English
русский
عربي

Imperialismus, Lenins Vorgehensweise, Befreiungskriege – zum Beitrag Klara Binas

Von Fatima Saidi

Mit diesem Beitrag beziehe ich mich vor allem auf die Argumentation von Klara Bina („Imperialismus, Krieg und die kommunistische Bewegung“). Ihren wesentlichen Schlussfolgerungen stimme ich nicht zu, was vor allem mit den Thesen 2-4 argumentiert wird.

  1. Zur Charakterisierung eines Landes im imperialistischen System
  2. Das Modell der Pyramide setzt Lenins Analyse logisch fort
  3. Die militärische Intervention Russlands war kein Befreiungskrieg und damit kein Krieg im Interesse der russischen Arbeiterklasse
  4. Die russische Arbeiterklasse auf die Unterstützung der Kriege der herrschenden russischen Klasse zu orientieren, muss Burgfrieden und Bündnis mit der Monopolbourgeoisie bedeuten und ist deshalb falsch
  5. Die Probleme der aktuellen Diskussion für unsere Praxis

1. Zur Charakterisierung eines Landes im imperialistischen System

Wie auch die vor kurzem veröffentlichten Beiträge von Philipp Kissel und Klara Bina zeigen, ist es für die Einschätzung des aktuellen Kriegseinsatzes und auch der Rolle Russlands relevant, ob das Land imperialistisch ist. 

Dazu scheint es in der internationalen Diskussion bisher zwei Argumentationsstränge zur Einordnung als nicht imperialistisch zu geben: Erstens wird anhand der Merkmale, die Lenin für seine Imperialismustheorie herausarbeitete, argumentiert. 

Zweitens wird die (mehr oder weniger temporäre) Überschneidung der Interessen der Arbeiterklasse verschiedener Länder mit denen der herrschenden Klasse Russlands (aber auch Chinas) anhand der Einsätze in afrikanischen, arabischen und lateinamerikanischen Ländern argumentiert und damit der Imperialismus als Weltherrschaft verstanden wird, die sich in der heute noch eher unipolaren Welt bei den USA konzentriert[1]. Auf China werde ich in diesem Text auch eingehen, weil entsprechende Beispiele in unserer Diskussion auch schon mündlich genannt wurden, und außerdem in den internationalen Diskussionen eine große Rolle spielen.

Mit diesem Abschnitt versuche ich zunächst für den ersten Argumentationsstrang, auf die Methode Lenins in der Charakterisierung eines Lands in seinem Imperialismus-Werk einzugehen. Dabei haben sich für mich einige Fragen ergeben, zu denen unsere kommende Diskussion und Klärung hoffentlich ein tieferes Verständnis bringen wird.

Wie Klara hervorhebt, ist für das Werk Lenins zentral, dass einige wenige Länder (bzw. deren Bourgeoisie) die Welt beherrschen, die anderen Länder unterdrücken und die Beute unter sich aufteilen. Diese unterdrückenden Länder spielen also eine zentrale Rolle, weshalb ihre Darstellung in Lenins Werk genauer betrachtet werden sollte. Dabei fällt auf, dass Lenin in seinem Werk immer wieder unterschiedliche Begriffe für die Charakterisierung der unterdrückenden Länder verwendet und dabei auch immer wieder unterschiedliche und unterschiedlich viele Länder damit fasst. So werden fünf „Großmächte“ genannt (USA, E, RU, D, F) wenn der Besitz von Schienenwegen in Kolonien betrachtet wird (S. 280)[2]. Zur Betrachtung des Kapitalexports hingegen werden nur drei „Hauptländer“ betrachtet. Zum Kolonialbesitz der „Großmächte“ werden sechs Länder genannt (S. 262). Als die vier „reichsten kapitalistischen Länder“ werden dagegen wiederum nur vier Länder hervorgehoben (D, USA, E, F, S. 244). Dann ist von USA, England, Japan als „2,3 weltbeherrschenden, bis an die Zähne bewaffneten Räuber“[3] die Rede (S. 195). An anderer Stelle werden als „riesenstarke imperialistische Räuber“ England, Deutschland und Russland genannt[4]. In Bezug auf die Entwicklung in Kolonien und überseeischen Ländern wird wiederum Japan als „neue imperialistische Macht“ bezeichnet, an gleicher Stelle ist von dem „Kampf der Weltimperialismen“ (S. 279) die Rede.

Zum Vorgehen der Analyse des Imperialismus stellt sich zum einen die Frage, warum Lenin immer wieder unterschiedliche Länder als die unterdrückenden hervorgehoben hat. Teilweise bezogen auf das im Kontext untersuchte Merkmal der fünf Merkmale des Weltsystems, teilweise aber auch im Kontext der Analyse der Dynamik des Imperialismus im Allgemeinen. 

Außerdem ist zu prüfen, ob die Verwendung unterschiedlicher Begriffe für die jeweiligen betrachteten Fragen inhaltliche Gründe hat, oder ob die Begriffe exakt austauschbar sind, und was daraus zu schlussfolgern ist. 

Es muss dann auch genauer untersucht werden, inwiefern das Vorgehen Lenins zur Charakterisierung eines einzelnen Lands wirklich dem gleichen Gedankenprozess folgt wie die Argumentation der aktuellen Diskussion in der kommunistischen Bewegung zur Charakterisierung Russlands und Chinas. Denn teilweise betrachten Diskussionsbeiträge der letzten Jahre die fünf Merkmale des imperialistischen Systems einzeln für sich und belegen dann empirisch, zu welchem Anteil das jeweilige Merkmal für das Land erfüllt ist. Wir haben bisher unsere Analysewerkzeuge nicht genug reflektiert. So ist es möglich, dass auf derselben Grundlage die Einen anhand des Kapitalexport Russlands argumentieren, dass Russland nicht imperialistisch ist, Andere beziehen die gegenteilige Position und verweisen beispielsweise auf die Monopolisierung. Eine Schwierigkeit, die sich direkt ergibt, ist dass auch nicht feststeht, ob und wie die Erfüllung der einzelnen Merkmale zueinander gewichtet werden sollten.

Dabei habe ich den Prozess Lenins in seinem Werk so verstanden, dass generell eines der Merkmale anhand der Erscheinungsform in konkreten Ländern untersucht wird, die (gemeinsam mit anderen, die für dieses Merkmal nicht erwähnt werden) die größten „Räuber“ sind. Als Schlussfolgerung aus der Betrachtung aber wird der Fokus immer wieder auf Aussagen über das gesamte System und die Epoche gelegt, also nicht der Charakter eines Lands in den Vordergrund gestellt in Bezug auf das jeweilige Merkmal. Stattdessen geht es immer wieder um den Charakter des Kapitalismus in unserer Epoche, wie mit diesem abschließenden Fazit zur Betrachtung des Finanzkapitals:

In welche Zeit fällt nun die endgültige Konsolidierung der „neuen Tätigkeit“ der Großbanken? Auf diese wichtige Frage finden wir eine ziemlich genaue Antwort bei Jeidels: […] Das 20. Jahrhundert ist also der Wendepunkt vom alten zum neuen Kapitalismus, von der Herrschaft des Kapitals schlechthin zu der Herrschaft des Finanzkapitals. (S. 229) 

Natürlich gibt es dabei eine Beziehung zwischen dem Charakter des imperialistischen Systems und den Eigenschaften der einzelnen Länder. Das Allgemeine, das imperialistische System, kann nicht unabhängig vom Einzelnen, von den einzelnen Ländern und ihren Beziehungen, bestehen. Also müssen die wesentlichen Eigenschaften der einzelnen imperialistischen und kapitalistischen Länder zueinander betrachtet werden. Das bedeutet aber nicht, dass der Grad der Erfüllung der jeweiligen Eigenschaft direkt zur Charakterisierung des Lands im umgekehrten Schluss verwendet werden kann. 

So ist beispielsweise für Lenins Untersuchung des zaristischen Russlands auffällig, dass Russland nicht unter den Ländern mit aufgeführt wird, die den größten Kapitalexport haben, und sogar betont wird, dass das Land beispielsweise Frankreich in der Hinsicht unterlegen war. Russland war zu dieser Zeit weit zurückgefallen, was etwa den Kapitalexport oder die Monopolisierung betraf. Trotzdem bezeichnete Lenin immer wieder Russland als Großmacht[5] oder als imperialistische Macht[6], die andere Länder wie Polen oder Lettland beherrschte, und zur Lostrennung dieser Länder bekämpft werden müsste[7]. Dasselbe gilt für andere Länder wie beispielsweise Japan und teilweise England.

Im zweiten Teil dieses Abschnitts betrachte ich den zu Beginn genannten zweiten Argumentationsstrang zur Rolle Russlands und Chinas in afrikanischen und lateinamerikanischen Ländern. Soweit ich das Argument verschiedener Autoren[8] verstanden habe, wird die Art und Weise, wie beide Länder Infrastruktur und Produktionsmittel vor Ort aufbauen und andererseits militärische Interventionen durchführen, im Interesse der Arbeiterklasse vor Ort gesehen. 

Teilweise geht die Argumentation sogar deutlich weiter mit der Orientierung, dass deshalb die russische, oder eventuell sogar die internationale Arbeiterklasse dieses Vorgehen unterstützen sollte – zum Beispiel an dieser Stelle bei Klara Bina:

„hieße für Russland potentiell die Bourgeoisie zu ‚zwingen‘ bzw. je nach Stärke der Arbeiterklasse dazu zu drängen, eine eher nationale Eigenständigkeit zu verfolgen und noch mehr das eigene militärische Potential für die Unterstützung anderer Länder und Arbeiterklassen zum Einsatz zu bringen. Wir sehen wie der proletarische Internationalismus hier funktionieren würde: eine einheitliche Politik der internationalen Arbeiterklasse gegenüber Russland, die im Kern eine Unterstützung des Militäreinsatzes gegen die Faschisten in der Ukraine beinhaltete, aber auch eine solche Position z.B. bezüglich Westasien und Afrika vertreten und praktizieren würde.“ (S. 19, Klara Bina)

Die Einordnung vom Aufbau von Infrastruktur und Fabriken inklusive der billigen Arbeitskräfte vor Ort (Kapitalexport) durch mächtigere Länder widerspricht meiner Sicht der Darstellung Lenins dieser Prozesse als imperialistisch:

„Der Kapitalexport beeinflußt in den Ländern, in die er sich ergießt, die kapitalistische Entwicklung, die er außerordentlich beschleunigt. Wenn daher dieser Export bis zu einem gewissen Grade die Entwicklung in den exportierenden Ländern zu hemmen geeignet ist, so kann dies nur um den Preis einer Ausdehnung und Vertiefung der weiteren Entwicklung des Kapitalismus in der ganzen Welt geschehen“ (S. 247). 

„Der Bau von Eisenbahnen scheint ein einfaches, natürliches, demokratisches, kulturelles, zivilisatorisches Unternehmen zu sein: Ein solches ist er in den Augen der bürgerlichen Professoren, die für die Beschönigung der kapitalistischen Sklaverei bezahlt werden, und in den Augen der kleinbürgerlichen Philister. In Wirklichkeit haben die kapitalistischen Fäden, durch die diese Unternehmungen in tausendfältigen Verschlingungen mit dem Privateigentum an den Produktionsmitteln überhaupt verknüpft sind, diesen Bau in ein Werkzeug zur Unterdrückung von einer Milliarde Menschen (in den Kolonien und Halbkolonien), d.h. von mehr als der Hälfte der Erdbevölkerung in den abhängigen Ländern, und der Lohnsklaven des Kapitals in den »zivilisierten« Ländern verwandelt“ (S. 195).

An dieser Stelle wird mit dem Bau von Eisenbahnen ein typisches Element der Infrastruktur genannt, die für die unterdrückenden Länder den Export von Ressourcen ermöglicht, oder den Import von Waren. Zu diesem konkreten Beispiel gibt es sogar auch für heute eine Übereinstimmung, denn China legt mit dem Bau von über 6000 km Eisenbahnschienen auf dem afrikanischen Kontinent einen Fokus auf diesen Bereich[9]. Trotz dessen, dass mit dem Aufbau dieser Infrastruktur die Entwicklung der abhängigen Länder beschleunigt wird, charakterisiert Lenin diese Prozesse als imperialistisch. Diese Projekte sind eine Antwort auf die Überproduktion der unterdrückenden Länder, die Produktion mit deutlich niedrigeren Löhnen vor Ort eine Antwort auf den tendenziellen Fall der Profitrate, und schließlich ermöglicht der Aufbau von Infrastruktur eine bessere Ausbeutung der unterdrückten Länder.

Da wir ausschließen können, dass es sich hier um die Entwicklungshilfe sozialistischer Länder wie im Fall der Außenpolitik der Sowjetunion handelt, ist der Aufbau von Fabriken und Infrastruktur durch kapitalistischen Länder in anderen, schwächeren Ländern zumindest auf der Grundlage Lenins nicht anders einzuordnen, als ein Ausdruck der Dynamik des imperialistischen Systems. 

Somit deutet sich schon auf der Ebene der allgemeinen Analyse an, dass die Rolle Chinas und Russland in den unterdrückten Ländern auf dem afrikanischen Kontinent nicht überwiegend positiv bewertet werden kann, da ihr Handeln als Kapitalexport und Teil der Prozesse der Neuaufteilung der Welt im Sinne Lenins eingestuft werden kann.

Diese Frage sollten wir trotzdem auf der empirischen Ebene, im Zusammenhang der Charakterisierung beider Länder, weiter untersuchen. 

Schon erste Schlaglichter sind vor allem für China (die russische Bourgeoisie ist dort militärisch und ökonomisch noch weniger aktiv) auf dem afrikanischen Kontinent interessant: So zeigt eine 2014/15 durchgeführte Studie, dass die Mehrheit der Bevölkerung der afrikanischen Staaten die Rolle Chinas positiv bewertet[10].

Andererseits hat China seit 2013 mehr als 70 Ländern 2 Milliarden $ für knapp 1600 Projekte verliehen, und wo Schulden nicht bezahlt werden konnten, wurden schon in manchen Fällen die zugehörigen Infrastruktureinrichtungen konfisziert[11]. Zudem klagen inzwischen mehrere Regierungschefs afrikanischer Länder, dass sie ihre Schulden bei China nicht mehr überblicken könnten. Die neuen Technologien, die durch chinesische Firmen vor Ort eingeführt wurden, haben zu Preissenkung geführt, und entsprechend der Entwicklungsgesetze des Imperialismus die kleine Produktion der Landwirtschaft des Handwerks dort eliminiert. Bei UN-Missionen waren schon 2000 chinesische Soldaten im Einsatz – im Kongo, im Sudan, in Mali und Liberia[12]

Und nicht in allen Ländern begrüßt die Bevölkerung das Handeln Chinas vor Ort – in Vietnam kam es wegen dem Bau von Ölbohrinseln in einem zwischen China und Vietnam umstrittenen Gebiets zu Auseinandersetzungen beider Staaten auf See und gewalttätigen Demonstrationen[13]

Auch in Gwadar, Teil des Seidenstraßenprojekts durch Pakistan, gab es Demonstrationen wegen möglichen Auswirkungen auf die Wasserversorgung, die Elektrizität, und das Auskommen der lokalen Fischer[14] .

Letztendlich sollten wir also kollektiv versuchen, das Verständnis Lenins bei der Einordnung eines Lands als imperialistisch besser nachzuvollziehen. Und im 2. Schritt zu prüfen, wie wir dieses Werkzeug in der heutigen Welt, in derselben Epoche, aber mit einer veränderten Zusammensetzung der Länder, die nicht an der Spitze sind, anwenden können. Dazu gibt es sicherlich schon viele Ausarbeitungen, die mir aber leider noch nicht bekannt sind.

In der AG Deutscher Imperialismus war dieser Mangel schon Ende letzten Jahres aufgefallen, als es uns nicht möglich war, direkt ein Vorgehen zu bestimmen, um den deutschen Imperialismus einzuordnen und zu charakterisieren. Eine Kleingruppe hatte deshalb schon damit begonnen, nochmals die TKP-Thesen, Texte der KKE, sowie weitere aus der IKB auf der Suche nach der passenden Methode zu lesen.

Für die weitere Arbeit finde ich den Anstoß der TKP-Thesen wichtig, nicht ohne weitere Reflexion die fünf Merkmale als einzige Analysewerkzeuge zu übernehmen und außerdem verschiedene Kategorien nicht isoliert betrachtet zu analysieren, sondern sie im gesamten Kontext, in ihren Beziehungen zueinander zu sehen. An der zugehörigen These 7 des TKP-Text sollten wir weiter anknüpfen und versuchen eine ganzheitliche Betrachtung umzusetzen, anstatt die Merkmale schematisch durchzugehen.

Schon heute lässt sich aber aus meiner Sicht sagen, dass vor allem hinsichtlich Anzahl und Charakter der Länder, in die Russland fähig ist politisch oder militärisch einzugreifen, Russland als imperialistisch einzuordnen ist.

2. Das Modell der Pyramide setzt Lenins Analyse logisch fort.

Generell fehlen in der Darstellung Klaras von dem Verständnis der KKE einige entscheidende Zitate, die ein anderes Licht auf die hauptsächlichen Aussagen werfen. 

Hauptsächlich übt sie die Kritik, „dass Imperialismus ersetzt wird durch das Bild eines kapitalistischen Systems gegenseitiger Abhängigkeiten in einer hierarchischen Weltordnung.“ (S. 29). Würde das Modell einfach die gegenseitige Abhängigkeit der Länder der Welt behaupten, wäre es tatsächlich falsch. Aus meiner Sicht bestätigt dagegen aber das Modell der Pyramide den Gedanken Lenins, dass einige wenige Länder mit deutlichem Abstand den großen Teil der Beute bekommen, während viele andere leer ausgehen. So Papariga:

„Heute gibt es nur wenige Länder, die sich an der Spitze, in den ersten Reihen des internationalen imperialistischen Systems befinden (dies wird mit dem Schema einer Pyramide veranschaulicht, um die verschiedenen von den kapitalistischen Ländern besetzten Ebenen zu zeigen), eine Handvoll Länder, könnte man mit den Worten Lenins sagen. Das heißt aber nicht, dass alle anderen kapitalistischen Länder Opfer der mächtigen kapitalistischen Staaten sind.“[15]

Die Pyramide führt also den Gedanken Lenins fort, dass es einige wenige Länder (an der Spitze der Pyramide) gibt, die die anderen Länder unterdrücken. Es wird aber berücksichtigt, dass seit der Zeit Lenins die damaligen Kolonien heute bis auf wenige Ausnahmen keine besetzten Länder sind, sondern in andere Formen von Abhängigkeit geraten sind, und damit zwar einerseits unterdrückt werden, aber teilweise auch wieder andere Länder unterdrücken. Diese Dynamik wird für einige Beispiele sogar schon von Lenin selbst angesprochen: So werden Länder genannt, die nicht dem Club der Räuber angehören, durch imperialistische Mächte unterdrückt werden, und trotzdem andere Länder unterdrücken. In dieser Rolle tauchen Polen, aber auch Portugal und Belgien auf. Das ist unter anderem in den nachfolgenden Zitaten zu sehen, mit denen Lenin auf die seltsame Haltung der polnischen Sozialdemokraten eingeht, die sich nicht für einen nationalen Befreiungskrieg Polens einsetzen wollen, und erklärt mögliche Faktoren ihrer Motivation.

„Die Sache erklärt sich keineswegs aus besonders schlechten subjektiven Eigenschaften der holländischen und polnischen Genossen, sondern aus den besonderen objektiven Verhältnissen ihrer Länder. Beide Länder sind 1. klein und hilflos im gegenwärtigen „System“ der Großmächte; 2. beide liegen geographisch zwischen den am stärksten miteinander rivalisierenden, riesenstarken imperialistischen Räubern (England und Deutschland; Deutschland und Rußland); 3. in beiden sind die Erinnerungen und Traditionen jener Zeiten, da sie noch selbst „Großmächte“ waren, ungeheuer stark; Holland war eine stärkere Kolonialmacht als England; Polen war eine kulturell höherstehende und stärkere Großmacht als Rußland und |356| Preußen; 4. beide haben bis heute Privilegien bewahrt, die in der Unterdrückung fremder Völker bestehen: der holländische Bourgeois beherrscht das überaus reiche Niederländisch-Indien; der polnische Gutsbesitzer unterdrückt den ukrainischen und belorussischen Bauern, der polnische Bourgeois den Juden…“[16]

„Jedenfalls wird wohl kaum jemand zu bestreiten wagen, daß die annektierten Länder Belgien, Serbien, Galizien, Armenien ihren „Aufstand“ gegen die Staaten, durch die sie annektiert worden sind, „Vaterlandsverteidigung“ nennen werden und mit Recht so nennen werden. Es ergibt sich, daß die polnischen Genossen gegen einen solchen Aufstand sind, und zwar deswegen, weil es in diesen annektierten Ländern auch eine Bourgeoisie gibt, die auch fremde Völker unterdrückt oder, richtiger gesagt, unterdrücken kann, da es sich nur um ihr „Recht auf Unterdrückung“ handelt.“[17]

Wenn wir vor allem heute die Welt in zwei mehr oder weniger homogene Gruppen unterteilen und auf diese Weise Staaten wie die Türkei, Israel oder der Iran in einer Gruppe mit dem Kongo oder Palästina landen werden wir nur eine sehr unscharfe Analyse haben. Sowohl hinsichtlich ihrer Fähigkeit, die Politik anderer Länder zu beeinflussen, als auch ihrer Stellung bezüglich der fünf Merkmale des Weltsystems ist das offensichtlich absurd und verschleiert die tatsächlichen Verhältnisse auf der Welt, wie auch die Bedingungen für den Kampf der Arbeiterklasse.

Diese Position würde wohl niemand in unseren Reihen vertreten, sie liegt aber nahe, wenn anstelle der Differenzierung der Pyramide für die Länder die nicht an der Spitze sind, ein so starker Fokus auf die Trennung zwischen Räuber und dem Rest der Welt gelegt wird. Zudem trennte auch Lenin nicht die Länder der Welt in diese zwei Gruppen auf, sondern unterscheidet für die Länder, die nicht zu den Großmächten gehörten nochmals zwischen Halbkolonien und Kolonien. 

Wie mit dem vorherigen Abschnitt argumentiert, spricht außerdem auch Lenin teilweise Staaten wie Russland einen imperialistischen Charakter zu, auch wenn er diesen nicht für alle Merkmale des imperialistischen Systems hergeleitet hat, sie haben also keine Stellung an der Spitze, werden teilweise auch unterdrückt für einzelne Aspekte, unterdrücken aber auch wieder andere Länder.

Die Genossin bezieht sich in ihrem Beitrag auf das folgende Zitat von Papariga:

„Sie verwenden willkürlich die Einschätzung von Lenin in seinem bekannten Werk […], dass eine Handvoll, eine sehr kleine Anzahl von Staaten die große Mehrheit der Staaten auf der ganzen Welt ausplündert“.[18]

Sie interpretiert Papariga so, dass die Aussage „eine Hand voll Räuber beuten die Welt aus“ eine Verfälschung Lenins sei. Es ist richtig, dass das Lenin grundsätzlich widersprechen würde. Ich verstehe die Aussage aber so, dass nicht der Analyse Lenins einer Handvoll unterdrückender Länder widersprochen wird, sondern die Art und Weise, wie Opportunisten diese Erkenntnis missbrauchen, kritisiert. Dafür spricht das zu Beginn eingebrachte Zitat („few countries at the summit“, aber auch, dass Papariga am Beispiel des Kapitalexport betont, dass die USA und die EU immer noch den „Löwenanteil“ haben, und nicht ihre Vormachtstellung („primacy“) verloren hätten. 

Die stark asymmetrische Qualität der wechselseitigen Abhängigkeit zu betonen, halte ich aber auch für besonders wichtig im Sinne der Fortsetzung von Lenins Betrachtungen. Für eine genaue Analyse ist es wichtig zu sehen, dass Länder wie die Westsahara oder das palästinensische Gebiet ganz unten in der Pyramide sind, und in keiner Weise von einer „Beute“ profitieren. Für die weitere Diskussion finde ich es hilfreich, wenn wir uns darüber austauschen, ob das unserem Verständnis des Modells entspricht, und auch dem Verständnis der KKE. Dafür ist auch der direkte Austausch mit der KKE sinnvoll.

Den Begriff der Abhängigkeit müssen wir noch genauer anschauen. So kritisiert Klara dass es sich bei dem Imperialismus laut der Pyramide um ein „Regime der gegenseitigen Abhängigkeit“ (S. 22) handelt. Wenn in dem Text von Papariga aber Beispiele dazu gebracht werden, so ist es die Abhängigkeit des deutschen Imperialismus von der Fähigkeit europäischer Länder und Chinas, Waren- und Kapitalexport aufzunehmen. Die USA werden als abhängig von China bezeichnet in der Hinsicht ihres Währungskurses. Es handelt sich hier also nicht um die Form der Abhängigkeit, mit der beispielsweise Lenin Länder als abhängig einstuft – als politisch nicht handlungsfähig oder sogar besetzt.

Die Herrschaft der Länder an der Spitze wird auch in anderen zentralen Texten der KKE betont, beispielsweise wird im Kapitel B der Thesen zum 21. Kongress[19] klar der Fokus auf die Länder und Bündnisse gelegt, die an der Spitze des Systems stehen (USA, NATO, EU, China). Belegt wird die Einordnung mit verschiedenen Ziffern zur militärischen Kraft, und dabei vor allem die weltweite Expansion der NATO betont, die auch Russland, Iran und China bedroht. Wie das folgende Zitat zeigt, wird dabei keinesfalls die Stellung der USA im Weltsystem mit der der anderen Länder gleichgesetzt:

Um ihre Vormachtstellung im imperialistischen System zu sichern, streben die USA eine Neuausrichtung ihrer Allianzen, die Überprüfung von Abkommen, die Umstrukturierung internationaler Organisationen und die Lähmung anderer an.[20]

Auch Lenin geht auf eine gegenseitige Beziehung unterdrückter und unterdrückender Länder im imperialistischen System ein, die charakteristisch für das imperialistische System sei (er spricht aber nicht von Abhängigkeit):

„Portugal ist ein selbständiger, souveräner Staat, aber faktisch steht es seit mehr als 200 Jahren, seit dem spanischen Erbfolgekrieg (1704-1714), unter dem Protektorat Englands. England verteidigte Portugal und dessen Kolonialbesitz, um seine eigene Position im Kampfe gegen seine Gegner, Spanien und Frankreich, zu stärken. Dafür erhielt England Handelsprivilegien, bessere Bedingungen beim Warenexport und besonders beim Kapitalexport nach Portugal und seinen Kolonien, die Möglichkeit, die Häfen und Inseln Portugals zu benutzen, seine Kabel usw. usf. Derartige Beziehungen zwischen einzelnen großen und kleinen Staaten hat es immer gegeben, aber in der Epoche des kapitalistischen Imperialismus werden sie zum allgemeinen System“ (S. 87)

Mit den im vorherigen Abschnitt angesprochenen Problemen, wie ein Land innerhalb dieses Modells eingeordnet werden kann, und wie wir die qualitativen Unterschiede zwischen den Ländern an der Spitze, die deutlich am meisten profitieren, und den anderen Ländern sichtbar machen, sollten wir uns noch weiter beschäftigen. So nennt die KKE beispielsweise den Kapitalexport bei der Einordnung Griechenlands, Beteiligung an militärischen Interventionen, aber auch die strategischen Beziehungen mit den USA und die geographische Position. Sie argumentiert also nicht, wie Klara schreibt (S. 21), hauptsächlich mit den Vorteilen der griechischen Bourgeoisie. Dieselbe Frage müssen wir uns aber auch ohne das Bild der Pyramide stellen. Die gewonnene Analyseschärfe durch die Pyramide, nicht hinter Lenin zurückzufallen indem alle Länder, die keine Großmächte sind, in eine Gruppe eingeordnet werden, sollten wir aber nicht aufgeben.

3. Die militärische Intervention Russlands war kein Befreiungskrieg und damit kein Krieg im Interesse der russischen Arbeiterklasse.

Zur Diskussion der Kriegsziele, dass der aktuelle Krieg in der Ukraine nicht vorrangig um Absatzmärkte geführt wird, stimme ich Klara Bina und Philipp Kissel zu und finde dahingehend auch das Joint Statement zu oberflächlich (These 2 dort).

Für die weitere Diskussion finde ich es hilfreich festzuhalten, was unter einem „nationalen Befreiungskrieg“ im Sinne Lenins zu verstehen ist, im Gegensatz zu einem imperialistischen Krieg. Wie Klara schon betont, verurteilt Lenin keineswegs alle Kriege, sondern bezieht sich positiv auf die nationalen Kriege, und betont auch, dass ein imperialistischer Krieg in einen nationalen Krieg umschlagen kann, und umgekehrt (S. 38 Klara Bina).

Ich verstehe Lenins Aussagen in den folgenden Textausschnitten aber so, dass der Begriff des nationalen Kriegs eingeschränkt ist. So werden folgende Losungen für nationale Kriege ausgegeben, die sich aber alle auf die Lostrennung, die „Absonderung“ annektierte Nationen beziehen:

„Die Sozialisten werden den Massen zu erklären haben, daß die Sozialisten Englands, welche die Freiheit der Abtrennung der Kolonien sowie Irlands nicht fordern, die Sozialisten Deutschlands, welche ebenfalls die Freiheit der Abtrennung der Kolonien sowie Elsaß-Lothringens, der Polen und der Dänen nicht fordern, […], die Sozialisten Rußlands, welche die Freiheit der Abtrennung Finnlands, Polens, der Ukraine u.a. nicht verlangen, usw. daß solche Sozialisten als Chauvinisten, als Lakaien der von Blut und Schmutz triefenden imperialistischen Monarchien und imperialistischen Bourgeoisie handeln.“ (Die sozialistische Revolution und das Selbstbestimmungsrecht der Nationen, 1916, Bd. 22, S. 156)

„Eben deshalb muß die Einteilung der Nationen in unterdrückende und unterdrückte den Zentralpunkt in den sozialdemokratischen Programmen bilden, da diese Einteilung das Wesen des Imperialismus ausmacht […]. Aus dieser Einteilung folgt unsere konsequent demokratische, revolutionäre, der allgemeinen Aufgabe des sofortigen Kampfes für den Sozialismus entsprechende Auffassung vom „Selbstbestimmungsrecht der Nationen“. Im Namen dieses Rechtes, dessen aufrichtige Anerkennung der Sozialismus fordert, müssen die Sozialdemokraten der unterdrückenden Nationen die Freiheit der Absonderung für die unterdrückten Nationen fordern.“ (Das revolutionäre Proletariat und das Selbstbestimmungsrecht der Nationen, Bd. 21, S. 416)

„Wollen wir den Sozialismus nicht preisgeben, so müssen wir jeden Aufstand gegen unseren Hauptfeind, die Bourgeoisie der Großmächte, unterstützen, wenn es nicht ein Aufstand einer reaktionären Klasse ist. Lehnen wir die Unterstützung eines Aufstands annektierter Gebiete ab, so werden wir – objektiv – zu Annexionisten..“ (Die Ergebnisse der Diskussion über die Selbstbestimmung, Bd. 22, S. 339)

„Der Schwerpunkt der internationalistischen Erziehung der Arbeiter in den unterdrückenden Ländern muß unbedingt darin liegen, daß sie die Freiheit der Lostrennung der unterdrückten Länder propagieren und verfechten. (Für die Ergebnisse der Diskussion über die Selbstbestimmung,“ Bd. 22, S. 353).

Das letzte Zitat setzt den Fokus allerdings auf die Charakterisierung der beteiligten Mächte, was also wieder auf die Frage hinausläuft, ob Russland imperialistisch oder eine Großmacht ist (und ob es einen Unterschied zwischen beiden Begriffen gibt).

„Die Epoche 1789 bis 1871 war die des fortschrittlichen Kapitalismus, als auf der Tagesordnung der Geschichte die Niederringung des Feudalismus, des Absolutismus, die Abschüttelung des fremden Joches stand. Auf diesem und nur auf diesem Boden war die „Vaterlandsverteidigung“ zulässig, das heißt eine Verteidigung gegen die Unterdrückung. Im Kriege gegen die imperialistischen Großmächte könnte dieser Begriff auch jetzt angewandt werden, aber es ist eine Absurdität ihn auf den Krieg zwischen den imperialistischen Großmächten anzuwenden, auf einen Krieg, in dem es darum geht, wer die Balkanländer, Kleinasien usw. mehr ausplündern kann.“ (Der Opportunismus und der Zusammenbruch der 2. internationale, Bd. 22)

Der Schwerpunkt Lenins zum nationalen Krieg bezieht sich auf Länder die annektiert sind, auf die Forderung der Lostrennung von Polen, Ukraine, Lettland, afrikanischer und lateinamerikanischer Kolonien. Wir müssen uns hier auch den historischen Hintergrund vor Augen führen, für den Lenin die Orientierungen zum nationalen Krieg vorgibt. Ein großer Teil der Länder weltweit waren noch Kolonien oder direkt politisch abhängig, ohne den geringsten eigenen Handlungsspielraum. Auf der Tagesordnung stand – mit der sozialistischen Revolution – die Lostrennung dieser Kolonien, das Beenden der Annexionen. Aus diesen Bestimmungen zum nationalen Krieg ist also nicht direkt abzuleiten, dass der Krieg Russlands national sei (angenommen, man würde der Argumentation folgen, dass die NATO Russland sicher angegriffen hätte – was ich nicht tue). Russland ist nicht annektiert, und auch nicht in dem Sinne abhängig, dass es keinen Spielraum für eigenständige politische Handlungen hat, wie auch die Interventionen in afrikanischen und arabischen Ländern zeigen. 

Wie Klara auch aufzeigt, ist der andere Fall, für den Lenin Kriege als positiv einstuft, Kriege die von feudalistischen Reichen zur Demokratie der Bourgeoisie im Kapitalismus führen, weil sie die Geschichte weiter vorangetrieben haben. Dieser Fall wäre eventuell anwendbar, wenn bewiesen würde, dass die Ukraine im Stadium des Faschismus an der Macht ist, wozu mich die bisherige Debatte nicht überzeugt hat. Darüber hinaus würde ich trotzdem beispielsweise den Zweiten Weltkrieg – abgesehen von der Teilnahme der Sowjetunion und den Partisanen-Befreiungsbewegungen – als zwischenimperialistisch einstufen. Der Verweis auf einen Faschismus an der Macht hat nicht direkt die Konsequenz, einen Krieg als im Sinn der Arbeiterklasse einzuordnen.

Die Übertragung der Weltlage zur Zeit Lenins und seinen getroffenen Aussagen auf die heutige Situation ist aber nicht einfach, ich finde es deshalb wichtig, dass wir uns weiter damit beschäftigen.

Um auf der Grundlage Lenins zu argumentieren, müsste man also zunächst beweisen, dass Russland entweder annektiert ist oder warum hier der Gedanke des napoleonischen Kriegs übertragbar ist und dann, inwiefern ein Angriff auf die Ukraine ein Befreiungskrieg in diesem Sinne sein kann.

4. Die russische Arbeiterklasse auf die Unterstützung der Kriege der herrschenden russischen Klasse zu orientieren, muss Burgfrieden und Bündnis mit der Monopolbourgeoisie bedeuten und ist deshalb falsch.

Klara wirft in ihrem Beitrag die Frage auf, welche Gefahren es für die deutsche Arbeiterklasse gehabt hätte, wenn wir keine gemeinsame Position zum russischen Militäreinsatz finden und uns auf unseren Hauptfeind zu konzentrieren. Die Frage trifft nicht den Kern unserer Diskussion, weil die Forderung einiger Genossen nicht nur ist, den russischen Militäreinsatz nicht zu erwähnen, sondern der Einsatz begrüßt wird, wie auch in ihrem Beitrag. Darüber hinaus wird die Frage nach der Einschätzung zu den Ereignissen in der Ukraine in der Praxis, im Gespräch in der Massenarbeit, in Veranstaltungen oder in Diskussionen auf der Straße immer wieder aufkommen. Mit einem bloßen Verweis auf die Rolle des deutschen Imperialismus, ohne etwas konkret zur Lage vor Ort sagen zu können, wird man Kollegen und Diskussionsteilnehmer nicht überzeugen können.

Einen Widerspruch in der Argumentation Klaras sehe ich zu der Frage, sich unter der Flagge Russlands zu zusammen. So wird die Frage gestellt, ob die Befürchtung ist, „das große Teile der Arbeiterklasse in Deutschland sich unter die Flagge Russlands stellen könnten“ (S. 41). Auch zu Beginn ihres Beitrags kritisiert sie, dass einigen Genossen fälschlicherweise die Forderung unterstellen würden, „man [solle] sich unter die Flagge einer Kriegspartei stellen“ (S. 9). Tatsächlich läuft doch aber die im 1. Kapitel zitierte konkrete Orientierung von Klaras Beitrag darauf hinaus, dass die Arbeiterklasse auf die Unterstützung des russischen Staates orientiert wird.

Für mich ist nicht klar, wie sich diese Forderung davon unterscheidet, sich unter die Flagge eines Lands zu stellen. Vielleicht ist an dieser Stelle der Diskussion auch das Bild „sich unter eine Flagge zu stellen“ das Problem – für die weitere Diskussion ist es hilfreich, wenn die Genossen genauer ausführen, was ihrer Meinung nach die richtige Orientierung für die russische und die internationale Arbeiterklasse für den aktuellen Krieg und für künftige Interventionen Russlands und Chinas sein soll. 

Dennoch ist es richtig, dass die größere Gefahr für die deutsche Arbeiterklasse die Blendung durch die Propaganda des deutschen Imperialismus ist. Diese Gefahr müssen wir ernst nehmen, und sollten deshalb großen Wert darauf legen, unsere Argumentation über das tatsächliche Wesen der NATO und des deutschen Imperialismus besser auszuarbeiten und Material für entsprechende Veranstaltungen und Aktionen erarbeiten. Und auch hier sind wir uns in der KO einig, aber auch international ist zu sehen, dass sich beispielsweise bei der KKE, gegen die sich Vorwürfe der Äquidistanz richten, die Aktionen konsequent gegen NATO-Transporte Alltag richten und die Klasse dazu mobilisiert wird.

Trotzdem muss hier die Unterscheidung getroffen werden, die auch Spanidis’ These 6 in seinem kürzlich veröffentlichten Beitrag gemacht hat – zwischen der Gefahr für die Arbeiterbewegung und die kommunistische Bewegung, falschen Illusionen über den Kapitalismus, über das Potenzial einzelner Länder, über möglichen Etappen für unsere Strategie zu verfallen. 

5. Die Probleme der aktuellen Diskussion für unsere Praxis

Es ist wichtig einmal festzuhalten, dass alle veröffentlichten Beiträge von Genossen der KO es als Problem sehen, dass wir uns wegen der Fragen der aktuellen Diskussion momentan nicht näher mit der Kriegshetze des deutsche Imperialismus und der NATO als unserem Hauptfeind beschäftigen können. Ich halte es für wichtig, noch mal festzuhalten, dass bisher niemand innerhalb der KO widersprochen hat, dass die NATO eine militärisch aggressive Erweiterung während den letzten Jahrzehnten betrieben hatte und der ursprüngliche Aggressor ist. Das hat beispielsweise Spanidis in These 8 seines Beitrags festgehalten.

Wie schon oben argumentiert, können wir es uns als Organisation nicht leisten, jetzt und künftig keine Position zum Handeln Russlands (und Chinas) zu haben, weil sich diese Frage in der Agitation immer wieder stellen wird, anlässlich jeweils aktueller internationaler Konflikte. Trotzdem ist es fatal, dass wir uns wegen der Klärung dieser Frage gerade nicht auf die Argumentation zu Deutschland und der NATO konzentrieren können, weil das angesichts der Desorientierung der linken Bewegung und teilweise auch der Friedensbewegung, der verhetzten Stimmung der deutschen Arbeiterklasse dringend notwendig wäre. Ich habe auch schon in bisherigen Diskussionen mit Kollegen etc. gemerkt, dass ich mir dazu nicht genügend Wissen aneignen konnte, weil die aktuelle Diskussion sehr zeitraubend ist. Trotzdem ist sie dringend notwendig, weil sich auch Fragen zu den Werkzeugen unseres Imperialismusverständnis stellen.

Damit steht einerseits für deutsche Kommunisten an, „eine Sammlungsbewegung für eine eigenständige aggressive Außenpolitik“ (Klara Bina, S. 18) zu verhindern. 

Um in der Zukunft klare Orientierung geben zu können, haben wir aber auch Aufgaben auf der theoretischen Ebene.

Generell müssen wir auch dringend Selbstkritik üben, denn wie sich durch den aktuellen Dissens zeigt, haben wir uns viel zu wenig mit internationalen Konflikten und Themen der Arbeiterklasse beschäftigt. Wir müssen in Zukunft genauere Stellungnahmen zu breiteren Themen schreiben, die wir für die Ausarbeitung immer wieder konkret auf unsere Grundlagen beziehen und auch mehr reflektierte Aktionen und Veranstaltungen zu solchen Themen machen. So werden wir frühzeitiger wahrnehmen, wenn beispielsweise unsere gemeinsamen Grundlagen noch zu schwammig und damit offen für Interpretationen sind oder es andere Unklarheiten und Widersprüche gibt.


[1] für die DKP zum Beispiel hier: Leitantrag des Parteivorstandes an den 23. Parteitag der DKP, https://www.unsere-zeit.de/frieden-geht-nur-mit-russland-und-china-168025/

[2] für die bessere Lesbarkeit beziehen sich alle Zitate Lenins, wenn nur als Seitenzahl angegeben, auf dieses Werk: Wladimir Iljitsch Lenin: Werke, der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus. Herausgegeben vom Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED. Band 22, 3. Auflage, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1960, Berlin/DDR. S. 189-309.

[3] die Nennung von Japan muss genau im Kontext geprüft werden – wie Lenin in seinem Vorwort hinweist, war er durch die russische Zensur teilweise gezwungen, Japan zu nennen, wo eigentlich Russland gemeint war

[4] Lenin, die Ergebnisse der Diskussion über die Selbstbestimmung, Bd. 22

[5] S. 280, S. 262

[6] Lenin, Über die Junius Broschüre, Bd. 22.; Lenin, über das Friedensprogramm, Bd. 22

[7] Lenin, Haben das OK und die Fraktion Tschcheïdse eine eigene Linie? Bd. 22; 

Lenin, die sozialistische Revolution und das Selbstbestimmungsrecht der Nationen, Bd. 22;

Lenin, Über den Frieden ohne Annexionen und die Unabhängigkeit Polens als Tageslosung in Rußland

[8] siehe zum Beispiel der weiter unten zitierte Text das Max-Engels-Zentrum zu China in Afrika, https://monthlyreview.org/2015/07/01/imperialism-and-anti-imperialism-in-africa/https://kanaanonline.org/en/2018/08/17/samir-amin-how-to-defeat-the-collective-imperialism-of-the-triad-an-exclusive-interview-for-katehon/  

[9] https://www.theafricareport.com/98171/chinas-relationship-with-africa-goes-deeper-than-just-resource-extraction/, 2021

[10] Max Engels Zentrum Berlin, https://mez-berlin.de/positionen-detailansicht/land-grabbing-china-als-neuer-kolonialherr-in-afrika.html  

[11] NZZ, https://www.nzz.ch/wirtschaft/eine-hoffnungsvolle-aber-gefaehrliche-liaison-ld.1418336  2018

[12] https://www.nzz.ch/wirtschaft/eine-hoffnungsvolle-aber-gefaehrliche-liaison-ld.1418336 , 2018

[13] https://www.theguardian.com/world/2014/may/15/vietnam-anti-china-protests-oil-rig-dead-injured, 2014

[14] https://www.theguardian.com/environment/2021/aug/20/water-protests-in-pakistan-erupt-against-chinas-belt-and-road-plan, 2021

[15] https://inter.kke.gr/en/articles/On-Imperialism-The-Imperialist-Pyramid/, im Original: “Today there are few countries which are at the summit, in the first positions of the international imperialist system (it is illustrated with the schema of a pyramid in order to show the various levels occupied by the capitalist countries) a handful of countries one could say according to the Leninist expression. But this does not mean that all the other capitalist countries are victims of the powerful capitalist states.”

[16] Lenin, die Ergebnisse Diskussion über die Selbstbestimmung, Bd. 22

[17] Lenin, die Ergebnisse Diskussion über die Selbstbestimmung, Bd. 22

[18] im Original: “They use arbitrarily the assessment of Lenin in his well-known work IMPERIALISM THE HIGHEST STAGE OF CAPITALISM that a handful, a very small number of states plunder the vast majority of the states across the globe”.

[19] https://inter.kke.gr/en/articles/–01410/#kefalaio10), 2021

[20] Kapitel B der Thesen vom 21. Parteitag, im Original: In order to secure its supremacy in the imperialist system, the US is moving towards the realignment of its alliances, the review of agreements, the restructuring of international organizations and the paralyzing of others

Aktuelles

Es ist ein Krieg der NATO gegen Russland

In den letzten Tagen hat die NATO Russland mit ballistischen Kurzstreckenraketen (ATACMS) und Marschflugkörpern (Storm Shadow) angegriffen. Die Täter sitzen in Washington, Brüssel und Berlin. Eine Niederlage ist für sie inakzeptabel und sie sind deshalb dazu bereit, bis zum Äußersten zu gehen.Die Ereignisse der letzten Tage sind nur der offenkundige Beweis für das, was seit Beginn Realität war: Dieser Krieg ist ein Krieg, den die NATO gegen Russland führt.

On November 9, the anti-fascist protection rampart fell, fascists from West Germany came over

Yakov Yasko focuses on the neo-fascist activities that were made possible by the opening of the borders in 1989. The following article is a slightly modified excerpt of a background article on neo-fascism in East Germany, which is still in progress.