Diskussionsbeitrag: Krieg in der Ukraine
Themen: Ukraine-Krieg

Wir haben verschiedene Aktive aus der Kommunistischen Bewegung und der Friedensbewegung angefragt, ihre Position zu unseren kürzlich veröffentlichen Thesen zum Ukraine-Krieg darzulegen. Welche Fehler, Probleme und Lücken sehen sie in den Thesen? Welche Punkte finden sie richtig und besonders wichtig?
Ein paar dieser Rückmeldungen werden wir stückweise veröffentlichen.
Gerne können auch weiterhin Beiträge mit einem Umfang von bis zu vier Seiten eingereicht werden unter: redaktion@kommunistische-organisation.de
Von Jürgen Wagner
Ihr könnt euch ja denken, dass ich euch in vielen Dingen/Einschätzungen zustimme. Versteht das also bitte als solidarische Kritik, wobei ich jetzt nicht alle Aspekte des Textes aufgreifen kann, sondern nur einige Dinge, bei denen es m.E. den größten Dissens gibt. Weshalb ich auch gleich mit einem der m.E. grundlegendsten Punkte beginnen möchte, nämlich der postulierten Alternativlosigkeit des russischen Angriffs.
1.) Alternativlosigkeit
Ihr selbst argumentiert da etwas uneindeutig, wenn ihr einmal mehrfach Sachen in Richtung vor dem Hintergrund „sah“ Russland keine Alternative etc. schreibt (zwischen etwas so „sehen“ und objektiv so sein, ist ja ein Unterschied), ihr andererseits aber dann doch deutlich insinuiert, dass ihr den Krieg für gerechtfertigt haltet („Angriff aber gerechtfertigt sein könnte“, S. 6).
Begründet wird das wesentlich über solche Behauptungen: „Die Ukraine wurde aufgrund ihrer geographischen Lage immer als das zentrale Aufmarschgebiet für einen konventionellen Krieg gegen Russland gesehen.“ (S. 22)
Das halte ich bei allem Verständnis für die aggressiven Schritte des Westens für gewagt. Selbst wenn eine ukrainische Offensive auf Donbas/Krim bevorstand (wofür, wie ihr ja richtigerweise schreibt, es zumindest Anzeichen gab), teile ich die Einschätzung nicht, dass die notgedrungen erfolgreich gewesen wäre. Und vor allem teile ich nicht die Einschätzung, dass dies für Russland zu einer Lage von existenzieller Bedrohung geführt hätte (eine Gegenmaßnahme wäre z. B. der Ausbau der Nuklearstreitkräfte gewesen) – und nur das kann, wenn überhaupt, einen Krieg rechtfertigen, dem Hunderttausende (natürlich nicht allein, aber doch wesentlich ausgelöst durch den russischen Angriff und damit auch von Russland primär zu verantworten) zum Opfer fielen. Klar gibt es außerdem westliche Destabilisierungsversuche, auf die ihr verweist. Gegen die sich zur Wehr zu setzen, bedurfte es aber nicht eines Angriffs auf die Ukraine.
Das führt mich zum nächsten Kritikpunkt:
2.) Angriffskrieg vs. Selbstbestimmung vs. Völkerrecht
Ihr meint, vom „völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands“ zu sprechen, spiele dem Imperialismus in die Hände – hmm, wenn etwas wahr ist, es zu verschweigen, nur weil andere, die mir nicht passen, das ebenso sagen, halte ich für keine tragfähige Strategie.
Ihr legt da außerdem m. E. ein extrem instrumentelles Verständnis des Völkerrechts an den Tag: Einmal verweist ihr darauf (m. E. falsch ausgelegt) auf ein „legitimes und völkerrechtlich verbrieftes Recht auf nationale Selbstbestimmung“ (S. 25) im Zusammenhang mit den sog. Volksrepubliken und bezieht euch damit klar auf das Völkerrecht und die Notwendigkeit dessen Einhaltung (auch wenn die Sache mit dem Selbstbestimmungsrecht vs. staatlichem Souveränitätsrecht m. E. nicht so klar ist, wie ihr das da seht).
Auf der anderen Seite aber haltet ihr es für falsch, den – aus meiner Sicht eindeutig völkerrechtswidrigen – Krieg als solchen zu bezeichnen.
Um die Aussage, ob ihr den Krieg selbst für völkerrechtswidrig haltet oder nicht, drückt ihr euch herum (ihr behandelt allenfalls implizit die Möglichkeit, es könne sich um einen Präventivkrieg gehandelt haben, was ich aber auch nicht haltbar finde). Haltet ihr den Krieg etwa für völkerrechtskonform?
Sich im einen Fall positiv auf das Völkerrecht zu beziehen, wenn es einem in den Kram passt, und das im anderen, wo dies nicht der Fall ist, einfach unter den Tisch fallen zu lassen bzw. dies sogar für kontraproduktiv zu erklären, finde ich schwierig.
So geht’s mir doch an einigen Stellen, dass ihr auf plausible Gegenargumente nicht eingeht bzw. sie ausblendet.
3. Ziele Russlands
Kategorisch schließt ihr aus, dass die Eroberung Kiews und die Einsetzung einer Marionettenregierung das russische Kriegsziel gewesen seien („Es gibt bis heute keine Anzeichen dafür, dass Russland mit dieser Operation eine gewaltsame Beherrschung und Ausbeutung des ukrainischen Staatsgebiets anstrebt.“ (S. 16).
Ich weiß, dass es dafür Argumente gibt, eindeutig lässt sich das so m. E. aber nicht sagen. Die These, der mit einigem Risiko und Verlusten behaftete Vormarsch auf Kiew sei ein reines Ablenkungsmanöver gewesen, halte ich ebenfalls kaum für plausibel.
Worum es euch dabei geht, ist ja eindeutig, jeden Verdacht im Keim zu ersticken, es könne sich beim russischen Angriff um eine imperialistische Aggression handeln.
Alles, was dafür spricht, wird mit m. E. wenig argumentativer Substanz abgebügelt, z. B. die anfänglichen Kriegsziele („Entwaffnung“, „Entnazifizierung“) oder dass sich die anfängliche Kriegsstrategie durchaus mit dem Ziel, die gesamte Ukraine erobern zu wollen, gedeckt haben könnte oder eben, dass es einflussreiche Personen in Russland gibt, die genau das befürworten. Das tut ihr mit einem wenig überzeugenden Satz unter Verweis auf eine objektive Sachlage ab, die ich nicht so eindeutig finde, dem sei halt nicht so („Anderslautende, großrussisch-chauvinistische Verlautbarungen bestimmter russischer Politiker und Denker sowie mögliche Entwicklungen in ferner Zukunft ändern an dieser aktuellen objektiven Sachlage nichts.“ (S. 21).
4. Cui bono
Wirklich gestolpert bin ich über den Satz: „Russlands Militäroperation im Interesse der Befreiung der Arbeiterklasse und unterdrückten Völker weltweit ist.“ (S. 19)
Ich bin aufgewachsen mit dem Satz „Arbeiter schießen nicht auf Arbeiter“, aber na ja.
5. USA und EU
Abschließend noch ein kleiner inhaltlicher Punkt, wenn ihr schreibt, ein „Bruch mit der NATO für Deutschland auf absehbare Zeit nicht möglich.“
So hätte ich lange auch argumentiert. Mit der – mutmaßlich dauerhaften – Übernahme der Republikaner durch die Tea Party und die deutlich anderen Kapitalfraktionen, die Trump und Konsorten unterstützen, scheint mir aber ein möglicher Bruch zumindest so plausibel wie noch nie zuvor. Wenn man sich z. B. ReArm-Europe genau anschaut, zielt das genau auf die Option, auch in offenen Konflikt zu den USA treten zu können.
Soweit mal ein paar Überlegungen meinerseits, hoffe, es ist nicht allzu wirr und ihr könnt was damit anfangen.