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Ein großes Ablenkungsmanöver

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Hans-Georg Maaßen, Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz, muss nach anhaltender Kritik seinen Posten räumen – doch keineswegs seine Karriere beenden. Er darf in Zukunft als zwar nicht als Staatssekretär, jedoch als Sonderberater im Innenministerium weiterhin die Interessen des Kapitals schützen.

Nach dem Totschlag eines Deutsch-Kubaners in Chemnitz vor wenigen Wochen nutzten Faschisten die Gelegenheit, die Wut, Trauer und Angst vieler Menschen in Chemnitz für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Sowohl die AfD als auch Kameradschaften und andere organisierte Faschisten veranstalteten Demonstrationen, Kundgebungen und Hetzjagden auf Migranten. Letztere hatte Maaßen in Zweifel gezogen, indem er die Echtheit der Videomaterialien öffentlich anzweifelte. Es hagelte Kritik vonseiten der SPD, Grünen, Linkspartei, FDP und auch Teilen der CDU – denn Kanzlerin Merkel hatte sich als aufrechte Demokratin dargestellt und öffentlich verurteilt, dass es zu Hetzjagden in Chemnitz gekommen war. Selbstverständlich war nichts Aufrechtes an dieser Aussage – es entsprach schlicht der Taktik, die „Demokratie“ dem gefährlichen „Mob“ gegenüber zustellen und so die aktuellen Verhältnisse aufrechtzuerhalten.

Die AfD unterstützte Maaßens Aussagen – nicht verwunderlich in Anbetracht der daraufhin veröffentlichten Infos über Maaßens Aktivitäten: Neben Gesprächen mit Vertretern der AfD über die Möglichkeiten zur Vermeidung der Beobachtung durch den Verfassungsschutz (VS)– wie zuletzt von einigen Parteien gefordert – führte Maaßen mit ihnen auch Gespräche über den bis dahin noch unveröffentlichten Verfassungsschutz-Bericht und vermutlich auch über das angestrebte Budget des VS im nächsten Jahr (Tagesschau, 13.09.2018). Doch nicht nur der AfD hatte Maaßen seine besondere Unterstützung zukommen lassen. Selbst verstorbene Nazi-Größen konnten sich auf ihn verlassen: Laut der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung (HAZ) vom 13.09.2018 hat Maaßen die Herausgabe von Akten über den mittlerweile verstorbenen SS-Hauptsturmführers Alois Brunner an einen Redakteur der BILD-Zeitung verhindert. Alois Brunner war, obwohl einer der meist gesuchtesten NS-Kriegsverbrecher, zu Lebzeiten nicht in Deutschland verurteilt worden und es gibt Hinweise, dass er immer wieder von deutschen Geheimdiensten geschützt worden war (HAZ, 13.09.2018).

Staat und Faschisten Hand in Hand

Der Fall Maaßen bringt nur das ans Licht, was schon lange gang und gäbe ist und im Kapitalismus sein muss: Die Verflechtung zwischen bürgerlichem Staat und Faschisten ist nicht ein Zufallsprodukt, welches höchstens auf den untersten Ebenen der staatlichen Behörden zu finden wäre: Nein, die Verflechtung ist gerade auf den obersten Ebenen stark und von den Herrschenden allgemein gewünscht. Das Bundesamt für Verfassungsschutz wurde, wie der Außengeheimdienst BND (Bundesnachrichtendienst) nach dem Zweiten Weltkrieg unter der Aufsicht der Alliierten von Faschisten der ehemaligen Gestapo (Geheime Staatspolizei) und der NSDAP aufgebaut. Auch der Aufbau von faschistischen Terrorgruppen wie der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) durch den Verfassungsschutz ist keineswegs Zufall, sondern Programm. Bereits nach dem Zweiten Weltkrieg bauten mehrere NATO-Staaten sogenannte „Stay Behind“-Organisationen auf, die dem Zweck dienen sollten, durch Terror die Arbeiterbewegung zu schwächen und auch den Abbau von bürgerlichen Rechten durch den Staat zu legitimieren. In Deutschland steht der NSU in einer Tradition mit dem Bund Deutscher Jugend in den 50er Jahren und der Wehrsportgruppe Hoffmann in den 70er Jahren.

Denn dieser Staat ist der Staat des Kapitals. Er vertritt die Interessen der Kapitalisten unabhängig davon, welche Form er hat: Während des Faschismus in Deutschland hatte der Staat die Form einer offenen terroristischen Diktatur, in der Weimarer Republik und seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs hat er die Form einer parlamentarischen Demokratie. Um die Interessen der Kapitalisten zu schützen braucht der Staat Organe zur Verteidigung: Polizei, Militär und Geheimdienste ebenso wie faschistische Terrorgruppen, die scheinbar unabhängig vom Staat und scheinbar gegen ihn durch Terror Angst in der Bevölkerung verbreiten. Organisierte Faschisten wie der NSU und Bewegungen und Parteien, die in Zukunft für eine faschistische Massenbasis sorgen könnten, wie Pegida und die AfD sind ein gutes Mittel um einerseits den Glauben an einen „guten“, an einen „gerechten“ Staat zu nähren und aufrechtzuerhalten, und andererseits das Protestpotential im Volk und insbesondere der Arbeiterklasse zu entschärfen und zu kanalisieren, sie durch Angst und Terror davon abzuhalten, für ihre eigenen Interessen einzustehen und sie stattdessen gegeneinander aufzuwiegeln.

Heuchelei und Augenwischerei

Genau deshalb ist die vorgebrachte Kritik von SPD, Grünen, FDP und Linkspartei nichts mehr als Heuchelei um den angekratzten Ruf vom „gerechten Staat“ wieder aufzupolieren. Die SPD selbst hat immer wieder bewiesen, dass der Zusammenhang Staat-Faschisten nicht von der jeweiligen Regierung abhängt, sondern dem reaktionären Wesen des Staates entspricht: Der NSU konnte unter der Rot-Grünen-Regierung genauso unbehelligt Menschen ermorden wie in den Folgejahren. Bereits 1933 hatte die SPD gezeigt, dass sie eher die Faschisten mit Hitler an der Regierung dulden wird, als den Staat als solchen durch einen politischen Massenstreik in Gefahr zu bringen. Mit dem Fall Maaßen zeigt die SPD nun ihren völligen politischen Bankrott. Sie fordert seine Absetzung mit der Behauptung, er sei „untragbar“ in einer Demokratie. Dann akzeptiert sie seine Beförderung zum Staatssekretär im Innenministerium mit sogar erhöhtem Einkommen und weitreichenden Befugnissen. Die Aufregung über den Kompromiss war groß an der Wählerbasis der SPD und veranlasste die Parteiführung, noch einmal zurückzurudern. Das der nun endgültig gefundene Kompromiss nahezu keinen Unterschied macht, aber dazu dient, der Wählerbasis zu vermitteln, dass „man es doch versucht hätte“, entblößt den gesamten heuchlerischen Charakter der SPD.

Die Forderung der Partei Die Linke (PdL) nach Abschaffung des VS ist dem Worte nach radikal, in der Praxis entpuppt es sich als reine Augenwischerei. Wer erkannt hat, dass der bürgerliche Staat auf Polizei, Militär und Geheimdienst nicht verzichten kann, der weiß auch, dass eine solche Forderung trotz des radikalen Tons keine Konsequenzen haben kann. Die Arbeiterklasse wird desorientiert in dem sie ihre Wut nicht auf die Kapitalisten und ihren Staat richtet, sondern passiv bleibt und nur darauf hofft, dass eine einzelne Behörde unter vielen geschlossen wird. Selbst in dem unwahrscheinlichen Fall, dass es einer Protestbewegung gelingen würde, die Schließung einer Repressionsbehörde zu erkämpfen, würde der Staat unter einem neuen Namen eine neue gründen. Denn einen kapitalistischen Staat ohne Apparate zur Unterdrückung der Arbeiterklasse kann und wird es nicht geben. Diese Apparate können nicht durch die Herrschenden „von oben“ aufgelöst werden, sie können nur durch den Sieg des organisierten Klassenkampfes „von unten“ zerschlagen werden, indem die Herrschaft des Kapitals an sich gestürzt wird.

Ablenkungsmanöver

Während sich in den Medien und den Parteien der Mund über den Fall Maaßen fusselig geredet wird, passiert der große Coup im Hintergrund: Wie die Tagesschau am 16.09.2018 berichtet, hat Maaßen noch kurz vor seinem Abdanken einen Antrag für den Haushalt 2019 des Bundesamtes für Verfassungsschutz eingereicht: Der Antrag enthält nahezu eine Verdoppelung des Budgets im Vergleich zum Jahr 2015 und umfasst satte 421 Millionen Euro. Auch die Anzahl an offiziellen Mitarbeitern soll um mehr als 50 % auf knappe 6000 wachsen. Der Ausbau des Inlandsgeheimdienstes ist dabei ein Teil der Strategie, die auch den massiven Ausbau der Bundeswehr in den nächsten Jahren beinhaltet. Der deutsche Staat bereitet sich auf größere Konflikte und Kriege im Inneren und Äußeren vor.

Der Ausbau des Inlandsgeheimdienstes dient nicht unserem Schutz vor gewalttätigen Neonazis und schon gar nicht der „Demokratie“. Denn diese „Demokratie“ ist in Wirklichkeit die Herrschaft des Kapitals, also einer kleinen Minderheit der Gesellschaft über die große Mehrheit. Der Ausbau des Geheimdienstes richtet sich vor allem gegen alle, die sich mit den Zumutungen des kapitalistischen Systems, mit Armut, Krieg und staatlich gefördertem Faschismus nicht abfinden wollen und dagegen aufstehen. Das Ziel staatlicher Repressionen waren seit Gründung der BRD daher immer in allererster Linie die Arbeiterbewegung, Kommunisten und andere fortschrittliche Menschen.

Gegen Repression: Massenorganisation

Jeder Staat braucht zur Machterhaltung Polizei, Militär und Geheimdienste. Die entscheidende Frage dabei ist jedoch, um wessen Staat es sich handelt: Ein Staat im Interesse des Kapitals oder ein Staat im Interesse der Arbeiterklasse und anderer werktätigen Schichten. Um den Verfassungsschutz ebenso wie Polizei und Bundeswehr loszuwerden muss den Kapitalisten die Macht entrissen und ihr Staat zerschlagen werden. Es kann keinen Zwischenweg geben. Der einzige Weg dahin ist der Aufbau einer starken, selbstbewussten Massenbewegung, von proletarischer Massenorganisationen und einer kommunistischen Partei. Diese Organisationen sind auch der beste Schutz gegen die staatliche Repression, sei es Polizei, Militär und Geheimdienst oder vom Staat aufgebaute und finanzierte faschistische Terrorgruppen.

Aktuelles

Bericht zum 5. Mitgliederkongress der Kommunistischen Organisation

Der 5. Mitgliederkongress der KO hat stattgefunden. Erfahrungen aus unserer Spaltung und der akti-ven Beteiligung in Kämpfen gegen den Krieg der NATO und den Völkermord in Palästina geben nachdrücklich Aufgaben für uns selbst und die Bewegung auf. Sie erfordern praktische Konsequen-zen. Ein zentraler Beschluss: Die Organisierung eines umfassenden und öffentlichen Studienganges zur Geschichte des Kommunismus.

Bericht über die Kundgebung “From the River to the Sea – Palestine will be free!”

Bericht von der Kundgebung: Wenn der Innenminister die Gerichte ignoriert... Die Polizei hat verhindert, dass wir die Parole rufen konnten - obwohl wir vor Gericht Recht bekommen haben. Aber wir haben mehr über die Parole, die Geschichte, über den Befreiungskampf Palästinas und über demokratische Rechte in Deutschland informiert und die erste Kundgebung unter dem Motto "From the River to the Sea" abgehalten! Um unsere Grundrechte müssen wir weiter kämpfen!