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Wer gegen die Staatsräson verstößt, wird verboten!

Zur Begründung, Form und politischem Kontext des Verbots von Samidoun

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  • Samidoun wurde verboten, weil es eine Position vertreten hat, die der Regierung nicht gepasst hat
  • Das Verbot ist ein Akt der Exekutive und dient der vereinfachten Repression gegen Demos
  • Das Verbot basiert auf Lügen und soll Widerstand gegen Besatzung und Kolonialismus kriminalisieren und einschüchtern
  • Es ist ein Warnruf an alle Demokraten, sich gemeinsam gegen die Aussetzung demokratischer Grundrechte zu wehren

Das Bundesinnenministerium hat per Erlass ein Betätigungsverbot gegen die Hamas und ein Betätigungsverbot für Samidoun sowie ein Verbot von Samidoun Deutschland verhängt.

Zur Begründung des Verbots

Die Verbote basieren auf Lügen und unhaltbaren Behauptungen. Bundesinnenministerin Faeser (SPD) hatte behauptet: „Samidoun verbreitete als internationales Netzwerk unter dem Deckmantel einer ‚Solidaritätsorganisation‘ für Gefangene in verschiedenen Ländern israel- und judenfeindliche Propaganda.“[1] Samidoun ist nicht antisemitisch, hat nie judenfeindliche Propaganda betrieben und das steht auch völlig außer Zweifel. Die Bundesregierung kann ihre Behauptung auch nicht belegen und beweisen. Die Bundesregierung muss deshalb Aktionen und Positionen von Samidoun als antisemitisch umdefinieren und kann dies nur, indem sie eine Umdefinition von Antisemitismus vornimmt. Sie muss Jüdinnen und Juden mit dem zionistischen Besatzungsregime gleichsetzen und dann jede Kritik oder jeden Kampf gegen dieses Besatzungsregime als einen angeblichen Kampf gegen Juden umdefinieren, was nicht nur eine Lüge ist, sondern selbst antisemitisch ist.

Entpolitisierung und Verleumdung des gerechten Widerstands

Samidoun hatte eine Aktion, die die Operation des palästinensischen Widerstands vom 7. Oktober begrüßt, veröffentlicht. Bei dieser Aktion wurden Baklava an Passanten verteilt – eine übliche Geste, um eine erfolgreiche Aktion des Volkswiderstands zu begrüßen. Die Bundesregierung und die Medien in Deutschland behaupten, damit sei das Töten von Zivilisten gefeiert worden. Das ist eine Verdrehung der Tatsachen und eine Entpolitisierung. Es handelte sich um eine eindeutig politische Willensbekundung, die sich auf die Seite des palästinensischen Widerstands gegen Besatzung, Blockade und Vertreibung stellt.

Erstens hat das palästinensische Volk das Recht auf bewaffneten Widerstand gegen Besatzung, zweitens ist völlig unklar, wieviele Zivilisten umgekommen sind, wer davon als Zivilist betrachtet werden kann und durch welche Seite getötet wurde. Es gibt zahlreiche Berichte, die Anhaltspunkte dafür liefern, dass die israelische Armee für den Tod zahlreicher eigener Bürger verantwortlich ist, um zu verhindern, dass Gefangene genommen werden können. Bei vielen Berichten stellte sich außerdem schnell heraus, dass es sich schlicht und ergreifend um Kriegslügen handelt.[2]

Während die Bundesregierung ganz selbstverständlich tausende zivile Opfer durch die Bombardierungen eines Besatzungsregimes als Kollateralschäden akzeptiert, wird das für die Aktionen des Widerstands gegen dieses Regime nicht getan. Das ist aus Sicht des Klassenstandpunkts der Bundesregierung logisch und ersichtlich, denn für sie ist die Gewalt des Besatzers legitim und nicht die des Unterdrückten.

Wichtig ist zunächst, dass der politische Ausdruck, sich auf die Seite des Widerstands zu stellen und die unbestritten historisch bedeutsame Aktion zu begrüßen, nur mit böswilliger Absicht als Begrüßung der Tötung von Zivilisten umdefiniert werden kann.

Eine noch böswilligere und unhaltbarere Unterstellung der Bundesregierung ist, dass es sich dabei um Antisemitismus handeln würde. Erstens hat die Aktion des Widerstands nicht das Töten von Juden zum Ziel, sondern die militärische und politische Schwächung der Besatzungsmacht und ihrer bewaffneten Organe. Zweitens hat die Aktion, die Samidoun veröffentlicht hat, mit der Begrüßung der Operation vom 7. Oktober nicht die Tötung von Zivilisten und nicht die Tötung von Juden begrüßt, sondern einen erfolgreichen Aufstand gegen die andauernde Vertreibung der Palästinenser. Mit der Verdrehung der Tatsachen will die Bundesregierung nicht nur das Verbot legitimieren, sondern insgesamt alle Stimmen, die sich gegen Besatzung und Vertreibung richten, mit einer ungeheuerlichen Unterstellung zum Schweigen bringen und einschüchtern – der Unterstellung, man wolle Menschen töten, weil sie Juden sind.

Wer handelt im Sinne der Völkerverständigung?

Eine weitere absurde Behauptung ist, dass Samidoun sich gegen die Völkerverständigung wenden würde.[3] Das ist ein Begriff, der im Vereinsgesetz benannt wird, um ein Verbot eines Vereins legitimieren zu können – und das ist auch der einzige Grund, warum die Bundesregierung dies anführt. Denn politisch inhaltlich ist diese Behauptung absurd und das Gegenteil richtig. Samidoun ist eine internationale Organisation zur Unterstützung palästinensischer Gefangener. Wie kann ein Kampf gegen Besatzung, Vertreibung und politische Unterdrückung gegen die Völkerverständigung gerichtet sein? Das kann man nur behaupten, wenn man sich selbst auf die Seite des Besatzers und Vertreibers stellt und behauptet, seine Verbrechen seien legitim und jeder Kampf dagegen illegitim. Das mag die Position der deutschen Regierung sein – sie steht damit aber im vollen Gegensatz zum Völkerrecht, zu UN-Resolutionen und zu den einfachsten Tatsachen. Die Unterstützung eines Besatzungsregimes und seiner Verbrechen ist gegen die Völkerverständigung gerichtet, nicht der Kampf dagegen. Das Besatzungs- und Apartheidsregime, das als Instrument des US-Imperialismus dient, ist Ausgangspunkt ständiger Kriegsdrohung und Spannung in der Region – und genau dafür wurde es auch installiert. Der Kampf gegen dieses Regime ist ein Kampf für Völkerverständigung.

Eine weitere Behauptung des Verbots ist, dass Samidoun Gewalt zur Durchsetzung politischer Ziele rechtfertige.[4] Das ist zum einen eine Lüge, denn Samidoun hat nie dazu aufgerufen, in Deutschland seine Ziele mit Gewalt durchsetzen zu wollen. Dass es den bewaffneten Widerstand der Palästinenser gegen die Besatzungsmacht unterstützt, ist nicht nur völkerrechtlich gestützt – es ist die Unterstützung einer gerechtfertigten Gewalt des Besetzten gegen die Gewalt des Besatzers. Dessen Gewalt wiederum ist durch nichts zu rechtfertigen – das mag die Bundesregierung anders sehen und sich damit international isolieren, das ändert nichts daran, dass es keinerlei Rechtfertigung für die Gewalt eines Besatzungsregimes gibt, außer niedere Gründe.

Unabhängig davon ist es heuchlerisch und politisch verdummend, zu behaupten, Gewalt zur Durchsetzung politischer Ziele sei nie gerechtfertigt. Die NATO und die BRD benutzen permanent Gewalt zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele, die darüber hinaus nicht nur gegen Völkerrecht verstoßen, sondern einzig und allein den Macht- und Geldinteressen des deutschen Kapitals dienen. Gewalt ist normaler Bestandteil des Klassenkampfs und die Gewalt der Unterdrückten ist nicht nur notwendig und legitim, weil sie gerechten Interessen entspricht, sondern auch weil ihre Anwendung durch die Gewalt der Herrschenden aufgezwungen ist. Die Verleumdung und Anschuldigung, Gewalt nutzen zu wollen oder zu verherrlichen, wird von denjenigen aufgestellt, die permanent Gewalt anwenden und zwar um eigennützige und gegen die Mehrheit gerichtete Ziele zu erreichen.

Eine weitere falsche Behauptung ist, Samidoun sei ein Ableger der PFLP, die als Terrororganisation in der EU gelistet ist. Samidoun ist eine unabhängige Organisation, die strömungsübergreifend für Gefangene eintritt. Die Bundesregierung kann auch keinerlei Belege für ihre Behauptung anführen, deshalb greift sie zum willkürlichen Instrument des Vereinsverbots. Abgesehen davon ist auch die Kriminalisierung der PFLP zu kritisieren und abzulehnen.

„From the River to the Sea“

Das Verbot ist an einer Stelle besonders dreist. Es listet den Satz „Vom Fluss bis zum Meer“ einfach in der Liste der verbotenen Kennzeichen auf bzw. als eigene Aufzählung darunter. Die Bundesregierung versucht, über einen Erlass eine massive Einschränkung der Meinungsfreiheit durchzusetzen, die bisher von Gerichten in keinem einzigen Urteil vorgenommen wurde – trotz aller Versuche einiger Staatsanwaltschaften. In der Verfügung selbst wird keinerlei Begründung angeführt. Auch in der Verbotsverfügung gegen die Hamas wird diese Parole angeführt.

Dieser Verbotsversuch einer Parole ist in zweierlei Hinsicht lächerlich. Zum einen wird damit behauptet, die Parole sei ein Kennzeichen einer Organisation. Das ist absurd, weil es sich um eine Parole handelt, die von den verschiedensten Organisationen des palästinensischen Widerstands benutzt wird und die völlig unabhängig von Organisationen ein Ausdruck des Volkswiderstands der Palästinenser ist. Zum zweiten sagt diese Parole aus, dass es ein freies Palästina vom Jordanfluss bis zum Mittelmeer geben soll – ein Land ohne Besatzung, ohne Apartheid und ohne Siedler, ohne Landraub, ohne Unterdrückung und Vertreibung. Wenn das Besatzungsregime dafür steht, wie es offensichtlich die Bundesregierung selbst annimmt, dann ist es nur logisch im Sinne der Völkerverständigung, sich gegen dieses Regime zu wenden und seine Beseitigung zu fordern. Die Behauptung, diese Parole sei antisemitisch, ist eine infame Diffamierung, denn sie wurde stets als Losung für ein freies Palästina benutzt, in dem selbstverständlich, wie auch bereits in den Zeiten vor der Besatzung, Juden, Muslime und Christen friedlich zusammenleben.

Im öffentlichen Diskurs bzw. in der Hetze von Regierung und Medien wird gesagt, dieser Slogan stelle das „Existenzrecht Israels“ in Frage. Tatsächlich geht es aber um die Existenz Palästinas und der Rechte der Palästinenser. Wer heute von einem „Existenzrecht Israels“ redet, meint die Existenz der Besatzung Palästinas – diese bekämpft real und seit Jahrzehnten die Existenz der palästinensischen Nation. Netanyahu selbst hat dies politisch offen verkündet und vor der Weltöffentlichkeit der UN-Versammlung vertreten, indem er eine Karte hochhielt, auf der vom Fluss bis zum Meer nur Israel existierte.[5]

Das ist auch die heutige Realität – vom Fluss bis zum Meer herrschen Besatzung, Vertreibung und Apartheid. Dass die Bundesregierung diesen Zustand begrüßt und aufrecht erhalten will, ist bekannt und zu kritisieren. Was als demokratische Öffentlichkeit mindestens zu fordern ist: Auch andere und gegenteilige Positionen wie die der Bundesregierung müssen artikuliert und öffentlich diskutiert werden können! Hier zeigt sich der ganze reaktionäre Charakter der sogenannten Staatsräson, die den Willen der Regierung über Gesetz und Gesellschaft stellen will und als Instrument zur Unterdrückung oppositioneller Positionen benutzt wird.

Das Verbot wird mit der angeblichen Nähe oder Verbindung zu anderen verbotenen Organisationen begründet. Dies ist eine typische Vorgehensweise der Repressionsorgane. Man wiederholt ständig die Behauptung der Verbindung zu einer verbotenen Organisation, um dies dann als Tatsache zu behandeln und ein Verbot zu verhängen. Dieses manipulative Verhalten muss durchbrochen werden.[6]

Zur Form des Verbots

Das Verbot ist ein Erlass des Bundesinnenministeriums. Es ist damit ein Akt der Exekutive. Er dient vor allem dazu, der Polizei mehr Repressionsmittel in die Hand zu geben und mit Verweis auf das Verbot Demonstrationen verbieten oder mit Auflagen versehen zu können. Das gilt insbesondere für den Versuch, den Slogan „Vom Fluss bis zum Meer“ zu verbieten. Das Verbot dient der Einschüchterung, weil damit weite Kreise der Palästina-Solidarität kriminalisiert werden können und das Damoklesschwert des Verbots und der Repression durch Hausdurchsuchungen, Festnahmen, etc. über der Solidaritätsbewegung schwebt.

Das Verbot und die damit einhergehende Medienkampagne sollen Angst und Schrecken verbreiten. Insbesondere durch die Diffamierung als antisemitisch werden Menschen eingeschüchtert. Denn im Gegensatz zur Bundesregierung, die den Vorwurf verleumderisch als Waffe zur Erreichung ihrer niederen Ziele einsetzt, nehmen die meisten normalen Menschen diesen Vorwurf ernst. Die bayerische Staatsanwaltschaft hat direkt mit der Verfügung ein Verbot des Slogans „From the River to the Sea“ verhängt und dies mit der Verwendung von SS-Zeichen oder dem Hakenkreuz gleichgesetzt. Damit wird die Parole eines gegen eine international angeprangerte Besatzung gerichteten Befreiungskampfs mit dem Nazi-Regime gleichgestellt – eine erneute Relativierung und Verharmlosung des Faschismus.[7]

Das Ziel des Verbots

Das ist das unmittelbare Ziel des Verbots: Eine gesellschaftliche Bewegung für die Freiheit Palästinas zu bekämpfen, zu bremsen, einzuschüchtern und zu isolieren. Im Rahmen der Repressionsorgane ist dieses Verbot ein willkürliches Instrument.

Das Verbot dient außerdem dazu, Strukturen zu zerschlagen. Es geht also nicht nur darum, dass mit den Kennzeichen nicht mehr öffentlich aufgetreten werden darf, sondern die materielle Grundlage der Vereinigung soll zerstört werden. Damit geht das Verbot sehr weit, da es nicht nur um den Ausschluss der Organisation aus dem öffentlichen Leben geht, sondern um die Vernichtung ihrer Existenz überhaupt. Dieser massive Eingriff wurde bereits mit dem KPD-Verbot 1956 extrem durchgesetzt, als alle Strukturen und das Vermögen der KPD konfisziert und beschlagnahmt wurden. Wir müssen uns bewusst machen, dass dies keineswegs selbstverständlich Teil einer bürgerlichen Demokratie ist.

Eine weitere Funktion des Verbots ist, alle, die sich gegen das Verbot wenden oder die ähnliche Positionen wie die verbotene Organisation vertreten, zu kriminalisieren und ebenfalls in die Gefahr des Verbots oder der Verfolgung zu bringen. Es hat somit eine große Ausstrahlungskraft über die Organisation selbst hinaus. Auch hier ist das KPD-Verbot ein Beispiel exzessiver Repression – es genügte, sich öffentlich gegen das KPD-Verbot auszusprechen, um selbst angeklagt und eingeknastet zu werden.

Das Verbot zeigt die Beschränktheit der Vereinigungsfreiheit in der Bundesrepublik. Das Vereinsgesetz besteht fast nur aus Vorschriften darüber, wie ein Verein verboten werden kann. Das mag „rechtsstaatlich“ erscheinen, weil es eine willkürliche Praxis scheinbar verhindert. Das Gegenteil ist aber der Fall. Auch wenn die Vereinigungsfreiheit nach dem Grundgesetz besteht, zeigt das Verbot, dass es dem Staat sehr einfach gemacht wird, dieses Grundrecht auszuhebeln. Denn es genügt, wenn eine Behörde ein Verbot anordnet. Es kann dagegen geklagt werden, allerdings in einem aufwändigen Verfahren, das zunächst nichts an dem Verbot und der Zerschlagung ändert.

Das Verbot ist aufgrund seiner herbeigebogenen und -gelogenen Begründung ein extremes Beispiel für Willkür. Die massive Medienkampagne, die die Regierung parallel zum Verbot orchestriert hatte, ist ein Indiz für die Schwäche der Begründung und ein Zeichen für den willkürlichen Charakter. Denn wenn mit einer Lügenkampagne ein Verbot begleitet werden muss, ist dies offensichtlich mehr als fragwürdig.

Zugleich ist das Verbot ein Auftakt für weitere Gesetzesverschärfungen. Der von der CDU eingebrachte Entwurf soll die „Leugnung des Existenzrecht Israels“ strafbar machen, sowie den Paragrafen 129 in dem Sinne verschärfen, dass auch „Sympathisanten“ einer verbotenen Organisation bestraft werden können. Das wäre eine massive Ausweitung der Gesinnungsjustiz und Einschränkung der Meinungs- und Vereinigungsfreiheit.

Das Verbot dient der Spaltung der Palästina-Soli-Bewegung. Die Teile der Soli-Bewegung, die klare Positionen vertreten und sich nicht dem Bekenntnis- und Distanzierungszwang der Regierung unterordnen, sollen isoliert werden. Die Soli-Bewegung soll in eine scheinbar legale und eine kriminelle gespalten werden. Es ist aber eine Illusion zu glauben, dass man durch politische Zugeständnisse, durch Distanzierungen, Verurteilungen, etc. mit weniger Repression rechnen könnte. Die Erfahrungen der letzten Wochen zeigen, dass die Zensur-Willkür der Polizei keine Grenzen kennt. Auch im öffentlichen politischen Diskurs wird man immer weiter verlieren, wenn man die Logik der Bundesregierung, das Besatzungsregime sei im absoluten Recht und der Widerstand nicht legitim, nicht angreift.

Gegen wen richtet sich das Verbot?

Es richtet sich gegen linke und antiimperialistische Kräfte und die palästinasolidarische Bewegung insgesamt. Es richtet sich aber auch gegen alle demokratischen Orgnisationen und Menschen, die ihre demokratischen Rechte wahrnehmen wollen. Mit seiner gesinnungsorientierten Repression setzt es eine Entwicklung fort, die im letzten Jahr gegen Gegner der NATO-Aggression gegen Russland begonnen hatte. Seit längerer Zeit richtete sich die staatliche Repression nicht „nur“ gegen „gewaltbereite“ Aktionen oder Strukturen, sondern gegen politische Positionen, die denen der Bundesregierung widersprachen. Dies war bereits eine deutliche Verschärfung und Einschränkung der Meinungs- und Versammlungsfreiheit, die wiederum auf der Entwicklung während der Corona-Pandemie fußte. Es handelt sich um reine Gesinnungs-Bestrafung: Es können keinerlei Straftaten nachgewiesen werden, der Grund für das Verbot liegt einzig und allein darin, dass man Positionen vertritt, die der Bundesregierung nicht passen!

Mit den jetzigen Verboten und Repressalien sollen Linke und Kriegsgegner eingeschüchtert und isoliert werden. Sie richten sich im ersten Schritt gegen eine junge Generation palästinensischer Aktivisten, die mutig und offensiv auftreten und Teil einer großen Community sind. Sie spiegeln die Entwicklung des palästinensischen Widerstands wider, der geeinter und handlungsfähiger ist als in den Jahren zuvor. Diese Bewegung hat der Staat bereits seit längerem im Visier und kriminalisierte sie außergewöhnlich hart, darunter insbesondere Samidoun und insbesondere in Berlin.

Zusammenhang mit Kriegskurs

Der Staat will verhindern, dass diese Bewegung sich vereinigt mit der Mehrheit der Gesellschaft, die keineswegs auf der Seite Israels steht, wie es die Herrschenden gerne hätten. Dabei geht es nicht nur konkret um Palästina, sondern um die Durchsetzung eines offenen Kriegskurses. Die offene Unterstützung des Völkermords Israels im Gazastreifen ist eine gezielte Verschärfung der Kriegspolitik, die die BRD vorantreibt und die keineswegs auf dieses Beispiel oder das der Ukraine beschränkt bleiben soll.

Im Fall des Ukrainekriegs konnten vermutlich relativ große Teile der mit dem Kriegskurs der Bundesregierung nicht einverstandenen Bevölkerung entweder neutralisiert und in Passivität gedrängt werden oder von Rechten Kräften wie der AfD in für die Herrschenden ungefährliche Bahnen gelenkt werden. Im Fall des Völkermords in Gaza ist das weniger einfach, da keine Kraft vorhanden ist, die die Opposition gegen diesen Kriegskurs der BRD absorbieren könnte – unter anderem, weil die Linkspartei (und auch die zukünftige Wagenknecht-Partei) sich größtenteils in die Reihen der Kriegsunterstützer eingereiht haben, die AfD in ihrem Rassismus gegen alles Arabische und Muslimische fest an der Seite Israels steht und damit gar keine andere Option darstellen könnte.

Daher ist Repression und eine kaum vergleichbare mediale Hetzkampagne notwendig, um Menschen abzuschrecken, von ihrem demokratischen Recht auf Protest Gebrauch zu machen.

BRD mit extremer Position

Das Verbot ist ein Teilelement einer massiven Rhetorik und extremen politischen Position der BRD. Sogar im Verhältnis zu anderen westlichen Staaten ist die innenpolitische Repression und Einschränkung der Meinungs- und Versammlungsfreiheit einzigartig. Auch im Bereich der Kunst und Kultur ist die Hetze und Hexenjagd in Deutschland herausragend. Während sogar die Innenministerin der absolut prozionistischen britischen Regierung zurücktreten musste, weil sie Repressalien gegen pro-palästinensische Demos gefordert hatte, müsste in Deutschland die Innenministerin wohl eher zurücktreten, wenn sie diese nicht massiv umsetzen würde. Die Bundesrepublik verhindert auf EU-Ebene auch nur geringe Zugeständnisse an Humanität und Völkerrecht. Wir müssen uns also die Frage stellen, was die Gründe dafür sind, dass die BRD als einer der krassesten Völkermord-Komplizen und Kriegstreiber auftritt.

Diese Frage soll hier nicht beantwortet werden, sondern zunächst aufgezeigt werden, dass es einen unmittelbaren Zusammenhang dieser extrem aggressiven Position der BRD und der Aufrüstungspolitik gibt. Während die Außenministerin durch die Blume klar macht, dass man beim Kampf gegen „Terroristen“ keine Rücksicht auf Zivilisten nehmen könne – früher hätte man gesagt, den Partisanen müsse eben die Luft entzogen werden, von der sie leben, und das ist die Unterstützung des Volks – verkündet der Verteidigungsminister, Deutschland müsse kriegstüchtig werden und legt dabei die Betonung auf tüchtig. Die entsprechenden verteidigungspolitischen Richtlinien kündigen die weitere massive Aufrüstung an. Wichtig ist hier aber die politische Dimension: Die BRD plant offenkundig größere Kriegseinsätze und dafür muss noch sehr viel geleistet werden und zwar nicht nur auf der materiellen Aufrüstung, sondern vielleicht sogar insbesondere bei der geistigen und ideologischen Mobilmachung. Die Deutschen wollen bisher nicht recht zur Kriegsbegeisterung taugen – trotz aller medialer Kampagnen.

Damit soll hier vorerst nur der politische Hintergrund der Verbote skizziert werden, den zu verstehen notwendig ist, um das unmittelbare Ereignis des Verbots in seiner politischen Zielsetzung besser zu verstehen.

Die Politik der Bundesregierung kann nur durch Lügen und Verdrehung der Tatsachen durchgesetzt werden. Indem das Besatzungsregime Israels mit Jüdinnen und Juden gleichgesetzt und somit der Kampf gegen dieses verbrecherische Regime als antisemitisch erklärt wird, soll die Unterstützung der offenkundigen Kriegsverbrechen gerechtfertigt erscheinen. Nur indem permanent und vollständig negiert wird, dass es sich um eine seit Jahrzehnten andauernde Besatzung handelt, kann dieses Lügenkonstrukt aufrecht erhalten bleiben. Dem muss aus demokratischer Sicht entgegengestellt werden: Bewaffneter Widerstand gegen Besatzung ist gerechtfertigt, seine Kriminalisierung und Verfolgung muss gestoppt werden. Nicht der Widerstand gegen Besatzung ist ein Verbrechen, sondern die Besatzung selbst!

Fazit

Die Verbote sowie die anderen massiven Einschränkungen der demokratischen Grundrechte müssen von allen fortschrittlichen Kräften als solche angeprangert und bekämpft werden – unabhängig davon, welche politische Position man im Einzelnen für richtig oder falsch hält. Das Wichtigste, was alle durchbrechen müssen, ist die Methode der Bundesregierung, unliebsame Positionen zu diffamieren, zu verleumden und schließlich zu verbieten. Einigkeit aller Demokraten muss darin bestehen, dass Positionen artikulierbar und diskutierbar sein müssen – auch und gerade, wenn sie sich frontal gegen die der Regierung stellen!

Aktuell stehen von der Arbeiterbewegung und anderen fortschrittlichen Bewegungen hart erkämpfte Grundrechte zur Disposition bzw. werden bereits ausgesetzt und auf längere Zeit ausgeschaltet. Das zeigt uns, keine Illusion in die bürgerliche Demokratie haben zu dürfen, in dem Sinne, dass dann von den Herrschenden unsere Grundrechte gewahrt sein würden. Es zeigt, dass insbesondere im deutschen Staat antidemokratische Elemente eingebaut und historisch tief verankert sind. Es zeigt uns gerade deshalb, dass der Kampf um die demokratischen Rechte ein politisch zentraler Kampf ist. Er muss zugleich gegen die Kriegspolitik gerichtet sein. In diesem Sinne hängen Frieden und Demokratie tatsächlich zusammen – oder anders herum gesagt: Die Bekämpfung demokratischer Rechte durch die Bundesregierung hängt mit ihrer Kriegspolitik zusammen.

Weg mit dem Verbot von Samidoun!

Nieder mit der Besatzung Palästinas! Für ein freies Palästina vom Fluss bis zum Meer!

Kämpfen wir für unsere demokratischen Rechte und für unsere internationale Solidarität gegen Kolonialismus, Unterdrückung und Repression!


[1] https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/pressemitteilungen/DE/2023/11/vereinsverbot-hamas-samidoun.html

[2] https://www.jungewelt.de/artikel/460893.gaza-krieg-verbrechen-noch-dämonisiert.html?sstr=Zivilisten%7CIsrael%7Cunklar

https://new.thecradle.co/articles/israeli-apache-helicopters-killed-own-soldiers-civilians-on-7-october-report
https://www.haaretz.com/israel-news/2023-11-18/ty-article/.premium/israeli-security-establishment-hamas-likely-didnt-have-prior-knowledge-of-nova-festival/0000018b-e2ee-d168-a3ef-f7fe8ca20000

[3] https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/pressemitteilungen/DE/2023/11/vereinsverbot-hamas-samidoun.html

[4] https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/pressemitteilungen/DE/2023/11/vereinsverbot-hamas-samidoun.html

[5] In Israel ist es üblich, Karten eines Groß-Israel zu verbreiten, die sogar Teile oder ganz Jordanien umschließen, den Sinai, Teile Syriens etc.

[6] Siehe hierzu auch: https://kommunistische-organisation.de/artikel/repression-gegen-palaestina-solidaritaet-interview-mit-zaid-abdulnasser/

[7] Diese weitreichende Kriminalisierung ist sogar aufmerksamen Beobachtern aus dem bürgerlichen Spektrum aufgefallen – siehe X-Post von Deutschlandfunk-Redakteur Stephan Detjen vom 11. November 2023

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