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Deutschland und Europa rüsten sich für große Kriege

Beitrag von Max

Dieser Artikel wurde als Beitrag für die Zeitschrift Itikadi der Kommunistischen Partei Kenias verfasst.


Die Fassade eines liberal-demokratischen, wohlständigen Landes

Über Deutschland herrscht international das weit verbreitete Bild eines industriell hoch entwickelten, im Unterschied zu den USA auf Diplomatie und Ausgleich bedachten, weltoffenen und demokratischen Staates. Deutschland wendet einiges an Arbeit und Geld auf, um ein solches Bild mit der Hilfe eines weitverzweigten Netzes aus NGO’s, Parteistiftungen und staatlichen Auslandsdiensten international herzustellen. Gut ausgebildete ausländische Fachkräfte sollen dadurch angeworben und der politisch-diplomatische Boden für weltweite Geschäfte der deutschen Exportwirtschaft gelegt werden. 

Dass dieses Bild sehr wenig mit der Realität zu tun hat, wurde den Völkern der Welt nicht zuletzt durch die aggressive Vorreiterrolle Deutschlands bei der Unterstützung des Völkermords in Palästina demonstriert. Die Bundesregierung will Israel im Hauptverfahren am Internationalen Gerichtshof als Drittpartei verteidigen. Im letzten Jahr wurden die deutschen Waffenlieferungen an Israel auf über 320 Millionen Dollar verzehnfacht. Ein Militäreinsatz Deutschlands und der EU im Roten Meer wurde beschlossen, um die großartige Solidaritätsaktionen der Ansar Allah für Palästina zu bekämpfen und Militärlieferungen an Israel zu ermöglichen. Innerhalb Deutschlands erleben wir eine massive mediale Verhetzung und politisch repressive Atmosphäre, in der jegliche Kritik an Israel unter dem Vorwand des „Antisemitismus“ kriminalisiert wird. Migranten und insbesondere Araber und Muslime werden rassistisch verleumdet und ausgegrenzt. Das Strafrecht wird ausgebaut, um jegliche Solidarität mit Palästina mit den Mitteln der Justiz zu verfolgen. Immer wieder wird in der Öffentlichkeit eine „besondere deutsche Verantwortung“ für die Existenz und „Verteidigung“ Israels heraufbeschworen. Die Massenvernichtung von Juden im deutschen Faschismus, während des zweiten Weltkrieges wurde von Deutschland perfiderweise in eine Waffe zur Legitimierung seiner imperialistischen Politik und dem Völkermord an den Palästinensern verwandelt. 

Einen Vorgeschmack auf das neue deutschen Kriegstreiben konnten wir bereits im Februar 2022, mit dem Beginn der russischen Militäroperation erleben. Medien und Politik haben sich mit rassistischer Hetze gegen Russen überschlagen, alternative Sichtweisen wurden aus der Öffentlichkeit verbannt, Positionen gegen die NATO unter dem Vorwand der „Billigung des russischen Angriffskriegs“ juristisch verfolgt.  Ähnlich wie in Palästina zeigt sich die Kontinuität der chauvinistischen und imperialistischen Politik Deutschlands, welches in der Geschichte des 20. Jahrhunderts bereits zweimal Russland überfallen und einen Vernichtungskrieg gegen Russen geführt hat, der im zweiten Weltkrieg 27 (!) Millionen Russen das Leben kostete. Heute sind erneut deutsche Panzer und Waffensystem auf Russland gerichtet und die Bundesregierung brüstet sich damit hinter den USA finanziell zweitgrößter Unterstützer der Ukraine zu sein.

Der sozialdemokratische deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius bereite die deutsche Öffentlichkeit kürzlich darauf vor, dass es in wenigen Jahren zum Krieg gegen Russland kommen würde. Die Spitzenkandidatin der rechtsliberalen Regierungspartei für die im Mai stattfindenden Wahlen zum EU-Parlament Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) drängt auf die Bildung einer EU-Armee und tritt als besondere Scharfmacherin für Aufrüstung an. Deutschland hat vor zwei Jahren bereits ein Sondervermögen für Militärausgaben von über 100 Milliarden US-Dollar verabschiedet und steigert außerdem die jährlichen Kriegsausgaben auf knapp 60 Milliarden US-Dollar. Das reicht der herrschenden Elite allerdings längst nicht mehr aus. Mit immer höheren Forderungen für den Rüstungsetat schaukeln sie sich in der Öffentlichkeit gegenseitig hoch. Ein Spitzenpolitiker und „Verteidigungsexperte“ forderte zuletzt über 320 Milliarden US-Dollar für zusätzliche Militärausgaben. Das Ziel? Der Aufbau einer international konkurrenzfähigen Kriegswirtschaft.

Begleitet wird diese Politik mit Angriffen auf die Lebensverhältnisse der Arbeiterklasse in Deutschland. Inflationsraten von knapp 7% (2022) bzw. 6% (2023) haben die Löhne der Arbeiter kräftig entwertet. Kosten für Lebensmittel, Heizen, Benzin, Miete und weiteres sind massiv gestiegen. Kürzlich beschlossene Angriffe auf das Sozialsystem und der sozialen Absicherung von Flüchtlingen dienen dem weiteren Druck zur Lohnsenkung. Bereits jetzt arbeiten fast ein Fünftel der Beschäftigten in Deutschland im sogenannten Niedriglohnsektor. Gegen diese Angriffe regt sich allerdings leider kaum Widerstand. Die Arbeiterklasse wird durch eine durch eine von satten Arbeiteraristokraten geführte Gewerkschaft tief in die imperialistische Politik Deutschlands integriert. Dazu weiter unten im Text noch etwas mehr.

Zunächst soll es im Folgenden etwas genauer um die Rolle des deutschen Imperialismus im Krieg der NATO gegen Russland und insbesondere auch um sein Verhältnis zu den USA gehen. Diese Fragen haben hierzulande und auch weltweit, speziell nach der Sprengung der Nord Stream Gas Pipelines für kontroverse Diskussionen, auch innerhalb der kommunistischen Bewegung gesorgt.

Kurze Geschichte des deutschen Imperialismus in der Welt

Um die gegenwärtige Rolle Deutschlands in der Welt zu verstehen ist es unerlässlich sich zumindest einige wenige entscheidende Wegpunkt in der Entwicklung des deutschen Imperialismus zu vergegenwärtigen.

Im Verhältnis zu seinen europäischen Konkurrenten, namentlich dem Mutterland des Kapitalismus England und auch Frankreich, setzte sich die kapitalistische Industrie in Deutschland verspätet, aber umso dynamischer durch. Das aufstrebende deutsche Bürgertum verband sich früh mit einer Schicht reaktionär-feudaler Großgrundbesitzer, die eng mit dem militaristischem Preußen verwachsen war. Eine nur halb durchgeführte bürgerliche Revolution (1848) und die späte Überwindung feudaler Zersplitterung (1871) bremsten die Ambitionen der deutschen Kapitalisten. Ihr Vorteil allerdings war, dass sie auf einem bereits hohen technischen und wissenschaftlichen Stand aufbauen konnte. Ende des 19. Jahrhunderts stiegen deutsche Kapitalisten in Branchen wie der Chemie- und Elektroindustrie zur Weltspitze auf. Im Unterschied zu seinen europäischen Konkurrenzmächten besaß Deutschland kein annähernd so großes koloniales Herrschaftsgebiet. Es fehlte dem Monopolkapital der Zugang zu Rohstoffen und einem ausreichend großen Absatzmarkt. Sein „Geburtsfehler“ einer zu spät und zu kurz gekommenen kapitalistischen Großmacht entlud sich mit der Aggression Deutschlands im ersten Weltkrieg – ein imperialistischer Krieg zur Neuaufteilung der Welt. Deutschland drängte danach Europa zu beherrschen, um sich von hier aus insbesondere gegenüber den USA behaupten zu können. Die Niederlage im ersten Weltkrieg war ein herber Rückschlag für den Expansionsdruck der deutschen Kapitalisten. Zusammen mit der für das Kapital wachsenden Gefahr, die vom Sieg der sozialistischen Oktoberrevolution ausging, war so das entscheidende Fundament für einen erneuten Anlauf zur Weltmacht gelegt. Für die USA war die Feindschaft Deutschlands gegen seine europäischen Rivalen, England und Frankreich, eine willkommene Entwicklung. Das deutsche Finanzkapital förderte den Faschismus und beging mit dem zweiten Weltkrieg ungeheuerliche Verbrechen zur Eroberung Europas (und auch weit darüber hinaus, wie beispielsweise mit dem Afrikafeldzug der deutschen Faschisten zur Eroberung Nordafrikas) und Vernichtung der Sowjetunion.

Nach dem Ende des zweiten Weltkriegs in Europa lag der deutsche Imperialismus am Boden. Mit Hilfe der USA, die sich vermittelt durch den Krieg an die Spitze der imperialistischen Weltordnung setzten, konnte sich Westdeutschland als Sperrspitze gegen das sozialistische Weltsystem wieder aufbauen. Der erste NATO-Generalsekretär Lord Ismay brachte die US-Strategie bezüglich Europas auf eine klare Formel: Russland raushalten, USA drin halten, Deutschland unten halten. Unter den Bedingungen der Nachkriegsordnung entstand eine letztlich bis heute in seinen Grundlinien gültige Konstellation zwischen den europäischen Großmächten und den USA. Die USA garantieren den Rahmen der imperialistischen Ordnung militär- und finanzpolitisch. Die europäischen Großmächte akzeptieren zähneknirschend und mangels Alternative die vorherrschende Rolle der USA, die insbesondere in der NATO zum Ausdruck kommt. Es entstand eine Beziehung die gleichzeitig von Partnerschaft und Rivalität geprägt sein musste. Das deutsche Monopolkapital, das am Raubkrieg und der Millionen zur Zwangsarbeit eingesetzten Kriegsgefangenen verdient hatte, konnte unter dem Schutz des US-Imperialismus nach dem zweiten Weltkrieg seinen wirtschaftlichen und politischen Wiederaufstieg begehen. Mit der wirtschaftlichen und politischen Integration Europas, von der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl hin zur EU, konnte Deutschland eine lang gehegte Strategie verwirklichen. Insbesondere nach der Konterrevolution – der Niederlage des Sozialismus in Europa, konnte sich das deutsche Monopolkapital vermittelst des europäischen Freihandels an die Spitze Europas von West bis Ost setzen. Osteuropäische Länder dienen der deutschen Industrieproduktion bis heute als billige Werkbank, die Mitgliedsländer der EU als Absatzmarkt – sie werden von der deutschen exportorientierten Wirtschaft geflutet und kaputtkonkurriert. Insbesondere die deutsche Automobilproduktion spielt eine Schlüsselrolle bei der Zurichtung von Produktions- und Lieferketten nach ihren Interessen. Wichtiger Bestandteil dieser wirtschaftlichen Strategie des deutschen Monopolkapitals war der Zugriff auf günstige Energierohstoffe, vornehmlich Gas aus Russland.

Die USA waren nicht gegen die europäische Integration. Im Gegenteil, sie förderten sie sogar kräftig nach dem zweiten Weltkrieg. Entscheidend für den US-Imperialismus blieb allerdings bis heute, dass diese Entwicklung weiterhin integriert blieb in die sicherheitspolitisch durch sie garantierte Ordnung. Erweiterungen der EU gingen meist synchron einher mit NATO-Erweiterungen. Insbesondere militärisch stärkten die USA nach 1990 ihren Einfluss in osteuropäischen Ländern, die ohnehin vor dem Hintergrund historischer Erfahrung mit gewisser Skepsis auf ein zu mächtiges Deutschland blickten. Eine eigenständige EU-Armee war für die USA immer ein No Go, und ist bis jetzt, trotz vielfacher deutscher Vorstöße, gescheitert. 

Krieg gegen Russland – Deutschland ein Vasall der USA?

Spätestens seit dem Februar 2022 erleben wir in Deutschland eine scheinbar völlig widersprüchliche Situation. Einerseits tritt Deutschland an der Seite der USA und den anderen NATO-Staaten geschlossen und besonders scharf gegen Russland auf. Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock hatte bereits am 25. Februar 2022 davon gesprochen, dass die beschlossenen Sanktionen in der Absicht beschlossen wurden, um „Russland zu ruinieren“. Neben ihr betreiben auch das sonstige politische und wirtschaftliche Führungspersonal eine aggressive Kriegsrethorik gegenüber Russland. Andererseits hatte die Sanktionspolitik und die wirtschaftliche Abkopplung von Russland die deutsche Wirtschaft vor Probleme, vornehmlich in Hinblick auf ihre Versorgung mit billiger Energie, gestellt. Hinzu kam im Herbst 2022 dann die Sprengung der Nord Stream Pipelines, ein Angriff auf die zentrale Energieinfrastruktur Deutschlands, die ohne größere Regung oder öffentlichen Aufruhr hingenommen wurde. Wie lässt sich das erklären?

Tatsächlich haben diese Entwicklungen für sehr kontroverse Diskussionen auch innerhalb linker und kommunistischer Kreise gesorgt, die bis heute anhalten. Müssen fortschrittliche Kräfte die Unabhängigkeit des deutschen Imperialismus von den USA fordern? Gibt es in Deutschland überhaupt noch eine starke eigenständige Bourgeoisie, die bekämpft werden muss? Wären nicht gar Vertreter aus der bürgerlichen Klasse potentielle Bündnispartner für eine solche von den USA unabhängige nationale Strategie? Nicht zuletzt sorgen diese Fragen auch für kontroverse Diskussionen über die im Januar neu gegründete Partei „Bündnis Sahra Wagenknecht“, die eine solche nationale Strategie für das deutsche Kapital umwirbt. Im Folgenden sollen einige, nicht abschließende Thesen zu der Problematik vorgestellt werden. Viele Fragen bleiben offen, und erfordern eine weitere tiefere Beschäftigung und intensive Diskussion, auch im internationalen Rahmen. Es sind Probleme und Fragen, die sich direkt auf den Klassenkampf auswirken. Es sind Fragen der Strategie und Taktik. Wer ist Gegner, wer potentielle Bündniskraft? Was sind die Hauptlosungen der politischen Auseinandersetzung? Ein umfassenderes Verständnis der Funktionsweise und Herrschaftsverhältnisse der gegenwärtigen imperialistischen Ordnung muss von den fortschrittlichen Kräften weltweit erarbeitet werden. Wir wollen hieran weiter arbeiten und versuchen mit den übersichtlichen Mitteln, die wir haben, beizutragen.

Deutschland war bereits lange vor 2022 an einem aggressiven Kurs gegen Russland beteiligt. Die deutsche Außenpolitik hat kräftig am Maidan-Putsch 2014 mitgewirkt und dabei geholfen die Ukraine zu einem Anti-Russland aufzubauen. In zunehmendem Maße wurde im Verlauf der 00er Jahre für den Westen deutlich, dass man Russland nicht in der gewünschten Weise unterordnen und integrieren könne. Herausragend bleibt sicherlich die Rede Putins auf der Münchener Sicherheitskonferenz 2007, in der er auch als Reaktion auf die stetige NATO-Osterweiterung sagte: „Ich denke, dass für die heutige Welt das monopolare Modell nicht nur ungeeignet, sondern überhaupt unmöglich ist“. Deutschland blieb dennoch im Unterschied zu den USA ambivalenter in seinen Beziehungen zu Russland, die im Übrigen auch mit Blick auf die wirtschaftlichen und politischen Beziehungen seit Ende des 19. Jahrhunderts stets von der Gleichzeitigkeit und dem Wechsel aus Kooperation und Konfrontation geprägt waren. Im Unterschied zu den USA ist Deutschland, eben auf Grund seiner wirtschaftlichen Beziehungen zu Russland, an einigen Punkten – wie bspw. in der Frage des NATO-Beitritts von Georgien und der Ukraine – zurückhaltender aufgetreten.

Nach der Konterrevolution um 1990, dem sogenannten „unipolaren Moment“, machten die US-Strategen keinen Hehl aus ihrem Anspruch der alleinigen Supermacht, die keinerlei Konkurrenz dulden würde. Mit ihrer Politik in Jugoslawien und Osteuropa haben die USA stetig versucht den deutschen Einfluss zu begrenzen und insbesondere militärisch ihre Macht in Europa zu sichern. Gemäß der oben wiedergegebenen Linie von Lord Ismay musste die sich vertiefenden wirtschaftlichen Beziehungen Deutschlands zu Russland zerschlagen werden. Sowohl Trump als auch Biden hatten mit Kritik in Hinblick auf die Gaspipelines wahrlich nicht gespart, Deutschland und alle am Bau von Nord-Stream II beteiligten Unternehmen gar mit Sanktionen belegt. Angela Merkel und nach ihr Olaf Scholz hielten dennoch an dem Bau der Pipeline fest, und brauchten damit deutlich das Ziel zur deutschen Großmachtpolitik zum Ausdruck.

Aus Sicht der USA ist es ein sehr wünschenswertes Ergebnis, dass der deutsche Konkurrent durch den Krieg geschwächt wird und statt russischem Gas nun US-Amerikanisches LNG einkaufen muss. Deutschland ist einerseits gegenwärtig nicht in der Lage den Handlungen der USA ausreichend zu begegnen und zugleich mit starken gemeinsamen Interessen zum Erhalt der imperialistischen Ordnung an die USA gebunden. Gleichzeitig kann die deutsche Bourgeoisie einen wachsenden Einfluss Russlands in Osteuropa – „seinem Hinterland“ – nicht akzeptieren und kündigt insofern auch aus direkt eigenem Interesse die Verbindungen zu Russland auf.

Entscheidend für den Hintergrund des Krieges der NATO gegen Russland muss die Hegemoniekrise des US-geführten Imperialismus genauer untersucht werden. Die Wirtschaftskrise von 2007 und der ökonomische Aufstieg Chinas, der sich unter anderem in der Neuen Seidenstraße zeigt, sind wohl die markantesten Ausdrücke dieser Krise. Das Interesse zum Erhalt der imperialistischen Ordnung, wie sie unter Führung der USA aufgebaut wurde eint bis zu einem gewissen Grad die europäischen Großmächte. Sie sind (noch) nicht in der Lage mit eigenen Mitteln ihre beherrschende Rolle aufrechtzuerhalten. Nicht zuletzt fehlt es ihnen an militärischer Kapazität. Aber ist es überhaupt realistisch, dass Deutschland oder auch Großbritannien oder Frankreich diese Fähigkeiten zum eigenständigen Agieren wird aufbauen können? Inwieweit agieren die herrschenden Kreise des Monopolkapitals nur völlig rational in dieser Hinsicht? Haben nicht die historischen Erfahrungen, insbesondere des zweiten Weltkrieges gezeigt welchen abenteuerlichen Großmachtträumereien sich die Kapitalisten hingeben? Wir müssen diese Zusammenhänge noch besser verstehen. 

Jedenfalls sieht alles danach aus, dass der deutsche Imperialismus den Krieg gegen Russland versucht zu nutzen, um sich stärker und potenziell eigenständiger aufstellen zu können. Die Bundeswehr übernimmt Schlüsselverantwortungen an der Ostflanke der NATO, die sie auch zum Aufbau der eigenen Kapazitäten nutz. Nicht nur werden die eigenen militärischen Potentiale massiv ausgebaut, umfangreiche Subventionierungen federn die stark gestiegenen Energiekosten für das Monopolkapital ab. Die Kapitalisten finden außerdem vielfältige Wege, um die Sanktionen in der einen oder anderen Weise zu umgehen. Dem entgegen stehen allerdings Werksschließungen und Standortwechsel deutscher Großkonzerne. Teilweise werden sie mit saftigen Subventionsversprechen auch in die USA gelockt. Inwiefern es dem deutschen Imperialismus also tatsächlich gegenwärtig darum geht, die Eigenständigkeit und das eigene Monopolkapital zu stärken und inwiefern es tatsächlich gelingt, und eine realistische Perspektive ist, muss noch besser untersucht werden. Politiker der Bundesregierung werden nicht müde einerseits ihre transatlantische Freundschaft und andererseits ihre schamlosen Vorstellungen einer aggressiven deutschen Großmachtpolitik zu verkünden. Lars Klingbeil, Vorsitzender der SPD, brachte das im Sommer 2022 so auf den Punkt:

„Deutschland muss den Anspruch einer Führungsmacht haben. Nach knapp 80 Jahren der Zurückhaltung hat Deutschland heute eine neue Rolle im internationalen Koordinatensystem.“[1]

Wer rechnen kann, weiß, dass sich Klingbeil hier also wünscht, an die Führungsrolle anzuknüpfen, die der deutsche Faschismus brutal zu erzwingen suchte. Was sich zeigt ist, dass von einer Stärkung der Eigenständigkeit des deutschen Imperialismus – wie realistisch sie auch sein mag – keine fortschrittliche Entwicklung zu erwarten ist. Der kurze historische Überblick sollte vor allem auch die reaktionäre Tradition des deutschen Monopolkapitals verdeutlichen. Über 150 Jahre haben die hiesigen Konzerne und Banken ihr weltweites Akkumulationsregime entwickelt und verfeinert. Sie bilden die Kontinuität Deutschlands, über die Wechsel der politischen Herrschaftsformen und zentralen Einschnitte hinweg. Im deutschen Monopolkapital ist eine chauvinistische auf abenteuerliche imperialistische Ausdehnung und Unterwerfung orientierte Klasse vereinigt, die nur so lange ihre Abhängigkeit zu den USA akzeptieren, wie sie unbedingt müssen.

Wir wollen weiter an diesen Fragen arbeiten. Wir wollen verstehen wie geeint „der Westen“ tatsächlich zur Führung eines dritten Weltkrieges gegen China ist? Wo Widersprüche liegen, die ggf. vertieft werden können? Wie agiert der deutsche Imperialismus weltweit, und wie wir dagegen gezielt internationalistische Gegenwehr aufbauen können? Braucht es heute überhaupt noch diese Art faschistischer Herrschaft innerhalb des Westens, wie sie im 20. Jahrhundert aufgebaut wurde, oder sind die Herrschaftstechniken soweit verfeinert und der Westen geeint, dass mit anderen Herrschaftsformen der Imperialismus gesichert werden soll?

Antiimperialistischen Kampf und internationale Solidarität stärken

Mit jedem Tag wird deutlicher, dass es im Krieg der NATO gegen Russland weder um die Ukraine noch „nur“ um Russland geht. Die Vorherrschaft des westlichen Imperialismus unter der Führung der USA selbst ist in einer tiefen Krise. Nicht zuletzt ist es ein wichtiger Effekt des großartigen Kampfes des palästinensischen Volkes gegen die israelische Besatzungsmacht, dass die Linien des internationalen Klassenkampfes deutlicher zu Tage treten. Die Maske liberaler Demokratie ist abgezogen – die Realität imperialistischer Unterwerfung und Aggression tritt den Völkern dieser Erde mit aller Deutlichkeit entgegen. In der Krise wird das reaktionäre Wesen des Imperialismus offensichtlich. Tatsächlich ist diese Krisentendenz innerhalb der imperialistischen Länder und eben auch in Deutschland damit verbunden, dass reaktionäre und chauvinistische Elemente der Herrschaft gestärkt werden. Die gegenwärtige deutsche Regierung selbst betreibt den Abbau demokratischer Rechte, die von einem gut kontrollierten Medienapparat mit chauvinistischer Hetze flankiert werden. Parallel wird versucht jeglichen Unmut in die Bahn noch reaktionärerer Abteilungen der bürgerlichen Herrschaft zu kanalisieren. Offen faschistische Kräfte werden gestärkt, linke oppositionelle Kräfte werden in das herrschende bürgerlich-liberale Establishment integriert.

Grundsätzlich bietet diese Situation, eben weil die Politik des Imperialismus sich deutlicher zeigen muss, eine gesteigerte Möglichkeit die Reihen der revolutionären Arbeiterbewegung zu vergrößern und enger zu schließen, den Grad des Klassenbewusstseins zu erhöhen. Für dieses Ziel stellen sich einem allerdings innerhalb der deutschen Arbeiterklasse weitere mächtige Barrieren in den Weg. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB), der Dachverband deutscher Gewerkschaften, der rund sechs Millionen Mitglieder vereint, steht fest an der Seite des deutschen Imperialismus, sowohl wenn es um den Krieg gegen Russland als auch die Unterstützung Deutschlands beim Völkermord in Palästina geht. Gewerkschaftsführung und Sozialdemokratie (das betrifft auch die Linkspartei) integrieren große Teile der Arbeiterklasse in den deutschen Kriegskurs und machen sich die Interessen des deutschen Monopolkapitals zu eigen, wenn sie den deutschen Wirtschaftsstandort möglichst konkurrenzfähig halten wollen – scheinbar zur Sicherung ihrer eigenen Beschäftigung. Die Bestechung breiter Schichten der Arbeiterklasse wirkt als materielle Grundlage des Opportunismus der Arbeiteraristokratie. Jede Regung für internationale Solidarität, kämpferische Gewerkschaftspolitik und Widerspruch zur imperialistischen Politik wird innerhalb der Gewerkschaften und breiter Teile der Öffentlichkeit in geübter Weise erstickt. 

Heute ist in Deutschland die Solidaritätsbewegung mit Palästina eine der am meisten vorantreibenden Fortschrittskräfte. Junge migrantische Teile der deutschen Arbeiterklasse geraten am schärfsten in Widerspruch mit der chauvinistischen und neokolonialen Politik Deutschlands, an der Seite Israels. Nicht zuletzt zeigen sich hier fortschrittliche Potentiale für eine internationalistisch ausgerichtete und kämpferische deutsche Arbeiterbewegung. Diese aufzunehmen und zu fördern ist die Aufgabe der Kommunisten.

Bedauerlicherweise gibt es allerdings auch in kommunistischen Kreisen einen starken linksradikalen Einfluss, der eine vermeintlich konsequente Haltung gegen die herrschende Regierung völlig handzahm werden lässt. Weit verbreitet ist die Vorstellung, dass es sich beim Krieg in der Ukraine um einen mutmaßlich zwischenimperialistischen Krieg handeln würde. Kurz gesagt ist die Vorstellung, dass es im internationalen Maßstab eine Konkurrenz zwischen zwei imperialistischen Polen geben würde, wobei der eine um die USA und der andere um China organisiert sei. Die Arbeiterbewegung dürfe sich weder auf die eine noch auf die andere Seite schlagen, sondern müsste für den Sozialismus kämpfen. Auch in der Kommunistischen Organisation wurde nach dem Februar 2022 eine solche Position von Einigen vertreten, die sich später von unserer Organisation abgespalten haben. Wir haben erkannt, wie gefährlich diese vermeintlich besonders revolutionäre Position in der Wirklichkeit des Klassenkampfes ist. In der Praxis wenden sich solche verbalradikalen Linken vornehmlich gegen alles und jeden, der sich in scharfer Auseinandersetzung mit dem Imperialismus befindet, um die Arbeiterbewegung davor zu „warnen“, dass es sich bei Russland, China, Mali, Südafrika usw. eben um kapitalistische Produktionsverhältnisse und Regierungen handeln würde, die selbst zu bekämpfen seien. Koloniale und neokoloniale Unterdrückung werden marginalisiert oder völlig ignoriert. In der Tat spielen solche Kräfte also der Propaganda und der politischen Haltung des NATO-Imperialismus in die Hände und treten für die Fortführung der imperialistischen Ordnung ein.

Im Unterschied dazu versuchen wir mit anderen Kräften den Zusammenhang aus nationaler Befreiung, anti-imperialistischen Kämpfen und dem Kampf für den Sozialismus zu stärken und besser zu verstehen. Der Vertrauensverlust der europäischen und nordamerikanischen Großmächte gegenüber den Völkern der Welt ist gut und muss von kommunistischen Kräften verstärkt werden. Die politische und ökonomische Krise des Imperialismus muss durch die Klassenkämpfe und nationalen Befreiungskämpfe vertieft werden. Wir treten ein, für die Niederlage der NATO und des deutschen Imperialismus ob in der Ukraine oder in Palästina, Westafrika oder China. Der Kampf um Souveränität und Unabhängigkeit vom System imperialistischer Unterdrückung und Ausbeutung muss aus unserer Sicht unbedingt unterstützt und als Teil des Kampfes für den Sozialismus verstanden werden.

In diesem Sinne stellen uns die gewaltigen und dynamischen Entwicklungen innerhalb der imperialistischen Ordnung vor konkrete und große Aufgaben. Viel stärker müssen die kommunistischen und anti-imperialistischen Kräfte ihre Reihen weltweit enger schließen. Wir brauchen die gemeinsame internationale Verbindung, Diskussion und einheitliches Handeln im weltweiten Klassenkampf. In diesem Sinne suchen wir – wenngleich als kleine und junge Organisation – den internationalen Austausch, die Vertiefung politischer Beziehungen und die scharfe Auseinandersetzung, um die brennenden Fragen unserer Zeit besser und umfassender zu verstehen. In diesem Sinne:

Hoch, die internationale Solidarität!


[1] Rede Lars Klingbeils zur Zeitenwende im Rahmen der Tiergartenkonferenz 2022, gehalten am 21. Juni 2022 in Berlin.