So viele frustrierte Jahresrückblicke waren in den letzten Tagen zu lesen. Es stimmt, dass in Deutschland 2023 ein Überbietungswettbewerb in reaktionärer Stimmungsmache stattgefunden hat. Aber ist das ein Grund für Pessimismus?
Unsere Herren und Damen Politiker haben schließlich kein souveränes Bild abgegeben. Was wir von ihnen zu hören bekamen, war ein Mix aus Durchhalteparolen, wütenden Drohgebärden und dazwischen primitiver Schönfärberei.
Da wäre doch folgendes positives Fazit angemessen: Sie stehen unter Druck. Und zwar so sehr, dass es quietscht! Zu optimistisch? Schauen wir auf ihre neuesten gesamtgesellschaftlichen Einschüchterungsversuche:
Nummer eins wäre sicherlich: „Wenn du gegen Krieg demonstrierst, bist du ein reaktionärer Putin-Troll!“
Erinnern wir uns an die ersten Monate nach Beginn von Russlands Militäreinsatz in der Ukraine. Welche Mühe wurde sich gegeben, das Narrativ des „völkerrechtswidrigen Angriffskrieges“ durchzusetzen. Grotesk für jeden, der bis dato gegen die faschistischen Schergen in der Ukraine, die Bombardierung des Donbass, die immer aggressivere Einkreisung Russlands und das Säbelrasseln der NATO-Scharfmacher auf die Straße gegangen war. Ja, die deutsche Zeitenwende-Propaganda konnte durchgesetzt werden, aber die unbedingte Anforderung, eine mögliche Protestbewegung zu unterbinden, hat auch seinen Preis gehabt: Das Verbieten von russischen Künstlern, genauso wie die Sprech- und Diskussionsverbote, mit denen das Thema belegt wurde, hat selbst so manchem aufrichtigen Bürgerlichen Zweifel kommen lassen.
Und dann kam schon der nächste Lackmustest. Die Al-Aqsa Flut vom 7. Oktober 2023. Sie wird als Sinnbild für die Verunmöglichung des imperialistischen Normalzustandes in die Geschichte eingehen. Sie hat nicht nur den palästinensischen Widerstand, sondern mit ihm auch den aktiven antiimperialistischen und antikolonialen Kampf zurück auf die Tagesordnung gebracht. Ein Frontalangriff auf die westliche Unterdrückerordnung, sodass sich erneut die gesamte deutsche Propagandamaschinerie aufstellen musste, um zum ideologischen Generalangriff überzugehen: „Wenn du gegen Völkermord demonstrierst, bist du Antisemit!“, lautete also der nächste Einschüchterungsversuch, der nötig geworden war – keine zwei Jahre später.
Weiterhin sind diejenigen, die etwas zu verlieren haben, eingeschüchtert durch das omnipräsente Stigma. Nur, je mehr das Wort „Antisemitismus“ bei gleichzeitiger Inhaltsleere im Dauergebrauch ist, desto mehr wird seine Wirkung schwinden. So sieht es doch sehr danach aus, dass es als Diffamierungsinstrument nicht mehr lange zu halten sein wird. Es könnte eine propagandistische Überdehnung geben, die die Steinmeiers und Baerbocks über ihre eigene Scheinheiligkeit stolpern lassen wird. Dass die Menschen sehen, dass die deutsche Regierung mit Kräften ein Kolonialverbrechen sondergleichen unterstützt, werden sie nicht verhindern können.
Wir sollten zur Kenntnis nehmen, dass dieser Staat schon jetzt die Reaktionen darauf nur mit Mühe und Not zu kontrollieren vermag – nämlich mit Zensur, polizeilichen Willkürmaßnahmen, Repressionsexempeln und einer gehörigen Portion Rassismus.
Die Palästinademos zeigen es wie unter dem Brennglas: Elementare Grundrechte wie Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit und Vereinigungsfreiheit, werden ausgehebelt durch Zensur (Verbot der Parole „From the river to the sea…“), Demonstrationsverbote (wegen „Gefährdung des öffentlichen Friedens“) und Vereinsverbote (u.a. gegen Samidoun). Das meiste davon geschieht in Verstoß gegen derzeit gültiges Recht und mittels schwächster inhaltlicher und juristischer Begründungen, die teilweise bereits zu bröckeln beginnen. Es ist eben Willkür – nur dass Willkür hier nicht Souveränität oder Stärke zu sein scheint. Und wenn jetzt die Bauern auf die Straße gehen, kommt die Medienmaschine ins Rollen, der „Unterwanderungs-Verdacht“ wird ausgebreitet und Tatsachen verdreht. „Maß und Mitte“ oder besser preußische Zurückhaltung, soll jede demokratische Regung ersticken.
Ziehen wir also ein paar Schlüsse:
Ja, offensichtlich werden die Zeiten rauer. Aber es ließe sich die Frage stellen, warum eine so gut trainierte Staatsmaschinerie wie die der BRD es nötig hat, erstens jede politische Massenbewegung so dringend zu unterdrücken und das zweitens mit der inzwischen beachtlichen Preisgabe des Scheins von Freiheit und Demokratie.
Es sind Risse entstanden in der freiheitlich-demokratischen Fassade der Bundesrepublik und es gab einige Enttäuschungen zu verzeichnen. Das heißt, sie täuschen jetzt keinen mehr – so wie etwa, dass die Grünen etwas für den Frieden übrighätten oder dass die LINKE eine Oppositionskraft sei. Und das ist mehr als eine Randnotiz. Es geht darum, dass die Zeitenwende, so reaktionär sie auch sein mag, an einigen Stellen für Klarheit sorgt, was den Klassenstandpunkt der etablierten politischen Kräfte und der Verhältnisse angeht. Wir haben es mit einer Krise des Westens zu tun, die Deutschland, als einen seiner zentralen Akteure, unter Druck setzt. Deutschland befindet sich auf Kriegskurs und hinter der reaktionären Zeitenwende steht die dringende Anforderung diesen Kurs gerade an der Heimatfront um jeden Preis durchzusetzen und vor allem den Krieg nicht zu verlieren.
Es bringt nichts, den ruhigeren Zeiten nachzuweinen. Eine Wagenknecht hat höchstens eine weitere (Ent-)Täuschung in diesem Sinne anzubieten. Hier muss nichts mit Vernunft und Seriosität gekittet werden. Stattdessen geht es jetzt darum, wie wir an den Rissen ansetzen, die im Herrschaftsgebäude im Entstehen sind. Zu fragen ist: Wie müssen wir uns aufstellen für die kommende Zeit, in der offensichtlich mit härteren Bandagen gekämpft werden wird, in der aber auch der Spielraum für Widerständigkeit und Aufklärung größer wird? Schon wieder zu optimistisch? Tatsächlich ist eines besorgniserregend: Die Linke, samt Gewerkschaften und Kommunisten tut sich schwer aus dem Quark zu kommen. Was linken Protest angeht, hat sich eine regelrechte Friedhofsruhe eingestellt. Stattdessen sind rechte Mobilisierungen schon seit längerer Zeit stärker und machen in der Regel die Schnitte. Es gilt angesichts dessen aber nicht in Torschlusspanik zu geraten. Dieser Zustand ist schließlich kein neuer. Vielmehr wird das Maß an Einbindung, Weichspülung, Entkernung, Integration, Verblödung und Rechtsabbiegen verschiedener Teile der Linken nur in ihrem Ausmaß deutlich.
Das ist in der Sache schlecht, aber es ist auch das Potential für Erneuerung, vor dem wir Anfang 2024 stehen, gerade wenn es sichtbar wird.
Nun kommt es darauf an, die neuen Spielregeln zu verstehen und die neuen Spielräume auszutesten. Die beste Nachricht dabei ist, dass uns die letzten Monate gezeigt haben, dass das geht! Wir haben gesehen, dass es sich lohnt zu kämpfen und dass es sich noch mehr lohnt standhaft zu bleiben. Dort wo wir in die Offensive gegangen sind, sei es durch juristische Klagen oder einfach dadurch, dass wir die Wahrheit ausgesprochen haben, wo Massen an Menschen gegen die westliche Kriegs- und Besatzungspolitik auf die Straße gingen, die vorher noch passiv waren, hat sich die Schwäche unseres Gegners gezeigt. Seine Einschüchterungen entpuppen sich als Schall und Rauch. Und es ist mit Nichten so, dass er sich alles erlauben könnte. Dort wo wir in die Offensive gegangen sind, haben wir Kraft und Mut geschöpft.
Wenn das kein Grund für Optimismus ist! Noch mag so mancher eingerostet sein durch die ruhigen Jahre. Aber können wir eine Erneuerung aus der Krise heraus erreichen, gerade wenn wir uns in die Kämpfe werfen. Wenn wir mutig sind, uns ausprobieren und neue Kampfmethoden aneignen, werden wir immer stärker werden.
Beginnen wir die deutsche Friedhofsruhe zu stören!