Über die Debatte zum Faschismus auf Export in Russland

Themen: Faschismus

Wir veröffentlichen die einzelnen Kapitel und Abschnitte der Broschüre „Faschismus – Kommunistische und bürgerliche Analysen im Überblick“ als Fließtexte Online. Die gesamte Broschüre ist bereits auf der Website verfügbar.


Von Anastasia K.

In diesem Teil des Abschnitts zu internationalen Faschismus-Debatten, blicken wir auf die Debatten der Kommunisten in Russland mit dem Fokus auf die „Faschismus auf Export“-These und die verschiedenen Positionen dazu.

Vorab sei angemerkt, dass es keine klare Definition vom „Faschismus auf Export“ gibt. Das Ziel dieses Abschnittes ist es auch nicht, eine Definition festzulegen, sondern das deutsche Publikum auf diesen Strang der internationalen Faschismus-Debatte aufmerksam zu machen, um daran anknüpfen zu können. Von manchen der hier vorgestellten Debattenakteure wird der Begriff „Faschismus auf Export“ ganz pragmatisch als ein operativer Begriff verwendet, d.h. sie halten nicht am Begriff selbst fest, sondern an dem Inhalt, mit den sie den Begriff füllen:

„Es muss gesagt werden, dass einige unserer und ausländischer Genossen durch den Begriff „Faschismus für den Export“ verwirrt sind. Er erinnert einige an das Konzept des „Exports von Revolutionen“, das die Kommunisten nicht unterstützen. Jemand interpretiert ihn primitiv als echten Export, d.h. als Export des Faschismus. Zumal die Essenz nach der Übersetzung aus der großen bildhaften russischen Sprache für ausländische Genossen schwer zu begreifen sein mag. Wir klammern uns nicht an den Begriff, für uns ist er als publizistisches Bild entstanden. Wichtiger ist die Essenz des Phänomens selbst [Eigene Übersetzung].“[1]

Anhand von drei Beispielen beschäftigt sich dieser Text mit der Essenz des Begriffs „Faschismus auf Export“. Hierfür wurden Texte von Boris Fetisov, Michail Popov und der Russischen Kommunistischen Arbeiterpartei (RKAP) ausgewählt. Diese Akteure sind dem deutschen Publikum womöglich nicht geläufig. Jedoch formen sie die Debatte rund um den Begriff „Faschismus auf Export“ in der russischen kommunistischen Bewegung mit, oder prägen sie sogar. Andererseits fehlen hier noch wichtige Debattenakteure, wie die Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF); somit deckt dieser Text die Debatte rund um den „Faschismus auf Export“ nicht vollständig ab. Nichtsdestotrotz sollte nach der Lektüre dieses Abschnitts deutlich werden, mit welchen Inhalten der Begriff gefüllt ist. Nach der Vorstellung und einer Zusammenfassung der Inhalte des „Faschismus auf Export“ wird anschließend auch die Kritik an dem Begriff erläutert.

An dieser Stelle sei noch vorangestellt, dass alle Akteure, die in verschiedenen Abschnitten zu Wort kommen, sich auf die gleiche Bestimmung des Faschismus stützen. Sie beziehen sich auf Dimitroffs Ausführungen auf dem VII. Weltkongress der Kommunistischen Internationale und die Thesen des XIII. Plenums des EKKI:

„Der Faschismus an der Macht, Genossen, ist, wie ihn das 13. Plenum des EKKI richtig charakterisiert hat, die offene, terroristische Diktatur der reaktionärsten, chauvinistischsten, am meisten imperialistischen Elemente des Finanzkapitals.“[2]

Obwohl der theoretische Ausgangspunkt der Befürworter und Gegner der “Faschismus auf Export”-These derselbe ist, kommen sie in der Anwendung der Theorie dennoch zu unterschiedlichen Schlüssen. Einer der Gründe für die unterschiedlichen Positionen in der Frage, ob es einen exportierten Faschismus geben kann, lässt sich auf die Imperialismus-Debatte zurückführen, die in der kommunistischen Bewegung seit der Ausweitung des Ukrainekrieges im Jahr 2022 neuen Aufwind erhielt. In der Debatte um den Krieg in der Ukraine und Imperialismus haben sich zwei entgegengesetzte Positionen herauskristallisiert. Während die eine Seite der internationalen kommunistischen Bewegung, wie zum Beispiel die griechische KKE, davon ausgeht, dass nahezu alle Länder der Welt imperialistisch seien und hierfür das Bild der Pyramide verwendet wird, um das ökonomische, politische und militärische Ungleichgewicht sowie das Machtgefälle zwischen stärkeren und schwächeren Ländern zu erklären, erkennt die andere Seite, dass die Welt von wenigen imperialistischen Ländern aufgeteilt wurde und diese den schwächeren Ländern ihre politischen und ökonomischen Bedingungen aufzwingen können, notfalls mit militärischer Gewalt. Für weitere Ausführungen und Argumente der einen oder der anderen Seite zu diesem Thema, können Debattenbeiträge im Rahmen der Imperialismus-Diskussion ab dem Jahr 2022 herangezogen werden. Diese sind auf der Webseite der Kommunistischen Organisation (kommunistische-organisation.de) zu finden.

Welche Inhalte die „Faschismus auf Export“-These beinhaltet, wird im nächsten Abschnitt behandelt undzum Schluss nochmal zusammengefasst.

„Faschismus auf Export“ – Was ist das? Fetisov, RKRP, Popov

Wie im Kapitel I der Broschüre erwähnt wurde, findet man bereits erste Parallelen zur „Faschismus auf Export“-These im verabschiedeten Programm der KI auf dem VI. Weltkongress (1928).[3] Auch Reinhard Kühnl erwähnt den „exportierten Faschismus“ in seinem 1971 erschienenen Buch „Formen bürgerlicher Herrschaft. Liberalismus. Faschismus“:

„Das damit angesprochene Problem des ‘exportierten Faschismus’ wirft komplizierte Fragen auf, die bislang theoretisch nicht befriedigend gelöst sind. Es muss jedoch betont werden, daß es solche Regime seit langem gibt und daß sie sich vom Faschismus im hier entwickelten Sinne beträchtlich unterscheiden, wenn sich auch in der letzten Zeit ihr Terrorsystem ausgeweitet und verfeinert und ihre Funktion somit verändert hat, als sie nicht nur die sozialen Privilegien ihrer Oberklasse, sondern auch die ökonomischen und strategischen Interessen des amerikanischen Kapitalismus verteidigen.“[4]

In den 70er Jahren in der UdSSR gab es ebenfalls Gesellschaftswissenschaftler, die über „exportierten Faschismus“ geschrieben haben, wie zum Beispiel der Historiker Konstantin Ivanovich Zadorov. Er erklärt den “exportierten Faschismus”„exportierten Faschismus“ folgendermaßen: 

„Nachdem er [der Faschismus] in den Hochburgen des Imperialismus während des Krieges besiegt wurde, breitet er sich vor allem in den ehemaligen Kolonien und halbkolonialen Peripherien aus. Und hier tritt er in der neuen Rolle eines abhängigen Komplizen, eines Satelliten der imperialistischen Mächte auf (…). Was die Methoden der Machtergreifung in den Ländern dieser Region betrifft, so ist die moderne Phase vor allem durch den exportierten Faschismus gekennzeichnet. Er wird (mal offen, mal verdeckt) von außen in Gestalt von militärisch-terroristischen Regimen durch Regierungen aufgezwungen, die zu Hause (mehr oder weniger) die Merkmale der bürgerlichen Demokratie beibehalten. Die Hauptstütze dieser Regime ist das internationale Kapital und vor allem der US-Imperialismus. (…) Der exportierte Faschismus fungiert als Instrument des Neokolonialismus, um den Völkern der Entwicklungsländer das Diktat der imperialistischen Bourgeoisie aufzuzwingen. Der exportierte oder importierte Faschismus ist eine Kombination aus den Interessen des internationalen Imperialismus und der reaktionären lokalen Bürokratie und des Militärs.[eigene Übersetzung]“ (Zadorov 1975: 16-17/16-17 / Zitat entnommen aus Politsturm 2019)[5] [6]

An diesen Beispielen kann man erkennen, dass der Begriff „exportierter Faschismus“ kein neuer ist, der erst nach der Konterrevolution in der UdSSR entstand. Eine tiefere Recherche zu historischen Debatten zu dem Thema wäre notwendig und lohnenswert.  

Fetisov

Was die heutige Debatte um den „Faschismus auf Export“ angeht, so wird immer wieder von verschiedenen Quellen auf Boris Fetisovs (Arbeiterpartei Russlands & Fond der Arbeiterakademie) 2006 erschienenemgleichnamigen Artikel verwiesen. Geschrieben wurde dieser Text vor dem Hintergrund der Eindrücke erfolgreicher und versuchter Farbrevolutionen der USA in der Ukraine, Georgien, Kirgistan, Usbekistan und Aserbaidschan und der damit einhergehenden Sorge, dass Russland ebenfalls ein solches Schicksal zuteilwerden könnte. Dieser erste Aufschlag Fetisovs wurde in Form eines kurzen Artikels veröffentlicht.  

Den „Faschismus auf Export“ bestimmt Fetisov als den Faschismus in der außenpolitischen Praxis. Konkret geht es um die USA, deren Außenpolitik nach dem Zweiten Weltkrieg bereits faschistische Merkmale aufgewiesen habe. Als Beispiele nennt Fetisov den Rüstungswettlauf sowie die Bildung von Militärbündnissen in abhängigen Ländern, die durch wirtschaftlichen oder militärischen Druck sowie politische Einmischung entstanden seien.[7] Bis zur Konterrevolution konnten diese durch die UdSSR in Schach gehalten werden, aber danach seien sie zu ihrer vollen Blüte gekommen. Der Faschismus in der US-Außenpolitik habe sich durch den massiven Einsatz ihrer militärischen Vormachtstellung, die sie nach dem Zweiten Weltkrieg erlangt und ausgeweitet hat, gezeigt. Durch ihre Vormachtstellung gelinge es den Vereinigten Staaten, in abhängigen Ländern proamerikanische Regime an die Macht zu bringen, sei es durch politischen oder wirtschaftlichen Druck, Unterstützung von militanten Putschen oder durch eigene militärische Aggression. Das Ziel bestehe darin, die national orientierte Bourgeoisie der jeweiligen Länderdurch eine Kompradorenbourgeoisie zu ersetzen. Ein verdecktes Agieren in der Außenpolitik, also das Verstecken hinter bürgerlich-demokratischen Werten, entfalle.  

RKAP

2012, auf der XIV. Versammlung der Kommunistischen und Arbeiterparteien in Beirut, stellte Viktor Tjulkin, damals der erste Sekretär des ZK der RKAP-KPSS, den Bericht der Partei vor. In diesem Bericht ging es zum einen um die Schwierigkeiten in der kommunistischen Bewegung innerhalb Russlands, vor dem Hintergrund der stattgefundenen Konterrevolution. Zum anderen ging es um die Beurteilung der außenpolitischen Situation. Hierzu gab die RKAP die Einschätzung ab, dass die USA an der Spitze des internationalen Imperialismus, nach der Konterrevolution in der UdSSR, an Aggressivität zugenommen habe. Während die USA und die NATO-Länder in ihrer innenpolitischen Verfasstheit Elemente einer bürgerlichen Demokratie behalten und linke Kräfte sich an den Wahlen beteiligen oder ihre Präferenzen bezüglich Präsidentschaftskandidaten äußern, treten dieselben Länder in ihrer Außenpolitik alle demokratischen Normen und das internationale Recht mit Füßen. Weiter hieß es in dem Bericht: „In seiner Außenpolitik verwendet der Imperialismus das Mittel der offenen Gewalt, des blutigen Terrors. Wir alle kennen die Reihenfolge der Ereignisse: Irak, Afghanistan, Jugoslawien, Libyen und heute Syrien.“
Die Aggression der imperialistischen Länder in Westasien schätzte die RKAP als die Ausbreitung eines Neofaschismus ein und lieferte damit zusammenhängend auch gleich ihre Definition der „Faschismus auf Export“-These: „Wir schätzen die Eskalation der Anspannung im Nahen Osten als Ausbreitung des Neofaschismus ein – des Faschismus auf Export, der unverdeckt ist, der alle Gesetze und Normen des internationalen Rechts ignoriert, der terroristischen imperialistischen Politik der Gewalt und der blutigen Lösung von Interessensfragen des weltweiten Imperialismus, dessen Kern das Finanzkapital ist [eigene Übersetzung].“[8]

Ein bemerkbarer Unterschied zu Fetisovs erstem Aufschlag ist, dass in dem Bericht der RKAP, neben den USA, auch die Länder der NATO als solche eingeschätzt werden, auf deren Außenpolitik die „Faschismus auf Export“-These zutrifft.  

Popov

Neben Fetisov wird auch Popov (APR-FAA) oftmals als einer der Popularisierer der „Faschismus auf Export“-These bezeichnet.

Wie auch bei den vorherigen Ausführungen greift Popov auf das Faschismus-Verständnis, das durch das XIII. Plenum des EKKI verabschiedete Resolution und deren Wiederholung durch Dimitroff auf dem VII.Kongress der Komintern zurück. Er betont, dass diese Definition nicht nur zu seiner Zeit richtig gewesen ist, sondern auch heute Gültigkeit hat, weil es das Wesen des Finanzkapitals (das heute einen größeren Einfluss als im 20. Jahrhundert habe) und des Imperialismus beschreibt. Dieses Wesen habe sich bis heute nicht verändert. Ausgehend davon, dass die reaktionärsten Teile des Finanzkapitals die Wurzel des Faschismus seien, ergänzt Popov, dass es nicht unbedingt das eigene Finanzkapital sein muss, welches hinter dem Faschismus stehe.[9]

Faschismus sei Antikommunismus und arbeiterfeindliche Politik und diene als eines der Mittel zur Rettung des Imperialismus.

Zentral dafür, was den „Faschismus auf Export“ von sonstiger imperialistischer Aggression unterscheide, ist der vorsätzliche Bruch des internationalen Rechts und der bürgerlichen internationalen Normen, die sich die bürgerlichen Staaten selbst gesetzt haben. Das stelle den Übergang zur offenen terroristischen bzw. faschistischen Diktatur des Finanzkapitals dar und mache den Faschismus als praktische Staatspolitikaus: 

Kennzeichnend für den Faschismus als Politik ist die Ablehnung demokratischer Institutionen und der Einsatz von offen terroristischen Formen der Staatspolitik. Heute bewahren die USA und die NATO-Staaten in ihrer Innenpolitik, wenn auch in reduzierter Form, Elemente der bürgerlichen Demokratie, aber in ihrer Außenpolitik missachten sie demokratische Normen. Der Imperialismus greift in seiner Außenpolitik, die integraler Bestandteil der von ihm ausgeübten bürgerlichen Diktatur ist, zunehmend zu Maßnahmen der offenen Gewalt und des blutigen Terrors [eigene Übersetzung].”[10]

Der offene Terrorismus in der Außenpolitik schließe jedoch die Wahrung der bürgerlichen Demokratie im Inneren des Landes nicht aus.

Von dem Faschismus als praktische Staatspolitik unterscheidet Popov den Faschismus als System ideologischer Überzeugungen. Dieser zeichne sich heute in der aktiven Bekämpfung des Kommunismus aus, zum Beispiel durch antikommunistische Gesetze oder die Versuche, entsprechend der Totalitarismustheorie, den Kommunismus mit dem Faschismus gleichzusetzen.  

Die angeführten Positionen zum “Faschismus auf Export” können folgendermaßen zusammengefasst werden. Der “Faschismus auf Export” geht von Ländern mit den am meisten reaktionären, chauvinistischen und imperialistischen Teilen des Finanzkapitals aus. Seit dem Zweiten Weltkrieg und insbesondere nach der Konterrevolution in der UdSSR haben sich die NATO-Länder mit den USA an ihrer Spitze zu diesen Ländern entwickelt.

Der “Faschismus auf Export” habe das allgemeine Ziel, die imperialistische Ordnung aufrechtzuerhalten, die durch Krisen und Revolutionen in Gefahr gebracht werden könnte.

Um die imperialistische Ordnung zu erhalten, werden unterschiedliche Vorgehensweisen gewählt, wie zum Beispiel die Unterstützung von Faschisten und anderweitigen Kollaborateuren in den Zielländern, die Farbrevolutionen entfachen oder gar Gewalt gegen unliebsame Gruppen anwenden, oder das Überschütten von unliebsamen Ländern und ihren Regierungen mit Terror, Gewalt und Kriegen. Hierbei brechen die Imperialisten jegliche Normen und Regeln ihrer eigenen Ordnung. In den imperialistischen Ländern, die zum Zwecke der Ordnungserhaltung in ihrer Außenpolitik den Faschismus „exportieren“, ist der Faschismus nicht zwangsläufig an der Macht. Diese Länder können durchaus im Inneren eine bürgerliche Demokratie aufrechterhalten.

Und was bedeutet der „Faschismus auf Export“ für die Arbeiterklasse der betroffenen Länder? Wenn die imperialistischen Staaten es schaffen, ihre arbeiterfeindlichen Marionettenregime in anderen Ländern aufzurichten, oder diese Länder durch Kriege in der Entwicklung zurückzuwerfen, so hat die Arbeiterklasse eine schwierigere Ausgangsbedingung für die Erkämpfung des Sozialismus.[11]

Für den Klassenkampf in den potenziell betroffenen Ländern bedeutet das, dass auch bürgerlich-nationale Kräfte, soweit das möglich ist, für den antifaschistischen Kampf eingespannt werden müssen: “Die kommunistische Bewegung muss sich auf der Grundlage der Interessen der Arbeiterklasse und der Schaffung günstigerer Bedingungen für die Entfaltung ihres Klassenkampfes den faschistischen Erscheinungsformen des Imperialismus entgegenstellen, so wie es die Parteien der Komintern und der Sowjetunion getan haben, die ein zeitweiliges Bündnis mit den antifaschistischen Mächten eingegangen sind, um den Faschismus schnell zu besiegen. Es wäre absolut unzulässig, diese historische Erfahrung und diese kommunistische Praxis zu ignorieren, oder zu unterschätzen. Der Faschismus muss unter dem Gesichtspunkt der Verteidigung der vitalen und langfristigen Interessen der Arbeiterklasse bekämpft werden. Dementsprechend müssen wir die bürgerlich-demokratischen Bewegungen gegen den Faschismus unterscheiden und, ohne die Aufgaben unseres Klassenkampfes aufzugeben, unterstützen und, wenn wir können, anleiten [eigene Übersetzung].”[12]

Kritik

Eine ausführlich niedergeschriebene Kritik an der „Faschismus auf Export“Export“- These, die sich vor allem an Popov abarbeitet, hat die Abspaltung der RKAP “Russische Arbeitsfront” niedergeschrieben. In ihrer dreiteiligen Textreihe „M.V. Popov und die „Arbeiterpartei Russlands“: Marxismus oder Revisionismus [eigene Übersetzung]“, verfasst durch Osin, widmen sie der These einen ganzen Artikel mit dem Titel „Über den ‘Faschismus auf Export’ und der faschistischen Gefahr in Russland [eigene Übersetzung]”.[13]

Sowohl die Gegner als auch die Befürworter der „Faschismus auf Export“Export“- These gehen vom Finanzkapital als Grundlage für den Imperialismus und Faschismus aus. Hier besteht also kein Dissens. Worin jedoch ein Dissens besteht, ist die Frage, welche Länder zu den Imperialisten gehören. Hieraus speist sich im Grunde der Knackpunkt der Kritik der Arbeitsfront Russlands an der These eines “exportierten Faschismus”. Die Argumentation der Arbeitsfront Russlands lautet wie folgt: Die Welt im imperialistischen Stadium zeichne aus, dass so gut wie alle Länder Monopole und Finanzkapital besitzen würden. Deshalb seien auch die meisten Länder imperialistisch und hätten das Potenzial, dass dort ein eigener Faschismus, beruhend auf dem eigenen Finanzkapital, an die Macht komme.[14] Es bedürfe also keinen „exportierten Faschismus“, damit in einem Land X der Faschismus an die Macht komme. Diese Argumentationsweise erkennt man beispielsweise an solchen Stellen: „Viertens: Die Unterstützung faschistischer Regime durch imperialistische Staaten erfolgte immer dort, wo die inneren Bedingungen für die Entstehung des Faschismus bereits gegeben waren. (…) Ungarn, Chile, Polen und die baltischen Staaten vor 1940 sind weniger bekannte, aber ebenso aussagekräftige Beispiele. In all diesen Ländern gab es keinen Exportfaschismus, sondern einen einheimischen Faschismus, der von externen Kräften unterstützt wurde. So war es auch im Spanischen Bürgerkrieg. Niemand kam auf die Idee, ihn als „deutsch-italienischen Exportfaschismus“ zu bezeichnen, obwohl die Achsenmächte die faschistischen Kräfte in Spanien unterstützten [eigene Übersetzung].“[15]

Die Arbeiterpartei Russlands erkennt also an, dass “imperialistische Staaten” faschistische Regime in anderen Ländern unterstützt haben, sieht darin aber keinen “Faschismus auf Export”. Dieser Sichtweise könnte die Annahme zugrunde liegen, dass mit dem Begriff “Faschismus auf Export” ein tatsächlicher Exportdes Faschismus aus dem Land Y in das Land Z gemeint wäre. Ein solches Verständnis vom “Faschismus auf Export” lässt sich jedoch weder bei Fetisov, RKAP, noch bei Popov finden.  Im Gegenteil, sie wenden sich sogar gegen ein solches Verständnis.[16]

Auch die Ukraine ist nach Auffassung der Arbeitsfront Russlands ein Land mit eigenem Finanzkapital. Der Faschismus in der Ukraine sei deswegen ein eigener, der lediglich von außen unterstützt und nicht von den westlichen Staaten exportiert wurde: „Und was ist mit der modernen Ukraine oder den baltischen Staaten heutzutage? Es ist genau das Gleiche. In diesen Ländern waren die inneren Bedingungen für die Entstehung des Faschismus schon lange gereift, die USA haben diesen Bedingungen und Kräften einfach geholfen, sich zu entwickeln, aber ohne innere Bedingungen hätten die USA keinen Erfolg gehabt [eigene Übersetzung].“[17]

In Bezug auf die US-Regime-Change-Politik, argumentiert,Osin von der Arbeitsfront Russlands, dass diese nichts mit „Faschismus auf Export“ zu tun habe, weil es nichts Neues sei, dass imperialistische Mächte innere Konflikte in anderen Ländern nutzen würden. Und dass es sich bei den Regime-Change-Operationenn nicht um „Faschismus auf Export“ handle, wird folgendermaßen erklärt: „Wenn es um den US-Imperialismus geht, exportieren die USA im Wesentlichen nicht den Faschismus nach außen, sondern installieren pro-amerikanische Marionettenregime in Ländern, die nicht in die Politik des US-Imperialismus passen. Aber ein pro-amerikanisches Marionettenregime ist nicht identisch mit einem faschistischen Regime[eigene Übersetzung].”[18]

Die Arbeitsfront Russlands sieht auch in der aggressiven Außenpolitik der USA keine besondere Aggressivität und schätzt diese als imperialistisch ein: „Allein die Einschätzung der expansionistischen politischen Linie des US-Imperialismus ist richtig, aber was hat das mit „Faschismus für den Export“ zu tun? Aggressive Außenpolitik ist allen imperialistischen Staaten eigen, und je stärker der imperialistische Staat ist, desto stärker ist die Verletzung des Völkerrechts und die Aggression durch ihn [eigene Übersetzung].“[19]

Die Arbeitsfront Russlands möchte also darauf hinaus, dass die imperialistische Aggression der USA nicht die Zuschreibung „faschistisch“ brauche. Es reiche aus, diese als imperialistisch zu beschreiben. Dem würde Popov folgendes entgegnen:

Gleichzeitig haben sie völlig Recht, wenn sie sagen, dass nicht jede Gewalt des Imperialismus Faschismus ist, dass es sogar zu Zeiten der UdSSR imperialistische Aggressionen gab. In der Tat haben imperialistische Mächte schon vor dem Aufkommen des Faschismus und nach seiner Niederlage im Zweiten Weltkrieg Interventionen und Kriege begangen: Es gab die Besetzung Palästinas, Syriens, des Libanon, 40 Prozent des Territoriums von Zypern wurden besetzt, der imperialistische Krieg in Korea wurde von der UNO entfesselt, es gab den imperialistischen Krieg in Vietnam. Es gab Hunderte von Verbrechen, die von den Imperialisten in Afrika, Lateinamerika und auch in Europa begangen wurden. Warum stufen wir diese Aggressionen nicht als Faschismus ein, aber nach dem Zusammenbruch der UdSSR und der europäischen sozialistischen Länder haben wir diese Definition angenommen – „Faschismus für den Export“? Sie sagen, dass dies nicht die Existenz des „Exportfaschismus“ beweist, sondern die Aggressivität des Imperialismus, der immer reaktionärer wird. Um kurz zu antworten: Einige dieser Aggressionen bezeichnen wir als Faschismus, andere nicht, weil sie nicht unter die Definition des Faschismus fallen [eigene Übersetzung].“[20]

Ein inhaltlicher Dissens mit Popov besteht noch in der Interpretation der Aussage Lenins, dass die Außenpolitik eines Landes die Fortführung seiner Innenpolitik ist. Popov vertritt die Ansicht, dass ein Staat durchaus innenpolitisch eine bürgerliche Demokratie haben kann, während es eine faschistische Außenpolitik betreibt: “In der modernen Welt verwenden die meisten bürgerlichen Staaten in ihrer Innenpolitik verschiedene Formen der bürgerlichen Demokratie und verzichten auf die Ausübung einer Diktatur in offener terroristischer Form. Anders verhält es sich auf der internationalen Bühne, wo die Fortsetzung der Innenpolitik als internationale Politik betrieben wird. Nach dem Zusammenbruch der UdSSR hat der internationale Imperialismus, angeführt von den Vereinigten Staaten von Amerika, nicht nur seine Aggressivität gesteigert, sondern auch begonnen, sich offen über die Normen des Völkerrechts hinwegzusetzen und sogar die bürgerliche Gesetzlichkeit zu ignorieren [eigene Übersetzung].”[21]
 
Dem wird im Artikel der Arbeitsfront Russlands entgegnet, dass dies dem oben erwähnten Grundsatz Lenins widersprechen würde. Eine faschistische Außenpolitik könne es nur geben, wenn der Faschismus in einem Land an der Macht sei und innenpolitisch eingesetzt werde: „Man kann von der Manifestation von Elementen des Faschismus in der Außenpolitik der USA sprechen, die sich aus dem einen oder anderen Grund nicht so deutlich im Inneren des Landes manifestieren. Aber hier geht es nicht um den Export von Faschismus, sondern um die Fortführung der faschistischen Tendenzen des US-Imperialismus, die der inneren Ordnung dieses Landes innewohnen, nach außen [eigene Übersetzung].“[22]

Fazit

Die Debatte um den „Faschismus auf Export“ ist in der deutschen kommunistischen Bewegung noch nicht im vollen Gange. Die Gründe hierfür können an dieser Stelle nur Gegenstand von Spekulationen sein. Dieser Text hat hoffentlich dem Leser dabei geholfen, eine Vorstellung vom Diskussionsgegenstand zu bekommen und das Interesse für die weitere Beschäftigung damit geweckt. Interessant wäre sicherlich nicht nur die Betrachtung der aktuellen Debatte, sondern auch die Lektüre älterer Texte zum Thema Faschismus. Denn wie hier gezeigt wurde, tauchen die Inhalte der „Faschismus auf Export These“ auch schon bei Kühnl oder, wie im Kapitel „Die Faschismusdiskussion der Kommunistischen Internationale von 1922 bis 1935“ dieser Broschüre dargestellt, sogar auf dem VI. Weltkongress KomIntern auf.

Ziel der weiteren Beschäftigung mit der Debatte könnte sein, das Verhältnis zwischen dem „Faschismus auf Export“ und dem Imperialismus besser zu verstehen und eine klarere Bestimmung des Begriffs zu erarbeiten.


[1] RKRP: „Über den Faschismus auf Export“, 2022, Online: https://ркрп.рус/2022/03/17/про-фашизм-на-экспорт/ (aufgerufen: 03.05.2025).

[2] Dimitroff, Georgi: „Die Offensive des Faschismus und die Aufgaben der Kommunisten im Kampf für die Volksfront gegen Krieg und FaschismusFaschismus; ; Referate auf dem VII. Kongreß der Kommunistischen Internationale“, 1935, Online: https://www.marxists.org/deutsch/referenz/dimitroff/1935/bericht/ch1.htm (aufgerufen: 03.05.2025).

[3] Siehe Abschnitt in der Broschüre zu “Faschistische Entwicklung und Faschismusdiskussion im Anfangsstadium”.

[4] Kühnl, Reinhard: „Formen bürgerlicher Herrschaft: Liberalismus, Faschismus“, Rohwolt Reinbeck bei Hamburg 1971, S. 164.

[5] Зародов, Константин Иванович: „Сущность неофашизма и некоторые вопросы тактики коммунистического движения“. In: Современный фашизм: его обличье и борьба с ним. Прага. 1975. 

[6] Politsturm: „К критике буржуазного профессора ч.1“, 2019, Online: https://politsturm.com/k-kritike-burzhuaznogo-professora-ch-1/ (aufgerufen.(aufgerufen: 03.05.2025).

[7] Vgl. Fetisov, Boris: „Фашизм   на   экспорт“, 2006, Online: https://rpw.ru/pt/12/Fetisov.html (aufgerufen:03.05.2025).(aufgerufen: 03.05.2025).

[8] RKRP: „Доклад Первого секретаря ЦК РКРП-КПСС на Международной встрече коммунистических и рабочих партий в Бейруте 22 – 23 ноября 2012“, 2012, Online: https://ркрп.рус/2012/11/25/доклад-первого-секретаря-цк-ркрп-кпсс/ (aufgerufen: 03.05.2025).

[9] Попов, Михаил Васильевич: „О  фашизме  на  экспорт“, Jahr unbekannt, Online: https://rpw.ru/public/fne.html (aufgerufen: 03.05.2025).

[10] Ebd.

[11] Vgl. ebd.

[12] Ebd.

[13] Осин Р. С.: „Часть 3. О «фашизме на экспорт» и угрозе фашизма в России. М.В. Попов и «Рабочая Партия России»: марксизм или ревизионизм?“, Jahr unbekannt, Online: https://rotfront.org/m-v-popov-i-rabochaya-partiya-rossii-ma-2/(aufgerufen: 03.05.2025).

[14] Vgl. ebd.

[15] Ebd.

[16] Vgl. ebd.

[17] Ebd.

[18] Ebd.

[19] Ebd.

[20] Попов, Михаил Васильевич: „О  фашизме  на  экспорт“, Jahr unbekannt, Online: https://rpw.ru/public/fne.html (aufgerufen: 03.05.2025).

[21] Ebd.

[22] Осин Р. С.: „Часть 3. О «фашизме на экспорт» и угрозе фашизма в России. М.В. Попов и «Рабочая Партия России»: марксизм или ревизионизм?“, Jahr unbekannt, Online: https://rotfront.org/m-v-popov-i-rabochaya-partiya-rossii-ma-2/(aufgerufen: 03.05.2025).