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Schönfärberei des Imperialismus: Die westliche „Linke“ und Venezuela

Wir veröffentlichen einen Debattenbeitrag von Lukas Koerner und Ricardo Vaz*, die beide im Team von Venezuelaanalysis arbeiten. Der Beitrag ist Anfang Oktober in englischer Sprache beim ebb-magazin veröffentlicht worden. 

Der Diskussionsbeitrag beschäftigt sich mit einer „linken“ Kritik an der Maduro-Regierung im Kontext der jüngsten Wahlen in Venezuela, die uns auch in Deutschland begegnet. Koerner und Vaz argumentieren, dass wenn wesentliche Bedingungen, wie die hybride Kriegsführung des US-Imperialismus gegen Venezuela aus dem Blick geraten, wenn der anhaltende Klassenkampf innerhalb Venezuelas übergangen wird, ein verdrehtes Bild erzeugt wird. Mehr noch wird damit der notwendigen Solidarität eine Absage erteilt.


Jedes Mal, wenn die Bolivarische Revolution in Venezuela erneut mit Bedrohungen ihres Überlebens konfrontiert ist, ist eine Schicht von in den USA ansässigen Intellektuellen immer bereit, „linke“ Kritik zu üben, die die permanente imperialistische Belagerung des Landes absichtlich verschleiert.

In den sechs Wochen seit den umstrittenen Wahlen vom 28. Juli hat Venezuela erneut tödliche Gewalt, eine verstärkte Intervention unter Führung der USA, einschließlich weiterer Sanktionen, sowie Verteidigungsmanöver der Maduro-Regierung und verbündeter Volksbewegungen erlebt.

In ihren Artikeln für New Left Review und The Nation stellen Gabriel Hetland und Alejandro Velasco das umstrittene Panorama nach den Wahlen als Ergebnis im Wesentlichen endogener Faktoren dar – nämlich die „zunehmend neoliberale und sogar rechtsgerichtete Politik“ von Präsident Nicolá Maduro, einschließlich „Austerität, Korruption, Unterdrückung und Dollarisierung“ –, bei der die hybride Kriegsführung der USA bestenfalls ein Begleitphänomen ist. Sie fordern die internationale Linke auf, sich „der Apologie Maduros zu widersetzen“ und den Sieg einer von Faschisten angeführten Oppositionsbewegung zu akzeptieren.

Bereits 2017 und 2019, als die US-Regierung unter Donald Trump und ihre lokalen neokolonialen Verbündeten die Offensive zum Regime Change auf „maximalen Druck“ eskalierten, veröffentlichte Velasco als Chefredakteur des NACLA (North American Congress on Latin America) Hetlands Artikel, in denen er den „Autoritarismus“ der Maduro-Regierung kritisierte und ihr die gleiche, wenn nicht sogar die Hauptschuld an der Krise zuschrieb. Steve Ellner hat diese Position als „Plague on Both Your Houses“-Ansatz bezeichnet (1).

Die Artikel von Hetland und Velasco gehören zu einer breiteren Gattung zutiefst unredlicher „linker“ Kritik aus dem globalen Norden, die in regelmäßigen Abständen Regierungen des Südens und von Washington ins Visier genommene antisystemische Bewegungen angreift, darunter LibyenSyrienLibanonIranJemenSimbabweChinaKubaBolivienBrasilienNicaragua.

Imperialismus als nachrangige Erklärung

Velasco spielt die politischen und wirtschaftlichen Auswirkungen der US-Sanktionen ganz offen herunter:

„Natürlich haben die US-Sanktionen die Krise in Venezuela verschärft. Aber sie sind weder die Ursache dafür, noch erklären sie, warum Sektoren, die der Regierung seit 25 Jahren treu ergeben sind, sich bei den Wahlen von ihr abgewandt haben. Stattdessen ist es die Kombination aus Sparpolitik, Korruption, Unterdrückung und Dollarisierung unter Maduro, die alle die historischen Unterstützungsbasen des Chavismo treffen, die zum ersten Mal den Wechsel der Präsidentschaft zur Opposition herbeigeführt hat.“

Eine solche Verharmlosung ist äußerst unredlich, da selbst der scharfe Anti-Chavista-Ökonom Francisco Rodríguez – wohl kaum ein Mann der Linken – schätzt, dass etwa die Hälfte des zwischen 2012 und 2020 in Venezuela beobachteten Rückgangs des BIP auf politisch bedingte Ursachen zurückzuführen ist, darunter Wirtschaftssanktionen, der Verlust des Zugangs zu externen Finanzierungsquellen und die politisch bedingte Vergiftung der Beziehungen zur venezolanischen Wirtschaft.

Diese zugegebenermaßen konservative Schätzung berücksichtigt nicht die Auswirkungen der Sanktionen unter Barack Obama nach 2014, einschließlich der Einstufung Venezuelas als „ungewöhnliche und außerordentliche Bedrohung für die nationale Sicherheit und die Außenpolitik der USA“im Jahr 2015 (3), was Rodríguez damals mit einem de facto Finanzembargo gegen das Land gleichsetzte.

Hetland versäumt es ebenfalls, den politisch bestimmenden Charakter des wiirtschaftlichen Kriegsführung der USA zu hinterfragen, nur um später in den sozialen Medien zuzugeben, dass er „vergessen“ habe zu erwähnen, dass „Sanktionen eine ungeheuerliche Verletzung einer ‚freien und fairen‘ Wahl darstellen“.

Dieser scheinbare nachträgliche Einfall ist genau der Kern des Problems: Die Venezolaner gingen am 28. Juli mit einer imperialistischen Pistole an ihren Schläfen zur Wahl. Jede Analyse der letzten Wahl, ganz zu schweigen von der Geschichte der Zeit nach Hugo Chávez, die nicht angemessen berücksichtigt, wie der US-Imperialismus jeden Aspekt der internen Widersprüche der Bolivarischen Revolution konditioniert und verschärft hat, ist grundlegend irreführend.

Für Velasco und Hetland ist ein solcher Kontext jedoch im Wesentlichen nebensächlich und hat wenig Einfluss auf die Wahl selbst.

Es stimmt, dass die Regierung Maduro seit 2018 ein orthodoxes wirtschaftliches Liberalisierungspaket umgesetzt hat, das auf Vorteilen für das Privatkapital basiert, während Löhne, Kredite und öffentliche Ausgaben eingefroren wurden, um die Inflation einzudämmen und Investitionen anzuziehen. Diese Politik hat zwar zu einer anhaltenden, wenn auch bescheidenen wirtschaftlichen Erholung geführt und die Inflation auf den niedrigsten Stand seit zehn Jahren gesenkt, aber auch die sozialen Ungleichheiten vertieft und zusätzlich zu den großen Korruptionsskandalen den Unmut der Bevölkerung über alte und neu angehäufte Vermögen geschürt.

Die Entscheidung der Regierung Maduro für eine wirtschaftliche Liberalisierung stellt in der Tat einen ideologischen Rückzug dar. Sie kam jedoch erst nach Jahren eines unaufhörlichen, von den USA angeführten hybriden Krieges zustande, der von Desinformation in den Medien und der Finanzierung von NGOs bis hin zu aufständischer Straßengewalt (Guarimbas) und mörderischen Sanktionen reichte. Dieser Krieg zielt darauf ab, den Weg für revolutionäre Fortschritte zu versperren und die erweiterten staatlichen Organe Venezuelas, insbesondere die „Sozialen Missionen“ und Kommunalen Räte, zu schwächen, die dazu beitrugen, die Regierung und die Regierungspartei in den arbeitenden Massen zu verankern(2).

Um es ganz klar zu sagen: Die Maduro-Regierung betreibt eine Kriegswirtschaft, ohne Instrumente für eine nachhaltige Planung und immer wieder gezwungen, aus einer Reihe „schlechter“ Optionen auszuwählen, die durch Sanktionen, die eine kollektive Bestrafung bewirken und die nationale Souveränität untergraben sollen, effektiv eingeschränkt werden.

Der Energiesektor des Landes liefert klare Beispiele, wie etwa der US-amerikanische transnationale Konzern Chevron, der trotz seiner Minderheitsbeteiligung den Betrieb und den Verkauf in Joint Ventures übernimmt. Jüngste Erdgasgeschäfte sind ebenfalls ein Beweis für die schwache Verhandlungsposition von Caracas, da der staatlichen Ölgesellschaft PDVSA Gewinnanteile verweigert wurden und sie in Geschäften mit ausländischen Partnern lediglich Steuern und Lizenzgebühren einziehen darf. Die Wirtschaftspolitik der Regierung in einem Vakuum darzustellen oder den weltumspannenden Kontext, der sie in hohem Maße bestimmt, herunterzuspielen, ist mehr als irreführend.

Faschismus und die chavistische Basis

Es ist der Gipfel der politischen Doppelzüngigkeit, so zu tun, als würde die Durchsetzung der imperialistischen Kampagne zum Regime Change der Wiederbelebung des Chavismus oder der venezolanischen Linken im Allgemeinen förderlich sein. Vielmehr täuscht diese Position über die Schönfärberei der faschistischen Bedrohung durch Maria Corina Machado hinweg, die sich ganz offen für die Auslöschung des Chavismus ausgesprochen hat.

Hetland und Velasco betonen den weitgehend „spontanen“ Charakter der Proteste nach den Wahlen, die in vielen popularen Vierteln ausbrachen, aber sie schweigen über die erneute politische Gewalt gegen Chavisten, einschließlich der Ermordung von zwei lokalen Anführerinnen – Isabel Gil, 74, und Mayauris Silva, 49, die fatal an die Guarimbasvon 2014 und 2017 erinnern.

Die sozialen Bewegungen in Venezuela betrachten diese Bedrohung zu Recht als existenziell und stehen weiterhin fest an der Seite der Regierung Maduro, ungeachtet ihrer internen Kritik an deren Widersprüchen und Fehltritten sowie der allgegenwärtigen Spannungen mit staatlichen Institutionen.

Wahlen sind, wie der Sprecher der Kommune El Panal 2021, Robert Longa, es ausdrückt, „nur ein taktischer Moment in unserem umfassenderen Kampf“, um neue territorialisierte Produktionsverhältnisse und eine Selbstregierung des Volkes als Grundlage für den sozialistischen Wandel zu schaffen. Angesichts eines weißen suprematistischen Imperiums, das seine Krisen zunehmend durch völkermörderische Kriege löst, „sichert Maduro den Frieden, der für die Kommunen von entscheidender Bedeutung ist, um Kräfte zu sammeln und Fortschritte in Richtung Emanzipation zu erzielen“.

Für die organisierte Basis des Chavismus besteht der einzige Weg nach vorne derzeit darin, ihre Kapazitäten weiter auszubauen, um die allgemeine Richtung der Revolution in eine radikalere Richtung zu lenken. Der venezolanische Staat bleibt somit ein umstrittenes Feld, in dem Basisbewegungen einen Einfluss ausüben, den sie unter einer rechtsgerichteten Regierung niemals hätten.

In den letzten sechs Jahren haben die bäuerlichen Bewegungen in Venezuela, die auf eine lange Geschichte des Kampfes um Land zurückblicken, in den ländlichen Regionen Venezuelas bedeutende Erfolge erzielt. Beim „Bewundernswerten Bauernmarsch„(4) 2018 marschierten Hunderte von Campesinos und revolutionäre Verbündete mehr als 400 Kilometer weit, um vom venezolanischen Staat Antworten zu fordern. Diese Mobilisierung löste im gesamten Chavismus Begeisterung und Solidarität aus. In der Folge hat das Nationale Landinstitut mehr als 90 Prozent der von den Organisatoren vorgebrachten Landstreitigkeiten zugunsten kleiner Bauernkollektive geklärt.

Die Bauernbewegung protestiert zwar dagegen, dass bestimmte staatliche Maßnahmen, darunter der privatisierte Zugang zu Betriebsmitteln und Maschinen, Agrarunternehmen zugutekommen, doch regelmäßige Demonstrationen haben positive Reaktionen der Regierung in Bezug auf die Sicherung der Versorgung mit Kraftstoffen und die Festlegung fairer Erzeugerpreise für Kleinbauern bewirkt.

Organisationen der Volksmacht haben auch unter äußerst widrigen Bedingungen Fortschritte bei der Öffnung eines größeren politischen Raums erzielt, wie die Ernennung von Ángel Prado zum Minister für Kommunen in jüngster Zeit zeigt. Prado ist der erste Kommunarde, der Minister wurde und bringt als wichtiger Anführer der beispielhaften Kommune El Maizal und der Union der Kommunarden einen reichen Erfahrungsschatz in der Organisation mit. Er spricht sich offen dafür aus, dass Basisbewegungen eine größere Rolle bei der Gestaltung der Wirtschaftspolitik spielen sollten, und hat sich für die staatliche Finanzierung demokratisch gewählter lokaler Projekte eingesetzt. Obwohl der von der Volksmacht eingenommene Raum zweifellos begrenzt bleibt, zeigen ihr Kampfgeist und ihre Klarheit in Bezug auf die gegenwärtigen Herausforderungen, dass der sozialistische Horizont von Chávez keineswegs verschwunden ist.

Internationalistische Verantwortung

Doch anstatt diese real existierenden revolutionären Kräfte an der Basis gegen den US-Imperialismus zu unterstützen, rufen in den USA ansässige Akademiker wie Hetland und Velasco abstrakt dazu auf, „sich der Apologetik für Maduro zu widersetzen“ und „die Menschen zu verteidigen, die einst den Kern des Chavismus bildeten“. Sie fordern die Maduro-Regierung auf, die Macht an eine faschistisch geführte Opposition abzugeben, die auf die Vernichtung des Chavismus aus ist und möglicherweise das Leben von Tausenden von chavistischer Organisatoren wie Gil und Silva gefährdet.

Aber sie stellen erwartungsgemäß keine Forderungen an das US-Imperium, „den größten Gewalttäter“ gegen das venezolanische Volk und die Völker des Globalen Südens insgesamt. Ihre Feindseligkeit gilt stattdessen einem bedrängten Staatsoberhaupt, das sich strategisch mit antisystemischen internationalen Akteuren von Kuba und Simbabwe bis Palästina und Iran verbündet hat. Trotz ihrer Rückzüge und Zugeständnisse und der notwendigen Debatte darüber, wie weit sie gehen sollten, ist die Maduro-Regierung dennoch unermesslich demokratischer als das Regime in Washington, das derzeit einen kolonialen Holocaust in Gaza verübt, zusätzlich zu unzähligen anderen Verbrechen gegen arbeitende Menschen auf der ganzen Welt.

Genau wie in Libyen, Syrien und heute in Palästina und im Libanon gibt es keinen Mittelweg zwischen dem US-Imperialismus und den gegen das System gerichteten Staaten und Bewegungen, die vernichtet werden sollen.

Die Entscheidung für die internationale Linke ist klar.

*Lukas Koerner und Ricardo Vaz arbeiten im Team von Venezuelanalysis

Übersetzung: Olga Espín

Quelle: https://www.ebb-magazine.com/essays/whitewashing-imperialism

(1)“A plague on both your houses!“ ist ein Zitat Mercutios aus William Shakespeare: Romeo and Juliet III.1. In der deutschen Übersetzung des Stücks von August W. Schlegel: „Zum Teufel beider Sippschaft!“

(2)Die Consejos Comunales (Kommunale Räte) sind eine Struktur der Selbstverwaltung in den Gemeinden. Gewählte Nachbarschaftsvertreter sind zur Planung und Haushaltsgestaltung in lokalpolitischen Angelegenheiten berechtigt. Sie sind seit 2010 bzw. 2006 gesetzlich verankert, haben Verfassungsrang und sollen die Grundlage für den Kommunalen Staat bilden. Kommunen (comunas) sind Zusammenschlüsse mehrerer Consejos Comunales auf lokaler Ebene. Ziel ist die Selbstregierung des Volkes und die Überwindung des bürgerlichen Staates. Hugo Chávez bezeichnete die Kommunen als „Keimzelle für den Aufbau des Sozialismus“

(3) Diese Einstufung mittels der „Executive Order 13692“ des US-Präsidenten dient zur Verhängung von Sanktionen und wird seit 2015 jährlich verlängert. Seitdem wurden über 900 Zwangsmaßnahmen gegen Venezuela verfügt, darunter verschiedene Finanz- und Handelssanktionen, die Geschäfte mit staatlichen Firmen verbieten, auch mit der staatlichen Erdölgesellschaft PDVSA. Die Sanktionen haben dem Land nach offiziellen Schätzungen in den letzten zehn Jahren 232 Milliarden US-Dollar entzogen.</fn>

(4)Der Name verweist auf die „Bewunderswerte Kampagne“ unter der Führung von Simón Bolivar und einer weitgehend bäuerlichen Armee, die für die Unabhängigkeit Venezuelas entscheidend war

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