Die liberal-nationalistischen Proteste in Serbien haben einen volksfeindlichen Charakter

Einführung Kommunistische Organisation
Wir spiegeln an dieser Stelle eine von uns übersetzte Stellungnahme der Neuen Kommunistischen Partei Jugoslawiens (NKPJ), vom 4. Juli. Hierin geben die Genossen wichtige Einschätzungen über Hintergründe und Entwicklungen der anhaltenden Protestbewegung in Serbien. Entstanden in Reaktion auf den Einsturz des Vordachs des Bahnhofs in Novi Sad, am 1. November 2024, gewannen liberale, pro-westliche Kräfte schnell die Hegemonie innerhalb der Protestbewegung.
Deutsche Medien und Politiker finden vornehmlich unterstützende, lobende und auch mahnende Worte für die als Studentenproteste bezeichnete Bewegung. Es ist völlig klar, dass Deutschland und die EU seit Jahren einen pro-westlichem Regimechange in Serbien beabsichtigen und in diesem Sinne versuchen die gegenwärtigen Proteste zu lenken und zu unterstützen. Die Einschätzung der NKPJ liefert zur hegemonialen Berichterstattung in Deutschland ein wichtiges Gegenbild und hilft dabei, den tatsächlichen Charakter der Proteste zu erkennen.
Stellungnahme der Neue Kommunistische Partei Jugoslawiens (NKPJ)
Die Neue Kommunistische Partei Jugoslawiens (NKPJ) unterstützt die liberal-nationalistischen Proteste in Serbien nicht, da sie diese als volksfeindlich betrachtet und sie die Lage der Arbeiterklasse und des serbischen Volks noch weiter verschlechtern. Die Anführer der Proteste kritisieren die Behörden dafür, dass sie sich nicht ausreichend an die EU und den westlichen Imperialismus anpassen, sowie dass Serbien nicht noch mehr Kapitalismus, Ausbeutung der Bevölkerung und Ausverkauf der natürlichen Ressourcen betreibt.
Die NKPJ betont, dass die Protestteilnehmer zwar auf eine Anti-Vučić-Plattform fokussiert sind und klare Antworten auf die Frage vermeiden, in welche Richtung das Land gehen soll, wenn sie an die Macht kommen, ihre Aktivitäten jedoch eindeutig darauf hindeuten, dass sie nach ihrer Machtübernahme Sanktionen gegen Russland verhängen, Projekte mit der Volksrepublik China beenden und die Zusammenarbeit mit dem sozialistischen Kuba – sowie mit progressiven Regierungen auf der ganzen Welt, die sich dem westlichen Imperialismus widersetzen – einstellen würden.
Nach dem Edikt von Niš[1] nahmen die Proteste in Serbien eine ideologisch klar liberale Linie an, die darauf abzielt, Serbien noch unterwürfiger gegenüber der EU und dem westlichen Imperialismus zu machen. Die Forderungen haben sich verschoben, wobei die Forderung nach vorzeitigen Neuwahlen nun im Vordergrund steht. Zuvor hatten die Opposition und die sogenannten „Studenten“ monatelang neoliberale Mantras wiederholt – sie forderten die Bildung einer Expertenregierung, die Bekämpfung der Korruption und das Funktionieren der Institutionen – und lehnten Wahlen insgesamt ab. Die Organisatoren der Proteste behaupteten zunächst, es handele sich nicht um politische Proteste (was auch immer das bedeuten mag) und dass jeder, der an den Wahlen von Vučić teilnehme, ein Kollaborateur des Regimes sei, da die Voraussetzungen für faire Wahlen nicht gegeben seien. Dieses Mantra gaben sie jedoch bald auf und konzentrieren sich seitdem ausschließlich auf Wahlen.
Die sogenannten „Studenten“ reisten nach Straßburg und Brüssel, um die EU aufzufordern, Druck auf Serbien auszuüben – und damit ihre Unterstützung für den Beitritt Serbiens zum namhaften „Gefängnis der Nationen“, der EU, zu bekunden, wo die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer werden. Es ist heuchlerisch, dass diese sogenannten „Studenten“ von der EU und dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron einfordern, die Polizeigewalt in Serbien zu verurteilen, wo doch die EU selbst – und Länder wie Frankreich – für ihre Gewalt gegen ihre eigenen Arbeiter und Bürger bei Streiks und antiimperialistischen Protesten bekannt sind. Sie haben gefordert, dass Serbien auch die letzten Spuren seiner Souveränität aufgibt, indem sie ausländische Gerichte und Institutionen dazu auffordern innerstaatlicher Angelegenheiten zu untersuchen. Die Demonstranten behaupten, sie würden nicht zulassen, dass Serbien wie Belarus oder Nordkorea werde – womit sie deutlich machen, dass diese Proteste einen antikommunistischen Charakter haben.
Vor der Kundgebung am 28. Juni wurde den Behörden ein Ultimatum gestellt: Sie sollten „Ćacilend“[2] (den Zirkus vor der Nationalversammlung, in dem die sogenannten „studierwilligen Studenten“ leben) räumen und bis 21 Uhr desselben Tages Neuwahlen ausrufen. Diesem Protest gingen Kommunalwahlen in Kosjerić und Zaječar voran, bei denen die Opposition – zusammen mit pro-westlichen Kräften und den sogenannten Studenten – zur Einheit aufgerufen hatten. Bei der Protestkundgebung am 28. Juni wurde der postmoderne Zirkus durch nationalistische Folklore erweitert, die die liberale Ideologie der Protestbewegung und die anarchistische Methode der Plena (öffentliche Versammlungen) ergänzte. Die Protestkundgebung fand am Veitstag statt, einem Feiertag mit mythologischer Bedeutung für das serbische Volk. Damit versuchten die Organisatoren, die liberale und pro-europäische Agenda der Proteste zu verschleiern. Die Redner beriefen sich auf den Chauvinisten Nikolaj Velimirović (ein serbisch-orthodoxer Bischof, der vor, während und nach dem Zweiten Weltkrieg die Nazis unterstützte), während der ultranationalistische Professor Milo Lompar als einer der Führer der „studentischen“ Wahlliste vorgestellt wurde. Das Singen der Nationalhymne „Bože pravde“ zusammen mit serbischen und nationalistischen Flaggen dominierte die Proteste.
Nachdem Präsident Vučić sich geweigert hatte, den Forderungen der Demonstranten nachzukommen, eskalierte die Gewalt auf den Straßen. Einige Protestteilnehmer wurden festgenommen, und die Proteste entwickelten sich zu Straßenblockaden in ganz Serbien (auch „Container-Revolutionen” genannt), die das Land in einen Ausnahmezustand versetzten. Die Blockaden legten den öffentlichen Nahverkehr lahm und erschwerten die Fortbewegung der Bürger, insbesondere der Arbeiter, die nicht zu ihren Arbeitsplätzen gelangen konnten.
Das Beispiel der Blockaden in Zemun zeigt außerdem, dass diejenigen, die diese Proteste anführen, sich nicht für die einfachen Bürger interessieren. Durch die Durchsetzung der Blockaden hindern sie die Einwohner von Zemun direkt daran, das Gesundheitszentrum der Gemeinde zu erreichen, und infolge dieser Blockade kann eine große Anzahl von Menschen in Zemun nicht zum Krankenhaus gelangen. Es ist offensichtlich, dass nur eine kleine Anzahl von Bürgern an diesen Blockaden teilnimmt – hauptsächlich Menschen aus nicht-produktiven Sektoren, wie Studenten, Schüler und Rentner. Viele von ihnen stammen aus privilegierten Schichten der Gesellschaft oder werden von anderen versorgt. Die Organisatoren riefen die Arbeiter zu einem Generalstreik auf und appellierten an die Gewerkschaften, doch diese lehnten den Aufruf ab. Das ist logisch, denn die abstrakten liberalen Forderungen haben keinen Bezug zur Arbeiterklasse, sodass es nur natürlich ist, dass die Arbeiterklasse die sogenannten Studentenproteste nicht unterstützt, deren faktisches Ziel eine Verschlechterung der Lage Arbeiter bedeutet.
Nach den ersten Protesten, die nach der Tragödie in Novi Sad stattfanden, nahmen die Proteste eine neue Form an. Die pro-westlichen Kräfte erkannten, dass ihnen die Unterstützung der Bevölkerung fehlte, und organisierten sogenannte „Studentenproteste” und Blockaden der Fakultäten. Obwohl diese Proteste von Professoren mit pro-westlicher Gesinnung – darunter auch die Verwaltung der Universität Belgrad – koordiniert wurden, wurden sie als „spontane Studentendemonstrationen” dargestellt. Einige dieser Professoren, die sich zuvor gegen Blockaden gestellt hatten, als Studenten gegen die Kommerzialisierung der Bildung protestierten, unterstützen nun die neuerlichen Blockaden.
Zu Beginn schufen die Organisatoren der Proteste ein Plenum als Simulation eines spontanen Studentenaufstands und formulierten drei Hauptforderungen. Einige Studenten schafften es sogar, eine vierte Forderung hinzuzufügen: die Erhöhung des Universitätsbudgets um 20 %. Kurz darauf lehnten die Studenten von Novi Sad diese Forderung jedoch ab, und Professoren setzten die Plena an der Universität Belgrad unter Druck, sie ebenfalls zu streichen (nur drei Tage bevor die Versammlung über diese Forderung abstimmen sollte). Stattdessen konzentrierten sie sich auf das neoliberale Mantra der „Expertenregierung” und den Kampf gegen Korruption. Obwohl klar ist, dass Korruption dem kapitalistischen System innewohnt, blieb die „heilige Kuh” der Korruptionsbekämpfung unhinterfragt.
Dank der Propaganda der pro-westlichen Medien und Organisationen erhielten die Studierenden den Status einer unhinterfragbaren Autorität, während echte Probleme – wie die kapitalistische Ausbeutung – an den Rand gedrängt wurden. Die Propaganda der Protestorganisatoren schuf eine schlichte Spaltung zwischen „pumpadžija” (den Menschen, die die Proteste unterstützen) und „ćaci” (den Menschen, die die Regierung unterstützen), basierend auf der Wiederholung abstrakter, völlig irrationaler Phrasen, die sich jeder nüchternen Diskussion versperrt. Es wurde die illusionäre Vorstellung verbreitet, dass jeder die Forderungen der Proteste mitbestimmen könne, während die längst definierten Forderungen unhinterfragbar waren. Jede Diskussion, die die Grundprämissen der Proteste in Frage stellte, wurde sofort abgewiesen, und jeder, der das neoliberale Mantra der Proteste nicht unterstützte, wurde als „ćaci“ oder als Agent von Vučić bezeichnet. Obwohl primitiv, war diese auf Gruppenzugehörigkeit basierende Spaltungspropaganda sehr wirksam. Sie führte zu einer Massenhysterie und zur Schaffung einer irrationalen „pumpadžija“-Identität, durch die die Protestteilnehmer manipuliert werden.
Diese Proteste werden von Kapitalisten wie Filip Cepter und Rodoljub Drašković finanziert, und es wurden sofort Bankkonten für Spenden eingerichtet. Spenden aus den USA wurden beispielsweise als Unterstützungen eines IT-Spezialisten dargestellt, der 2 Millionen Dinar spendete. Es gab viele ähnliche Fälle. Darüber hinaus wurden nach dem Einsturz des Vordachs in Novi Sad Transportunternehmen gegründet, die beschlossen, Studenten kostenlos zu befördern. Ein für viele unverstellbares Szenario. In diesem Sinne sehen wir, dass die Logistik der Proteste von der „(un)sichtbaren“ Hand des Marktes kontrolliert wird.
Interessanterweise gelang es diesen Protesten, die liberale Opposition zu marginalisieren, die nun unter der Kontrolle der „Studenten“ steht und nicht mehr in der Lage ist, unabhängig zu agieren. Diese Veränderungen spiegelten sich auch in den Kommunalwahlen wider, bei denen die „Studenten“ über die Nominierung der Kandidaten entschieden. In der Folge wurde Milo Lompar zum neuen Gesicht der sogenannten Studentenproteste gewählt – eine wiederhervorgeholte Figur aus der Ära Koštunica (Koštunica war der erste Präsident der Bundesrepublik Jugoslawien nach der Konterrevolution im Jahr 2000). Er unterstützte neoliberale Reformen und war an der Politik beteiligt, die zum Zerfall der Bundesrepublik Jugoslawien führte.
Diese Proteste sind nicht unabhängig von den internationalen Entwicklungen. Der westliche Imperialismus, der für die Konflikte in der Ukraine, Palästina, Iran und anderswo verantwortlich ist, will Serbien, das derzeit weder Mitglied der EU noch der NATO ist, unter seine vollständige Kontrolle bringen. Sein Ziel ist es, Serbien eine noch unterwürfigere Regierung aufzuzwingen, die vollständig von Brüssel und Washington kontrolliert wird, da Serbien heute ein wichtiger Wirtschaftspartner des sozialistischen China ist und keine Sanktionen gegen Russland verhängt hat.
Die NKPJ versteht die berechtigte Wut der Menschen und erkennt an, dass viele junge Menschen von der aktuellen politischen Situation in Serbien frustriert sind, für die das regierende Regime der Serbischen Fortschrittspartei (SNS) die größte Verantwortung trägt. Obwohl auch unsere Mitglieder und unsere Jugendorganisation von den regimekontrollierten Medien angegriffen werden, betrachten wir als Kommunisten die Politik nicht durch eine emotionalisierte Brille, sondern durch objektive politische Entwicklungen. Liberal-nationalistische Proteste können nicht den Interessen des Volkes dienen. Wir müssen als Kommunisten die Realitäten benennen. Wir lassen uns nicht von politischen Trends leiten, sondern von Prinzipien. Wir sind entschiedene Gegner des Regimes von Aleksandar Vučić, und wir sind uns ebenso bewusst, dass eine schlechte Regierung durch eine noch schlechtere und noch unterwürfigere ersetzt werden könnte. Das wäre für das serbische Volk katastrophal.
Die arbeitende Bevölkerung Serbiens hat kein Interesse daran, sich an diesen Protesten zu beteiligen. Die NKPJ ruft die Arbeiterklasse und die Bürger dazu auf, eine echte Volksfront zu bilden, die sich für engere Beziehungen zu den BRICS-Staaten und gegen den EU-Beitritt Serbiens einsetzt und die Zusammenarbeit mit sozialistischen Ländern wie der Volksrepublik China, der DVR-Korea, Vietnam, Laos und Kuba sowie mit befreundeten Nationen wie Venezuela, Russland, Nicaragua, Belarus, Angola, Palästina, den Sahelländern und anderen echten Verbündeten, die uns keine einseitigen Bedingungen diktieren. Wir werden weiterhin eine prinzipielle Politik im Interesse der einfachen Menschen und der breiten Massen verfolgen.
Sekretariat der Neuen Kommunistischen Partei Jugoslawiens
Belgrad, 04.07.2025.
[1] Am 3. März 2025 nahmen die Protestteilnehmer in Niš symbolisch ein „Edikt der Studenten“ an.
[2] Ein pro-Regierungs-Protest, der sich gegen die Studentenproteste richtete.