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Warum wir nicht schweigen dürfen

Nicht zum Verbot von „Palästina-Solidarität Duisburg“ und nicht zum Völkermord in Gaza.

Die Vereinigung Palästina-Solidarität Duisburg (PSDU) wurde am 16. Mai 2024 verboten. Das Verbot reiht sich in massive Einschränkungen der Grundrechte, wie Demonstrationsverbote, weitreichende Versammlungsauflagen und zahlreiche Hausdurchsuchungen ein. Das Verbot steht außerdem in einer Reihe mit den Verboten von Hamas und Samidoun in Deutschland. Diese Verbote wurden genutzt, um das aktuelle Verbot von PSDU zu begründen. Somit entsteht eine Kette von Verfügungen, um weitere Verbote durchzusetzen.

Schweigen ist keine Option

Das Verbot gegen PSDU darf nicht stillschweigend hingenommen und akzeptiert werden, denn das würde die Maßnahme erst voll zur Geltung bringen. Das Schweigen zu diesen Angriffen auf unsere Grundrechte ermöglicht es, weitere Verbote leichter durchführen zu können. Nach dem Verbot von Hamas und Samidoun war es bereits ein schwerwiegender Fehler von linken und demokratischen Kräften, diese Verbote weitgehend hinzunehmen.

Das Schweigen zu den Verboten erzeugt ein Gefühl der Angst und Ohnmacht. Viele Aktivisten fragen sich nun, wer als nächstes betroffen sein wird. Es entsteht der Eindruck, dass man dem Staat hilflos ausgeliefert sei.

Aber es sind Schritte gegen das Verbot möglich und diese müssen voll ausgeschöpft und öffentlich erklärt werden: Welche Optionen gibt es und wie stehen die Erfolgsaussichten? Das Handeln des Staates, aber auch die Einschätzungen unserer Bewegung dazu, müssen in die Öffentlichkeit gebracht werden. Es muss versucht werden, die Öffentlichkeit zu informieren, aufzuklären und zu mobilisieren. Denn die öffentliche Diskussion und Kritik selbst sind ein Teil der Verteidigung unserer Rechte.

Daher sollten auch alle Gruppen, Organisationen, Vereinigungen, Medien und Personen der linken und demokratischen Bewegung sich gegen das Verbot aussprechen und aktiv werden. Die Hoffnung oder Annahme, man bleibe vielleicht verschont, wenn man sich nicht zu den Verboten äußere, ist trügerisch: Die Grenze wird für alle enger gezogen, die Unsicherheit für alle ausgeweitet und die Angreifbarkeit aller gesteigert. Die Methode der „Kontaktschuld“ wird ohnehin angewendet – es sei denn man distanziert sich explizit von Gruppen und befördert damit das vom Staat gewünschte Ziel der Spaltung der Bewegung.

Auch wenn man nicht mit allen Inhalten eins zu eins übereinstimmt: Das Recht auf Meinungs-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit muss verteidigt werden.

Der juristische und politische Kampf sind nicht voneinander getrennt

Der Kampf gegen Verbote und Auflagen vor Gericht ist als Teil des politischen Kampfes zu verstehen, denn es geht um explizit politische Positionen, die kriminalisiert werden. Das bedeutet, dass die Verbote und die Auseinandersetzung darum vor Gericht ein politischer Kampf um Inhalte, wie den Völkermord in Gaza, den kolonialen Charakter der Besatzungsmacht oder die Rolle von Widerstand sind.

Darüber hinaus handelt es sich aber auch um Auseinandersetzungen darum, was der Staat eigentlich darf, wie demokratische Grundrechte definiert sind und wie sie in der Realität gerade behandelt werden. Diese Auseinandersetzung findet bereits statt: Viele Juristen befassen sich mit den Maßnahmen, Urteilen und Gesetzesentwürfen. Unsere Bewegung tut es aber viel zu wenig. Dabei wiegen unsere Argumente und Hintergründe schwer, denn sie entsprechen den Tatsachen. Wir müssen sie also verteidigen, ausführen, verbreiten und anbringen – vor Gericht genauso wie in der Öffentlichkeit.

Das Verbot drückt in gewissem Sinne aber auch eine Schwäche des deutschen Staates aus. Denn ein so stark repressives Mittel wie das Verbot einer Vereinigung nutzen zu müssen, bedeutet, dass der Staat es nicht schafft, mit „demokratischeren“ oder integrativen Maßnahmen die Unterstützung Palästinas zu unterbinden. PSDU hat Kundgebungen organisiert, Flyer verteilt, Diskussionen und Lesekreise organisiert. Es war keine Organisation für einen politischen Umsturz in Deutschland, die Gewalt als Mittel nutzt oder ähnliches. Es geht dem Staat darum, eine politische Position zu unterdrücken.

Zu den möglichen Hintergründen des Verbots

Ein möglicher Hintergrund für das Verbot könnte die Verabschiedung eines Gesetzes sein, das die Infragestellung des „Existenzrecht Israels“ unter Strafe stellen und das ideologische Konstrukt der „deutschen Staatsräson“ in Gesetzesform gießen soll. Die bisherigen Vorstöße sind verfassungswidrig und werden sogar vom Bundesjustizministeriums kritisiert, weil sie den verfassungsmäßigen Anforderungen an Gesetze nicht entsprechen, indem sie eine Meinung unter Strafe stellen.

Es handelt sich bei dieser Auseinandersetzung um eine den Charakter des Strafrechts und Rechtsstaats betreffende fundamentale Frage. Das Verbot von PSDU könnte der Versuch sein, nun Stimmung und Pseudo-Argumente für den Vorstoß zu erzeugen. Dabei spielt die IHRA-Definition von Antisemitismus eine große Rolle. Diese Definition führt zur Kriminalisierung von Positionen, die Israel als siedlerkoloniales Projekt, als Besatzungsmacht und als Apartheidsstaat ansehen, aber auch weniger weitreichende Kritiken werden kriminalisiert.

Ein entsprechendes Gesetz wurde vor kurzem in den USA verabschiedet, u. a. auch um die amerikanischen Studentenproteste besser kriminalisieren zu können. Damit geht auch eine gefährliche Verklärung von Antisemitismus einher: Aussagen und politische Standpunkte, die eindeutig nicht antisemitisch sind, werden als solche diffamiert und somit eine Relativierung, Umdeutung und Entkernung des Antisemitismus vorgenommen.

Ein Völkermord, über den in Deutschland geschwiegen werden soll

Ein weiterer Hintergrund des Verbots ist, alle Stimmen gegen den Völkermord in Gaza und besonders gegen die laufende Offensive in Rafah zum Schweigen zu bringen. Wir erleben einen ungeheuerlichen Vorgang: Während eine hochgerüstete Besatzungsmacht ein Gebiet mit hunderttausenden Flüchtlingen bombardiert, mit schweren Waffen vorrückt, tausende Zivilisten tötet und Krankenhäuser zerstört, wird von den deutschen Medien und der deutschen Regierung lediglich behauptet, man warne davor, eine „Großoffensive zu beginnen“. Über die tatsächlichen Vorgänge wird nicht oder nur verzerrt berichtet.

Mittlerweile überwiegt allerdings das verordnete Verschweigen. So wird versucht, ein ganzes Land (Deutschland) in Dunkelheit über eines der aktuell wichtigsten politischen Weltgeschehen zu lassen. Dieses Schweigen ist nicht zufällig. Der verbrecherische Charakter des brutalen Krieges gegen die Menschen in Gaza ist offensichtlich und die heuchlerischen Lügen der westlichen Regierungen ebenso. Sie sind in ihrer Brutalität, Verlogenheit und völliger Missachtung aller völkerrechtlichen Prinzipien ungeschminkt sichtbar. Daher sollen auch alle organisierten Zusammenhänge, die dem entgegenstehen, mit Repressionen zum Schweigen gebracht werden.

Wir haben Möglichkeiten – nutzen wir sie!

Wir müssen das staatliche Vorgehen, die Öffentlichkeit zu den Geschehnissen in Palästina und speziell in Rafah im Dunkeln zu lassen, sowie alle dem sich widersetzenden Stimmen auszugrenzen und zu kriminalisieren, gemeinsam durchbrechen.

Dazu haben wir Möglichkeiten. Denn die Diskrepanz und das zunehmende undemokratische Vorgehen der Regierung fällt immer mehr Menschen auf. Viele sehen, was passiert und was die deutsche Regierung und Medien betreiben. Die Proteste an den Universitäten und deren Unterstützung durch Dozenten in Berlin sind wichtige Beispiele dafür. Unmut und Kritik nehmen zu. Immer mehr Menschen sind solidarisch mit Palästina und stellen sich gegen den Völkermords Israels. Die Mehrheit ist gegen die militärische Unterstützung Israels durch Deutschland.

Wir müssen weiterhin aufklären und vermitteln, was aktuell in Gaza und in Rafah passiert. Wir müssen über die staatlichen Verbote sprechen und unsere Rechte auf Meinungs-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit verteidigen. Wir dürfen uns nicht einschüchtern lassen und müssen alle uns zu Verfügung stehenden demokratischen, juristischen Mittel ausschöpfen. Wir müssen die staatlichen Angriffe öffentlich machen und so der Öffentlichkeit vermitteln, was mit unseren Rechten passiert und Menschen gewinnen, die sich mit uns dagegen stellen.

Wir dürfen nicht schweigen.

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