Beitrag aus der Zeitung zum Kommunismus Kongress 2023
Ende Juli sprachen wir mit Aleksandar Djenic, Exekutivsekretär der „Neuen Kommunistischen Partei Jugoslawiens“ über die Rolle der NATO auf dem Balkan.
Hallo Aleksandar. Wie ist die aktuelle Situation der serbischen Arbeiterklasse? Worin liegen die zentralen Konflikte und Probleme in den ehemaligen Republiken Jugoslawiens?
Das Hauptproblem in unserer Region stellt die Präsenz der NATO dar. Wir können schlecht über soziale Gerechtigkeit reden, ohne die Besatzung zu thematisieren. Diese zu bekämpfen, stellt momentan die oberste Priorität dar. Dabei sind zwar Serbien und Bosnien-Herzegowina als einzige Staaten nicht Teil der NATO, aber insbesondere in Bosnien übt sie auch durch internationale Missionen und „Peace building“-Programme Einfluss aus. Der südliche Teil Serbiens – Kosovo und Metochien – ist darüber hinaus durch die NATO besetzt. Dort befindet sich die größte NATO-Militärbasis auf dem Balkan.
Somit stehen alle Länder des ehemaligen Jugoslawiens unter der Kontrolle der NATO. Die westlichen Staaten sagen zwar, sie würden unsere Region entwickeln wollen, aber praktisch beuten sie unsere Ressourcen aus. Für die arbeitende Bevölkerung bedeutet dies Verarmung und ein großer Teil emigriert nach Westeuropa, um dort zu arbeiten. In unseren Ländern haben wir somit zu wenige arbeitsfähige Menschen. Auch höher Qualifizierte verlassen nach ihren Abschlüssen häufig unsere Länder. Die imperialistischen Staaten wollen somit unsere Region in einer Art „Entwicklungsstadium“ halten. Früher war Serbien der verbliebende „Rumpf Jugoslawiens“, heute sind wir Teil des „westlichen Balkans“. Derartige Toponyme erinnern mich an die Sprache der Nazis. Es erinnert mich an einen Klassiker, welcher den Klassenkampf auch als Klassenkampf der Begrifflichkeiten verstand. Die Besatzung unserer Länder geht darüber hinaus auch einher mit der Entwicklung von klientelistischen staatlichen Strukturen. So wenden die bestochenen Regierungen häufig „Gangster-Methoden“ an und es ist in diesen Umständen äußerst schwer, beispielsweise Gewerkschaften zu gründen. Es gibt jedoch auch viele Gewerkschaften, welche selbst mit der herrschenden Klasse eng verbunden ist. In Serbien übernahm unter anderem die größte Gewerkschaft große Teile der ehemals sozialistischen Infrastruktur und ist selbst Teil der Bourgeoisie. Darüber hinaus ist unser politisches System seit der zweiten Konterrevolution Anfang der 2000er Jahre sehr undemokratisch. Damit eine Partei an Wahlen teilnehmen kann, müssen seitdem in ungefähr zwei Wochen 10.000 Menschen bei den Behörden ihre Unterstützung für diese melden. Die damals an die Macht gekommene, prowestliche Opposition wollte sich durch solche Reformen kontinuierlichen politischen Einfluss sichern und seitdem haben wir nur liberale, prowestliche Regierungen gehabt. Unsere herrschende Klasse konnte so ungestört durch Privatisierungen unsere gesamte Wirtschaft und Finanzsektoren zerstören. In den 90er Jahren konnten unsere Industrie und Wirtschaft noch das Sanktionsregime des Westens überleben, heute ist von den früheren sozialistischen Strukturen nichts mehr übrig. Länder wie Rumänien oder Bulgarien sind in einer ähnlichen Lage, aber im Unterschied zu Serbien auch Mitgliedsstaaten der NATO. Wir verfügen somit noch vergleichsweise über ein gewisses Maß an Souveränität. Unsere Regierung kann noch Beziehungen führen mit Kuba, Venezuela und anderen sozialistischen bzw. progressiven Staaten. Dies führt jedoch auch dazu, dass die imperialistischen Staaten weiterhin Druck auf unser recht kleines Land ausüben. Unsere Regierung möchte eigentlich einen prowestlichen Kurs fahren, aber die Bevölkerung ist mehrheitlich dagegen. Im Juni ergab eine Meinungsumfrage, dass 70 Prozent der serbischen Bevölkerung gegen Sanktionen gegen Russland sind und 47 Prozent einen Beitritt Serbiens in die EU kategorisch ablehnen. Bei einer Anerkennung des Kosovos als Bedingung wären gar 70 Prozent gegen einen Beitritt und 86 Prozent sprechen sich gegen einen potentiellen NATO-Beitritt aus. Unsere Regierung muss also stets die Balance zwischen den Interessen des westlichen Imperialismus und der serbischen Bevölkerung halten. Die NATO droht jedoch mit Eskalationen der Konflikte in der Region, wenn die serbische Regierung sich nicht an ihre Vorgaben hält. Die NATO ist somit das Hauptproblem in unserer Region und wir versuchen sämtliche progressive Kräfte zu vereinen, um ihre Präsenz zu beenden. Dies stellt auch die Grundbedingung dafür dar, um eine sozialistische Revolution erkämpfen zu können, wobei wir natürlich auch momentan für die soziale Gerechtigkeit im alltäglichen Leben kämpfen.
Kannst du uns vielleicht ebenso erläutern, was aktuell im Kosovo und der Republik Srpska vor sich geht?
Beide Fälle sind anschauliche Beispiele für die Auswirkungen der NATO-Besatzung auf dem Balkan. Bei dem „Dayton-Abkommen“ entschieden die Imperialisten, was mit Bosnien-Herzegowina geschehen sollte. Heute wollen sie die damals erschaffene Republika Srpska zerstören, da sie gemeinsam mit Serbien gute Beziehungen zu Russland haben. Sie nehmen die Region als eine Art potenzielles „Trojanisches Pferd“ auf dem Balkan wahr. Es soll sowohl dort als auch im Kosovo Druck auf die serbische Regierung ausgeübt werden. Personen wie der sogenannte Premierminister des Kosovo Albin Kurti sind nicht das Problem in den Fällen. Er kann selbst ohne die Erlaubnis der USA und Europäischen Union keine Entscheidungen treffen. Unsere Bourgeoisie will uns aber weiß machen, die Albaner oder Kurti seien das Problem. Niemand von ihnen benennt die NATO als das Problem. Ich sehe die letzten Konflikte in Kosovo und der Republika Srpska in erster Linie als Folge der Enthaltung der serbischen Regierung bei der Sanktionierung der Russischen Föderation. Die westlichen Imperialisten haben die Konflikte dabei angezettelt, um Druck auszuüben. Die Türkei und andere Regierungen verkauften Waffen an die Terroristen oder sogenannte „Befreiungsarmee“ des Kosovos. Dabei sind die westlichen Imperialisten momentan zu eingespannt, um in Europa einen zweiten Krieg gegen Serbien führen zu können. Die NATO- Militärbasen in Kosovo, Bosnien und andernorts auf dem Balkan dienen somit momentan lediglich der Entfachung kleinerer Konflikte. Unsere Regierung nutzt diese wiederrum zur Legitimierung der Kooperation mit den westlichen Staaten. Nach ihrer Logik sollen so weitere Eskalationen verhindert werden. Der Kosovo ist wiederum dank des westlichen Imperialismus heute komplett von Mafia-artigen Regierungsstrukturen bestimmt. Die Regierung kontrolliert fast alles in der Region. Obwohl es dort ein Wasserkraftwerk gibt, welche ganz Serbien versorgen könnte, ist die örtliche Stromversorgung unzureichend, da der produzierte Strom hauptsächlich an andere Staaten verkauft wird. Außerdem gibt es große Probleme mit dem Handel von Drogen und ähnlichen Dingen.
Kannst du bitte noch mehr Hintergründe bezüglich der Konflikte in den 90ern geben? Was sieht du als die entscheidenden Dynamiken, welche dazu führten und wie ist die NATO damals genau vorgegangen?
Zu Zeiten der Konterrevolution in den 90ern in Jugoslawien sollte das Land endgültig zerstört werden. Ein Hauptgrund für das Handeln der NATO stellte wohl die militärische Stärke des unabhängigen Landes mitten in Europa dar. Unser sozialistisches Projekt hatte einige Fehler, war aber dennoch für den Großteil der Menschen besser als Konterrevolution und Kapitalismus. Nach dem Zweiten Weltkrieg emigrierten viele Nazikollaborateure und andere antikommunistische Kräfte in den Westen. Verschiedene Geheimdienste wie der BND und die CIA organisierten im Verbund mit diesen nationalistischen Kräften viele Terroranschläge in Jugoslawien. Als dann in den 90er Jahren konterrevolutionäre Proteste begannen, kehrten viele dieser sogenannten „politischen Emigranten“ zurück nach Jugoslawien. Mit westlicher Hilfe gelang es diesen dann, großen Einfluss auf die Bevölkerung auszuüben und diese zu radikalisieren. Während beispielsweise im September 1990 noch 86 Prozent der Bevölkerung Kroatiens gegen die Unabhängigkeit der Republik von Jugoslawien waren, unterstützen bereits im Mai 1991 86 Prozent die Loslösung. Serbische Nationalisten hatten in dem gesamten Prozess ein Interesse an einem weiteren Bestehen Jugoslawiens, in welchem die serbische Nation weiterhin vereint sein werden könne. Der erste kroatische Präsident Franjo Tuđman entfernte dann die seit der Begründung Jugoslawiens bestehende Anerkennung der Serben als Teil Kroatiens aus der Verfassung. Nicht nur dieses Vorgehen weckte Erinnerungen an das Vorgehen kroatischer Nationalisten im Zweiten Weltkrieg. Es tauchten im öffentlichen Leben auch erneut die Symbole der „Ustascha“ und Monarchisten auf. Der erste Krieg in Slowenien dauerte nur vier Tage an, da die jugoslawische Führung durch die immense Präsenz der NATO zur Anerkennung der Sezession Sloweniens gezwungen wurde. Slowenien, Kroatien und Mazedonien wurden so alle zu NATO-Mitgliedstaaten. Zuerst intervenierte die NATO mit der Erklärung den Bürgerkrieg beenden zu müssen und heute ist sie noch immer in der Region, mit der Legitimation, die „wilden Stämme“ voneinander fernhalten und Friedensprozesse initiieren zu müssen. Serbien und Montenegro bildeten zunächst, Mitte der 90er Jahre, eine Art „Atomkern“ zur bezweckten Reintegration Jugoslawiens. Das war jedoch in der Wahrnehmung der Imperialisten nicht das einzige Problem. Unsere Regierung schloss ebenso keine Abkommen mit demInternationalen Währungsfond und der Weltbank ab, da sie nicht bereit war, ihren Finanzsektor zu privatisieren. Zu Zeiten des „Neoliberalen Triumph“ konnte es nicht geduldet werden, dass Jugoslawien 1996 und 1997 ein Wirtschaftswachstum von 7 Prozent verzeichnen konnte und somit eine Alternative zu damals vorherrschenden Paradigmen darstellte. Es folgten die NATO-Intervention in 1999 und eine neue Welle der Konterrevolution Anfang der 2000er Jahre.
Wie müssen wir uns als Kommunisten hinsichtlich der aktuellen NATO-Aggression gegen Russland positionieren?
Wir erachten es als zentral für den antiimperialistischen Kampf gegen die NATO, dass Russland die NATO in der Ukraine besiegt. Dass bedeutet nicht, dass wir Putins Regime in Russland grundsätzlich unterstützen. Ein Sieg Russlands in der Ukraine wäre nicht gleichbedeutend mit einer Auflösung der globalen Widersprüche, aber in diesem Kontext ist es sehr wichtig, dass sämtliche Kommunisten und progressive Kräfte Russland unterstützen. Eine Niederlage der NATO in der Ukraine wäre gleichbedeutend mit einer Schwächung der US-Hegemonie. Der Konflikt in der Ukraine sagt zudem viel über Dynamiken der Konterrevolutionen in den Gebieten der ehemaligen Sowjetunion aus. Das Vorgehen des „Teilen & Herrschen“ in diesen Regionen erinnert mich sehr an die Vorgänge in unseren Regionen. In der Ukraine wurden mit der Konterrevolution kontinuierlich faschistische Kräfte durch die westlichen Imperialisten gestärkt. Heute ist es offensichtlich, dass der Krieg für die Ukraine nicht zu gewinnen ist. Besonders die diesjährige „Gegenoffensive“ dient offensichtlich nur den Interessen der westlichen Imperialisten einer Schwächung Russlands.
Was sind die Auswirkungen des Kriegs in der Ukraine auf die Arbeit eurer Partei?
Für progressive Kräfte in unserem Land hat der aktuelle Konflikt positive Auswirkungen. Die antiimperialistische Bewegung wächst und auch für die antifaschistische Bewegung ist dies sehr wichtig. Früher hatten wir unter anderem Probleme mit rechtsextremen Hooligan-Gruppierungen, aber seit dem Beginn der Militäroperation der Russischen Föderation, unter dem Label der „Denazifizierung“, sind diese Bewegungen im öffentlichen Leben verschwunden. Inszenierungen als Faschist und damit einhergehende Praktiken wie die Zerstörungen von Partisanen-Denkmälern sind in unserer Gesellschaft sehr unpopulär geworden. Wer sich heute zu Nazikollaborateuren bekennt, kann eher lächerlich gemacht werden, nach dem Motto „Ah, du unterstützt also Zelenskiy, welcher Kinder umbringen lässt?“