Diskussionsbeitrag: Krieg in der Ukraine

Themen: Ukraine-Krieg

Wir haben verschiedene Aktive aus der Kommunistischen Bewegung und der Friedensbewegung angefragt, ihre Position zu unseren kürzlich veröffentlichen Thesen zum Ukraine-Krieg darzulegen. Welche Fehler, Probleme und Lücken sehen sie in den Thesen? Welche Punkte finden sie richtig und besonders wichtig?

Ein paar dieser Rückmeldungen werden wir stückweise veröffentlichen. 

Gerne können auch weiterhin Beiträge mit einem Umfang von bis zu vier Seiten eingereicht werden unter:  redaktion@kommunistische-organisation.de


Von Yana Sawazkaja

Vor einiger Zeit hat die Kommunistische Organisation (KO) ihre Position zum Ukraine-Krieg in Form von 18 Diskussionsthesen veröffentlicht. Ich stand mit der KO in Austausch, als diese Thesen erarbeitet wurden, und teile die Position der KO im Allgemeinen. Ich finde, dass die KO, auch wenn sie an anderen Stellen vielleicht kritisiert werden kann, hervorragende Arbeit im antiimperialistischen Bereich leistet.

Einige Bemerkungen zu den Thesen.

Erstens finde ich die Darstellung der Situation richtig. Es wurde richtig erkannt, dass:

Die USA und auch die Bundesrepublik Deutschland haben in der Ukraine ein faschistisches Regime errichtet, das zum Krieg gegen Russland geeignet und bereit ist und von ihnen dazu aufgerüstet und in Abhängigkeit gebracht wurde.“

Dies steht im klaren Gegensatz zur offiziellen deutschen Propaganda, derzufolge die Ukraine „für ihre Freiheit kämpft“. Tatsächlich ist die Ukraine seit 2014 nicht frei, denn damals wurde eine klar prowestliche und profaschistische Regierung durch einen undemokratischen, von außen beeinflussten Putsch an die Macht gebracht. Für welche „Freiheit“ kann die Ukraine jetzt noch kämpfen? Für eine Freiheit, die sie nicht hat? Ich stimme den Thesen in ihren Hauptaussagen zu.

Besonders gut gelungen finde ich die Analyse Deutschlands. Tatsächlich kommt die Diskussion immer auf die Dichotomie zu sprechen: Entweder ist Deutschland ein Vasall der USA und kann selbstständig nichts tun, oder es ist ein gefährliches imperialistisches Raubtier, das mit dem Dritten Reich vergleichbar ist. Tatsächlich, wie im Teil IV richtig erkannt,  „die Lage des deutschen Imperialismus resultiert aus dem Widerspruch, eigenständige Interessen bei gleichzeitiger Unterordnung unter den US-Imperialismus zu verfolgen“.

Ebenso wurde richtig erkannt, dass die kommunistische Bewegung für diese Situation schlecht aufgestellt ist. Viele Organisationen haben die falsche Position der Äquidistanz (de facto eine pro-NATO-Position) eingenommen oder es kam zur Spaltung (KO selbst war keine Ausnahme).

Wo liegen aber die Ursachen für das Scheitern der Kommunisten? Wir können nur spekulieren, inwieweit die Äquidistanz-Position und die Leugnung der Imperialismus-Theorie Lenins (die sogenannte „Theorie der imperialistischen Pyramide“, die vor allem von der Kommunistischen Partei Griechenlands (KKE) vertreten wird) tatsächlich eine eigenständige Entwicklung der kommunistischen Theorie war oder ob es sich dabei um eine von Agenten des Imperialismus eingespritzte Giftdosis handelt, die die kommunistische Bewegung weltweit zersetzt hat.

Es liegt auf der Hand, dass die theoretische Schwäche der kommunistischen Bewegung insgesamt dazu geführt hat, dass sich solche Theorien durchsetzen konnten. Und diese Schwäche besteht leider weiterhin, was auch für Organisationen mit antiimperialistischen Positionen gilt (wenn auch in geringerem Ausmaß als bei den Anhängern der „Pyramiden-Theorie“).

Das betrifft auch mich persönlich. Aus diesem Grund kann ich hier nur Fragen stellen und die Stellen zeigen, die auf diese theoretische Schwäche hinweisen könnten. Also die Stellen, an denen weiterer Forschungsbedarf besteht.

Insbesondere würde ich die hier die zwei Diskussionspunkte erwähnen.

  1. Die Thesen 3. Und 8. betreffen die Arbeiterklasse.

Die Kommunisten verstehen sich als Teil der Arbeiterklasse und als deren Vertreter.

Und zweifellos besteht das Interesse sowohl der russischen als auch der ukrainischen Arbeiterklasse darin, das faschistische Kiewer Regime zu beseitigen und sich vor dem imperialistischen Angriff des Westens zu schützen. Auch wenn die Arbeiterklasse dafür in den Krieg ziehen, Menschenleben verlieren und leiden muss.

Hier stellen sich zwei Fragen:

– Ist dieses Interesse spezifisch für die Arbeiterklasse oder betrifft es auch andere Teile der Bevölkerung, beispielsweise die Kleinbourgeoisie, die in der Ukraine besonders stark vertreten ist? Auch die mittlere Bourgeoisie hat Interesse daran. Eigentlich ja. Die russische mittlere Bourgeoisie ist, zum Beispiel, aktiv und initiativ an der Speziellen Militäroperation (SMO) beteiligt. Was das Großkapital betrifft, sind nur Prigozhin (bereits tot) und Ivanov (Diamantenabbau in Jakutien) an der SMO beteiligt.

Warum sprechen wir dann über die Arbeiterklasse und nicht über die Völker Russlands und der Ukraine?

Es ist bekannt, dass Lenin und Stalin sowohl über den Kampf der Arbeiterklasse als auch über den Kampf der unterdrückten Völker gegen den Imperialismus geschrieben haben. Die Verbindung zwischen diesen beiden Arten der Befreiungsbewegung sollte noch genauer erforscht werden. Betrachten wir Kuba als Beispiel: Der reine antiimperialistische Kampf, der nicht von der Kommunistischen Partei Kubas, sondern vom unterdrückten Volk (überwiegend Bauern) als Guerilla geführt wurde, ging erst dann in eine sozialistische Richtung, als die Sowjetunion die Revolution unterstützte. Deshalb spricht man in Lateinamerika vom „Castro-Kommunismus“. Bei dieser Art des Befreiungskampfes steht nicht der Arbeiterkampf im Vordergrund, sondern die nationale Befreiungsbewegung. Das revolutionäre Subjekt ist nicht die Arbeiterklasse, sondern das unterdrückte Volk als Ganzes.

Der Übergang zum Sozialismus findet nicht statt, weil die Arbeiter ihre Interessen durchsetzen, sondern weil nur sozialistische Reformen es dem Volk erlauben, sich effektiv gegen imperialistische Aggression zu schützen.

Dabei kann die kommunistische Partei sogar eine reaktionäre Rolle spielen. Ein Beispiel hierfür ist die Kommunistische Partei Venezuelas, die zwar die Regierung zurecht kritisiert, sich aber de facto auf die Seite der liberalen, pro-US-amerikanischen Opposition stellt.

Wie soll das in die kommunistische Theorie eingeführt und wie soll es beschrieben werden? Ich bin nicht in der Lage, das zu formulieren und möchte nur auf dieses Problem hinweisen.

Diese Problematik hat auch bestimmte Folgen.

Zitat:

die (russische, Anm. Autorin) Arbeiterklasse ist die einzige Klasse, die konsequent für die Verteidigung der nationalen Souveränität einstehen und kämpfen wird. Sie muss daher gestärkt werden. Ihr Interesse liegt in einer konsequenten antiimperialistischen Umwälzung zum Sozialismus. Das geht nur über die Stärkung der Kommunistischen Partei.

Die russischen Kommunisten stehen vor dem gleichen Problem wie ihre venezolanischen, belarussischen und anderen Genossen in Ländern, deren Bevölkerung gerade einen antiimperialistischen Kampf führt.

Nur Kuba, die Demokratische Volksrepublik Korea (DVRK) und bedingt Vietnam, Laos und China haben dieses Problem nicht, denn dort ist die Regierung faktisch oder formal kommunistisch.

Wenn KO vorschlägt, die russische Kommunistische Partei als Arbeiterpartei zu unterstützen, welche Partei ist dann gemeint und welche politische Ausrichtung wird dabei vertreten?

Die Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF), die größte KP Russlands, ist im Parlament (Duma) vertreten. Ihre Führung und die meisten Verbände stehen voll und ganz an der Seite der Regierung. Sie wird dafür von den anderen Parteien kritisiert, da sie ihrer Meinung nach zu viel Unterstützung und zu wenig Kritik übt. Die KPRF ist keine klassische Partei der Arbeiterklasse. Es ist gut bekannt, dass die mittelständische und große Bourgeoisie dort stark vertreten ist (z.B. Muravlenko, Kulikov, Grudinin*). Programmatisch ist sie auch eher sozialdemokratisch ausgerichtet, da weder eine Revolution noch eine Diktatur des Proletariats vorgesehen sind. Außerdem ist die KPRF eine Sammelbewegung und nicht einheitlich. Es gibt viele Vertreter der KPRF in Regionalorganisationen, die in Wirklichkeit „Kriegsgegner“ (Leute, die die SMO ablehnen, Anm. der Redaktion) sind und der liberalen russischen Opposition nahestehen.

Die anderen Parteien (Russische Kommunistische Arbeiterpartei RKAP, Vereinigte Kommunistische Partei OKP, All-Unions Kommunistische Partei (Bolschewiki) VKPb) haben zwar klassisch marxistisch-leninistische Programme, sind aber zersplittert und zu klein, um die russische Arbeiterklasse zu vertreten.

Wen also sollte man stärken, wen unterstützen? Das ist nicht klar.

Die meisten russischen Kommunisten (wie z. B. die Linke Front (linke Sammlungsbewegung mit positivem Bezug auf den Sozialismus, Anm. Redaktion) oder die RKAP) vertreten die Position der „kritischen Unterstützung“, das scheint in dieser Situation richtig zu sein.
Aus Erfahrung kann ich jedoch sagen, dass „Kritik um jeden Preis“ dazu führt, dass Kommunisten Handlungen fälschlicherweise kritisieren, die tatsächlich militärisch, diplomatisch oder ökonomisch begründet sind. Oder die berechtigte Kritik wird in solchen Ausdrücken und in solch einem radikalen Ton geführt, dass sie faktisch ungewollt zu Propaganda gegen die SMO wird.

Schlimm ist dabei nicht nur, dass diese Kommunisten sich der Repression aussetzen, denn die russische Regierung mag Kritiker genauso wenig wie jede andere Regierung auch. Noch schlimmer ist, dass sie die Arbeiterklasse oder, eher gesagt, die Sympies der kommunistischen Bewegung falsch orientieren.

Noch problematischer wird es, wenn wir an unterdrückte Völker wie die Sahel-Länder oder die Palästinenser denken: Wo verläuft die Grenze zwischen „Arbeiterklasse“ und „Nicht-Arbeiterklasse“? Unterscheidet die israelische Bombe, wenn sie gerade massakriert, ob es sich um einen Arbeiter, einen Händler oder einen Bauern handelt? Zum Glück ist die Kommunistische Partei Palästinas nicht dogmatisch und unterstützt auch die Hamas, wenn es um die Rettung und Befreiung des Volkes geht. Wie soll das aber theoretisch begründet worden? Wo ist der Platz des klassischen Arbeiterkampfes an dieser Stelle?

Gerade darin liegt der Kern des theoretischen Problems: Wir sprechen, wie es im Marxismus üblich ist, vom „Kampf der Arbeiterklasse und der unterdrückten Völker“, reflektieren dies aber nicht weiter.

Keine Frage, die Verstaatlichung der nationalen Wirtschaft oder ein großer Einfluss des Staates sind für den nationalen Unabhängigkeitskampf unabdingbar. Aber ist das zwangsläufig das Ergebnis des „Kampfes der Arbeiterklasse“ im klassischen Sinne? Und ist das überhaupt Sozialismus? Das sind Fragen, die immer noch nicht beantwortet wurden.

So verfügt die Arbeiterklasse im modernen Russland kaum über Klassenbewusstsein und ist eine „Klasse an sich“. Ein ökonomischer Kampf findet nur sporadisch statt, ein politisches Klassenbewusstsein fehlt. Man kann natürlich über die Interessen der Arbeiterklasse sprechen, denn solche hat natürlich auch eine „Klasse an sich“. Wir können aber nicht erwarten, dass diese Klasse ihre Interessen als Klasse durchsetzt. Nur als Teil des von Abhängigkeit bedrohten Volkes handelt diese Klasse.

Noch komplexer ist die Situation im Donbass, wo die Arbeiterklasse einerseits durch Industriearbeiter (davon viele Bergleute) vertreten ist und ihre Interessen stärker als in Russland allgemein durch die Gewerkschaften durchsetzt. Andererseits ist dieser Kampf eng mit dem nationalen antifaschistischen Befreiungskampf verflochten, der ganz bewusst von der Arbeiterklasse geführt wird. Es wurde immer betont, dass der Kampf im Donbass „von Bergleuten und Traktorfahrern“ ausgeht. Von außen scheint es nahezu unmöglich zu verstehen, wo dieser Kampf tatsächlich den Interessen der Arbeiterklasse entspricht und an welcher Stelle die Menschen durch Demagogen oder gar ukrainische Agenten getäuscht werden.

Ich möchte hier nicht kritisieren, sondern darauf hinweisen, dass der Zusammenhang und das Zusammenspiel zwischen nationalem Befreiungskampf und Klassenkampf noch kaum erforscht und sehr komplex sind.

Ein zweites großes Thema betrifft die Situation im Westen. Es ist nicht zu übersehen, dass die herrschende Klasse der USA nicht mehr einheitlich handelt. Tatsächlich kann man bereits über die Spitze der herrschenden Klasse sprechen, die die globalen Prozesse steuert. In dieser Frage besteht jedoch Forschungsbedarf. Die grobe Teilung durch die Parteien der Demokraten und Republikaner bedeutet eine große Spaltung der herrschenden Klasse. Dies ist ein Anzeichen der allgemeinen Krise des Imperialismus, die sich insbesondere seit 2008 vertieft hat. Gerade seit dieser Zeit wird beispielsweise die Woke-Ideologie eingesetzt. Nach einigen Jahren ist die gesamte westliche Welt von dieser Spaltung geprägt. Auch in Deutschland bewegen sich die meisten herrschenden Parteien (die Grünen an vorderster Front) im Sinne der Demokratischen Partei, während die immer populärer werdende AfD (teilweise auch die CDU/CSU) sich an Trump orientiert. Der sogenannte „Kampf gegen Rechts“, der von der Regierung geführt wird, ist in Wirklichkeit der Kampf der Wokisten gegen den konservativen Imperialismus. Beide Ideologien führen zu unterschiedlichsten, aber gleichermaßen schrecklichen Folgen – nicht nur für die Arbeiterklasse, sondern für das gesamte Leben auf unserem Planeten.

Die Frage nach der Rolle der Kommunisten bzw. danach, wie sich die Unterdrückten in dieser Situation organisieren und wehren müssen, kann erst gestellt werden, wenn eine tiefgreifende Analyse der heutigen Situation vorliegt. Eine solche Analyse liegt bisher nicht vor.