Umdeutungen, Repressionen und faschistische Hetze: Unsere Eindrücke rund um 80 Jahre Befreiung

Themen: Deutscher Imperialismus, Faschismus

Wir möchten über die mediale Begleitung des 8. Mai, aber auch über unsere persönlichen Erfahrungen rund um diesen Tag berichten. Dieser politische Bericht wertet nennenswerte Entwicklungen und teils krasse Einschränkungen aus verschiedenen Städten aus. Er soll aber auch die Erfolge und die Notwendigkeit antifaschistischer Gegenkultur hervorheben.

Geschichtsrevisionismus: Am Faschismus war auch die Sowjetunion schuld

Die Auffassung vom 8. Mai als Tag der Tragödie und der Niederlage scheint heute wieder voll im Trend zu liegen. Die Konservativen und Neofaschisten im Land wurden nie müde, sie aufrechtzuerhalten – jetzt dient sie zur Kriegsrhetorik. Wo deutsches Großmachtstreben wieder en vogue ist, kann es keinen Tag der Befreiung geben. Die faschistische Vergangenheit muss irgendwie abgeschüttelt werden. Sei es durch Instrumentalisierung, Stichwort „deutsche Verantwortung“, oder durch offenen Geschichtsrevisionismus.

Während die FAZ am 8. Mai verkündete, dass der Tag kein Grund zum Feiern sei und man sonst nur russische Narrative weiterspinnen würde[1], wurden im Deutschlandfunk die dunklen Seiten der Befreiung betont.[2] Schon eine Woche vorher verbreitete dieselbe Zeitung aus Frankfurt, dass die sowjetische Führung eine Mitschuld an den Millionen Toten während des Wehrmacht-Feldzuges tragen würde. Auch die Ausladung russischer Vertreter von Gedenkveranstaltungen wurde kommentiert: „Dass die russische Propaganda das als Missachtung der sowjetischen Opfer deutet – geschenkt.“ [3]

Die Konrad Adenauer Stiftung rückte sich ihr Geschichtsbild ebenso zurecht. In einem Dossier zu 80 Jahren „Kriegsende“ heißt es: „Dass Hitlers Krieg in Europa zugleich die im Kreml‘ ungeliebte kapitalistische Weltordnung ins Wanken brachte, konnte Moskau nur recht sein.“[4]  Auf einer von der Friedrich Ebert Stiftung unterstützten Konferenz in Kiew wurde am 8. und 9. Mai Asow-Oberfeldwebeln eine Bühne geboten und Propagandafilme der faschistischen OUN abgespielt.[5] 

Repressionen am Tag der Befreiung in Berlin

Antifaschisten und Kriegsgegner, die sich hierzulande der Kriegsvorbereitung und dem Geschichtsrevisionismus entgegenstellen, sind schon seit mehreren Jahren zunehmendem Verfolgungsdruck ausgesetzt. Das zeigte sich vor allem an diesem 80. Jahrestag der Befreiung.

Das antifaschistische Gedenken in Berlin befindet sich nun schon zum dritten Jahr in Folge in einem Ausnahmezustand. Stefan Natke, Vorsitzender der DKP Berlin, wurde für das Tragen eines Georgsbändchens im Treptower Park verhaftet. Am gleichen Ort wurde die Junge Welt am Verteilen ihrer Zeitung gehindert. Ihr Vergehen? Auf der Titelseite war die Fahne der Sowjetunion abgedruckt. Symbole der sowjetischen Befreier waren per Allgemeinverfügung strikt untersagt. Auch Nachfahren von Rotarmisten, die Porträts ihrer Ahnen zum Gedenken mitbrachten, gerieten ins Visier der Polizei.

Auch linksliberale Medien wie die taz waren ganz vorne mit dabei, wenn es darum ging, diesen Repressionen die nötige mediale Rückendeckung zu geben: „Die wohl attraktivste Veranstaltung in diesem Jahr, frei von autoritären Putin-Fans oder auch Verschwörungsgläubigen, organisiert die VVN-BdA am Donnerstag.“[6] Was die taz nicht schreibt: Auf dieser Veranstaltung am historischen Platz der Bücherverbrennungen wurde antifaschistische Literatur beschlagnahmt. Das Rote Antiquariat, das mit einem Lastenrad voller Bücher erschien, wurde von fünf schwerbewaffneten Polizisten aufgehalten. Die Organisatoren von der VVN-BdA unterstützten das Verhalten der Polizei.

Kampf ums Gedenken in Dresden, Mannheim und Frankfurt

Auch außerhalb der Hauptstadt ist das Gedenken umkämpft. Es zeigt sich, dass viele Menschen mit den aktuellen Entwicklungen nicht einverstanden sind. Wir wollen auf drei weitere Erfahrungsberichte genauer eingehen.

So wurde beispielsweise in Dresden die Kontextualisierung des Denkmals für die Rote Armee abgeschlossen. Das Denkmal wurde 1993 an den Stadtrand versetzt. Jedes Jahr gedenken dort zahlreiche Antifaschisten und Osteuropäer den Opfern des Faschismus. Dieses Jahr konnten die rund 200 Teilnehmer die neu errichtete Tafel zur Kontextualisierung des Denkmals begutachten. Ein QR-Code führt auf die Website der Stadt: Das „unbequeme Gedenkobjekt“, wie es dort heißt, zeige „unverkennbar militaristische und idealisierende Darstellungen mit heroischem Pathos“. Auch Abrissforderungen wurden in der Vergangenheit immer wieder laut.

In Mannheim beteiligten wir uns an einem Gedenken für ermordete Zwangsarbeiter. Auf dem anschließenden Gedenkzug wurde ein palästinensischer Genosse von Antideutschen rassistisch beleidigt. Wir würden durch unsere Kufiyas provozieren, hieß es seitens der Zionisten, die dann die Demonstration verließen.

Zwei Tage später, am 10. Mai, wollten unsere Genossen einen Rundgang über die KZ-Gedenkstätte Sandhofen veranstalten. Diese wurde jedoch von Seiten der Gedenkstätte mit der Begründung abgesagt, die KO tätige „antisemitische, antiisraelische und antidemokratische Äußerungen“ und betreibe „Hetze und Propaganda“. Weiterhin würden wir den „gegen den Staat Israel und seine Bürger:innen gerichteten islamistischen Terror der verbrecherischen Hamas und ihrer Verbündeten nicht nur verharmlosen, sondern gar rechtfertigen und glorifizieren.“ Diese Anschuldigungen sind nicht nur falsch und unbelegt, sondern dienen auch dazu, von der deutschen Verantwortung am Genozid in Palästina abzulenken und pro-palästinensische Stimmen als antisemitisch zu diffamieren.

Da die Führung also abgesagt wurde und die Türen für uns verschlossen blieben, beschlossen wir, einen kleinen Stadtrundgang zur Geschichte des KZ und zum kommunistischen Widerstand gegen den Faschismus in Mannheim durchzuführen. Im Rahmen des Stadtrundgangs erfuhren wir mehr über die Geschichte der meist polnischen Zwangsarbeiter, die im KZ eingesperrt und zur Arbeit in den Benz-Werken gezwungen wurden.

In Frankfurt wurde aus der osteuropäischen Community heraus zum wiederholten Mal der Marsch des Unsterblichen Regiments organisiert. Das Unsterbliche Regiment ist eine Gedenkaktion aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion. Dort gedenken Familien ihren gefallenen Familienmitgliedern und tragen dafür dessen Bilder auf die Straßen. Der Demonstrationszug war sehr gut besucht, kraftvoll und stark. Wir brachten Bilder kommunistischer Widerstandskämpfer mit und beteiligten uns auf diese Weise am Marsch. Viele deutsche Antifaschisten und Linke blieben ihmallerdings fern – die antirussische Kriegspropaganda wirkt. Ein Trupp ukrainischer Faschisten wich der Demonstration nicht von der Seite. Sie verunglimpften das Unsterbliche Regiment als „Todesregiment“ und bezeichneten die Rote Armee als „Mörder und Invasoren“ auf ihrem Transparent.Dazu riefen sie mehrmals den Gruß der ukrainischen Faschisten „Slava Ukraini“ und stimmten später „Azov, Azov, Azov“ in Sicht- und Hörweite an. Später zeigten sie ein Transparent mit Bezug auf das Donbas-Bataillon. Dort tummeln sich zahlreiche Faschisten, die als Teil der Nationalgarde Zugang zu NATO-Waffen und Ausbildern haben.

Erinnerungskultur von Unten: antifaschistische Gegenkultur

In Chemnitz und Jena beteiligten wir uns an antifaschistischen Demonstrationen. Hier ist es wichtiger denn je, Anknüpfungspunkte zur antifaschistischen Bewegung zu suchen und den Zionisten nicht das Feld zu überlassen. Mit einer Filmvorführung an der Uni Jena (gezeigt wurde Rat der Götter) konnten wir anschließend eine produktive Diskussion über die ausbleibenden Entnazifizierungen und Enteignungen in der BRD führen.

Unsere Genossen in Frankfurt haben sich mit der lokalen Faschismusgeschichte beschäftigt. Ein Genosse hat hierfür einen Vortrag gehalten, welcher deutlich macht, dass die einflussreichsten faschistischen Entscheidungsträger der Stadt nie zur Rechenschaft gezogen wurden. Weder der Oberbürgermeister, noch die Leiter der drei Konzentrationslager, noch der Polizeipräsident, noch die Aktionäre des IG-Farben-Konzerns (trotz eigenem KZ), noch 2999 von 3000 Frankfurter Gestapo-Funktionären waren in der BRD nach 1949 vor Gericht. Diese Kontinuitäten griffen wir in einem antifaschistischen Stadtrundgang, den wir gemeinsam mit vielen anderen Gruppen organisierten, auf.

Auch in Dresden organisierten unsere Genossen einen Stadtrundgang. Hier wurde noch einmal besonders deutlich, wie kontrafaktisch die Vereinzelung von Opfergruppen in der BRD-Geschichtsschreibung ist. Einen Tag vorher, am 9. Mai, kündigte die TU-Dresden unseren Genossen die Räumlichkeiten für einen Vortrag zu „Zeitenwende und Faschisierung“. Um gegen diese Maßnahme zu protestieren und den Vortrag trotzdem halten zu können, verlegten wir ihn auf eine Wiese. Der Vortrag wurde sehr gut besucht und positiv aufgenommen.

In Berlin beteiligten wir uns an der Kundgebung der DKP in Karlshorst, dem Ort der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht. In einer Rede betonten wir auch hier den Zusammenhang von Kriegsvorbereitung gegen Russland und Faschisierung. Am 9. Mai organisierten wir eine Dauerkundgebung am Treptower Park und konnten viele gute Gespräche führen. Einen Tag später protestierten wir gemeinsam mit 2000 Kriegsgegnern lautstark gegen die Errichtung einer Rheinmetall-Fabrik im Wedding. Viele Redner stellten diesen konkreten Fall in den Kontext der Aufrüstung und Kriegsvorbereitung. Der Demonstrationszug wurde am Ende heftig von der Polizei angegriffen. Abends konnten wir mit der DKP-Pankow und unterstützt von der Gesellschaft für Deutsch-Russische Freundschaft e.V. eine Open-Air-Vorführung des sowjetischen Films „Ein Menschenschicksal“ auf die Beine stellen. Rund 120 bis 130 Personen nahmen an der Veranstaltung teil.

In Duisburg machten wir am 8. Mai mit einem Infostand und einer Kundgebung auf die aktuelle Kriegsvorbereitung gegen Russland als Motor der Faschisierung aufmerksam. Am darauffolgenden Wochenende putzten wir gemeinsam mit anderen Antifaschisten die Gräber von sowjetischen Zwangsarbeitern und ihren Kindern.

In Leipzig organisierten wir am 8.Mai einen Infostand vor der Deutschen Bank, die die fehlende Entnazifizierung der BRD verkörpert. Unter dem Motto „Antifaschismus heißt: Nein zum Krieg und seinen Profiteuren“ informierten wir Passanten zur Kontinuität der Kriegsprofiteure und Waffenproduktion in Leipzig. Dort hatten wir einen geteilten Eindruck: Einige Passanten sprachen sich sehr klar für mehr europäische Aufrüstung aus, weil man sich mit der Präsidentschaft Trumps nicht mehr auf die USA „verlassen“ könne. Andererseits gab es viele, die uns dafür lobten, sich gerade an diesem Tag gegen die Aufrüstung und auch mit Palästina-Flaggen aufzustellen.

Am 9. Mai führten wir einen antifaschistischen Stadtrundgang durch, der am Ehrendenkmal für die gefallenen sowjetischen Soldaten endete. Bei der mit DKP und KPD zusammen organisierten Gedenkveranstaltung nahmen etwa 60 Personen teil, darunter etwa die Hälfte russischsprachige Menschen verschiedener Nationalitäten (Ukrainer, Russen, Esten, Letten). Die russischsprachige Community Leipzigs hat für diesen Tag eine Wand mit Porträts der dort Begrabenen aufgestellt. Sie berichteten, dass diese Wand von der Stadtverwaltung nur für den 8. nicht jedoch für den 9. Mai genehmigt wurde und noch am Abend wieder abgebaut werden musste. Die von uns organisierte Gedenkveranstaltung wurde sehr positiv aufgenommen.

Kampf gegen den Krieg heißt: Gedenken politisieren!

Diese Umdeutungen, Repressionen und antideutschen oder banderafaschistischen Provokationen zeigen deutlich: Wir müssen das Gedenken politisieren! Ein zahnloses und verbürgerlichtes Gedenken nützt keinem etwas und spielt solchen Tendenzen noch mehr in die Hände. Es wird auch nicht dem Anspruch der Personen gerecht, die zu diesen Veranstaltungen kommen. Das Interesse an antifaschistischen Rundgängen, Vorträgen, Gedenkaktionen und Kulturveranstaltungen war sehr hoch.

Ein antifaschistisches Gedenken, das kein Wort über die Sowjetunion, den Genozid in Gaza oder den Krieg gegen Russland enthält, befindet sich aber auf Abwegen. Ein solches Gedenken macht sich mit den Leuten gemein, die Demonstrationen verbieten, Fahnen und Zeitungen zensieren oder Bücher beschlagnahmen. Den Kriegstrommlern und Geschichtsrevisionisten im Land kommt dieser „Antifaschismus“ gerade recht.

Auf den verschiedenen Veranstaltungen wurde noch einmal deutlich, dass sich viele Osteuropäer eingeschüchtert fühlen und ihnen (wieder) das Gefühl vermittelt wird, sich für ihre Herkunft schämen zu müssen. Man wüsste außerdem kaum noch, was man aktuell sagen darf.Eine Tendenz, die sich auch unter migrantischen Gemeinschaften aus anderen Ländern abzeichnet. Mit Grundrechtseinschränkungen und aggressivem Chauvinismus sollen Stimmen gegen Faschismus und Genozid zum Schweigen gebracht werden.

Was können wir daraus lernen? Der Kampf gegen Grundrechtseinschränkungen und Chauvinismus gehört zusammen. Wir müssen ihn auf der Straße und notfalls im Gerichtssaal führen. Dem staatlich erzeugten Anpassungsdruck zu folgen und ungemütlichen Themen auszuweichen, entpuppt sich als Farce, weil es ein Schweigen über so viele Kontinuitäten und Verbrechen bedeutet. Wenn Menschen aus der ehemaligen Sowjetunion, vor allem aus Russland, zunehmender Einschüchterung und Stigmatisierung ausgesetzt sind, wenn antifaschistische Erinnerungskultur kriminalisiert wird, während die größte Aufrüstung seit Hitler beschlossen wird, dann ist das Allerletzte, was dieses Land braucht, eine Linke, die aus Angst zu „Russland-Nähe“ auf Distanz geht oder sogar in die antirussischen Bedrohungslügen einsteigt.


[1] 80 Jahre Kriegsende: Der 8. Mai ist kein Tag zum Feiern

[2] 8. Mai 1945 – Memorial-Gründerin: Putin verhöhnt die Opfer

[3] https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/propaganda-wie-putin-die-helden-von-minsk-erfand-110451367.html

[4] Der Deutsch-Sowjetische Krieg – Geschichte und Erinnerung – Geschichtsbewusst – Konrad-Adenauer-Stiftung 

[5] Tag der Befreiung: Festival der Revisionisten, Tageszeitung junge Welt, 12.05.2025 

[6]Gedenken am 8. und 9. Mai in Berlin: Spassiba sagen – aber wie und wo? | taz.de