Geschichtsfälscher: Aus Geheimdokumenten über die Vorgeschichte des 2. Weltkrieges
Themen: Faschismus


Vorwort zur Neuausgabe 2025
Die vorliegende Broschüre erschien 1948 erstmalig in der Sowjetunion und wurde anschließend in deutscher Übersetzung beim Dietz Verlag in der DDR veröffentlicht. Dem vorausgegangen war eine Veröffentlichung der USA, Frankreichs und Großbritanniens mit dem Titel Nazi-Soviet-Relations 1939-1941. Darin veröffentlichten die Westmächte verschiedene Dokumente des deutschen Außenministeriums von 1939 bis 1941 – die dieser Phase vorangegangenen Jahre blieben jedoch unerwähnt. Die Westmächte versuchten so, die eigene Verantwortung für das Erstarken des deutschen Kriegskurses zu relativieren und die herausragende Rolle der Sowjetunion im Sieg über den Faschismus herunterzuspielen. Darauf reagierte das sowjetische Informationsbüro, das den hier vorliegenden Text verfasste und ihm den treffenden Titel Geschichtsfälscher. Aus Geheimdokumenten über die Vorgeschichte des 2. Weltkrieges gab.
In der DDR und Sowjetunion war die vorliegende Broschüre zentral für die Befassung mit der eigenen Geschichte. Sie war die Entgegnung auf den Versuch der westlichen Imperialisten, die Geschichte umzudeuten und die eigene Unterstützung des deutschen Kriegskurses zu vertuschen. Seit 1990 konnte sich dieser Geschichtsrevisionismus dann jedoch fast unwidersprochen durchsetzen.
So manifestierte das EU-Parlament 2019 beispielsweise diese Geschichtsfälschung mit der Resolution Bedeutung der Erinnerung an die europäische Vergangenheit für die Zukunft Europas. Darin heißt es, „[…] dass der Zweite Weltkrieg, der verheerendste Krieg in der Geschichte Europas, als unmittelbare Folge des auch als „Hitler-Stalin-Pakt“ bezeichneten berüchtigten Nichtangriffsvertrags zwischen dem nationalsozialistischen Deutschen Reich und der Sowjetunion vom 23. August 1939 und seiner geheimen Zusatzprotokolle ausbrach, in deren Rahmen die beiden gleichermaßen das Ziel der Welteroberung verfolgenden totalitären Regime Europa in zwei Einflussbereiche aufteilten“ (Hervorhebung durch KO).[1]Polen sei zunächst „von Hitler und zwei Wochen später von Stalin überfallen“ worden. Die Sowjetunion habe „1939 einen Angriffskrieg gegen Finnland“ begonnen und „1940 Teile Rumäniens besetzt und annektiert […] und sich die unabhängigen Republiken Litauen, Lettland und Estland einverleibt“. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wären einige europäische Länder „von der Sowjetunion besetzt oder unter direktem sowjetischem Einfluss – und ihnen [blieben] Freiheit, Souveränität, Würde, Menschenrechte und sozioökonomische Entwicklung weiterhin versagt“.
Diese Ausführungen, die an Geschichtsrevisionismus kaum zu überbieten sind, bilden das Fundament einer Erzählung, die seit 1945 vom Westen betrieben und insbesondere nach 1990 noch einmal massiv ausgeweitet wurde. Unter dem Schlagwort des Totalitarismus wird eine Gleichsetzung von Faschismus und Sozialismus/Kommunismus betrieben, die Sowjetunion, die in Wahrheit Opfer der faschistischen Aggressionspolitik war, zum Täter umgedichtet, während die imperialistischen Länder des Westens ihrer Verantwortung durch offene Unterstützung und Zusammenarbeit mit Nazi-Deutschland entlastet werden.
In der vorliegenden Broschüre werden die Entwicklungen vor und während des Zweiten Weltkrieges eingeordnet und erklärt. Mit zahlreichen Belegen wird die enge Verflechtung insbesondere zwischen dem US-amerikanischen und deutschen Kapital nachgewiesen, die den Aufbau der deutschen Rüstungsindustrie erst möglich machte. Außerdem verfolgt eine gut aufbereitete Chronologie die zwischenstaatlichen Verträge europäischer Mächte mit Hitlerdeutschland. Vom Deutsch-Polnischen Nichtangriffsvertrag 1934, über das deutsch-englische Flottenabkommen 1935, bis zum Münchner Abkommen 1938 zwischen Deutschland, England, Frankreich und Italien, die der deutschen Besatzung der Tschechoslowakei den Weg bereitete. Zudem werden die von März bis Juli 1939 andauernden Beratungen zwischen Frankreich, England und der Sowjetunion geschildert, wobei die Westmächte nicht zu gleichberechtigten Garantien bereit waren und ein Abkommen scheiterte. Es wird erklärt, wie die Politik Großbritanniens und Frankreichs die Strukturen kollektiver Sicherheit Europas zersetzt, die Sowjetunion zunehmend isoliert und die deutschen Aggressionspläne nach Osten kanalisiert haben. Es ergibt sich ein deutliches Bild der Appeasementpolitik der Westalliierten gegenüber dem faschistischen Deutschland, das wohl am eindringlichsten in den Worten von Harry S. Truman selbst ausgedrückt wurde:
„Wenn wir sehen, daß Deutschland gewinnt, so sollten wir Rußland helfen, und wenn Rußland gewinnt, so sollten wir Deutschland helfen, sollen sie nur auf diese Weise möglichst viele totschlagen.“[2]
Seit 1990 werden in Osteuropa unter der Losung der „Dekommunisierung“ Denkmäler, die an den Vernichtungskrieg der Nazis erinnern, zerstört, der antifaschistische Widerstand der Roten Armee als Aggression umgedichtet und kommunistische Symbole und Parteien verboten. Es handelt sich um Geschichtspolitik, nicht Geschichtswissenschaft. Nicht historische Tatsachen, sondern die Vermittlung einer bestimmten Position über die Geschichte ist ihr Zweck. Das beweist allein schon, dass es das EU-Parlament, wie auch nationale Parlamente sind, die mittels Resolutionen und Gesetzen Urteile über die Geschichte sprechen. Schulbücher, Lehrpläne, Gedenkstätten und finanziell umfangreich ausgestattete Projekte zur politischen Bildung sorgen für die nötige Verbreitung und ständige Wiederholung der antikommunistischen Geschichtsbilder. Es ist einer über Jahrzehnte hollywoodähnlichen Verzerrung (z. B. über die Landung der US-Streitkräfte in der Normandie) zu verdanken, dass nach Umfragen im Westen entweder den USA oder Großbritannien der größte Anteil am Sieg über Nazideutschland zugesprochen wird.[3]
Damals wie heute verfolgt diese Art Geschichtserzählung bestimmte politische Ziele. Es geht darum, die Ursachen und Hintergründe des Zweiten Weltkrieges zu vernebeln, die jeweils nationale historische Rolle aufzupolieren und jegliche Alternativen zur weltweiten westlichen Vorherrschaft und zum Kapitalismus zu delegitimieren. Mehr noch: Es wird eine aktive Täter-Opfer-Umkehr betrieben. Direkt nach dem Zweiten Weltkrieg war diese Geschichtspolitik für die Westmächte nötig, weil sie die Legitimationsgrundlage ihrer aggressiven Haltung gegen die Sowjetunion und das sozialistische Lager bildete.
Aber auch heute ist das Umschreiben der Geschichte notwendig, da die NATO den direkten Krieg gegen Russland vorbereitet und diesen bereits auf dem Rücken der Ukraine austragen lässt. So wie der Sowjetunion damals, muss heute Russland eine imperiale, aggressive Absicht „nachgewiesen“ werden, um die eigene Bevölkerung und die Weltöffentlichkeit glauben zu lassen, man befinde sich in einer gerechten Verteidigung des liberalen Westens gegen die Aggression autokratischer Regime von außen. Auch eine Geschichtsklitterung über den Zweiten Weltkrieg bleibt für den gegenwärtigen Konflikt der NATO mit Russland entscheidend. Der 8. Mai wird vom Tag der Befreiung vom Faschismus (wie es 1985 der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker noch formuliert hatte) vermeintlich neutral zum „Kriegsende“ umbenannt. Gedenkveranstaltungen werden mit repressiven Mitteln politisch kontrolliert und im Sinne der Kriegspolitik gegen Russland instrumentalisiert.
Nicht zuletzt ist das Umschreiben der Geschichte des Zweiten Weltkrieges deshalb zentral, weil in der Ukraine offen denjenigen Kräften zur Macht verholfen wurde, die sich selbst in direkter Kontinuität der ukrainischen Nazikollaborateure stellen. Die stehenden Ovationen für den ukrainisch-kanadischen Veteranen der Waffen-SS im kanadischen Parlament 2023 stehen dafür beispielhaft. Der Bandera-Faschismus wurde in der Ukraine nach 2014 zur Staatsräson und die ukrainischen Faschisten im Westen zu patriotischen Verteidigern gegen Russland erklärt. Die Kriegsmobilisierung gegen Russland geht in der Ukraine wie im Westen und insbesondere in Deutschland Hand in Hand mit einer Rehabilitierung des Faschismus. Zusätzlich wiederholen sich die Mechanismen der Geschichtsfälschung auch mit Blick auf die konkrete Vorgeschichte des Krieges in der Ukraine: Entkontextualisierung, willkürliche Auswahl einzelner Fakten, Halbwahrheiten und Lügen. Eine Erklärung der Ursachen und der Blick auf konkrete Interessen unterbleibt zugunsten eines simplifizierten Gut-Böse-Schemas.
Die Motivation, die Broschüre Geschichtsfälscher. Aus Geheimdokumenten über die Vorgeschichte des 2. Weltkrieges neu herauszugeben, geht insofern unmittelbar von der gegenwärtigen Kriegspolitik Deutschlands und der NATO gegen Russland aus. Der deutsche Außenminister Johann Wadephul (CDU) äußerte im April 2025: „Russland wird immer ein Feind für uns bleiben.“[4] Der Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) orientiert auf deutsche Kriegstüchtigkeit bis 2029, 90 Jahre nach dem Überfall Hitlerdeutschlands auf Polen. Sich dieser aggressiven Kriegspolitik der Bundesrepublik und ihrer westlichen Partner entgegenzustellen, ist die Aufgabe der Stunde. Die Geschichte zu kennen, ist dabei unerlässlich.
Die Originalausgabe wurde für die Neuauflage entsprechend der neuen deutschen Rechtsschreibung lektoriert. Wir haben zudem zur Illustration thematisch passende Zeichnungen des sowjetischen Karikaturisten Boris Jefimow sowie eine aus der ägyptischen Zeitschrift Al-Ithnayn wa al-Dunya im Text eingefügt.
Kommunistische Organisation, August 2025
Die Vorgeschichte der Veröffentlichung der Dokumente
Ende Januar 1948 veröffentlichte das Staatsdepartement der USA unter Mitwirkung des englischen und des französischen Außenministeriums eine Sammlung von Berichten und verschiedenen Tagebuchaufzeichnungen diplomatischer Beamter Hitlers und versah sie mit der geheimnisvollen Überschrift „Nazi-Soviet Relations 1939—1941“ (Nazistisch-sowjetische Beziehungen 1939—1941).
Wie aus dem Vorwort zu diesem Sammelband hervorgeht, kamen die Regierungen der USA, Großbritanniens und Frankreichs schon im Sommer 1946 überein, die von den amerikanischen und englischen Militärbehörden in Deutschland beschlagnahmten Archivmaterialien des deutschen Auswärtigen Amtes aus den Jahren 1918—1945 zu veröffentlichen. Dabei fällt der Umstand auf, dass die veröffentlichte Sammlung nur Materialien enthält, die sich auf die Jahre 1939—1941 beziehen. Dagegen hat das Staatsdepartement Materialien, die auf die vorhergehenden Jahre, insbesondere auf die Münchener Periode Bezug haben, nicht in seinen Sammelband aufgenommen, also der Weltöffentlichkeit vorenthalten. Das ist natürlich kein Zufall und geschieht in einer Absicht, die mit objektiver und gewissenhafter Einstellung zur historischen Wahrheit nichts gemein hat.
Um die Veröffentlichung dieser einseitigen Sammlung ungeprüfter und willkürlich ausgewählter Aufzeichnungen von Hitlerbeamten auch nur irgendwie vor der Weltöffentlichkeit zu rechtfertigen, setzte die englische und amerikanische Presse die frei erfundene Behauptung in Umlauf, „die Russen hätten den Vorschlag des Westens, gemeinsam einen vollständigen Bericht über die Nazidiplomatie zu veröffentlichen, abgelehnt“.
Diese Erklärung englischer und amerikanischer Kreise entspricht nicht den Tatsachen.
In Wirklichkeit verhielt sich die Sache folgendermaßen. Als im Sommer 1945 in der Auslandspresse Meldungen auftauchten, in England werde mit Vorbereitungen zur Veröffentlichung in Deutschland erbeuteter Dokumente begonnen, da wandte sich die Sowjetregierung an die Regierung Großbritanniens und drang darauf, dass sowjetische Sachverständige zur gemeinsamen Sichtung und Herausgabe der von den englischen und amerikanischen Truppen erbeuteten deutschen Dokumente herangezogen werden. Die Sowjetregierung erachtete die Herausgabe solcher Dokumente ohne gegenseitiges Einvernehmen für unzulässig und konnte außerdem die Verantwortung für die Veröffentlichung von Dokumenten ohne sorgfältige und objektive Prüfung nicht übernehmen, da eine Publikation der erwähnten Materialien ohne diese elementare Voraussetzung die Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten der Antihitlerkoalition nur verschlechtern könnte. Das Foreign Office jedoch lehnte den Sowjetvorschlag ab, wobei es sich darauf berief, die Sowjetregierung habe den Austausch von Kopien der erbeuteten Nazidokumente verfrüht angeregt.
Bekannt ist auch, dass die amerikanische Delegation dem Politischen Direktorat des Kontrollrats für Deutschland am 6. September 1945 einen Entwurf von Direktiven für die Behandlung der deutschen Archive und Dokumente unterbreitete. Dieses Projekt sah vor, dass ein für ganz Deutschland einheitliches Verfahren bei der Sammlung und Aufbewahrung der Archivdokumente festgelegt werde und dass die Vertreter der Mitgliedstaaten der Organisation der Vereinten Nationen das Recht erhielten, Einblick in diese zu nehmen. Außerdem war die Möglichkeit vorgesehen, Kopien von den Dokumenten anzufertigen und sie zu veröffentlichen. Dieser Antrag wurde in vier Sitzungen des Politischen Direktorats erörtert, aber auf Ersuchen der Engländer und Amerikaner zurückgestellt unter dem Vorwand, ihnen lägen keine Anweisungen vor. Nachdem dann der Vertreter der USA erklärt hatte, die US-Regierung arbeite an einem neuen Vorschlag und bitte, das eingereichte Projekt als ungültig zu betrachten, wurde die Frage von der Tagesordnung des Politischen Direktorats abgesetzt.
Die Behauptung, die Sowjetregierung habe eine Beteiligung an den Vorbereitungen zur Veröffentlichung der deutschen Archivmaterialien abgelehnt, ist demnach eine Unwahrheit.
Gleichzeitig mit der Veröffentlichung der erwähnten Sammlung setzte in den USA und den von ihnen abhängigen Ländern wie auf ein Zauberwort eine neue Hetze und zügellose Verleumdungskampagne ein, die den 1939 zwischen der UdSSR und Deutschland abgeschlossenen Nichtangriffspakt, der sich angeblich gegen die Westmächte gerichtet hatte, zum Gegenstand hat.
Somit kann kein Zweifel darüber aufkommen, welchen Zweck man in den USA mit der Veröffentlichung von Dokumenten über die Beziehungen zwischen der UdSSR und Deutschland in den Jahren 1939—1941 in Wirklichkeit verfolgte. Man will die Ereignisse nicht objektiv darstellen, will vielmehr ein entstelltes Bild der wirklichen Ereignisse liefern, Lügen und Verleumdungen über die Sowjetunion verbreiten und dem internationalen Einfluss, den sie als wahrhaft demokratische und aufrechte Kämpferin gegen die aggressiven und antidemokratischen Kräfte genießt, Abbruch tun.
Dieses perfide Vorgehen entspringt Anschauungen über das Wesen der interalliierten Beziehungen, wie sie für die regierenden Kreise der angelsächsischen Länder typisch sind. Diesen Anschauungen gemäß wird, anstatt ehrliche und aufrichtige Beziehungen zwischen den Verbündeten zu pflegen, anstatt gegenseitiges Vertrauen zu hegen und einander Beistand zu leisten, eine Politik betrieben, in deren Rahmen alle Mittel einschließlich der Verleumdung angewandt werden, um den Bundesgenossen zu schwächen, ihn egoistisch auszunutzen und die eigene Position auf seine Kosten zu stärken.
Nicht unbeachtet bleiben darf auch das Bestreben der regierenden US-Kreise, mit Hilfe ihrer Verleumdungskampagne gegen die UdSSR den Einfluss der progressiven Elemente im eigenen Lande, die für eine Verbesserung der Beziehungen zur UdSSR eintreten, zu untergraben. Der gegen die progressiven Elemente in den USA geführte Schlag hat zweifellos auch den Zweck, ihren Einfluss im Hinblick auf die im Herbst 1948 stattfindenden Präsidentenwahlen zu schwächen. Die Sammlung enthält eine Fülle von Dokumenten, die von den diplomatischen Beamten Hitlers in den geheimsten Gemächern der deutschen diplomatischen Kanzlei fabriziert wurden. Allein schon dieser Umstand hätte eine Warnung sein müssen vor einer einseitigen Verwendung und Veröffentlichung dieser Dokumente, die selbst höchst einseitig und tendenziös sind, die Ereignisse vom Standpunkt der Hitlerregierung darstellen und den Zweck haben, diese Ereignisse in einem für die Hitlerfaschisten günstigen Licht erscheinen zu lassen. Darum eben war die Sowjetregierung seinerzeit gegen eine einseitige Veröffentlichung der deutschen Beutedokumente ohne sorgfältige gemeinsame Prüfung. Selbst die amtliche französische Presseagentur France Presse musste zugeben, dass die Art und Weise, wie die Materialien von den drei Regierungen ohne Wissen der Sowjetunion veröffentlicht worden sind, „nicht völlig der normalen diplomatischen Prozedur entspricht“.
Trotz alledem war die englische Regierung damit nicht einverstanden. Die amerikanische, englische und französische Regierung schreckten, als sie sich auf die einseitige Veröffentlichung deutscher Dokumente einließen, nicht vor einer Geschichtsfälschung zurück, um die Sowjetunion, die die Hauptbürde des Kampfes gegen die Hitleraggression getragen hat, zu verleumden. Diese Regierungen haben damit die volle Verantwortung für die Folgen einer derart einseitigen Handlungsweise auf sich geladen. Unter solchen Umständen hält sich die Sowjetregierung für berechtigt, ihrerseits Geheimdokumente über die Beziehungen zwischen Hitlerdeutschland und den Regierungen Englands, Frankreichs und der USA zu veröffentlichen, die in die Hände der Sowjetregierung gelangt sind und die die genannten Regierungen der Öffentlichkeit vorenthalten haben. Sie halten diese Dokumente versteckt und wollen sie nicht veröffentlichen. Wir aber sind der Meinung, dass sie nach allem, was vorgefallen ist, der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden müssen, damit es möglich wird, der historischen Wahrheit wieder zu ihrem Recht zu verhelfen. Die Sowjetregierung verfügt über wichtige Dokumente, die von den Sowjettruppen bei der Niederwerfung Hitlerdeutschlands erbeutet worden sind. Ihre Veröffentlichung wird dazu beitragen, den Verlauf der Vorbereitungen und der Entwicklung der Hitleraggression sowie des zweiten Weltkrieges ins rechte Licht zu rücken.
Derselben Aufgabe dient auch die vom Informationsbüro der Sowjetunion beim Ministerrat der UdSSR veröffentlichte historische Richtigstellung „Geschichtsfälscher“. Die diesbezüglichen Geheimdokumente werden in allernächster Zeit veröffentlicht werden.
I. Wie die Vorbereitung der deutschen Aggression begann
Die amerikanischen Fälscher und ihre englisch-französischen Helfershelfer versuchen den Eindruck zu erwecken, als hätte die Vorbereitung der deutschen Aggression, die in den zweiten Weltkrieg ausmündete, erst im Herbst 1939 begonnen. Wer aber, außer absolut naiven Menschen, die jeder aufgebauschten Sensation ein williges Ohr leihen, kann heutzutage auf diese Angel anbeißen? Wer wüsste nicht, dass Deutschland mit der Vorbereitung des Krieges sofort nach dem Machtantritt Hitlers begann? Wer wüsste ferner nicht, dass das Hitlerregime von den deutschen Monopolistenkreisen mit voller Billigung des in Großbritannien, Frankreich und den USA regierenden Lagers errichtet wurde?
Um zum Kriege rüsten und sich die neuesten Waffen verschaffen zu können, musste Deutschland seine Schwerindustrie, vor allem das Hüttenwesen und die Rüstungsindustrie des Ruhrgebiets, wiederherstellen und weiterentwickeln. Nach seiner Niederlage im ersten imperialistischen Krieg konnte Deutschland, dem das Joch des Versailler Vertrages auferlegt war, dies nicht in kurzer Frist mit eigenen Kräften bewerkstelligen. Die Vereinigten Staaten von Amerika leisteten dem deutschen Imperialismus hierbei weitgehende Unterstützung.
Wer wüsste nicht, dass die amerikanischen Banken und Trusts mit vollem Einverständnis der Regierung in der Zeit nach Versailles Milliarden von Dollar in der deutschen Wirtschaft anlegten, bzw. sie Deutschland in Form von Krediten gewährten, die zur Wiederherstellung und Weiterentwicklung des deutschen Kriegspotentials verwendet wurden?
Die Periode nach Versailles brachte in Deutschland bekanntlich ein ganzes System von Maßnahmen, die darauf abzielten, die deutsche Schwerindustrie, insbesondere das deutsche Kriegspotential wiederherzustellen. Eine große Rolle spielte hierbei der sogenannte Dawes-Reparationsplan für Deutschland, mit dessen Hilfe die USA und England die deutsche Industrie von den amerikanischen und britischen Monopolen abhängig zu machen gedachten. Der Dawesplan ebnete den Weg für den verstärkten Zufluss ausländischen — vorwiegend amerikanischen — Kapitals und seine Verankerung in der deutschen Industrie. Das Ergebnis war, dass schon 1925 ein Aufschwung der deutschen Wirtschaft einsetzte, der durch den intensiven Prozess der Neuausrüstung des Produktionsapparates bedingt war. Gleichzeitig erfolgte ein starkes Ansteigen des deutschen Exports, der 1927 den Stand von 1913 erreichte, während er, was Fertigwaren anbelangt, diesen Stand (in Preisen des Jahres 1913) sogar um 12 Prozent überschritt. In sechs Jahren, von 1924—1929, flossen 10—15 Milliarden Mark langfristige und über 6 Milliarden Mark kurzfristige ausländische Kapitalanlagen nach Deutschland. Einigen Quellen zufolge war der Umfang der Kapitalinvestitionen noch bedeutend größer. Dies führte zu einer gigantischen Verstärkung der deutschen Wirtschaftsmacht, besonders des Kriegspotentials. Von ausschlaggebender Bedeutung waren hierbei die amerikanischen Kapitalanlagen, die nicht weniger als 70 Prozent der Summe aller langfristigen Anleihen ausmachten.
Man kennt sehr wohl die Rolle, die bei der Finanzierung der deutschen Schwerindustrie, bei der Anknüpfung und Ausgestaltung engster Verbindungen zwischen der amerikanischen Industrie und der deutschen Industrie die amerikanischen Monopole spielten, an deren Spitze die Familien DuPont, Morgan, Rockefeller, Lamont und andere Industriemagnaten der USA stehen. Die führenden amerikanischen Monopole waren mit der Schwerindustrie, den Rüstungskonzernen und den Banken Deutschlands aufs engste verbunden. Der führende amerikanische Chemiekonzern DuPont de Nemours, der einer der größten Aktionäre des Automobiltrusts General Motors war, und die Imperial Chemical Industries, der britische Chemietrust, standen in engen industriellen Beziehungen zu dem deutschen Chemiekonzern IG-Farbenindustrie, mit dem sie 1926 ein Kartellabkommen über die Aufteilung der Weltmärkte für den Absatz von Schießpulver abschlossen. Präsident des Vorstands der Firma Rohm & Haas in Philadelphia (USA) war vor dem Krieg ein Kompagnon des Chefs derselben Firma in Darmstadt. Nebenbei gesagt, treibt der ehemalige Direktor dieses Konzerns, Rudolf Müller, jetzt in „Bizonien“ sein Wesen und spielt eine bedeutende Rolle in den führenden Kreisen der Christlich-Demokratischen Union (CDU). Von 1931 bis 1939 kontrollierte der deutsche Kapitalist Schmitz, Vorsitzender der IG-Farbenindustrie und Aufsichtsratsmitglied der Deutschen Bank, die amerikanische Firma General Dyestuff Corporation. Nach der Münchner Konferenz von 1938 schloss der amerikanische Petroleumtrust Standard Oil einen Vertrag mit der IG-Farbenindustrie, durch den diese an den Profiten aus dem in den USA produzierten Flugzeugbenzin beteiligt wurde, wofür sie leichten Herzens darauf verzichtete, ihr synthetisches Benzin, von dem Deutschland damals für Kriegszwecke Vorräte anlegte, aus Deutschland auszuführen. Solche Verbindungen sind nicht nur für die kapitalistischen Monopole der USA kennzeichnend. Engste wirtschaftliche Beziehungen, die nicht nur von kommerzieller, sondern auch von militärischer Bedeutung waren, bestanden z. B. unmittelbar vor dem Krieg zwischen der Federation of British Industries (Vereinigung britischer Industrien) und der deutschen Reichsgruppe Industrie. Vertreter dieser beiden Monopolverbände veröffentlichten 1939 in Düsseldorf eine gemeinsame Erklärung, in der es u. a. hieß, der Zweck des Abkommens sei, „die möglichst vollständige Zusammenarbeit zwischen den Industriesystemen ihrer respektiven Länder zu gewährleisten“. Das geschah zu einer Zeit, da Hitlerdeutschland bereits die Tschechoslowakei verschlungen hatte. Kein Wunder, dass die Londoner Zeitung „Economist“ aus diesem Anlass schrieb: „Liegt nicht etwas in der Düsseldorfer Luft, was vernünftige Menschen von Sinnen bringen könnte?“[5]
Ein kennzeichnendes Beispiel der engen Verflechtung zwischen amerikanischem — aber auch englischem — und deutschem Kapital bietet die bekannte Schröderbank, in der der deutsche Stahltrust, die von Stinnes, Thyssen und anderen Industriemagnaten des Ruhrgebiets gegründete Vereinigte Stahlwerke AG, die führende Rolle spielte und die ihre Zentralen in New York und London hatte. In den Geschäften dieser Bank sprach Allen Dulles, der Direktor der Londoner, Kölner und Hamburger Schröders in New York — der Firma J. Henry Schröder Banking Corporation — ein entscheidendes Wort. Eine führende Rolle in der New-Yorker Zentrale dieser Bank spielte die bekannte Anwaltsfirma Sullivan & Cromwell, die von John Foster Dulles, dem jetzigen Hauptberater des Herrn Marshall, geleitet wird. Die Firma ist eng verbunden mit dem Rockefeller-Weltpetroleumtrust Standard Oil sowie mit der größten Bank der USA, der Chase National Bank, die in der deutschen Industrie riesige Kapitalien anlegten.
Sobald in Deutschland, in der Periode nach Versailles, der Inflation Einhalt geboten und die Mark stabilisiert worden war, ergoss sich, wie in dem 1947 in New York erschienenen Buch von R. Sasuly betont wird, buchstäblich ein Strom von Auslandsanleihen nach Deutschland. Von 1924 bis 1930 stieg die Auslandsschuld Deutschlands um mehr als 30 Milliarden Mark.
Mit Hilfe von ausländischem — hauptsächlich amerikanischem — Kapital wurde die deutsche Industrie, besonders die Vereinigte Stahlwerke AG, weitgehend rekonstruiert und modernisiert. Einige Anleihen flossen unmittelbar solchen Firmen zu, die bei der Neuaufrüstung die Hauptrolle spielten.[6]
Neben der englisch-deutsch-amerikanischen Schröder-Bank spielte bei der Finanzierung der Vereinigten Stahlwerke in diesen Jahren eine der größten New-Yorker Banken — Dillon, Read & Co. — zu deren Direktoren mehrere Jahre lang der jetzige USA-Verteidigungsminister Forrestal gehörte, eine führende Rolle.[7]
Eben dieser goldene Regen amerikanischer Dollars befruchtete die Schwerindustrie Hitlerdeutschlands, insbesondere die Rüstungsindustrie. Diese von den transatlantischen Monopolen in der Rüstungswirtschaft Hitlerdeutschlands angelegten Milliarden amerikanischer Dollar stellten das deutsche Kriegspotential wieder her und gaben dem Hitlerregime die Waffe in die Hand, die es zur Durchführung seiner Aggression nötig hatte.
In einer kurzen Zeitspanne schuf Deutschland, gestützt auf die finanzielle Hilfe hauptsächlich der amerikanischen Monopole, wieder eine starke Rüstungsindustrie, die imstande war, kolossale Mengen erstklassiger Kriegsmaterialien, viele tausende Panzer, Flugzeuge, Geschütze, Kriegsschiffe und andere Waffenarten von neuestem Typus herzustellen.
All das möchten die Geschichtsfälscher nicht mehr wahrhaben. Sie versuchen, sich vor der Verantwortung für ihre Politik zu drücken, die die Hitleraggressoren bewaffnete, den zweiten Weltkrieg entfesselte und zu einer in der Geschichte beispiellos dastehenden Kriegskatastrophe führte, die die Menschheit Millionen und aber Millionen Opfer gekostet hat. Es darf also nicht vergessen werden, dass die erste und wichtigste Voraussetzung der Hitleraggression die Wiedergeburt und Erneuerung der Schwerindustrie und der sonstigen Rüstungsindustrie Deutschlands war, die ihrerseits nur durch die direkte und weitgehende Finanzhilfe der herrschenden Kreise der Vereinigten Staaten von Amerika möglich wurde.
Aber das ist noch nicht alles.
Ein anderer entscheidender Umstand, der die Entfesselung der Hitleraggression förderte, war die Politik der regierenden Kreise Englands und Frankreichs, die als Politik der „Befriedigung“ Hitlerdeutschlands, als eine Politik der Abkehr von kollektiver Sicherheit bekannt ist. Heute muss es jedermann klar sein, dass eben diese Politik der regierenden Kreise Englands und Frankreichs, verkörpert in der Abkehr von kollektiver Sicherheit, in der Weigerung, der deutschen Aggression entgegenzutreten, in der Begünstigung der aggressiven Forderungen Hitlerdeutschlands, zum zweiten Weltkrieg geführt hat.
Wenden wir uns den Tatsachen zu.
Schon bald nach Hitlers Machtantritt wurde dank der Bemühungen der Regierungen Englands und Frankreichs im Jahre 1933 in Rom ein „Pakt des Einvernehmens und der Zusammenarbeit“ (Pact of Accord and Co-operation) von vier Mächten — Großbritannien, Deutschland, Frankreich und Italien — unterzeichnet. Dieser Pakt bedeutete einen Kuhhandel der englischen und der französischen Regierung mit dem deutschen und dem italienischen Faschismus, die schon damals aus ihren Aggressionsabsichten kein Hehl machten. Gleichzeitig bedeutete dieser Pakt mit den faschistischen Staaten die Abkehr von der Politik einer Festigung der Einheitsfront der friedliebenden Mächte gegen die aggressiven Staaten. Auf der damals tagenden Abrüstungskonferenz stand der sowjetische Antrag, einen Nichtangriffspakt und einen Pakt über die Definition des Angreifers zu schließen, zur Erörterung. Indem Großbritannien und Frankreich unter Umgehung der übrigen, an dieser Abrüstungskonferenz beteiligten Mächte, ihren Schacher mit Deutschland und Italien abschlossen, führten sie einen Schlag gegen die Sicherheit der Völker und die Erhaltung des Weltfriedens.
Bald darauf, im Jahre 1934, halfen England und Frankreich Hitler, die feindselige Einstellung des mit ihnen alliierten Polens der Barone zur UdSSR auszunutzen, wodurch der deutsch-polnische Nichtangriffspakt zustande kam, der eine bedeutsame Etappe in der Vorbereitung der deutschen Aggression war. Hitler brauchte diesen Pakt, um die Anhänger der kollektiven Sicherheit in Verwirrung zu bringen und an diesem Beispiel zu zeigen, dass Europa nicht kollektiver Sicherheit, sondern zweiseitiger Abkommen bedürfe. Dies ermöglichte es den deutschen Aggressoren, selbst darüber zu entscheiden, mit wem und wann sie ein Abkommen schließen und wen und wann sie überfallen wollen. Zweifellos war der deutsch-polnische Pakt die erste ernsthafte Bresche im Gebäude der kollektiven Sicherheit.
Dreister geworden, ergriff Hitler eine Reihe von Maßnahmen zur offenen Wiederherstellung der deutschen Streitkräfte, was bei den englischen und französischen Machthabern auf keinerlei Gegenwehr stieß. Im Gegenteil, schon bald, im Jahre 1935, wurde in London, wo Ribbentrop zu diesem Zweck eingetroffen war, ein englisch-deutsches Flottenabkommen geschlossen, worin Großbritannien der Wiederherstellung der deutschen Seestreitkräfte in einem Umfang zustimmte, der der französischen Kriegsmarine fast gleichkam. Außerdem erhielt Hitler das Recht, U-Boote mit einer Gesamttonnage zu bauen, die 45 Prozent der britischen U-Boot-Flotte gleichkam. In den gleichen Zeitraum fallen auch die einseitigen Akte Hitlerdeutschlands, die auf die Beseitigung aller anderen im Versailler Vertrag festgelegten Beschränkungen für das Anwachsen der Streitkräfte Deutschlands gerichtet waren und die bei England, Frankreich und den USA keinerlei Widerstand begegneten.
Die faschistischen Aggressoren wurden, angesichts der offenkundigen Vorschubleistung durch die USA, Großbritannien und Frankreich mit jedem Tage unersättlicher. Es ist selbstverständlich kein Zufall, dass Deutschland und Italien bei ihren militärischen Interventionen in Abessinien und Spanien damals leichtes Spiel hatten.
Nur die Sowjetunion betrieb konsequent und entschlossen ihre Friedenspolitik und verfocht die Prinzipien der Gleichberechtigung und Unabhängigkeit Abessiniens, das überdies Mitglied des Völkerbundes war, sowie das Anrecht der legitimen republikanischen Regierung Spaniens auf Unterstützung durch die demokratischen Länder in ihrem Kampf gegen die deutsch-italienische Intervention.
W. M. Molotow führte auf der Tagung des Zentralen Exekutivkomitees der UdSSR am 10. Januar 1936 anlässlich des italienischen Überfalls auf Abessinien Folgendes aus:
„Die Sowjetunion hat im Völkerbund ihre Treue für dieses Prinzip, das Prinzip staatlicher Unabhängigkeit und nationaler Gleichberechtigung aller Staaten, am Beispiel eines der kleinen Länder — Abessiniens — demonstriert. Die Sowjetunion hat außerdem ihre Beteiligung am Völkerbund dazu ausgenutzt, um ihre gegen den imperialistischen Aggressor gerichtete Linie praktisch durchzuführen.“[8]
„Der italienisch-abessinische Krieg zeigt, dass die Gefahr eines Weltkrieges immer größer wird, dass sie Europa immer mehr ergreift.“[9]
Was aber taten zu dieser Zeit die Regierungen der USA, Großbritanniens und Frankreichs, vor deren Augen die faschistischen Räuber immer frecher und frecher mit ihren Opfern aufräumten? Sie rührten keinen Finger, um den deutschen und den italienischen Aggressor zu bändigen, um die mit Füßen getretenen Rechte der Völker zu verteidigen, um den Frieden zu wahren und den herannahenden zweiten Weltkrieg aufzuhalten.
Nur die Sowjetunion tat alles, was im Bereich der Möglichkeit lag, um den faschistischen Aggressoren den Weg zu versperren. Die Sowjetunion trat als Initiatorin und Vorkämpferin der kollektiven Sicherheit auf. Schon am 6. Februar 1933 schlug der Vertreter der Sowjetunion, M. M. Litwinow, in der Allgemeinen Abrüstungskommission vor, eine Deklaration anzunehmen, in der Aggression und Angreifer definiert werden. Bei ihrem Vorschlag, den Angreifer zu definieren, ging die Sowjetunion von der Notwendigkeit aus, im Interesse der allgemeinen Sicherheit und leichterer Verständigung über maximale Abrüstung den Begriff der „Aggression“ möglichst genau zu definieren, um „jedwedem Vorwand zu ihrer Rechtfertigung vorzubeugen“. Unter der Führung Englands und Frankreichs lehnte die Konferenz jedoch zu Nutz und Frommen des deutschen Aggressors diesen Vorschlag ab.
Allgemein bekannt ist der beharrliche und langwierige Kampf, den die Sowjetunion und ihre Völkerbundsdelegation unter Leitung M. M. Litwinows für die Aufrechterhaltung und Stärkung der kollektiven Sicherheit geführt haben. Während der ganzen Vorkriegszeit trat die Sowjetdelegation im Völkerbund für das Prinzip der kollektiven Sicherheit ein. Fast in jeder Sitzung, in jedem Ausschuss des Völkerbundes erhob sie ihre Stimme zur Verteidigung dieses Prinzips. Wie bekannt, blieb die Sowjetunion aber ein Rufender in der Wüste. Die ganze Welt kennt die Vorschläge der Sowjetdelegation über Maßnahmen zur Stärkung der kollektiven Sicherheit, die im Auftrag der Sowjetregierung Herrn Avenol, dem Generalsekretär des Völkerbundes, am 30. August 1936 mit dem Ersuchen unterbreitet wurden, sie im Völkerbund zur Erörterung zu stellen. Bekannt ist aber auch, dass diese Vorschläge in den Archiven des Völkerbundes begraben wurden, ohne dass irgendetwas unternommen worden wäre.
Es ist klar, dass England und Frankreich, die damals im Völkerbund die Führung hatten, den kollektiven Widerstand gegen eine deutsche Aggression ablehnten. Sie taten es, weil ihnen die kollektive Sicherheit bei der Durchführung ihrer neuen Politik der „Befriedung“ des deutschen Aggressors, einer Politik der Konzessionen gegenüber der Hitleraggression, hinderlich war. Natürlich musste eine solche Politik Deutschland noch aggressiver machen, aber die regierenden Kreise Englands und Frankreichs hielten das für ungefährlich, da man glaubte, die Hitleraggression, nachdem man Hitler durch Konzessionen im Westen befriedigt hatte, nach Osten lenken und sie als Waffe gegen die Sowjetunion gebrauchen zu können.
In seinem Rechenschaftsbericht an den XVIII. Parteitag der KPdSU(B) vom März 1939 sagte J. W. Stalin, als er die Ursachen für die Intensivierung der Hitleraggression erläuterte:
„Die wichtigste Ursache besteht darin, dass sich die meisten nichtaggressiven Länder und vor allem England und Frankreich von der Politik der kollektiven Sicherheit, von der Politik der kollektiven Abwehr der Aggressoren losgesagt haben, dass sie die Position der Nichteinmischung, die Position der Neutralität‘ bezogen haben.“[10]
Um den Leser irrezuführen und gleichzeitig die Sowjetregierung zu verleumden, behauptet der amerikanische Korrespondent Neal Stanford, die Sowjetregierung sei gegen die kollektive Sicherheit gewesen, M. M. Litwinow sei seines Postens als Volkskommissar für auswärtige Angelegenheiten enthoben und durch W. M. Molotow ersetzt worden, weil er eine Politik betrieben habe, die auf Stärkung der kollektiven Sicherheit abzielte. Etwas Törichteres als diese fantastische Behauptung ist kaum denkbar. Selbstverständlich hat M. M. Litwinow nicht seine private Politik, sondern die Politik der Sowjetregierung durchgeführt. Andererseits ist der Kampf für die kollektive Sicherheit allgemein bekannt, den die Sowjetregierung und ihre Vertreter, darunter auch M. M. Litwinow, während der ganzen Vorkriegszeit geführt haben.
Was die Ernennung W. M. Molotows zum Volkskommissar für auswärtige Angelegenheiten betrifft, so ist völlig klar, dass in der damaligen komplizierten Situation, als die faschistischen Aggressoren den zweiten Weltkrieg vorbereiteten und hierbei von Großbritannien und Frankreich, hinter denen die Vereinigten Staaten von Amerika standen, direkt gefördert und zum Krieg gegen die Sowjetunion angetrieben wurden, auf dem so verantwortungsvollen Posten des Volkskommissars für auswärtige Angelegenheiten ein Politiker stehen musste, der erfahrener war und größere Popularität im Lande genoss als M. M. Litwinow.
Es war kein Zufall, dass die Westmächte einen Pakt über kollektive Sicherheit ablehnten. Damals entspann sich ein Kampf zwischen zwei Richtungen der internationalen Politik. Die eine Richtung war die des Kampfes für den Frieden, für die Organisierung der kollektiven Sicherheit und für die Abwehr der Aggression durch die vereinten Kräfte der friedliebenden Völker. Diese Richtung vertrat die Sowjetunion, die konsequent und standhaft die Interessen aller großen und kleinen friedliebenden Völker wahrnahm. Die andere Richtung lehnte die Organisierung der kollektiven Sicherheit und den Widerstand gegen die Aggression ab, was die faschistischen Länder unvermeidlich zu noch aggressiverer Tätigkeit anspornte und damit die Entfesselung des neuen Krieges begünstigte.
Aus alledem geht hervor, dass die historische Wahrheit in folgendem besteht: Die Hitleraggression wurde möglich, erstens, weil die USA Deutschland halfen, in kurzer Zeit eine militärische und ökonomische Basis für die deutsche Aggression zu schaffen und auf solche Weise diese Aggression bewaffneten, und zweitens, weil die regierenden Kreise Englands und Frankreichs durch ihre Abkehr von kollektiver Sicherheit die Reihen der friedliebenden Länder desorganisierten, die Einheitsfront dieser Länder gegen die Aggression zersetzten, der deutschen Aggression den Weg bereiteten und Hitler halfen, den zweiten Weltkrieg zu entfesseln.
Was wäre geschehen, wenn die USA nicht die Schwerindustrie Hitlerdeutschlands finanziert und wenn England und Frankreich sich nicht von der kollektiven Sicherheit abgewandt, sondern, im Gegenteil, gemeinsam mit der Sowjetunion eine kollektive Abwehr gegen die deutsche Aggression in die Wege geleitet hätten?
Hitler hätte dann für seine Aggression keine ausreichenden Waffen gehabt. Die Raubpolitik Hitlers wäre von einem Regime der kollektiven Sicherheit in die Zange genommen worden. Die Chancen der Hitlerfaschisten auf eine erfolgreiche Entfesselung des zweiten Weltkrieges wären auf ein Minimum zusammengeschrumpft. Hätten aber die Hitlerfaschisten, trotz dieser für sie so ungünstigen Bedingungen, sich doch zur Entfesselung des zweiten Weltkrieges entschlossen, dann wären sie schon im ersten Kriegsjahr geschlagen worden.
Dies ist aber leider nicht geschehen, und zwar infolge der verderblichen Politik, die die USA, England und Frankreich während der ganzen Vorkriegszeit betrieben.
Eben sie sind daran schuld, wenn die Hitlerfaschisten den zweiten Weltkrieg, der fast sechs Jahre dauerte und Millionen Opfer verschlang, nicht ohne Erfolg entfesseln konnten.
II. Nicht Kampf gegen die deutsche Aggression, sondern eine Politik der Isolierung der UdSSR
Die weitere Entwicklung der Ereignisse zeigte noch deutlicher, dass die regierenden Kreise Englands und Frankreichs durch ihre Konzessionen und Vergünstigungen an die faschistischen Staaten, die sich 1936 zu dem als „Achse Berlin-Rom“ bekannten militärischen und politischen Block zusammengeschlossen hatten, Deutschland nur ermunterten und auf den Weg der Annexionen drängten.
England und Frankreich, die sich von der Politik kollektiver Sicherheit losgesagt hatten, bezogen die Position der sogenannten Nichteinmischung, von der J. W. Stalin sagte, man könnte:
„…die Politik der Nichteinmischung wie folgt charakterisieren: Jedes Land möge sich gegen die Aggressoren verteidigen, wie es will und wie es kann, wir scheren uns nicht darum, wir werden sowohl mit den Aggressoren als auch mit ihren Opfern Handel treiben. In Wirklichkeit bedeutet jedoch die Politik der Nichteinmischung eine Begünstigung der Aggression, die Entfesselung des Krieges und folglich seine Umwandlung in einen Weltkrieg.“[11] Dabei wies J. W. Stalin darauf hin, dass „das große und gefährliche politische Spiel, das die Anhänger der Nichteinmischungspolitik begonnen haben, für sie mit einem ernsten Fiasko enden kann.“ [12]
Schon im Jahre 1937 war es absolut klar, dass die Ereignisse einem von Hitler mit direkter Vorschubleistung Großbritanniens und Frankreichs angezettelten großen Krieg entgegentrieben. Die von den Sowjettruppen nach der Niederwerfung Deutschlands erbeuteten Dokumente des deutschen Auswärtigen Amtes enthüllen das wahre Wesen der Außenpolitik, die Großbritannien und Frankreich damals trieben. Wie aus den Dokumenten ersichtlich, bestand das Wesen der englischen und französischen Politik nicht im Zusammenschluss der Kräfte der friedliebenden Staaten zum gemeinsamen Kampf gegen die Aggression, sondern in Versuchen, die UdSSR zu isolieren und die Hitleraggression nach dem Osten, gegen die Sowjetunion zu lenken, wobei Hitler als Werkzeug für ihre eigenen Zwecke ausgenutzt werden sollte.
Die Machthaber Englands und Frankreichs kannten sehr wohl die Hauptrichtung der hitlerfaschistischen Außenpolitik, die von Hitler wie folgt definiert worden war:
„Wir Nationalsozialisten ziehen bewusst einen Strich unter die außenpolitische Richtung unserer Vorkriegszeit. Wir setzen dort an, wo man vor sechs Jahrhunderten endete. Wir stoppen den ewigen Germanenzug nach dem Süden und Westen Europas und weisen den Blick nach dem Land im Osten. Wir brechen endlich mit der Kolonial- und Handelspolitik der Vorkriegszeit und gehen über zur Bodenpolitik der Zukunft. Wenn wir aber heute in Europa von neuem Grund und Boden reden, können wir in erster Linie nur an Rußland und die ihm untertanen Randstaaten denken. Das Schicksal selbst scheint uns hier einen Fingerzeig geben zu wollen.“[13]
Bis zur letzten Zeit pflegte man anzunehmen, dass die gesamte Verantwortung für die Münchener Verratspolitik den regierenden Kreisen Englands und Frankreichs, den Regierungen Chamberlains und Daladiers, zufällt. Die Tatsache, dass die USA-Regierung die Veröffentlichung der deutschen Archivmaterialien unternommen hat und die auf das Münchener Abkommen bezüglichen Dokumente aus ihrer Sammlung ausschloss, zeugt davon, wie sehr die Regierung der USA daran interessiert ist, die Helden des Münchener Verrats weiß zu waschen und dabei den Versuch zu machen, die Schuld auf die UdSSR abzuwälzen.
Auch früher war schon zur Genüge klar, worin der Sinn der Münchener Politik Englands und Frankreichs in der Hauptsache bestand. Die in den Händen der Sowjetregierung befindlichen Dokumente aus dem Archiv des deutschen Auswärtigen Amtes liefern jedoch zahlreiche zusätzliche Tatsachenangaben, die den wirklichen Sinn der Diplomatie der Westmächte in der Vorkriegszeit enthüllen und zeigen, wie mit dem Schicksal der Völker gespielt wurde, wie unverfroren man fremde Territorien verschacherte, wie die Weltkarte heimlich umgemodelt wurde, wie man die Hitleraggression anspornte und welche Anstrengungen aufgeboten wurden, um diese Aggression nach dem Osten, gegen die Sowjetunion, zu lenken.
Ein beredtes Beispiel dafür ist ein deutsches Dokument, worin ein Gespräch zwischen Hitler und dem britischen Minister Halifax, das in Gegenwart des deutschen Außenministers von Neurath am 19. November 1937 in Obersalzberg stattfand, aufgezeichnet ist.
Halifax erklärte, dass
„er (Lord Halifax) und andere Mitglieder der englischen Regierung davon durchdrungen wären, dass der Führer nicht nur in Deutschland selbst Großes geleistet habe, sondern dass er auch durch die Vernichtung des Kommunismus im eigenen Lande diesem den Weg nach Westeuropa versperrt habe und dass daher mit Recht Deutschland als Bollwerk des Westens gegen den Bolschewismus angesehen werden könne.“[14]
Im Namen des englischen Premierministers Chamberlain erklärte Halifax, es bestehe absolut die Möglichkeit, eine Lösung selbst für schwierige Probleme zu finden, wenn es Deutschland und England gelänge, eine Verständigung auch mit Frankreich und Italien zu erzielen.
Halifax sagte:
„Es dürfe nicht der Eindruck entstehen, dass die Achse Berlin-Rom oder das gute Verhältnis London-Paris durch eine deutsch-englische Einigung in Mitleidenschaft gezogen würde. Nachdem durch eine deutsch-englische Einigung der Boden vorbereitet sei, müssten die vier großen westeuropäischen Mächte[15]gemeinsam die Grundlage schaffen, auf der ein dauernder europäischer Friede errichtet werden könne. Auf keinen Fall dürfe eine der vier Mächte aus dieser Zusammenarbeit herausgelassen werden, da in diesem Fall der bestehende Zustand der Unsicherheit kein Ende finden könne.“[16]
Halifax bot Hitler also schon 1937 im Namen der britischen Regierung den Anschluss Englands und zugleich auch Frankreichs an die „Achse Berlin-Rom“ an.
Hitler beantwortete diesen Vorschlag jedoch mit der Erklärung, es erscheine ihm sehr leicht, ein solches Viermächteabkommen zustande zu bringen, wenn von gutem Willen und liebenswürdiger Haltung zueinander die Rede sei, die Sache kompliziere sich jedoch, wenn Deutschland nicht als ein Staat behandelt werden solle, „der nicht mehr das moralische oder materielle Stigma des Versailler Vertrages an sich trage.“[17]
Der Aufzeichnung zufolge entgegnete Halifax hierauf:
„Die Engländer seien ein Volk der Realitäten und seien vielleicht mehr als andere davon überzeugt, dass die Fehler des Versailler Diktats richtiggestellt werden müssten. England habe ja auch in der Vergangenheit stets seinen Einfluss in diesem realistischen Sinne geltend gemacht. Er weise auf Englands Rolle bei der vorzeitigen Rheinlandräumung, bei der Lösung der Reparationsfrage ebenso wie bei der Wiederbesetzung des Rheinlandes hin.“[18]
Aus der Niederschrift der Unterredung zwischen Hitler und Halifax ersieht man weiter, dass die britische Regierung Hitlers Plänen, Danzig, Österreich und die Tschechoslowakei zu „erwerben“, billigend gegenüberstand. Nachdem Halifax mit Hitler über Fragen der Abrüstung und des Völkerbundes gesprochen und bemerkt hatte, diese Fragen bedürften weiterer Erörterung, erklärte er:
„Alle anderen Fragen könne man dahingehend charakterisieren, dass sie Änderungen der europäischen Ordnung beträfen, die wahrscheinlich früher oder später eintreten würden. Zu diesen Fragen gehöre Danzig und Österreich und die Tschechoslowakei. England sei nur daran interessiert, dass diese Änderungen im Wege friedlicher Evolution zustande gebracht würden und dass Methoden vermieden würden, die weitergehende Störungen, wie sie weder der Führer noch andere Länder wünschten, verursachen könnten.“ [19]
In dieser Unterredung wurde, wie man sieht, nicht einfach das Gelände sondiert, nicht bloß dem Gesprächspartner auf den Zahn gefühlt, wie die politische Notwendigkeit das zuweilen mit sich bringt, sondern ein Spiel abgekartet, eine geheime Verständigung der englischen Regierung mit Hitler über die Befriedigung der Annexionsgelüste Hitlers auf Kosten dritter Länder herbeigeführt.
In diesem Zusammenhang verdient die von dem englischen Minister Simon am 21. Februar 1938 im Parlament abgegebene Erklärung beachtet zu werden, dass Großbritannien niemals besondere Garantien für die Unabhängigkeit Österreichs gegeben habe. Dies war eine bewusste Lüge, da derartige Garantien in den Verträgen von Versailles und St. Germain gegeben worden waren. Auch der britische Premierminister Chamberlain erklärte damals, Österreich könne nicht auf irgendeinen Schutz von Seiten des Völkerbundes rechnen. Er sagte:
„Wir dürfen nicht versuchen, uns selbst irrezuführen, und noch weniger dürfen wir kleine Nationen zu dem Glauben verleiten, sie würden vom Völkerbund gegen Aggression verteidigt, und zu entsprechenden Handlungen verleiten, wo wir doch wissen, dass nichts dergleichen zu erwarten ist.“[20]
So munterten die Leiter der britischen Politik Hitler zu seinen annexionistischen Handlungen auf. In dem von den Sowjettruppen in Berlin erbeuteten deutschen Archiv findet sich ferner eine Niederschrift des Gesprächs, das Hitler und Henderson, der britische Botschafter in Deutschland, in Anwesenheit Ribbentrops am 3. März 1938 hatten.[21] Von allem Anfang an betonte Henderson in dieser Unterredung deren vertraulichen Charakter und schickte voraus, dass der Inhalt der Unterredung weder den Franzosen noch den Belgiern, weder den Portugiesen noch den Italienern mitgeteilt werden solle, denen nur gesagt werden sollte, die Unterredung sei die Fortsetzung der Unterhandlungen zwischen Halifax und Hitler gewesen und habe sich auf Fragen bezogen, die Deutschland und England beträfen. Henderson, der in dieser Unterredung im Namen der britischen Regierung auftrat, betonte,
„es handle sich um kein Handelsgeschäft, sondern um einen Versuch, die Grundlage für eine wahrhafte und herzliche Freundschaft zu Deutschland herzustellen, beginnend mit einer Besserung der Atmosphäre und endend mit der Schaffung eines neuen Geistes der freundschaftlichen Verständigung“[22]
Ohne gegen Hitlers Forderung, „Europa ohne Rußland zu vereinigen“, Einwände zu erheben, erwähnte Henderson, Halifax, der inzwischen Außenminister geworden war, habe sich bereits mit den territorialen Veränderungen, die Deutschland in Europa durchzuführen beabsichtige, einverstanden erklärt, und sagte:
„An einer solchen vernünftigen Regelung mitzuhelfen, sei das Ziel des englischen Vorschlags.“
Wie es in der Niederschrift heißt, erklärte Henderson in der gleichen Unterredung, dass Chamberlain „großen Mut bewiesen habe, indem er rücksichtslos internationale Phrasen wie kollektive Sicherheit und dergleichen demaskiert hätte…“
Henderson fügte hinzu:
„Daher erkläre England seine Bereitschaft zur Bereinigung der Schwierigkeiten und richte an Deutschland die Frage, ob es auch seinerseits bereit sei.“[23]
Als Ribbentrop in die Unterredung eingriff, indem er Hendersons Aufmerksamkeit darauf hinlenkte, dass der englische Gesandte in Wien sich von Papen gegenüber in „dramatischer“ Form über die Ereignisse in Österreich geäußert habe, da beeilte sich Henderson, von der Erklärung seines Kollegen abzurücken und daran zu erinnern, „wie oft er, Sir Neville Henderson, selbst für den Anschluss eingetreten sei“.
Eine solche Sprache führte die englische Diplomatie in der Vorkriegszeit.
Gleich nach diesem Übereinkommen, am 12. März 1938, besetzte Hitler Österreich, ohne bei England und Frankreich irgendeinen Widerstand zu finden. Zu diesem Zeitpunkt erhob nur die Sowjetunion ihre warnende Stimme und rief abermals dazu auf, die Unabhängigkeit der von der Aggression bedrohten Länder durch kollektive Maßnahmen zu schützen. Schon am 17. März 1938 richtete die Sowjetregierung an die Mächte eine Note, worin sie ihrer Bereitschaft Ausdruck gab, „unverzüglich im Völkerbund oder außerhalb des Völkerbundes praktische Maßnahmen mit anderen Mächten zu erörtern“, die „das Ziel haben würden, der weiteren Entwicklung der Aggression Einhalt zu tun und die verstärkte Gefahr eines neuen Weltgemetzels zu beseitigen.“[24] Die Antwort der englischen Regierung auf die Sowjetnote zeugt davon, dass die englische Regierung nicht gewillt war, diesen Plänen der Hitleraggression Hindernisse in den Weg zu legen.
In der Antwort hieß es, eine Konferenz zwecks „koordinierter Aktion gegen Aggression würde nach Ansicht der Regierung Seiner Majestät nicht notwendigerweise eine so günstige Wirkung auf die Perspektiven des europäischen Friedens haben.“[25]
Das nächste Glied in der Kette der deutschen Aggression und der Vorbereitung zum Krieg in Europa war die Besetzung der Tschechoslowakei durch Deutschland. Auch dieser überaus wichtige Schritt zur Entfesselung des Krieges in Europa konnte von Hitler nur mit direkter Unterstützung Englands und Frankreichs getan werden.
Schon am 10. Juli 1938 meldete Dirksen, der deutsche Botschafter in London, nach Berlin, England habe
„den Ausgleich mit Deutschland zu einem seiner wesentlichsten Programmpunkte gemacht; es bringt darum Deutschland das Höchstmaß an Verständnis entgegen, das unter allen für die Kabinettsbildung in Frage kommenden Kombinationen englischer Politiker aufzubringen ist.“[26]
Dirksen schrieb, dass die englische Regierung
„sich in wesentlichen Punkten den von Deutschland vertretenen Leitsätzen angenähert hat: der Ausschaltung der Sowjetunion aus der Mitbestimmung der Geschicke Europas; der Ausschaltung des Völkerbundes bei derselben Aufgabe; der Zweckmäßigkeit zweiseitiger Verhandlungen und Verträge…“[27]
Dirksen teilte ferner nach Berlin mit, dass die englische Regierung bereit sei, für die „Befriedigung anderer gerechter Forderungen Deutschlands“ große Opfer zu bringen.
Es hatte sich also tatsächlich zwischen der englischen Regierung und Hitler in ihren außenpolitischen Plänen ein weitgehendes Einvernehmen herausgebildet, worüber Dirksen in seiner Meldung nach Berlin so vielsagend berichtete.
Es erübrigt sich, an allbekannte Tatsachen zu erinnern, die sich bereits unmittelbar auf die Münchner Abmachung beziehen. Man darf aber nicht vergessen, dass am 19. September 1938, das heißt vier Tage nach dem Zusammentreffen Hitlers mit Chamberlain, der zu diesem Zweck per Flugzeug nach der Hitlerresidenz Berchtesgaden gekommen war, Vertreter der britischen und der französischen Regierung die tschechoslowakische Regierung aufforderten, Deutschland die hauptsächlich von Sudetendeutschen bewohnten tschechoslowakischen Gebiete abzutreten. Sie motivierten diese Aufforderung damit, es sei sonst unmöglich, den Frieden aufrechtzuerhalten und die Lebensinteressen der Tschechoslowakei zu wahren. Die britischen und französischen Gönner der Hitleraggression suchten ihren Verrat durch das Versprechen internationaler Garantien für die neue Grenze des tschechoslowakischen Staates zu bemänteln und als einen „Beitrag zur Befriedung Europas“ hinzustellen.[28]
Am 20. September beantwortete die tschechoslowakische Regierung die Vorschläge Englands und Frankreichs. Sie erklärte, „die Annahme solcher Vorschläge käme einer freiwilligen und völligen Verstümmelung des Staates in allen Richtungen gleich“. Die tschechoslowakische Regierung machte die englische und französische Regierung darauf aufmerksam, dass „eine Lähmung der Tschechoslowakei tiefgreifende politische Änderungen in ganz Mittel- und Südosteuropa zur Folge haben“ würde.
Die tschechoslowakische Regierung erklärte in ihrer Antwort:
„Das Gleichgewicht der Kräfte in Mitteleuropa und in Europa überhaupt wäre zunichte gemacht; das würde weitgehende Folgen für alle anderen Staaten, besonders aber für Frankreich nach sich ziehen.“
Die tschechoslowakische Regierung wandte sich an die Regierungen Englands und Frankreichs „mit dem letzten Appell“, ihren Standpunkt zu revidieren, und hob hervor, dass dies nicht nur im Interesse der Tschechoslowakei läge, sondern auch im Interesse ihrer Freunde, im Interesse „des gesamten Friedenswerkes und einer gesunden Entwicklung Europas“.
Die Machthaber Englands und Frankreichs aber blieben unerbittlich. Am nächsten Tag richtete die englische Regierung eine Antwortnote an die tschechoslowakische Regierung, worin sie dieser nahelegte, ihre Antwort auf die ursprünglichen Vorschläge Englands und Frankreichs zurückzunehmen und „die Sache rasch und ernstlich zu erwägen“, ehe sie eine Situation schaffe, für die die englische Regierung keine Verantwortung übernehmen könne. Weiter hob die englische Regierung hervor, sie glaube nicht, dass das von der Tschechoslowakei angeregte Schiedsverfahren jetzt annehmbar sei. Sie könne nicht annehmen, hieß es in der britischen Note weiter, dass „die deutsche Regierung glaube, die Situation lasse sich im Wege eines Schiedsverfahrens bereinigen, wie die tschechoslowakische Regierung es vorschlägt“.
Zum Schluss enthält die britische Note die drohende Mitteilung an die tschechoslowakische Regierung, im Falle einer Ablehnung des britischen Ratschlages würde es ihr „freistehen, beliebige Maßnahmen zu ergreifen, die sie in einer sich später ergebenden Situation eventuell für angemessen erachtet.“ Eine Beratung Hitlers, Chamberlains, Mussolinis und Daladiers, die am 29. und 30. September 1938 in München stattfand, brachte den schmachvollen Handel zum Abschluss, der schon vorher von den Hauptbeteiligten am Komplott gegen den Frieden restlos abgekartet war. Über das Geschick der Tschechoslowakei wurde entschieden, ohne dass sie irgendwie zugezogen wurde. Vertreter der Tschechoslowakei wurden nur zu dem Zweck nach München berufen, die Ergebnisse der Verhandlungen zwischen den Imperialisten demütig abzuwarten.
Das ganze Verhalten Englands und Frankreichs ließ keinen Zweifel darüber aufkommen, dass der unerhörte Verrat der Regierungen Englands und Frankreichs am tschechoslowakischen Volke und an seiner Republik durchaus keine zufällige Erscheinung in der Politik dieser Staaten, sondern ein höchst wichtiges Kettenglied dieser Politik darstellte, die das Ziel verfolgte, die Hitleraggression gegen die Sowjetunion zu lenken.
Der wahre Sinn des Münchner Abkommens wurde gleich damals von J. W. Stalin aufgedeckt, der sagte, „man habe den Deutschen Gebiete der Tschechoslowakei als Kaufpreis für die Verpflichtung gegeben, den Krieg gegen die Sowjetunion zu beginnen.“[29] Das Wesen dieser damals von den regierenden Kreisen Englands und Frankreichs betriebenen Politik wurde von J. W. Stalin auf dem XVIII. Parteitag der KPdSU(B) im März 1939 mit folgenden Worten dargelegt:
„In Wirklichkeit bedeutet jedoch die Politik der Nichteinmischung eine Begünstigung der Aggression, die Entfesselung des Krieges und folglich seine Umwandlung in einen Weltkrieg. In der Politik der Nichteinmischung macht sich das Bestreben, der Wunsch geltend, die Aggressoren bei der Ausführung ihres dunklen Werkes nicht zu hindern, zum Beispiel Japan nicht zu hindern, sich in einen Krieg gegen China, noch besser aber gegen die Sowjetunion einzulassen, zum Beispiel Deutschland nicht zu hindern, sich in die europäischen Angelegenheiten zu verstricken, sich in einen Krieg gegen die Sowjetunion einzulassen, alle Kriegsteilnehmer tief in den Morast des Krieges versinken zu lassen, sie im Stillen dazu anzuspornen, dazu zu bringen, dass sie einander schwächen und erschöpfen, dann aber, wenn sie genügend geschwächt sind, mit frischen Kräften auf dem Schauplatz zu erscheinen und, natürlich, „im Interesse des Friedens“ aufzutreten, um den geschwächten Kriegsteilnehmern die Bedingungen zu diktieren.“[30]
Die demokratischen Kreise verschiedener Länder, darunter der USA, Großbritanniens und Frankreichs, nahmen das Münchner Abkommen mit Entrüstung und entschiedener Missbilligung auf. Wie diese Kreise auf den Münchner Verrat der Machthaber Englands und Frankreichs reagierten, geht schon aus Äußerungen hervor, wie sie zum Beispiel in einem in den USA erschienenen Buch „Die große Verschwörung“ von Sayers und Kahn enthalten sind. Die Verfasser schrieben in diesem Buch über München:
„Die Regierungen des nazistischen Deutschlands, des faschistischen Italiens, Großbritanniens und Frankreichs unterzeichneten das Münchner Abkommen. Die sowjetfeindliche Heilige Allianz, von der die Weltreaktion seit 1918 träumte, war endlich erreicht…
Nach Abschluss dieses Paktes stand die Sowjetunion ohne Bundesgenossen da. Das französisch-sowjetische Abkommen, der Grundpfeiler der europäischen kollektiven Sicherheit, war bedeutungslos geworden. Die tschechischen Sudetenländer wurden dem Deutschen Reich einverleibt. Das Tor nach dem Osten stand der Wehrmacht weit offen.“[31]
Die Sowjetunion war die einzige Großmacht, die in allen Phasen der tschechoslowakischen Tragödie als aktive Verteidigerin der Unabhängigkeit und der nationalen Rechte der Tschechoslowakei auftrat. Um sich vor der Öffentlichkeit zu rechtfertigen, erklärten die Regierungen Englands und Frankreichs voll Heuchelei, sie wüssten nicht, ob die Sowjetunion ihren sich aus dem Beistandsvertrag mit der Tschechoslowakei ergebenden Verpflichtungen nachkommen werde. Sie sprachen aber wissentlich die Unwahrheit, denn die Sowjetregierung hatte sich in aller Öffentlichkeit bereit erklärt, zugunsten der Tschechoslowakei gegen Deutschland vorzugehen, im Einklang mit den Vertragsbedingungen, die ein gleichzeitiges Vorgehen Frankreichs zum Schutz der Tschechoslowakei vorsahen. Frankreich aber weigerte sich, seine Pflicht zu erfüllen.
Ungeachtet dessen erklärte die Sowjetregierung unmittelbar vor Abschluss des Münchner Abkommens erneut, sie wünsche die Einberufung einer internationalen Konferenz zwecks praktischer Unterstützung der Tschechoslowakei und praktischer Maßnahmen zur Aufrechterhaltung des Friedens.
Als die Besetzung der Tschechoslowakei zu einer Tatsache geworden war und die Regierungen der imperialistischen Länder eine nach der anderen diese vollzogene Tatsache anerkannten, brandmarkte die Sowjetregierung in ihrer Note vom 18. März die Besetzung der Tschechoslowakei durch Hitlerdeutschland unter Beihilfe Englands und Frankreichs als einen Akt der Willkür, Gewalt und Aggression. In derselben Note betonte die Sowjetregierung, die Handlungsweise Deutschlands habe eine akute Gefahr für den allgemeinen Frieden geschaffen, sie habe „die politische Stabilität in Mitteleuropa verletzt, die Elemente der bereits vorher in Europa geschaffenen Unruhe verstärkt und die Völker in ihrem Sicherheitsgefühl erneut erschüttert.“[32]
Es blieb aber nicht bei der Preisgabe der Tschechoslowakei an Hitler. Die Regierungen Englands und Frankreichs unterzeichneten um die Wette weitgehende politische Abmachungen mit Hitlerdeutschland. Am 30. September 1938 unterzeichneten Chamberlain und Hitler in München eine Deklaration Englands und Deutschlands, in der es heißt:
„Wir haben heute eine weitere Besprechung gehabt und sind uns in der Erkenntnis einig, dass die Frage der deutsch-englischen Beziehungen von allererster Bedeutung für beide Länder und für Europa ist. Wir sehen das gestern Abend unterzeichnete Abkommen und das deutsch-englische Flottenabkommen als symbolisch für den Wunsch unserer beiden Völker an, niemals wieder gegeneinander Krieg zu führen. Wir sind entschlossen, auch andere Fragen, die unsere beiden Länder angehen, nach der Methode der Konsultation zu behandeln und uns weiter zu bemühen, etwaige Ursachen von Meinungsverschiedenheiten aus dem Wege zu räumen, um auf diese Weise zur Sicherung des Friedens Europas beizutragen.“[33]
Das war eine englisch-deutsche gegenseitige Nichtangriffsdeklaration.
Am 6. Dezember 1938 unterzeichneten Bonnet und Ribbentrop eine der englisch-deutschen ähnlichen französisch-deutsche Deklaration. In dieser Deklaration hieß es, die deutsche und die französische Regierung seien sich in der Erkenntnis einig, dass friedliche und gutnachbarliche Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich eine der wichtigsten Voraussetzungen für die Konsolidierung der Verhältnisse in Europa und für die Aufrechterhaltung des allgemeinen Friedens seien und dass beide Regierungen alles daransetzen würden, um solche Beziehungen zwischen ihren Ländern aufrechtzuerhalten. In der Deklaration wurde konstatiert, dass es zwischen Frankreich und Deutschland keinerlei territoriale Streitfragen mehr gebe und dass die bestehende Grenze zwischen ihren Ländern endgültig sei. Zum Schluss heißt es in der Deklaration, beide Regierungen seien fest entschlossen, unbeschadet ihrer speziellen Beziehungen zu dritten Mächten in allen ihre Länder betreffenden Fragen miteinander Fühlung zu halten und für den Fall, dass diese Fragen in ihrer weiteren Entwicklung zu internationalen Komplikationen führen sollten, miteinander zu Rate zu gehen.
Dies war eine französisch-deutsche gegenseitige Nichtangriffsdeklaration.
Im Grunde hatten sowohl England als auch Frankreich durch den Abschluss dieser Vereinbarungen Nichtangriffspakte mit Hitler unterzeichnet.
In diesen Vereinbarungen mit Hitlerdeutschland tritt ganz klar das Bestreben der englischen und der französischen Regierung zutage, die Gefahr einer Hitleraggression von sich abzuwenden, in der Hoffnung, das Münchner und ähnliche Abkommen hätten der Hitleraggression bereits das Tor nach dem Osten, nach der Sowjetunion, geöffnet.
Auf diese Weise wurden die für eine „Einigung Europas ohne Rußland“ erforderlichen politischen Voraussetzungen geschaffen. Die Ereignisse trieben einer vollständigen Isolierung der Sowjetunion entgegen.
III. Die Isolierung der Sowjetunion — Der sowjetisch-deutsche Nichtangriffspakt
Nach der Besetzung der Tschechoslowakei begann das faschistische Deutschland, sich ganz offen, vor den Augen der ganzen Welt, zum Kriege vorzubereiten. Von England und Frankreich ermuntert, ließ Hitler alle Rücksicht fallen und hörte auf, sich als Anhänger einer friedlichen Regelung der europäischen Probleme aufzuspielen. Die bewegtesten Monate der Vorkriegszeit brachen an. Schon damals war es klar, dass jeder Tag die Menschheit einer beispiellosen Kriegskatastrophe näherbrachte.
Wie war damals die Politik der Sowjetunion einerseits und die Politik Großbritanniens und Frankreichs andererseits beschaffen?
Der von den Geschichtsfälschern in den USA unternommene Versuch, einer Antwort auf diese Frage auszuweichen, zeugt lediglich von ihrem schlechten Gewissen.
Die Wahrheit ist die, dass England und Frankreich mit Unterstützung der regierenden US-Kreise auch in dem schicksalsschwangeren Frühjahr und Sommer 1939, als der Krieg vor der Tür stand, an ihrer früheren politischen Linie festhielten. Diese ihre Politik bestand in einer provokatorischen Aufhetzung Hitlerdeutschlands gegen die Sowjetunion, sie wurde zu betrügerischen Zwecken nicht nur mit pharisäischen Phrasen über die Bereitschaft, mit der Sowjetunion zusammenzuarbeiten, sondern auch mit mancherlei simplen diplomatischen Manövern verbrämt, durch die der wahre Charakter des gesteuerten politischen Kurses vor der öffentlichen Meinung der Völker verborgen werden sollte.
Zu diesen Manövern gehörten vor allem die Verhandlungen, die England und Frankreich 1939 mit der Sowjetunion anzubahnen beschlossen. Um die Öffentlichkeit zu täuschen, wollten die regierenden Kreise Englands und Frankreichs diese Verhandlungen als einen ernsthaften Versuch zur Verhinderung einer weiteren Ausbreitung der Hitleraggression hinstellen. Der spätere Gang der Ereignisse ließ jedoch ganz klar erkennen, dass England und Frankreich diese Verhandlungen von allem Anfang an nur als einen neuen Schachzug in ihrem Doppelspiel betrachteten.
Das war auch der Führung Hitlerdeutschlands klar, der der Sinn der von den Regierungen Englands und Frankreichs mit der Sowjetunion gepflogenen Verhandlungen selbstverständlich nicht verborgen blieb. Wie nämlich aus den von der Sowjetarmee bei der Niederwerfung Hitlerdeutschlands erbeuteten Dokumenten hervorgeht, schrieb zum Beispiel Dirksen, der deutsche Botschafter in London, über diese Verhandlungen in einem Bericht an das deutsche Auswärtige Amt am 3. August 1939:
„…hier war wohl das Gefühl vorherrschend, daß gegenüber einem wirklichen Ausgleich mit Deutschland die in den letzten Monaten ins Leben gerufenen Bindungen mit anderen Mächten nur Behelfsmittel seien, die hinfällig werden, wenn das allein wichtige und erstrebenswerte Ziel der Einigung mit Deutschland einmal wirklich erreicht sei.“
Diese Meinung wurde von allen deutschen Diplomaten, die die Situation in London beobachteten, entschieden geteilt. In einem anderen Geheimbericht nach Berlin schrieb Dirksen:
„England will sich durch Rüstungen und durch Bundesgenossen stark und der Achse ebenbürtig machen, aber es will gleichzeitig im Verhandlungsweg einen Ausgleich mit Deutschland suchen.“[34]
Die Verleumder und Geschichtsfälscher suchen diese Dokumente geheim zu halten, da diese die Situation in den letzten Vorkriegsmonaten schlaglichtartig beleuchten. Ohne eine richtige Beurteilung dieser Situation aber ist es unmöglich, die Vorgeschichte des Krieges, wie sie wirklich war, zu verstehen. Als England und Frankreich Verhandlungen mit der Sowjetunion anbahnten und Polen, Rumänien und einigen anderen Staaten Garantien gewährten, spielten sie mit Unterstützung der regierenden US-Kreise ein Doppelspiel, das auf eine Verständigung mit Hitlerdeutschland berechnet war, um dessen Aggression nach Osten, gegen die Sowjetunion zu lenken. Die Verhandlungen zwischen England und Frankreich einerseits und der Sowjetunion andererseits begannen im März 1939 und dauerten etwa vier Monate.
Wie der gesamte Verlauf dieser Verhandlungen mit aller Klarheit zeigte, strebte die Sowjetunion ein umfassendes und auf Gleichberechtigung fußendes Abkommen mit den Westmächten an, das Deutschland wenigstens noch im letzten Moment von der Entfesselung eines Krieges in Europa abhalten konnte, während die Regierungen Englands und Frankreichs, gestützt auf die Hilfe, die sie in den USA fanden, sich völlig andere Ziele steckten. Die regierenden Kreise Englands und Frankreichs, die es gewohnt sind, sich von anderen die Kastanien aus dem Feuer holen zu lassen, bemühten sich auch diesmal, der Sowjetunion Verpflichtungen aufzuzwingen, die der UdSSR bei der Abwehr einer eventuellen Hitleraggression die ganze Bürde der Opfer aufgehalst hätten, während England und Frankreich sich durch keinerlei Verpflichtungen gegenüber der Sowjetunion gebunden hätten.
Wäre den Machthabern Englands und Frankreichs dieses Manöver geglückt, dann wären sie der Verwirklichung ihres Hauptziels, Deutschland und die Sowjetunion möglichst rasch zu einem Zusammenstoß zu treiben, ein gut Stück nähergekommen. Die Sowjetregierung durchschaute aber diese Absicht. Sie stellte in allen Phasen der Verhandlungen den diplomatischen Tricks und Winkelzügen der Westmächte ihre offenen und klaren Vorschläge gegenüber, die nur einem einzigen Ziel dienen sollten, nämlich dem Schutz des Friedens in Europa.
Es erübrigt sich, an alle Wechselfälle dieser Verhandlungen zu erinnern. Nur einige ganz wichtige Momente müssen wieder ins Gedächtnis gerufen werden. Es genügt, auf die Bedingungen zurückzukommen, die die Sowjetregierung in diesen Verhandlungen stellte: Abschluss eines effektiven Paktes über gegenseitige Hilfe gegen die Aggression zwischen England, Frankreich und der UdSSR; Garantien Englands, Frankreichs und der Sowjetunion für die Staaten Zentral- und Osteuropas, einschließlich sämtlicher europäischer Nachbarstaaten der UdSSR; Abschluss eines konkreten Militärabkommens zwischen England, Frankreich und der UdSSR über Formen und Ausmaße einer unverzüglichen und wirksamen Hilfe, die im Falle des Überfalls von Aggressoren gegenseitig sowie den eine Garantie erhaltenden Staaten zu leisten ist.[35]
Auf der dritten Tagung des Obersten Sowjets der UdSSR am 31. Mai 1939 führte W. M. Molotow aus, dass einige während dieser Verhandlungen gemachte englisch-französische Vorschläge das elementare Prinzip der Gegenseitigkeit und gleicher Verpflichtungen vermissen lassen, das für alle auf Gleichberechtigung fußenden Vereinbarungen unerlässlich ist.
„Die Engländer und Franzosen“, sagte W. M. Molotow, „die sich gegen einen direkten Angriff der Aggressoren durch Pakte über gegenseitige Hilfe untereinander und mit Polen Garantien verschafften und sich die Hilfe der UdSSR im Falle eines Angriffs der Aggressoren auf Polen und Rumänien zu sichern suchten, ließen die Frage offen, ob die UdSSR ihrerseits auf die Hilfe dieser Länder im Falle eines direkten Angriffs der Aggressoren auf die UdSSR rechnen könne, wie sie auch die andere Frage offenließen, ob sie bereit seien, an der Garantierung der an die UdSSR angrenzenden, im Nordwesten der Sowjetunion gelegenen kleinen Staaten teilzunehmen, wenn diese nicht in der Lage sein sollten, ihre Neutralität gegen den Überfall der Aggressoren zu behaupten. Es ergab sich somit eine benachteiligte Lage für die UdSSR.“
Selbst als die Vertreter Englands und Frankreichs vorgaben, sich für den Fall eines direkten Angriffs des Aggressors mit dem Prinzip der gegenseitigen Hilfe Englands, Frankreichs und der UdSSR unter der Bedingung der Gegenseitigkeit einverstanden erklären zu wollen, knüpften sie daran eine Reihe von Vorbehalten, die diese Zustimmung illusorisch machten. Außerdem sahen die Vorschläge Englands und Frankreichs die Hilfe der UdSSR für diejenigen Länder vor, denen sie Garantieversprechungen gegeben hatten, sie ließen jedoch nichts über ihre eigene Hilfe für die Länder an der Nordwestgrenze der UdSSR, die baltischen Staaten, bei einem Überfall des Aggressors verlauten. Von diesen Erwägungen ausgehend, erklärte W. M. Molotow, die Sowjetunion könne keine Verpflichtungen hinsichtlich einer Gruppe von Ländern übernehmen, ohne dass den Ländern an der Nordwestgrenze der Sowjetunion dieselben Garantien gegeben werden.
Es sei noch an folgendes erinnert: Als Seeds, der britische Botschafter in Moskau, am 18. März 1939 beim Volkskommissar für Auswärtige Angelegenheiten anfragte, wie sich die Sowjetunion im Falle einer Hitleraggression gegen Rumänien verhalten werde, über deren Vorbereitung den Engländern Meldungen vorlagen, und als die Sowjetunion die Gegenfrage stellte, was England unter solchen Umständen zu tun gedenke, wich Seeds einer Antwort aus und bemerkte, geographisch gesehen läge Rumänien der Sowjetunion näher als England. Vom ersten Schritt an trat also ganz klar das Bestreben der regierenden Kreise Englands zutage, die Sowjetunion durch bestimmte Verpflichtungen zu binden, sich selbst aber abseits zu halten. Diese simple Methode wurde dann während der ganzen Verhandlungen systematisch immer wieder angewandt. In Beantwortung der britischen Anfrage schlug die Sowjetregierung vor, eine Beratung von Vertretern der meistinteressierten Länder — nämlich Großbritanniens, Frankreichs, Rumäniens, Polens, der Türkei und der Sowjetunion — einzuberufen. Nach Ansicht der Sowjetregierung hätte eine solche Beratung die besten Möglichkeiten geboten, die wirkliche Sachlage zu klären und den Standpunkt aller Beteiligten festzustellen. Die britische Regierung antwortete jedoch, sie halte den Sowjetvorschlag für verfrüht.
Statt eine Konferenz einzuberufen, die es ermöglicht hätte, sich über konkrete Maßnahmen zur Bekämpfung der Aggression zu einigen, schlug die britische Regierung der Sowjetregierung am 21. März 1939 vor, gemeinsam mit ihr sowie mit Frankreich und Polen eine Deklaration zu unterzeichnen, in der sich die Signatarregierungen verpflichten sollten, „einander darüber zu konsultieren, welche Schritte unternommen werden sollten, um gemeinsamen Widerstand zu leisten“ im Falle einer Gefahr für die „Unabhängigkeit irgendeines europäischen Staates“. Der britische Botschafter suchte die Annehmbarkeit seines Vorschlags nachzuweisen und legte besonderen Nachdruck auf den Umstand, dass die Deklaration recht unverbindlich formuliert sei. Es war völlig klar, dass eine solche Deklaration nicht als ernsthaftes Mittel zur Bekämpfung der von Seiten des Aggressors drohenden Gefahr dienen konnte. Die Sowjetregierung war jedoch der Meinung, selbst eine so wenig versprechende Deklaration könne einen gewissen Fortschritt in der Zügelung des Aggressors darstellen, und erklärte sich mit dem englischen Vorschlag einverstanden. Aber schon am 1. April 1939 teilte der britische Botschafter in Moskau mit, England sei der Meinung, dass eine gemeinsame Deklaration nicht mehr in Frage komme. Nach weiteren zweiwöchigen Verzögerungen machte der britische Außenminister Halifax der Sowjetregierung durch den Botschafter in Moskau den neuen Vorschlag, die Sowjetregierung solle erklären, dass
„im Falle eines Aggressionsaktes gegen irgendeinen europäischen Nachbar der Sowjetunion, der Widerstand leisten würde, auf den Beistand der Sowjetregierung, falls er erwünscht sein sollte, gerechnet werden könne“.
Der Kernpunkt dieses Vorschlags war, dass die Sowjetunion im Falle eines deutschen Aggressionsaktes gegen Lettland, Litauen, Estland und Finnland verpflichtet sein sollte, diesen Ländern Hilfe zu leisten, ohne dass England irgendwelche Beistandsverpflichtungen übernahm, das heißt, die Sowjetunion sollte sich allein in einen Krieg mit Deutschland einlassen. Was Polen und Rumänien betrifft, denen England Garantien gegeben hatte, so sollte die Sowjetunion auch ihnen gegen den Aggressor Hilfe leisten. Aber auch in diesem Falle wollte England keinerlei Verpflichtungen gemeinsam mit der Sowjetunion übernehmen, es behielt sich freie Hand vor und sicherte sich einen Spielraum für beliebige Manöver, ganz zu schweigen davon, dass Polen und Rumänien sowie die baltischen Randstaaten diesem Vorschlag zufolge keinerlei Verpflichtungen gegenüber der UdSSR übernehmen sollten.
Die Sowjetregierung wollte jedoch keine einzige Möglichkeit ungenutzt lassen, um eine Vereinbarung mit anderen Mächten über den gemeinsamen Kampf gegen eine Hitleraggression zu erzielen. Ohne die geringste Verzögerung machte sie der britischen Regierung einen Gegenvorschlag. Dieser Gegenvorschlag bestand darin, dass die Sowjetunion, England und Frankreich sich erstens gegenseitig verpflichten sollten, einander unverzüglich jeden, auch militärischen, Beistand zu leisten, falls gegen einen dieser Staaten eine Aggression unternommen wird; dass die Sowjetunion, England und Frankreich sich zweitens verpflichten sollten, den zwischen der Ostsee und dem Schwarzen Meer gelegenen, an die Sowjetunion grenzenden Staaten Osteuropas im Falle einer Aggression gegen diese Staaten jeden, auch militärischen, Beistand zu leisten. Schließlich und drittens sollten die Sowjetunion, England und Frankreich sich verpflichten, in kurzer Frist Ausmaße und Formen des militärischen Beistands festzulegen, die jedem dieser Staaten in den beiden erwähnten Fällen zu leisten wären.
Das waren die wichtigsten Punkte des Sowjetvorschlags. Man erkennt unschwer den grundlegenden Unterschied zwischen dem Vorschlag der Sowjetunion und demjenigen Großbritanniens, da ja der Sowjetvorschlag tatsächlich wirksame Maßnahmen zum gemeinsamen Vorgehen gegen die Aggression enthielt.
Im Verlauf von drei Wochen traf keinerlei Antwort der englischen Regierung auf diese Vorschläge ein. Da dies in England zunehmende Beunruhigung hervorrief, sah die englische Regierung sich schließlich genötigt, ein neues Manöver zur Täuschung der Öffentlichkeit zu ersinnen.
Am 8. Mai traf in Moskau die britische Antwort, genauer gesagt, der britische Gegenvorschlag ein. Wieder wurde der Sowjetregierung vorgeschlagen, eine einseitige Erklärung abzugeben, in der sie
„die Verpflichtung übernehmen würde, dass im Falle von Feindseligkeiten Großbritanniens und Frankreichs, die sich aus der Erfüllung dieser Verpflichtung“ (gegenüber Belgien, Polen, Rumänien, Griechenland und der Türkei) „ergibt, der Beistand der Sowjetregierung, falls erwünscht, unverzüglich greifbar sein und in evtl. zu vereinbarender Weise bzw. unter evtl. zu vereinbarenden Bedingungen gewährt werden würde“.
Auch in diesem Vorschlag handelt es sich um einseitige Verpflichtungen der Sowjetunion. Sie sollte sich zur Hilfeleistung an England und Frankreich verpflichten, die ihrerseits der Sowjetunion gegenüber absolut keinerlei Verpflichtungen im Hinblick auf die baltischen Republiken übernahmen. England schlug somit vor, die Sowjetunion in eine benachteiligte Lage zu versetzen, wie sie für jeden unabhängigen Staat unannehmbar und untragbar ist. Es ist leicht zu begreifen, dass der englische Vorschlag nicht so sehr für Moskau wie für Berlin bestimmt war. Man forderte Deutschland auf, die Sowjetunion zu überfallen, und gab zu verstehen, dass England und Frankreich neutral bleiben würden, vorausgesetzt, dass der deutsche Überfall über das Baltikum erfolgt.
Noch komplizierter wurden die Verhandlungen zwischen der Sowjetunion, England und Frankreich am 11. Mai durch die Erklärung Grzibowskis, des polnischen Botschafters in Moskau, dass „Polen es nicht für möglich hält, mit der UdSSR einen Beistandspakt abzuschließen…“
Selbstverständlich konnte der Vertreter Polens eine solche Erklärung nur mit Wissen und Billigung der regierenden Kreise Englands und Frankreichs abgeben. Die Vertreter Englands und Frankreichs führten sich während der Verhandlungen in Moskau derart provokatorisch auf, dass sich selbst im regierenden Lager der Westmächte Leute fanden, die ein so plumpes Spiel scharf kritisierten. So schrieb Lloyd George im Sommer 1939 in der französischen Zeitung „Ce Soir“ einen schroffen Artikel gegen die Leiter der englischen Politik. Hinsichtlich der Ursachen der endlosen Scherereien, in denen die Verhandlungen Englands und Frankreichs mit der Sowjetunion versackt waren, schrieb Lloyd George, hier gebe es nur die Feststellung:
„Neville Chamberlain, Halifax und John Simon wünschen kein Übereinkommen mit Rußland.“
Was Lloyd George klar war, das war selbstverständlich den Führern Hitlerdeutschlands nicht minder klar, die sehr wohl begriffen, dass die Westmächte an eine ernsthafte Übereinkunft mit der Sowjetunion gar nicht dachten, sondern ein ganz anderes Ziel verfolgten, nämlich Hitler zum baldigsten Überfall auf die Sowjetunion anzutreiben. Man setzte ihm gewissermaßen einen Preis für diesen Angriff aus, indem man für den Fall eines Krieges mit Deutschland die Sowjetunion in die ungünstigste Lage versetzte. Zudem zogen die Westmächte die Verhandlungen mit der Sowjetunion endlos in die Länge und suchten die wesentlichen Fragen in einem Sumpf belangloser Zusatzanträge und zahlloser Varianten untergehen zu lassen. Jedes Mal, wenn von irgendwelchen realen Verpflichtungen die Rede war, gaben sich die Vertreter dieser Mächte den Anschein, als ob sie nicht begriffen, worum es sich handele.
Ende Mai machten England und Frankreich neue Vorschläge, die die frühere Variante in einigen Beziehungen verbesserten, aber die für die Sowjetunion wesentlich wichtige Frage einer Garantie für die drei an der Nordwestgrenze der Sowjetunion liegenden baltischen Republiken nach wie vor offenließen. Somit setzten die Machthaber Englands und Frankreichs, obgleich sie unter dem Druck der öffentlichen Meinung ihrer Länder in Worten gewisse Konzessionen machten, ihre frühere Linie fort und knüpften an ihre Vorschläge Vorbehalte, die diese Vorschläge, wie sie sehr wohl wussten, für die Sowjetunion unannehmbar machten.
Die Haltung der Vertreter Englands und Frankreichs während der Moskauer Verhandlungen war so ungeziemend, dass W. M. Molotow am 27. Mai 1939 dem britischen Botschafter Seeds und dem französischen Geschäftsträger Payart erklären musste, der von ihnen vorgelegte Entwurf eines Abkommens über gemeinsamen Widerstand gegen den Aggressor in Europa enthalte keinen Plan eines effektiven gegenseitigen Beistands der UdSSR, Englands und Frankreichs und zeuge nicht einmal von ernster Interessiertheit der britischen und der französischen Regierung an einem entsprechenden Pakt mit der Sowjetunion. Hierbei wurde geradeheraus gesagt, der englisch-französische Vorschlag lege den Gedanken nahe, dass den Regierungen Englands und Frankreichs weniger an einem Pakt selbst gelegen sei als vielmehr an Gesprächen über ihn. Es sei möglich, dass England und Frankreich diese Gespräche für irgendwelche Zwecke nötig hätten. Der Sowjetregierung seien diese Zwecke unbekannt. Die Sowjetregierung sei nicht an Gesprächen über einen Pakt interessiert, sondern am Zustandekommen eines wirksamen gegenseitigen Beistands der UdSSR, Englands und Frankreichs gegen eine Aggression in Europa. Die Vertreter Englands und Frankreichs wurden darauf aufmerksam gemacht, dass die Sowjetregierung nicht die Absicht habe, sich an Gesprächen über einen Pakt zu beteiligen, deren Zweck die UdSSR nicht kenne, und dass die britische und die französische Regierung solche Gespräche mit Partnern führen könnten, die sich hierzu besser eignen als die UdSSR.
Die Moskauer Verhandlungen zogen sich endlos hin. Die Ursachen dieser unstatthaften Verschleppung der Verhandlungen wurden in der Londoner „Times“ ausgeplaudert, in der geschrieben stand:
„Ein rasch und entschlossen zustande kommendes Bündnis mit Rußland könnte anderen Verhandlungen hinderlich sein…“[36]
Wenn die „Times“ von „anderen Verhandlungen“ sprach, so hatte sie offenbar die Verhandlungen im Auge, die der britische Überseehandelsminister Robert Hudson mit Dr. Helmut Wohlthat, einem Wirtschaftsberater Hitlers, über die Möglichkeit einer sehr großen englischen Anleihe an Hitlerdeutschland führte, von der noch die Rede sein wird.
Außerdem führte bekanntlich, einer Pressemeldung zufolge, an dem Tage, als die Hitlerwehrmacht in Prag einmarschierte, eine Delegation der Federation of British Industries (Vereinigung der britischen Industrien) in Düsseldorf Verhandlungen über den Abschluss eines weitgehenden Abkommens mit der deutschen Großindustrie.
Auffällig war auch der Umstand, dass Großbritannien mit der Führung von Verhandlungen in Moskau zweitrangige Personen beauftragte, wohingegen zu den Verhandlungen mit Hitler Chamberlain selbst, und das mehrmals, von England nach Deutschland gereist war. Wichtig ist weiter die Feststellung, dass Sir William Strang, der von England zu Verhandlungen nach der UdSSR geschickt worden war, keine Vollmacht besaß, irgendein Abkommen mit der Sowjetunion zu unterzeichnen.
Da die Sowjetunion verlangte, dass zu konkreten Verhandlungen über Kampfmaßnahmen gegen einen eventuellen Aggressor übergegangen werde, mussten die Regierungen Englands und Frankreichs sich bereit erklären, Militärmissionen nach Moskau zu entsenden. Diese Missionen waren jedoch ungewöhnlich lange nach Moskau unterwegs, und als sie eintrafen, da zeigte es sich, dass sie aus zweitrangigen Personen bestanden, die überdies nicht die Vollmacht besaßen, irgendein Abkommen zu unterzeichnen. Unter diesen Umständen waren die militärischen Verhandlungen ebenso fruchtlos wie die politischen. Die Militärmissionen der Westmächte gaben sofort zu erkennen, dass sie nicht gewillt waren, ernsthaft über Mittel und Wege eines gegenseitigen Beistands im Falle einer deutschen Aggression zu sprechen. Die sowjetische Militärmission ging davon aus, dass die UdSSR, da sie keine gemeinsame Grenze mit Deutschland besaß, England, Frankreich und Polen im Falle eines Kriegsausbruchs nur unter der Voraussetzung beistehen könne, dass den Sowjettruppen der Durchmarsch durch polnisches Territorium gestattet werde. Die polnische Regierung erklärte jedoch, sie werde eine militärische Hilfe der Sowjetunion nicht annehmen, und zeigte damit, dass sie eine Stärkung der Sowjetunion mehr fürchtete als die Hitleraggression. Polens Stellungnahme wurde sowohl von der englischen als auch von der französischen Mission unterstützt.
Im Verlauf der militärischen Unterhandlungen wurde ferner die Frage der zahlenmäßigen Stärke der Streitkräfte aufgeworfen, die von den Paktteilnehmern im Falle einer Aggression sofort eingesetzt werden sollten. Die Engländer nannten hierbei eine lächerliche Zahl: sie erklärten, dass sie fünf Infanteriedivisionen und eine mechanisierte Division ins Feld stellen könnten. Und diesen Vorschlag machten die Engländer in einem Augenblick, wo die Sowjetunion sich bereit erklärte, an der Front gegen den Aggressor 136 Divisionen, 5000 mittlere und schwere Geschütze, an die 10 000 Panzer und Kleinkampfwagen, mehr als 5000 Kampfflugzeuge usw. einzusetzen! Hieraus ersieht man, wie wenig die englische Regierung die Verhandlungen über den Abschluss eines militärischen Abkommens mit der UdSSR ernst nahm.
Die vorstehenden Angaben genügen, um die Schlussfolgerungen zu bestätigen, die sich von selbst ergeben. Sie lauten:
Die Sowjetregierung war während der ganzen Verhandlungen mit außerordentlicher Geduld bemüht, ein Übereinkommen mit England und Frankreich über gegenseitigen Beistand gegen den Aggressor auf Grundlage der Gleichberechtigung zustande zu bringen, und zwar unter der Bedingung, dass der gegenseitige Beistand wirklich effektiv sei, das heißt, dass neben einem politischen Vertrag eine Militärkonvention unterzeichnet werde, in der die Ausmaße, Formen und Fristen des Beistands festgelegt werden, weil der gesamte vorherige Gang der Ereignisse genügend klar gezeigt hatte, dass nur ein solches Abkommen effektiv sein könnte und geeignet wäre, den hitlerfaschistischen Aggressor, der durch seine völlige Straflosigkeit und durch die Vorschubleistung der Westmächte viele Jahre lang verwöhnt worden war, zur Vernunft zu bringen;
die Haltung Englands und Frankreichs während der Verhandlungen mit der Sowjetunion bestätigte restlos, dass sie an ein ernstes Abkommen mit der UdSSR gar nicht dachten, da die Politik Englands und Frankreichs durch andere Ziele bestimmt war, die mit den Interessen des Friedens und des Kampfes gegen Aggression nichts gemein hatten;
die heimtückische Absicht der englisch-französischen Politik bestand darin, Hitler zu verstehen zu geben, die UdSSR habe keine Verbündeten, die UdSSR sei isoliert, Hitler könne die UdSSR überfallen, ohne zu riskieren, bei England und Frankreich auf Widerstand zu stoßen.
Unter diesen Umständen ist es nicht verwunderlich, dass die britisch-französisch-sowjetischen Verhandlungen mit einem Fiasko endeten. Dieses Fiasko war natürlich kein Zufall. Es wurde immer offensichtlicher, dass die Vertreter der Westmächte in ihrem Doppelspiel von vornherein das Scheitern der Verhandlungen beabsichtigt hatten. Die Sache war die, dass neben den offen geführten Verhandlungen mit der UdSSR die Engländer hinter den Kulissen Verhandlungen mit Deutschland pflogen und diesen Verhandlungen unvergleichlich größere Bedeutung beimaßen.
Während die regierenden Kreise der Westmächte mit ihren Verhandlungen in Moskau vor allem danach strebten, die Öffentlichkeit ihrer Länder in Sicherheit zu wiegen und die Völker, die in den Krieg geschleift wurden, zu täuschen, waren die Verhandlungen mit den Hitlerfaschisten ganz anders geartet.
Das Programm der englisch-deutschen Verhandlungen war hinreichend klar formuliert worden durch den britischen Außenminister Halifax, der zu einer Zeit, wo seine Beamten die Verhandlungen in Moskau fortsetzten, an Hitlerdeutschland unzweideutige Aufforderungen richtete. Am 29. Juni 1939, in seiner Rede auf einem Bankett im Royal Institute of International Affairs, sprach Halifax die Bereitschaft aus, sich mit Deutschland über alle Fragen, „die heutzutage der Welt Besorgnis einflößten“, zu verständigen. Er sagte:
„In einer solchen neuen Atmosphäre könnten wir das Kolonialproblem, die Frage der Rohstoffe, der Handelsschranken, die Bereitstellung von ‚Lebensraum‘, die Einschränkung der Rüstungen und viele andere die Europäer betreffenden Streitfragen erörtern.“[37]
Erinnert man sich, wie die Halifax nahestehende konservative „Daily Mail“ schon 1933 das Problem des „Lebensraums“ behandelt hatte, als sie den Hitlerfaschisten vorschlug, der UdSSR „Lebensraum“ zu entreißen, so bleibt nicht der geringste Zweifel über den wirklichen Sinn der Halifaxschen Erklärung bestehen. Es war der offene Vorschlag an Hitlerdeutschland, sich über die Aufteilung der Welt und der Einflusssphären zu verständigen, der Vorschlag, alle Fragen ohne die Sowjetunion und hauptsächlich auf Kosten der Sowjetunion zu lösen. Noch im Juni 1939 begannen Vertreter Englands streng geheime Verhandlungen mit Deutschland, vertreten durch Wohlthat, den in London eingetroffenen Bevollmächtigten Hitlers für den Vierjahresplan; der britische Überseehandelsminister Hudson und der nächste Berater Chamberlains, G. Wilson, hatten mit ihm Unterredungen. Der Inhalt dieser Juniverhandlungen ist vorläufig noch in den Geheimfächern der diplomatischen Archive begraben. Im Juli jedoch machte Wohlthat in London einen neuen Besuch, und die Verhandlungen wurden wieder aufgenommen. Der Inhalt dieser zweiten Verhandlungsrunde ist jetzt bekannt aus den der Sowjetregierung zur Verfügung stehenden erbeuteten deutschen Dokumenten, die bald veröffentlicht werden sollen.
Hudson und Wilson machten Wohlthat und später auch dem deutschen Botschafter in London, Dirksen, den Vorschlag, geheime Verhandlungen über ein weitgehendes Abkommen einzuleiten, das auch Vereinbarungen über die Aufteilung der Einflusssphären in der ganzen Welt und über die Ausschaltung der Möglichkeit, sich „auf den gemeinschaftlichen Märkten totzukonkurrieren“, enthalten würde. Hierbei wurde vorgesehen, Deutschland den vorherrschenden Einfluss in Südosteuropa zuzugestehen. Dirksen teilte dem deutschen Auswärtigen Amt in seinem Bericht vom 21. Juni 1939 mit, dass von Wohlthat und Wilson erörterte Programm sich auf politische, militärische und wirtschaftliche Leitsätze erstrecke. Unter den politischen Fragen wurde neben einem Nichtangriffspakt auch einem Nichteinmischungspakt besondere Beachtung geschenkt, der die „Abgrenzung der Großräume der Hauptmächte, insbesondere also Englands und Deutschlands, in sich schließen solle“.[38]
Bei Besprechung der mit dem Abschluss dieser beiden Pakte zusammenhängenden Fragen versprachen die Vertreter Großbritanniens, ihre Regierung werde, falls diese Pakte unterzeichnet werden, die soeben Polen gewährten Garantien zurückziehen. Falls das englisch-deutsche Abkommen abgeschlossen werden sollte, seien die Engländer bereit, es den Deutschen zu überlassen, die Danziger Frage ebenso wie die Frage des Polnischen Korridors allein mit Polen zu entscheiden, und wollten sich verpflichten, in die Lösung dieser Frage nicht einzugreifen. Weiter bestätigte Wilson, wie aus den in Kürze zu veröffentlichenden Berichten Dirksens ebenfalls dokumentarisch hervorgeht, dass mit der englischen Garantiepolitik, falls die obengenannten Pakte zwischen England und Deutschland zum Abschluss kämen, faktisch Schluss gemacht werden würde. Dirksen bemerkte zu dieser Frage in seinem Bericht:
„Dann wäre Polen gewissermaßen mit Deutschland allein gelassen.“
Alles das bedeutete, dass die Machthaber Englands bereit waren, Polen von Hitler zerfleischen zu lassen, als auf dem Schriftstück mit den britischen Garantien für Polen die Tinte noch nicht getrocknet war.
Gleichzeitig wäre mit dem Abschluss des englisch-deutschen Abkommens das Ziel erreicht worden, das England und Frankreich sich gesteckt hatten, als sie Verhandlungen mit der Sowjetunion begannen, und es wäre noch leichter geworden, schnell einen Zusammenstoß zwischen Deutschland und der UdSSR herbeizuführen. Schließlich sollte das politische Abkommen zwischen England und Deutschland durch ein Wirtschaftsabkommen ergänzt werden, das eine geheime Abmachung über Kolonialfragen, die Verteilung der Rohstoffe, die Aufteilung der Märkte sowie eine große englische Anleihe für Deutschland enthalten sollte.
Den Machthabern Englands schwebte somit die lockende Aussicht vor, zu einem dauerhaften Abkommen mit Deutschland zu gelangen und die deutsche Aggression, wie man gern sagte, nach Osten zu „kanalisieren“, gegen Polen, das von ihnen soeben „Garantien“ erhalten hatte, und gegen die Sowjetunion.
Ist es danach verwunderlich, dass die Verleumder und Geschichtsfälscher diese Tatsachen sorgfältig verschweigen und zu unterschlagen suchen, Tatsachen, die von entscheidender Bedeutung für das Verständnis der Situation sind, in der somit der Krieg unausbleiblich wurde?
Zu dieser Zeit konnte nicht mehr daran gezweifelt werden, dass England und Frankreich nicht nur keine ernste Absicht hatten, irgendetwas zu unternehmen, um Hitlerdeutschland an der Entfesselung des Krieges zu hindern, sondern dass sie, im Gegenteil, alles taten, was in ihren Kräften stand, um durch geheime Verabredungen und Abmachungen und durch alle möglichen Provokationen Hitlerdeutschland auf die Sowjetunion zu hetzen.
Es wird keinem Falschmünzer gelingen, sei es in der Geschichte, sei es im Bewusstsein der Völker, die entscheidende Tatsache zu verdunkeln, dass die Sowjetunion unter diesen Umständen die Wahl hatte:
entweder zum Zwecke des Selbstschutzes den von Deutschland vorgeschlagenen Abschluss eines Nichtangriffsvertrags anzunehmen und dadurch der Sowjetunion noch für eine bestimmte Zeit den Frieden zu sichern, der vom Sowjetstaat für eine bessere Vorbereitung seiner Kräfte zur Abwehr eines eventuellen Aggressorenüberfalls ausgenutzt werden konnte,
oder den von Deutschland vorgeschlagenen Nichtangriffspakt abzulehnen und es dadurch den Kriegsprovokateuren aus dem Lager der Westmächte zu ermöglichen, die Sowjetunion sofort, in einer für sie unvorteilhaften Situation, in der sie völlig isoliert gewesen wäre, in einen bewaffneten Konflikt mit Deutschland hineinzuhetzen.
In dieser Situation sah sich die Sowjetregierung gezwungen, ihre Wahl zu treffen und einen Nichtangriffspakt mit Deutschland abzuschließen. Diese Wahl war in der damals entstandenen Situation ein umsichtiger und kluger Schritt der sowjetischen Außenpolitik. Dieser Schritt der Sowjetregierung entschied von vornherein in hohem Maße über den für die Sowjetunion und alle anderen freiheitliebenden Völker günstigen Ausgang des zweiten Weltkrieges.
Es wäre eine grobe Verleumdung, wenn man behaupten wollte, dass der Abschluss eines Paktes mit den Hitlerfaschisten zum außenpolitischen Plan der UdSSR gehört hat. Im Gegenteil, die UdSSR war dauernd bestrebt gewesen, zu einem Abkommen mit den nichtaggressiven Weststaaten gegen die deutschen und italienischen Aggressoren zu gelangen, um auf der Grundlage der Gleichheit die kollektive Sicherheit zu verwirklichen. Ein Abkommen aber ist ein Akt der Gegenseitigkeit. Während die UdSSR ein Abkommen über die Bekämpfung der Aggression anstrebte, lehnten England und Frankreich ein solches systematisch ab, da sie es vorzogen, eine Politik der Isolierung der UdSSR, eine Politik der Konzessionen an die Aggressoren, eine Politik der Ablenkung der Aggression nach dem Osten, gegen die Sowjetunion, zu treiben. Die Vereinigten Staaten von Amerika unterließen es nicht nur, einer solchen verhängnisvollen Politik entgegenzuwirken, sondern ließen ihr, im Gegenteil, jede Unterstützung angedeihen. Was die amerikanischen Milliardäre anbelangt, so legten sie auch weiter ihre Kapitalien in der deutschen Schwerindustrie an, halfen den Deutschen bei der Entwicklung ihrer Rüstungsindustrie und bewaffneten somit die deutschen Aggressoren, als ob sie sagen wollten: „Führt nur getrost Krieg, ihr Herren Europäer, führt Krieg mit Gottes Hilfe, indessen wir bescheidenen amerikanischen Milliardäre an eurem Krieg verdienen und Hunderte Millionen Dollar Extraprofit einstecken.“
Man begreift, dass der Sowjetunion angesichts einer solchen Sachlage in Europa nur der eine Ausweg blieb, den von den Deutschen vorgeschlagenen Pakt zu akzeptieren. Dies war von allen denkbaren Auswegen immerhin der beste. Wie die Sowjetunion 1918 infolge der feindseligen Politik der Westmächte gezwungen war, mit den Deutschen den Frieden von Brest-Litowsk abzuschließen, so sah sich die Sowjetunion genauso diesmal, im Jahre 1939, zwanzig Jahre nach dem Brester Frieden gezwungen, angesichts der gleichen feindseligen Politik Englands und Frankreichs einen Pakt mit den Deutschen abzuschließen.
Das Gerede aller möglichen Verleumder, die UdSSR hätte es sich trotzdem nicht erlauben dürfen, auf einen Pakt mit den Deutschen einzugehen, kann nur als lächerlich bezeichnet werden. Weshalb durfte Polen, das England und Frankreich zu Verbündeten hatte, 1934 mit den Deutschen einen Nichtangriffspakt abschließen, während die Sowjetunion, die sich in einer weniger günstigen Lage befand, 1939 einen solchen Pakt nicht abschließen durfte? Weshalb durften England und Frankreich, die den herrschenden Machtfaktor in Europa darstellten, 1938 gemeinsam mit den Deutschen eine Nichtangriffsdeklaration unterzeichnen, während die Sowjetunion, die infolge der feindseligen Politik Englands und Frankreichs isoliert war, sich auf einen Pakt mit den Deutschen nicht einlassen durfte?
Ist es denn nicht Tatsache, dass die Sowjetunion unter allen nichtaggressiven Großmächten Europas die letzte war, die sich zu einem Pakt mit den Deutschen bereit erklärte?
Gewiss, Geschichtsfälscher und sonstige Reaktionäre sind unzufrieden damit, dass es der Sowjetunion gelang, den sowjetisch-deutschen Pakt geschickt zum Ausbau ihrer Landesverteidigung auszunutzen, dass es ihr gelang, ihre Grenzen weit nach Westen vorzuverlegen und dem unbehinderten Vormarsch der deutschen Aggressoren nach Osten den Weg zu versperren, dass die Hitlertruppen ihre Offensive nach Osten nicht von der Linie Narwa—Minsk—Kiew beginnen konnten, sondern von einer Hunderte Kilometer weiter westlich gelegenen Linie, dass die UdSSR im Vaterländischen Krieg nicht verblutete, sondern aus dem Kriege als Sieger hervorging. Aber diese Unzufriedenheit gehört bereits in das Kapitel der ohnmächtigen Wut gescheiterter Politiker. Die wutschnaubende Unzufriedenheit dieser Herren kann nur als eine Demonstration der unbestreitbaren Tatsache aufgefasst werden, dass die Politik der Sowjetunion eine richtige Politik war und bleibt.
IV. Die Schaffung der ,,Ost“-Front, der Überfall Deutschlands auf die UdSSR, die Antihitlerkoalition und die Frage der interalliierten Verpflichtungen
Als die Sowjetunion im August 1939 den sowjetisch-deutschen Nichtangriffspakt abschloss, zweifelte sie keinen Augenblick daran, dass Hitler über kurz oder lang die UdSSR überfallen werde. Diese Überzeugung erwuchs der Sowjetunion aus der politischen und militärischen Grundeinstellung der Hitlerfaschisten. Die praktische Tätigkeit der Hitlerregierung in der gesamten Vorkriegsperiode bestätigte diese Gewissheit.
Daher bestand die erste Aufgabe der Sowjetregierung darin, eine „Ostfront“ gegen die Hitleraggression zu schaffen, eine Verteidigungslinie an den westlichen Grenzen Bjelorußlands und der Ukraine anzulegen und auf diese Weise eine Barriere gegen den ungehinderten Vormarsch der deutschen Truppen nach dem Osten zu errichten. Zu diesem Zwecke war es notwendig, das westliche Bjelorußland und die westliche Ukraine, die von dem Polen der Barone 1920 annektiert worden waren, wieder mit Sowjetbjelorußland und der Sowjetukraine zu vereinigen und Sowjettruppen dorthin zu legen. Damit durfte nicht gezögert werden, denn die schlecht ausgerüsteten polnischen Truppen erwiesen sich als widerstandsunfähig, die polnische Armeeführung und die polnische Regierung befanden sich bereits auf der Flucht; und da die Hitlertruppen keinem ernsten Widerstand begegneten, hätten sie die bjelorussischen und ukrainischen Gebiete besetzen können, bevor noch die Sowjettruppen dort angelangt wären.
Am 17. September 1939 überschritten Sowjettruppen auf Befehl der Sowjetregierung die sowjetisch-polnische Vorkriegsgrenze, besetzten das westliche Bjelorußland und die westliche Ukraine und begannen dort mit dem Bau von Verteidigungsstellungen
längs der Westgrenze der ukrainischen und bjelorussischen Gebiete. Diese Linie war im Wesentlichen identisch mit der auf der Versailler Konferenz der Alliierten festgesetzten, in der Geschichte als „Curzonlinie“ bekannten Linie.
Einige Tage später schloss die Sowjetregierung gegenseitige Beistandspakte mit den baltischen Staaten. Es war vorgesehen, nach Estland, Lettland und Litauen Garnisonen der Sowjetarmee zu legen und in diesen Ländern sowjetische Flugplätze und Flottenstützpunkte zu schaffen.
Auf diese Weise wurde das Fundament der „Ost“-Front geschaffen.
Es war nicht schwer zu begreifen, dass die Schaffung der „Ost“-Front ein bedeutsamer Beitrag nicht nur zur Sicherung der UdSSR, sondern auch zu der gemeinsamen Sache der friedliebenden Staaten war, die gegen die Hitleraggression kämpften. Nichtsdestoweniger beantworteten die englisch-französisch-amerikanischen Kreise in ihrer überwiegenden Mehrheit diesen Schritt der Sowjetregierung, den sie als Aggression qualifizierten, mit einer wütenden Antisowjetkampagne. Es fanden sich allerdings auch Politiker, die genügend Scharfblick besaßen, um den Sinn der sowjetischen Politik zu begreifen und die Schaffung der „Ost“-Front als richtig anzuerkennen. Unter diesen steht an erster Stelle Herr Churchill, der damals noch Marineminister war. Am 1. Oktober 1939 erklärte dieser in einer Rundfunkrede nach verschiedenen unfreundlichen Ausfällen gegen die Sowjetunion:
„Dass die russischen Armeen auf dieser Linie stehen, ist für die Sicherheit Rußlands gegen die deutsche Gefahr absolut notwendig. Jedenfalls sind die Stellungen bezogen und die Ostfront ist geschaffen, die anzugreifen das nazistische Deutschland nicht wagt. Als Herr v. Ribbentrop in der vorigen Woche nach Moskau gerufen wurde, da geschah das, damit er von der Tatsache erfahre und Notiz nehme, dass den Absichten der Nazis auf die baltischen Staaten und die Ukraine ein Ende gesetzt werden muss.“
Während es an den westlichen Grenzen der UdSSR, in beträchtlicher Entfernung von Moskau, Minsk und Kiew, um die Sicherheit der UdSSR mehr oder minder befriedigend bestellt war, ließ sich von der Nordgrenze der UdSSR nicht das gleiche sagen. Hier standen, kaum 32 Kilometer von Leningrad entfernt, finnische Truppen, deren Offizierkorps in seiner Mehrheit auf Hitlerdeutschland orientiert war. Die Sowjetregierung wusste sehr wohl, dass die mit den Hitlerfaschisten eng verbundenen und in der finnischen Armee sehr einflussreichen faschistischen Elemente der führenden Kreise Finnlands danach trachteten, sich Leningrads zu bemächtigen. Man konnte es nicht als Zufall betrachten, dass Hitlers Generalstabschef Halder schon im Sommer 1939 nach Finnland reiste, um die Spitzen der finnischen Armee zu instruieren. Es war schwerlich daran zu zweifeln, dass die führenden Kreise Finnlands mit den Hitlerfaschisten verbündet waren und dass sie Finnland zu einem Aufmarschgebiet für den Überfall Hitlerdeutschlands auf die UdSSR machen wollten.
Kein Wunder deshalb, dass alle Versuche der UdSSR, sich mit der finnischen Regierung über eine Verbesserung der Beziehungen zwischen den beiden Ländern zu verständigen, erfolglos blieben. Die Regierung Finnlands lehnte alle freundschaftlichen Vorschläge der Sowjetregierung, durch die die Sicherheit der UdSSR, insbesondere Leningrads, gewährleistet werden sollte, einen nach dem anderen ab, obgleich die Sowjetunion sich bereit zeigte, Finnlands legitime Interessen zu berücksichtigen. Die finnische Regierung verwarf den Vorschlag der UdSSR, die finnische Grenze auf der Karelischen Landenge um einige Dutzend Kilometer zurückzuverlegen, obgleich die Sowjetregierung sich bereit erklärte, Finnland als Gegenleistung ein doppelt so großes Gebiet Sowjetkareliens abzutreten. Die finnische Regierung verwarf ferner den Vorschlag der UdSSR, einen gegenseitigen Beistandspakt abzuschließen, und zeigte damit, dass die Sicherheit der UdSSR von Seiten Finnlands nicht gewährleistet war.
Durch diese und ähnliche feindseligen Handlungen und durch Provokationen an der sowjetisch-finnischen Grenze entfesselte Finnland den Krieg mit der Sowjetunion. Die Resultate des sowjetisch-finnischen Kriegs sind bekannt. Die Grenzen der UdSSR im Nordwesten, insbesondere im Raum Leningrads, wurden vorverlegt, und die Sicherheit der UdSSR wurde gefestigt. Dies spielte eine wichtige Rolle bei der Verteidigung der Sowjetunion gegen die Hitleraggression, da Hitlerdeutschland und seine finnischen Helfershelfer ihre Offensive im Nordwesten der UdSSR nicht unmittelbar vor Leningrad starten konnten, sondern auf einer Linie beginnen mussten, die fast 150 Kilometer nordwestlich davon lag.
W. M. Molotow erklärte in seiner Rede auf der Tagung des Obersten Sowjets der UdSSR am 29. März 1940, dass
„die Sowjetunion, die die finnische Armee geschlagen hatte und die volle Möglichkeit besaß, ganz Finnland zu besetzen, dies nicht tat und keinerlei Kontribution als Entschädigung für ihre Kriegsausgaben verlangte, wie das jede andere Macht getan hätte, sondern ihre Wünsche auf ein Minimum beschränkte…Wir haben uns außer der Gewährleistung der Sicherheit Leningrads, der Stadt Murmansk und der Murmansker Eisenbahn keinerlei andere Ziele in dem Friedensvertrag gestellt.“
Bemerkt werden muss, dass die englisch-französischen Dirigenten des Völkerbundes, obgleich die regierenden Kreise Finnlands durch ihre gesamte Politik gegenüber der UdSSR Hitlerdeutschland in die Hände arbeiteten, sofort auf die Seite der finnischen Regierung traten, die UdSSR durch den Völkerbund zum „Aggressor“ erklären ließen und dadurch den von den finnischen Machthabern begonnenen Krieg gegen die Sowjetunion offen billigten und unterstützten. Der Völkerbund, der die Schmach auf sich geladen hatte, die japanischen, deutschen und italienischen Aggressoren begünstigt und angespornt zu haben, stimmte auf Befehl der englisch-französischen Machthaber gehorsam für eine gegen die Sowjetunion gerichtete Resolution, durch die die UdSSR demonstrativ aus dem Völkerbund „ausgeschlossen“ wurde.
Damit nicht genug, ließen England und Frankreich der finnischen Militärkamarilla in dem von den finnischen Reaktionären entfesselten Krieg gegen die Sowjetunion jede mögliche Unterstützung zuteilwerden. Die regierenden Kreise Englands und Frankreichs hörten nicht auf, die finnische Regierung zur Fortsetzung der Kriegshandlungen aufzuhetzen. Die englisch-französischen Machthaber belieferten Finnland systematisch mit Waffen und rüsteten energisch zur Entsendung einer 100.000 Mann starken Expeditionsarmee nach Finnland. In den drei Monaten, die seit dem Ausbruch des Krieges verstrichen waren, lieferte England, wie Chamberlain am 19. März 1940 im Unterhaus erklärte, Finnland 101 Flugzeuge, über 200 Geschütze, Hunderttausende Granaten, Fliegerbomben und Panzerabwehrminen. Gleichzeitig teilte Daladier der Deputiertenkammer mit, Frankreich habe Finnland 175 Flugzeuge, etwa 500 Geschütze, über 5000 Maschinengewehre, 1 Million Granaten und Handgranaten und verschiedene andere Kriegsmaterialien zukommen lassen.
Man kann die damaligen Pläne der britischen und der französischen Regierung nach einem Memorandum beurteilen, das die Engländer am 2. März 1940 den Schweden überreichten und worin es hieß:
„Die alliierten Regierungen erkennen, dass Finnlands militärische Lage verzweifelt wird. Nach sorgfältiger Erwägung aller Möglichkeiten sind sie zu dem Schluss gelangt, dass die Entsendung alliierter Truppen das einzige Mittel ist, Finnland effektive Hilfe zu leisten, und sie sind bereit, solche Truppen zu schicken, sobald Finnland darum ersucht.“[39]
Wie Chamberlain am 19. März 1940 im englischen Parlament erklärte, wurden damals
„die Vorbereitungen für die Expedition mit höchster Geschwindigkeit betrieben, und die Expeditionsarmee war Anfang März abfahrbereit… zwei Monate vor dem Termin, den Feldmarschall Mannerheim für ihre Ankunft angesetzt hatte.“
Chamberlain fügte hinzu, dass diese Truppen 100.000 Mann stark waren. Gleichzeitig bereitete auch die französische Regierung ein erstes Expeditionskorps in Stärke von 50.000 Mann vor, das über Narvik nach Finnland gesandt werden sollte. Und diese kriegerische Aktivität entfalteten die englisch-französischen Machthaber in dem Augenblick, als England und Frankreich an der Front gegen Hitlerdeutschland keinerlei Aktivität zeigten und dort der sogenannte „komische Krieg“ geführt wurde!
Die militärische Unterstützung Finnlands gegen die Sowjetunion war aber nur Teil eines weiterreichenden Plans der englisch-französischen Imperialisten. Das schon erwähnte „Weißbuch“ des schwedischen Außenministeriums enthält ein Dokument, das von dem schwedischen Außenminister Günther stammt. In diesem Dokument heißt es, „die Entsendung dieses Truppenkontingents gehörte zum Gesamtplan des Überfalls auf die Sowjetunion“ und dieser Plan „wird am 15. März gegen Baku und noch früher über Finnland in Aktion treten.“[40]
In seinem Buche „De Gaulle dictateur“ (Der Diktator de Gaulle) schrieb Kerillis über diesen Plan Folgendes:
„Entsprechend diesem Plan, dessen Grundzüge mir M. Paul Reynaud[41] in einem kurzen Brief, den ich aufbewahrt habe, entwickelte, würde ein motorisiertes Expeditionskorps, das über Norwegen in Finnland gelandet werden sollte, es bald zuwege gebracht haben, die desorganisierten Horden Rußlands über den Haufen zu werfen und auf Leningrad zu marschieren…“[42]
Dieser Plan wurde in Frankreich von de Gaulle und General Weygand ausgearbeitet, der damals die französischen Truppen in Syrien kommandierte und prahlerisch erklärte, er werde „mit einigen Verstärkungen und 200 Flugzeugen den Kaukasus besetzen und in Rußland eindringen wie das Messer in die Butter‘“.
Bekannt ist auch der von dem französischen General Gamelin 1940 ausgearbeitete Plan für Kriegshandlungen der Engländer und Franzosen gegen die UdSSR, worin auf Bombenangriffe gegen Baku und Batum besonderer Wert gelegt wurde. Die Vorbereitung der englisch-französischen Machthaber zum Überfall auf die UdSSR war in vollem Gange. In den Generalstäben Englands und Frankreichs wurde eifrig an Plänen für einen solchen Überfall gearbeitet. Diese Herren wollten, anstatt gegen Hitlerdeutschland Krieg zu führen, einen Krieg gegen die Sowjetunion vom Zaun brechen.
Diese Pläne sollten jedoch keine Verwirklichung finden. Finnland wurde zu diesem Zeitpunkt von den Sowjettruppen niedergeworfen und zur Kapitulation gezwungen, trotz aller Bemühungen Englands und Frankreichs, seine Kapitulation zu verhindern.
Am 12. März 1940 wurde der Friedensvertrag zwischen der Sowjetunion und Finnland unterzeichnet. Damit war die Sache der Landesverteidigung der UdSSR gegen die Hitleraggression auch im Norden, im Raum Leningrads, verbessert und die Verteidigungslinie um 150 Kilometer nordwärts Leningrads bis einschließlich Wiborg vorverlegt.
Aber das bedeutete noch nicht, dass die Bildung einer „Ost“-Front von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer bereits beendet war. Mit den baltischen Staaten waren Pakte abgeschlossen, aber dort befanden sich noch keine Sowjettruppen, die die Verteidigung übernehmen konnten. Das Moldaugebiet und die Bukowina wurden formell wieder mit der UdSSR vereinigt, aber auch dort standen noch keine Sowjettruppen, die die Verteidigung übernehmen konnten. Mitte Juni 1940 rückten Sowjettruppen in Estland, Lettland und Litauen ein. Am 27. Juni des gleichen Jahres hielten Sowjettruppen auch in der Bukowina und im Moldaugebiet, die Rumänien dem Sowjetland nach der Oktoberrevolution entrissen hatte, ihren Einzug.
Auf diese Weise wurde die Bildung der gegen die Hitleraggression gerichteten „Ost“-Front von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer vollendet.
Die führenden Kreise Englands und Frankreichs, die die UdSSR wegen der von ihr geschaffenen „Ost“-Front auch weiterhin als Aggressor beschimpften, schienen sich keine Rechenschaft darüber abzulegen, dass die Schaffung dieser „Ost“-Front einen einschneidenden Umschwung in der Entwicklung des Krieges gegen die Hitlertyrannei und zugunsten des Sieges der Demokratie bedeutete.
Sie begriffen nicht, dass es sich nicht um Beeinträchtigung oder Nichtbeeinträchtigung der nationalen Rechte Finnlands, Litauens, Lettlands, Estlands und Polens handelte, sondern darum, durch Organisierung des Sieges über die Hitlerfaschisten die Verwandlung dieser Länder in eine rechtlose Kolonie Hitlerdeutschlands zu verhindern.
Sie begriffen nicht, dass es sich darum handelte, dem Vormarsch der deutschen Truppen überall, wo das nur möglich war, Schranken zu setzen, starke Verteidigungsstellungen anzulegen und dann zum Gegenangriff überzugehen, die Hitlertruppen zu schlagen und dadurch diesen Ländern eine freie Entwicklung zu ermöglichen.
Sie begriffen nicht, dass es andere Wege zum Sieg über die Hitleraggression nicht gab.
Handelte die englische Regierung richtig, als sie während des Krieges ihre Truppen nach Ägypten schickte, obwohl die Ägypter protestierten und manche Elemente in Ägypten sogar Widerstand leisteten? Sie handelte unbedingt richtig! Dies war ein höchst wichtiges Mittel, um der Hitleraggression den Weg nach dem Suezkanal zu verlegen, Ägypten vor Anschlägen Hitlers zu schützen, den Sieg über Hitler zu organisieren und damit zu verhindern, dass Ägypten eine Hitlerkolonie wurde. Nur Feinde der Demokratie oder Verrückte können behaupten, dass diese Handlungen der englischen Regierung in diesem Falle eine Aggression darstellten.
Handelte die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika richtig, als sie ihre Truppen in Casablanca landen ließ, obwohl die Marokkaner protestierten und die Petainregierung in Frankreich, deren Gewalt sich auch auf Marokko erstreckte, direkten militärischen Widerstand leistete? Sie handelte unbedingt richtig! Dies war ein überaus wichtiges Mittel, einen Widerstandsstützpunkt gegen die deutsche Aggression in unmittelbarer Nähe Westeuropas zu schaffen, den Sieg über die Hitlerwehrmacht zu organisieren und damit die Voraussetzung für die Befreiung Frankreichs von dem hitlerfaschistischen Kolonialjoch zu schaffen. Nur Feinde der Demokratie oder Verrückte konnten diese Handlungen der amerikanischen Truppen als Aggression bezeichnen.
Das Gleiche muss von den Handlungen der Sowjetregierung gesagt werden, die bis Sommer 1940 die „Ost“-Front gegen die Hitleraggression organisierte und ihre Truppen möglichst weit nach Westen von Leningrad, Moskau und Kiew verlegte. Dies war das einzige Mittel, dem ungehinderten Vormarsch der deutschen
Truppen nach dem Osten den Weg zu verlegen, starke Verteidigungsstellungen zu schaffen und dann zum Gegenangriff überzugehen, um gemeinsam mit den Verbündeten die Hitlerwehrmacht zu schlagen und damit zu verhindern, dass die friedliebenden Länder Europas, darunter Finnland, Estland, Lettland, Litauen und Polen, zu Hitlerkolonien wurden. Nur Feinde der Demokratie oder Verrückte konnten diese Handlungen der Sowjetregierung als Aggression qualifizieren.
Daraus folgt jedoch, dass Chamberlain, Daladier und ihre Umgebung, die diese Politik der Sowjetregierung als Aggression qualifizierten und den Ausschluss der Sowjetunion aus dem Völkerbund bewirkten, wie Feinde der Demokratie bzw. wie Verrückte handelten.
Daraus folgt ferner, dass die jetzigen Verleumder und Geschichtsfälscher, die in Gemeinschaften mit den Herren Bevin und Bidault ihr Wesen treiben und die Schaffung der „Ostfront“-Verteidigungslinie gegen Hitler als Aggression qualifizieren, ebenfalls wie Feinde der Demokratie bzw. wie Verrückte handeln.
Was wäre geschehen, wenn die UdSSR nicht schon vor dem Überfall Deutschlands, weit westlich von den alten Grenzen der UdSSR, eine Verteidigungslinie geschaffen hätte, wenn diese Front nicht auf der Linie Wiborg-Kaunas-Bialystok-Brest-Litowsk-Lwow verlaufen wäre, sondern längs der alten Grenze Leningrad-Narva-Minsk-Kiew?
Das hätte der Hitlerwehrmacht die Möglichkeit gegeben, Hunderte Kilometer Raum zu gewinnen und die deutsche Front um 200 bis 300 Kilometer Leningrad, Moskau, Minsk und Kiew näher zu rücken, es hätte den Vormarsch der Deutschen in das Innere der UdSSR bedeutend beschleunigt, den Fall Kiews und der Ukraine schneller herbeigeführt, die Besetzung Moskaus durch die Deutschen zur Folge gehabt, zur Besetzung Leningrads durch die vereinten Kräfte der Deutschen und der Finnen geführt und die UdSSR gezwungen, zu einer langwierigen Verteidigung überzugehen, sodass die Deutschen die Möglichkeit erhalten hätten, im Osten etwa 50 Divisionen für eine Landung auf den britischen Inseln und zur Verstärkung der deutsch-italienischen Front im Raum Ägyptens freizubekommen. Es ist durchaus wahrscheinlich, dass die englische Regierung dann nach Kanada hätte evakuiert werden müssen und dass Ägypten und der Suezkanal unter Hitlers Herrschaft geraten wären. Aber das ist noch nicht alles. Die UdSSR wäre gezwungen gewesen, einen großen Teil ihrer Truppen von der mandschurischen Grenze an die „Ostfront“-Verteidigungslinie zu verlegen, um ihre Verteidigung zu verstärken, und dies hätte es den Japanern ermöglicht, in der Mandschurei an die 30 Divisionen freizubekommen und sie gegen China, gegen die Philippinen, gegen Südostasien überhaupt und schließlich gegen die amerikanischen Streitkräfte im Fernen Osten einzusetzen.
All das hätte dazu geführt, dass der Krieg mindestens zwei Jahre länger gedauert hätte und dass der Zweite Weltkrieg nicht 1945, sondern erst 1947 oder noch etwas später beendet worden wäre.
So war es um die Frage der „Ost“-Front bestellt.
Inzwischen nahmen die Ereignisse im Westen ihren Lauf. Im April 1940 besetzten die Deutschen Dänemark und Norwegen. Mitte Mai drangen die deutschen Truppen in Holland, Belgien und Luxemburg ein. Am 21. Mai stießen die Deutschen bis zum Ärmelkanal vor und riegelten die Alliierten in Flandern ab. Ende Mai räumten die englischen Truppen Dünkirchen, verließen Frankreich und begaben sich nach England. Mitte Juni fiel Paris. Am 22. Juni kapitulierte Frankreich vor Deutschland. Hitler hatte somit alle und jegliche gemeinsam mit Frankreich und England abgegebenen Nichtangriffsdeklarationen in den Staub getreten. Das war der völlige Bankrott der Befriedungspolitik, der Politik der Abkehr von kollektiver Sicherheit, der Politik der Isolierung der UdSSR.
Es war klargeworden, dass England und Frankreich durch die Isolierung der UdSSR die Einheitsfront der freiheitshebenden Länder zerschlagen hatten, schwächer geworden waren und nun selbst isoliert dastanden.
Am 1. März 1941 besetzten die Deutschen Bulgarien.
Am 5. April unterzeichnete die UdSSR einen Nichtangriffspakt mit Jugoslawien.
Am 22. Juni des gleichen Jahres überfiel Deutschland die UdSSR.
Italien, Rumänien, Ungarn und Finnland traten auf Seiten Deutschlands in den Krieg gegen die Sowjetunion ein.
Die Sowjetunion begann den Freiheitskrieg gegen Hitlerdeutschland.
Die verschiedenen Kreise Europas und Amerikas nahmen eine unterschiedliche Haltung zu diesem Ereignis ein.
Die von Hitler unterjochten Völker atmeten erleichtert auf, weil sie erkannten, dass Hitler sich zwischen zwei Fronten, der Westfront und der „Ostfront“, das Genick brechen werde.
Die regierenden Kreise Frankreichs waren schadenfroh und zweifelten nicht daran, dass „Rußland in kürzester Frist geschlagen werden“ würde.
Ein prominentes Mitglied des US-Senats, der jetzige US-Präsident Herr Truman, erklärte am Tage nach dem Überfall Deutschlands auf die UdSSR:
„Wenn wir sehen, dass Deutschland gewinnt, so sollten wir Rußland helfen, und wenn Rußland gewinnt, so sollten wir Deutschland helfen, sollen sie nur auf diese Weise möglichst viele totschlagen.“[43]
Eine ähnliche Erklärung gab 1941 in Großbritannien der damalige Minister für Flugzeugindustrie, Moore Brabazon, ab, der sich dahin äußerte, soweit Großbritannien in Betracht komme, wäre der beste Ausgang des Kampfes an der Ostfront die gegenseitige Erschöpfung Deutschlands und der UdSSR, wodurch England die Möglichkeit erhalten würde, die dominierende Stellung einzunehmen. Diese Äußerungen waren ohne Zweifel bezeichnend für die Stellungnahme der reaktionären Kreise der USA und Großbritanniens. Aber die ganz überwiegende Mehrheit der Völker Englands und Amerikas war für die UdSSR und forderte gemeinsame Sache mit der Sowjetunion zum erfolgreichen Kampf gegen Hitlerdeutschland. Als Ausdruck dieser Gesinnung ist die Erklärung des britischen Premierministers, Herrn Churchill, zu betrachten, der am 22. Juni 1941 erklärte:
„Die Gefahr für Rußland ist auch eine Gefahr für uns und für die Vereinigten Staaten, ebenso wie die Sache jedes Russen, der für Heim und Herd kämpft, die Sache der freien Menschen und der freien Völker in jedem Teil des Erdballs ist.“
Den gleichen Standpunkt gegenüber der UdSSR bezog die Regierung Roosevelts in den USA. Damit war der Grundstein gelegt für die englisch-sowjetisch-amerikanische Koalition gegen Hitlerdeutschland. Die Antihitlerkoalition steckte sich das Ziel, das Hitlerregime zu zerschlagen und die von Hitlerdeutschland unterjochten Völker zu befreien. Trotz der Verschiedenheit in der Ideologie und dem Wirtschaftssystem der einzelnen verbündeten Staaten wurde die englisch-sowjetisch-amerikanische Koalition zu einem mächtigen Bündnis der Völker, die ihre Kräfte im Befreiungskampf gegen den Hitlerfaschismus vereinigten. Natürlich gab es auch damals, während des Krieges, in einigen Fragen Meinungsverschiedenheiten zwischen den Verbündeten. Bekannt ist zum Beispiel, von welcher Bedeutung die Meinungsverschiedenheiten in so wichtigen Fragen waren wie die Eröffnung der zweiten Front, die Verpflichtungen der Verbündeten, die Frage ihrer moralischen Pflichten voreinander.
Die Geschichtsfälscher und alle möglichen Verleumder klammern sich an diese Meinungsverschiedenheiten, um entgegen sonnenklaren Tatsachen zu „beweisen“, dass die UdSSR im Kampf gegen die Hitleraggression kein treuer und aufrichtiger Verbündeter war noch sein konnte. Aber da der gemeinsame Kampf gegen Hitlerdeutschland und die Haltung der UdSSR in diesem Kampf keinerlei Unterlagen für eine solche Beschuldigung bieten, so wenden sie sich der Vergangenheit — der Vorkriegszeit — zu und behaupten, die Vertreter der Sowjetunion hätten sich 1940 bei den Berliner „Verhandlungen“ mit Hitler unehrenhaft und nicht wie Verbündete benommen. Sie versichern, bei den Berliner „Verhandlungen“ seien ruchlose „europäische Teilungspläne“, territoriale Ansprüche der Sowjetunion „südlich der Sowjetunion in Richtung Indischer Ozean“, „Pläne“ hinsichtlich der Türkei, Irans, Bulgariens und andere „Probleme“ zur Sprache gekommen und entschieden worden. Die Verleumder bedienen sich zu diesem Zweck der Berichte deutscher Botschafter und anderer Hitlerbeamter, aller möglichen Notizen und deutschen Entwürfe irgendwelcher „Protokolle“ und ähnlicher „Dokumente“.
Was aber ist in Wirklichkeit in Berlin vor sich gegangen? Es muss gesagt werden, dass die sogenannten „Berliner Verhandlungen“ von 1940 in Wirklichkeit nichts anderes waren als eine Antwortvisite W. M. Molotows auf die beiden Besuche Ribbentrops in Moskau. Die Unterhandlungen betrafen hauptsächlich die Beziehungen zwischen der Sowjetunion und Deutschland. Hitler bemühte sich, sie zur Grundlage eines weitreichenden Abkommens zwischen Deutschland und der Sowjetunion zu machen. Die Sowjetunion umgekehrt nutzte sie dazu aus, die Einstellung Deutschlands zu sondieren und auf den Zahn zu fühlen, ohne die Absicht zu haben, irgendein Abkommen mit den Deutschen zu schließen. In diesen Unterredungen meinte Hitler, die Sowjetunion sollte sich einen Ausgang nach dem Persischen Meerbusen verschaffen, indem sie Westiran und die iranischen Erdölfelder der Engländer an sich brächte. Er sagte ferner, Deutschland würde der Sowjetunion behilflich sein können, ihre Ansprüche an die Türkei zu regulieren, eine Korrektur des Meerengenvertrages von Montreux eingeschlossen, wobei er die Interessen Irans absolut ignorierte, die Interessen der Türkei dagegen angelegentlich verteidigte, offensichtlich weil er diese als seinen gegenwärtigen oder doch jedenfalls künftigen Verbündeten betrachtete. Was die Balkanländer und die Türkei anbelangt, so betrachtete Hitler diese als eine Einflusssphäre Deutschlands und Italiens.
Aus diesen Unterhaltungen zog die Sowjetregierung folgende Schlüsse: Deutschland legt keinen Wert auf Beziehungen zu Iran; Deutschland ist nicht mit England verbunden und hat auch nicht die Absicht, eine solche Bindung einzugehen — folglich kann die Sowjetunion an England einen verlässlichen Verbündeten gegen Hitlerdeutschland finden; die Balkanstaaten sind entweder bereits gekauft und in Satelliten Deutschlands verwandelt (Bulgarien, Rumänien, Ungarn) oder unterjocht, wie die Tschechoslowakei, oder aber sie stehen vor ihrer Unterjochung, wie Griechenland; Jugoslawien ist das einzige Balkanland, auf das man als künftigen Verbündeten des Antihitlerlagers rechnen kann; die Türkei ist entweder schon durch enge Bande mit Hitlerdeutschland verbunden oder hat doch die Absicht, eine solche Bindung einzugehen. Nach diesen nützlichen Schlussfolgerungen pflegte die Sowjetregierung keinerlei Unterredungen mehr über die dargelegten Fragen, obgleich Ribbentrop die Sache wiederholt in Erinnerung brachte. Wie man sieht, sondierte die Sowjetregierung die Stellungnahme der Hitlerregierung, fühlte ihr auf den Zahn, ohne dass diese Schritte zu irgendeinem Abkommen führten oder führen konnten.
Ist es zulässig, dass friedliebende Staaten den Standpunkt eines Gegners in dieser Weise sondieren? Das ist unbedingt zulässig. Es ist sogar nicht nur zulässig, sondern zuweilen auch eine direkte politische Notwendigkeit. Notwendig ist nur, dass die Sondierung mit Wissen und Zustimmung der Verbündeten geschieht und dass die Resultate der Sondierung den Verbündeten mitgeteilt werden. Die Sowjetunion hatte damals jedoch keine Verbündeten, sie war isoliert und deshalb leider nicht in der Lage, die Resultate der Sondierung den Verbündeten mitzuteilen.
Bemerkt werden muss, dass eine ähnliche, wenn auch anrüchige Sondierung des Standpunkts Hitlerdeutschlands von Vertretern Englands und der USA unternommen wurde, als der Krieg bereits im Gange war, als die Antihitlerkoalition, bestehend aus England, den Vereinigten Staaten von Amerika und der UdSSR, bereits geschlossen war. Das geht aus Dokumenten hervor, die von den Sowjettruppen in Deutschland erbeutet worden sind. Aus diesen Dokumenten ist zu ersehen, dass im Herbst 1941 sowie in den Jahren 1942 und 1943 in Lissabon und in der Schweiz hinter dem Rücken der UdSSR Verhandlungen zwischen Vertretern Englands und Deutschlands und später zwischen Vertretern der USA und Deutschlands über die Frage eines Friedensschlusses mit Deutschland gepflogen wurden.
In einem dieser Dokumente- einer Beilage zu einem Bericht Ernst Weizsäckers, Staatssekretär im deutschen Auswärtigen Amt- wird der Verlauf solcher Verhandlungen dargelegt, die in Lissabon im September 1941 gepflogen wurden. Aus diesem Dokument ersieht man, dass am 13. September ein Sohn Lord Beaverbrooks, Max Aitken, ein Offizier der englischen Armee, der später Mitglied des englischen Parlaments wurde, als Vertreter Englands mit dem Ungarn Gustav von Köver, der im Auftrag des deutschen Außenministeriums operierte, zusammentraf, wie aus einem Schreiben W. Krauels, des deutschen Generalkonsuls in Genf, an Weizsäcker hervorgeht.
Bei diesen Unterhandlungen stellte Aitken rundheraus die Frage:
„Wäre es nicht möglich, den bevorstehenden Winter und das Frühjahr dazu zu benutzen, um hinter den Kulissen die Möglichkeiten eines Friedens zu erörtern?“
ndere Dokumente sprechen von Verhandlungen zwischen Vertretern der Regierungen der USA und Deutschlands, die im Februar 1943 in der Schweiz stattfanden. Für die USA führte diese Verhandlungen der Sonderbeauftragte der USA-Regierung, Allen Dulles (der Bruder John Foster Dulles), der unter dem Decknamen „Bull“ figurierte und „unmittelbare Aufträge und Vollmachten des Weißen Hauses“ hatte. Sein Gesprächspartner von deutscher Seite war Fürst M. Hohenlohe, der den regierenden Kreisen Hitlerdeutschlands nahestand und unter dem falschen Namen „Pauls“ als Vertreter Hitlers fungierte. Das Dokument, worin diese Verhandlungen dargelegt sind, verwahrte der hitlerfaschistische Sicherheitsdienst (SD).
Wie aus diesem Dokument ersichtlich, wurden in der Unterredung wichtige Fragen berührt, die Österreich, die Tschechoslowakei, Polen, Rumänien, Ungarn und, was besonders wichtig ist, einen Friedensschluss mit Deutschland betrafen. A. Dulles (Bull) erklärte in dieser Unterredung:
„Nie wieder dürften Nationen wie Deutschland durch Not und Unrecht zu verzweifelten Experimenten und Heroismus getrieben werden. Der deutsche Staat müsste als Ordnungs- und Aufbaufaktor bestehen bleiben, eine Aufteilung desselben oder Loslösung Österreichs käme nicht in Frage.“
Hinsichtlich Polens erklärte Dulles (Bull),
„durch eine Vergrößerung Polens nach dem Osten hin und die Erhaltung Rumäniens und eines starken Ungarns einen sicheren Riegel gegen den Bolschewismus und den Panslawismus befürworten zu müssen.“[44]
Weiter wird in der Niederschrift dieser Unterredung bemerkt:
„Er (Bull) ging mehr oder weniger auf eine staatliche und industrielle europäische Großraumordnung ein und sah in einem föderativen Großdeutschland (ähnlich den USA) und mit einer an dieses angelehnten Donaukonföderation den besten Garanten für Ordnung und Aufbau in Zentral- und Osteuropa.“ [45]
Dulles (Bull) erklärte außerdem, er erkenne die Ansprüche der deutschen Industrie auf die führende Rolle in Europa vollauf an. Man kann nicht umhin, zu bemerken, dass die Engländer und die Amerikaner diese Sondierung ohne Wissen und Zustimmung ihres Verbündeten, der Sowjetunion, unternahmen und dass die Sowjetregierung nicht einmal nachträglich über die Resultate dieser Sondierung informiert wurde.
Das konnte bedeuten, dass die Regierungen der USA und Englands in diesem Fall versuchten, Verhandlungen mit Hitler über einen Separatfrieden anzubahnen. Es ist klar, dass eine solche Haltung der Regierungen Englands und der USA nur als Verstoß gegen die elementarsten Anforderungen an die Pflichten und Obliegenheiten von Verbündeten betrachtet werden kann.
Es ergibt sich also, dass die Geschichtsfälscher, die der UdSSR „Unaufrichtigkeit“ vorwerfen, hier ihre eigene Schuld anderen in die Schuhe zu schieben versuchen.
Es kann keinen Zweifel darüber geben, dass den Geschichtsfälschern und anderen Verleumdern diese Dokumente bekannt sind. Wenn sie nun diese Dokumente der öffentlichen Meinung vorenthalten und sich in ihrer Verleumdungskampagne gegen die UdSSR über sie ausschweigen, so geschieht das, weil sie die historische Wahrheit wie die Pest fürchten.
Was die Meinungsverschiedenheiten über die Eröffnung der zweiten Front anbelangt, so zeigte sich hier, wie verschieden die Verbündeten die Verpflichtungen auffassen, die ihnen aus ihren gegenseitigen Beziehungen erwachsen. Das Sowjetvolk ist der Meinung, dass man einem Verbündeten, wenn er in Not gerät, mit allen zu Gebote stehenden Mitteln beistehen muss, dass man den Verbündeten nicht als zeitweiligen Gefährten behandeln darf, sondern ihn als Freund behandeln, sich über seine Erfolge und sein Erstarken freuen muss. Die Vertreter der Engländer und Amerikaner teilen diese Meinung nicht, sondern halten eine solche Moral für eine Naivität. Sie gehen davon aus, dass ein starker Verbündeter gefährlich ist, dass ein Erstarken des Verbündeten nicht in ihrem Interesse liegt, dass man besser mit einem schwachen Verbündeten als mit einem starken zu tun hat, und dass man, wenn er dennoch erstarkt, Maßnahmen ergreifen muss, um ihn zu schwächen.
Jedermann weiß, dass die Engländer und die Amerikaner in dem englisch-sowjetischen Kommuniqué bzw. in dem sowjetisch-amerikanischen Kommuniqué vom Juni 1942 die Verpflichtung übernahmen, die zweite Front in Europa noch im Jahre 1942 zu eröffnen. Dies war ein feierliches Versprechen, wenn man will ein Schwur, der pünktlich eingehalten werden musste, um den Truppen der Sowjetunion, die in der ersten Periode des Krieges die ganze Last der Abwehr des deutschen Faschismus zu tragen hatten, Erleichterung zu verschaffen. Bekannt ist aber auch, dass dieses Versprechen weder 1942 noch auch 1943 eingelöst wurde, obgleich die Sowjetregierung wiederholt erklärte, die Sowjetunion könne sich mit einem Aufschub der zweiten Front nicht abfinden.
Die Politik des Aufschubs der zweiten Front war keinesfalls zufälliger Natur. Diese Politik wurde genährt durch die Bestrebungen der reaktionären Kreise Englands und der USA, die im Krieg mit Deutschland ihre eigenen, mit den Befreiungsaufgaben des Kampfes gegen den deutschen Faschismus nicht zu vereinbarenden Ziele verfolgten. Die völlige Zerschlagung des deutschen Faschismus gehörte nicht zu ihren Plänen. Sie waren daran interessiert, Deutschlands Macht zu untergraben, vor allem Deutschland als einen gefährlichen Konkurrenten auf dem Weltmarkt auszuschalten, wobei sie von ihren engstirnigen, eigennützigen Zielen ausgingen. Es gehörte dagegen durchaus nicht zu ihren Absichten, Deutschland und andere Länder von der Herrschaft der reaktionären Kräfte zu befreien, die ständige Träger der imperialistischen Aggression und des Faschismus sind, ebenso wie durchgreifende demokratische Umgestaltungen nicht zu ihren Absichten gehörten.
Gleichzeitig spekulierten sie auf eine Schwächung der UdSSR, sie hofften darauf, dass die UdSSR sich weißbluten, durch den zermürbenden Krieg für lange Zeit ihre Bedeutung als große und starke Macht einbüßen und nach dem Kriege von den USA und Großbritannien abhängig werden würde. Man begreift, dass die Sowjetunion eine derartige Haltung zu einem Verbündeten nicht als normal ansehen kann. Das gerade Gegenteil dieser Politik ist die von der UdSSR in den Beziehungen zu ihren Verbündeten befolgte Politik. Diese Politik zeichnet sich durch unverändert uneigennützige, konsequente und ehrliche Erfüllung der übernommenen Verpflichtungen und durch die Bereitschaft aus, seinem Verbündeten stets kameradschaftliche Hilfe zu erweisen. Die Sowjetunion hat im vergangenen Krieg Beispiele einer solchen echten Haltung gegenüber anderen Verbündeten, ihren Waffengefährten im Kampf gegen den gemeinsamen Feind, geliefert.
Hier ein Beweis.
Bekanntlich unternahmen die Hitlertruppen Ende Dezember 1944 an der Westfront, im Raum der Ardennen, eine Offensive, durchbrachen die Front und brachten die englisch-amerikanischen Truppen schwer in die Klemme. Nach der Behauptung der Alliierten wollten die Deutschen durch einen Schlag gegen Lüttich die erste amerikanische Armee zerschlagen, bis Antwerpen vorstoßen, die neunte amerikanische, die zweite britische und die erste kanadische Armee abschneiden und den Alliierten ein zweites Dünkirchen bereiten, um England zum Ausscheiden aus dem Krieg zu veranlassen.
In diesem Zusammenhang richtete W. Churchill am 6. Januar 1945 an J. W. Stalin ein Schreiben folgenden Inhalts:
„Die Schlacht im Westen ist sehr schwer, und vom Oberkommando können jederzeit weitreichende Entschlüsse verlangt werden. Sie selbst wissen aus Ihrer eigenen Erfahrung, wie sehr besorgniserregend die Lage ist, wenn man nach vorübergehendem Verlust der Initiative eine sehr breite Front zu verteidigen hat. Für General Eisenhower ist es sehr erwünscht und notwendig, in allgemeinen Zügen zu erfahren, was Sie zu tun gedenken, weil sich das naturgemäß auf alle seine und unsere wichtigsten Entscheidungen auswirken wird. Laut einer eingelaufenen Meldung befand sich unser Emissär, Hauptmarschall der Luftstreitkräfte Tedder, gestern Abend, durch die Witterungsverhältnisse aufgehalten, in Kairo. Seine Reise hat sich sehr verzögert, nicht durch Ihre Schuld. Wenn er noch nicht bei Ihnen eingetroffen ist, so wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie mir mitteilen könnten, ob wir im Januar auf eine große russische Offensive an der Weichselfront oder an irgendeiner anderen Stelle rechnen können, und ebenso beliebige andere Momente, die Sie möglicherweise zu erwähnen wünschen. Ich werde diese streng vertrauliche Information außer Feldmarschall Brooke und General Eisenhower niemand mitteilen, und auch das nur unter Einhaltung strengster Diskretion. Ich betrachte die Sache als dringend.“
Am 7. Januar 1945 ließ J. W. Stalin an W. Churchill folgende Antwort ergehen:
„Am 7. Januar abends erhielt ich Ihr Schreiben vom 6. Januar 1945.
Leider ist der Herr Hauptmarschall der Luftstreitkräfte Tedder noch nicht in Moskau eingetroffen.
Es ist sehr wichtig, die Überlegenheit unserer Artillerie und Luftstreitkräfte gegen die Deutschen auszunutzen. Nur ist hierfür klares Wetter für die Luftstreitkräfte und das Ausbleiben von Bodennebeln erforderlich, die das Zielfeuer der Artillerie stören. Wir bereiten eine Offensive vor, aber das Wetter ist für unsere Offensive augenblicklich ungünstig. In Anbetracht der Lage unserer Verbündeten an der Westfront hat das Hauptquartier des Oberkommandos jedoch beschlossen, die Vorbereitungen in forciertem Tempo zu beendigen und spätestens in der zweiten Januarhälfte ohne Rücksicht auf das Wetter an der gesamten Zentralfront großangelegte Offensivoperationen gegen die Deutschen zu beginnen. Sie brauchen nicht daran zu zweifeln, dass wir alles tun werden, was nur getan werden kann, um den wackeren Truppen unserer Verbündeten zu helfen.“
In seinem Antwortbrief an J. W. Stalin schrieb W. Churchill am 9. Januar:
„Ich bin Ihnen für Ihr ergreifendes Schreiben sehr verbunden. Ich habe es an General Eisenhower ausschließlich zu seiner persönlichen Kenntnisnahme weitergeleitet. Möge Ihr edles Beginnen von vollem Erfolg begleitet sein!“
In dem Wunsch, die Unterstützung der alliierten Truppen im Westen zu beschleunigen, beschloss das Oberkommando der Sowjettruppen, den Zeitpunkt der Offensive gegen die Deutschen an der sowjetisch-deutschen Front vom 20. Januar auf den 12. Januar vorzuverlegen. Am 12. Januar begann an der breiten Front von der Ostsee bis zu den Karpaten eine große Offensive der Sowjettruppen. Es wurden 150 Sowjetdivisionen mit gewaltigen Mengen Artillerie und Flugzeugen in Bewegung gesetzt, die die deutsche Front durchbrachen und die deutschen Truppen Hunderte Kilometer zurückwarfen. Am 12. Januar stellten die deutschen Truppen an der Westfront, darunter die fünfte und sechste Panzerarmee, die zu einem neuen Vorstoß antreten sollten, ihre Offensive ein; sie wurden im Laufe von 5-6 Tagen von der Front zurückgenommen und nach dem Osten, gegen die angreifenden Sowjettruppen, geworfen. Die Offensive der deutschen Truppen im Westen war zum Scheitern gebracht.
Am 17. Januar 1945 schrieb W. Churchill an J. W. Stalin:
„Ich bin Ihnen sehr verbunden für Ihr Schreiben und außerordentlich froh, dass Luftmarschall Tedder auf Sie einen so günstigen Eindruck gemacht hat. Im Namen der Regierung Seiner Majestät und aus tiefstem eigenen Herzen möchte ich Ihnen unseren Dank und unsere Glückwünsche aussprechen anlässlich der gigantischen Offensive, die Sie an der Ostfront begonnen haben. Ihnen ist jetzt zweifellos bekannt, welche Pläne General Eisenhower verfolgt und in welchem Maße ihre Verwirklichung durch die Störungsoffensive Rundstedts aufgehalten wurde. Ich bin gewiss, dass die Kämpfe an unserer ganzen Front ununterbrochen weitergehen werden. Die britische 21. Heeresgruppe unter dem Befehl Feldmarschall Montgomerys ist heute im Raum südlich Roermond zum Angriff angetreten.“
In dem an die Sowjettruppen gerichteten Befehl J. W. Stalins vom Februar 1945 heißt es über diese Offensive der Sowjettruppen:
„Im Januar dieses Jahres hat die Rote Armee an der ganzen Front von der Ostsee bis zu den Karpaten auf den Feind einen Schlag von beispielloser Wucht niedersausen lassen. An einer 1200 Kilometer breiten Front zerbrach sie die starken Verteidigungsstellungen der Deutschen, an denen diese mehrere Jahre lang gearbeitet hatten. Im Verlauf ihrer Offensive warf die Rote Armee den Feind durch rasche und meisterhafte Operationen weit nach Westen zurück.
Die Erfolge unserer Winteroffensive haben vor allem dazu geführt, dass sie die Winteroffensive der Deutschen, die sich die Besetzung Belgiens und des Elsaß zum Ziel setzten, zum Scheitern gebracht und es den Armeen unserer Verbündeten ermöglicht haben, ihrerseits zur Offensive gegen die Deutschen überzugehen und damit ihre Offensivoperationen im Westen mit den Offensivoperationen der Roten Armee im Osten zu verbinden.“
So handelte J. W. Stalin.
So handeln wahre Verbündete im gemeinsamen Kampf.
Das sind die Tatsachen.
Natürlich heißen die Geschichtsfälscher und Verleumder eben deshalb Fälscher und Verleumder, weil sie vor den Tatsachen keinen Respekt haben. Sie ziehen es vor, mit Klatsch und Verleumdungen zu tun zu haben. Es besteht jedoch kein Grund, daran zu zweifeln, dass diese Herren schließlich doch gezwungen sein werden, die allgemein bekannte Wahrheit einzusehen, dass Klatschereien und Verleumdungen vergehen, Tatsachen aber bestehen.
SOWJETISCHES INFORMATIONSBÜRO
[1] Entschließung des Europäischen Parlaments vom 19. September 2019 zur Bedeutung des europäischen Geschichtsbewusstseins für die Zukunft Europas.
[2] Zitiert nach vorliegender Broschüre, Seite XXX.
[3] YouGov: „Who did the most to defeat the Nazis?“, April 2025.
[4] Thomas Fasbender: „Künftiger Außenminister Wadephul: ‘Russland wird immer ein Feind für uns bleiben’“, 28.04.2025, Berliner Zeitung.
[5] Zitiert nach Corwin D. Edwards, Economic and Political Aspects of International Cartels (Ökonomische und politische Aspekte der internationalen Kartelle), 1947.
[6] Richard Sasuly, „IG Farben “, Boni and Gaer, New York 1947, S. 80.
[7] Vergleiche Stock Exchange Year Book, London 1925; Who’s Who in America; Who’s Who in American Finance, Banking and Insurance; Moody’s Manual of Railroads and Corporation Securities; Poor’s Manual, 1924—1939.
[8] W. M. Molotow, Artikel und Reden 1935/1936, S. 176, russ.
[9] Ebenda, S. 177.
[10] J. Stalin, Fragen des Leninismus, Dietz Verlag, Berlin 1961, S. 687.
[11] Ebenda.
[12] Ebenda, S.690.
[13] A. Hitler, „Mein Kampf“, München 1936, S. 742.
[14] „Dokumente und Materialien aus der Vorgeschichte des zweiten Weltkrieges“, Bd. I, Moskau 1948, S.17/18.
[15] Gemeint sind Großbritannien, Frankreich, Deutschland und Italien.
[16] Ebenda, S. 18/19.
[17] Ebenda, S. 19/20.
[18] Ebenda, S. 23.
[19] Ebenda, S. 34/35.
[20] „Times“ vom 23. Februar 1938, S. 8.
[21] Vergleiche „Dokumente und Materialien aus der Vorgeschichte des zweiten Weltkrieges“, Bd. I.
[22] Ebenda, S. 53.
[23] Ebenda.
[24] „Iswestija“ vom 18. März 1938.
[25] Note des Foreign Office vom 24. März 1939.
[26] „Dokumente und Materialien aus der Vorgeschichte des zweiten Weltkrieges“, Bd. II, Moskau 1948, S. 31.
[27] Ebenda.
[28] Correspondence respecting Czechoslovakia (Korrespondenz betr. Die Tschechislowakei), September 1938, London 1938, cmd 5847, S. 8/9.
[29] J. Stalin, „Fragen des Leninismus“, S. 690.
[30] Ebenda, S. 687/688.
[31] Michael Sayers/Albert E. Kahn, „Die große Verschwörung“, Berlin 1949, S. 316/317.
[32] „Iswestija“ vom 20. März 1939.
[33] „Dokumente und Materialien aus der Vorgeschichte des zweiten Weltkrieges“, Bd. I, S. 291/292.
[34] „Dokumente und Materialien aus der Vorgeschichte des zweiten Weltkrieges“, Bd. II, S. 181.
[35] Siehe „Geschichte der Diplomatie“, Bd. III, Moskau 1947, S. 780.
[36] Siehe Michael Sayers/Albert E. Kahn „Die große Verschwörung“, S. 320/321.
[37] Halifax, E.F., „Speeches on Foreign Policy“ (Reden über Außenpolitik), London 1940, S. 296.
[38] „Dokumente und Materialien aus der Vorgeschichte des zweiten Weltkrieges“, Bd. II, S. 67.
[39] Note der britischen Gesandschaft vom 2. März 1940. Svenska Utrikes Departementets Vita Bok (Weißbuch des schwedischen Außenministeriums), Stockholm 1947, S. 120.
[40] „Aide-memoire Günthers vom 2. März 1940“, ebenda, S. 119.
[41] Damals Mitglied der französischen Regierung.
[42] Henri de Kerillis, „De Gaulle dictateur“, Montreal 1945, S. 363/364.
[43] „New York Times“ vom 24. Juni 1941.
[44] „Unterredung Pauls- Mr. Bull“, aus den deutschen Archivdokumenten.
[45] Ebenda.