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Welche Freiheit braucht die Krise?

Schon während des ersten Lockdowns im Frühjahr formierten sich Protestbewegungen gegen die Einschränkung der Grundrechte. Mittlerweile hat sich die Initiative Querdenken 711 aus Stuttgart als maßgeblicher Initiator durchgesetzt, ihr Gründer ist der Unternehmer Michael Ballweg – er sowie der engere Kreis der Querdenker werden seit dem 9.12.20 aufgrund „extremistischer Bestrebungen“ vom Verfassungsschutz beobachtet. Während die Infektionsrate und die Zahl der Toten stetig steigt, nimmt auch die Zahlen der Demonstrationsteilnehmer zu. Die höchsten Teilnehmerzahlen erreichten die „Hygienedemos“ im August in Berlin und im November in Leipzig.

Wie viel Opposition steckt wirklich in den Protesten?

Die Querdenker speisen sich aus Esoterikern, ehemaligen Linken, christlichen Fundamentalisten, neoliberalen Hippies, aber auch organisierten Faschisten. Sie bezeichnen die aktuellen Maßnahmen als diktatorisch, warnen vor einer DDR 2.0 und sehen sich als Freiheitskämpfer. Nach Forderungen wie finanzieller Absicherung von Minijobbern, Unterbringung von Obdachlosen und anderen sozialen Forderungen sucht man vergebens. Die sogenannte Freiheit, die die Querdenker und ihresgleichen fordern, ist eine individuelle Freiheit, durch die der Tod von vielen Menschen hingenommen wird. Der einzelne soll sich ‚verwirklichen‘ können, ohne Rücksicht auf das Wohl der ganzen Gesellschaft. Diese Vorstellung von Freiheit ist im Kern die Ideologie, die kapitalistische Staaten propagieren: Jeder ist frei seine Arbeitskraft zu verkaufen, sein individuelles Glück zu suchen, sein Eigentum ins Unendliche zu vermehren. Im Kapitalismus betrifft der Schutz der „individuellen Freiheit“ vor allem die Freiheit der Eigentümer der Unternehmen, möglichst große Profite aus der Arbeit von Millionen schöpfen zu können. Gleichzeitig wird durch die vermeintliche Freiheit, alles erreichen zu können, die Illusion geschürt, dass Armut und Reichtum in der individuellen Verantwortung liegen und es keine Notwendigkeit gäbe, das System grundsätzlich zu verändern. Somit sind die Querdenker mit ihrer Forderung nach Freiheit keine Opposition, sondern staatstragend.

Wem dient die Bewegung?

Der Fokus der öffentlichen Diskussion liegt derzeit auf oberflächlicher Kritik an den Hygienedemos und dient dem Staat als gutes Ablenkungsmanöver von den unzureichenden Maßnahmen. Es führt sogar zu einer Zunahme der Zustimmung zu staatlichen Beschlüssen, wie die gestiegenen Umfragewerte des Gesundheitsministers Jens Spahn (CDU) zeigen. Ein Staat jedoch, der wirklich im Sinne der Bevölkerung handeln würde, müsste dem Gesundheitsschutz höchste Priorität einräumen.

Nicht nur zur Rechtfertigung seiner unzulänglichen Maßnahmen dienen die Proteste dem Staat, auch die Verbreitung von Antikommunismus ist gern gesehen. Schließlich stützt auch dieser die liberale Vorstellung vom Umgang mit der Krise: „Freiheit“ vor Schutz. Der Antikommunismus ist gleichzeitig auch Anziehungspunkt für organisierte Faschisten, die auf den Demonstrationen offen auftreten. Die Organisatoren der Bewegung sahen keine Notwendigkeit darin, sich konsequent von diesen zu distanzieren. Zudem sehen letztere trotz teilweise abweichender Ziele durchaus das Potenzial der Verbreitung eigener Inhalte in solchen (schein-)oppositionellen Bewegungen. Vom III. Weg über die AfD, NPD und die Identitäre Bewegung bis zum Compactmagazin um Jürgen Elsässer ist alles dabei, was sich einen Namen gemacht hat in der rechten Bewegung. Dadurch wird deutlich, dass es keinesfalls einzelne „Verrückte“ sind, wie die bürgerliche Presse so oft vermittelt, sondern eine gut vernetzte Bewegung, die jede Gelegenheit nutzt, um unzufriedene Menschen für ihre Ideologien zu gewinnen.

Was tut die Regierung?

Während die Infektionszahlen immer weiter steigen, sind die staatlichen Maßnahmen keineswegs an dem Wohl und der Gesundheit des Volkes ausgerichtet. Obwohl das Ausmaß der Pandemie spätestens seit März bekannt ist, wurde in keiner Weise planvoll und konsequent gehandelt. Nach dem ersten Lockdown wurden fast alle Bereiche wieder hochgefahren, ohne dass die Regierung ein umfangreiches Hygienekonzept vorgab oder gar Schutzmaßnahmen und weiteres Personal finanzierte. Von einer Vorbereitung auf die zweite Welle kann nicht die Rede sein. Das ist auch so gewollt. Großbetriebe bleiben trotz unzureichendem Schutz offen – schon zweimal brachen Masseninfektionen beim Großunternehmer Tönnies aus, doch verantwortlich macht die Regierung bloß individuelle Nachlässigkeit. Während also alles dafür getan wird, dass Großunternehmer mehr Profit machen, muss z.B. das Krankenhauspersonal die Pandemie unterbesetzt und ohne die notwendigen Schutzmaßnahmen bekämpfen.

So handelt der Staat klar im Interesse der Kapitalisten und nicht der Bevölkerung.

Wofür sollte protestiert werden?

Die Pandemie muss endlich ernsthaft bekämpft werden – das geht nur mit einer rigorosen Schließung aller nicht lebensnotwendigen Geschäfte und Betriebe und einer massiven Unterstützung der Arbeiter und ihrer Familien im Lockdown. Außerdem müssen Forderungen zur Einhaltung bzw. zum Ausbau arbeitsrechtlicher sowie gesundheitsbezogener Aspekte in den Vordergrund gestellt werden. Dazu zählen Maßnahmen des Gesundheitsschutzes (wie z.B. Massentests), personelle und finanzielle Ausstattung der Krankenhäuser, Pflegeheime und des Bildungsbereichs, damit die Bildung von ca. 8,33 Millionen Schülerinnen und Schülern trotz der Einschränkungen gewährleistet werden kann. Auch die massiven Eingriffe in das Arbeitsrecht dürfen wir nicht einfach hinnehmen.

Vielerorts gibt es schon Proteste und Streiks. Die Führung der Gewerkschaft fährt aber weiterhin einen Kuschelkurs mit der Regierung, indem sie die Arbeiterinnen und Arbeiter dazu anhalten, in der Logik der Unternehmen zu denken. Jeder sei demnach in dieser schwierigen Situation dazu aufgefordert, die Füße stillzuhalten, um dadurch das Unternehmen zu stärken und die Arbeitsplätze zu erhalten. Nach dem Motto: Protestierst du, gefährdest du nicht nur deinen eigenen Arbeitsplatz, sondern auch den deines Kollegen. So konstruieren sie fälschlicherweise eine Interessengemeinschaft von Unternehmern und Arbeitern, die jetzt in der Krise zusammenhalten müssten. Gleichzeitig werden trotz umfangreicher staatlicher Finanzspritzen tausende Stellen abgebaut (z.B. Lufthansa: 29.000 Arbeitsplätze; Daimler: ca. 20.000).

Gerade in Zeiten der Krise müssen wir Solidarität zeigen, um den Egoismus und die Verrohung zu bekämpfen, den die Querdenker und der Staat befeuern. Wir können nicht erwarten, dass der Staat uns in dieser Krise schützen wird. Sowohl für den konsequenten Gesundheitsschutz als auch gegen die Aushöhlung der Arbeitsrechte müssen wir in den Betrieben, Gewerkschaften und der Nachbarschaft kämpfen.

DDR 2.0?

In einem sozialistischen Staat wären Maßnahmen gegen eine solche Pandemie viel geplanter und weitreichender in ihren Einschränkungen, da es einem sozialistischen Staat nicht nur um die minimal notwendige Erhaltung der Arbeitskraft geht, sondern um den wirklichen Schutz des Menschen. Auf Kuba bspw. werden sich in Quarantäne befindende Personen einmal täglich von medizinischem Personal besucht. Wir müssen den trügerischen Fehlschluss aufdecken, dass die derzeitigen Maßnahmen unsere Freiheit einschränken würden, weil wir uns im Privaten nicht mehr treffen dürfen und wir deswegen gegen die sogenannte „Diktatur“ auf die Straße gehen müssten, und erklären, dass die staatlichen Maßnahmen viel zu kurz greifen, da sie eben nicht für den Schutz der Bevölkerung sorgen. Der Vergleich der Querdenker zwischen den aktuellen Maßnahmen und der DDR ist also schlichtweg falsch. In einem sozialistischen Staat würde ein solidarischer und humanistischer Umgang herrschen.

Aktuelles

Positionen und Perspektiven zu den Entwicklungen in Syrien

Wir dokumentieren an dieser Stelle Übersetzungen von Erklärungen und Stellungnahmen arabischer, türkischer und iranischer Kommunisten. Diese Zusammenstellung verschiedener Statements soll dazu dienen die verschiedenen Perspektiven und Positionierungen gegenüber der Zerschlagung der Syrischen Arabischen Republik in ihrer jetzigen Form aufzuzeigen. Außerdem sollen die offenen Fragen und Orientierungen der Kommunisten angesichts der imperialistischen Aggression gegen Syrien zusammengetragen werden, um die Standpunkte von Kommunisten aus der Region für hiesige Debatten zugänglich zu machen.

Palästina und die DDR – Befreiungskampf als Staatsräson?

Während in der BRD die bedingungslose Unterstützung Israels als „Ersatz- Antifaschismus" spätestens ab 1952 zunehmend zur „Staatsräson" wurde, erkannten sich die DDR und Israel bis zur Konterrevolution 1989/90 nicht gegenseitig an. Stattdessen wurde die DDR zu einem wichtigen Alliierten der palästinensischen Befreiungsbewegung.