English
русский
عربي

Geschichtsrevisionismus per Gesetz

Hier als pdf

Stoppt die Hetze gegen Russland und China! Freiheit für Palästina!

Weg mit dem neuen § 130 Abs. 5!

Es war wieder einmal eine Nacht-und Nebel-Aktion, mit der der Bundestag einmal mehr die Meinungsfreiheit in Deutschland beschnitten hat: Am späten Donnerstag Abend, dem 20. Oktober gegen 23:00 Uhr, wurde der Paragraf gegen „Volksverhetzung“, § 130 StGB, mit den Stimmen von SPD, FDP, Grünen, CDU und CSU erweitert. Um die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit und kritischer Abgeordneter möglichst gering zu halten, wurde die Gesetzesänderung nicht nur spät abends durchgeführt, sondern auch als „sachfremder Änderungsantrag“ an eine gänzlich andere Abstimmung angehängt. Der neu eingefügte Absatz 5 stellt nun das „öffentliche Billigen, Leugnen und gröbliche Verharmlosen“ von „Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen“ unter Strafe, „wenn die Tat in einer Weise begangen wird, die geeignet ist, zu Hass oder Gewalt aufzustacheln und den öffentlichen Frieden zu stören“.[1] Nach dem neuen Gesetz Angeklagten droht eine Geldstrafe oder sogar eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren. Wie einige Juristen kritisieren, beruht dabei die Entscheidung, was als „Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen“ gewertet wird, nicht auf gerichtlichen oder gar wissenschaftlichen Nachforschungen und abschließenden Urteilen, sondern unterliegt der Willkür der Strafverfolgungsbehörden.[2] Das bedeutet konkret, dass Polizisten freie Hand bekommen, nach Belieben Versammlungen aufzulösen, Redebeiträge zu unterbinden, Flyer oder Transparente zu beschlagnahmen und die Betroffenen mit Anzeigen zu überziehen und sie so – selbst wenn es nicht zur Verurteilung kommt – einzuschüchtern, in ihrer Meinungsäußerung einzuschränken und vorauseilenden Gehorsam zu erzwingen. Somit stellt dieser Paragraf eine weitere Waffe in den Händen der staatlichen Repressionsorgane dar.

Umso perfider ist es, wenn deutsche Medien behaupten, die Erweiterung des Gesetzes, das bislang weitgehend auf die Leugnung des Holocaust beschränkt war, sei Ausdruck eines nun geweiteten Blickes, etwa für die Kolonialverbrechen der Europäer.[3] In Wirklichkeit wird der Straftatbestand der „Volksverhetzung“, der ohnehin nur ein billiger, bürgerlicher Ersatz für ein Verbot von rassistischer und faschistischer Propaganda darstellt, noch weiter verwässert und gerade nicht in Richtung eines Antirassismus-Paragrafen weiterentwickelt. Zudem dürfte jedem klar sein, dass es den Herrschenden in der BRD nicht darum geht, gerade jetzt die Verharmlosung kolonialer Verbrechen zu ahnden.

Rückendeckung für Kriegspropaganda

Vielmehr ist offensichtlich, dass das Gesetz vor dem Hintergrund des Krieges in der Ukraine entstand – auch wenn dies aus der Politik geleugnet wird. Es geht darum, die westlichen Narrative und die hiesige Propaganda als einzige Wahrheit gesetzlich festzuschreiben und jede davon abweichende Darstellung zu illegalisieren. Damit verschärft das Gesetz die bereits erfolgte Kriminalisierung der Symbole Russlands, der Volksrepubliken im Donbas und der Sowjetunion sowie der öffentlichen Unterstützung für die russische Militärintervention. Konkret werden damit sowohl Interpretationen des Krieges in der Ukraine als Aggression der NATO, auf die Russland mit einer Militäroffensive reagiert hat, als auch konkrete Gegendarstellungen, etwa was die Verantwortung für Massaker wie in Butscha angeht, für illegal erklärt.

Aber auch in anderen andauernden Konflikten kann und wird das Gesetz zur Anwendung kommen: Wer beispielsweise nicht das Baath-Regime, sondern die westlichen Imperialisten, die Golfstaaten und die Türkei für den Krieg in Syrien verantwortlich macht oder angebliche Giftgasangriffe der syrischen Regierung infrage stellt, wird sich künftig ebenso mit Anklagen bedroht sehen wie Personen, die sich für das Recht der Palästinenser auf bewaffneten Widerstand, inklusive dem Abschießen von Raketen und Angriffen auf Siedler, stark machen. Gerade die Palästina-Solidarität steht ohnehin schon seit Jahren durch Resolutionen, Verbote und direkte Repression von Seiten der BRD wie auch der EU unter massivem Druck.

Mit der zunehmenden Konfrontation gegen China wiederum dürfte das Narrativ, wonach Peking einen Genozid gegen die muslimische Bevölkerung Xinjiangs forciere, für die westliche Propaganda weiter an Bedeutung gewinnen. Ebenso würde eine in der Zukunft mögliche Eingliederung Taiwans, das nach allgemeiner internationaler Lesart und seit den 1970er Jahren auch vom Westen offiziell als Teil der Volksrepublik Chinas anerkannt ist, von Seiten der BRD als Annexion und somit als „Kriegsverbrechen“ gewertet. Wer der anti-chinesischen Hetze und der damit einhergehenden Kriegsgefahr entgegentreten will, wird es mit dem neuen Gesetz perspektivisch ebenfalls schwerer haben, dem westlichen Narrativ alternative Darstellungen entgegenzuhalten. 

Aber auch die Legitimierungen früherer Angriffskriege des Westens, vor allem gegen Jugoslawien, können mithilfe des neuen Paragrafen noch weiter gefestigt werden: So dürften die angeblichen Massaker und Völkermorde, die laut der NATO-Propaganda von der jugoslawischen Führung in den 1990er Jahren begangen worden sein sollen, zur quasi gesetzlich verankerten und im Zweifel eben repressiv durchgesetzten Wahrheit erhoben werden. Damit stellen sich SPD und Grüne, die 1999 als rot-grüne Bundesregierung den Überfall auf Jugoslawien mit angeführt und damit den ersten Krieg Deutschlands seit 1945 vom Zaun gebrochen haben, letztlich selbst einen Persilschein aus. Dass zugleich auch die Leugnung dieses deutschen Angriffskriegs, dessen Völkerrechtswidrigkeit der damalige Bundeskanzler Schröder (SPD) später selbst eingestanden hat,[4] künftig unter Strafe steht, wird dagegen ein Wunschtraum bleiben.

Antikommunistisches Geschichtsdiktat

Es geht aber nicht ausschließlich um Kriegshetze, sondern auch um die Festschreibung antikommunistischer Geschichtsnarrative. Das neue Gesetz soll nämlich zugleich einen Beschluss der EU von 2008 umsetzen, der von osteuropäischen Mitgliedsstaaten eingebracht worden war und der sich gegen die „Verklärung“ sog. „stalinistischer Verbrechen“ richtet. Was das in der Praxis bedeutet, können wir in Ländern wie Polen beobachten, wo die Kommunistische Partei sowie kommunistische und sowjetische Symbole verboten sind. Zudem verabschiedete das EU-Parlament 2019 eine geschichtsverfälschende Resolution, in der sie den deutsch-sowjetischen Nichtangriffsvertrag vom August 1939 als zentrale Weichenstellung für den Zweiten Weltkrieg bezeichnete und der UdSSR eine Mitverantwortung für den imperialistischen Umverteilungskrieg des Nazi-Faschismus unterschob. Damit wird nicht nur die Tatsache geleugnet, dass es in Wahrheit die Sowjetunion und die kommunistische Arbeiterbewegung waren, die den Faschismus von Anfang an in allen Ländern und auf internationaler Ebene bekämpft, den Ausbruch des Weltkriegs durch Bündnisse und Sicherheitsabkommen mit nicht-faschistischen Kräften zu verhindern versucht und  die – unter Aufopferung von Dutzenden Millionen Menschenleben – den größten Beitrag zur Niederringung der faschistischen Regime Europas geleistet haben. Zugleich werden auch die Verantwortung und die Verbrechen des Faschismus relativiert und die historische Schuld, die die Westmächte durch ihre langjährige Unterstützung der faschistischen Regime auf sich geladen haben, verschwiegen.

Zu den „stalinistischen Verbrechen“, deren „Verklärung“ nun also unter Strafe gestellt werden sollen, werden zudem die mitunter ruhmreichsten Kapitel der Sowjetunion und der kommunistischen Bewegung Osteuropas gezählt, wie etwa die Kollektivierung und Industrialisierung der UdSSR,  die die Grundlage für ihren Sieg über Nazi-Deutschland und ihren Aufstieg zur Weltmacht legte, oder aber die Befriedung Osteuropas nach 1945 und die Errichtung des Sozialismus in den dortigen Ländern. Die Gründung der DDR selbst, des friedlichsten deutschen Staates der Geschichte, wo der Sozialismus auf deutschem Boden Realität wurde, die die größte Errungenschaft der deutschen Arbeiterbewegung darstellt und auf die wir uns in unserem heutigen Kampf positiv beziehen, ist in den Augen der Antikommunisten selbst ein „stalinistisches Verbrechen“. Die – im Zuge von heftigen Klassenkämpfen und des faschistischen Überfalls, aber sicher auch aufgrund von Fehlern – in verschiedenen Teilen der Sowjetunion ausbrechenden Hungersnöte in den 1930er und 1940er Jahren werden in der antikommunistischen Propaganda als „Massenmorde“ und „Genozide“ verklärt. Ähnliches gilt auch für die experimentellen Versuche zur Industrialisierung und zur Vertiefung der Revolution im sozialistischen China der 1950er und 1960er Jahre, die zwar auch unter Kommunisten kontrovers diskutiert werden, bei deren Bewertung wir uns aber nicht von den bürgerlichen Ideologen einschränken lassen dürfen!

Indem auf angebliche oder tatsächliche Ungerechtigkeiten gegenüber ganzen Volksgruppen, Nationalitäten oder Nationen in den ehemals sozialistischen Ländern verwiesen wird, soll der diametrale Gegensatz zwischen Sozialismus und Imperialismus, zwischen Marxismus und Rassismus/Faschismus verwischt und die sozialistischen Vielvölkerstaaten zu quasi Kolonialreichen umgedichtet werden. Das entspricht auf perfideste Weise der antikommunistischen Totalitarismusdoktrin, der zufolge Kommunismus und Faschismus letztlich gleichzusetzen sind. Mit dem sog. „Holodomor“, einer Hungerskatastrophe, die in den 1930er Jahren in der Ukraine wütete und die von ukrainischen Nationalisten und westlichen Antikommunisten zu einem anti-ukrainischen „Völkermord“ von Stalin persönlich verdreht wird, schließt sich dabei der Kreis zur aktuellen antirussischen Kriegspropaganda: Wie Stalin damals führt Putin heute angeblich einen „Vernichtungskrieg“ gegen die Ukraine, wie uns Politiker und Medien seit Monaten weiß machen wollen.

Dieser antikommunistischen und die westlichen Kriege rechtfertigenden Propaganda dürfen wir uns nicht beugen!

Wir Kommunisten stehen auf der Seite der Wahrheit, und die lässt sich nicht verbieten. Ihrer Einschüchterung, ihrer Repression und ihrer Hetze begegnen wir mit Solidarität! Und wir treten ihr entgegen: auf der Straße, in Veranstaltungsräumen, im Internet und in Gerichtssälen!

Revolutionäre Geschichte aneignen und verteidigen!

Stoppt die Hetze gegen Russland und China! Freiheit für Palästina!

Weg mit dem neuen § 130 Abs. 5!

[1] https://www.bundestag.de/presse/hib/kurzmeldungen-916934.

[2] https://www.jungewelt.de/artikel/437430.justiz-und-grundrechte-enger-meinungskorridor.html.

[3] https://www.sueddeutsche.de/politik/holocaust-voelkermord-leugnung-deutschland-1.5681387.

[4] https://www.youtube.com/watch?v=nrv-AzVafSs.

Aktuelles

Palästina und die DDR – Befreiungskampf als Staatsräson?

Während in der BRD die bedingungslose Unterstützung Israels als „Ersatz- Antifaschismus" spätestens ab 1952 zunehmend zur „Staatsräson" wurde, erkannten sich die DDR und Israel bis zur Konterrevolution 1989/90 nicht gegenseitig an. Stattdessen wurde die DDR zu einem wichtigen Alliierten der palästinensischen Befreiungsbewegung.

Interview: „The crisis in Germany“

Two of our comrades were guests on the Marx, Engels, Lenin Institute podcast to discuss the current political and economic situation in Germany. Starting with the end of the ‘Ampel’ coalition government, and moving on to an assessment of the AfD and BSW and the development of the German economy, we talk about topics and issues that continue to cause controversy and raise questions within the left-wing and communist movement in Germany.