Von Johannes Lemke
Redaktionsnotiz
Wir veröffentlichen hier anlässlich des von der NATO angekündigten Manövers Steadfast Defender 2024 einen im Zuge unserer Klärungsarbeit entstandenen Text, der in die Vertiefungsgruppe NATO-Strategien zur Kriegsvorbereitung eingegangen ist.
Prolog – Aus gegebenem Anlass
Die NATO (North Atlantic Treaty Organization) reiht in den letzten Jahren einen Rekord an den nächsten. Bereits das Manöver Defender Europe 2020 (welches auf Grund der Corona-Pandemie erst im Jahr 2021 stattfand) war mit mindestens 30.000 Soldaten eines der größten Manöver der NATO seit Ende des Kalten Krieges überhaupt. Mit über 10.000 Soldaten und 250 Flugzeugen fand mit Air Defender 23 die größte Verlegeübung von NATO-Luftstreitkräften jemals statt. Und wäre das alles nicht genug, legt das imperialistische Militärbündnis noch einen drauf: Das erst 2021 ins Leben gerufene Manöver Steadfast Defender soll sich 2024 als Mega-Projekt etablieren, wie kürzlich bekannt wurde. Es soll mit Abstand die größte Übung von NATO-Streitkräften seit Ende des Kalten Krieges werden, ca. 90.000 Soldaten und über 1.200 Fahrzeuge umfassen und alle NATO-Staaten plus Schweden einbinden (Wiegold, 2024) (Falconer, 2024).
Die Übung soll explizit einen russischen Angriff simulieren, welcher damit den Bündnisfall (Artikel 5 des NATO-Vertrags) auslöst (Wiegold, 2024). So deutlich drückte die NATO ihre Kriegsziele seit Auflösung der Sowjetunion nicht mehr aus, auch wenn bei vorherigen Übungen immer klar war, dass Russland als Aggressor simuliert worden ist. Aus diesem Anlass wird hiermit eine Ausarbeitung vorgelegt, die eigentlich nur als Teil einer Arbeitsgruppe zur „NATO-Strategie zur Kriegsvorbereitung“ im Zusammenhang mit der Klärungsarbeit der Kommunistischen Organisation entstanden ist und somit nicht als eigenständige Publikation gedacht war. Dieser Beginn einer Analyse von Militärmanövern der NATO soll jedoch auf die Dringlichkeit und die Eskalationsspirale hinweisen mit der die NATO den Krieg gegen Russland probt.
Einleitung
Militärmanöver dienen nicht nur der Ausbildung und des Trainings einer Armee bzw. Teilen einer Armee, sondern verfolgen darüber hinaus ein bestimmtes Ziel. Daher sind Militärmanöver Krieg nur ohne kriegerische Kampfhandlungen mit dem Gegner. Sie bereiten den Krieg jedoch direkt vor. Gehen wir davon aus, dass nach Clausewitz der Krieg die Fortführung der Politik mit anderen Mitteln ist, müssen auch Militärmanöver konsequenterweise berücksichtig werden. Die NATO und ihre Einzelstaaten üben bereits seit der Gründung der NATO 1949 die militärische Konfrontation mit der Sowjetunion. Doch auch nach der Konterrevolution und damit dem Zerfall des sowjetischen Staates, bleibt der absolute Fokus der NATO auf dem Rechtsnachfolger der Sowjetunion – der Russischen Föderation – bestehen. Besonders seit 2014 rückt die Rolle der NATO im Kampf gegen Russland wieder vermehrt ins öffentliche Bewusstsein. Ableitend daraus müssen wir für die Einschätzung der Militärintervention Russlands in der Ukraine die NATO und damit ihre Manöver betrachten. Es soll damit ein Teilaspekt der These herausgearbeitet werden, dass die NATO einen Krieg gegen Russland vorbereitet hat.
Die Bundeswehr definiert ein Manöver als „eine möglichst realitätsnahe militärische Übung“ (Bundeswehr, 2023). Im Folgenden soll der Begriff Manöver jedoch im weiteren Sinne verstanden werden. Er bezieht sich nicht nur auf tatsächlich als „Manöver“ deklarierte Übungen, sondern auch auf Einsätze, Kriege, Truppenbewegungen und sonstige Aktivitäten unter Einbindung von NATO-Streitkräften.
Die vorliegende Ausarbeitung gliedert sich in zwei Hauptteile. Zum einen sollen Rechercheergebnisse allgemein zu Militärmanövern festgehalten werden, die zur Vorbereitung dienen, um konkrete Geschehnisse einzuordnen. Zum anderen sollen Militärmanöver der NATO im Hinblick auf die Forschungsfrage betrachtet werden.
Charakterisierung von Manövern
Militärmanöver haben auf Grund zunehmender Großkonflikte eine zunehmende Bedeutung (Pflüger, 2022). Schließlich dienen sie der konkreten Vorbereitung eines Staates auf einen Krieg (unabhängig ob angreifend oder angegriffen). Beispielsweise die Bundeswehr gibt mit steigender Tendenz zwischen 100 und 300 Millionen Euro allein für die Beteiligung an Manövern aus ( Informationsstelle Militarisierung, 2023). Doch die genaue Bedeutung von Manövern zu bestimmen, geschieht in der Literatur selten, obwohl allein aus dem Charakter von Übungen die politische Motivation eines Staates oder Staatenbündnisses an einem möglichen zukünftigen Krieg abgeleitet werden könnte. Um militärische Manöver genauer politisch charakterisieren zu können, haben wir mehrere Merkmale identifiziert, die im Folgenden kurz dargelegt werden sollen. Zur Charakterisierung von Manövern muss die Funktion bzw. sein Ziel und seine Mittel analysiert werden. Zumeist erfüllt eine Trainingsmission nicht nur ein, sondern auch mehrere Ziele – sie können sich gegenseitig ergänzen und schließen sich nicht zwangsläufig aus.
Die Merkmale von Manövern lassen sich in folgende Teilbereiche gliedern: Funktion/Ziel, Ort und Umfang, wobei vor allem die Funktionen sehr vielfältig sein können.
Die Funktion eines Manövers kann das Training von Soldaten, das Zeigen von Militärpräsenz, die Sensibilisierung der Bevölkerung oder auch die Aufklärung des Gegners sein. Ein Training kann das Testen von Abläufen und Strukturen bedeuten, genauso wie das Vertraut machen der Soldaten und der Technik mit der Umgebung. Darüber hinaus können Waffensysteme und Kommunikationswege getestet werden. Die Militärpräsenz kann unter anderem dazu dienen, gegenüber dem Gegner ein Bedrohungsszenario zu schaffen. So kann ein Manöver jeder Zeit in einen tatsächlichen Einsatz umschlagen – defensiv wie offensiv. Darüber hinaus kann eine Übung die Funktion erfüllen, die Bevölkerung bewusst in die Kriegsplanung ein- oder auch auszuschließen. Sie kann in der Öffentlichkeit die Militarisierung der Menschen und die ideologische Vorbereitung eines Krieges oder aber auch Skepsis und Ablehnung verursachen. Als letzte Funktion kann ein Manöver ebenso der Aufklärung dienen. Zum einen kann eine spezifische Konfliktregion detaillierter beobachtet und ggf. ausgespäht werden. Zum anderen kann vor allem auch die Reaktion des vermeintliches Gegner verfolgt werden.
Neben der Funktion eines Manövers ist vor allem auch das Einsatzgebiet und der Umfang der Übung wichtig für dessen Charakterisierung. Sie deuten zusätzlich auf eine spezifische Funktion hin. So kann eine Mission zum Beispiel in räumlicher Nähe zum Gegner bzw. zu strategisch wichtigen Positionen stattfinden. Auch die geographische Einsatzumgebung und damit die klimatische Bedingungen sind wichtig, um Material, Technik und Menschen auf besondere Bedingungen vorzubereiten. Der Umfang an Soldaten und Gerätschaft kann darauf hindeuten, auf welche Art von Konflikt das Militär tatsächlich vorbereitet wird.
NATO-Manöver gegen Russland
Für die kommende Einordnung von NATO-Manövern ist es zunächst besonders wichtig zu verstehen, dass permanent NATO-Übungen stattfinden. So führte die NATO bereits 1951 – also zwei Jahre nach ihrer Gründung – über 100 Militärmanöver durch (Pflüger, 2022). Nach diversen historisch bedingten Schwankungen stieg die Zahl der Manöver der NATO von ca. 100 im Jahr 2013 auf fast 250 im Jahr 2016 und ca. 300 geplante Manöver im Jahr 2021 (Pflüger, 2022; Henken, 2022; Informationsstelle Militarisierung, 2015).
Im Fokus der NATO-Manöver steht fast immer die Interoperabilität – also die Fähigkeit des Zusammenwirkens verschiedener Armeen. Damit gemeint sind die multinationalen Kampfverbände (z.B. Verwendung eines gemeinsamen Militäralphabets) der NATO, die aus den nationalen Einheiten bestehen. Daher muss besonders die Kommunikation und das Zusammenwirken verschiedener Technik geübt werden. Von besonderer Bedeutung ist auch die Einbindung von Drittstatten in die Übungen über die Partnership for Peace (vor allem Ukraine, Finnland und Schweden), welche die Ost-Flanke der NATO erheblich erweitern und einer faktischen Integration dieser Staaten in das Militärbündnis gleichkommt (Haydt, 2022; Kronauer, 2018, S. 103f, 184).
Im sogenannten War on Terror zu Beginn der 2000er Jahre wurde Russland noch zunächst als Transitland zum Transport von Waffen und Soldaten nach Afghanistan eingebunden. Im Jahr 2005 führte Deutschland sogar als einziges westliches Land Militärmanöver mit Russland in Zweibrücken und Pskow durch (Kronauer, 2018, S. 77).
Die bedeutendsten Manöver für den Konflikt zwischen der NATO und der Russischen Föderation sind Rapid Trident (Fokus Ukraine), BALTOPS (Fokus Ostsee), Anakonda, Defender Europe, Air Defender und Cold Response (Fokus Nordatlantik und Nordpolarmeer) (Henken, 2022). Sie sind die größten und umfangreichsten Manöver, die regelmäßig stattfinden (sollen) und den Krieg gegen Russland üben. Oftmals schließen diese umfangreicheren Übungen kleinere Trainings- und Ausbildungsmissionen mit ein. So gehören beispielsweise zum Manöver Defender Europe die drei Missionen Swift Response, Immediate Response und Saber Guardian, die verschiedene Stufen eines Gesamteinsatzes proben. Die Manöver der NATO-Staaten sind formal keine „NATO-Manöver“. Ein Staat übernimmt die Koordination und lädt die anderen Staaten offiziell dazu ein, sich zu beteiligen.
Die Manöver der NATO konzentrieren sich auf die Ostflanke der NATO bzw. die Westgrenze Russlands. Besondere Regionen für die NATO sind die Ukraine, die Ostsee, das Schwarze Meer, das Baltikum, Skandinavien bzw. das Nordpolarmeer. Vielfach wird in Manövern die Verteidigung der sogenannten Suwalki-Lücke geübt (u.a. Saber Strike und BALTOPS). Diese Lücke ist ein schmaler Korridor zwischen Polen und dem Baltikum, der im Nordwesten Kaliningrad und im Osten von Belarus flankiert wird. Die Lücke ist die einzige Landverbindungen für die NATO in die baltischen Staaten ist, weshalb sie in einem möglichen Konflikt eine wichtige geostrategische Bedeutung hat (Kronauer, 2018, S. 183).
Im Folgenden sollen die Manöver Defender und Cold Response detaillierter beschrieben werden. Sie wurden hier herausgegriffen, weil sie einen unterschiedlichen Charakter besitzen und für die NATO mit die bedeutendsten und größten Übungen überhaupt sind. Das in der Ukraine stattfindende Manöver Rapid Trident wurde an anderen Stellen bereits umfassender beschrieben (siehe Ausarbeitung der Vertiefungsgruppe „NATO-Strategien zur Kriegsvorbereitung“). Obwohl das Minks-II-Abkommen ausländischen Truppen den Aufenthalt in der Ukraine untersagt, bewilligte das ukrainische Parlament 2015 zahlreiche ausländische Militärübungen in der Ukraine und im Schwarzen Meer. Die NATO und die Ukraine brachen damit wissentlich das Abkommen (Informationsstelle Militarisierung, 2015).
Defender Europe
Defender ist ein Akronym und steht für Dynamic Employment of Forces to Europe for NATO Deterrence and Enhanced Readiness (deutsch: Dynamischer Einsatz von Streitkräften in Europa zur NATO-Abschreckung und Verbesserung der Einsatzbereitschaft). Es ist ein von den USA initiiertes Manöver, das alle zwei Jahre stattfinden soll (abwechseln mit dem Manöver Defender Pacific, welches nicht über die NATO organisiert wird). Das Manöver sollte erstmals 2020 stattfinden, was jedoch durch die Corona-Pandemie verhindert wurde. Defender Europe ist ein großes Manöver, an dem insgesamt ca. 30.000 Soldaten teilnehmen. Bedeutend ist dabei vor allem, dass ganze US-Divisionen (10.000 – 30.000 Soldaten) über den Atlantik und durch Westeuropa nach Osteuropa verlegt werden. Die Bundesrepublik Deutschland dient dabei sowohl als Drehscheibe als auch als Aufmarschgebiet für einen vermeintlichen Krieg gegen Russland. Die US-Truppen landen in Antwerpen (Belgien) und Bremen und werden dann über Deutschland und Polen bis an die russische Grenze verlegt. Die gesamte Koordination der Aktion findet über das NATO-Logistikzentrum Joint Support and Enabling Command (JSEC) in Ulm statt. Damit ist die BRD das logistische Rückgrat für das Manöver (Henken, 2022; Haydt, 2022).
Die Ziele von Defender sind das Training der Bereitschaft der US-Armee und der Zusammenarbeit multinationaler Kampfverbände (Haydt, 2022). Darüber hinaus soll die Infrastruktur und Koordination zum Transport großer Mengen Soldaten und Gerät getestet werden. Das Manöver ist damit vorrangig eine Verlegeübung, bei dem der Fokus auf dem schnellen Verlegen von Truppen vom Westen an die Ostflanke der NATO liegt (Weber, 2020).
Das Manöver ist die Vorbereitung auf einen großen militärischen Konflikt mit der Russischen Föderation, bei der innerhalb der NATO-Strukturen schnell Nachschub an Personal und Material nach Osten geliefert werden muss. Für ausreichend Nachschub an Gerät sorgen außerdem die Army Prepositioned Stocks (APS) der US-Armee in Deutschland und Polen. Die APS sind riesige Waffenkammern aus Zeiten des Kalten Krieges, die es den USA ermöglicht, lediglich die Soldaten nach Europa liefern zu müssen und die nötige Gerätschaft bereits in relativer Nähe zu einem Konflikt zu lagern. Die APS in Europa wurden in den letzten Jahren umfänglich modernisiert. Alte Lager wurden teils wiedereröffnet, andere werden weiter ausgebaut (Insgesamt Investitionen von ca. 1 Milliarde US-Dollar in den letzten Jahren) (Gardner, 2022).
Cold Response
Das Manöver Cold Response findet seit 2006 alle zwei Jahre an der Nordflanke der NATO unter der Führung Norwegens statt. Dabei liegt der geographische Fokus auf dem hohen Norden Norwegens, dem Nordatlantik und dem Europäischen Nordmeer. Das Manöver umfasst ca. 30.000 Soldaten aus über 20 NATO-Ländern und zusätzlich aus Schweden und Finnland (Bundeswehr, 2022). Cold Response ist damit eines der größten NATO-Manöver überhaupt.
Eine wichtige Funktion dieses Manövers ist das Training von Gerätschaft und Soldaten unter extremen Wetterbedingungen. Damit soll die Truppe auf einen möglichen Konflikt unter arktischen Bedingungen angepasst werden (North Atlantik Treaty Organization, 2022). Außerdem soll das schnelle Verteilen großer Truppenkontingente in dem kleinen Land geprobt werden (Bundeswehr, 2022).
Das Manöver ist auf Grund mehrerer Aspekte brisant. Zum einen findet es in unmittelbarer Nähe zu Stützpunkten der russischen Nordflotte statt, welche sich größtenteils in der Barentssee befinden. Dort sind russische Atom-U-Boote stationiert, die in einem nuklearen Krieg die Zweitschlagfähigkeit Russlands konventionell wie nuklear absichern (Henken, 2022). Damit zielt Cold Response explizit darauf ab, Russlands Verteidigungsmechanismen anzugreifen. Zum anderen geht es der NATO bei diesem Manöver um die Militärpräsenz in zwei geostrategisch wichtigen Regionen: der „GIUK-Lücke“ zwischen Grönland, Island und den britischen Inseln und der „Bären-Lücke“ zwischen Spitzbergen und Norwegen. Beide Lücken stellen geographische Engpässe dar, die die russische Nordflotte passieren muss, um in den Atlantik und damit in die weltumspannenden Ozeane zu gelangen. Diese Lücken zu verteidigen ist für die NATO von besonderer Bedeutung, um den Handlungsspielraum von Russlands Marine massiv einzuschränken (Müller, 2022).
Darüber hinaus gibt es immer mehr Ambitionen verschiedener Staaten, die Arktis wirtschaftlich wie militärisch zu nutzen. Durch die Klimaerwärmung werden neue Wege für die zivile wie militärische Seefahrt freigelegt bzw. bleiben ganzjährig offen. Zusätzlich wird es dadurch leichter möglich, die vielfältigen Ressourcen der Arktis abzubauen. Der russische Norden, der auf Grund der geographischen Eigenschaft über Jahrhunderte militärisch als sicheres Rückzugsgebiet galt, könnte damit zukünftig noch mehr in den Fokus von Russlands Feinden rücken. In diesem Zusammenhang äußerte Norwegens Verteidigungsminister am Rande des Cold Response 2022, dass man das Manöver als Teil einer dauerhaften NATO-Präsenz in der Arktis verstanden werden muss (Heilig, 2022).
Fazit
Militärmanöver sind möglichst realitätsnahe Übungen einer Truppe, die sie auf einen echten Einsatz bestmöglich vorbereiten soll. Daher sollten sie nicht als bloße Trainings abgetan, sondern als wichtige militärische Vorbereitung auf einen echten Konflikt verstanden werden. Im Umkehrschluss kann aus Manövern abgeleitet werden, auf welches Szenario sich eine Armee vorbereitet, was wiederum Schlüsse über die Strategie des jeweiligen Staates zulässt.
Jedes Militärmanöver bietet die Möglichkeit zur Eskalation des Konflikts und häufig kommt es zu Beinahe-Zusammenstößen oder sogar Zusammenstößen von gegnerischen Truppen. Wie eine Studie zeigte, gab es zwischen Januar 2013 und Dezember 2020 ca. 2.900 gefährlich nahe Begegnungen zwischen den Armeen der NATO-Staaten und der Russischen Föderation (Clem & Finch, 2021).
Darüber hinaus lässt sich ein Anstieg der Anzahl und des Umfangs der Manöver der NATO seit 2014 feststellen. Dabei darf jedoch nicht vergessen werden, dass es auch vor 2014 bereits explizite Manöver der NATO gab, die einen Krieg gegen Russland proben (z.B. Cold Response seit 2006). Neue Manöver kamen jedoch in der Phase 2014 – 2020 dazu (z.B. Defender Europe seit 2020). Durch die regelmäßige Einbindung von B52-Atombombern der US-Luftwaffe in die NATO-Übungen (z.B. BALTOPS) ist bereits jetzt ein immenses Eskalationspotential gegeben (Kronauer, 2018, S. 184). Mit Air Defender soll seit 2023 sogar wieder ein neues Manöver gegen Russland etabliert werden, welches es noch zu untersuchen gilt.
Im Großen und Ganzen fokussieren sich die Manöver der NATO sehr auf die Ostflanke, trainieren vor allem die Interoperabilität der verschiedenen Armeen und sichern die enhanced Forward Presence ab, um in einem umfassenden Krieg möglichst schnell Militär aus dem Westen der NATO (v. a. USA) nach Osteuropa zu verlegen. Dabei sollte nicht vergessen werden, dass die USA weltweit komplementäre Militärübungen innerhalb anderer Bündnisse durchführen, die sich zum Beispiel gegen die Volksrepublik China richten (AUKUS, QUAD) und die Hegemonie der USA im Pazifik absichern sollen (z.B. das Manöver Pacific Defender).
Nahezu alle heutigen Trainingsmissionen der NATO werden mit der Annexion der Krim durch Russland 2014 begründet (Weber, 2020). Jedoch muss hervorgehoben werden, dass die Manöver zur Kriegsvorbereitung gegen Russland nicht erst 2014 begannen. Die Kriegspläne der NATO gegen Russland sind bereits viel älter und die Reaktion Russlands auf den Ukraine-Konflikt 2014 kam der NATO sehr gelegen, um die Situation weiter eskalieren zu können (siehe Ausarbeitung der Vertiefungsgruppe „NATO-Strategien zur Kriegsvorbereitung“). Die jeweilige Phase der Auseinandersetzung und die Kontinuität des Kalten Krieges dürfen dabei nicht missachtet werden.
Die Russische Föderation nimmt die Manöver der NATO und ihrer Einzelstaaten an der russischen Westflanke sehr ernst und versuchte durch diplomatische Abkommen, die Eskalationsspirale zwischen der NATO und Russland zu entschleunigen. Noch am 17. Dezember 2021 legte die Russische Föderation den USA einen Entwurf über einen neuen Sicherheitsvertrag vor. Die vorgeschlagenen Maßnahmen sahen unter anderem vor, sich auf eine einzuhaltende Entfernung für operative Militärübungen zur NATO-Russland-Grenze auf beiden Seiten zu einigen. Zusätzlich beinhaltete der Vorschlag, eine Kommunikation von Anlaufpunkten für Kampfschiffe und -Flugzeuge zwischen der NATO und Russland aufzubauen und den regelmäßigen Dialog zwischen Russland und der NATO wiederzubeleben (junge Welt, 2021).
Referenzen
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