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Ende vom Ende der Geschichte

Leitartikel der Zeitung zum Kommunismus Kongress 2023.

Angst vorm Dschungel 

Joe Biden, Olaf Scholz, Emmanuel Macron, Richi Sunak, Ursula von der Leyen und die weiteren Vertreter der G7 sehen die „internationale regelbasierte Ordnung“ in Gefahr. „Autoritäre Staaten“, allen voran Russland und China, würden die Regeln und Werte dieser liberal-demokratischen Ordnung mit Gewalt angreifen. NATO und EU treten an sie zu verteidigen. So geht ihre Erzählung. Josep Borrell, hoher Vertreter der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, spitze dieses Bild im Oktober 2022 bereits in völlig absurder Weise metaphorisch zu: 

„Europa ist ein Garten […] alles funktioniert. Es ist die beste Kombination aus politischer Freiheit, wirtschaftlichem Wohlstand und sozialem Zusammenhalt, die die Menschheit je aufbauen konnte. […] Der größte Teil der übrigen Welt ist ein Dschungel. Und der Dschungel könnte in den Garten einfallen. Und die Gärtner sollten sich darum kümmern.“ 

In der Tat, die NATO-Länder rüsten ihre militärischen Kapazitäten so massiv auf wie nie zuvor und breiten sich mit der Aufnahme von Finnland und Schweden weiter aus. In Europa stiegen die Ausgaben für Kriegsgerät 2023 im Vergleich zum Vorjahr um 13 Prozent. Die USA haben – mit politischer Rückendeckung ihrer europäischen Partner – Streubomben in die Ukraine geschickt. Ein großer Krieg scheint gefährlich nah. Die „regelbasierte Ordnung“ von der die Vertreter der führenden imperialistischen Länder fabulieren, hat den Faschismus in der Ukraine massiv aufgebaut. Nach über 80 Jahren schießen deutsche Panzer wieder gegen Russland und versetzen damit über Jahre lauernde deutsche Großmachtstrategen, wie den SPD-Vorsitzenden Lars Klingbeil, in Hochstimmung: 

„Nach knapp 80 Jahren der Zurückhaltung hat Deutschland heute eine neue Rolle im internationalen Koordinatensystem. […] Als Führungsmacht muss Deutschland ein souveränes Europa massiv vorantreiben. Deutschland kann nur stark sein, wenn Europa stark ist.“ 

Anhaltender Kampf um Befreiung  

Ihre „regelbasierte Ordnung“ ist nichts anderes als die Herrschaft des amerikanischen und europäischen Finanzkapitals, die bereits blut- und schweißtriefend zur Welt kam: 

„Die unbeschreibliche Unterjochung, die unmenschliche Versklavung und Zwangsarbeit, die einfache Ausrottung ganzer Völker und Stämme, so, daß nicht einmal ihr Name übrigblieb, war notwendig, um das stolze Gebäude zunächst des europäischen und dann auch des europäisch-amerikanischen Kapitalismus und seiner ganzen so sehr von sich eingenommenen materiellen und geistigen Zivilisation zu erbauen.“ 

So geschrieben und verabschiedet im Manifest der Gründungskonferenz, der maßgeblich von der Komintern mitinitiierten Liga gegen Imperialismus und für nationale Unabhängigkeit 1927 in Brüssel. Die Vereinnahmung und Kontrolle der geistig-materiellen Welt durch die imperialistischen Räuber konnte sich in den fast 100 Jahren seitdem und insbesondere mit der Niederlage des sozialistischen Lagers, steigern und perfektionieren.  

Schuldenabhängigkeit, Strukturanpassungsprogramme, subversive NGO-Tätigkeit, Farbrevolutionen, gekaufte Wahlen, Militärputsche, Kontrolle über Medien und Öffentlichkeit usw. – ein buntes Arsenal politischer, wirtschaftlicher, informationeller und militärischer Waffen. Das, was Marx und Engels im Kommunistischen Manifest über die Durchsetzung der kapitalistischen Produktionsweise sagen, beschreibt vergleichbar den grundsätzlichen Mechanismus zur Durchsetzung imperialistischer Dominanz: 

„Die wohlfeilen Preise ihrer Waren sind die schwere Artillerie, mit der sie alle chinesischen Mauern in den Grund schießt, mit der sie den hartnäckigsten Fremdenhaß der Barbaren zur Kapitulation zwingt. Sie zwingt alle Nationen, die Produktionsweise der Bourgeoisie sich anzueignen, wenn sie nicht zugrunde gehen wollen; sie zwingt sie, die sogenannte Zivilisation bei sich selbst einzuführen, d.h. Bourgeois zu werden. Mit einem Wort, sie schafft sich eine Welt nach ihrem eigenen Bilde.“ 

Der Kampf um staatliche und wirtschaftliche Souveränität, gegen koloniale und neokoloniale Unterdrückung und Abhängigkeit musste in Widerspruch zur Herrschaft des westeuropäisch und amerikanischen Finanzkapitals geraten. Die objektive Ausgangslage der nationalen Befreiungsbewegung des 20. Jahrhunderts brachte sie in eine grundsätzliche Gegnerschaft zum Imperialismus. Herausragende Revolutionäre aus Asien, Afrika und Lateinamerika wie Walter Rodney oder Amílcar Cabral (die vielfach in unserer kommunistischen Debatte fehlen) erkannten und wiesen nach, dass die Entwicklung Europas und Nordamerikas untrennbar verbunden war mit der anhaltenden Unterentwicklung der „dritten Welt“. Eine eigene und unabhängige Entwicklung musste gegen ebendiese Kräfte erkämpft werden, die die Blutspur ihrer kolonialen Verbrechen als „zivilisatorische“ Mission verklärten.  

Über Jahrzehnte bildete das sozialistische Lager unter Führung der Sowjetunion den Kern des Widerstands gegen den Imperialismus und stellte eine konkrete Perspektive für seine historische Aufhebung dar. Ihre wirtschaftliche Potenz und politische Macht schuf Handlungsspielräume für antikoloniale Kämpfe und junge Nationalstaaten. Ihre ideologische Gegnerschaft zum Imperialismus schuf Raum für eine offene und scharfe Entlarvung (neo-) kolonialer Verbrechen und die Verbreitung revolutionärer Positionen. Die Kommunistische Internationale erkannte Anfang des 20. Jahrhunderts in den nationalen Befreiungsbewegungen ihre natürlichen Verbündeten, im Kampf gegen den Imperialismus, obgleich sie um den meist (klein-)bürgerlichen Klassenhintergrund ihrer Führer wusste und ihre Widersprüchlichkeit und relative Beschränktheit erkannte. Der Kampf um nationale Befreiung wurde als zentraler Teil des international geführten Klassenkampfes begriffen. 

Neue Spielräume – neue Perspektiven? 

Mit der Niederlage des sozialistischen Lagers gewann die Dominanz der führenden imperialistischen Staaten an Boden. Führende Strategen des US-Imperialismus sahen eine Zeit der USA zur alleinigen Supermacht gekommen. Es sollte sichergestellt werden, dass sich weder in Westeuropa oder Asien noch auf dem ehemaligen Gebiet der Sowjetunion ein Rivale herausbilden könne. 

Was bedeutet es also, wenn Emmanuel Macron auf der diesjährigen Münchner Sicherheitskonferenz sagte, er sei „schockiert darüber, wie sehr wir im globalen Süden an Glaubwürdigkeit verlieren“; wenn nur rund 40 Länder weltweit die Sanktionspolitik des Westens gegenüber Russland unterstützen; wenn fast 20 Länder einen offiziellen Aufnahmeantrag für die BRICS stellen; oder wenn Saudi-Arabien das System des Petrodollars offen in Frage stellt? Der Krieg der NATO gegen Russland wirkt wie ein Brandbeschleuniger einer dynamischen Strukturveränderung der nach dem zweiten Weltkrieg etablierten US-geführten imperialistischen Ordnung. Protektionismus und Entkopplung statt internationalem Freihandel? Die internationale Arbeitsteilung, Handelsrouten und Produktionsketten werden umgebaut. 

Eine veränderte Stimmung und ein gewachsener Spielraum scheinen in den sogenannten Entwicklungsländern Einzug erhalten zu haben. Stärker werden eigene Interessen artikuliert und auf die blutige Geschichte kolonialer und neokolonialer Unterdrückung verwiesen. Die aufstrebende ökonomische Potenz Chinas ist ein wesentlicher Faktor, der den wirtschafts- und handelspolitischen Handlungsspielraum vieler Länder erweitert. Politiker der G7-Länder haben das erkannt und erhöhen ihre diplomatischen Bemühungen, um die Länder des „globalen Südens“ in ihrem Einflussbereich zu halten. Was hat das mit dem Sozialismus zu tun? 

Die Debatte und den Klassenkampf international führen 

Nun handelt es sich bei den Ländern, die sich mal mehr mal weniger offen in Gegnerschaft zur neokolonialen Politik des „Westens“ bringen, längst nicht um sozialistische Kräfte (die Debatte zur Einschätzung Chinas sei ausgeklammert). Im Gegenteil, vertreten Regierungen wie die unter dem indischen Modi oder dem südafrikanischen Ramaphosa eine teils reaktionäre, volksfeindliche Politik. Antikommunismus spielt keine geringe Rolle. Was kann also überhaupt die reale Wirkung einer solchen Entwicklung sein? Während ein Teil der Kommunisten vor Illusionen in eine friedlichere multipolare Welt warnen, heben andere hervor, dass im Zurückdrängen der vom Westen geführten imperialistischen Ordnung und  der NATO die Hauptaufgabe fortschrittlicher Kräfte liegt. Beides schließt sich nicht aus. Wie verlaufen Bündnislinien in einer sich anbahnenden Phase von imperialistischen Kriegen, revolutionären und konterrevolutionären Entwicklungen?  Welchen Platz nehmen Kämpfe gegen den Imperialismus im globalen Klassenkampf ein? Die internationale kommunistische Bewegung ist in diesen Fragen zerstritten, oftmals schwach und von der Arbeiterbewegung isoliert. Gewerkschaften und werktätige Schichten sind, insbesondere innerhalb der führenden imperialistischen Länder fest integriert in die globale Kriegs- und Raubpolitik der Monopolbourgeoisie.  

Die Situation verlangt mit Nachdruck die Internationalisierung unserer Debatte und Kämpfe. Wir wollen die Komplexitäten und Widersprüche unserer Zeit konfrontieren, scheuen keine schwierigen Fragen und scharfen Auseinandersetzungen und schließen uns dem historischen Optimismus des Manifests der Liga gegen Imperialismus (1927) an, in dem es heißt: 

„Nur Dummköpfe und jämmerliche Philister und Routiniers können glauben, daß die heutige Zivilisation und die ganze Zukunft der Welt auf Europa und auf die Vereinigten Staaten Amerikas beschränkt bleiben. Die nationale Freiheitsbewegung der asiatischen, afrikanischen und amerikanischen Völker ist ihrem Umfange nach eine Welterscheinung. Und nur sie wird – organisch verbunden und verwachsen mit dem Freiheitskampf des Proletariats der alten kapitalistischen Gesellschaft – unseren Planeten in eine ganz zivilisierte Welt verwandeln, nur sie wird durch die Befreiung der Welt ein neues Kapitel der Weltgeschichte beginnen, die zum ersten Mal wirklich Weltgeschichte, die Geschichte der Menschheit der ganzen Welt sein wird.“ 

Aktuelles

Positionen und Perspektiven zu den Entwicklungen in Syrien

Wir dokumentieren an dieser Stelle Übersetzungen von Erklärungen und Stellungnahmen arabischer, türkischer und iranischer Kommunisten. Diese Zusammenstellung verschiedener Statements soll dazu dienen die verschiedenen Perspektiven und Positionierungen gegenüber der Zerschlagung der Syrischen Arabischen Republik in ihrer jetzigen Form aufzuzeigen. Außerdem sollen die offenen Fragen und Orientierungen der Kommunisten angesichts der imperialistischen Aggression gegen Syrien zusammengetragen werden, um die Standpunkte von Kommunisten aus der Region für hiesige Debatten zugänglich zu machen.

Palästina und die DDR – Befreiungskampf als Staatsräson?

Während in der BRD die bedingungslose Unterstützung Israels als „Ersatz- Antifaschismus" spätestens ab 1952 zunehmend zur „Staatsräson" wurde, erkannten sich die DDR und Israel bis zur Konterrevolution 1989/90 nicht gegenseitig an. Stattdessen wurde die DDR zu einem wichtigen Alliierten der palästinensischen Befreiungsbewegung.