung der YPG, Anmerkung des Autors].“ [7]. Wenn Ihr versteht, was die USA wollen, wieso sollte man ihnen dann dabei helfen? Und wieso behauptet Ihr im gleichen Interview, dass es aus Sicht der USA taktisch und rein militärisch wäre? 

Jürgen Wagner, Vorstandsmitglied der ,,Informationsstelle Militarisierung”, erklärt weshalb diese Region eine große Bedeutung für die USA hat: ,,Die Kombination seiner ökonomischen und militärischen Relevanz macht Öl zu einem Rohstoff von strategischer Relevanz, weil die Kontrolle über das meiste Öl der Weltölreserven dem Kontrollierenden eine unglaubliche Hebelkraft und überzeugende Kraft gegenüber potenziellen Gegnern erteilt.” [18]. Während sich die Ölvorkommen erschöpfen, steigt der Bedarf nach Öl – und damit auch der Kampf darum. Als beispielsweise die OPEC-Staaten die Förderquoten senken wollten, war die Reaktion darauf eine Erhöhung der Ölförderung außerhalb der OPEC-Staaten, um diese so unter Druck zu setzen. Die OPEC-Staaten waren lange gezwungen Öl sehr billig zu verkaufen. Als die Ölquellen außerhalb der OPEC-Staaten erschöpft waren, nutzten die OPEC-Staaten ihre Chance und erhöhten die Öl-Preise. Das führte dazu, dass die USA es sich zum strategischen Ziel setzte, die Kontrolle über die Regionen zu erlangen, in denen es viel Öl gibt. Wagner erklärt, dass die USA schon seit langem die Entstehung eines kurdischen Staates als Option zur Neuaufteilung Westasiens anstreben und eine entsprechende Karte entworfen haben, wie diese Region dann aussehen könnte. Diese Tatsache muss bei der Beurteilung der kurdischen Kämpfe unbedingt berücksichtigt werden. 

Es geht den USA aber nicht ,,nur” darum, selbst möglichst viel Öl zu haben, sondern auch darum, abzusichern, dass jeder Öl-Handel weiterhin mit US-Dollar bezahlt wird. Saddam Hussein kündigte im Jahr 2000 an, zum Euro überzugehen, danach kündigten Saudi Arabien und Iran dasselbe an. Dadurch würden ölimportierende Nationen keine Dollarreserven mehr brauchen, um Öl zu kaufen. Ihre Nachfrage nach Dollars würde sinken und somit auch der Wert des Dollars. Selbst die Spekulation über so einen Schritt gilt als Kriegserklärung an die USA [18]. An dieser Stelle könnten auch weitere öl-reiche Staaten und das Verhältnis der USA zu ihnen angeführt werden, um deutlicher zu machen, dass den USA dieser Rohstoff extrem wichtig ist.

Aus diesen Gründen ist es für die USA also zentral, Regionen, die über Öl verfügen, zu kontrollieren. Die führenden kurdischen Gruppen im Nordirak betrachten die USA bereits seit 1991 als Bündnispartner. Neben den USA unterstützt auch der israelische Staat die kurdische ,,Autonomie“ im Nordirak: ,,Wenn man zum Iran in den Osten schaut, wenn man die Instabilität der Region betrachtet, ist ein stabiler und einheitlicher kurdischer Staat in der Mitte des Sumpfes [gemeint sind die arabischen Staaten, der Iran und die Türkei, Anmerkung des Autors] keine schlechte Idee.“ [19], sagte Golan, der stellvertretende Chef des israelischen Militärs. ,,Eine Reihe von hohen israelischen Beamten einschließlich des verstorbenen Präsidenten Shimon Peres und Verteidigungsminister Avigdor Lieberman haben in den vergangenen Jahren ihre Unterstützung für eine kurdische Unabhängigkeit ausgedrückt.”[19]. 

Teile der PKK streben ein ähnlich positives Verhältnis zu Israel an: Murat Karayilan ist der Befehlshaber der HPG, der militärischen Kräfte der PKK, und Mitglied des Exekutivkomitees der PKK. 2020 wurde er von der Jerusalem Post interviewt, im Interview heißt es u.a. ,,Als Kommandeur eines anhaltenden Aufstands spricht er selten mit Journalisten. Doch im Gespräch mit dem Magazin erklärt dieser erfahrene Kämpfer seine Präferenz für friedliche Aktivitäten, um kurdische Rechte zu erlangen[:] Beziehungen zwischen den USA und der PKK” [20]. Das gesamte Interview ist voll von proimperialistischen Aussagen und falschen Hoffnungen in die USA und in Israel. Bereits Jahre zuvor äußerte er sich in einem Interview mit der Haaretz positiv gegenüber dem israelischen Staat: ,,Sie [gemeint ist der Journalist, Anmerkung des Autors] wissen, dass es wirklich ein großes Geheimnis für mich ist. Weil ich mehr als jeder andere auf der Welt erwarten würde, dass Israel uns versteht und sich mit uns identifiziert. […] In den 1960ern und 1970ern hat Israel aufgehört den Kurden zu helfen. Wir bewundern euch. Aber seit den 1980ern von dem Moment an als ihr eure Beziehungen und militärische Zusammenarbeit zur Türkei verstärkt habt, habt ihr in Erwägung gezogen, zu denen zu gehören, die systematisch die Unterdrückung gegen uns und unsere Ausrottung unterstützen.“ [21]. Er bittet also den israelischen Staat darum, die PKK zu unterstützen. Trotz der Rolle des israelischen Staates hofft er, genau wie im Fall der USA, auf eine ertragreiche Zusammenarbeit. Das macht die PKK umso interessanter für Israel und die USA.

Viele Anhänger der zionistischen Besatzungsmacht unterstützen die PKK bereits seit 2014: Große Teile der sogenannten ,,Antideutschen”. Problematisch dabei ist es, dass in Deutschland teilweise Kommunisten bewusst in eine Querfront mit diesen eingehen, statt sich gründlicher mit der kurdischen Frage zu befassen und sich von ,,Antideutschen” abzugrenzen.

4. Wie die USA das Selbstbestimmungsrecht der Völker missbrauchen

Die USA sind der militärisch stärkste Staat und sie versuchen u.a. mittels Einmischung in verschiedenen Regionen ansässige Organisationen und Parteien für sich und ihre Politik zu gewinnen. Das tun sie angeblich auch im Sinne des Selbstbestimmungsrechts der Völker und missbrauchen dieses damit. Daher wäre es fatal, dieses Recht für universell gültig zu erklären, wie YS und die MLKP es tun.

Wenn ein Staat den USA oder der EU im Weg steht, versuchen sie, innerhalb dieses Staates Spaltungslinien zu finden, die es möglich machen, ihn von innen zu sprengen. Jugoslawien ist mit dem Kosovo ein junges Beispiel; weitere sind die baltischen, ukrainischen und kaukasischen Nationalisten in der Sowjetunion und teilweise im heutigen Russland, die Separatisten in Tibet und Xinjiang, KDP und PUK im Nordirak, die weiße Minderheit in Bolivien usw. usf. Das ist eine erklärte Strategie der US-Außenpolitik, so wie auch die alten Kolonialmächte innere Konflikte zur Spaltung der Bevölkerung bewusst genutzt haben. Dafür bieten sich religiöse oder ethnische Konflikte ganz besonders an. Neben der sunnitisch-schiitischen Spaltungslinie im Irak spielen eben vor allem die Kurdenfrage in Syrien und dem Irak eine Rolle, die von den USA dafür genutzt wurde und wird, diese Länder zu spalten. Das Ergebnis des Handelns der USA in Westasien sind jahrzehntelange Bürgerkriege, Millionen Tote und Vertriebene und auf Dauer vergiftete Beziehungen zwischen den Bevölkerungsgruppen vor Ort – selbst dann, wenn die USA mit ihren eigentlichen Zielen scheitern. Sich in so einer Situation dafür zu entscheiden, diese Strategie des US-Imperialismus ,,auszunutzen“, um sich selbst einen Spielraum zu verschaffen, wie es die PYD/YPG/SDF getan haben, ist fatal. Es ist nicht im Interesse des kurdischen Volkes und es ist ein Verrat am nationalen Befreiungskampf, den andere Völker, mit denen man eigentlich zusammenleben und zusammen kämpfen sollte, leisten. Auch die Araber kämpfen in der Region um eine Befreiung, einmal vom Zionismus, aber auch von den Besatzungen und Interventionskriegen der USA und ihrer Verbündeten. Eine Befreiung davon kann es nur gemeinsam geben.


5. PKK und USA: Ist die PKK proimperialistisch?

  1. Ideologisch

Im Zuge des Paradigmenwechsel der PKK wechselte sie nicht nur ihre Ideologie vom ML zum DK, viel wichtiger ist ihre veränderte Haltung zum US-Imperialismus, aber auch gegenüber der EU. Im Folgenden soll gezeigt werden, wieso sie nun als proimperialistisch eingestuft werden muss. 

Bereits Mitte der 90er behauptete der PKK-Vorsitzende Öcalan auf Parteitagen der PKK, dass der Sozialismus nicht funktionieren würde bzw. gegen die Interessen der Bevölkerung wäre und die USA Fortschritt repräsentieren würde: ,,Für uns ist es nicht möglich, Kommunisten zu sein. Warum ist die Sowjetunion zusammengebrochen und die USA nicht? Weil die Regierung im Kommunismus alles war und der Mensch nichts. Die USA repräsentieren Entwicklung.”[22]. 2011 schrieb er dann in seiner Broschüre ,,demokratische Nation”, dass er auch die EU als ein Vorbild sieht: ,,Nach mehr als dreihundert Jahren Erfahrung mit Nationalstaaten akzeptieren die EU-Länder mittlerweile, dass demokratische Autonomie das beste Lösungsmodell für die regionalen, nationalen und Minderheiten betreffenden Probleme der Nationalstaaten ist.” [8].

Die Genossin Klara Bina ist in ihrem Diskussionsbeitrag [23] bereits auf die Haltung zu den USA eingegangen und hat aus dem (bereits o.g.) Hauptwerk der PKK zitiert. Die PKK spricht sich darin explizit für den (ebenfalls bereits o.g.) Greater Middle East Plan (GMEP) aus. Da das ein sehr zentraler Punkt ist, um die proimperialistischen und antikommunistischen Standpunkte aufzuzeigen, gehe ich auf ein paar Stellen des Buches ein:

,,Mit diesem Modell [GMEP, Anmerkung des Autors] will man die chronisch gewordenen Probleme und Konflikte (Israel-Palästina, Kurden-Araber, Türkei, Iran) lösen, gleichzeitig das gesellschaftliche Gefüge aus dem Klammergriff des Despotismus befreien und so neue Explosionen verhindern. Es handelt sich um eine Art an die Region angepassten neuen Marshallplan, wie er seinerzeit für Europa umgesetzt wurde. Wenn die Region für das System sehr wichtig ist – und das ist der Fall – und gleichzeitig so etwas wie eine Phase des Chaos durchmacht, dann ist ein Projekt mit diesen Zielen notwendig und realistisch. Es kommt sogar reichlich spät. […] Die wichtigsten mittelfristigen Probleme sind die arabisch-israelischen und die kurdisch-arabischen, kurdisch-iranischen und kurdisch-türkischen Beziehungen, die alle eine lange Vorgeschichte haben. Die Bemühungen der UNO, der NATO, der Koalition und der EU werden dazu beitragen, dass sie früher gelöst werden können. […] Israel besitzt eine ziemlich stabile Demokratie. […] Der frühere faschistische Totalitarismus oder seine real-sozialistische Version können vielleicht bereits als überwunden gelten. […] Europa leistet gewissermaßen im Namen der ganzen Menschheit beim Thema Staat und Demokratie Selbstkritik. […] Eine Türkei, die sich an das europäische Recht hält, wird ein Garant für Frieden sein. All dies würde beweisen, dass die EU, die als eine Selbstkritik für die an Kriegen reiche Vergangenheit Europas entstand und die Frieden und Menschenrechte hochhält, eine unerschütterliche Burg des Rechts und der Demokratie ist.”

Im ganzen Buch bezieht sich die PKK positiv auf die USA, die EU und Israel. Gleichzeitig bezeichnen sie den Realsozialismus als eine Form des Faschismus, diese Aussage muss als offen antikommunistisch gewertet werden. Statt eine Alternative zum Imperialismus erkämpfen zu wollen, stellen sie klar, dass sie sich an den führenden westlichen Staaten orientieren. Daher ist die PKK auf ideologischer Ebene als proimperialistisch zu kategorisieren.

  1. Militärisch

Dass es beim Kampf gegen den IS zu einer militärischen Zusammenarbeit mit den USA kam und die USA im von der PKK/PYD kontrollierten Gebiet zahlreiche Militärbasen hat, ist kein Zufall, keine spontane Entscheidung und keine militärische Notwendigkeit. Dabei muss unbedingt der Wandel der PKK berücksichtigt werden, der zwangsläufig zu einer Zusammenarbeit mit den USA führen musste, nachdem sich die PKK 20 Jahre (von den Äußerungen auf PKK-Parteitagen bis zur militärischen Kooperation sind ca. 20 Jahre vergangen) lang positiv auf die USA bezog. Kommunisten in Deutschland reduzieren die Zusammenarbeit zwischen PKK und USA meist auf eine militärische Ebene und relativieren diese als ,,militärische Notwendigkeit”. Diesem Standpunkt soll mein Diskussionsbeitrag widersprechen und im folgenden sind Zitate von SDF-Sprechern, die selbst der These deutscher Kommunisten widersprechen, aufgeführt.

SDF-Sprecher Talal Silo sagte in einem Interview mit Reuters 2017 über die USA: ,,Sie haben eine Strategiepolitik für die kommenden Jahrzehnte. Es wird langfristig militärische, wirtschaftliche und politische Vereinbarungen zwischen der Führung der nördlichen Gebiete (Syriens) … und der US-Regierung geben“. Laut Reuters schlug er vor, dass Nordostsyrien eine neue Basis für die US-Streitkräfte in der Region werden könnte [24]. Die Website South Front, welche Silo bereits 2016 interviewte, schreibt: ,,In einem exklusiven Interview mit Lifenews sagte Silo, dass die Allianz mit den USA eine strategische Relevanz für die SDF hat und betont, dass die USA und die US-geführte internationale Koalition Entscheidungen auf strategischer und taktischer Ebene treffen, welchen die SDF zu folgen hat. Zum Beispiel: Eine Kooperation mit der SAA [Syrisch-Arabische Armee, Anmerkung des Autors] oder mit den Russen soll vermieden werden und auch, dass der IS nicht angegriffen wird, wenn es kein ,,Signal” von den USA gibt. ,,Wir werden uns nicht mit der syrischen Armee gegen den IS vereinigen, weil unsere Kräfte nur mit den Kräften der US-geführten internationalen Koalition operieren. Wir sind Partner der USA und der Koalition. Sie treffen die Entscheidungen. Es kann keine Koordination zwischen den Russen und uns geben. Weil wir primär eine strategische Beziehung mit der US-geführten internationalen Koalition haben.”” [25].

Und der SDF-Sprecher ist da kein Einzelfall: Es ist für die PKK bzw. für die ihr nahestehenden Organisationen keine Frage der militärischen Notwendigkeit, sondern eine politisch-ideologische Frage, wenn es darum geht mit den USA zusammenzuarbeiten. Dazu kann man sich beispielsweise Aussagen von Sipan Hemo, dem Oberbefehlshaber der YPG, gegenüber Rudaw anschauen: ,,Wenn Amerika und der Westen wirklich Demokratie wollen, sollten sie eine nahe und feste Beziehung mit den Kurden aufbauen. Die kurdische Frage zu lösen bringt die globalen Mächte in eine bessere und stärkere Position, sowohl in Rojava als auch im gesamten Mittleren Osten.” [26]. Aldar Khalil, Mitglied des Exekutivkomitees der Koordination der Bewegung für eine demokratische Gesellschaft (TEV-DEM), spricht ganz offen mit einem reaktionären Organ des außenpolitischen Establishments der USA und macht ebenfalls deutlich, dass auch er proimperialistisch ausgerichtet ist. Er spricht für alle Kurden aus Syrien und bittet die USA quasi darum, mit ihm zusammenzuarbeiten: ,,Die Kurden in Syrien sind pro-demokratisch und pro-amerikanisch. Sie suchen eine dynamische und langfristige Beziehung zu den USA – und im Besonderen die neue Verwaltung [gemeint ist der bevorstehende Amtsantritt von Trump, Anmerkung des Autors] – welche ein unverzichtbarer Verbündeter im Kampf gegen den IS ist. Die Kurden in Syrien sind der beste Freund und Partner für politische und ökonomische Stabilität in der Region. […] Der radikale Islam ist eine Bedrohung für die ganze Welt. Unsere Männer und Frauen, die an der Front kämpfen sind bereit und gewillt sich mit Amerika gegen den gemeinsamen Feind zu vereinen. Und wir freuen uns auf die Stärke und Tiefe unserer Beziehungen zu den USA – die beste Hoffnung für eine blühende Demokratie in Rojava. Wir freuen uns darauf unsere Freundschaft mit der kommenden Verwaltung aufzubauen und zu festigen – für das Wohl von Amerika sowie die liberalen und demokratischen Werte wofür es steht.” [27].

An dieser Stelle nochmals ein Zitat aus dem MLKP-Interview: ,,Für beide Seiten war dies ein militärisch-taktisches Bündnis. Zu keinem Zeitpunkt nahm diese Allianz einen politischen Charakter an. So wurde die Autonome Administration, die ein Drittel von Syrien kontrolliert, nicht einmal zum Genfer Gipfel eingeladen.“ [7]. Der vermeintliche Beleg für die These, dass es rein taktisch und nicht politisch sei ist, dass die PYD kein Mitspracherecht hat. Das belegt aber nicht ihre These, sondern zeigt, dass ihre These genauso schwach ist, wie die Verhandlungsmacht, die die PYD hat.

  1. Ökonomisch

2020 ging das Verhältnis dann konsequenterweise so weit, dass ein Ölvertrag mit einer 25 jährigen Laufzeit abgeschlossen wurde [28]. Nun wird haufenweise Öl aus Rojava/Nordostsyrien in die USA exportiert. Allerspätestens seit diesem Vertrag kann nicht mehr von einer kurzfristigen oder rein militärischen Zusammenarbeit die Rede sein. Die USA wollten Öl und bekommen es, das haben wir dem Paradigmenwechsel der PKK und dem Handeln der PYD zu verdanken. Das ist nicht revolutionär, sondern eine Anbiederung an den Imperialismus.

Als ich 2017 in der Jungen Welt ein Interview [29] gelesen habe, habe ich dem Inhalt erstmal geglaubt: Talal Cudi, der Wirtschaftskoordinator in Nordostsyrien/Rojava, sagte darin, dass das dortige Öl nicht exportiert, sondern solange wie möglich noch vollständig in der Erde bleibt. Das hat sich als unwahr erwiesen. Daher ist zumindest für mich fraglich, inwiefern man überhaupt von einer ,,Selbstverwaltung“ sprechen kann. Wer hat die Entscheidung getroffen, diesen Ölvertrag abzuschließen und in wessen Interesse? Ist das eine Basisdemokratie im Sinne aller dort lebenden Völker, Religionen, Geschlechter usw. usf. – wie es in der deutschen Linken meist dargestellt wird – oder hat die PYD-Führung gemäß ihrem proimperialistischen Charakter entschieden, diesen Ölvertrag abzuschließen? Bereits 2014 sagte Cemil Bayik, KCK-Ko-Vorsitzender, gegenüber der ANF, dass die Ressourcen der gesamten Gesellschaft gehören und daher die gesamte Gesellschaft darüber entscheiden müsse [10]. Das klingt zwar sehr basisdemokratisch, aber nicht ehrlich.

Zusammenfassend bedeutet das, dass die PKK/PYD auf mehreren Ebenen ein enges und langjähriges Verhältnis zu den USA pflegt und pflegen will. Das Öl, welches den USA so wichtig ist, erhalten sie von der PYD. Diese Tatsache bildet die Spitze der Zusammenarbeit und des Beleges für den proimperialistischen Charakter der PKK/PYD. Dieses Verhältnis ist nachteilig für das kurdische Volk, da sie sich so den USA unterordnen und es nutzt den strategischen Interessen der USA. Damit entfernen sie sich vom Sozialismus, statt diesem näher zu kommen. 

6. Alternativer Bündnispartner für die PKK

Es wird oft in Diskussionen behauptet, dass als die PKK/PYD/YPG 2014 bei der Schlacht um Kobane in einer Notsituation war, daher schnell einen militärischen Bündnispartner brauchte und nur die USA zur Wahl gestanden hätten.

Um dieser Argumentation folgen zu können, muss erstmal angenommen werden, es hätte in den 90ern den Wandel der PKK nicht gegeben, keine Annäherung an die USA und dieses theoretische Hauptwerk der PKK würde es nicht geben. Denn all dies ging der militärischen Kooperation voraus.

Was wäre nun also die alternative Bündniskonstellation? Vorab einige Anmerkungen zum Verhältnis der syrischen Regierung zu den Kurden und der PKK: Die Kurden in Syrien werden seit Jahrzehnten unterdrückt, ihnen werden kulturelle und bürgerliche Rechte vorenthalten. Das Verwenden der Sprache, Feiern von nationalen Feiertagen usw. war ihnen unter Hafiz Al-Assad und Bashar Al-Assad untersagt, gleichzeitig wurden Kurden die Staatsangehörigkeit sowie die dazugehörigen Rechte vorenthalten oder entzogen. Dennoch hat die PKK mit Hafiz Al-Assad zusammengearbeitet. Assad beabsichtigte die Türkei dadurch zu schwächen und die PKK erhielt so einen Rückzugsort und einen Weg in den Libanon. 1979 begab sich Öcalan nämlich in den Libanon und PKKler wurden dort jahrelang von Palästinensern militärisch ausgebildet, ihr Weg führte von der Türkei durch Syrien in den Libanon. Sowohl Assad als auch die PKK hatten ihre Vorteile von diesem Verhältnis, doch die Lage der Kurden in Syrien hat sich dadurch nicht wesentlich verbessert. 1999 setzte die Türkei Syrien unter Druck, weil sie Öcalan festnehmen wollten und dann hat Öcalan auf Befehl Assads Syrien verlassen. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass es einen Pakt zwischen der PKK und Assad gab.

Nachdem die PKK also 20 Jahre lang ein relativ gutes Verhältnis zu Hafiz Al-Assad hatte, hätte sie (bzw. die PYD) 2014 mit Bashar Al-Assad verhandeln können, um mit ihm den Kampf gegen den IS zu koordinieren. Die beschriebene Vorgeschichte führt nicht zwangsläufig dazu, dass es 2014 zu einer produktiven Zusammenarbeit gekommen wäre. Doch es soll verdeutlichen, dass eine Kooperation mit dem syrischen Präsidenten kein absolutes No-Go aus Sicht der PKK darstellen müsste. Die hypothetischen Verhandlungen zwischen PKK/PYD und Assad 2014 hätten die Verbesserung der Lage der Kurden und die Aufhebung von Diskriminierungen zum Ziel haben müssen, auf der Grundlage, dass man sich zur territorialen Einheit Syriens bekennt. Ein temporärer Kampf mit der syrischen Regierung gegen den IS bei der Forderung, dass die syrische Regierung den Kurden in Syrien ihre Rechte zugesteht, wäre viel eher im Interesse der Kurden als eine Unterordnung unter die USA. Dann würden sie den USA nicht in so einem Machtgefälle gegenüberstehen und man würde damit nicht den USA bei ihren strategischen Plänen in der Region weiterhelfen, sondern diese durchkreuzen. Aber die PKK/PYD hatte sich schon lange vor 2014 zu einer Organisation entwickelt, die sich positiv auf den westlichen Imperialismus bezieht. Daraus ergaben sich dann zwangsläufig Spannungen zwischen ihr und der syrischen Regierung und vor allem die Absicht der PKK/PYD kein Bündnis mit Assad, sondern mit den USA eingehen zu wollen.

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass es einen anderen Bündnispartner für die PYD/PKK gegeben hätte, den sie auf jeden Fall hätten wählen müssen, wenn sie nicht proimperialistisch wären. Daher kann man bei der Zusammenarbeit der PYD mit den USA nicht von einer militärischen Alternativlosigkeit sprechen. 

Bei der hier vorgeschlagenen Bündnismöglichkeit muss betont werden, dass die syrische Regierung nicht ,,objektiv antiimperialistisch“ ist. Wenn die PKK eine revolutionäre Organisation wäre, müsste das Bündnis im Kampf gegen den IS einen taktischen Charakter haben. Es müsste darum gehen, die territoriale Einheit und Souveränität Syriens zu wahren, die Diskriminierung der Kurden zu bekämpfen und imperialistische Interessen zurückzudrängen. Taktisch bedeutet u.a., dass sie damit nicht von ihren strategischen Zielen Abstand nimmt, sondern diesen nutzt. Eine Verdrängung der USA aus Westasien und Bekämpfung des IS durch einen gemeinsamen Kampf der Kurden und Araber würde eher die Voraussetzungen für eine sozialistische Revolution schaffen als das, was die PKK aktuell macht. Leider ist eine sozialistische Revolution gar nicht das strategische Ziel der PKK.

7. Die TKP zum Imperialismus und Westasien

Bei der Beurteilung Syriens muss auch berücksichtigt werden, dass sie mit der russischen Regierung zusammenarbeiten und diese keine Friedensmacht ist. Auch der chinesische Staat, der mit der russischen Regierung kooperiert, spielt eine zunehmend wichtige Rolle in Westasien. Da ich die syrische Regierung als einen taktischen (!) Bündnispartner für die PKK in Erwägung ziehen würde (im beschriebenen hypothetischen Fall, dass die PKK nicht proimperialistisch wäre), könnten Vorwürfe kommen, dass ich mich damit positiv auf Assad oder Putin beziehen würde. Solche Vorwürfe wären aber zu kurz gedacht und vermutlich von einem Unverständnis einer taktischen Zusammenarbeit und des Imperialismus geprägt. Kommunisten dürfen nicht den Fehler machen, sich für einen der imperialistischen Blöcke zu entscheiden.

Im Folgenden beziehe ich mich auf die TKP, da sie sowohl für den Klassenkampf in der Türkei relevanter sind als die MLKP, als auch inhaltlich besser. Auf ihrer Website schreibt die TKP bzgl. der Haltung zum Imperialismus sehr eindeutig: ,,Weder Russland, noch China können im Vergleich zu den Vereinigten Staaten die bessere Alternative sein. Die Alternative zu Kapitalismus kann nicht Kapitalismus sein. Die Alternative zu einem imperialistischen Machtzentrum kann kein anderes, neues Machtzentrum sein. Die Lösung dieser Situation liegt in der Diktatur des Proletariats.“ [30].

Denn nicht nur die USA kämpfen in Westasien um ökonomische Interessen. Auch China und Russland tun das, wie es die TKP 2017 in ihren 61 Thesen zum Imperialismus beschrieb: ,,Bei seiner Intervention im Syrien-Krieg bediente sich Russland der Legitimation, auf eine imperialistische Intervention und die Massaker konterrevolutionärer und islamistischer Banden „zu antworten“. Diese Motive Russlands haben jedoch keine andere Bedeutung als die Wahrung der wirtschaftlichen und politischen Vorteile Moskaus bei seiner Intervention in Syrien. Die ideologischen und klassenbedingten Merkmale von Putins Herrschaft sind in keiner Weise mit dem Schutz des Wohlergehens der Völker Syriens oder einem ethischen Verhalten in der internationalen Politik kompatibel. Daher kann man sagen, dass Russland eine rationale Entscheidung getroffen hat, um seine eigenen Interessen zu schützen und eine neue Position in dem sich verschärfenden Konflikt mit dem von den USA angeführten imperialistischen Block zu erlangen. […]

Russland zeigt bei seiner Intervention in Syrien eindeutig imperialistische Motive. Putins Herrschaft folgt einer fein abgestimmten Politik, um Syrien sowohl auf militärischem als auch auf diplomatischem Gebiet an Russland zu binden, und setzt Assad in einigen Fragen unter Druck. Besonders auffällig ist, dass einige Verfassungsänderungen bezüglich der Liberalisierung der Wirtschaft des Landes zu diesen Zumutungen gehören. Schließlich nutzt Russland Syrien als Mittel, um eine gewisse Übereinkunft mit den USA zu erzielen. In dieser Hinsicht sollte die Syrien-Politik Russlands nicht nur als Hegemoniekampf zwischen Russland und den USA betrachtet werden, sondern auch als Zeichen dafür, dass Russland sich keiner wirtschaftlichen und politischen Belagerung durch die USA und andere imperialistische Länder, die sich gegen Russland richten, unterwerfen wird. […] 

Mit einer hohen Wachstumsrate seit 30 Jahren hat die Volksrepublik China im Jahr 2015 die USA beim Bruttosozialprodukt und dem Anteil an der Weltproduktion überholt. Die chinesische Wirtschaft verbraucht 20 Prozent des gesamten Erdöls und 40 Prozent der Minen der Welt. Unter diesen Umständen ist China gefordert, seinen Anteil am Weltmarkt zu sichern und den Rohstofffluss zu kontrollieren und damit seine Position in der imperialistischen Konkurrenz zu stärken.“ [31].

Das, was die TKP bereits vor Jahren beschrieb, sehen wir heute ganz deutlich: Am 22.7.2021 berichtete Rudaw, dass China fast die Hälfte des irakischen Öls importiert [32]. Aus diesem Grunde sind sie in Westasien aktiv.

Da sich die PKK in den 1990ern für eine pro USA Ausrichtung entschieden hat und sie dies immer mehr verfestigt, muss bei der Analyse der PKK der Fokus auf die USA gelegt werden. Wir müssen uns fragen, was es bedeuten würde, wenn es einen kurdischen NATO-Staat bzw. Partner der NATO geben würde. Was heißt das für diesen Staat, was heißt es für die Region und für die NATO? Schauen wir uns dafür an, was die TKP über die Türkei sagt:

,,Die Türkei, welche sich den Plänen des imperialistischen Westens unterworfen hat und Teil dieser wurde, ist mit allen Völkern und Nationen ihrer Umgebung zerstritten, gar verfeindet. Der Imperialismus hat die türkische Industrie und das Agrarwesen lahmgelegt. Die Waffen- und Verteidigungsindustrie unterliegt ausländischen Machtmonopolen. […] 

Die Vereinigten Staaten, welche sich als Höhepunkt der Demokratie empfinden, sind die Hauptverantwortlichen für das meiste Unheil und die Kriege auf dieser Welt. Die Türkei wird Demokratie und Freiheit niemals durch die Vereinigten Staaten erlangen. Unsere von Militär-Putschen geprägte nahe Vergangenheit, ist der Beweis dafür. Die erste Voraussetzung für Freiheit und Unabhängigkeit, ist das Beziehen einer Position gegen die USA und den Westen. […] 

Als NATO-Mitglied hat die Türkei ihr Militär dem Befehl der NATO unterstellt. Hohe türkische Offiziere wurden damit dem Befehl niedrigerer amerikanischer Offiziere unterstellt. Das türkische Militär wurde damit beinahe gänzlich an die Vereinigten Staaten und die NATO gebunden und von diesen abhängig gemacht.

Im Vorfeld des NATO-Beitritts wurden mit den Vereinigten Staaten viele Verträge auf militärischer, wirtschaftlicher und politischer Basis unterzeichnet. Im Ergebnis entstanden in der Türkei militärische Stützpunkte, die direkt an die NATO, bzw. an das amerikanische Verteidigungsministerium Pentagon gebunden sind.

Die Türkei ist heute in der Position eines Söldners. Die militärischen Stützpunkte und Lager bestehen in der Türkei fort. In ihnen befinden sich auch nukleare Waffen, unter der Kontrolle von amerikanischen Offizieren und Soldaten. Diese Stützpunkte nutzten die Vereinigten Staaten für Operationen gegen die Nachbarländer der Türkei. Die Sicherheit unseres Landes wird somit bedroht, die Souveränität der Türkei maßgeblich beeinträchtigt.“ [30].

Am Beispiel des US-Einfluss auf den türkischen Staat müsste deutlich werden: Es kann nicht im Interesse des kurdischen Volkes sein, einen kurdischen NATO-nahen Staat zu erkämpfen. Es ist zwar unrealistisch, einen kurdischen Staat in der NATO zu haben, während die Türkei Teil der NATO ist. Dennoch ist es realistisch ein autonomes kurdisches Gebiet oder einen kurdischen Staat zu haben, der der NATO nahesteht, was man am Beispiel des Nordiraks schon lange und seit einigen Jahren in Nordostsyrien beobachten kann. Doch statt eine Annäherung an die NATO zu bewürworten bzw. zu tolerieren, müssen Kommunisten den Einfluss der NATO unbedingt bekämpfen!

Die MLKP erkennt im bereits erwähnten Interview selber die Gefahr: ,,In Bezug auf die Beziehung zur Autonomen Administration von Rojava kann man sagen, dass die USA die Revolution inhaltlich entleeren und Rojava weiterhin in ein Başûr verwandeln wollen.“ [7]. Mit Bashur/Südkurdistan ist die US-hörige autonome kurdische Region im Nordirak gemeint. Bei Rojava/Westkurdistan/Nordostsyrien besteht aber nicht nur die Gefahr, dass es sich in ein Bashur verwandelt, es ist bereits soweit. Ursächlich dafür ist wie beschrieben der ideologische Wandel innerhalb der PKK hin zu einer proimperialistischen Bewegung. 

8. Palästina-Kurdistan-Vergleich

Da viele Kommunisten in Deutschland die Bewegung um die PKK mit dem palästinensischen Befreiungskampf vergleichen oder sogar gleichsetzen, befasse ich mich nun konkret damit. Oben habe ich bereits auf die Klassiker zum Selbstbestimmungsrecht verwiesen. Das Selbstbestimmungsrecht gilt nicht absolut, sondern ist von den konkreten Bedingungen abhängig.

Palästina: Es gibt eine palästinensische ,,Autonomie“behörde, an deren Spitze die von der Fatah dominierte PLO steht. Diese nimmt eine kollaborierende Rolle im Sinne des Aufrechterhaltens und Verwaltens der Besatzung ein. Zugleich gibt es palästinensische Kräfte, die den nationalen Befreiungskampf trotz der Existenz der ,,Autonomie”behörde fortsetzen und damit im direkten Widerspruch zu Israel und den USA stehen.

Kurdistan: Die USA wollen einen/mehrere US-hörige kurdische Staaten/,,Autonomie“regionen und die kurdischen Organisationen gehen seit Jahrzehnten darauf ein.

Also gibt es mehrere Gründe, wieso man für einen palästinensischen Staat, aber nicht für einen kurdischen Staat sein sollte bzw. wieso man die beiden nationalen Kämpfe nicht gleichsetzen sollte: Die Haltung der führenden Kräfte der beiden Völker zum Imperialismus ist komplett unterschiedlich. Während PKK, PUK, KDP mit einer US-hörigen ,,Autonomie“ zufrieden sind, US-Militärbasen willkommen heißen, den USA Öl verkaufen usw., kämpfen palästinensische Organisationen gegen den israelischen Staat, geben sich nicht mit der ,,Autonomie” zufrieden und haben grundlegende Widersprüche mit den USA.

Es ist nicht im Sinne der Völker Westasiens, dass jedes Volk unbedingt einen eigenen Staat hat. Die Falschauslegung bzw. Falschanwendung des Selbstbestimmungsrecht der Völker führt zum beliebten Palästina-Kurdistan-Vergleich in der linken Szene. Ursächlich hierfür sind sowohl verkürzte Analysen als auch ein bequemes Zustimmen der Mehrheitsmeinung der linken Szene.

An dieser Stelle möchte ich noch einen weiteren Punkt deutlich machen. Bevor einige Leser meinen, ich würde mich positiv auf eine vermeintlich antisemitische, reaktionäre und islamistische oder sogar faschistische palästinensische Führung beziehen: Das könnte man meinen, wenn man die bürgerliche Hetze gegen die Palästinenser verfolgt und ihr vertraut. Da es einige Kommunisten in Deutschland gibt, die den Eindruck erwecken, als würden sie das tun, gehe ich kurz darauf ein. Das ist nämlich ebenfalls relevant für den Palästina-Kurdistan-Vergleich.

Der Rote Aufbau (RA) schreibt: ,,Islamisten werden niemals zuverlässige Bündnispartner seien können, weil ihr Weltbild reaktionär ist und wenn sie die Möglichkeit bekommen, werden sie uns abschlachten. Deshalb können wir uns als Kommunist:innen auch nicht positiv auf sie beziehen. Vor allem haben sie ein Interesse daran den Konflikt auf eine religiöse Ebene zu hieven, begründet auch durch ihren religiösen Antisemitismus. Sie können sich dann als größte Verteidiger ihres Glaubens vermarkten. Aus dieser Perspektive greift die Hamas auch wahllos die gesamte israelische Bevölkerung mit ihren Raketen an.” [33].

Der KA: ,,Den Zionismus abzulehnen, darf uns nicht dazu führen, anderen imperialistischen Fraktionen und den von ihnen geführten reaktionären Kräften wie der Hamas oder der Fatah auf den Leim zu gehen. Deshalb müssen wir auf das Schärfste auch gegen islamisch-fundamentalistische, antisemitische und faschistische Positionen kämpfen, die gegenüber der nationalen Frage in Palästina und Israel auch in Deutschland kursieren, wie z.B. die Forderung nach einer Vernichtung des israelischen Volkes oder der Vertreibung der Jüd:innen aus Westasien.“ [34]. ,,Bei Anhängern des islamischen Fundamentalismus handelt es sich nicht um antiimperialistische Widerstandskämpfer, sondern um Befürworter einer faschistischen Ideologie, welche den reaktionären lokalen Herrscherklassen in Westasien dient, die Klasse spaltet und die RevolutionärInnen offensiv bekämpft. Sie können für Revolutionäre – außer in taktischen Ausnahmesituationen – keine BündnispartnerInnen sein.“ [35].

Die MLPD: ,,Die MLPD lehnt zugleich islamisch verbrämte faschistische Organisationen wie den „Islamischen Dschihad“ oder reaktionär-fundamentalistische Kräfte wie die Hamas grundsätzlich ab, die Raketen auf israelische Zivilisten abschießt.“ [36]. 

Die Zitate vom RA, dem KA und der MLPD stehen m.E. beispielhaft dafür, dass sich undifferenziert und verkürzt mit der Situation in Palästina auseinandergesetzt wird. Der Islamische Jihad und die Hamas sind im Rahmen des legitimen Volkswiderstands langjährige Bündnispartner der Kommunisten: Im Mai schossen sie mit der DFLP und PFLP gemeinsam die Raketen auf Israel [37] / [38]. Die PFLP wertet diese Aktionseinheit als eine konkrete Errungenschaft aus [39]. Ich empfehle den Podcast der KO zu Palästina [40].

Wer die islamischen Kräfte als antisemitisch, islamistisch, reaktionär und faschistisch kategorisiert, müsste die Begriffe definieren und erklären, wieso dies zutreffen sollte. Auch der sogenannte ,,religiöse Antisemitismus“ bedarf einer Erklärung, ansonsten steht im Raum, dass der Islam von Grund auf antisemitisch sei. Die Gründungscharta der Hamas hat seit Jahrzehnten keine Bedeutung und der Antisemitismus darin hat nichts mit dem Islam zu tun [41]. Die Hamas hat ein neues Grundlagendokument, indem sie dem alten widerspricht sowie sich von Antisemitismus abgrenzt. 

Ich appelliere daran, Inhalte zu hinterfragen, zu lesen, was die verschiedenen Kräfte vor Ort schreiben und machen. Wer das nicht tut und sich ausschließlich mittels bürgerlicher Medien informiert, der riskiert, bürgerliche Propaganda zu reproduzieren: Den palästinensischen Widerstand auf die Hamas zu reduzieren und sie islamistisch, reaktionär, faschistisch und antisemitisch zu nennen. Das bedeutet die Situation vor Ort falsch darzustellen sowie den Kampf zu delegitimieren. Die bürgerliche Hetze von Politikern und Medien im Mai gegen die Palästinasolidarität führte zu rassistischer Stimmungsmache gegen Muslime und Araber, zu einer Diskursverschiebung (Diskurs primär über Antisemitismus, Abschiebungen usw. statt über ethnische Säuberungen und Apartheid) und ideologischer Legitimierung von Repression (Androhung des PFLP-Verbots und des Verbots der Hamasfahne). Kommunisten müssen dies erkennen und abwenden, statt es zu verstärken!

Wer die Einheit des palästinensischen Volkswiderstandes (die Fatah zähle ich aufgrund von ihrer Kollaboration mit dem Besatzungsregime nicht mit) ablehnt und dem Vorgehen der Kommunisten vor Ort widerspricht, muss dies auch begründen können. Die PFLP ist antiimperialistisch, will den Sozialismus erkämpfen und hat m.E. eine deutlich bessere Bündnispolitik als die PKK. Daher würde ich die PFLP im Gegensatz zur PKK als revolutionär bezeichnen. Um den Unterschied der beiden nationalen Kämpfe zu verdeutlichen, verweise ich gerne erneut auf die obigen allgemeinen Ausführungen zum Selbstbestimmungsrecht der Völker.

9. Fazit

Die eingangs erwähnten YS, KA, PK und MLPD beziehen sich stark auf die MLKP. Mir sind von dieser Seite keine weiteren relevanten Argumente bekannt als die, die Klara Bina [23] oder ich thematisiert haben. Mein Text richtet sich an alle Pro-PKK-Strukturen, auch an solche, die ich jetzt nicht benannt habe.

Im Rahmen nationaler Befreiungsbewegungen gebührt auch nicht-kommunistischen Kräften die Solidarität, sofern sie sich gegen den Imperialismus positionieren. Da die PKK und ihr nahestehende Strukturen wie die PYD jedoch als proimperialistisch kategorisiert werden müssen, kann ihnen nicht unsere Solidarität gelten. Wir müssen ihren Charakter offen kritisieren und die Organisationen an sich ablehnen. Der Kampf der kurdischen Bevölkerung gegen Diskriminierung und Unterdrückung muss überall dort unterstützt werden, wo es der proletarische Internationalismus erfordert. Dafür braucht es sehr genaue Kenntnisse der Lage der kurdischen Bevölkerung in den unterschiedlichen Teilen Westasiens. 

Falls es für einige Leser widersprüchlich klingen sollte, dass KDP und PUK in Südkurdistan/Nordirak und PYD in Westkurdistan/Nordostsyrien mit der USA zusammenarbeiten, obwohl beide Regionen immer wieder vom NATO-Mitglied Türkei angegriffen werden, so ist das kein Beweis dafür, dass KDP, PUK oder PYD antiimperialistisch wären, sondern bloß dafür, dass der Imperialismus voller Widersprüche ist. Auch wenn die Türkei und die USA in der NATO gemeinsam organisiert sind, haben beide Staaten auch nationale Interessen, die sich widersprechen. Die NATO ist nämlich kein einheitlicher Block. Gerade in Bezug auf Nordostsyrien/Rojava und Nordirak/Bashur ist es offensichtlich, dass sowohl die Türkei als auch die USA gerne Zugang zu den Rohstoffen hätten, aber die kurdischen Organisationen unterschiedlich bewerten.

Weitergehende Infos z.B. zu weiteren PKK-Parteitagen oder zum Greater Middle East Plan kann jeder Leser selbst recherchieren. Das ist wie erwähnt der seit langem öffentliche US-Plan, welcher von der PKK in ihrem Hauptwerk unterstützt wird. Die PKK-Solidarität scheint in der deutschen Linken seit 2014 ein breiter, unhinterfragter Konsens zu sein, was daran liegt, dass es wenig kritische Texte zum Thema gibt und viele Leute denken, dass das ja schon gut sein müsse. Hinzu kommen Aussagen wie bspw. die obige vom Wirtschaftskoordinator sowie ein breites Verschweigen oder Relativieren des Verhältnisses zu den USA. Dieses Verhältnis zu den USA wird nicht nur von Kommunisten in Deutschland, sondern auch von Funktionären der PKK heruntergespielt, ein Beispiel hierfür ist Riza Altun. Er schreibt, dass die PYD/PKK die USA ,,ausnutzen“ würden und behauptet sogar, dass dies mit dem Nichtangriffspakt zwischen dem Deutschen Reich und der Sowjetunion vergleichbar sei [42]. 

Wer jetzt meint, dass wir hier in Mitteleuropa in einer guten Lage sind und nicht über die Situation dort urteilen, sondern den Kommunisten vor Ort glauben sollten: Klar sollten wir deren Standpunkte berücksichtigen, das stimmt. Dennoch müssen wir als Kommunisten alles kritisch hinterfragen. Und dass die MLKP falsch liegt, z.B. bei ihrer Auslegung des Selbstbestimmungsrecht der Völker, habe ich zu beweisen versucht. Und wenn man den Kommunisten vor Ort glauben will, wieso dann gerade der MLKP? Man sollte schon berücksichtigen, dass es da mehr, vor allem auch wesentlich relevantere und deutlich größere kommunistische Parteien (KPen) gibt.

YS wirft in ihrer Polemik [6] der DKP, KO und TKP Sozialchauvinismus vor. Der TKP werfen sie zusätzlich noch vor, dass sie nicht kommunistisch sei. Das einzige Argument von YS ist dann vermutlich ihre eigene Falschauslegung des Selbstbestimmungsrecht der Völker. Argumente, die darüber hinaus gehen und mit Quellen belegt sind, würden mich sehr interessieren. Nach meinem derzeitigen Kenntnisstand hat die TKP ein besseres Imperialismusverständnis und ein besseres Herangehen an den Klassenkampf als die MLKP. Während sich die MLKP einer bürgerlichen, proimperialistischen Bewegung unterordnet, visiert die TKP die Organisierung der türkischen und kurdischen Arbeiter an. Statt ,,ohne wenn und aber” einen kurdischen Staat erkämpfen zu wollen, der höchstwahrscheinlich NATO Mitglied/Partner wird, strebt die TKP an, in der Türkei eine sozialistische Revolution durchzuführen [43]. Ein gemeinsamer Kampf der türkischen und kurdischen Arbeiter für den Sozialismus ist sicherlich nicht leicht, u. a. auch, weil es im türkischen Volk viel antikurdischen Rassismus gibt. Der Kampf für den Sozialismus ist aber nie leicht und die Einheit der Ausgebeuteten muss angestrebt werden, statt sich dem US-Imperialismus unterzuordnen.

Wer jetzt noch meinen sollte, dass es bei der Kritik an der PKK nur um ein paar irrelevante Öcalan-Zitate gehen würde, die er im Gefängnis sagte, sollte folgendes bedenken: Was ist mit dem, was er vor dem Gefängnis sagte? Wieso ist sein Werk das theoretische Hauptwerk der PKK? Wieso wird genau das in die Praxis umgesetzt, siehe Militärbasen, Ölvertrag usw. usf.? 

Die deutsche Linke muss hinterfragen statt analysefaul zu sein. Nicht jeder Linke muss einen 20 Seiten Text mit 40 Fußnoten zu allen Themen verfassen. Jedoch müssen bundesweit organisierte Gruppen mit ML-Anspruch an einer revolutionären Theorie arbeiten und auf Grundlage des wissenschaftlichen Sozialismus analysieren, da sie sonst ihrem Anspruch nicht nachkommen würden. Ich selbst war jahrelang bei Demos für die Solidarität mit der ,,Selbstverwaltung” in Rojava/Nordostsyrien. Jedoch hatte ich mir die Haltung dessen zur USA nicht genau genug angeschaut bzw. auf Aussagen wie von Talal Cudi vertraut. Mittlerweile habe ich ein besseres Bild der Lage und kann eine bessere Einschätzung treffen. Der Mehrheitsmeinung der linken Szene zu glauben und dabei selbst analysefaul zu sein, verschärft die Krise in der sich die Kommunisten befinden und betrifft viele weitere Themenfelder. Anhand der Haltung deutscher Kommunisten zur Palästinafrage hab ich oben bereits die konkreten Konsequenzen der Analysefaulheit deutlich gemacht.

Meine Absicht mit diesem Text ist es, andere Orgas scharf, aber solidarisch zu kritisieren, um eine kritische Reflektion und Diskussion anzuregen. Falls Ihr eure Standpunkte weiterhin für richtig haltet, begründet sie mir bitte besser, sowohl allgemein zum Selbstbestimmungsrecht, zum Kolonialismus, zum Revolutionsbegriff, zum Imperialismus, zur kurdischen Frage als auch zur palästinensischen Frage. Die von mir benannte Analysefaulheit ist der Versuch einer Einordnung, wie es zu den aus meiner Sicht falschen Standpunkten kommt. Damit meine ich, dass ich vermute, dass Ihr diese Standpunkte nur vertretet, weil eine ausgiebige ML-Analyse dazu fehlt. Denn entweder unterstützt Ihr bewusst eine proimperialistische Bewegung oder Ihr macht es unbewusst (analysefaul) oder die Bewegung ist nicht proimperialistisch. Weitere Punkte, die m.E. ebenfalls zur PKK-Solidarität führen bzw. diese verstärken sind: 1. Die Vielzahl türkischer KPen und die damit verbundene Schwierigkeit einen Überblick über diese und ihre Positionen zu gewinnen. 2. Die Tatsache, dass die PKK/PYD einen bewaffneten Kampf führt und es hier in Deutschland nichts vergleichbares gibt. 3. Die Nicht-Existenz einer KP in Deutschland und die Krise der Kommunistischen Bewegung. 4. Mangelnde Reflektion der eigenen Standpunkte.

Auch die KO hat nicht zu allen Themen fertige Analysen. Aber wir streben an, planmäßige Analysen zu den zentralen Fragen durchzuführen. Dies sollten alle Kommunisten tun, da es eine Voraussetzung zur Überwindung der Krise der Kommunisten und zum Aufbau einer Partei ist. Die Haltung zur kurdischen Frage beinhaltet u.a. auch eine Positionierung zum Imperialismus, was zu den zentralen Fragen der kommunistischen Bewegung gehört.

Egal, ob man selber Kurde ist oder nicht, als MLer sollte man zu der Schlussfolgerung kommen, dass die PKK und die ,,Selbstverwaltung“ in Rojava/Nordostsyrien nicht unterstützenswert, sondern im Interesse der USA handeln und auch, dass es sich dabei nicht um eine kurzfristige, nicht um eine taktische und nicht um eine rein militärische Frage handelt. Gerade als Kurde finde ich, dass man da genauer hinschauen muss, was die verschiedenen Akteure vor Ort so machen.

[1] Kaypakkaya-DieKurdenfrageInDerTuerkei.pdf (bannedthought.net)

[2] Karl Marx – Entwurf eines Vortrages zur irischen Frage, gehalten im Deutschen Bildungsverein für Arbeiter in London am 16. Dezember 1867 (mlwerke.de)

[3] „Neue Rheinische Zeitung“ – Der demokratische Panslawismus (mlwerke.de)

[4] Lenin – Die Ergebnisse der Diskussion über die Selbstbestimmung (mlwerke.de)

[5] J.W. Stalin: Grundlagen des Leninismus (Kap.6) (marxists.org)

[6] YS zitiert in ihrer Polemik die Teile von Lenins Standpunkten, die er im Laufe der Diskussion revidierte. Um das zu überprüfen, können seine älteren und neueren Texte zum Thema verglichen werden. Hier die Polemik vn YS: Solidarität mit Rojava (I) – Abschließende Polemiken zum Anfang des Krieges (young-struggle.blogspot.com)

[7]  Exklusives Interview: Die MLKP Antwortet auf Fragen – Young Struggle (young-struggle.org) 

[8] DE-Broschüre_4_Demokratische-Nation_2018.pdf (civaka-azad.org)

[9] http://tatortkurdistan.blogsport.de/2014/03/01/gesellschaftsvertrag-fuer-rojava/ 

[10] https://www.rosalux.de/fileadmin/rls_uploads/pdfs/sonst_publikationen/VSA_Flach_ua_Revolution_in_Rojava_akt_Auflage.pdf

[11] Rojava’s economics and the future of the revolution – Make Rojava Green Again

[12] konfed_DE.indd (freeocalan.org)

[13] Rojava – Demokratische Autonomie oder sozialistische Demokratie? (diefreiheitsliebe.de)

[14] broschc3bcre-selbstverwaltung.pdf (wordpress.com)

[15] PYD Leader Warns of War with Arab Settlers in… | Rudaw.net

[16] https://www.zeit.de/1997/10/wallraff.txt.19970228.xml 

[17] Trumps Nahost-Strategie ist total langweilig – Außenpolitik (foreignpolicy.com)

[18] IMI-Analyse2007-06.pdf (imi-online.de)

[19] Netanjahu: Israel unterstützt die Errichtung eines unabhängigen Kurdistans – Israel News – Haaretz.com 

[20] https://www.google.de/amp/s/m.jpost.com/middle-east/kurdish-pkk-leader-tells-post-of-peaceful-struggle-against-turkey-650318/amp

[21] PKK leader: Israel is helping Turkey to destroy us – Haaretz Com – Haaretz.com

[22] Abdullah Öcalan: „We Are Fighting Turks Everywhere“ :: Middle East Quarterly (meforum.org)

[23] https://kommunistische-organisation.de/diskussion/die-pkk-und-der-proletarische-intern

[24] https://www.reuters.com/article/us-mideast-crisis-syria-usa-exclusive-idUSKCN1AX1RI 

[25] SDF Spokesman Confirms the Group Does Nothing without ‚Signals‘ from the United States (Vdieo) (southfront.org)

[26] YPG-Kommandeur: Kurden in Syrien „verdienen“ US-Unterstützung | Rudaw.net

[27] What the Syrian Kurds Want | The National Interest

[28] https://zeitungderarbeit.at/international/syrien-kurdische-autonomieverwaltung-geht-deal-mit-us-olkonzern-ein/

[29] https://www.jungewelt.de/loginFailed.php?ref=/artikel/312087.rojava-aufbau-im-krieg.html 

[30] Die TKP in 16 Fragen – TKP – Kommunistische Partei der Türkei (tkp-deutschland.com)

[31] http://www.tkp-deutschland.com/tkp_thesen_zum_imperialismus_entlang_der_achse_von_russland_und_china/

[32] https://www.rudaw.net/english/business/22072021

[33] Zionismus und Antisemitismus spaltet, Klassenkampf vereint! – Roter Aufbau (roter-aufbau.de)

[34] Die Nationale Frage in Palästina und Israel – Kommunistischer Aufbau (komaufbau.org)

[35] Islamischer Fundamentalismus und Imperialismus – Kommunistischer Aufbau (komaufbau.org)

[36] Vor einer dritten Intifada? — Website (rf-news.de)

[37] Freiheit – Nationale Widerstandsbrigaden verkünden militärische Ernte am siebten Tag der Schlacht am Schwert von Jerusalem (alhourriah.org)

[38] Abu Ali Mustafa Brigaden kündigen Kampf um „Call of Jerusalem“ | Märtyrer Abu Ali Mustafa Brigaden

[39] Abu Ahmed Fouad: Die Errungenschaft der konkreten Schlacht ist die Einheit des palästinensischen Volkes um den Widerstand | Märtyrer Abu Ali Mustafa Brigaden

[40] #17 – Palästina | Kommunistische Organisation

[41] Was ist die Ursache für die Gewalt in Gaza? | marx21

[42] https://civaka-azad.org/mit-dem-paradigma-der-pkk-den-sozialismus-neu-schaffen

[43] TKP – Das Sozialismus-Programm – TKP – Kommunistische Partei der Türkei (tkp-deutschland.com)

Aktuelles

Positionen und Perspektiven zu den Entwicklungen in Syrien

Wir dokumentieren an dieser Stelle Übersetzungen von Erklärungen und Stellungnahmen arabischer, türkischer und iranischer Kommunisten.Diese Zusammenstellung verschiedener Statements soll dazu dienen die verschiedenen Perspektiven und Positionierungen gegenüber der Zerschlagung der Syrischen Arabischen Republik in ihrer jetzigen Form aufzuzeigen. Außerdem sollen die offenen Fragen und Orientierungen der Kommunisten angesichts der imperialistischen Aggression gegen Syrien zusammengetragen werden, um die Standpunkte von Kommunisten aus der Region für hiesige Debatten zugänglich zu machen.

Palästina und die DDR – Befreiungskampf als Staatsräson?

Während in der BRD die bedingungslose Unterstützung Israels als „Ersatz- Antifaschismus" spätestens ab 1952 zunehmend zur „Staatsräson" wurde, erkannten sich die DDR und Israel bis zur Konterrevolution 1989/90 nicht gegenseitig an. Stattdessen wurde die DDR zu einem wichtigen Alliierten der palästinensischen Befreiungsbewegung.