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Demokratie auf den Lippen und Maschinengewehr im Anschlag

Heute feiern Politik und Medien den 75. Geburtstag der Verabschiedung des Grundgesetzes als mächtige Grundsteinlegung einer demokratisch geläuterten Wende in der deutschen Geschichte. Angesichts der heftigen Angriffe auf die Meinungs-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit gegen die Palästina Solidarität, der Unterstützung eines Völkermordes und einer historischen Militarisierung der Gesellschaft, erklingen diese Festtagsreden allerdings ziemlich hohl. Schon bei der Verabschiedung des Grundgesetztes wurde die Demokratie im Mund und die Knute im Anschlag getragen. Eine Gleichzeitigkeit aus inszeniertem Fortschrittsgeist und reaktionärer Staatsführung die sich wie ein roter Faden durch die Geschichte der Bundesrepublik zieht.

Bereits das Zustandekommen des Grundgesetzes selbst war, im starken Kontrast zur Entstehung der Verfassung der DDR von 1949, alles andere als demokratisch.[1]Die Sorge vor einer Einbeziehung der Bevölkerung erklärt sich aus dem historischen Zweck des Grundgesetzes. Die deutsche Teilung wurde zementiert und einer von breiten Volksschichten geforderten antifaschistisch-demokratischen Entwicklung eine Absage erteilt. Stattdessen wurde die Grundlage für die Integration in den auf Krieg gerichteten westlichen Block und den Fortbestand des deutschen Monopolkapitals gelegt. 

Max Reimann und Heinz Renner, Vertreter der KPD im undemokratisch zusammengesetzten parlamentarischen Rat, begründeten die Ablehnung des Grundgesetzes wie folgt:

  1. „Das Grundgesetz war die Spaltungsurkunde Deutschlands. Es ging hervor aus einem einseitigen, im Widerspruch zu den Potsdamer Verpflichtungen, ergangenen Befehl der westlichen Besatzungsmächte. Es stellte die Sicherung der Macht- und Profitinteressen des Großkapitals, der Schuldigen an der Katastrophe von 1945, höher, als die Interessen der Mehrheit der Menschen im Land. Dazu konnten die Kommunisten nicht ja sagen.
  2. Die im Grundgesetz verkündeten demokratischen Rechte gingen den Kommunisten nicht weit genug. Es fehlten und fehlen – anders als in der UNO-Deklaration der Menschenrechte von 1948, in einigen Länderverfassungen der Bundesrepublik und insbesondere in der DDR-Verfassung usw. festgeschrieben – die wichtigsten sozialen und wirtschaftlichen Grundrechte und ihre Einklagbarkeit. Ausdrücklich stimmten Max Reimann und Heinz Renner den im Grundgesetz verankerten Grundrechten zu, betonten aber gleichzeitig, dass sie im Rahmen der Herrschaft des Großkapitals ständig bedroht sein würden und deshalb nicht ausreichten.“[2]

Der Ausspruch von Max Reimann, nach der Stimmabgabe gegen des Grundgesetzes, erlangte Berühmtheit: „Die Gesetzgeber werden im Verlauf ihrer volksfeindlichen Politik ihr eigenes Grundgesetz brechen. Wir Kommunisten aber werden die im Grundgesetz verankerten wenigen demokratischen Rechte gegen die Verfasser des Grundgesetzes verteidigen.“

Die Beweise für die Richtigkeit seiner Worte sind zahlreich. Nur einige Schlaglichter seien benannt: Die Remilitarisierung der Bundesrepublik, ihr Beitritt zur NATO, das Verbot der KPD 1956, die Notstandsgesetze, der Radikalenerlass inklusive Berufsverboten, die Annexion der DDR, der Angriffskrieg gegen Jugoslawien, und heute die gewalttätige Unterdrückung gegen die Palästina-Solidaritätsbewegung. Wieder und wieder mussten und müssen demokratische Grundrechte gegen die Bundesrepublik verteidigt werden, um den politischen Handlungsrahmen fortschrittlicher Kräfte auszuweiten und zu erhalten.

Als Reaktion auf den mit der DDR geschlossenen Grundlagenvertrag von 1972, kam das Bundesverfassungsgericht gar zu einem heute wenig beachteten Urteil, in dem die fortwährende Existenz des Deutschen Reichs in Gestalt der Bundesrepublik bescheinigt wurde:

„Das Grundgesetz geht davon aus, „dass das Deutsche Reich den Zusammenbruch 1945 überdauert hat und weder mit der Kapitulation noch durch Ausübung fremder Staatsgewalt in Deutschland durch die alliierten Okkupationsmächte noch später untergegangen ist“. Mit der Errichtung der Bundesrepublik Deutschland wurde nicht ein neuer westdeutscher Staat gegründet, sondern „ein Teil Deutschlands neu organisiert […]. Die Bundesrepublik Deutschland ist also nicht ‚Rechtsnachfolger’ des Deutschen Reiches, sondern als Staat identisch mit dem Staat ‚Deutsches Reich’, – in Bezug auf seine räumliche Ausdehnung allerdings ‚teilidentisch’, so dass insoweit die Identität keine Ausschließlichkeit beansprucht.““[3]

Die Kontinuität von Faschisten im Staatsapparat, der Justiz und Wirtschaft bestand nicht allein personell, wie das in der DDR herausgegebene und in BRD zeitweise verbotene Braunbuch[4]ausgezeichnet nachgewiesen hat, sondern auch politisch. Die imperialistischen Ambitionen und der reaktionäre Geist waren nie erloschen, die Macht des deutschen Finanzkapitals nie gebrochen. Sie treiben Deutschland auch heute zum Krieg. Und wieder sind es Kommunisten, die demokratische Grundrechte und Antifaschismus gegen den Staat verteidigen müssen.

Zum Anlass des 75. Jahrestages des Grundgesetzes spiegeln wir den sehr lesenswerten Beitrag von Ralf Hohmann aus Zeitung der DKP „Unsere Zeit“ vom 17. Mai, in dem er die sich anbahnenden Schritte hin zu einem Kriegsrecht skizziert.

[1]Guhl, Ulrich: „Zwei Verfassungen und ein Grundgesetz“, RotFuchs, Oktober 2013. Online unter: https://rotfuchs.net/rotfuchs-lesen/zwei-verfassungen-und-ein-grundgesetz.html

[2]Siehe unter: http://maxreimann.com/parlamentarischer_Rat.html

[3]Wissenschaftlicher Dienst des Deutschen Bundestags: „Zum rechtlichen Fortbestand des „Deutschen Reichs““, 2007. Online unter: https://www.bundestag.de/resource/blob/659208/bb1b8014f97412b4439d024bcdb79896/WD-3-292-07-pdf-data.pdf

[4]Online zu finden hier: http://www.kpd-ml.org/doc/partei/braunbuch.pdf

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