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COVID-19: Risiken und Nebenwirkungen für die Arbeiterklasse

Zwischenbilanz über die Gefährlichkeit des neuen Coronavirus

Wir haben in den letzten Wochen in verschiedenen Stellungnahmen beschrieben, warum und wie Kommunisten sich mit der gegenwärtigen Corona-Pandemie auseinandersetzen müssen. Bei dem Virus handelt es sich nicht einfach um eine Naturgewalt, der die Menschheit geschlossen gegenübersteht. Es handelt sich in vielerlei Hinsicht um gesellschaftliche Fragen: wer entscheidet, wie mit der Situation umgegangen wird? welche Maßnahmen werden ergriffen (und welche nicht)? Und vor allem wem nützt es, wer profitiert davon? Gerade deshalb ist es aber auch wichtig zu wissen, worüber wir reden: was ist das überhaupt, dieses Virus? Warum gehen wir davon aus, dass die jetzige Pandemie gefährlich ist, und vor allem: wo liegen diejenigen falsch, die das Gegenteil behaupten? Was wissen wir über die Krankheit und das Virus? Was wissen wir noch nicht, oder nur recht ungenau – und was bedeutet das? Darum soll es hier gehen.

Was ist überhaupt dieses Coronavirus?

SARS-CoV2: das ist der wissenschaftliche Name des „Coronavirus“ von 2019/2020. Dieses Virus entstand vermutlich Ende November 2019 zum ersten Mal in Wuhan in China (zur Entstehung selbst kommen wir später noch) und wurde Ende Dezember/Anfang Januar 2020 im Zusammenhang mit der Lungenkrankheit entdeckt, die jetzt den Namen COVID-19 trägt. Es handelt sich um das dritte hochinfektiöse und krankheitserregende Coronavirus innerhalb relativ kurzer Zeit, nach SARS-CoV von 2002/2003 (meist nur „SARS-Virus“ genannt) und dem zuerst im mittleren Osten auftretenden Virus MERS-CoV ab 2012. Coronaviren sind natürlich nicht die einzigen Viren, die in der Geschichte der Menschheit verheerende Epidemien und Pandemien ausgelöst haben. Ganz im Gegenteil: verschiedene Varianten des Influenza-A Virus lösten regelmäßig in den letzten 100 Jahren Epidemien und Pandemien aus, der HI-Virus (HIV) existiert nun seit 40 Jahren und wütet als Pandemie immer noch vor allem in den Ländern Afrikas südlich der Sahara, und das Pockenvirus, das die Europäer im 16. Jahrhundert nach Südamerika trugen, dezimierte dort die Bevölkerung beträchtlich. Durch Evolution haben verschiedene Viren unterschiedliche Tricks entwickelt, um sich zu verbreiten und die Abwehrmechanismen der Wirtsorganismen (also zum Beispiel unserer menschlichen Zellen) zu umgehen und dessen biologische Funktionsweisen für sich selbst zu nutzen. Dabei kann der Wirt letztendlich getötet werden oder nicht, es gibt sowohl Beispiele für hohe als auch für niedrige Letalität (‚Tödlichkeit‘) bei Viren, und es kann für das Virus durchaus evolutionär vorteilhaft sein, den Wirt zum Beispiel nicht zu schnell zu töten, sich dafür über diesen aber länger auf neue Wirte übertragen zu können.

Wie oben bereits erwähnt wurde, verursacht SARS-CoV2 die Erkrankung COVID-19 (der Name ist die Abkürzung des englischen Begriffs „COronaVIrus Disease 2019“). Das Virus wird vor allem über Tröpfcheninfektionen übertragen, also über direkten Kontakt der Schleimhäute mit Speichelflüssigkeiten anderer Personen oder über mikroskopisch kleine Tröpfchen in der Luft, die beim Sprechen, Husten und so weiter entstehen. Weil man annimmt, dass solche Tröpfchen höchstens 1,5 Meter weit kommen, wurde ein Abstandhalten von 1,5 Metern zu anderen Personen zu einem Bestandteil der Hygieneregeln. Über die bisher aufgetretenen Infektionen weiß man außerdem, dass

  • häufige Symptome Fieber, Husten und Ermüdung sind, die Symptome aber generell sehr unterschiedlich sein können
  • das Virus eine mittlere Inkubationszeit von 5-6 Tagen hat, was bedeutet, dass es nach der Infektion fast eine Woche dauert, bis im Schnitt die ersten Symptome auftauchen. Allerdings kann diese Zeit auch wesentlich länger sein, was zur Gefährlichkeit des Virus beiträgt (auch dazu mehr unten)
  • ca. 80% aller Erkrankungen nur mit erkältungsähnlichen Symptomen ablaufen
  • die Basisreproduktionszahl bei ca. 2-3 liegt, was bedeutet, dass jeder Mensch ungefähr 2-3 weitere Menschen ansteckt (dazu unten mehr)
  • ältere Menschen und Menschen mit unterdrücktem Immunsystem (also einer geschwächten körpereigenen Abwehr von Krankheitserregern wie Viren, z.B. ungewollt durch eine Infektion oder aber auch gewollt durch Medikamente zur Behandlung von Krankheiten wie Multipler Sklerose) besonders gefährdet sind, an der Virusinfektion zu sterben

Coronaviren gibts doch schon in Menschen, warum sollte das neue Virus plötzlich gefährlich sein?

SARS-CoV-2 ist ein Coronavirus. Es ist aber nicht das einzige Coronavirus, sondern wird lediglich medial häufig vereinfacht als „das Coronavirus“ bezeichnet – und das hat teilweise für Verwirrung gesorgt. Die bekannten Coronaviren können unterschiedliche Tiere infizieren und auch Menschen. Zum einen gibt es vier Coronavirusstämme, die in Menschen tatsächlich seit längerem zirkulieren. Sie verursachen vor allem Atemwegserkrankungen, sind für schätzungsweise ein Sechstel aller Erkältungen verantwortlich und haben in manchen Fällen, vor allem bei Kindern und älteren Menschen, schwerwiegende Krankheitsverläufe, sind insgesamt aber meist ungefährlich. Erst mit den Ausbrüchen von SARS-CoV (2002) und MERS-CoV (2012) stellte sich heraus, dass sich auch hochgradig krankheitserregende menschliche Coronaviren bilden können. Beide Viren infizierten einige tausend Menschen, mehrere hundert Menschen starben an den Viren. Allerdings waren beide Ausbrüche auch relativ begrenzt. Woran liegt das? Erstens sind beide Viren stark krankheitserregend, SARS-CoV hat eine Fall-Verstorbenen-Rate von 9%, MERS von 37%. Tendenziell können sich Viren mit einer so hohen Sterblichkeit weniger ausbreiten, eben weil sie die Gesundheit ihres Wirts so stark beeinträchtigen. Zweitens waren beide Viren relativ gering ansteckend, d.h. das Virus wurde relativ schlecht von einem infizierten Menschen auf andere übertragen. SARS-CoV konnte daher z.B. 2003 durch Quarantänemaßnahmen relativ schnell eingedämmt werden, danach wurden fast keine Infektionen mehr bekannt.

Fall-Verstorbenen-Rate

Diese Rate ist ein Maß dafür, wie tödlich eine Erkrankung ist. Sie wird berechnet als Anzahl an Todesfällen geteilt durch die Gesamtanzahl der Erkrankten. Bei der Mortalität werden hingegen die Todesfälle auf die Gesamtbevölkerung bezogen.

Warum sollte nun SARS-CoV-2 gefährlicher sein? Auf den ersten Blick sieht es nach dem Gegenteil aus: Bisherige Statistiken zeigen, dass die Fall-Verstorbenen-Rate des neuen Coronavirus im einstelligen Prozentbereich liegt, das Virus also eher weniger tödlich ist als SARS-CoV und MERS. Das ist allerdings nicht gleichbedeutend damit, dass die Pandemie ungefährlich ist, wie der Fall der Schweinegrippepandemie zeigt: Der H1N1-Influenzastamm von 2009 (H1N1/09) hatte eine Fall-Verstorbenen-Rate von unter 0.1%, das heißt von 1000 bekannterweise mit dem Virus infizierten Menschen starb einer. Weil sich das Virus aber immens gut ausbreitete und insgesamt ca. eine Milliarden Menschen infizierte, starben an H1N1/09 mehrere hunderttausend Menschen. Bei diesen Raten ist prinzipiell aber Vorsicht geboten, weil es stark davon abhängt, wie viele Infizierte tatsächlich getestet und damit ausfindig gemacht werden. Das variiert z.B. bei SARS-CoV-2 beträchtlich und daher ist es auch schwer, das Ausmaß und den Schweregrad der Pandemie genau zu beziffern. Tatsächlich verbreitet sich SARS-CoV-2 besser als SARS-CoV. Der Grund dafür: Das neue Virus infiziert zunächst nicht – wie das alte – die Zellen der unteren Atemwege (auch wenn man das am Anfang dachte), sondern zuerst die oberen Atemwege, also im Bereich von Nase, Mund und Rachen. Das führt dazu, dass bei einer Infektion zunächst (und teilweise auch ausschließlich) keine bis leichte Symptome auftreten, die Infektion aber gleichzeitig schon weitergegeben werden kann. Erst im späteren Verlauf werden dann die unteren Atemwege befallen und die eigentlich schweren Krankheitsverläufe, inklusive anhaltender Brustschmerzen, Atemnot, Sauerstoffunterversorgung und trockenem bis blutigem Husten fangen an. Während das Virus von 2002 also direkt richtig Schaden anrichtete und alle Alarmglocken des Körpers laut wurden, ist das Virus von 2019 zunächst zurückhaltend und legt (manchmal, nicht immer) dann später los – und in der Zwischenzeit kann es sich geräuschlos weiterverbreiten. Und genau das macht es gefährlich.

Es sterben jeden Tag in Deutschland ungefähr 2600 Menschen – wenn das Coronavirus so gefährlich ist müsste man ja sehen, dass mehr Menschen sterben!“

In Deutschland gab es 2018 955.000 Todesfälle auf 83 Millionen Einwohner. Im Schnitt starben also 1.1 % aller Einwohner im Jahr und 2600 Einwohner durchschnittlich pro Tag. Gleichzeitig sind seit Beginn der ersten bekannten Infektion in Deutschland am 27. Januar bundesweit 4352 Menschen mit einer SARS-CoV-2 Infektion gestorben (Stand 18. April 2020). Dabei werden alle Menschen gezählt, die eben mit dem Virus infiziert waren. Zweifelsfrei kann man zwar nicht sagen, dass diese an der Erkrankung COVID-19 selbst gestorben sind, näherungsweise dürfte dies aber stimmen. Die COVID-19 Todesfälle pro Tag lagen dabei zwischen dem 8. April und jetzt zwischen 200 und 300. Das klingt noch nicht nach viel, und ob es am Ende des Jahres einen signifikanten Unterschied zu den Vorjahren gibt, kann noch niemand sagen. Aber der entscheidende Punkt ist: die Ausbreitung des Virus verläuft allen bekannten Daten nach exponentiell. Es könnte zwar sein, dass es eine sogenannte Kreuzimmunität mit den vergleichsweise ungefährlichen „Erkältungscoronaviren“ gibt. Das bedeutet, dass eine Infektion mit einem anderen Coronavirus das Immunsystem in die Lage versetzt, auch SARS-CoV-2 abzuwehren; dies wird auch in den momentanen wissenschaftlichen Modellen der Pandemie berücksichtigt. Aber grundsätzlich ist der exponentielle Verlauf gegeben, und das bedeutet: die Zahlen können rasant in die Höhe schnellen. Am Beispiel vom Bundesstaat New York kann man erahnen, wie das aussehen kann: Bis zum 15. März gab es 729 bekannte Infektionen und 3 Todesfälle. Einen halben Monat später, am 1. April waren es knapp 84.000 Infektionen und 1.941 Todesfälle. Und wiederum einen halben Monat später waren es, trotz einer Abflachung aufgrund der massiven Maßnahmen, die am 20. März eingeleitet wurden, knapp 214.000 Infektionen und 11.586 Todesfälle. In einem US-Bundesstaat mit knapp 20 Millionen Einwohnern ist das bereits eine ganze Menge. Und in New York wurde auch sehr deutlich sichtbar, dass bereits in diesem Stadium die Gesundheitskapazitäten nicht mehr ausreichen, gleiches gilt in Europa zum Beispiel für den Elsass und die Lombardei. Wenn man nun von dem Szenario ausgeht, dass es eben keine oder nur eine sehr geringe Kreuzimmunität gibt (was durchaus sein kann), dass also ein Großteil der Menschen infiziert werden kann, dann würden bei ungebremster Ausbreitung des Virus auch in Deutschland die Krankenhäuser schnell an die Grenze ihrer Kapazitäten kommen. Momentan stehen Betten frei, aber das kann sich – Beispiel New York – eben sehr schnell ändern.

Kreuzimmunität

Wenn Krankheitserreger eine Immunantwort hervorrufen, der Körper sich also gegen eine erneute Infektion durch genau diesen Krankheitserreger schützt, dann kann dies auch zu einem Schutz gegen ähnliche Krankheitserreger führen. Im Fall von SARS-CoV-2 wird diskutiert, ob es eine Kreuzimmunität dieses neuen Coronavirus mit alten, bereits verbreiteten Coronaviren geben könnte, sodass die Infektion mit einem dieser eher ungefährlichen Viren gegen das neue gefährlichere Virus schützen könnte.

Um auf die Sterbezahlen zurückzukommen: In Italien gibt es für die Lombardei vergleichende Zahlen für 2019 und 2020, die klar zeigen, dass 2020 in fast allen Orten deutlich mehr Menschen starben als im Vorjahr. Dass man diese Übersterblichkeit hier klar erkennen kann liegt daran, dass die Infektionszahlen und damit auch die Todeszahlen hoch sind. Schaut man zu einem vergleichsweise frühen Stadium der Pandemie auf die Todeszahlen in einem ganzen Land, dann wird man kaum einen Unterschied zu anderen Jahren feststellen. Einen Monat später kann dies bei exponentieller Ausbreitung jedoch komplett anders aussehen. Aber auch hier lassen sich die erhöhten Todeszahlen z.B. auf Wochenbasis schon sehen, z.B. am Beispiel von England und Wales. Anfänglich wurde von einigen Skeptikern darauf hingewiesen, dass man auf der Website euromomo, welche die Sterbeziffern für europäische Länder sammelt und statistisch auswertet, keinen Ausschlag sehen könne. Das stimmte – bis vor Kurzem. Inzwischen ist ein deutliches Mehr an Toten sichtbar – und ohne die Eindämmungsmaßnahmen, die in fast allen europäischen Ländern in den letzten Wochen eingeleitet wurden, wäre dies vermutlich sehr viel deutlicher und würde weiter steigen.

Wurde das Virus im Labor synthetisiert?

Es gibt inzwischen eine Reihe an laut vorgetragenen Theorien rund um die Entstehung des neuen Coronavirus. Im Prinzip laufen diese Theorien darauf hinaus, dass das Virus nicht natürlichen Ursprungs sei. Die Anschuldigungen laufen dabei in verschiedene Richtungen. Der republikanische US-Senator Tom Cotton brachte ins Spiel, dass das Virus in einem Labor in Wuhan entstanden sein könnte.Der Sprecher des chinesischen Außenministeriums, Zhao Lijian, äußerte daraufhin die Vermutung, dass US-Militärs den Virus nach China importiert haben könnten. Zuletzt spekulierte die Gentechnik-Gegnerin Vandana Shiva, dass die Viren sich durch sogenannten horizontalen Gentransfer von genetisch verändertem Futtersoja auf die gefütterten Tiere entwickeln würden und dann auf Menschen überspringen könnten (was keinen Sinn ergibt, da die Ursprungstiere vermutlich Fledermäuse sind). Die Aufstellung all dieser Vermutungen ist auf der einen Seite von einer tatsächlichen Unsicherheit getragen, wo und wann der Virus tatsächlich das erste Mal auftauchte. Auf der anderen Seite zeigt sich an ihnen, dass die Geschichtsschreibung zu SARS-CoV-2 bereits begonnen hat und es den Staaten darum geht selbst zu definieren, wie in Zukunft die Pandemie interpretiert wird. Dies zeigt sich auch am Streit um den Namen des Virus, das der US-amerikanische Außenminister Pompeo und US-Präsident Trump hartnäckig als „Wuhan-Virus“ und „chinesisches Coronavirus“ bezeichnet, ungeachtet aller Empfehlungen der Wissenschaftler, die für die Namensgebung zuständig sind und die darauf drängen, irreführende Namen zu vermeiden (beispielsweise ist die verheerende Spanische Grippe, eine Influenzapandemie, vermutlich in den USA entstanden).

Die Entstehung im Labor ist aber so oder so wissenschaftlich nicht aus den vorhandenen Daten nachweisbar. Es ist unwahrscheinlich, dass dasVirus einem Labor entstammt, denn es gibt eine Reihe von Hinweisen darauf, dass das Virus natürlichen Ursprungs ist:

  • alle bisher bekannten Coronaviren, die Menschen infizieren können, haben einen Ursprung in anderen Tieren. Es ist bekannt, dass bestimmte Coronaviren (Alphacoronaviren und Betacoronaviren) insbesondere in der Viehzucht (vor allem bei Schweinen) teilweise schwere Schäden anrichten können. Auch in anderen Tieren sind Coronaviren verbreitet: das SARS-Virus von 2002 sowie das MERS-Virus von 2012 stammen beide ursprünglich von Fledermäusen; andere Coronaviren kommen vermutlich von Nagetieren. Als Zwischenwirte haben dabei vermutlich domestizierte Tiere gedient. Die Übertragung von Infektionen von Menschen auf Tiere und umgekehrt sind nichts Ungewöhnliches und vermutlich vor allem auf landwirtschaftliche Aktivitäten und das Zusammenleben von mehr Menschen und auch Tieren auf engerem Raum zurückzuführen.
  • Das Virus ist anders, als man es designen würde. Coronaviren müssen quasi die Zellen aufknacken, die sie infizieren. Ein Schritt dabei besteht in der Bindung des viralen Spike-Proteins an das Protein ACE2 der Zelloberfläche. Auch das SARS-Virus von 2002 bindet an dieses ACE2, ein Protein, das für die Regelung des Blutdrucks wichtig ist. Beide Viren binden sehr gut an ACE2. Das Spike-Protein des neuen Virus ist allerdings an einer Reihe von wichtigen Stellen anders als das des alten – und aus der Art der Änderung kann man zwei Dinge lernen: Erstens gibt es eine Stelle im Spike-Protein, an der bereits das alte SARS-Virus quasi besser ausgerüstet war als das neue. Wenn jemand also bewusst ein neues Virus erschaffen wollen würde – warum würde er die schlechtere Variante wählen? Zweitens haben Wissenschaftler 2007 auf der Grundlage des alten Virus eine optimale Variante des Spike-Proteins errechnet – und die unterscheidet sich von dem viralen Protein von SARS-CoV-2.
  • Das Grundgerüst wurde bisher nicht verwendet. Es gibt natürlich Forschung an Coronaviren, bei dem diese Viren manipuliert werden. Dafür wurden Systeme etabliert, die als Grundgerüst auf bekannten Viren aufbauen. Das alte Virus von 2002 und das neue Virus sind sich zwar ähnlich – aber doch unterschiedlich genug, dass man sehr genau auseinanderhalten kann, dass das neue nicht direkt vom alten abstammt. Es gibt aber andererseits kein bekanntes Grundgerüst, das man hätte nutzten können, das dem des neuen Virus ähnelt.

Die Frage ist natürlich, wie das Virus dann entstanden ist. Zunächst einmal muss man feststellen, dass dies noch nicht wirklich geklärt ist. Das Virus ähnelt stark Coronaviren, die man in Fledermäusen gefunden hat, was nahelegt, dass der Vorläufer des Virus sich eben in Fledermäusen entwickelt hat. Es ist nun entweder möglich, dass die aggressive Form des Virus sich, wie sie sich momentan verbreitet, bereits in den Fledermäusen entwickelt hat und dann auf Menschen übergegangen wurde. Oder aber ein Vorläufervirus wurde auf Menschen übertragen, blieb dort aber unentdeckt, weil es vergleichsweise harmlos war, und hat dann über einen unbestimmten Zeitraum weitere Eigenschaften entwickelt.

Durchseuchen bis zur Herdenimmunität?

Ein wichtiger Faktor, warum wir die Pandemie ernst nehmen müssen und der Virus eine grundsätzlich schwerwiegendere Bedrohung als eine Grippewelle ist, besteht in der fehlenden Immunität. Wie oben angesprochen ist es möglich, dass einige Menschen aufgrund einer Immunität gegen andere Coronaviren auch gegen das neue Virus immun sein könnten – ausgehen kann man aber nicht davon. Grundsätzlich kann also jeder infiziert werden und – je nach Alter und Vorerkrankung unterschiedlich, aber prinzipiell möglich – daran sterben. Auf der einen Seite bedeutet das, dass man im Prinzip ausrechnen kann, wie viele Leute ungefähr sterben werden, bis 60-70% der Menschen infiziert sind und ein Herdenschutz prinzipiell einsetzen könnte, der darin besteht, dass das Virus sich nicht ausbreiten kann, weil die meisten Menschen schon immun sind. Das Problem der Berechnung besteht darin, dass die Zahl der wirklich infizierten Menschen vermutlich um einen Faktor 5 bis 20 unterschätzt wird, dass also vermutlich deutlich mehr Menschen infiziert sind als positiv getestet werden. Wenn man zugrunde legt, dass in Deutschland nur 5% aller Menschen von den Tests erfasst werden, dass also in Wirklichkeit bereits 20 mal 150.000, also rund 3 Millionen Menschen infiziert sind, würde das bedeuten: Bis 60 Millionen Menschen infiziert sind, also noch einmal 20 mal mehr, würden ca. 20 mal 5000 Menschen sterben, also ca. 100.000, bis der Herdenschutz möglich wird. Und das ist eher eine zurückhaltende Schätzung, weil sie unter den jetzigen Bedingungen – also ohne allzu große Überlastung der Krankenhauskapazitäten – angesetzt ist. Das wäre aber bei einem exponentiellen Anstieg erstens nicht unbedingt gegeben, einfach weil es zu wenig Betten und Ausstattung gäbe, zweitens aber, weil sich über den Lauf der Ausbreitung auch das medizinische Personal ansteckt und vorübergehend nicht mehr eingesetzt werden kann: bereits jetzt sind in Deutschland tausende Pflegekräfte und Ärzte unter den Infizierten. Politisch bedeutet dies: auf eine Herdenimmunität zu setzen, ohne, dass effektive Medikamente zur Behandlung von Covid-19 vorliegen, bedeutet den Tod von zehntausenden Menschen potentiell in Kauf zu nehmen. Und anders als manche Kommentatoren suggerieren, wären diese Menschen nicht irgendwie sowieso quasi in den nächsten Tagen gestorben, weil sie Vorerkrankungen haben oder alt sind.

Herdenimmunität

Als Herdenimmunität oder Herdenschutz bezeichnet man den indirekten Schutz von Menschen, die gegen einen bestimmten Krankheitserreger nicht immun sind. Dieser Schutz entsteht dadurch, dass ein Großteil der Menschen bereits eine Immunität entwickelt hat, und daher selbst nicht mehr infiziert werden kann. Infektionsketten, bei denen sich ein Erreger wie z.B. das Coronavirus von einem Menschen zum nächsten verbreitet, werden dadurch unterbrochen, wodurch die Ausbreitung verlangsamt wird oder komplett zum Erliegen kommt. Wenn ein Impfstoff existiert, ist die Herdenimmunität insbesondere für Menschen wichtig, die z.B. aufgrund einer anderen Erkrankung nicht geimpft werden können.

Die Entwicklung von Medikamenten wäre also wichtig, ist aber häufig langwierig, weil zunächst überhaupt erstmal ein funktionierender Wirkstoff gefunden und auf Nebenwirkungen getestet werden muss. Man kann also versuchen, Medikamente zu verwenden, die bereits zuvor gegen andere Viren getestet und/oder schon zugelassen sind. Unter anderem wird dies mit dem auf Kuba verwendeten Interferon Alpha 2b versucht. In Tests sind aber auch andere Interferone (Proteine), die gegen Malaria eingesetzten Mitteln Chloroquin und Hydroxychloroquin und das noch nicht als Arzneimittel zugelassene antivirale Mittel Remdesivir.

Der andere Weg, der unter Umständen schneller gehen könnte, wäre die Entwicklung eines Impfstoffs. Seine Aufgabe ist relativ klar: eine Reaktion des körpereigenen Abwehrsystems hervorzurufen, sodass dieses danach auch eine wirkliche Virusinfektion abwehren kann. Auch ein Impfstoff muss aber natürlich zugelassen werden, was Zeit kostet.

Momentan gibt es über 100 Impfstoffkandidaten die weltweit entwickelt werden, allerdings sind bisher nur eine Handvoll von ihnen in der ersten klinischen Phase. Es gibt zwar inzwischen verschiedene Möglichkeiten, Immunreaktionen hervorzurufen und dadurch eine Immunität herzustellen, ohne dass es hierfür zu einem Kontakt mit einem krankheitserregenden Virus kommen muss. Allerdings ist schwer abzuschätzen, wie lange die Impfstoffentwicklung dauert – ob dieser in 8, oder 12, oder 18 Monaten verfügbar sein wird, oder erst in fünf Jahren: das weiß niemand. Außerdem ist momentan unklar, ob die Immunität wirklich vollständig gegen das Virus schützt, und wie lange sie anhält. Und selbst wenn es einen Impfstoff gibt, ist die Frage, wieviel davon hergestellt werden kann, wieviel er kostet und wer für ihn bezahlt.

Die Impfstoffentwicklung vollzieht sich außerdem natürlich auch nicht im luftleeren Raum, sondern in kapitalistischer Konkurrenz. In Deutschland berät das Paul-Ehrlich-Institut (PEI), das „Bundesinstitut für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel“, die Unternehmen, die sich in das Rennen gestürzt haben. Am 22. April genehmigte das PEI auch die ersten klinischen Tests für einen Impfstoff gegen SARS-CoV-2 in Deutschland, welchen das Biotech-Unternehmen BioNTech aus Mainz entwickelt. Die Testphase wird nun drei bis fünf Monate dauern, danach ständen dann weitere monatelangen Untersuchungen zur Wirksamkeit des Impfstoffes in Menschen an. Die Genehmigung für BioNTech war die weltweit fünfte. Klar ist: das Unternehmen, welches den ersten zugelassenen Impfstoff entwickelt, wird sich vermutlich eine goldene Nase verdienen. Und der Nationalstaat, unter dessen Fittiche dieses Unternehmen steht, wird ein Ass im Ärmel der nationalstaatlichen Konkurrenz haben. Denn mit einem Impfstoff (insofern er denn nicht nur zugelassen ist, sondern auch funktioniert und in ausreichenden Mengen produziert wird) wäre ein Staat in der Lage, seinen Unternehmen eine frühere Rückkehr zum Produktionsalltag zu ermöglichen und ihnen so eine verbesserte Position in der Konkurrenz zu verschaffen. Oder, wie es der Sanofi-Manager David Loew ganz offen in der FAZ sagte: „So kann man sich ein Szenario vorstellen, dass die geopolitischen Blöcke, die als Erste einen Impfstoff haben, als Erste auch aus der Wirtschaftskrise herauskommen. Wenn Europa nicht in die Gänge kommt, wird es extrem geschwächt dastehen“.

Ist ein Impfstoff möglich?

Kann man gegen das Virus überhaupt einen Impfstoff entwickeln? Eine wichtige Frage bei Viren ist, wie schnell sie mutieren, also wie häufig es vorkommt, dass sie ihre genetische Basis an einer Stelle verändern. Evolution beruht prinzipiell darauf, dass sich Organismen – oder eben auch Viren – reproduzieren, aber eben nicht perfekt, sondern mit einer gewissen Fehleranfälligkeit, sodass das dem Organismus zugrundeliegende Erbmaterial sich verändert. Eigentlich handelt es sich also nicht wirklich um Fehler, sondern um eine Notwendigkeit für die Weiterexistenz, denn schließlich findet auch das Immunsystem (zumindest in den allermeisten Fällen) eine Möglichkeit mit bestehenden Viren klarzukommen. Die zufällige Veränderung kann nun entweder vorteilhaft für das Virus sein, oder Nachteile mit sich bringen. Tendenziell werden die Viren mit Nachteilen durch natürliche Selektion aussortiert, sie vermehren sich z.B. schlechter, langsamer oder gar nicht mehr. Viren, die als Erbmaterial RNA (Ribonukleinsäure) besitzen, haben im Durchschnitt deutlich höhere Mutationsraten als Viren, die stattdessen DNA (Desoxyribonucleinsäure) verwenden (der Unterschied zwischen RNA und DNA sieht auf den ersten Blick klein aus, hat aber großen Einfluss auf die Struktur der Moleküle und damit einhergehend auch ihre Funktion). Influenzaviren, Coronaviren, Ebolaviren: sie alle sind RNA-Viren, und das ist einer der Gründe warum es nicht einfach ist, Impfungen gegen sie zu entwickeln. Wie sieht’s bei SARS-CoV2 jetzt konkret aus? Bisherige Ergebnisse zeigen, dass das Virus eher langsam mutiert (was auch beim vorhergehenden Virus SARS-CoV der Fall war) – was gute Nachrichten für die Impfstoffentwicklung wären.

Fazit

Die Situation stellt eine reale Gefahr für die Arbeiterklasse dar. SARS-CoV-2 ist ein hochgradig krankheitserregendes Virus, gegen das bisher kaum ein Mensch immun ist – diejenigen (vermutlich) ausgenommen, die die Infektion überstanden haben. Gerade auch der oftmals leichte Krankheitsverlauf begünstigt eine Ausbreitung des Virus, und die Zahlen der erhöhten Todesfälle in zahlreichen Ländern erhärten immer stärker, dass diese Pandemie vermutlich bereits weit mehr als die offiziellen knapp 200.000 Toten (Stand 24. April 2020) gefordert hat und noch weit mehr fordern wird.

Die Gefahr ist aber nicht durch das Virus selbst gegeben. Das Virus kennt keine Klassen – die Pandemie aber kennt sie. Arbeiterinnen und Arbeiter müssen trotz der Pandemie auch in nicht-notwendigen Bereichen weiter arbeiten und sind einem erhöhten Infektionsrisiko ausgesetzt, sie müssen auf Kurzarbeit ausharren und gerade in prekären Bereichen ist der Job einfach weg. Flüchtlinge stehen in massiv überfüllten Lagern relativ hilflos der Katastrophe gegenüber, die droht, wenn die Infektionskette einmal das Lager erreicht. In vielen Staaten der Welt sind die Lebens- und Arbeitsbedingungen durch den Imperialismus so zerstört, dass das Virus sich ungehindert ausdehnen kann und Massen ihm zum Opfer fallen werden. Das Kapital wird versuchen, die Arbeiterklasse weltweit für die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie bluten zu lassen. Dagegen helfen kann nur, sich einheitlich zu organisieren und solidarisch zur Wehr zu setzen.

Die herrschende Klasse setzt alles daran, dies zu verhindern. Dabei hilft ihnen auch, dass es an klarer Orientierung fehlt. Nebulöse Theorien und Andeutungen, ob das Virus nicht vielleicht doch künstlich erschaffen oder als Biowaffe konstruiert wurde tragen zur Desorientierung bei.

Viele Menschen glauben der Regierung und den bürgerlichen Medien kein Wort. Das kann man ihnen nicht verdenken, denn dieser Staat hat sie tausendfach belogen und es wäre auch in der jetzigen Situation fehl am Platz, ihm zu vertrauen. Ihr Misstrauen ist aber an der falschen Stelle: Das Virus ist real, die Pandemie ist real, die Lage ist ernst. Misstrauen ist vielmehr dort angesagt, wo es um konkrete Maßnahmen geht. Dazu gehört die Strategie, entweder eine Durchseuchung bis zur Herdenimmunität herbeiführen zu wollen, oder aber auf die Impfstoffentwicklung zu setzen. Im ersten Fall werden – solange kein Medikament zur Behandlung der Krankheit vorliegt – voraussichtlich hunderttausend Menschen oder mehr sterben. Auf einen Impfstoff zu setzen ist eine Wette, die schiefgehen kann. Selbst aber wenn sie gelingt, wird der Impfstoff zum Spielball globaler nationalstaatlicher Interessen werden, und viele Arbeiterinnen und Arbeiter werden diesen Impfstoff nicht zu sehen bekommen. Und damit wird einmal mehr deutlich: die Arbeiterklasse weltweit kann sich den Kapitalismus und seine Kapitalisten nicht mehr leisten.

Aktuelles

Podcast #45 – On the 20th Anniversary of the CPGB-ML and the Current Situation in Britain

We talked with Ella Rule, chair of the Communist Party of Great Britain (Marxist - Leninist), about the current political situation in Britain after the general election, the party’s work in the Palestine movement, and the repression against them. Additionally, we learned about the party’s development, their origins, challenges, and achievements.

Schönfärberei des Imperialismus: Die westliche „Linke“ und Venezuela

Wir spiegeln einen Debattenbeitrag von Lukas Koerner und Ricardo Vaz, der sich mit einer "linken" Kritik an der Maduro-Regierung im Kontext der jüngsten Wahlen in Venezuela beschäftigt, die uns auch in Deutschland begegnet: "Jedes Mal, wenn die Bolivarische Revolution in Venezuela erneut mit Bedrohungen ihres Überlebens konfrontiert ist, ist eine Schicht von in den USA ansässigen Intellektuellen immer bereit, "linke" Kritik zu üben, die die permanente imperialistische Belagerung des Landes absichtlich verschleiert."