English
русский
عربي

Exportierter Faschismus?

Die Debatte um Faschismus in der Außenpolitik
zwischen RKAP und KKE 2014 – 2022

Von Nasrin Düll

Betreiben NATO und USA ihre Außenpolitik mit faschistischen Mitteln und sind deshalb antiimperialistischer und antifaschistischer Kampf unmittelbar miteinander verbunden? Zu dieser Frage gibt es eine Debatte zwischen der RKAP und der KKE. Sie soll hier kurz dargestellt werden.

Ablauf der Debatte

Anlässlich des Jahrestages des Beginns des Ersten Weltkriegs beschäftigte sich die 5. Ausgabe der International Communist Review (ICR) 2015 mit der Zuspitzung zwischenimperialistischer Widersprüche, der Kriegsgefahr und den Aufgaben der kommunistischen Parteien.
Dabei entspann sich an dem Diskussionsbeitrag der Russischen Kommunistischen Arbeiterpartei (RKAP)¹ eine Kontroverse zwischen RKAP und KKE, die sich v.a. an dem von der RKAP vertretenen Konzept des „exportierten Faschismus“ entzündete.

Bereits 2012 hatte die RKAP auf dem Internationalen Treffen der Kommunistischen und Arbeiterparteien (IMCWP) in Beirut eine Resolution eingebracht, in welcher die NATO-Politik im Mittleren und Nahen Osten als „Faschismus für den Export“ charakterisiert werden sollte: „(…) Faschismus für den Export, die offen terroristische imperialistische Politik der Gewalt und die blutigen Wege der Problemlösung, die alle internationalen Gesetze und Normen ignorieren und die Interessen des internationalen Imperialismus sichern, in dessen Zentrum das Finanzkapital steht.“² Die Formulierung wurde letztendlich nicht in die Resolution aufgenommen – das Konzept stieß international teils auf Unverständnis.³

International erneut aufgeworfen wurde diese Frage erst im Frühjahr 2022 im Rahmen der Auseinandersetzungen zwischen der KKE und den beiden russischen kommunistischen Parteien, KPRF und RKAP, um die Haltung zum russischen Militäreinsatz in der Ukraine und deren Ablehung des „Joint Statement“. Der Beitrag der RKAP „Zur Haltung der RKAP zu den militärischen Aktionen der russischen Regierung“ vom 26.03.2022⁴ begründet ihre Ablehnung. Daraufhin kritisierte die KKE in der Rizospastis scharf die Haltung der RKAP „On the stance of the RCWP on the imperialist war in Ukraine“ (29.04.2022)⁵, woraufhin diese auf ihrer Website das Statement „Zum Klassenverständnis des Kampfes gegen den Faschismus und den ‚linken‘ Irrtümern der griechischen Genossen“ (19.05.2022)⁶ veröffentlichte.

Faschismus in der Außenpolitik, bürgerliche Demokratie im Inneren?

Das Exekutivkomitee der Kommunistische Internationale (EKKI) bestimmte den Faschismus bekanntlich auf ihrem XIII. Plenum als „die offene terroristische Diktatur der am meisten reaktionären, chauvinistischen und imperialistischen Teile des Finanzkapitals“. ⁷ Diese später durch Dimitroff aufgegriffene These habe laut RKAP nicht an Gültigkeit verloren, da sich das Wesen des Imperialismus nicht verändert habe. Generell diene der Faschismus meist als kurzfristige Lösung bestimmter Widersprüche im Kapitalismus und sei wie die bürgerliche Demokratie eine Form der Diktatur der Bourgeoisie. Das Konzept des „Exportierten Faschismus“ geht nach Angaben der RKAP auf einen Artikel von Boris L. Fetisow zurück, der 2006 in der Narodnaja Pravda erschienen ist.⁸

„Faschismus für den Export“, „Exportierter Faschismus“ und „Faschismus in der Außenpolitik“ fungieren für die RKAP als synonyme Arbeitsbegriffe. Die RKAP unterscheidet in ihrem Beitrag von 2015 zwischen Faschismus als ideologisches System und Faschismus als (Staats-)Politik. Während der Faschismus als ideologisches System sich in allen imperialistischen Ländern u.a. in der Form des Antikommunismus offenbare, kennzeichne „fascism as politics“ die Ablehnung demokratischer Institutionen und der offene Gebrauch terroristischer Mittel durch den Staat.

Anknüpfend an die Definition des Faschismus als „Diktatur der am meisten […] imperialistischen Elemente des Finanzkapitals“ und die Bestimmung des Imperialismus als die Herrschaft „einer Handvoll mächtiger Staaten“ sei der zeitgenössische Faschismus das Instrument des internationalen Finanzkapitals zur Durchsetzung ihrer Interessen in der Welt. Er nehme in erster Linie die Form einer extrem chauvinistischen (Kriegs-)Politik nach außen, bei gleichzeitiger Wahrung der bürgerlichen Demokratie im Inneren an. Als ‚reaktionärste Elemente‘ fasst die RKAP nicht bestimmte „Kapitalfraktionen“ innerhalb eines Landes auf, sondern das weltbeherrschende US- und westeuropäische Finanzkapital (RKAP 2015).
Die negative Verschiebung des internationalen Kräfteverhältnisses nach der Konterrevolution habe als Katalysator für den „Exportierten Faschismus“ gewirkt. Als Beispiele hierfür werden die NATO-Kriege in Jugoslawien, Irak, Afghanistan, Libyen, Syrien genannt. Die Installation der faschistischen „Junta“ in Kiew sei die jüngste Erscheinung dieses Phänomens (RKAP 2022b). Die RKAP sieht zwar die imperialistischen Widersprüche zwischen USA, EU und Russland als Ursprung des Konflikts an, schätzt aber zugleich ein, dass es die USA sind, die eine gezielte Politik der Spaltung der ukrainischen Bevölkerung und die offene Förderung des Faschismus in der Bandera-Tradition vorantrieb, um die Ukraine gegen den Rivalen Russland in Stellung zu bringen, der Dank seiner militärischen Kapazitäten nicht wie Libyen direkt zerstört werden konnte (RKAP 2022c).

Aus dem eben skizzierten Wesen des Faschismus ergebe sich, dass Antifaschismus und Antiimperialismus einen untrennbaren Zusammenhang bilden müssen. Potenzielle Verbündete in diesen Kämpfen seien jene „fortschrittlichen Kräfte“, die gegen den Imperialismus kämpften, sei es gegen die Zerschlagung Syriens, für die Unabhängigkeit Irans oder gegen die Putschregierung in der Ukraine. Diese Allianzen haben temporären Charakter und entsprechen dem Interesse der Arbeiterklasse, die Errichtung offen terroristischer Regime in ihren Ländern zu verhindern, auch in Hinblick auf ihre Kampfbedingungen für den Sozialismus. Im Kampf gegen den Faschismus gelte es, Widersprüche im bürgerlichen Lager auszunutzen (RKAP 2015).

Für die RKAP ist klar, dass die russische Militärintervention nicht von „patriotischen Gefühlen der Solidarität“ motiviert sei, sondern militärischen Sicherheitsinteressen folge (RKAP 2022b). Insofern die russische Militärintervention dem Kampf gegen Faschismus und der nationalen Verteidigung diene, handele es sich um einen gerechten Krieg. Die Unterstützung von Kommunisten müsse dann aufhören, falls „imperialistische Ziele der russischen Bourgeoisie“ und arbeiterfeindliche Maßnahmen im Zuge des Krieges vorangetrieben werden würden. Die RKAP fordert prinzipiell die Verbindung des antifaschistischen Kampfs mit dem Kampf um den Sturz der russischen Bourgeoisie. Sie betonen aber, dass die realen Kräfteverhältnisse in Russland miteinbezogen werden müssen. Unter den jetzigen Umständen müssen die Menschen im Donbass und die antifaschistischen „forcierten“ Ziele des russischen Militäreinsatzes unterstützt werden.

Die Kritik der KKE

Bereits 2015 verurteilte die KKE die Unterteilung in „gute“ (bürgerlich-demokratische) und „böse“ (faschistische) Imperialisten, welche auf die Unterstützung einer imperialistischen Seite hinauslaufe. Die von der RKAP propagierte „Antifaschistische Front“ bedeute unter den heutigen Umständen ein Zusammengehen der Arbeiterbewegung mit nicht-sozialistischen Kräften. Letztendlich führe diese Linie zur Aufgabe des sozialistischen Ziels (KKE 2022).

Die Schlüsse, welche insbesondere aus der „Dimitroff-Definition“ durch die RKAP gezogen würden, seien eine „unwissenschaftliche“ und „mechanistische“ Verallgemeinerung der spezifischen Lage, in welcher sich die Sowjetunion zu jener Zeit befunden habe.

In ihrer Stellungnahme vom April 2022 verschärft die KKE weiter die Kritik an der „bürgerlichen“ „verhängnisvollen Theorie des Exportfaschismus“. Als Konsequenz dieser falschen strategischen Orientierung sei die RKAP nun „auf eine Linie mit der Bourgeoisie ihres Landes und sogar mit ultrarechten, nationalistischen Organisationen“ eingeschwenkt (KKE 2022).

Wir erfahren außerdem etwas mehr über die Einschätzung der KKE der „Dimitroff-Definition“. Einerseits bemängelt die KKE erneut ihre Verallgemeinerung, andererseits hält die Partei die Definition auch in ihrem historischen Kontext für kritikwürdig: „Wir sollten jedoch nicht vergessen, dass diese Definition in einer Zeit entstanden ist, in der es eine ernsthafte Kontroverse unter den KI-Kadern gab; vor allem hat sich in der Praxis gezeigt, dass sie nicht in der Lage ist, die Beziehung zwischen Faschismus und Kapitalismus zu verdeutlichen und diese Beziehung in der Strategie der internationalen kommunistischen Bewegung zu berücksichtigen.“ (KKE 2022)⁹ An anderer Stelle beruft sich die KKE positiv auf die Faschismusdefinition des VI. Weltkongresses von 1928. (KKE 2015).
Ausblick

In ihrer letzten Antwort wirft die RKAP der KKE vor, die Beschlüsse und Faschismusdefinition des VII. Weltkongresses abzulehnen und gleichzeitig keine eigene Faschismusdefinition vorzuschlagen. Der einzige Zusammenhang, in welchem die KKE die Charakterisierung faschistisch gebrauche, sei in Bezug auf nationalistische Bewegungen wie die Goldene Morgenröte oder aber nationalistische Kräfte in Russland. Sie relativierten so auch die faschistische Entwicklung in der Ukraine, die Bedeutung des antifaschistisch-antiimperialistischen Kampfes und sei indifferent gegenüber der faschistischen NATO-Außenpolitik (RKAP 2022c).

Aktuell ist in der Debatte keine Weiterentwicklung der Positionen erkennbar. Auch wenn die Beiträge der RKAP wichtige Fragen aufwerfen, werden diese von Seiten der KKE eher abgetan und mit Allgemeinplätzen beantwortet. Nach 2014 hätte eine Debatte zwischen den beiden Parteien organisiert werden können, stattdessen tauchte der Dissens erst wieder in der zugespitzten Situation des russischen Militäreinsatzes auf. Das ist bedauerlich, denn in der Auseinandersetzung zwischen RKAP und KKE geht es nicht nur um die Einschätzung des Faschismus in der Ukraine, sondern auch des Imperialismus und Finanzkapitals, der Kampfaufgaben der Arbeiterklasse und eines grundsätzlich anderen Faschismusverständnis. So ist die angedeutete Kritik an der KI-Faschismusdefinition zwar in einzelnen KOMEP¹⁰-Beiträgen angerissen worden, aber meines Wissens nirgends ausführlich dargelegt.

Die jüngste Antwort der RKAP drückt zwar immer noch das Begehren aus, in eine internationale Debatte einzusteigen. Doch das Verhältnis zwischen beiden Organisationen ist merklich angespannt. Auf der Website der RKAP wurde nun angekündigt, die Debatte vorerst in bilaterale Gespräche zu verlagern und nicht öffentlich weiterzuführen.¹¹ Ob dies zum wissenschaftlichen Abschluss der Debatte oder eben nur zum Abschluss ohne Ergebnis beitragen wird, bleibt abzuwarten.

¹ RKAP 2015, Struggle of communists against the source of war – imperialism, in: ICR 5 (2014). https://www.iccr.gr/en/issue_article/Struggle-of-communists-against-the-source-of-wars-Imperialism/.

² http://www.solidnet.org/article/0bb8b4f8-e2cc-11e8-a7f8-42723ed76c54/.

³ RKAP 2022a, Über den Faschismus für den Export. https://RKAP-rpk.ru/2022/03/17/про-фашизм-на-экспорт/.

⁴ RKAP 2022b, Zur Haltung der RKAP zu den militärischen Aktionen der russischen Regierung und der Streitkräfte des Donbasses in der Ukraine. http://www.solidnet.org/article/Russian-CWP-27-2022–00001/.

⁵ KKE 2022, On the stance of the RCWP on the imperialist war in Ukraine, online: https://inter.kke.gr/en/articles/On-the-stance-of-the-RCWP-on-the-imperialist-war-in-Ukraine/

⁶ RKAP 2022c, Zum Klassenverständnis des Kampfes gegen den Faschismus und den “linken” Irrtümern der griechischen Genossen. http://www.solidnet.org/article/Russian-CWP–00007/.

⁷ EKKI, Der Faschismus, die Kriegsgefahr und die Aufgaben der Kommunistischen Parteien. Thesen angenommen vom XIII. Plenum des EKKI zum Bericht des Genossen Kuuisinen; Jänike/Tarnschrift, Leipzig 1934, 4.

⁸ Auf Deutsch unautorisiert veröffentlicht: https://sascha313.wordpress.com/2017/03/07/boris-fetisow-der-export-des-faschismus/ und im russ. Original: https://web.archive.org/web/20210419180420/https://tr.RKAP-rpk.ru/get.php?4378

⁹ Mehr zur Einschätzung der KI-Faschismusdiskussion kann man hier nachlesen: https://inter.kke.gr/en/articles/100-YEARS-OF-THE-COMMUNIST-INTERNATIONAL/

¹⁰ Theoretisches Organ der KKE

¹¹ https://RKAP-rpk.ru/2022/06/27/о-принципиальной-позиции-ркрп-в-вопро/

Aktuelles

Palästina und die DDR – Befreiungskampf als Staatsräson?

Während in der BRD die bedingungslose Unterstützung Israels als „Ersatz- Antifaschismus" spätestens ab 1952 zunehmend zur „Staatsräson" wurde, erkannten sich die DDR und Israel bis zur Konterrevolution 1989/90 nicht gegenseitig an. Stattdessen wurde die DDR zu einem wichtigen Alliierten der palästinensischen Befreiungsbewegung.

Interview: „The crisis in Germany“

Two of our comrades were guests on the Marx, Engels, Lenin Institute podcast to discuss the current political and economic situation in Germany. Starting with the end of the ‘Ampel’ coalition government, and moving on to an assessment of the AfD and BSW and the development of the German economy, we talk about topics and issues that continue to cause controversy and raise questions within the left-wing and communist movement in Germany.