English
русский
عربي

Die Schuldigen waren nicht vor Gericht geladen

Der Text als pdf

Was brachten 5 Jahre Prozess?

Am Mittwoch ging nach 5 Jahren der NSU-Prozess vor dem Münchener Oberlandesgericht zu Ende. Beate Zschäpe wurde zu lebenslanger Haft verurteilt, bei besonderer Schwere der Tat. Der Angeklagte Ralf Wohlleben erhielt 10 Jahre für Beihilfe in 10 Mordfällen. Das relativ hohe Strafmaß für Zschäpe täuscht darüber hinweg, dass die Nebenangeklagten lächerlich niedrige Strafen erhalten haben. Neben Wohlleben wurde André Eminger wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung zu lediglich zwei Jahren und sechs Monaten Gefängnis verurteilt. Das ist weniger als ein Mann erhielt, der im Januar wegen eines Flaschenwurfs bei G 20 zu 3 1/2 Jahren verurteilt wurde. Da Eminger ja bereits seit einigen Jahren in Untersuchungshaft sitzt, geht er nun als freier Mann aus dem Prozess. Kein Wunder also, dass die Verkündigung des Urteils zu spontanem Jubel bei den im Gerichtssaal anwenden Nazis führte.

Das eigentliche Ergebnis dieses „Jahrhundertprozesses“ ist aber ein anderes: 9 Zeugen sind tot, sie alle sind auf mysteriöse Weise gestorben. Bei den Angehörigen der Opfer hat sich eine Stimmung der Resignation und Ohnmacht breit gemacht, der jahrelange Prozess hat sie zermürbt. Ihre Hoffnungen auf Aufklärung und Gerechtigkeit sind in den Sälen des Münchener Oberlandesgerichts zunichte gemacht worden. Auch die Öffentlichkeit ist abgestumpft, die große Empörung von 2011 bei dem Auffliegen des NSU ist vorbei.

Der deutsche Staat jedoch geht als Gewinner aus dem Prozess. Seine eigene Rolle in dem NSU-Fall blieb vor Gericht weitestgehend im Dunklen. Dabei hätte er selbst auf der Anklagebank sitzen müssen, die Polizei, die Geheimdienste, das Bundeskanzleramt.

Es ging nie um Aufklärung. Der Staat hat diese Verbrechen organisiert, er hat die Spuren verwischt. Der Aufbau, die Bewaffnung und Deckung des Terrornetzwerk NSU war nicht ein Coup von „dunklen“ Teilen des Staatsapparats, sondern eine konzertierte Aktion, die ohne Koordination der Staatsspitze, insbesondere des Bundeskanzleramts, das die Geheimdienste koordiniert, nicht möglich gewesen wäre. Der von ihm selbst geschaffene Terror wurde genutzt, um die Trennung von Polizei und Geheimdiensten weiter zu schleifen, also um sich selbst noch mehr Möglichkeiten und Macht zu geben.

Die Schuldigen waren nicht vor Gericht geladen

Das Urteil im NSU-Prozess hat den Staat nicht nur freigesprochen, er war niemals angeklagt.

All denjenigen, die nun beklagen der Prozess habe nicht zur Aufklärung geführt, muss gesagt werden, dass es nie die Aufgabe der Bundesstaatsanwaltschaft war, für Aufklärung zu sorgen. Bereits vor Prozessbeginn 2013 wurde deutlich gemacht, welche Fragen nicht Gegenstand des Prozesses sein sollten: ob der NSU aus mehr als drei Personen bestanden habe, welche Rolle V-Männer im Umfeld des NSU gespielt haben und der Staat und seine Geheimdienste spielen. Das Prozessende soll auch das Ende des Kapitels „NSU“ sein. Und zwar für sehr lange Zeit – die NSU-Akten haben eine Sperrfrist bis ins Jahr 2134. Das Versprechen der Bundeskanzlerin, der Prozess werde restlos für Aufklärung sorgen, war von Beginn an ein schlechter Witz.

Die Ermittlungen vor und nach dem Auffliegen des NSU waren geprägt von Manipulation und Vernichtung des Beweismaterials. Obwohl Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe bereits 1998 zur Fahndung ausgeschrieben waren, konnte der NSU 13 Jahre im Untergrund agieren und hat in dieser Zeit mindestens 10 Menschen ermordet.

Das ist kein Zufall, denn der NSU stand unter dem besonderen Schutz des Verfassungsschutzes. Seinen Ursprung hat er im „Thüringer Heimatschutz“, einer Verbindung von Kameradschaften in den 90ern, der von Mitarbeitern des Geheimdienstes aufgebaut wurde. Dem V-Mann Tino Brandt standen dafür 200.000 Mark zur Verfügung. Die Entstehung des NSU ist also maßgeblich auf die Initiative des Verfassungsschutzes zurückzuführen. Zwischen 1998 und 2011 waren bis zu 43 Spitzel deutscher Sicherheitsbehörden im näheren und weiteren Umfeld des NSU positioniert. Sie sorgten für die Ausrüstung mit Waffen und militärischen Sprengstoff, falschen Pässen, sicherten das Untertauchen der Nazis. V-Männer waren bei den Morden dabei, wenn nicht sogar direkt beteiligt. Den NSU hätte es ohne die Unterstützung des deutschen Staates nicht gegeben. Der „National-Sozialistische Untergrund“ war dabei mitnichten eine kleine Dreiergruppe, sondern ein bundesweites militantes Nazinetzwerk. Die Opfer der Anschläge wurden monatelang in Zusammenarbeit mit örtlichen Nazistrukturen ausgespäht und ausgewählt.

Alle politischen Parteien haben dazu beigetragen, die Rolle des Staates zu relativieren, indem sie das Märchen von den „Pannen“ und den „Ermittlungsfehlern“ des Verfassungsschutzes erzählt haben. Auch die politische Linke hat in großen Teilen in den Chor mit Teilen der deutschen Medien eingestimmt, die kritische Stimmen als „Verschwörungstheorien“ abstempeln.

Losungen wie „Das Problem heißt Rassismus“ beantworten uns keine Fragen. Sie machen falsches Bewusstsein für den Terror zuständig und nehmen den Staat aus dem Visier. Man kann einen rassistischen Mord so erklären, den institutionellen Schutz der Täter über Jahre hinweg aber nicht.

Das „Stay-Behind“-Netzwerk wurde nicht aufgelöst – Der NSU besteht weiter fort

Der NSU ist nicht die erste faschistische Terrorgruppe, die in Deutschland aufgebaut wurde. Nach der Niederlage des deutschen Faschismus im 2. Weltkrieg blieb der größte Gegner der Alliierten und der deutschen Kapitalistenklasse weiterhin der Sozialismus, verkörpert durch die DDR, die Sowjetunion und die deutsche Arbeiterbewegung. Sie brauchten eine Spezialistengruppe, die in der DDR im Kriegsfall militärisch kämpfen könnte und im Falle revolutionärer Kämpfe in Westdeutschland zur Aufstandsbekämpfung eingesetzt werden könnte. Niemand war für diese Aufgabe besser geeignet als die ehemaligen Nazi-Kader, die überzeugte Antikommunisten waren. Sowohl Verfassungsschutz, als auch Bundesnachrichtendienst, wie auch der Militärgeheimdienst MAD, wurden von führenden Faschisten aufgebaut und besetzt. Sofort nach Kriegsende begannen sie eine Netzwerk von faschistischen Untergrundstrukturen aufzubauen, deren Waffenlager zum Teil bis heute bestehen.

Diese „Stay-Behind“ Organisationen wurden in mehreren Ländern Westeuropas unter NATO-Koordination aufgebaut. Erst 1990 sollten sie unter dem Stichwort „Gladio“ der Öffentlichkeit bekannt werden. Neben der Bekämpfung der revolutionären Arbeiterbewegung, sollte Gladio auch durch gezielte Attentate die Bevölkerung der jeweiligen Länder in eine Schockstarre versetzen, um den Abbau von Bürgerrechten und den Ausbau des Repressionsapparates zu legitimieren. Die bekannt gewordenen Gladio-Strukturen in der BRD waren z.B. der Bund Deutscher Jugend in den 50ern oder auch die Wehrsportgruppe Hoffmann in den 1970er Jahren. Nur wenige Jahre nach Bekanntwerden des Gladio-Netzwerks begann der Aufbau neuer Stay-Behind Strukturen: der Thüringer Heimatschutz.

Auch wenn der Sozialismus eine Niederlage erlitten hat, weiß die herrschende Klasse, dass ihre Ordnung auf Sand gebaut ist. Der Imperialismus bringt notwendigerweise regelmäßig Krisen hervor und die herrschende Klasse findet nur mit immer drastischeren Mitteln einen vorübergehenden Ausweg. Dadurch bedroht sie die Existenz der Masse der Bevölkerung. Auch wenn die deutsche Arbeiterklasse in diesem Moment unorganisiert und zersplittert ist, bereitet sich der deutsche Staat auf den Tag vor, an dem es vermehrt zu Widerstand kommen wird. Der Aufbau der faschistischen Terrorbanden dient dazu, eine Truppe zu schaffen, die im Ernstfall wichtige Figuren der Arbeiterbewegung gezielt zur Strecke bringen kann und Terror und Schrecken in der Masse verbreiten kann.

Aber auch jetzt schon braucht der Staat diese Strukturen. Die Terroranschläge des NSU die jahrelang den migrantischen Communities in die Schuhe geschoben wurden, schaffen ein Klima der Angst und der Ohnmacht. Der Schock führt zu Passivität, ja sogar zu Angst um das eigene Leben. Die Anschläge haben auch das Misstrauen zwischen Deutschen und Migranten verstärkt und so die Spaltung der Arbeiterklasse vorangetrieben.

Nicht zuletzt bietet der NSU einen Identifikationspunkt für die faschistische Szene in der BRD, die die verurteilten Nazis nun als Märtyrer feiern. Die NSU-Ermittlungen haben mitnichten zu einer Zerschlagung der Nazistrukturen geführt. Im Gegenteil, offiziell sind bundesweit weiterhin 500 Nazis als untergetaucht registriert, tausende bewaffnete „Reichsbürger“ stehen als paramilitärisches Potenzial bereit. Das Netzwerk, welches den NSU ermöglicht hat, besteht weiter. Durch die Verwischung von dessen Spuren hat der Verfassungsschutz sein Weiterbestehen garantiert.

Unser Schutz kann nur unsere Sache sein!

Wir können von den Gerichten der herrschenden Klasse keine Gerechtigkeit und keine Aufklärung erwarten. Wenn wir faschistischen Terror und Gewalt nicht weiter ausgeliefert sein wollen, müssen wir uns selber schützen. Wir dürfen keine Illusionen in einen „demokratischen“ Staat haben. Die Polizei und Geheimdienste stehen Seite an Seite mit den Faschisten. Der beste Schutz der Arbeiterklasse ist ihre Klassensolidarität, sie darf sich nicht spalten lassen. Sie muss Organisationen des antifaschistischen Selbstschutzes auf allen Ebenen schaffen, Aufklärung über den Staat betreiben und die Faschisten aus den Vierteln und Betrieben jagen.

Aktuelles

Iran hat den Aggressoren eine Grenze aufgezeigt

Die Militäroperation des Iran vom 12./13. April ist ein wichtiges Stoppzeichen an den Terror der zionistischen Besatzungsmacht Israel und seine Unterstützer gewesen. Sie war ein gerechtfertigter Akt der Selbstverteidigung. Die von den Kräften der Region koordinierte Aktion ist eine wichtige Unterstützung des palästinensischen Befreiungskampfs. Die Palästina-Soli-Bewegung darf sich trotz unterschiedlicher Sichtweisen auf die Kräfte der Region nicht spalten lassen. Hände weg vom Iran! Hände weg von Libanon, Syrien und Jemen! Freiheit für Palästina!

Erklärung der Palästinensischen Kommunistischen Partei zum Tag des Bodens – Einschätzungen zur Al-Aqsa-Flut

Wir dokumentierten hier die Stellungnahme der Palästinensischen Kommunistischen Partei  (PalCP), die sie vor etwa zwei Wochen veröffentlicht hat. Darin nimmt sie eine Einschätzung zur Al-Aqsa-Flut vor, die wir für wertvoll für die Debatten in der deutschen kommunistischen und Palästina-Solidaritätsbewegung halten.