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Ein Koalitionsvertrag für den Krieg

Die zukünftige Regierung hat letzten Mittwoch mit dem neuen Koalitionsvertrag einen 146-seitigen Maßnahmenkatalog für die nächsten Jahre vorgelegt.1 Die politische Richtung ist klar: Aufrüstung nach innen, Kriegsvorbereitung nach außen. Wir haben die wichtigsten Vorhaben gesammelt und eingeordnet.

Geschenke fürs Kapital: „Deutschland ist zurück“2

Was ist geplant?

Die Koalition will Unternehmen subventionieren, deren Profite erhöhen und die Investitionsbedingungen im Sinne des Kapitals ausbauen. Dabei ist konkret die Einrichtung eines Deutschland-Fonds, der vom Bund mit zehn Milliarden, also aus Steuergeldern, bezuschusst wird, geplant. Außerdem werden ein Industriestrompreis sowie verschiedene Steuererleichterungen (Körperschafts- und Einkommenssteuer) für Unternehmen durchgesetzt.3 Diese erhalten außerdem durch die degressive Abschreibung von Investitionen große Steuergeschenke.4 Das Lieferkettengesetz, das Unternehmen formal zur arbeits- und menschenrechtlichen Nachverfolgung der beteiligten Lieferketten verpflichtete, wird abgeschafft.5 Das 500 Milliarden schwere Sondervermögen für eine kriegstüchtige Infrastruktur wurde noch durch den abgewählten Bundestag gepeitscht. Der Koalitionsvertrag sieht eine Reform der Schuldenbremse sowie eine Prüfung der Überführung von Sondervermögen in den regulären Haushalt vor.6

Was heißt das?

Im Vorfeld der Bundestagswahl waren alle der oben genannten Vorhaben von Unternehmen und Wirtschaftsverbänden propagiert worden. Der deutsche Imperialismus steckt in der Krise und setzt neben der militärischen Aufrüstung verstärkt auf Klassenkampf von oben. Der Staat will die deutschen Unternehmen und Monopole subventionieren und so wettbewerbsfähig halten, um seine Stellung als drittgrößte Volkswirtschaft nicht zu verlieren. Regularien, Preise und Steuern werden durch staatliche Maßnahmen gesenkt, um die Bedingungen für das Kapital noch profitabler zu gestalten. Alle Maßnahmen bedeuten eine Umverteilung des Nationaleinkommens, also eine Verteilung von unten nach oben.

Klassenkampf von oben: „Sanktionen müssen schneller, einfacher und unbürokratischer durchgesetzt werden“7

Was ist geplant?

Die Umverteilung soll über verschiedene Angriffe auf die Arbeiterklasse durchgeführt werden: Die neue Regierung will das Bürgergeld abschaffen und durch eine neue Grundsicherung mit Arbeitszwang ersetzen.8 Im Unterschied zum Bürgergeld sollen alle, die keine Arbeit aufnehmen, mit bis zu 100% sanktioniert werden. Außerdem soll eine Kommission zur Sozialstaatsreform eingesetzt werden, um den weiteren Abbau des Sozialstaates zu planen.9 Die tägliche Höchstarbeitszeit soll abgeschafft und in eine wöchentliche Maximalarbeitszeit umgewandelt werden, konkret heißt das Arbeitszeitverlängerung.10 Unternehmen, die Mehrarbeit ausbauen, bekommen staatliche Prämien.

Was heißt das?

Der Umbau des Bürgergeldes bedeutet Arbeitszwang. Zukünftig können Arbeitslose – noch leichter als bisher sowieso schon – durch das Druckmittel Komplettsanktionierung zu jeglicher Arbeit gezwungen werden. Der Staat kann seine Reservearmee damit so einsetzen, wie er und die Unternehmen es brauchen. Das ist gerade in Zeiten der Kriegsvorbereitung wichtig. Die Arbeitszeitverlängerung ist ein Frontalangriff auf eine der wichtigsten Errungenschaft im Kampf der Arbeiterbewegung, den Acht-Stunden-Tag. Für das Kapital bedeutet dies eine maximale Profitsteigerung. Die im Koalitionsvertrag genannten „Anreize für Mehrarbeit“ werden dabei von der Arbeiterklasse selbst, nämlich in Form von Steuerabgaben, gezahlt: Die Arbeiter zahlen also dafür, zukünftig länger arbeiten zu müssen. Die Arbeitszeitverlängerung läuft unter dem Label Freiwilligkeit. Dabei ist klar, dass diejenigen, die mehr arbeiten werden, entweder aufgrund der sinkenden Löhne oder durch Vorgaben der Unternehmen zur Mehrarbeit gezwungen sind. Darüber hinaus ist natürlich auch der Schritt zum formalen Zwang nicht weit.

Migration, Justiz und Repression: „Zeitenwende der Inneren Sicherheit“11

Was ist geplant?

Kurz vor den Koalitionsverhandlungen forderte der Chef des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) das individuelle Recht auf Asyl im Grundgesetz zu streichen.12 Soweit geht der Koalitionsvertrag zwar noch nicht, dennoch steuern die geplanten Vorhaben darauf zu. Die neue Regierung will Menschen nach Syrien und Afghanistan abschieben, sowie generell die Liste der „sicheren“ Herkunftsländer erweitern.13 Die Aufnahmen von Menschen aus dem West-Balkan soll ebenfalls reduziert werden, außerdem soll der Familiennachzug für subsidiär Schutzberechtigte ausgesetzt werden. Asylbewerber sollen zukünftig an den europäischen Grenzen noch gewaltsamer zurückgewiesen werden. Außerdem sollen die Durchführung von Asylverfahren in Drittstaaten geprüft werden, was wichtige Forderung der CDU war. Bei Straftaten, insbesondere bei Volksverhetzung oder antisemitisch motivierten“ Taten, soll der Aufenthaltsstatus entzogen werden. Außerdem wird geprüft, ob dies auch bei Verstößen gegen die „freiheitlich demokratische Grundordnung“ umgesetzt werden kann. Bei Abschiebung wird der bisher verpflichtende Rechtsbeistand abgeschafft, den Betroffenen wird also das Recht auf ein juristisches Vorgehen entzogen.14 Von Abschiebung Bedrohte sollen von der Polizei in Haft genommen werden.

Nicht nur in der Migration ist die Rede vom starken Staat: Die neue Regierung wird das „Spannungsverhältnis zwischen Innerer Sicherheit und Datenschutz neu austarieren“, wie es im Koalitionsvertrag heißt.15 Dabei sollen eine Speicherpflicht für IP-Adressen eingeführt, die Zusammenarbeit von Behörden und Verfassungsschutz verbessert sowie ein „modernes Bundespolizeigesetz“ auf den Weg gebracht werden.16 Es werden „Experimentiergesetze“ geschaffen, die jedoch nicht weiter ausgeführt sind.17 Der Tatbestand Volksverhetzung wird verschärft und bei mehrfacher Verurteilung deswegen soll das passive Wahlrecht entzogen werden. Sogenannte „Desinformation“sei nicht von der Meinungsfreiheit gedeckt und wird dementsprechend juristisch verfolgt.18 Im Sinne der deutschen Staatsräson wird gegen „Israelfeindlichkeit“ an Schulen und Hochschulen verstärkt vorgegangen19.

Was heißt das?

Es ist klar: Betroffen von der Verschärfung der Repressionen sind all diejenigen, die sich gegen den Kriegs- und Aufrüstungskurs stellen. Demonstranten gegen den israelischen Völkermord in Gaza sind Antisemiten und werden als solche juristisch verfolgt. Gegner des NATO-Krieges gegen Russland sind Volksverhetzer oder Verbreiter von Desinformation und sollen daher auf juristischem Weg mundtot gemacht werden – wenn nötig auch durch den Angriff auf ihre Grundrechte. Migranten dienen dabei als Versuchskaninchen, schließlich kann hier das existenzielle Recht auf Aufenthalt, entzogen werden. Als Legitimation der Grundrechtseinschränkung ziehen Medien und Politik Gewalttaten heran. Dabei geht es jedoch nicht um die alltägliche Gewalt – jeden Tag gibt es einen Mordversuche an Frauen. Auch dass in Duisburg Schulen geschlossen werden müssen, da Rechte mit „Säuberungen“ drohen, spielt keine Rolle. Es geht um die von Migranten begangenen Gewalttaten, aus denen Politik und Medien in den letzten Monaten eine Bedrohung der nationalen Sicherheit konstruierten. Der Koalitionsvertrag weitet das konstruierte Bedrohungsszenario nun auf alle, die sich dem Kriegs- und Ausbeutungskurs der BRD entgegenstellen, aus: „Was die Feinde der Demokratie angeht, gilt der Grundsatz „Null Toleranz“. Es ist die gesamtstaatliche und gesellschaftliche Verantwortung, jedweder Destabilisierung unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung entgegenzuwirken und dabei auch unsere Sicherheitsbehörden nicht allein zu lassen.“20 So macht man eine Gesellschaft kriegsfähig.

Aufrüstung und Kriegsvorbereitung: „Die größte und direkteste Bedrohung geht von Russland aus“21

Was ist geplant?

Die neue Koalition hat den Staffelstab der Kriegsvorbereitung gegen Russland übernommen – Zielmarke ist das Jahr 2030. Der Koalitionsvertrag umfasst viele konkrete Schritte, das Bekenntnis zur NATO, EU und Rolle als europäischer NATO-Pfeiler ist dabei allgemeiner Grundsatz. Priorität hat die Aufstellung der Brigade Litauen als „zentraler Beitrag an der NATO-Ostflanke“.22 Außerdem soll das Gesetz über den Militärischen Abschirmdienst (MAD) überarbeitet werden, was Boris Pistorius mit Hinblick auf eine Stationierung an den NATO-Außengrenzen folgendermaßen begründete23: Es geht um erweiterte und neue Befugnisse auch in Regionen, in denen wir bislang nicht waren.“24

Die neue Regierung will die langjährige Forderung führender Militärs umsetzen: die Einrichtung eines Nationalen Sicherheitsrates, der die politische Macht zukünftig noch stärker beim Kanzler konzentrieren soll.25 Die Rechtslage im „zivilen Verteidigungsfall“ soll geändert werden, um die Befugnisse für die Bundeswehr auszubauen.26 Dabei soll auch der Operationsplan Deutschland weiter umgesetzt werden. Die Regierung will noch im nächsten halben Jahr ein Bundeswehrplanungsgesetz verabschieden, das eine schnellere und höhere Aufrüstung der Bundeswehr gesetzlich regelt.27 Munition und andere Aufrüstungsgüter soll zukünftig verpflichtend vorbehalten werden, um die militärische Versorgung zu sichern. Die Nutzung von stillgelegten Werken der Autoindustrie für die Rüstungsproduktion soll staatlich geprüft werden.28 Lieferketten, Rohstoffbeziehungen und kritische Infrastruktur sollen „resilienter“ gestaltet sein, d. h. der Kontrolle des deutschen Staates unterliegen und diese so für den Kriegsfall sichern zu können.29 Das Aussetzen der Schuldenbremse in militärischen Fragen wurde noch durch den alten Bundestag im Eilverfahren beschlossen. Die Steigerung des Wehretats soll kontinuierlich und über mehrere Jahre hinweg erfolgen – Zahlen werden nicht genannt. Konkret benannt wird jedoch der Ausbau der Raumfahrt und Satelliteninfrastruktur für militärische Zwecke.30 Die Zusammenarbeit zwischen Forschung, Unternehmen und Bundeswehr soll ausgebaut und die Zivilklausel abgeschafft werden. Insgesamt wird die Bundeswehr noch prominenter im öffentlichen Raum vertreten sein, gerade an Schulen ist eine gesteigerte Präsenz geplant. Junge Erwachsene können zukünftig auch einen Freiwilligendienst Bevölkerungsschutz machen.31 Der Wehrdienst bleibt „zunächst (!) freiwillig“ und noch in diesem Jahr soll mit der Wehrerfassung und -überwachung begonnen werden.32

Neben der Aufrüstung wird auch die deutsche Expansionspolitik genauer bestimmt: Die EU-Osterweiterung wird fortgesetzt. Die sechs West-Balkan-Staaten sowie Moldau und die Ukraine sollen aufgenommen werden. Im Fall Georgiens unterstütze man die pro-europäische Opposition und strebe mit dieser an der Macht einen EU-Beitritt an.33 Störenfriede in der EU will man zukünftig das Stimmrecht entziehen, nämlich dann, wenn diese gegen die „Grundwerte der EU“ verstoßen. Generell will die nächste Bundesregierung das bisherige EU-Konsensverfahren abschaffen und durch ein Mehrheitsverfahren ersetzen.34 Die militärische Unterstützung der Ukraine soll nicht nur abgesichert, sondern sogar „gestärkt“ werden. Der NATO-Beitritt der Ukraine ist weiterhin Ziel. Neben Russland soll auch der Angriff auf andere Länder intensiviert werden: Der Einfluss des Irans in der Region soll zurückgedrängt werden, u. a. durch eine Verstärkung der Sanktionen und auch im „Indo-Pazifik“ wolle man weiterhin Präsenz gegenüber China zeigen.35

Was heißt das?

Die Maßnahmen sprechen weitestgehend für sich. Die neue Regierung will die Aufrüstung und Kriegsvorbereitung in den nächsten Jahren noch steigern. Umstritten in den Sondierungsgesprächen war dabei u. a. die Einführung der Wehrpflicht. Die SPD wollte verhindern, diese schon im Koalitionsvertrag festzuschreiben. Vermutlich hätte sie damit Probleme in der eigenen Partei und Wählerschaft bekommen; die Jusos sprachen sich beispielsweise vor Kurzem dagegen aus. Im Koalitionsvertrag hat man nun den leichteren Weg gewählt – nämlich eine schrittweise Einführung.

Die Aufrüstungs- und Expansionsmaßnahmen sprechen eine klare Sprache: Es geht darum, den direkten Krieg gegen Russland vorzubereiten. Dies zieht sich durch den gesamten Koalitionsvertrag und wird der rote Faden für die Politik der neuen Regierung sein. Umso wichtiger ist es, dass wir die geplanten Vorhaben kennen und dagegen mobilisieren.

1Der Koalitionsvertrag (KV) ist hier online abzurufen: https://www.spd.de/fileadmin/Dokumente/Koalitionsvertrag_2025.pdf Im Text werden für alle geplanten Maßnahmen die jeweiligen Seitenzahlen im Text verlinkt, damit diese noch einmal ausführlich nachgelesen werden können.

2KV, S. 56

3KV, S. 4 u. 28

4KV, S. 45

5KV, S. 60

6KV, S. 50 u. 54

7KV, S. 17

8KV, S. 16

9KV, S. 15

10KV, S. 18

11 KV, S. 82

12https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/migration-union-und-spd-debattieren-muss-das-asylrecht-geaendert-werden/100118850.html

13KV, S. 93 u. 95

14KV, S. 94

15KV, S. 82

16KV, S. 83

17KV, S. 59

18KV, S. 123

19KV, S. 72

20KV, S. 84

21KV, S. 125

22 KV, S. 130

23 KV, S. 132

24 https://www.jungewelt.de/artikel/497967.neuer-wehrdienst-pistorius-prescht-vor.html

25KV, S. 126

26KV, S. 84

27KV, S. 130

28 KV S. 8

29KV, S. 131

30KV, S. 71

31KV, 104

32KV, S. 130

33KV, S. 140

34KV, S. 126 u. 135

35 KV, S. 128 f.

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Podcast #51 – Sudan: Two Years of war, decades of struggle

We were talking with Shadia Abdel Moneim, representative of the Sudanese Communist Party. We shed light on the revolutionary movement in Sudan, that has been struggling for a political change since decades, with the Sudanese Communist Party at the forefront.

Autos zu Rüstung – Deutschlands Übergang zur Rüstungswirtschaft

VW will in die Rüstungsproduktion einsteigen, in Görlitz wurde ein Waggonbau-Werk auf Panzerproduktion umgestellt und die abgewählte Bundesregierung hat 500 Milliarden Euro für eine kriegstüchtige Infrastruktur bereitgestellt. Die Zeichen in Deutschland stehen auf Rüstungswirtschaft. Welche Entwicklungen sprechen dafür? Wie positionieren sich die Gewerkschaften und gibt es Protest an der Basis? Diesen Fragen geht Franzi Stein in ihrem Beitrag nach.