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Die Vorbereitung der NATO für einen Krieg gegen Russland

von Fabián Carlos, Philipp Kissel, Johannes Lemke, Nico Warner und Mara Well

Die Vorbereitung der NATO für einen Krieg gegen Russland

Anmerkung der Redaktion
Dieser Text ist im Rahmen unserer Auseinandersetzung mit dem Krieg in der Ukraine und der Imperialismusdiskussion entstanden. Wir haben 2022 beschlossen uns kollektiv der Einschätzung des Charakter und der Vorgeschichte des Krieges zu widmen.
Hierfür wurden verschiedene Arbeitsgruppen gebildet, die sich u.a. mit den Interessen und der Politik des westlichen imperialistischen Block, mit Russlands Ukrainepolitik sowie mit den Erkenntnissen der sozialistischen Arbeiterbewegung zum Imperialismus und der Bedeutung der Nationalen Frage beschäftigen. Die Ergebnisse werden fortlaufend veröffentlicht und können von jedem unter dem Artikel kommentiert werden. Längere Kommentare können auch direkt an info@kommunistische-organisation.de gesendet und als Beiträge zur Debatte veröffentlicht werden.

Abstract

Die vorliegende Arbeit widmet sich der Frage, ob die NATO einen Krieg gegen Russland geplant und vorbereitet hat. Die Recherchearbeit wurde dazu in folgende Bereiche aufgeteilt: Strategien bzw. Veröffentlichungen der NATO, Strukturen der NATO, Manöver der NATO und die Integration der Ukraine in die NATO sowie die Auswertung der Studien des US-amerikanischen Thinktanks Atlantic Council.

Mit dieser Aufteilung sollte erarbeitet werden, wie und warum die NATO einen Krieg gegen Russland vorbereitet hat, welche Strategien dem zugrunde lagen, wie Strukturen dafür aufgebaut und in Manövern getestet wurden und wie sich insbesondere in der Ukraine diese Vorbereitung niederschlägt. Es wurden Bücher, Zeitschriftenartikel und Internet-Links gesammelt, exzerpiert und ausgewertet.

Das Ergebnis ist: Die USA haben die NATO genutzt und entsprechend strukturiert, um einen Krieg gegen Russland vorzubereiten. Es sollte vermieden werden, dass ein „Rivale“ entstehen könnte. Dazu wurde die NATO ausgeweitet und insbesondere Osteuropa militärisch voll integriert. Die Strukturen mussten umgebaut werden, damit sie schnell einsatzfähig, schnell verlegefähig und schnell skalierbar sein können. Die Verlegung von US-Truppen über den Atlantik und quer durch Europa an die russische Grenze, die in großen Manövern geübt wurde, spielt dabei eine zentrale Rolle.

Die Strukturen wurden außerdem vereinheitlicht, um eine gemeinsame Kriegsführung unter dem US-Oberbefehl zu ermöglichen. Die Manöver der NATO bilden die Zielrichtung gegen Russland eindeutig ab und zeigen, welche Elemente zur Kriegsführung notwendig entwickelt wurden. Der zentrale Baustein im Krieg gegen Russland ist die Ukraine, die die „strategische Tiefe“ Russlands darstellt. Wenn sie in die NATO-Kriegsmaschine integriert ist, ist Russlands Existenz militärisch bedroht. Diese Integration der Ukraine verlief zielstrebig, war allerdings mit Widersprüchen konfrontiert und nur mit dem Aufbau und Einsatz faschistischer Kräfte und zweier Putsche möglich.

Das entscheidende Jahr, in dem die Eskalation herbeigeführt wurde, ist das Jahr 2014 mit dem Maidanputsch in der Ukraine. Anschließend fand nicht nur die massive Aufrüstung und Angliederung der Ukraine statt, sondern alle bereits vorbereiteten und eingeleiteten Strukturveränderung der NATO in Richtung schnelle Kriegsführung wurden wie vorgesehen skaliert und ausgeweitet.

Damit wurde ein Krieg gegen Russland in die nächste Vorbereitungsphase gebracht. Insbesondere an den bewusst und gezielt vorbereiteten und hergestellten Ereignissen in der Ukraine 2014 lässt sich erkennen, dass es sich insgesamt um einen geplanten, politisch gewollten und skrupellos umgesetzten Prozess handelte.

Dieser Prozess ist von mehreren Widersprüchen gekennzeichnet. Ein Widerspruch zeigt sich zwischen den USA und den europäischen imperialistischen Staaten, insbesondere Frankreich und Deutschland, die teilweise andere Interessen vertraten oder zu vertreten versuchten, wie sich beispielsweise 2008 in der Ablehnung der Aufnahme der Ukraine ausdrückte.

Ein weiterer Widerspruch ist, dass mit der Eskalation zugleich ein möglicher Kontrollverlust seitens der USA verbunden ist. Das betrifft die stärkere Zusammenarbeit Russlands mit China, die durch die Eskalationspolitik des Westens befördert wurde. Ein wichtiger Widerspruch ist der des Widerstands im Donbass, der hier nicht weiter behandelt wird, dessen Bedeutung für die politische Entwicklung aber unbedingt beachtet werden muss. Generell muss besser verstanden werden, dass dieser von den USA vorangetriebene und von den EU-Staaten mitgetragene und teils angefeuerte Prozess politisch widersprüchlich ist und Gegenkräfte entstanden sind.

Zwei Bereiche müssten tiefergehender untersucht werden, um die Frage, warum Russland mit der Militäroperation reagiert hat, beantworten zu können. Einerseits die genaueren Ereignisse und militärischen Vorgänge vor dem Februar 2022 und andererseits die spezifischen militärischen Planungen, die evtl. anhand von Dokumenten der US-amerikanischen Administration nachvollziehbar sind.

Einleitung: Ausgangslage, Kontinuität und Bedeutung der Ukraine

Als die Russische Föderation im Februar 2022 eine Militäroperation in der Ukraine begonnen hatte, begann nicht nur eine heftige Diskussion in der Kommunistischen Bewegung, sondern es stellte sich auch unmittelbar die Frage, was Russland dazu bewogen hat, diesen riskanten Schritt zu gehen. Dass die NATO als Aggressor agierte, dürfte jedem aufmerksamen unvoreingenommenen Beobachter nicht entgangen sein. Aber hat die NATO einen Krieg vorbereitet? Wie hat sie das und warum?

Russlands Aufstieg verhindern

Ziel dieser Vertiefungsgruppe war es, nachzuweisen, wie und ob die NATO/USA konkret einen Krieg gegen Russland vorbereitet haben. Es ging weniger um strategische Aussagen und Ankündigungen von Politikern oder Thinktanks. Diese sind natürlich auch wichtig und zeigen auf, um welche politischen Ziele und Widersprüche es geht, allerdings bleibt offen, was davon real umgesetzt wird und was eher Überlegung bleibt.

Ein Teil der Vertiefungsgruppe hatte sich die Einschätzungen des Thinktanks Atlantic Council von 1999 bis 2014 ausgewertet. Sie werden hier verkürzt wiedergegeben und sind im Anhang ganz zu lesen. Dieser US-amerikanische Thinktank eignet sich insofern, als dass er eng mit der NATO verbunden ist und über eine gewisse Expertise (im Sinne der NATO) über Russland verfügt.

Die von den USA und der NATO formulierte Ausgangssituation besteht darin, dass nach dem Ende der Sowjetunion verhindert werden müsse, dass neue Rivalen in der Dimension einer Großmacht entstehen. Die Entstehung eines multipolaren Systems wurde als neue Gegebenheit gesehen. In dieser müsse nicht nur Russlands Aufstieg verhindert werden, sondern insgesamt die drohende Erosion der Macht des Westens unter Führung der USA. Dies beinhaltet auch die Widersprüchlichkeit zwischen den USA und der EU bzw. Deutschlands Bestrebungen nach einer Europäischen Verteidigungs- und Sicherheitspolitik (ESDP), die von den USA sowohl befördert als auch begrenzt werden sollte.

Inwiefern Russland überhaupt in der Lage war bzw. ist, als „Rivale“ aufzusteigen oder ob nicht eher die Trennung Europas von Russland im Zentrum der Strategie der USA stand (bzw. steht) wird hier offengelassen und in Vertiefungsgruppe 8 behandelt.

Von den 1990er Jahren bis ca. 2002 gab es, wie aus den Ausführungen des Atlantic Council hervorgeht, parallel zu der Kriegsvorbereitungspolitik die Strategie, Russland zu einer kleinen, untergeordneten Macht mit schwachem Staat zu formen. Dies sollte mittels wirtschaftlicher „Reformen“, der symbolischen Beteiligung an internationalen Institutionen (Beispiel G8), begrenzter militärischer Zusammenarbeit und der Beschränkung der politischen Möglichkeiten Russlands in seinem Umfeld gelingen. Die Bestrebung eines Regime Change mit westlich orientierten Kräften wurde stets verfolgt, konnte aber nie erfolgreich umgesetzt werden.

Die Expansion der NATO, ihre militärische Aufstellung und deren Ausrichtung auf Russland stieß auf die Gegenwehr Russlands, das dem aber zunächst wenig entgegensetzen konnte. Ab 2000 änderte sich die politische Ausrichtung der russischen Regierung, indem sie stärker auf Souveränität orientierte.

Der NATO war bewusst, dass ihre Politik der militärischen Integration der osteuropäischen Staaten und insbesondere der Ukraine auf den Widerstand Russlands treffen wird. Das ist insofern von Bedeutung, als dass die USA eine frühzeitige Orientierung Russlands auf China und Indien verhindern wollten und deshalb die Möglichkeit der Integration Russlands in die westlich dominierte Weltwirtschaft als Option aufrechterhalten wollten, zumindest als symbolische Option gegenüber Russland. Zugleich gab es zeitweise Widerstände europäischer Staaten gegen eine Eskalation gegenüber Russland, da diese von den billigen Rohstoffen Russlands profitierten, wogegen sich die US-Politik bereits in den 1970er und 1980er Jahren gerichtet hatte.

Diese Faktoren widersprechen nicht der konsequenten Umsetzung einer militärischen Aufstellung und Kriegsvorbereitung gegen Russland. Im Gegenteil ist die Kriegsvorbereitung Teil der Strategie des Druck Ausübens.

Der Umbau der NATO-Strukturen, der ab 2002 eingeleitet wurde und der Aufbau eines Raketenabwehrsystems ab 2012 sind wichtige Eskalationsschritte vor 2014, ebenso wie die Zerstörung Jugoslawiens 1999 und Libyens 2011. Das Jahr 2014 mit der von den USA herbeigeführten Eskalation in der Ukraine stellt aber in jedem Fall ein Wendejahr dar, auch insofern als dass ab diesem Zeitpunkt die NATO auf jegliche verbale Verkleidung ihrer anti-russischen Strategie verzichtete.

Zur Bedeutung der Ukraine

Die besondere Rolle der Ukraine ergibt sich aus folgenden Punkten:

Das Territorium der Ukraine reicht nah an Moskau und wichtige Zentren in Südrussland heran. Die Stationierung von Raketen in der Ukraine hätte eine unmittelbare Bedrohung Moskaus zur Folge, da diese aufgrund der geringen Entfernung nicht oder kaum mehr abgewehrt werden könnten.

Die permanent angedrohte Aufnahme der Ukraine in die NATO und die Stationierung von Waffen in der Ukraine stellt eine direkte und existenzielle Bedrohung Russlands dar. Aufgrund der geringen Entfernungen wäre eine Invasion von der Ukraine aus bedrohlich, da die russischen Truppen zu wenig Raum hätten, um Verteidigung und Gegenoffensive aufzubauen – die sogenannte strategische Tiefe, die Russland fehlen würde, um sich noch ausreichend verteidigen zu können.

Die Schwarzmeerflotte und die Krim sind bedeutende Punkte sowohl der russischen Verteidigung als auch der militärischen Optionen im Schwarzen Meer und darüber hinaus. Die Ausschaltung der Schwarzmeerflotte würde Russland insbesondere im Süden angreifbar machen und es vom Schwarzen Meer abschneiden.

Die Ukraine ist eng verflochten mit Russland, historisch, kulturell, politisch und ökonomisch. Große Teile der Bevölkerung sprechen russisch, große Teile im Osten und Süden waren lange russisches Territorium, die großen Städte des Landes sind russische Gründungen. Lange Zeit waren beide Länder Teil der Sowjetunion und keine getrennten Länder oder Staaten. Mit der Konterrevolution 1991 entstand ein ukrainischer Staat, der unmittelbar von den USA und anderen westlichen Staaten versucht wurde, in eine Frontstellung gegen Russland zu bringen. Dieser Prozess war notwendigerweise mit einer faschistischen, antirussischen Politik und dann auch Kriegsführung verbunden. In den Strategien der USA (ebenso wie denen Deutschlands) ist die zentrale Rolle der Ukraine klar benannt und spiegelt sich in den Handlungen, Auf- und Umbau von Strukturen, sowie vor allem der massiven politischen Intervention klar wider.

NATO-Strategien

In diesem Abschnitt werden die strategischen Entscheidungen und Expansionsschritte der NATO vor allem anhand von Gipfelerklärungen und strategischer Dokumente nachgezeichnet.

„Breiterer Sicherheitsansatz“

Bereits auf dem Londoner Gipfel 1990, also noch während Existenz der Sowjetunion, sprach die NATO eine Einladung an Tschechien, die Slowakei, Polen, Ungarn, Bulgarien und Rumänien aus, ständige diplomatische Verbindungen mit der NATO aufzunehmen, was auch realisiert wurde. Auf dem NATO-Gipfel 1991 in Rom wurde ein neues strategisches Konzept verabschiedet – der „breitere Sicherheitsansatz“. Dieser drückt sich vor allem darin aus, dass die Größe, Einsatzbereitschaft und Verfügbarkeit der Streitkräfte an das neue strategische Umfeld angepasst werden sollen. Streitkräfte der NATO sollen flexibler und mobiler werden und schneller verlegt und verstärkt werden können. Hierfür benötigen die Staaten eine effektive Überwachung, Aufklärung, flexible Führung, Mobilität sowie angemessene Logistik – einschließlich Transportkapazitäten. Besonders wichtig sei es, Kapazitäten für rechtzeitige Verstärkung und Nachschub der Streitkräfte innerhalb Europas als auch aus Nordamerika zu schaffen.

Das Konzept wurde zwar eher mit möglichen Krisen, die aus verschiedenen Richtungen kommen könnten, begründet, allerdings wurde Russland eine zentrale Stellung zugeschrieben: „Wenn auch die Beziehungen zur Sowjetunion von Gegnerschaft frei und kooperativ sind, stellen das sowjetische Militärpotential und seine Aufwuchsfähigkeit, zusammen mit seiner nuklearen Dimension, immer noch den bedeutendsten Faktor dar, den das Bündnis bei der Wahrung des strategischen Gleichgewichts in Europa in Rechnung zu stellen hat.“1http://www.ag-friedensforschung.de/themen/NATO/1991-strategie.html Zudem wurde bereits der Einsatzraum und die Einsatzbegründung weit über „Verteidigung“ im Sinn des Artikel 5 hinaus definiert.2http://www.ag-friedensforschung.de/themen/NATO/1991-strategie.html

Die schnelle Verlegbarkeit und die schnelle Aufstockbarkeit der Truppen sind zwei zentrale Elemente eines Kriegs gegen eine militärische Großmacht in Europa. Die engere Verzahnung und Vereinheitlichung der Truppen in Europa, sowie ihre Ausrichtung auf den US-Standard sind weitere wichtige Elemente des Umbaus.

„One World, no rival“

Der Ausrichtung der NATO lag die Strategie der USA „One World, no Rival“ zugrunde, die vorsah, den Aufstieg möglicher Rivalen zu verhindern und insbesondere Osteuropa in die NATO einzubinden, um Russland zu isolieren.3„This statement offers an explicit commitment to defend the former Warsaw Pact nations from Russia.“ (https://www.nytimes.com/1992/03/08/world/us-strategy-plan-calls-for-insuring-no-rivals-develop.html) Die NATO-Osterweiterung richtet sich explizit gegen Russland. Das ist eine Banalität, die hier aber benannt werden muss, denn die Aufnahme neuer Mitglieder bedeutete die Ausdehnung der Militärstrukturen und Kriegsführungsmöglichkeit bis an die Grenzen Russlands.

Partnership for Peace

Mit der Gründung des Nordatlantischen Kooperationsrat zwischen der NATO und den Ländern der ehemaligen Warschauer Vertragsorganisation North Atlantic Cooperation Council (NAAC) (1992) und der Partnership for Peace (PfP) (1994) wurde ein erstes Heranführungsprogramm für ehemalige Mitglieder des Warschauer Paktes gestartet. Mit PfP schuf die NATO ein Format, das es ihr ermöglichte, alle über Streitkräfte verfügende Staaten Europas sowie alle Staaten der früheren Sowjetunion an das Militärbündnis anzubinden und zur Übernahme von NATO-Standards sowie zur Beteiligung an Ausbildungsmaßnahmen zu bringen. In einer 1995 von der NATO veröffentlichten Studie zur NATO-Erweiterung wird ausführlich formuliert, welche bedeutende Rolle die NAAC und PfP beim geplanten NATO-Erweiterungsprozess einnehmen sollen.4https://www.nato.int/cps/en/natohq/official_texts_24733.htm Der Weg zur NATO-Erweiterung soll durch eine solche Anbindung geebnet werden. Auf dem Gipfel 1994 wurde die Bedeutung Osteuropas und zum ersten Mal auch die der Ukraine hervorgehoben.

1994 wurden auch die Combined Joint Task Force (CJTF) eingerichtet, wobei es sich um multinationale Kräfte handelt, die teilstreitkraftübergreifend für festumrissene oder auch zeitlich begrenzte Aufgaben zusammengestellt werden. Das Konzept wurde im Golfkrieg 1991 erprobt und ermöglichte eine straffere und flexiblere Command-and-Control-Führung unter den USA.5https://apps.dtic.mil/sti/citations/ADA338635
&
Barry, Charles (1996): NATO’s combined joint task forces in theory and practice, Survival, 38:1, 81-97

NATO-Russland-Akte

Die 1997 unterzeichnete NATO-Russland-Akte ist Ausdruck der Schwäche Russlands, das nicht in der Lage war, der NATO ernsthafte Zusagen für seine eigenen Sicherheitsinteressen abringen zu können. Die NATO hat die Erklärung maximal vage gehalten: „In der Grundakte von 1997 gab es (Russland) sich mit dem gleich mehrfach vagen Versprechen zufrieden, dass das ‚Bündnis in dem gegenwärtigen und vorhersehbaren Sicherheitsumfeld seine kollektive Verteidigung und andere Aufgaben eher dadurch wahrnimmt, dass es die erforderliche Interoperabilität, Integration und Fähigkeit zur Verstärkung gewährleistet, als dass es zusätzlich substanzielle Kampftruppen dauerhaft stationiert.‘“6Jaberg, Sabine (2017): Mythos II „Russland hat die europäische Friedensordnung aufgekündigt.“, Die Friedens-Warte, 92 (3/4; Mythen der etablierten Sicherheitspolitik), 133 Polen, Tschechien und Ungarn wurden eingeladen.

Außerdem fand die Unterzeichnung der Charta über eine ausgeprägte Partnerschaft zwischen der NATO und der Ukraine statt. Darin wird festgehalten, dass die Interoperabilität der ukrainischen Streitkräfte mit Streitkräften der NATO verbessert werden solle und dass die Ukraine sich künftig mit der NATO in Fragen der Verteidigungsplanung und -strategie beraten solle. Darüber hinaus solle eine Zusammenarbeit im Bereich Rüstung, militärische Ausbildung und Verteidigung ausgebaut werden.7https://www.nato.int/docu/basictxt/ukr-de.htm

Jugoslawienkrieg und Out-of-area

1999 traten Polen, Tschechien und Ungarn der NATO bei. Im gleichen Jahr führte die NATO Krieg gegen Jugoslawien und wandte zum ersten Mal die CJTF-Methode an. Dies war der erste Einsatz der NATO außerhalb ihres Bündnisgebiets. Er richtete sich gegen einen engen Verbündeten Russlands. Im 1999 neu beschlossenen strategischen Konzept wurde festgeschrieben, dass NATO-Streitkräfte „Krisenreaktionsoperationen“ durchführen können, die nicht unter Artikel 5 fallen. Es wurden neue Richtlinien für die Truppenerhaltung der Allianz formuliert. Das bedeutete unter anderem, dass die geografische Verteilung der Streitkräfte im gesamten Gebiet des Bündnisses gewährleistet werden soll, einschließlich der Stationierung und Entsendung von Streitkräften außerhalb des Heimatgebiets und der Heimatgewässer. Es beinhaltet außerdem die Vorwärtsendung von Streitkräften, wenn und wo dies erforderlich ist.

„Bunte“ Putschbewegungen

2002 wurde der NATO-Ukraine-Aktionsplan verabschiedet, der eine intensivere Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Rüstung und die vollständige Integration der Ukraine in die EU- und NATO-Strukturen vorsah. Ab 2000 wurde eine Reihe an Umsturzbewegungen forciert – die sogenannten „bunten Revolutionen“: 2000 in Serbien (Otpor wurde zur internationalen Umsturz-Agentur), 2003 in Georgien, 2004 in der Ukraine und 2005 in Kirgisien. Ziel war es, pro-russische oder nicht anti-russische Regierungen zu stürzen, um die NATO-Expansion vorantreiben zu können, die in vielen Ländern auf Ablehnung stieß.

Zweite Expansionsrunde

2004 wurden Bulgarien, Estland, Litauen, Lettland, Rumänien, die Slowakei und Slowenien NATO-Mitglieder. Die NATO ist damit bis an Russlands Grenzen vorgedrungen. Die Balkanländer Albanien, Kroatien und Mazedonien wurden aufgefordert, auf ihrem Weg zur NATO-Mitgliedschaft voranzukommen. Es wurden engere Partnerschaftsbeziehungen mit Georgien, Aserbaidschan und Usbekistan hergestellt. Darüber hinaus wurde erneut die Entschlossenheit der Ukraine in ihrem Streben nach einer vollständigen euro-atlantischen Integration begrüßt. Der ständige NATO-Rat bekam vor dem Hintergrund des ukrainischen Engagements die Weisung eine Bewertung der NATO-Ukraine-Beziehung vorzunehmen. Das heißt, dass die Umzingelung Russlands bereits weit vorangeschritten war und mit Georgien und der Ukraine zwei letzte zentrale Bausteine dieser Umkreisung auf eine Mitgliedschaft orientiert werden sollten.

Afghanistan, Irak

In diesem Zeitraum haben auch massive militärische Aktivitäten der NATO-Staaten, insbesondere der USA stattgefunden. 2001 bombardierten und besetzten die NATO-Staaten Afghanistan, 2003 die USA den Irak – in einem extrem zerstörerischen Krieg und unter Verletzung des Völkerrechts wie bereits 1999 in Jugoslawien.

Reaktion Russlands

Gegen die anhaltende Eskalationspolitik der USA und der NATO wandte sich Russlands Präsident Putin bei der Münchner Sicherheitskonferenz 2007 mit klaren Worten: „Ich denke, es ist offensichtlich, dass der Prozess der NATO-Erweiterung keinerlei Bezug zur Modernisierung der Allianz selbst oder zur Gewährleistung der Sicherheit in Europa hat. Im Gegenteil, das ist ein provozierender Faktor, der das Niveau des gegenseitigen Vertrauens senkt. Nun haben wir das Recht zu fragen: Gegen wen richtet sich diese Erweiterung? Und was ist aus jenen Versicherungen geworden, die uns die westlichen Partner nach dem Zerfall des Warschauer Vertrages gegeben haben?“8http://www.ag-friedensforschung.de/themen/Sicherheitskonferenz/2007-putin-dt.html, Putin erwähnt enter anderem die Stationierung von jeweils 5000 Soldaten in Bulgarien und Rumänien

Nächste Eskalation 2008

Die USA setzten die Eskalation fort und setzten 2008 auf dem NATO-Gipfel durch, dass Georgien und der Ukraine eine Beitrittsperspektive eingeräumt wurde. Sie konnten sich zwar nicht mit dem Beginn des Beitrittsprozesses gegen Frankreich und Deutschland durchsetzen, das änderte aber wenig an der intensivierten Integration der Ukraine in die NATO. Georgiens Regierung begann (mindestens unter Duldung der USA) einen Angriff auf russische Friedenssicherungstruppen in Süd-Ossetien, auf den Russland reagierte und die Truppen zurückschlug. Dies war die erste direkte militärische Provokation Russlands durch die NATO.

Raketenstationierung und INF-Vertrag-Kündigung

Eine weitere Ebene der Kriegsvorbereitung ist zentral und wurde in diesen Jahren umgesetzt: 2010 wurde die Stationierung einer Raketenabwehr der NATO in Europa beschlossen, die auch offensiv eingesetzt werden kann und daher aus russischer Sicht den INF-Vertrag verletzte. Die Abschussanlagen befinden sich in Rumänien und Polen. Die NATO hatte damit sowohl den Vertrag über die konventionellen Streitkräfte in Europa von 1999 als auch den INF-Vertrag gebrochen.

Libyen, Syrien

2011 bombardierten die NATO-Streitkräfte Libyen und missbrauchten dabei die UN-Resolution zur Einrichtung einer Flugverbotszone. Im selben Jahr entfesselten westlich unterstützte Söldnereinheiten einen Bürgerkrieg in Syrien, den die USA zum Sturz der Regierung Assad nutzen wollten. Der Einsatz der russischen Schwarzmeerflotte und die darauffolgende militärische Hilfe Russlands für Syrien vereitelten diese Pläne. In dieser Phase 2008 bis 2011/2021 ist eine deutliche Ausweitung der Kriegsaktivitäten und insbesondere der Aufrüstung gegenüber Russland zu verzeichnen. Man könnte sie als zweite Eskalationsphase nach 1999 bis 2003 einordnen.

Maidan 2014 – die entscheidende Eskalation

Die entscheidende Wende zur Eskalation stellt der von den USA und anderen NATO-Staaten organisierte Maidan-Putsch 2014 in der Ukraine dar, mit dem die NATO Russland von der Krim abtrennen und die militärische Bedrohung unmittelbar an die Westgrenze Russlands legen wollte, sowie einen Krieg des an die Macht geputschten Kiewer Regimes gegen die Bevölkerung in der Ostukraine begann, die sich gegen den Putsch wehrte. Ab diesem Zeitpunkt wurden die unten beschriebenen Strukturveränderungen voll entfaltet. Lange vorbereitete und eingeleitete Strukturanpassungen kamen jetzt (und verstärkt nach 2022) zur Wirkung. Darüber hinaus wurde beschlossen, die Verteidigungshaushalte auf 2% des BIP zu vergrößern, eine Aufrüstungswelle der Ostflanke setzte ein.

Die Herstellung der Kriegsfähigkeit

Beim NATO-Gipfel 2016 wurde die Verstärkung der „Vornepräsenz“ im östlichen Teil des Bündnisses beschlossen, die zu einer gesteigerten, regelmäßigen Präsenz und bedeutenden Aktivität der NATO in Osteuropa führen. Zwei Jahre später wurde konstatiert, dass alle Mitglieder ihren Verteidigungshaushalt vergrößert haben und ein beispielloser Fortschritt in der Anzahl der Aktivitäten, der Reaktions-, Verlege- und Durchhaltefähigkeit sowie der Interoperabilität der Streitkräfte zu verbuchen sei.

Die NATO-Krisenreaktionsinitiative (4×30) wurde auf den Weg gebracht: 30 Bataillone; 30 Flugzeugstaffeln; 30 Schiffe, Einsatzbereitschaft in 30 Tagen. Diese Einheiten werden als Elemente größerer Kampfverbände aufgestellt und ausgebildet. Mit der NATO-Initiative zur Reaktionsfähigkeit wurde das Militärbündnis in die Lage versetzt, noch schneller zu reagieren einschließlich der hochintensiven Kriegsführung sowie bei der schnellen militärischen „Krisenintervention“. Die Vornepräsenz im Osten wurde aufgebaut und war ab Dezember 2018 voll einsatzbereit. Es wurden weitreichende Beschlüsse gefasst, um die NATO-Kommandostruktur anzupassen und zu stärken. Der Oberste Befehlshaber sollte in die Lage versetzt werden, groß angelegte Operationen durchzuführen.

Seit 2022 bezeichnet die NATO Russland als „bedeutendste und unmittelbare Bedrohung“, auf dem Gipfel 2022 wurde der „360-Grad-Ansatz“ beschlossen, die grundsätzliche Interventionsbereitschaft in alle Himmelsrichtungen. Zudem wurde eine massive Aufstockung der Anzahl einsatzbereiter Soldaten an der Ostflanke beschlossen (siehe Strukturen).

Fazit

Zusammenfassend ist feststellbar, dass die USA durch die NATO seit 1991 kontinuierlich auf eine Isolierung Russlands, sowie die Einordnung Osteuropas in die NATO-Strukturen – und damit in die US-Militärstrukturen – hingearbeitet haben. Es lassen sich grob drei Stufen erkennen: 1999-2003 mit dem Krieg gegen Jugoslawien, Irak und Afghanistan sowie den Expansionsstufen der NATO-Mitgliedschaft bis 2004 an die Grenzen Russlands. Die nächste Eskalation 2008 bis 2012 durch die Provokation in Georgien, den Krieg in Libyen und Syrien sowie die forcierte Integration der Ukraine. Der entscheidende Wendepunkt wurde 2014 mit dem Maidan-Putsch herbeigeführt. Seitdem wurden die Aufrüstung und militärische Aufstellung, die bereits vorbereitet wurde, vorangetrieben.

Es handelt sich um einen kontinuierlichen und stringenten Prozess, dessen Ziele (Isolierung und Einkreisung Russlands, militärische Aufstellung zur Kriegsfähigkeit) klar benannt wurden und mit Nachdruck verfolgt wurden.

Umbau der Strukturen

In diesem Abschnitt soll der Umbau der militärischen NATO-Strukturen nachgezeichnet werden, um Stoßrichtung und Funktion des Umbaus erkennen zu können.

Es gab zwei Schübe des Umbaus der NATO-Strukturen – im März 2002 und im November 2010.9https://www.bundestag.de/resource/blob/505818/c7250f69651faf74f45e3ad4af21c8b0/WD-2-025-17-pdf-data.pdf Auf dem NATO-Gipfel 2002 in Prag wurde die Umstrukturierung von einem geographischen zu einem funktionalen Ansatz beschlossen. „Durch die Wahl eines funktionalen Ansatzes für die konkrete Ausgestaltung der Beschlüsse von Prag und Brüssel erreichte die NATO eine grundlegende Neuordnung, Rationalisierung und Umverteilung ihrer militärischen Aufgaben im Hinblick auf das neue Sicherheitsumfeld. Die neue Kommandostruktur bestand seit 2003 aus elf Hauptquartieren mit mehr als 13.000 Mitarbeitern.“10https://www.bundestag.de/resource/blob/505818/c7250f69651faf74f45e3ad4af21c8b0/WD-2-025-17-pdf-data.pdf

2010 und 2011 wurden Beschlüsse gefasst, die zum einen Personal einsparten und zum anderen Hauptquartiere umstrukturierten. Die Verschlankung der Strukturen und die Erhöhung der Einsatzfähigkeit sowie der Präsenz im gesamten NATO-Territorium sind zwei wesentliche Elemente der Veränderung. Beide weisen darauf hin, dass Strukturen geschaffen werden sollen, die im Kriegsfall schnell skalierbar, einsetzbar und transportierbar sind.

NATO Response Force

2002 wurde die Einrichtung einer NATO Response Force (NRF) – einer NATO-Eingreiftruppe beschlossen. Hintergrund war, dass „die Möglichkeit, im Rahmen der Allianz gemeinsam und effektiv zu kämpfen, aufgrund der erheblichen Unterschiede in den militärischen Fähigkeiten der Bündnispartner kaum mehr gegeben ist. Sowohl die technische als auch in der Folge die konzeptionelle Interoperabilität mit den amerikanischen Streitkräften ging in vielen Bereichen verloren.“11Eitelhuber, Norbert (2002): Die NATO Response Force, SWP-Aktuell, No. 52/2002, Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), Berlin Hier sind zwei zentrale Elemente der Kriegsvorbereitung benannt: Die USA müssen die NATO zu einem einheitlich handelnden Kriegsapparat machen, der ihrem Kommando untersteht und einsetzbar ist. Hier muss erwähnt werden, dass der ranghöchste Soldat der gesamten NATO-Strukturen seit 1951 immer ein Flaggen- und Generaloffizier der USA ist. Dieser wird SACEUR (Supreme Allied Commander Europe) genannt, wobei das Europa im Namen nur noch symbolischer Natur ist.12Derzeitiger SACEUR ist General Christopher G. Cavoli

Die Entwicklung der NRF veranschaulicht die strategische Planung und Umstrukturierung der NATO. Im Rahmen des Readiness Action Plan (RAP), der auf dem NATO-Gipfel in Wales 2014 beschlossen wurde, wurde die NRF umstrukturiert. Der RAP sieht die Verstärkung der NATO-Präsenz an der Ostflanke vor, die Aufstellung der Enhanced Forward Presence-Einheit, die sich in höchster Bereitschaft befindet und weitere militärische Maßnahmen, darunter die Verstärkung der Air-Policing durch sechszehn ständig einsatzbereite Kampfflugzeuge, den Einsatz von AWACS-Flugzeugen an der Ostflanke und eine stärkere Präsenz von Marinekräften in der Ostsee, dem Schwarzen Meer und dem Mittelmeer.13https://www.nato.int/cps/en/natolive/topics_52091.htm

Gestaffelte Vornepräsenz

Seit 2015 besteht die NRF-Struktur aus dem Joint Task Force Headquarter, einem verlegbaren multinationalen Hauptquartier für die Einsatzleitung, der Very High Readiness Joint Task Force (VJTF) einem schnellen Eingreifverband, der Initial Follow In Force Group (IFFG), den Folgekräften in der Anfangsphase, und den Follow-in Forces Group (FFG), den nachfolgenden Kräften. Die Kräfte der NRF wurden 2015 von 13.000 auf 40.000 aufgestockt und umfassen seitdem circa 50.000 Soldaten. Im Juni 2022 kündigte NATO-Generalsekretär Stoltenberg an, die Zahl der schnellen Eingreifkräfte auf mehr als 300.000 erhöhen zu wollen. Diese Umstrukturierung zeigt eine vorbereitende Funktion auf einen möglichen Kriegsfall, wo eine schnelle Verlegung großer Truppenverbände mit einer hohen Effektivität erfolgen soll.

2017 wurden vier NATO-Battlegroups mit Stationierung in Estland, Lettland, Litauen und Polen ins Leben gerufen. Nach Beginn der russischen Militäroperation wurden weitere vier Kampfgruppen in Bulgarien, Ungarn, Rumänien und der Slowakei eingerichtet. Die Gesamtzahl der Bodentruppen verdoppelte sich dadurch und die Vorwärtspräsenz der NATO wurde ausgeweitet.14https://www.nato.int/cps/en/natolive/topics_49755.htm Auf dem NATO-Gipfel 2022 in Madrid wurde beschlossen, dass die Battlegroups bei Bedarf von Bataillonen auf Brigadegröße (bis zu 10.000 Soldaten) aufgestockt werden können. Seit Mai 2023 üben die NATO-Staaten die Aufstockung auf Brigadegröße durch schnelle Verstärkung (ebd.). Alle Kampfgruppen sind in die NATO-Kommandostruktur integriert und somit dem SACEUR, einem US-General, direkt unterstellt.

Die Aufstellung der NRF zeigt eine Struktur, die darauf ausgelegt ist, einen schnellen offensiven Vorstoß mit den NATO Very High Readiness Joint Task Force (VJTF)15Die VJTF besteht aus einem Landstreitkräftekontingent von 5.000 Soldaten in bis zu 5 Bataillonen und zusätzlich aus Komponenten der Luft-, See-, Spezial- und Unterstützungskräfte mit einer zentralen Koordinierung aus dem mobilen Hauptquartier durchzuführen und die ersten Stoßkräfte mit nachfolgenden Truppen (IFFG & FFG) zu verstärken. In einem Kriegsfall sind die ersten Tage kritisch und entscheidend. Schnelle Eingreifverbände spielen somit eine bedeutende Rolle. Die VJTF sind die Truppenteile, die als erstes und am schnellsten in den Einsatz geschickt werden. Sie sowie die NATO-Battlegroups sind Teil der NATO „Vorwärtspräsenz“ (Enhanced Forward Presence), wie sie bereits Anfang der 1990er Jahre als Anforderung formuliert wurde. Nach der Konterrevolution wurden die Strukturen entsprechend der neuen geopolitischen Landschaft umstrukturiert. Es fanden eine Entschlackung der Kommandostrukturen und ein Umbau der Streitkräfte auf flexible und schnelle Einsätze im Kriegsfall statt.16https://web.archive.org/web/20110721043422/http://www.aco.nato.int/resources/21/Evolution%20of%20NATO%20Cmd%20Structure%201951-2009.pdf Auf dem NATO-Gipfel 1994 in Brüssel wurde das Konzept des Combined Joint Task Force (CJTF) beschlossen, welches ein „flexibles und effizientes Mittel [ist], die das Bündnis in die Lage versetzt, kurzfristig Streitkräfte aufzustellen, die schnell verlegbar, multinational und dienstübergreifende Einsatzkräfte mit geeigneten Kommando- und Kontrollvorkehrungen [sind].“17Das Combined Joint Task Forces Konzept in einer Pressemitteilung der NATO (PDF) Dadurch sollen die NATO-Streitkräfte für mögliche offensive Vorwärtsbewegungen handlungsfähig gemacht werden.

Innerhalb der VJTF sind kleine Führungs- und Kontrolleinrichtungen eingebaut, die NATO Force Integration Units. Die NFIO sind ein Bindeglied zwischen den nationalen Streitkräften und den Streitkräften anderer NATO-Mitgliedsstaaten. Sie sind kleine Hauptquartiere und stellen eine dauerhafte NATO-Präsenz in den acht Nationen dar. Sie sollen dazu beitragen, den schnellen Einsatz der Streitkräfte im östlichen Teil der NATO zu erleichtern.

New Force Model

Mit dem Vorwand, der Bedrohung aus Russland gerecht zu werden, beschloss die NATO auf dem Gipfel im Juni 2022 in Madrid eine Reorganisierung, zu der das New Force Model dazugehört. Das NFM soll der Nachfolger der NATO Response Force (NRF) sein, weiterhin weltweit einsetzbar sein, jedoch mit einem klaren Fokus gegen Russland. Das NFM soll einen deutlich erhöhten Truppenanteil entgegen früherer Planungen beinhalten. So sollen insgesamt 800.000 Soldaten zur Verfügung stehen, davon sollen 100.000 Soldaten in den ersten 10 Tagen, 200.000 Soldaten in den ersten 30 Tagen und weitere 500.000 Soldaten in den nächsten 180 Tagen mobilisiert und einsatzbereit sein.18Dienstbier, Philipp (2022): Immer einen Schritt hinterher?, Auslandsinformationen, Konrad Adenauer Stiftung NATO-Staaten müssen zukünftig Truppen in Divisionsgröße (10.000 – 30.000 Soldaten) mobilisieren können. Argumentiert wird, dass die NRF insgesamt zu klein und unflexibel ausgestattet ist, um auf unterschiedliche Szenarien reagieren zu können.19https://www.bmvg.de/de/aktuelles/new-force-model-wie-deutschland-sich-ab-2025-in-nato-engagiert-5465714 Ziel des NFM ist es, regionale Verantwortlichkeiten festzulegen und so umfangreicher, flexibler und reaktionsfähiger zu sein als die bisherige NRF. Aufgrund der Tatsache, dass die Kräfte der NRF rotierend durch andere Länder bereitgestellt werden, kann es beispielsweise vorkommen, dass Spanien die Kräfte stellt, aber die NATO-Ostflanke verstärkt werden muss, was einen logistischen Mehraufwand bedeuten würde. Dieser soll durch eine regional aufgestellte Struktur verhindert werden.

Deutschland legt seinen Schwerpunkt auf Zentral- und Nordosteuropa, besonders Polen und Litauen. Bis 2024 wird die Bundeswehr in der „veralteten“ NRF circa 14.200 Soldaten und 34 Flugzeuge und Schiffe zur Verfügung stellen. Mit dem neuen NFM stellt Deutschland ab 2025 circa 30.000 Soldaten in den ersten 30 Tagen eines Krieges, verbunden mit bis zu 85 Flugzeugen und Schiffen.20Ebd. Eine schnelle Eingreiftruppe wie die VJTF soll es ab 2025 auch geben, die Allied Reaction Force (ARF). Diese soll vor allem leichte Kräfte beinhalten, also Infanterie und Fallschirmjäger, aber kein schweres Gerät wie Panzer.21https://www.bundeswehr.de/de/organisation/weitere-bmvg-dienststellen/territoriales-fuehrungskommando-der-bundeswehr/organisation/multinationales-kommando-operative-fuehrung Die ARF sollen bis zu 40.000 Soldaten fassen und direkt dem SACEUR unterstellt sein.22Ebd.

Reaktivierung des 56. Artilleriekommandos in Mainz

Die NRF decken See-, Land-, und Lufteinheiten ab. Eine weitere wichtige Säule der Kriegsführung und auch der Kriegsvorbereitung sind die Raketen. Die Erstschlagfähigkeit und die Stationierung von atomar-bestückten Kurz- und Mittelstreckenraketen spielen eine wichtige taktische Rolle. Die Reaktivierung des 56. Artilleriekommandos in Mainz im November 2021 stellt einen Wendepunkt der Abschreckungspolitik gegen Russland dar.

1987 schlossen die Sowjetunion und die USA den Intermediate Range Nuclear Force Treaty (INF-Vertrag) ab. Der Inhalt dieses Vertrags bestimmte vor allem das Verbot der Stationierung nuklear bestückter landgestützter Kurz- und Mittelstreckenraketen mit einer Reichweite zwischen 500 und 5.500 km. Das 56. Artilleriekommando mit Stationierung in Deutschland wurde 1991 als Konsequenz des Vertragsschlusses faktisch außer Dienst gestellt. Mit dem Vorwand, dass sich Russland angeblich der Vertragsverletzung schuldig gemacht hätte, stieg die USA im Jahr 2019 aus dem Vertrag aus.

Multi-Domain Operations

Bereits die „Nationale Sicherheitsstrategie“ der USA aus dem Dezember 2017 benannte die Aufgabe der Konfrontation gegen China und Russland. Im Dezember 2018 wurde ein neues Einsatzkonzept mit dem Namen The US Army in Multi-Domain Operations 2028 veröffentlicht. Der Wissenschaftliche Dienst des US-Kongresses schrieb dazu, dass sich der sicherheitspolitische Fokus der USA weg von der weltweiten Bekämpfung gewalttätiger Extremisten hin zur Konfrontation mit „revisionistischen“ Kräften verschiebe – vor allem mit Russland und China.23Feickert, Andrew (2024): Defense primer: Army multi-domain operations (MDO). Congressional Research Service Für die Erreichung dieses Ziels wurden die Multi-Domain Task Forces (MDTF) aufgestellt, die jeweils einem US-Regionalkommando zugeordnet sind.

Ein weiterer Bestandteil der MDTFs sollen Hyperschallraketen sein. Lockhead Martin entwickelt die Dark Eagle mit fünffacher Schallgeschwindigkeit und bis zu 6.200 km/h Geschwindigkeit.24https://www.bundestag.de/resource/blob/505818/c7250f69651faf74f45e3ad4af21c8b0/WD-2-025-17-pdf.pdf Diese könnten Moskau innerhalb von 20 Minuten erreichen.25https://www.thesun.co.uk/news/16695568/us-nuclear-germany-eagle-hypersonic-missiles-moscow/ All die genannten Kurz-, Mittel- und Hyperschallraketen können nuklear bestückt werden. Die Reaktivierung des 56. Artilleriekommandos im Rahmen der Multi-Domain-Operations stellt eine unmittelbare Bedrohung Russlands dar und ist eine massive Eskalation seitens der USA.26Wagner, Jürgen (2022): NATO-Aggression und Russlands Reaktion. Warum sich Russland betrogen und bedroht fühlt – und warum da einiges dran ist, IMI-Analyse, Nr. 2/2022

Fazit

Insgesamt lässt sich zusammenfassen, dass die NATO-Strukturen seit der Konterrevolution einem Struktur- und Funktionswandel unterliegen, der sich darin ausdrückt, dass die Kommando- und Streitkräftestrukturen für kommende Kriege vorbereitet werden müssen. Diese Vorbereitung erfolgt in verschiedenen Phasen. In der Phase von 1990-2010 wurden die NATO-Strukturen entschlackt und auf kleinere, flexible und multinationale Kräfte unter Führung der USA umgebaut. Nach 2010 und besonders stark ab 2014 erfolgten massive Truppenaufstockungen und der Umbau in Richtung einer effizienten Streitkraft, die im Kriegsfall schnell und leicht eingesetzt und anschließend mit nachziehenden Truppen und Infrastruktur versorgt werden kann. Die Entwicklung der Streitkräfte zeigt eine Vorbereitung auf zukünftige größere Kriege in Europa.

NATO-Manöver

In diesem Abschnitt wird ein Blick auf Entwicklung, Stoßrichtung und Funktion der NATO-Manöver geworfen.

Militärmanöver dienen nicht nur der Ausbildung und des Trainings einer Armee bzw. Teilen einer Armee, sondern verfolgen darüber hinaus ein bestimmtes Ziel. Daher sind Militärmanöver Krieg – nur ohne kriegerische Kampfhandlungen mit dem Gegner. Sie bereiten den Krieg jedoch direkt vor. Die NATO und ihre Einzelstaaten übten bereits seit der Gründung der NATO 1949 die militärische Konfrontation mit der Sowjetunion. Doch auch nach der Konterrevolution und dem damit verbundenen Zerfall des sowjetischen Staates, bleibt der absolute Fokus der NATO auf dem Rechtsnachfolger der Sowjetunion, der Russischen Föderation, bestehen.

Charakterisierung von Manövern

Um militärische Manöver genauer politisch charakterisieren zu können, haben wir mehrere Merkmale identifiziert, die im Folgenden kurz dargelegt werden sollen. Zur Charakterisierung von Manövern müssen die Funktion bzw. das Ziel und die Mittel analysiert werden. Zumeist erfüllt eine Trainingsmission nicht nur ein Ziel – diese können sich gegenseitig ergänzen und schließen sich nicht zwangsläufig aus.

Die Merkmale von Manövern lassen sich in folgende Teilbereiche gliedern: Funktion/Ziel, Ort und Umfang, wobei vor allem die Funktionen sehr vielfältig sein können.

Die Funktion eines Manövers kann das Training von Soldaten, das Zeigen von Militärpräsenz, die Sensibilisierung der Bevölkerung oder auch die Aufklärung des Gegners sein. Ein Training kann das Testen von Abläufen und Strukturen bedeuten, genauso wie das sich Vertrautmachen der Soldaten und der Technik mit der Umgebung. Darüber hinaus können Waffensysteme und Kommunikationswege getestet werden. Die Militärpräsenz kann unter anderem dazu dienen, gegenüber dem Gegner ein Bedrohungsszenario zu schaffen. So kann ein Manöver jederzeit in einen tatsächlichen Einsatz umschlagen – defensiv wie offensiv. Darüber hinaus kann eine Übung die Funktion erfüllen, die Bevölkerung bewusst in die Kriegsplanung ein- oder auch davon auszuschließen. Sie kann in der Öffentlichkeit die Militarisierung der Menschen und die ideologische Vorbereitung eines Krieges oder aber auch Skepsis und Ablehnung verursachen. Als letzte Funktion kann ein Manöver ebenso der Aufklärung dienen. Zum einen kann eine spezifische Konfliktregion detaillierter beobachtet und ggf. ausgespäht werden, zum anderen kann auch die Reaktion des vermeintlichen Gegners verfolgt werden.

Neben der Funktion eines Manövers ist vor allem das Einsatzgebiet und der Umfang der Übung wichtig für dessen Charakterisierung. Sie deuten zusätzlich auf eine spezifische Funktion hin. So kann eine Mission zum Beispiel in räumlicher Nähe zum Gegner bzw. zu strategisch wichtigen Positionen stattfinden. Auch die geographische Einsatzumgebung und damit die klimatischen Bedingungen sind wichtig, um Material, Technik und Menschen auf besondere Bedingungen vorzubereiten. Der Umfang an Soldaten und Gerät kann darauf hindeuten, auf welche Art von Konflikt das Militär tatsächlich vorbereitet wird.

NATO-Manöver gegen Russland

Für die kommende Einordnung von NATO-Manövern ist es zunächst besonders wichtig zu verstehen, dass permanent NATO-Übungen stattfinden. So führte die NATO bereits 1951 – also zwei Jahre nach ihrer Gründung – über 100 Militärmanöver durch. Nach diversen historisch bedingten Schwankungen stieg die Zahl der Manöver der NATO von ca. 100 im Jahr 2013 auf fast 250 im Jahr 2016 und ca. 300 geplante Manöver im Jahr 2021.27Pflüger, Tobias (2022): Manöver als gefährliche Machtdemonstration, AUSDRUCK, 03/2022, Informationsstelle Militarisierung e. V.
aufgerufen am 14.07.2023
Henken, Lühr (2022): Der Ukraine-Krieg – was vorher geschah, Hintergrund, 23.05.2022
aufgerufen am 16.04.2023
Informationsstelle Militarisierung: NATO-Manöver Noble Jump. 10.04.2015, Informationsstelle Militarisierung e. V., https://www.imi-online.de/2015/04/10/nato-manoever-noble-jump/
aufgerufen am 14.07.2023

Im Fokus der NATO-Manöver steht fast immer die Interoperabilität, d.h. die Fähigkeit des Zusammenwirkens verschiedener Armeen. Damit sind die multinationalen Kampfverbände (z.B. Verwendung eines gemeinsamen Militäralphabets) der NATO, die aus den nationalen Einheiten bestehen, gemeint. Daher muss besonders die Kommunikation und das Zusammenwirken verschiedener Technik geübt werden. Von besonderer Bedeutung ist auch die Einbindung von Drittstatten in die Übungen über die Partnership for Peace (v.a. die Ukraine, Finnland und Schweden), welche die Ost-Flanke der NATO erheblich erweitern und einer faktischen Integration dieser Staaten in das Militärbündnis gleichkommt.28Haydt, Claudia (2022): Säbelrasseln gegen Russland, IMI-Analyse, Nr. 3/2022
aufgerufen am 14.07.2023
Kronauer, Jörg (2018): Meinst Du, die Russen wollen Krieg? Köln, S. 103f, S. 184

Die bedeutendsten Manöver der NATO gegen die Russische Föderation sind Rapid Trident (Fokus Ukraine), BALTOPS (Fokus Ostsee) Anakonda, Defender Europe, Air Defender und Cold Response (Fokus Nordatlantik und Nordpolarmeer). Sie sind die größten und umfangreichsten Manöver, die regelmäßig stattfinden (sollen) und den Krieg gegen Russland üben. Oftmals schließen diese umfangreicheren Übungen kleinere Trainings- und Ausbildungsmissionen mit ein. So gehören beispielsweise zum Manöver Defender Europe die drei Missionen Swift Response, Immediate Response und Saber Guardian, die verschiedene Stufen eines Gesamteinsatzes proben. Die Manöver der NATO-Staaten sind formal keine „NATO-Manöver“. Ein Staat übernimmt die Koordination und lädt die anderen Staaten offiziell dazu ein, sich zu beteiligen.

Im Folgenden sollen die Manöver Defender und Cold Response detaillierter beschrieben werden. Sie wurden hier herausgegriffen, weil sie einen unterschiedlichen Charakter besitzen und für die NATO mit die bedeutendsten und größten Übungen überhaupt sind. Das in der Ukraine stattfindende Manöver Rapid Trident wurde an anderen Stellen bereits umfassender beschrieben. Obwohl das Minsk II-Abkommen ausländischen Truppen den Aufenthalt in der Ukraine untersagt, bewilligte das ukrainische Parlament 2015 zahlreiche ausländische Militärübungen in der Ukraine und im Schwarzen Meer. Die NATO und die Ukraine brachen damit wissentlich das Abkommen.29Informationsstelle Militarisierung: Ukraine: Manöver. 18.03.2015, Informationsstelle Militarisierung e. V., https://www.imi-online.de/2015/03/18/ukraine-manoever/
aufgerufen am 14.07.2023

Defender-Manöver

Defender ist ein Akronym und steht für Dynamic Employment of Forces to Europe for NATO Deterrence and Enhanced Readiness (deutsch: Dynamischer Einsatz von Streitkräften in Europa zur NATO-Abschreckung und Verbesserung der Einsatzbereitschaft). Es ist ein von den USA initiiertes Manöver, das alle zwei Jahre stattfinden soll (abwechselnd mit dem Manöver Defender Pacific, das nicht durch die NATO organisiert wird). Das Manöver sollte erstmals 2020 stattfinden, wurde jedoch wegen der Corona-Pandemie abgesagt. Defender Europe ist ein großes Manöver, an dem insgesamt ca. 30.000 Soldaten teilnehmen.

Bedeutend ist dabei vor allem, dass ganze US-Divisionen (10.000 – 30.000 Soldaten) über den Atlantik und durch Westeuropa nach Osteuropa verlegt werden. Die Bundesrepublik Deutschland dient dabei als Drehscheibe und Aufmarschgebiet für einen möglichen Krieg gegen Russland. Die US-Truppen landen in Antwerpen (Belgien) und Bremen und werden dann über Deutschland und Polen bis an die russische Grenze verlegt. Die gesamte Koordination der Aktion findet über das NATO-Logistikzentrum Joint Support and Enabling Command (JSEC) in Ulm statt. Damit ist die BRD das logistische Rückgrat für das Manöver.30Henken, Lühr (2022): Der Ukraine-Krieg – was vorher geschah, Hintergrund, 23.05.2022
aufgerufen am 16.04.2023
Haydt, Claudia (2022): Säbelrasseln gegen Russland, IMI-Analyse, Nr. 3/2022
aufgerufen am 14.07.2023

Die Ziele von Defender sind das Training der Bereitschaft der US-Armee und der Zusammenarbeit multinationaler Kampfverbände. Darüber hinaus soll die Infrastruktur und Koordination zum Transport großer Mengen Soldaten und Gerät getestet werden. Das Manöver ist damit vorrangig eine Verlegeübung, bei der der Fokus auf dem schnellen Verlegen von Truppen vom Westen an die Ostflanke der NATO liegt.31Weber, Merle: Schlachtfeld Osteuropa, junge Welt, 31.03.2020
aufgerufen am 02.07.2023

Das Manöver ist die Vorbereitung auf einen großen militärischen Konflikt mit der Russischen Föderation, bei dem innerhalb der NATO-Strukturen schnell Nachschub an Personal und Material nach Osten geliefert werden muss. Für ausreichend Nachschub an Gerät sorgen außerdem die Army Prepositioned Stocks (APS) der US-Armee in Deutschland und Polen. Die APS sind riesige Waffenkammern aus Zeiten des Kalten Krieges, die es den USA ermöglichen, lediglich die Soldaten nach Europa liefern zu müssen und die nötige Gerätschaft bereits in relativer Nähe zu einem Konflikt mit Russland zu lagern. Die APS in Europa wurden in den letzten Jahren umfänglich modernisiert. Alte Lager wurden teils wiedereröffnet, andere werden weiter ausgebaut (ca. 1 Milliarde US-Dollar Investitionen in den letzten Jahren).32Gardener, Christopher: U.S. Army Corps of Engineers supports readiness in Europe by modernizing Army’s Prepositioned Stock facilities, Defence Visual Information Distribution Service, 09.07.2022
aufgerufen am 17.07.2023

Cold Response

Das Manöver Cold Response findet seit 2006 alle zwei Jahre an der Nordflanke der NATO unter der Führung Norwegens statt. Dabei liegt der geographische Fokus auf dem hohen Norden Norwegens, dem Nordatlantik und dem Europäischen Nordmeer. Das Manöver umfasst ca. 30.000 Soldaten aus über 20 NATO-Ländern und zusätzlich aus Schweden und Finnland.33Bundeswehr: Cold Response 22, 21.03.2022, https://www.bundeswehr.de/de/aktuelles/meldungen/cold-response-22-polarkreis-ueben-30000-maenner-frauen
aufgerufen am 14.06.2023
Cold Response ist damit eines der größten NATO-Manöver überhaupt.

Eine wichtige Funktion dieses Manövers ist das Training von Gerätschaft und Soldaten unter extremen Wetterbedingungen. Damit soll die Truppe auf einen möglichen Konflikt unter arktischen Bedingungen angepasst werden.34NATO: Exercise Cold Response 2022, 07.03.2022, https://www.nato.int/cps/en/natohq/news_192351.htm
aufgerufen am 14.06.2023
Außerdem soll das schnelle Verteilen großer Truppenkontingente in dem Land geprobt werden.35Bundeswehr: Cold Response 22, 21.03.2022, https://www.bundeswehr.de/de/aktuelles/meldungen/cold-response-22-polarkreis-ueben-30000-maenner-frauen, aufgerufen am 14.06.2023

Das Manöver ist auf Grund mehrerer Aspekte brisant. Zum einen findet es in unmittelbarer Nähe zu Stützpunkten der russischen Nordflotte statt, welche sich größtenteils in der Barentssee befinden. Dort sind russische Atom-U-Boote stationiert, die in einem nuklearen Krieg die Zweitschlagfähigkeit Russlands konventionell wie nuklear absichern.36Henken, Lühr (2022): Der Ukraine-Krieg – was vorher geschah, Hintergrund, 23.05.2022
aufgerufen am 16.04.2023
Damit zielt Cold Response explizit darauf ab, Russlands Verteidigungsmechanismen anzugreifen.

Fazit

Militärmanöver sind möglichst realitätsnahe Übungen einer Truppe, die sie auf einen echten Einsatz bestmöglich vorbereiten sollen. Daher sollten sie nicht als bloße Trainings abgetan, sondern als wichtige militärische Vorbereitung auf einen echten Konflikt verstanden werden. Im Umkehrschluss kann aus Manövern abgeleitet werden, auf welches Szenario sich eine Armee vorbereitet, was wiederum Schlüsse über die Strategie des jeweiligen Staates zulässt.

Jedes Militärmanöver bietet die Möglichkeit zur Eskalation des Konflikts und häufig kommt es zu Beinahe-Zusammenstößen oder sogar Zusammenstößen mit gegnerischen Truppen. Wie eine Studie zeigte, gab es zwischen Januar 2013 und Dezember 2020 ca. 2.900 gefährlich nahe Begegnungen zwischen den Armeen der NATO-Staaten und der Russischen Föderation.37Clem, Ralph & Finch, Ray: Crowded Skies and Turbulent Seas. Assessing the Full Scope of NATO-Russian Military Incidents. 19.08.2021, WAR ON THE ROCKS, aufgerufen am 18.07.2023

Darüber hinaus lässt sich ein Anstieg der Anzahl und des Umfangs der Manöver der NATO seit 2014 feststellen. Dabei darf jedoch nicht vergessen werden, dass es auch vor 2014 bereits explizite Manöver der NATO gab, die einen Krieg gegen Russland proben (z. B. Cold Response seit 2006). Neue Manöver kamen jedoch in der Phase 2014 – 2020 dazu (z. B. Defender Europe seit 2020). Durch die regelmäßige Einbindung von B52-Atombombern der US-Luftwaffe in die NATO-Übungen (z. B. BALTOPS) ist bereits jetzt ein immenses Eskalationspotential gegeben.38Kronauer, Jörg (2018): Meinst Du, die Russen wollen Krieg? Köln, S. 184 Mit Air Defender sollte 2023 sogar ein neues Manöver gegen Russland etabliert werden, welches es noch zu untersuchen gilt.

Im Großen und Ganzen fokussieren sich die Manöver der NATO stark auf die Ostflanke, trainieren vor allem die Interoperabilität der verschiedenen Armeen und sichern die Enhanced Forward Presence ab, um in einem umfassenden Krieg möglichst schnell, Militär aus dem Westen der NATO (v. a. aus den USA) nach Osteuropa zu verlegen. Dabei sollte nicht vergessen werden, dass die USA weltweit komplementäre Militärübungen innerhalb anderer Bündnisse durchführen, die sich zum Beispiel gegen die Volksrepublik China richten (AUKUS, QUAD) und die Hegemonie der USA im Pazifik absichern sollen (z. B. das Manöver Pacific Defender).

Nahezu alle heutigen Trainingsmissionen der NATO werden mit der Angliederung der Krim durch Russland 2014 begründet.39Weber, Merle: Schlachtfeld Osteuropa, junge Welt, 31.03.2020
aufgerufen am 02.07.2023
Jedoch muss hervorgehoben werden, dass die Manöver zur Kriegsvorbereitung gegen Russland nicht erst 2014 begannen. Die Kriegspläne der NATO gegen Russland sind bereits viel älter und die Reaktion Russlands auf den Ukraine-Konflikt 2014 kam der NATO sehr gelegen, um die Situation weiter eskalieren zu können. Die jeweilige Phase der Auseinandersetzung und die Kontinuität des Kalten Krieges dürfen dabei nicht missachtet werden.

Die Russische Föderation nimmt die Manöver der NATO und ihrer Einzelstaaten an der russischen Westflanke sehr ernst und versuchte durch diplomatische Abkommen, die Eskalationsspirale zwischen der NATO und Russland zu entschleunigen. Noch am 17. Dezember 2021 legte die Russische Föderation den USA einen Entwurf über einen neuen Sicherheitsvertrag vor. Die vorgeschlagenen Maßnahmen sahen unter anderem vor, sich auf eine einzuhaltende Entfernung für operative Militärübungen zur NATO-Russland-Grenze auf beiden Seiten zu einigen. Zusätzlich beinhaltete der Vorschlag, eine Kommunikation von Anlaufpunkten für Kampfschiffe und Flugzeuge zwischen der NATO und Russland aufzubauen und den regelmäßigen Dialog zwischen Russland und der NATO wiederzubeleben. Die Vorschläge wurden ohne weitere Diskussion seitens der USA abgelehnt.

Die Integration der Ukraine in die NATO

In diesem Abschnitt soll nachgezeichnet werden, wie die NATO die Ukraine in ihre Strukturen eingegliedert, politisch unterworfen und damit zu einem Kriegsinstrument gegen Russland gemacht hat.

Die genauere Betrachtung der Integration der Ukraine in die NATO ist aus zwei Gründen notwendig: Zum einen einfach deshalb, weil dort der Krieg gegen Russland auf die entscheidende Eskalation getrieben wurde und zum anderen, weil wie oben beschrieben, die Ukraine in den Strategien der imperialistischen Länder aufgrund ihrer strategischen Lage eine besondere Rolle spielt.

Im Folgenden sollen sowohl die Schritte der NATO und die Ausdehnung ihrer Strukturen auf die Ukraine als auch die innenpolitische Entwicklung durch den Einfluss der NATO, also der Aufbau faschistischer Strukturen und die Durchsetzung ihrer Herrschaft in der Ukraine durch die NATO, nachgezeichnet werden, da beide Prozesse untrennbar miteinander verbunden sind. Das ergibt sich aus der spezifischen Zusammensetzung und Entwicklung der Ukraine.

Schnelle Schritte zur Integration der Ukraine 1991-2002

Unmittelbar mit dem Ende der Sowjetunion begann die NATO die Ukraine besonders ins Visier ihrer Expansionsbestrebungen zu nehmen. Sie wurde in den North Atlantic Cooperation Council aufgenommen, der die Struktur des Partnership for Peace (PfP) vorbereitete, in dem die Ukraine 1994 aufgenommen wurde und einer direkten Vorbereitung eines Beitritts dienen sollte.40https://web.archive.org/web/20070413141551/http://www.nato.int/issues/nato-ukraine/evolution.html Das PfP ist ein sehr eng gefasstes Programm zur Anpassung der militärischen und staatlichen Strukturen an die NATO-Standards und Anforderungen. Die Ukraine eröffnete 1992 eine Botschaft in Brüssel, um mit der NATO ständig zu kommunizieren.

1997 wurde ein eigenes NATO Dokumentations- und Informationszentrum (NDIC) in Kiew eröffnet – das erste seiner Art überhaupt. Es dient zur politischen Einflussnahme und neben der US-Botschaft als Schaltzentrale zur Durchdringung der Politik und Gesellschaft. Die Aktivitäten des NDIC mündeten in den Maidan-Putsch, es rühmt sich bis heute für seine wichtige Rolle in diesem Ereignis.41https://www.nato.int/cps/en/natohq/news_143930.htm 1997 wurde auch die NATO-Ukraine-Commission eingerichtet, die eine permanent tagende Zusammenarbeit zwischen NATO und Vertretern der Ukraine ist – eine vergleichbare Einrichtung gibt es für kein anderes Land. Gegenstand sind hier in erster Linie militärische und strukturelle Aspekte der Sicherheitspolitik, aber auch ökonomische und wissenschaftliche Verzahnung mit der NATO.42„The NUC provides a forum for consultation between the Allies and Ukraine on security issues of common concern, such as the situation in the Balkans, in Iraq, the fight against terrorism, frozen conflicts, and other regional security issues.“ https://web.archive.org/web/20090805202843/http://www.nato.int/issues/nuc/index.html

Die Ukraine ist auch das einzige Nicht-NATO-Mitglied, das an NATO-Einsätzen, darunter KFOR in Kosovo, SFOR in Bosnien und im Irak beteiligt wurde. In der Ukraine selbst wurden militärische Strukturen der NATO aufgebaut, darunter das „Jaworiw Training Centre“, ein großes Trainigs- und Manöverzentrum, das explizit eingerichtet wurde, um NATO-Truppen aus verschiedenen Ländern trainieren zu können. Es wurde zur Drehscheibe für die zahlreichen und großen NATO-Manöver in der Ukraine.43https://www.nato.int/structur/nmlo/links/yavoriv-training-centre.pdf

Die innenpolitische Verfasstheit der Ukraine war bereits in dieser Phase fragil und wurde durch die NATO-Aktivitäten angeheizt. Große Teile der Bevölkerung waren sehr lange Zeit gegen einen NATO-Beitritt und wollten stattdessen ebenfalls gute Beziehungen zu Russland aufrecht erhalten. Das gilt insbesondere für die Krim, deren Bewohner sich ohnehin als Teil Russlands sahen.

Erster Durchsetzungsversuch 2002-2008

Ab 2002 wurden durch die forcierte NATO-Integrationspolitik Widersprüche in der ukrainischen Politik stärker. 2002 trat die Ukraine dem NATO Ukraine-Action-Plan bei (NUAP), der zwar nicht dem Membership Action Plan, also der unmittelbaren Vorbereitung einer Aufnahme entspricht, aber diesem recht nahe kommt. Die Regierung Kutschma verfolgte zunächst einen Kurs der schnellen Aufnahme, erließ aber 2004 ein Dekret, das die NATO-Mitgliedschaft nicht mehr als Ziel des Landes definierte.

2004 folgte die sogenannte „Orangene Revolution“, die bereits durch Proteste gegen Kutschma 2002 vorbereitet wurde. Bei der Präsidentschaftswahl wurde der Kandidat des Westens, Juschtschenko mit Mitteln des Protests bis hin zum Aufstand, Straßenblockaden, Parlamentsblockaden, Nichtanerkennung von Bürgermeistern, etc. an die Macht gebracht. Faschistische Kräfte, die unter Führung Julia Timoschenkos standen, sorgten insbesondere in der Westukraine und in Kiew für ausreichenden Druck auf der Straße, auch wenn die Formen noch nicht die Gewalt annahmen wie 2014.44Das National Salvation Committee unter Timoschenko war das Nervenzentrum der „Orangene Revolution“, dem mehrere paramilitärische Gruppen unterstanden, die bewaffnet und trainiert waren und jederzeit zum Einsatz bereit waren. Siehe Kuzio, Taras (2010): State-led violence in Ukraine’s 2004 elections and orange revolution, Communist and Post-Communist Studies, Vol. 43, No. 4, S. 383-395

Die Regierung Juschtschenko beschleunigte die NATO-Integration und baute die Stellung faschistischer Kräfte und die politische Bedeutung des Banderismus in Staat und Gesellschaft massiv aus. Damit war sie auf der einen Seite erfolgreich in Bezug auf die NATO-Integration, zugleich löste sie Sezessionsbestrebungen im Osten und Süden der Ukraine aus, die sich der zunehmend faschistischen und antirussischen Entwicklung entgegenstellten. Die Regierung geriet in die Krise, unter anderem weil sie die Programme des IWF durchsetzte, die eine massive Verarmung der Bevölkerung zur Folge hatten.

Die NATO wollte die Situation der ihr gefügigen Regierung nutzen und 2008 den NATO-Beitritt der Ukraine durchsetzen, wozu es jedoch aufgrund der Bedenken Deutschlands und Frankreichs nicht kam. Allerdings legte die NATO darauf hin das Annaul National Programme (ANP) auf, das umfangreiche jährliche Zielpläne für die Ukraine setzte und mit einem Staatsumbau verglichen werden kann.45https://www.nato.int/docu/basictxt/b080401nuc-atp-e.pdf

Rückschlag und nächster Putsch 2010-2014

2010 siegte Janukowitsch bei den Präsidentschaftswahlen. Er wurde häufig als prorussisch bezeichnet, eine unkorrekte Bezeichnung. Er und seine Regierung haben die NATO-Zusammenarbeit nicht beendet, sie wollten allerdings ebenfalls Beziehungen zu Russland aufrechterhalten. Damit standen sie der Umfunktionierung der Ukraine als Rammbock gegen Russland im Weg. Auch unter Janukowitsch wurden die ANP vertieft, die Ukraine nahm an zahlreichen Manövern mit der NATO teil und schloss sich der Rapid Response Force an – ebenfalls als erstes Nicht-NATO-Mitglied.46https://www.laender-analysen.de/ukraine-analysen/257/die-kooperation-im-bereich-der-militaerreform-zwischen-nato-und-ukraine-seit-2014/

Der Putsch von 2014 hatte die Eskalation der militärischen Bedrohung und Aggression gegen Russland zum Ziel. Dies war nicht mit der Regierung Janukowitsch möglich. Die vom Westen finanzierten, organisierten und propagierten Proteste begannen im November 2013 und endeten im Februar 2014. Faschistische Kräfte spielten die zentrale Rolle. Ihre koordinierte und rücksichtslose Anwendung von Gewalt verhalf den Kandidaten des Westens zum Durchbruch (Jazenjuk, USA und Klitschko, BRD). Neben der US-Botschaft und dem Ukraine Crisis Centre spielte das erwähnte NATO-Dokumentations- und Informationszentrum eine wichtige Rolle beim Aufbau und Koordinierung des Putsches.47Zum Maidan-Putsch siehe Ralf Rudolph, Uwe Markus: Kriegsherd Ukraine, Berlin, PHALANX, 2015

Die an die Macht geputschte Regierung Jazenjuks strebte unmittelbar Schritte zur NATO-Integration an. Die Ukraine verließ alle Gremien, in denen Russland vertreten war, darunter die Eurasische Wirtschafts-Union (EEU). Die Regierung beschloss das Ziel der Aufnahme in die NATO, im Dezember 2014 hob das Parlament das Gesetz zur Neutralitätsverpflichtung auf.48https://web.archive.org/web/20190107090219/
https://www.rferl.org/a/ukraine-parliament-coalition-agreement/26703123.html
In der Ost- und Südukraine formierte sich Widerstand gegen den faschistischen Putsch. Die Putschregierung begann unmittelbar, einen militärischen Feldzug gegen die eigene Bevölkerung zu organisieren – die sogenannte „Anti-Terror-Operation“, die mit äußerster Gewalt und unter Einsatz zahlreicher faschistischer Milizen stattfand.

Während die von den USA an die Macht geputschte Regierung einen Krieg gegen die eigene Bevölkerung organisierte, fanden in unmittelbarer Nähe zahlreiche NATO-Manöver statt. Die USA begannen eine dauerhafte Militärpräsenz im Schwarzen Meer aufzubauen. Im Herbst 2014 fanden mehrere große Manöver in der Ukraine unter Beteiligung hunderter Soldaten aus NATO-Staaten statt, darunter im Übungszentrum Jaworiw, aber auch im Schwarzen Meer (Sea Breeze) mit 1.800 Soldaten, Manöver in der Luft, von Spezialeinheiten und der Militärpolizei. In der Ukraine soll das bisher größte Ausbildungsprogramm der NATO für Unteroffiziere stattgefunden haben.49Rudolph/Markus, Kriegsherd Ukraine, S. 149

Der Krieg gegen die Ost- und Südukraine spielt in dieser Phase eine wichtige Rolle in dem Prozess, die Ukraine zu einem anti-russischen Instrument zu machen. Die Armee, die bereits seit langem in den NATO-Kampfeinsätzen Erfahrungen sammeln konnte, ist hier in einem wichtigen Einsatz gegen die Städte und Dörfer des eigenen Landes. In einem gemeinsamen Seminar 2015 werteten Ukrainer und die NATO ihre Erfahrungen aus. In dem Bericht heißt es: „General Petr Pavel, Chairman of the NATO Military Committee, delivered opening remarks in which he thanked the Ukrainian military personnel, many of whom have been recently serving in Eastern Ukraine, for their readiness to share their experiences which will help ‘develop and refine the tools in our toolbox in order to fight terrorism in all its guises’.”50https://www.nato.int/cps/en/natohq/news_126085.htm

Darüber hinaus dient der Krieg gegen die Ostukraine als Testfeld und zur Bewährung der Kiewer Truppen. Der antifaschistische Widerstand der Bevölkerung des Donbass stellt ein politisches Ereignis dar, dessen Bedeutung nicht hoch genug eingeschätzt werden kann und das maßgeblich dafür sorgte, dass die NATO nicht bis zur russischen Grenze durchmarschieren und nicht die ganze Ukraine militärisch nutzen konnte.

Aufrüstung und Kriegsvorbereitung 2014-2020

Mit dem Putsch von 2014 und dem Krieg gegen die Ostukraine wurde die „Büchse der Pandora“ geöffnet: Das Land steht jetzt komplett den Plänen der USA und der NATO zur Verfügung, sämtliche Beschränkungen sind aufgehoben. „Sukzessive wurde aber zu einer immer direkteren Unterstützung übergegangen. So berichtete die Deutsche Welle im Februar 2015, Großbritannien habe 75 Militärberater in die Ukraine entsandt, was von Regierungschef David Cameron folgendermaßen begründet wurde: ‚Wenn wir Russland jetzt nicht entgegentreten, wird sich das auf lange Sicht extrem negativ für uns alle auswirken, weil es zu einer weiteren Destabilisierung kommen wird.‘ Auch Washington lieferte bereits frühzeitig ‘nicht-letale Waffen’ und schickte im April 2015 ebenfalls Ausbilder ins Land: ‚Rund 300 US-Fallschirmjäger sind zu einer Ausbildungsmission in der Ukraine eingetroffen. […] Das Training für 900 Soldaten der Nationalgarde, die dem ukrainischen Innenministerium untersteht und vor allem aus früheren Maidan-Kämpfern besteht, soll demnach sechs Monate dauern und bei einer gemeinsamen Militärübung stattfinden. Die USA unterstützen Kiew außerdem mit militärischer Ausrüstung wie gepanzerten Fahrzeugen, Schutzwesten, Radarsystemen und Nachtsichtgeräten.“51https://www.imi-online.de/download/Ukraine-Broschuere-web.pdf, S. 33 ff.

Die Kiewer Armee wurde ausgerüstet und den NATO-Anforderungen entsprechend angepasst.52https://carnegieendowment.org/2018/02/22/ukraine-s-toughest-fight-challenge-of-military-reform-pub-75609 Ukrainische Offiziere und Soldaten nahmen unter anderem an einem Spezialprogramm der CIA in den USA teil, das sie auf einen Aufstand gegen feindliche Invasionstruppen vorbereitete, allerdings nicht einen Aufstand zu bekämpfen, sondern ihn in einem Szenario des Einmarschs feindlicher Truppen anzuführen.53https://news.yahoo.com/cia-trained-ukrainian-paramilitaries-may-take-central-role-if-russia-invades-185258008.html?guccounter=1

In den folgenden Jahren fanden regelmäßig große Manöver unter anderem mit deutscher Beteiligung in der Ukraine statt.54https://www.imi-online.de/2015/07/06/ukraine-nato-manoever-2/ Allein an der Übung Operation Fearless Guardian nahmen insgesamt 2200 Soldaten teil, darunter 1.000 US-Soldaten. Trainiert wurde die neu aufgebaute Nationalgarde, deren Aufbau durch den Global Security Contingency Fund (GSCF) des US-State Department finanziert wurde.55https://en.wikipedia.org/wiki/Ukraine–NATO_relations

Die USA hatten bereits vor 2014 Waffen an die Ukraine geliefert. 2014 hat der Kongress ein Waffenlieferungspaket im Umfang von 350 Millionen Euro beschlossen. Waffen gelangten auch an die faschistischen Korps, darunter Asow, was wiederum in den USA selbst umstritten war. Granatwerfer, wie die Javelins, spielten eine zentrale Rolle. Weitere NATO-Staaten lieferten Waffen an die Ukraine.56https://www.atlanticcouncil.org/blogs/ukrainealert/lethal-weapons-to-ukraine-a-primer/ Die NATO investierte ebenfalls Millionensummen in die Ausstattung der ukrainischen Armee. Der Anstieg der finanziellen Mittel ab 2014 ist signifikant. Die US-Militärhilfen stiegen 2014 auf 91 Millionen Dollar, verdoppelten sich 2015 und wuchsen von 2014 bis Februar 2022 auf eine Summe von 2,8 Milliarden Dollar.57https://www.stimson.org/2022/u-s-security-assistance-to-ukraine-breaks-all-precedents/

Comprehensive Assistance Package (CAP)

Die Integration der Ukraine in die NATO nahm 2016 den nächsten Schritt. Mit dem NATO-Gipfel in Warschau begann das Comprehensive Assistance Package (CAP). Damit wurden die ukrainischen Staats- und Armeestrukturen weiter umgebaut und NATO-kompatibel gemacht. Im Rahmen des CAP wurde die strategische Beratung durch die NATO im ukrainischen Staat installiert, unter anderem mit Trainings, Seminaren und Ausstattung. Es wurden außerdem zahlreiche Treuhandfonds eingerichtet, um die Ausstattung mit Computern, die Kommando- und Kommunikationsstrukuren, die medizinische Ausstattung und die Personalentwicklung zu finanzieren.58https://www.nato.int/cps/en/natohq/topics_37750.htm

Im Juni 2017 verabschiedete das ukrainische Parlament ein Gesetz, das die Aufnahme in die NATO zur außenpolitischen Priorität erklärte. Präsident Poroschenko kündigte an, Verhandlungen über den MAP beginnen zu wollen. 2018 wurde die Ukraine in eine Liste von Staaten aufgenommen, die die Mitgliedschaft anstreben, darunter waren Georgien und Bosnien. 2018 wurde die „Anit-Terror-Operation“ umbenannt in „Operation der Vereinten Kräfte“. Als Gegner wurde nun explizit Russland und nicht mehr nur die Volksrepubliken benannt.

Nach Gesprächen im NATO-Hauptquartier im Februar 2019 in Brüssel gab der ukrainische Verteidigungsminister bekannt, dass das Militärbündnis seine Flottenpräsenz im Schwarzen Meer in diesem Jahr deutlich verstärken werde. Dies sei eine Reaktion auf die Aktionen Russlands, die aus Sicht der Ukraine und der NATO die Sicherheit im Asowschen und im Schwarzen Meer gefährden. Im Oktober 2019 verabschiedet die Werchowna Rada eine Gesetzesnovelle, die Teil der Militärreform war und die ukrainische Armee in Einklang mit NATO-Standards bringen sollte. Das Gesetz sieht unter anderem eine neue Rangordnung für die Streitkräfte des Landes in Anlehnung an die Ränge im US-Militär vor.59https://www.laender-analysen.de/ukraine-analysen/chronik?c=ukraine&d1=2018-01-05&d2=2020-12-20&t=&l=3000

Der Beginn der unmittelbaren Kriegsvorbereitung 2020-2022

Die bisher beschriebenen Maßnahmen in der Ukraine sind bereits als Kriegsführung (ATO, etc.) zu bezeichnen. Zugleich sind sie weiterhin kriegsvorbereitend, in dem Sinne, dass sie Land und Armee zu einem Krieg gegen Russland umbauen und vorbereiten. Der Zeitpunkt, ab dem die unmittelbare und konkrete Einleitung der Eskalation gegen Russland begonnen wurde, ist schwer zu bestimmen. Es ist möglich, dass ab März 2020 eine militärische Eskalation im Donbass geplant wurde, um Russland zu einem Einschreiten zu provozieren.

Ende Dezember äußerte Selensky, dass bei einem Angriff Russlands auf die Ukraine ein Krieg in vollem Umfang beginnen würde und alle verfügbaren Personen mobilisiert werden würden. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich keinerlei russische Truppen in Grenznähe.60https://www.laender-analysen.de/chronik/?c=ukraine&d1=2020-12-03&d2=2022-02-23&t=&l=3000 Im Dezember 2020 begann die Ukraine mit einer Eskalation der Situation im Donbass. In einer Mitteilung vom 18. Januar 2021 schrieb der Vertreter der Delegation der Donezker Volksrepublik (DVR) in der Kontaktgruppe im Rahmen der Minsk-Verhandlungen: „Die Lage an der Kontaktlinie verschlechtert sich weiter. Im vergangenen Monat, seit der letzten Sitzung der Arbeitsgruppe, haben die Streitkräfte der Ukraine den Beschuss des Territoriums der Republik mit dem Einsatz von Waffen intensiviert, die durch die Minsker Abkommen verboten sind. (…) Die Zahl der Verstöße gegen den Waffenstillstand und der auf unserem Territorium abgefeuerten Minen ist derzeit vergleichbar mit der Zahl vor Inkrafttreten der Maßnahmen zur Stärkung des Waffenstillstands.“61https://dnr–sckk-ru.translate.goog/itogi-zasedaniya-rabochej-gruppy-po-voprosam-bezopasnosti-na-peregovorah-kontaktnoj-gruppy-v-minske-18-yanvarya/?_x_tr_sl=auto&_x_tr_tl=de&_x_tr_hl=de&_x_tr_pto=wapp

Gleichzeitig wurde scheinbar die Zusammenarbeit der USA mit den ukrainischen bewaffneten Organen ausgedehnt. Nach Angaben des Innenministeriums begann die Nationalgarde der Ukraine mit der Arbeit an einer Einsatzdoktrin, die mit den Konzepten der NATO übereinstimmt. Vertreter aus den USA und Kanada leisteten dabei „Hilfe“.62https://www.laender-analysen.de/chronik/?c=ukraine&d1=2020-02-03&d2=2022-02-23&t=&l=3000 Ende Februar bekräftigte die US-Regierung, dass die Krim ukrainisch sei und kündigte Militärhilfe in Höhe von 300 Millionen Euro an.63https://theowp.org/ukraine-declares-all-options-possible-even-war-to-retake-crimea-from-russia/ Die ukrainische Armee trainierte außerdem Häuser- und Straßenkämpfe und kündigte diese auch an, was als Drohung gegenüber den Volksrepubliken verstanden wurde. Innenpolitische Gegner wurden stärker repressiert, wer die „Existenz einer bewaffneten Aggression gegen die Ukraine“ leugne, sollte bestraft werden.64https://www.jungewelt.de/artikel/397604.donbass-wiederbelebter-krieg.html?sstr=Donbass Die ukrainische Seite verbreitete gezielt Indiskretionen, die auf die Option eines größer angelegten militärischen Angriffs auf die Volksrepubliken verweisen. Dazu gehören Bilder von Transportzügen mit Panzern und Raketenwerfern auf Bahnhöfen im Hinterland der Front.65https://www.jungewelt.de/artikel/398251.krieg-in-der-ukraine-ultimatum-vorbereitet.html

Am 24.03.21 erließ Selenskyj ein Dekret, das die Strategie des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrates zur „De-Okkupation und Wiedereingliederung der Krim und der Stadt Sewastopol“ in Kraft setzte. Laut Präsidialamt beinhaltet das Dokument „diplomatische, militärische, wirtschaftliche und humanitäre Maßnahmen zur Rückkehr der von Russland annektierten Halbinsel in die Ukraine.“66https://www.laender-analysen.de/chronik/?c=ukraine&d1=2020-12-03&d2=2022-02-23&t=&l=3000 Laut Michael Snyder, einem Analysten, handelte es sich dabei im Grunde um eine Kriegserklärung gegen Russland, die ohne Zustimmung der Biden-Administration nie erfolgt wäre und die von Russland sehr ernst genommen wurde.67https://www.telesurenglish.net/news/Ukraine-To-Regain-Occupied-Territory-in-Crimea-and-Sevastopol-20210402-0005.html Die Kiewer Regierung selbst bezeichnete das Dokument als das erste seit 2014, das die Hauptrichtung der Staatspolitik bestimme und ein historisches Ereignis sei. Es sei ein breites Programm in Kraft gesetzt worden, um die Rückeroberung zu erreichen.68https://ppu.gov.ua/en/press-center/today-president-of-ukraine-volodymyr-zelenskyy-signed-decree-117-2021-of-march-24-2021-on-the-strategy-of-de-occupation-and-reintegration-of-the-temporarily-occupied-territory-of-the-autonomous-republ/ Die Vertreter der Donezker Volksrepublik (DVR) stellten eine weitere Welle der Anhäufung von Ausrüstung und schweren Waffen in der Nähe der Kontaktlinie fest, darunter MLRS, Panzer sowie großkalibrige Haubitzenartillerie, an Bahnhöfen in von der ukrainischen Armee kontrollierten Siedlungen.69https://dnr–sckk-ru.translate.goog/mirnyj-plan-po-ukrainski/?_x_tr_sl=auto&_x_tr_tl=de&_x_tr_hl=de&_x_tr_pto=wapp[30] Ende März 2021 zog die Russische Föderation Truppen an der Westgrenze zusammen.

Anfang April 2021 sprach Denis Puschilin, der Chef der DVR, von einem unmittelbar bevorstehenden ukrainischen Angriff.70https://www.jungewelt.de/artikel/399931.säbelrasseln-in-frontnähe.html Die westlichen Regierungen unterstützten das Kiewer Regime und forderten stattdessen Moskau zu Deeskalationsschritten auf, die USA sendeten zwei Kriegsschiffe ins Schwarze Meer.71https://www.jungewelt.de/artikel/400013.konflikt-im-donbass-krieg-und-nervenkrieg.html Bis Ende 2021 wurden die Waffenlieferungen und finanziellen Mittel zur Aufrüstung der Ukraine deutlich gesteigert, insbesondere durch die USA und Großbritannien.72https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8793/ 2021 gestattete die Ukraine die Stationierung von 4000 NATO-Soldaten, darunter 2000 US-Amerikaner.73https://www.merkur.de/politik/ukraine-laesst-erneut-hoehere-nato-praesenz-im-land-zu-91179021.html Die Ukraine hatte außerdem für 2022 zehn Manöver der NATO im Land und im Schwarzen Meer gesetzlich erlaubt und damit das Land zu einem ganzjährigen Aufmarschgebiet gemacht.74https://test.rtde.tech/meinung/132986-nato-verfolgt-strategie-spannung/ Russland warnte, dass das Aufflammen des Bürgerkriegs zu einer Bedrohung der nationalen Sicherheit führen werde.75https://www.unsere-zeit.de/zuspitzung-im-donbass-144511/

Fazit

Die NATO als Instrument der USA haben die militärische Integration der Ukraine seit 1991 konsequent vorangetrieben. Damit diese gelingen konnte, musste die Ukraine politisch unterworfen und gespalten werden. Dazu waren faschistische Kräfte und mehrere Putsche notwendig. Es handelt sich um einen komplizierten politischen Prozess, der von Rückschlägen und Widersprüchen gekennzeichnet ist. Erst mit dem massiven Einsatz von Gewalt 2014 konnte der Durchbruch geschaffen werden, der wiederum direkt mit dem Widerstand des Donbass konfrontiert war. Die Infiltration der Gesellschaft und ihre Manipulation waren wichtige Mittel, um das politische Ziel zu erreichen. Mit der Durchsetzung ab 2014 war der Prozess der Aufrüstung, Eskalation und Provokation de facto nicht mehr zu stoppen und mündete 2022 in die Eskalation. Dieser Prozess wurde bewusst und zielstrebig über die verschiedenen politischen Phasen hinweg verfolgt. Es zeigt sich, dass das Ziel der Vorbereitung und Durchführung eines Kriegs gegen Russland zu keinem Zeitpunkt aufgegeben wurde.

Quellen

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