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Imperialismus, Krieg und die kommunistische Bewegung

von Klara Bina 

Vorab: Kritik und Selbstkritik

Einleitung
Zielstellung und Aufbau des vorliegenden Textes
Meine Einschätzung der aktuellen Lage in Thesenform
Die Positionen und Probleme in der KO und in der Bewegung

Imperialismus und Opportunismus

Ein hierarchisches Weltsystem gegenseitiger Abhängigkeit

Imperialismus und Krieg
Lenin und die Frage des Krieges
Kommunisten und der gegenwärtige Krieg

Vorab: Kritik und Selbstkritik

Zunächst eine Selbstkritik: ich muss eingestehen, dass ich über Jahre hinweg Zweifel, Kritik und Fragen, die mir bei der Imperialismusfrage, vor allem in Bezug auf die Vorstellungen eines „imperialistischen Weltsystems“[1], so wie sie insbesondere von der KKE vertreten werden, nicht ernsthaft behandelt und formuliert habe. Spätestens nach dem Erscheinen des Beitrags des Genossen Sörensen von der KP Schewedens (SKP) auf unserer Website Anfang 2019[2] hätte ich meine Kritik verschriftlichen und als Diskussionsbeitrag der Organisation geben müssen. Des Weiteren muss ich zugeben, dass mich lange Zeit ein gewisses Vertrauen gegenüber Organisationen, die es schon werden besser wissen als ich, davon abgehalten hat, die Positionen, die mir ja durchaus bekannt waren, kritisch zu hinterfragen. Es kann aber nicht sein, dass es nur Vertrauen oder Zurückhaltung war. Es ist auch ein Anteil falsche Prioritätensetzung und bestimmt auch Bequemlichkeit gewesen. Auch das muss ich selbstkritisch eingestehen.

Jetzt, wo diese offensichtlichen Probleme dieser Theorie sich in ihrer Konsequenz durch die historische Realität zeigen, wird mir die Relevanz dieser Verantwortung bewusst. Daraus zu lernen, heißt einerseits die eigene, ganz persönliche Verantwortung nicht zu relativieren, andererseits aber weiterhin nicht zu glauben, dass Individuen werden diese Verantwortung alleine tragen können und entsprechend an ihrer kollektiven Lösung zu arbeiten. Es ist müßig, sich die Frage zu stellen, warum Dinge gemacht oder nicht gemacht wurden. Ich will aber jetzt die Verantwortung übernehmen und mein bescheidenes Wissen, aber vor allem meine unzähligen Fragen, Zweifel und Kritik an der Herangehensweise des Weltsystem-Ansatzes der KKE – so werde ich ab jetzt die Vorstellungen eines hierarchischen Weltsystems gegenseitiger Abhängigkeiten – nennen, der Organisation und hoffentlich auch darüber hinaus der Bewegung zur Verfügung stellen.

Ich will aber auch eine allgemeine Kritik formulieren: es ist nicht produktiv, dass in der gesamten Bewegung die Positionen und Sichtweisen so wenig zielführend und ernsthaft, ja führungslos, auseinandergesetzt werden. Die TKP ist die einzige Partei, die ihre Thesen zum Imperialismus[3] in umfassenderer Form der Bewegung zur Verfügung gestellt hat. Aber auch hier wäre es sehr hilfreich zu wissen, welche Diskussionen über die einzelnen Fragen geführt wurden und wie der Prozess der Entwicklung der Thesen vonstatten gegangen ist, welche Methoden wurden angewendet, welche Kriterien für die Analyse angelegt. 
Es ist auch nicht sehr hilfreich, wenn nur Endresultate unter dem Mantel des Kampfes gegen Revisionismus/Opportunismus – und damit immer in einschüchternder Weise – der Bewegung hingestellt werden, ohne die dahinter liegenden Analysen und Quellen der eigenen Position offenzulegen. Es macht es dadurch äußerst schwer nachvollziebar, worauf die Analysen basieren und welche grundlegenden Annahmen vorausgesetzt sind. Gerade weil wir es mit einer tiefen Krise der kommunistischen Weltbewegung zu tun haben, müssen wir sehr viel Wert darauf legen, genau und nachvollziehbar zu argumentieren. Dabei geht es mir nicht um bürgerlich-akademische Formalitäten, sondern um ganz einfache Regeln der Nachvollziehbarkeit. Auch diese Regeln haben ihren Sinn. Ich werde vor allem in der Auseinandersetzung mit dem Imperialismusverständnis der KKE genauer darauf eingehen.

Wenig produktiv finde ich auch, dass nicht viel Wert gelegt wird auf die Lebendigkeit und Offenheit der Diskussion. Es wurde z.B. die Diskussionen, die es offensichtlich hätte zum Joint-Statement[4] geben können nicht geführt. Ein öffentlich artikuliertes Anliegen der KPRF (Kommunistische Partei der Russischen Föderation) zum Joint Statement gab[5] es, aber leider keine öffentliche Antwort darauf von den Parteien, die das Statement unterschrieben haben. Ich finde nicht, dass die Kritik an falschen Positionen einer Partei im Allgemeinen eine solche Herangehensweise legitimieren. Es geht dabei vor allem darum, dass die Bewegung, die interessierten Kommunisten international, den Austausch der Argumente lesen und beurteilen können. Gerade bei einer so brennenden Frage wäre das meiner Ansicht nach richtig gewesen, eine Antwort auf die Anfrage der KPRF zu geben. 

Mir ist auch klar, dass es für die Organisierung einer Diskussion eine Autorität geben muss, die als Führung anerkannt wird. Die Kommunistische Internationale (KI) wäre das richtige Gremium dafür.  Offensichtlich haben wir diese Instanz nicht mehr und sind uns nicht einmal einig, ob es sie wieder geben soll. Die Organisationen aber, die für den Wiederaufbau der KI streiten, müssten aber doch alles dafür tun, dass die ersten Ansätze in diese Richtung passieren. Die KKE hat diesbzüglich schon einige sehr wichtige Schritte unternommen. Der Prozess der Entstehung einer solchen Führung ist jedoch auch mit einer Kultur der lebendigen Diskussion eng verknüpft. Vor der Entstehung der historischen KI mussten auch einzelne Organisationen und Parteien, aber auch Einzelpersonen die Verantwortung dafür übernehmen, dass die Probleme, Widersprüche und Dissense beim Namen genannt wurden. Leider sehe ich gerade nicht, dass das heute passiert. Ich habe den Eindruck, dass das Reden von Krise der Bewegung eine Art Angst vor einer noch tieferen Krise erzeugt hat und man deswegen Vorsicht walten lassen will. Ich denke aber, dass diese Art Vorsicht nur dem Opportunismus nützt und die Krise vertieft. 

Wir als KO sollten meiner Ansicht nach unsere Aufgabe – gerade jetzt im Aufbau – darin sehen, eine kollektive Kultur wissenschaftlicher Auseinandersetzung und lebendiger, gerne auch sachlich-konfrontativer Diskussion zu schaffen.

Einleitung 

Zielstellung und Aufbau des vorliegenden Textes

Mit dem vorliegenden ersten Aufschlag zu den Fragen Imperialismus und Krieg möchte ich einen kritisch-konstruktiven Beitrag zur Diskussion leisten, der hoffentlich einige Unklarheiten, Einseitigkeiten und Bequemlichkeiten zumindest sichtbar macht. Ich denke nicht, dass wir so schnell zu einer Einigung kommen werden, was die Inhalte und konkreten Einschätzungen angeht. Z.B. die Frage danach, ob der Begriff des Imperialismus noch Weltbeherrschung einiger weniger imperialistischer Staaten über den Rest der Welt bedeutet oder nicht. Nur durch eine disziplinierte und konkrete historisch-materialistische Untersuchung werden wir nach und nach zu Ergebnissen kommen, die dann – this will be the proof of the pudding – die entsprechenden Verallgemeinerungen als richtige oder falsche erweisen. Eine Theorie mit der man in der Praxis nichts anfangen kann, ist eine tote Theorie.

Unklarheiten bestehen viele in unserer Diskussion. Sicherlich gehört dazu, dass wir nicht einmal die Hintergründe, Motivationen und Implikationen der Aussagen der Gegenseite verstehen, kennen und nachvollziehen können. Ich habe mich bemüht etwas besser nachzuvollziehen, wie sich das beim Weltsystem-Ansatz der KKE verhält. Ich habe mich darauf konzentriert, weil ich der Meinung bin, dass wir vor allem dadurch geprägt sind, aber gleichzeitig noch nicht über das Wiederholen der Thesen dieses Ansatzes hinausgewachsen sind. Es mag sein, dass einzelne Genossen mehr über die Quellen und Hintergründe der Debatten der KKE, die zu ihren Beschlüssen bezüglich der Imperialismusfrage geführt haben, wissen. Wenn das der Fall sein sollte, sollten diese Genossen ihre Verantwortung diesbezüglich übernehmen und diese Hintergründe in Artikeln und Beiträgen der Organisation und der Bewegung darlegen.

Die Einseitigkeiten, die ich versuche zu beseitigen, beziehen sich vor allem auf die Anwendung des Wissenschaftlichen Kommunismus. Hier kommt der Bezug auf unsere Klassiker häufig in einer einseitigen Form zum Einsatz. Diese werden als ein Gemischtwarenladen für jede Gelegenheit verwendet und zwar immer nur nach der Seite hin, wie die eigene Position (?) sich am besten „belegen“ lässt. Vielleicht haben wir auch durch unsere Art den Klärungsprozess zu führen, – und dazu habe ich sicherlich auch meinen Beitrag geleistet – einer solchen Herangehensweise Vorschub geleistet. Und zwar indem wir unsere Grundannahmen mit Klassikerzitaten belegt haben. Ich finde dieses Herangehen immer noch richtig, weil es nur die Auseinandersetzung mit den Quellen des „Marxismus-Leninismus“ ist, die uns eine Basis für die Diskussion schafft. Dass daraus aber eine Einseitigkeit entstehen kann, ist eben auch möglich. Diese Einseitigkeit gibt es aber nicht nur bei uns, ich würde sogar sagen, dass sie in der Bewegung sehr weit verbreitet ist. Vielleicht werden wir durch den Akt der Klärung der Fragen, die den gegenwärtigen Krieg betreffen, einen anderen Umgang mit dem historischen Material finden – und dazu gehören eben auch die Ausarbeitungen der Klassiker bzw. die Früchte ihrer Arbeit auf dem Feld des ideologischen Klassenkampfes.

Die Frage der Bequemlichkeit bezieht sich vor allem darauf, dass wir aufhören sollen, den Kampf um die Wahrheit mit der Proklamation feststehender Sätze zu verwechseln. Der Wissenschaftliche Kommunismus ist keine Ansammlung von Lehrsätzen, die ein für allemal auf alle Phänomene der Welt draufgesetzt werden müssen. Wir müssen uns wirklich anstrengen diese – doch sehr einfache und bequeme – Arbeitsweise zu überwinden. Wir müssen lernen aktiv um die historisch-materialistische Analyse der Wirklichkeit zu kämpfen.

Meine Thesen zum gegenwärtigen Krieg und zur internationalen Lage habe ich an den Anfang gestellt, damit die Leser gleich wissen, aus welcher Position heraus ich die weiteren Ausführungen mache. Ich stelle einerseits dar, wie die Widersprüche, die der Kapitalismus in seiner imperialistischen Epoche aufweist, die materielle Grundlage für die Entstehung falscher Vorstellungen und opportunistischer Politik schaffen und andererseits wie aus der Reaktion auf den Opportunismus wiederum neue falsche Vorstellungen entstehen können und wiederum selbst das Potential für opportunistische und zuweilen auch chauvinistische Politik bieten. Die Hauptauseinandersetzung findet in diesem Zusammenhang mit dem für uns relevanten Weltsystem-Ansatz der KKE statt.
Weiterhin werde ich kurz durch die Hauptargumente Lenins zum Ersten Weltkrieg führen und durch seine Ausführungen zu möglichen Fehlern, die aus der Vulgarisierung genau dieser seiner Argumente abgeleitet werden können.

Es sei noch angemerkt, dass ich aufgrund der Kürze der Zeit und anderer Probleme, nicht an allen Punkten die entsprechende Strukturiertheit und Stringenz erreichen konnte, die für eine solche Debatte wichtig wäre. Außerdem konnte ich für diesen vorliegenden Beitrag einige sehr wichtige Fragen, wie z.B. die Frage der Quellen des Imperialismusverständnisses der KKE nur schlaglichtartig angehen. Auf die damit zusammenhängenden Debatten konnte ich leider noch gar nicht eingehen, dafür fehlen mir auch noch die entsprechenden Quellen, die es größtenteils nur auf Griechisch gibt. Ich hoffe, dass auch andere Genossen manch einen Faden, der hier nur angedeutet wird, aufnehmen und sich intensiver mit den aufgeworfenen Fragen beschäftigen werden, so dass wir kollektiv eine bessere Grundlage für unsere Diskussion erarbeiten.

Meine Einschätzung der aktuellen Lage in Thesenform

  • Nachdem Russland seit zirka 2011 (Wendepunkt war der zerstörerische Krieg gegen Libyen) seine strategische Position bezüglich der Weltmachtansprüche der USA und seinen Verbündeten in Richtung einer Einhaltepolitik änderte, ist die USA zunehmend auf eine Strategie der direkten Konfrontation mit Russland eingeschwenkt. Der Vorlauf dieser Entwicklung war geprägt von einer Position der Schwäche Russlands gegenüber den Vorstößen der USA entlang seiner Grenzen, sei es durch NATO-Osterweiterung oder durch die Kriege in West- und Zentralasien. Die Einhaltepolitik Russlands zeigte sich in Syrien zum erstenmal auf einer militärischen Ebene. Als Reaktion auf die Ankündigung Obamas, den Luftraum über Syrien zu schließen, ließ Russland die Schwarzmeerflotte[6] an die libanesische Küste fahren und dort patrouillieren. Bekanntermaßen blieb von den großen Ankündigungen Obamas nichts als heiße Luft: die anvisierte Bombardierung Syriens wurde nicht durchgeführt. Die nächste Station war Ukraine: Russland erkannte schnell oder gerade rechtzeitig, worum es ging als die Maidan-Putschisten sich mit Hilfe der USA und der EU immer stärker aufbauten: es ging um die Schwarzmeerflotte, die beruhend auf einem langen Vertrag mit der Ukraine auf der Krim anlegte, gesichert werden musste. Die von der NATO forcierten politischen Veränderungen in der Ukraine mögen zwar das Ziel, die Flotte von der Krim zu vertreiben oder gar zu konfiszieren, fehlgeschlagen sein, aber die Umwandlung der Ukraine zu einem Frontland der NATO hat – wie wir sehen können -, bestens funktioniert. Es war absehbar, dass Russland nicht wird akzeptieren können, dass die Ukraine an die NATO (in welcher Weise auch immer, ob formal oder de facto) angegliedert wird. Genau das scheint eine der Strategien des US-Imperialismus zu sein, um langfristig Russland militärisch, politisch und ökonomisch auszuschalten[7] bzw. zu ruinieren. Auch wenn Russland es durch diese Einhaltepolitik geschafft hat, den Vorstößen der NATO an bestimmten Punkten zu begegnen, konnte es nicht aus der allgemeinen Defensiv-Position herauskommen. Allen voran die USA haben die Gesamtlage aufgrund ihrer Vormachtstellung unter Kontrolle. 
  • Hintergrund Weltlage: kurzgefasst kann festgestellt werden, dass die USA immer noch eine starke Vormachtstellung gegenüber anderen imperialistischen Ländern haben. Jedoch ist die Akzeptanz dieser Stellung vor allem durch Deutschland und Frankreich immer wieder infrage gestellt worden. China mag zwar ökonomisch aufgeholt haben, aber ist immer noch weit hinter den Erfordernissen einer „weltbeherrschenden“ Stellung. Weder ökonomisch, noch militärisch ist China in diesem Sinne den USA und ihren Verbündeten gewachsen oder kann mit ihnen mithalten. Die Militär- und Sicherheitsausgaben der USA sind im Trillionen-Bereich, die USA haben zirka 800 dauerhafte Militärstützpunkte weltweit und um die 200 000 Soldaten dauerhaft außerhalb ihrer Grenzen im Einsatz – und zwar ohne die Kräfte, die aktiv im Kriegseinsatz sind. China hat, soweit ich informiert bin, einen einzigen Militäreinsatz an der Küste von Dschibuti. Für die USA ist auch zunehmend und im Rahmen ihrer strategischen Orientierung der Absicherung ihrer Vormachtstellung (vor dem Hintergrund ihrer ökonomischen Krisenlage und militärischer Niederlagen) die Absicherung der Position ihrer Verbündeten ein Muss, allen voran Deutschland und Frankreich.
  • Der Ukraine-Krieg erfüllt für die USA zweierlei Funktionen: erstens Kontrolle Deutschlands („Deutschland unten halten“) und zweitens Russland ‚raushalten’[8] (These: raushalten aus dem Club der Räuber!), was heute eher zum Slogan „Russland ruinieren“ geworden ist. Beides scheint zurzeit zu gelingen. Die Frage, ob Russland in eine Falle geraten ist oder eine andere Möglichkeit hatte, als das zu tun, was es jetzt tut, ist gar nicht so schwer zu beantworten: Russland musste meiner Ansicht nach in diese „Falle“ gehen und versucht noch trotz der schlechten Gesamtsituation das Bestmögliche herauszuholen, eine Alternative zum jetzigen militärischen Vorgehen hatte Russland nicht. Für diejenigen, die das nicht verstehen wollen: die Unterwerfung ist keine Alternative und es ist entweder naiv zu glauben, dass ein Land sich wehrlos unterwerfen würde oder es ist reiner Chauvinismus die Unterwerfung als Alternative zu bezeichnen. Ich stelle hier auch die These auf, dass ein Ruin oder eine Unterwerfung Russlands den Lebensinteressen der Arbeiterklasse in Russland widerspricht. 
    Ob es den USA tatsächlich gelungen ist, Deutschland unten zu halten, werden wir noch sehen. Sicherlich ist es gelungen for the time being Deutschland fester im NATO-Bündnis einzubinden. Inwiefern die deutsche Bourgeoisie aber jetzt schon an Optionen arbeitet, sich aus dieser Schlinge zu lösen, kann ich nicht konkret beantworten, aber vermute, dass diesbezüglich eine hohe Aktivität in Gang gesetzt wurde. Ein eigenständiger Weg Deutschlands ist jedoch keineswegs wünschenswert. Auch darauf werde ich weiter unten nochmal eingehen.
  • Russland geht es mitnichten um Märkte, Rohstoffe, Einflussgebiete und Ähnliches in der Ukraine. Diese Sichtweise ist nicht nur verengt, sondern falsch, wenn nicht vulgär. Russland geht es in der Ukraine um Sicherheit. Das heißt nicht, dass es Russland niemals in der Ukraine um andere Dinge gegangen ist oder gehen wird. Das gilt für alle kapitalistischen Länder irgendwie immer. Das treibende Motiv in diesem jetzigen Krieg ist aber das Sicherheitsinteresse Russlands. Wer das nicht erkennt, hat ein Wahrnehmungsproblem, wer das aber nicht anerkennt, hat offensichtlich politische Motive. 
    Ist also dieser Krieg ein imperialistischer Krieg? Diese Frage hängt unter anderem von der Beantwortung der Frage ab, ob Russland ein imperialistisches Land ist. Wie diese Frage beantwortet wird, hängt natürlich davon ab, welche Vorstellung von Imperialismus angewendet wird. Wenn davon ausgegangen wird, dass die Kategorie „imperialistisches Land“ auf mehr oder weniger alle Länder im imperialistischen Weltsystem[9] irgendwie zutrifft, sobald dort ein monopolistisches Stadium in der ökonomischen Entwicklung festzustellen sei, dann ist Russland ein imperialistisches Land. Eine solche Vorstellung würde ich mittlerweile als vulgär-ökonomistisch bezeichnen. Damit wäre aber die Frage nicht beantwortet, ob Russland imperialistisch ist. Dafür müssten wir tatsächlich noch einige Analysen machen und uns auf ein entsprechendes Verständnis von Imperialismus einigen. Wenn man aber davon ausgeht, dass mit dem Adjektiv ‚imperialistisch‘ bezüglich eines Landes / eines Staates die reale polit-ökonomische (das schließt militärisch ein) Potenz zur Beherrschung der Welt gemeint ist, dann ist Russland nicht im Club der Imperialisten dabei. Diese Potenz hängt nämlich nicht einfach nur von ‚Monopolisierung‘ in einem Land ab, sondern vom Grad der Monopolisierung, was sich vor allem in der Stärke des Finanzkapitals und im Kapitalexport ausdrückt und im Verhältnis zu anderen weltbeherrschenden Staaten. Das Entscheidende dabei ist die Stärke. Ein Weizenmonopol ist zwar ein Monopol, aber im Vergleich zum Finanzkapital, das sich in BlackRock sammelt, ziemlich lächerlich und das ist viel wichtiger – ein abhängiges Monopol. 
    Also stelle ich hiermit die These auf: Russland ist nicht im Club der imperialistischen Mächte und soll es aus Sicht der anderen auch nicht sein. Daraus folgt: 
    Erstens: der jetzige Krieg ist ein imperialistischer Krieg gegen Russland. Russland musste zur Verteidigung[10] seiner Sicherheitsinteressen einen großangelegten und risikoreichen Militäreinsatz wagen. Die Sicherheitsinteressen Russlands sind nicht zu trennen von den nationalen Interessen der gesamten russischen Nation und diese wiederum sind nicht zu trennen von den Klasseninteressen des russischen Proletariats. Damit zusammenhängend ist die Zielstellung der „Entmilitarisierung“ und „Entnazifizierung“ der Ukraine. Die militärische Neutralität der Ukraine ist im Interesse der russischen, der ukrainischen und des internationalen Proletariats. Wäre die Ukraine nicht zum Instrument in den Händen der NATO geworden, würde die Krim, genauso wie die Volksrepubliken im Donbass noch zur Ukraine gehören. Es ist völlig klar, dass es der russischen Bourgeoisie nicht um antifaschistische Motive geht, wenn sie von „Entnazifizierung“ sprechen. Aber ganz egal wie sie zum Faschismus allgemein stehen, es ist eine Tatsache, dass es die Faschisten sind, die die Putschregierung seit 2014 stützen. Es ist belegt, dass diese Faschisten durch USA und EU finanziert und ausgerüstet werden. Sie zu beseitigen, kann nur im Interesse der ukrainischen Arbeiterklasse sein, ganz egal, ob es subjektiv von Teilen der Arbeiterklasse – vor allem in der Ukraine so wahrgenommen wird oder nicht. Diese Tatsachen zu übergehen und sie ins Lächerliche zu ziehen, indem man auf Faschisten in Russland oder in der Nähe von Putin verweist, ist ein Zeugnis für die Ignoranz der Situation der Arbeiterklasse in der Ukraine, die seit Jahren unter dem faschistischen Terror leidet.
  • Zu den Volksrepubliken: wir müssen uns zunächst die Frage stellen, ob wir uns genügend mit der Entstehung und der Situation im Donbass beschäftigt haben. Ich habe den Eindruck, dass das nicht der Fall ist. Wenn das so ist, dann sollten wir eine Beurteilung an den Schluss unserer Beschäftigung mit ihnen setzen. Mein bisheriger Stand ist, dass die Volksrepubliken vor allem das Ergebnis eines Massenaufstandes gegen die Faschisten zum Zwecke des Selbstschutzes sind. Wenn das so sein sollte, dann finde ich es mehr als nachvollziehbar, wenn sie sich von der Zentralregierung abkoppeln. Auch war die Zustimmung zur Abtrennung sehr groß. Wie die inneren Entwicklungen innerhalb der Volksrepubliken abgelaufen sind und welchen Einfluss die russische Regierung auf den weiteren Verlauf genommen hat, sollte nicht als Grund für die Beurteilung ihrer Entstehung dienen. Das wiederum steht auf einem anderen Blatt geschrieben und muss gesondert untersucht werden.

Die Positionen und Probleme in der KO und in der Bewegung

Es ist bemerkenswert, worüber wir uns gerade innerhalb der KO die Köpfe zerbrechen: über den Charakter des russischenMilitäreinsatzes in der Ukraine und über die Stellung Russlands in der heutigen Welt. Man hätte durchaus auch erwarten können, dass wir uns darüber den Kopf zerbrechen, welche Rolle dem deutschen Imperialismus, der NATO und speziell den USA zukommt und über entsprechende Parolen und im besten Falle darüber, wie wir gegen die Mobilmachung an der Heimatfront vorgehen wollen. Die Ursachen dieser Zustände innerhalb der KO können von den objektiven Bedingungen nicht abgetrennt werden: 1. Der Stellung des deutschen Imperialismus in der heutigen Welt, die sich unwillkürlich als materielle Gewalt auf unser Bewusstsein auswirken muss und 2. Der tiefen Krise der revolutionären Arbeiterbewegung und mit ihr des Wissenschaftlichen Kommunismus. Die Krise auch einer notwendigen Disziplin (die es nur im Rahmen einer revolutionären internationalen Bewegung geben kann), die wiederum nötig wäre, um uns der Wirkmächtigkeit der eigenen Bourgeoisie, also ihrer Möglichkeit uns mit einer gewissen materiellen Sicherheit und individuellen Planbarkeit unseres Lebens bestechen zu können. Wir müssen uns sehr ernsthaft und selbstkritisch der Frage stellen, warum wir uns mit der aggressiven Außenpolitik unseren Feindes in Afghanistan, Mali, Ukraine, Bosnien und anderen Ländern der Welt nur dann beschäftigen, wenn es wieder mal heiß her geht.

Aber wieder zurück zur gegenwärtigen Auseinandersetzung:

Interessanterweise rumorte es schon in der Organisation vor dem 24. Februar 22, also vor dem Militäreinsatz Russlands, den einige Genossen dann verurteilt haben. Die Stellungnahme der KO vom 24.Januar 22 war zuerst der Anlass für eine Diskussion. Da gab es noch keinen russischen „Angriffskrieg“.  Der Titel der Stellungnahme „Die NATO ist der Aggressor“, aber sicherlich auch der Inhalt, sorgte bei einigen Genossen für Unmut, weil aus ihrer Sicht zu einseitig. Die Rolle des russischen Imperialismus würde nicht genügend Beachtung finden. Auch die darauf folgende Stellungnahme vom 15. Februar 22 würde nicht Russlands aggressive imperialistische Politik benennen. Mit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine fühlten sich nun diejenigen bestätigt, die diese Kritik vorgetragen hatten, weil sie den Einsatz als aggressiven imperialistischen Akt ansehen. Darüber ist nun, seit der Krieg in der Ukraine tobt, in der Organisation eine Diskussion ausgebrochen, die noch nicht die Qualität einer konstruktiven Diskussion erreicht hat. Sie ist genau genommen eine Weiterführung der Diskussion, die wir im Rahmen der Ereignisse in Kasachstan hatten und eine Fortsetzung der Diskussion um die Stellungnahme der KO zum Verlassen der Besatzungstruppen aus Afghanistan.

Auch in der kommunistischen Bewegung jenseits deutscher Grenzen scheinen Meinungsverschiedenheiten zur Einschätzung des Krieges in der Ukraine auf.

Die kommunistische Bewegung spaltet sich in der Frage der Beurteilung des Charakters des russischen Militäreinsatzes genauso wie wir. Die eine Position plädiert für eine klare Verurteilung des Einsatzes, während die andere dafür plädiert, den Einsatz als Akt der Zurückdrängung der Aggression und der Belagerung der Ukraine zu betrachten.

Die sich unter einer gemeinsamen Stellungnahme[11] sammelnden Parteien argumentieren, dass Russland ein imperialistischer Staat sei und deshalb der Krieg in der Ukraine ein Krieg zwischen Imperialisten, bei der die Arbeiterklasse nichts zu gewinnen hätte. Sie warnen davor die Arbeiterklasse weder unter der einen, noch unter der anderen Flagge zu sammeln.

Die andere Position beinhaltet folgende Punkte: die führenden NATO-Länder sind auf ganzer Linie die Aggressoren, Russland handelt aus Gründen der Selbstverteidigung und hier überschneidet sich das Interesse der Arbeiterklasse in Russland zeitweise mit dem Interesse der russischen Bourgeoisie. Die in Deutschland sich hier positionierenden Parteien wie DKP oder KPD konzentrieren sich vor allem auf den Hauptfeind und dessen Kriegspropaganda zur Aufstellung der Heimatfront. Unter all diesen, teilweise sehr unterschiedlichen Parteien mit sonst sehr großen Differenzen, z.B. in der Strategiefrage, ist zumindest keine Partei mit einem Aufruf zum Sammeln unter der Flagge Russlands aufgefallen, aber es scheint trotzdem den Reflex zu geben, davor zu warnen die Arbeiterklasse unter der einen oder anderen Flagge zu sammeln. Mir scheint aber, dass die größere Angst mancher darin besteht, dass die Bewegung sich unter die russische Flagge sammeln könnte, als das, was tatsächlich passiert, nämlich dass sie sich unter der ‚eigenen‘ nationalen Flagge sammelt. 

Die unterschiedlichen Positionen, die sich in der kommunistischen Bewegung und in der KO herauskristallisiert haben, sollten genau bestimmt werden, damit nicht Pappkameraden die Diskussionen beherrschen. Wir haben nichts davon, wenn wir aneinander vorbei diskutieren. Deshalb will ich hier zunächst bestimmen, worum es bei der Diskussion nicht geht und nicht gehen sollte, da es als Dissens meiner Ansicht nach nicht im Raum steht:

  1. Die russische Bourgeoisie verfolgt ihre eigenen Interessen und nicht die Interessen der Arbeiterklasse! In der Diskussion scheint mir niemand, auch nicht die KPRF zu behaupten, dass die Bourgeoisie in Russland in irgendeiner Weise fortschrittlich, klassenneutral, friedliebend oder gar antifaschistisch sei. Das Argument, dass zeitweise (begrenzt auf diesen Militäreinsatz) die Interessen, die die Herrschenden in der Russischen Föderation vertreten, mit den Interessen der Arbeiterklasse sowohl in Russland, als auch in der Ukraine, aber auch weit darüber hinaus (nicht inhaltlich, sondern auch für andere Völker) ineinanderfallen. Die internationale kommunistische Bewegung hat die Pflicht diese Situation im Sinne der Arbeiterklasse zu nutzen!
    Wir sollten die Diskussion also nicht so führen, als müsste jemand (unter uns) überzeugt werden, dass Putin kein Antifa sei oder dass Russlands Regierung keine kapitalistischen Interessen hätte.
  2. In der Diskussion scheint mir noch niemand die Forderung aufgestellt zu haben, dass man sich „unter die Flagge“ einer Kriegspartei stellen sollte. Das zu tun wäre absolut falsch. Mir scheint es allen klar zu sein, dass die Arbeiterklasse einen eigenständigen Standpunkt entwickeln und ihn umsetzen muss. Das Argument, dass der Militäreinsatz Russlands zu befürworten sei, weil es im Interesse der Arbeiterklasse ist, beinhaltet keinesfalls eine vollumfängliche Unterstützung der RF. Im Gegenteil: es beinhaltet sogar eine Kritik an der Halbherzigkeit und am Zuspätkommen des Einsatzes. Für die Diskussion wäre es also sehr hilfreich, wenn nicht der falsche Vorwurf erhoben werden würde, dass sich bestimmte Genossen / Organisationen unter eine „Flagge“ stellen würden, wenn diese argumentieren, welche Interessen die Arbeiterklasse an diesem Krieg haben kann.

Ein weiteres Problem, was ich bei unseren Diskussionen beobachtet habe ist, dass wir die konkreten Aussagen und Anliegen von Genossen nicht im konkreten Zusammenhang und so wie sie gemeint sind, bewerten und kritisieren, sondern mit teilweise völlig abwegigen Verallgemeinerungen oder sagen wir Ablenkungen antworten. Als Beispiel sei hier die Frage der „Destabilisierung“ genannt. Im Zusammenhang der Diskussion (zu den Entwicklungen in Kasachstan) war unmissverständlicherweise mit Destabiliserungsversuchen das gemeint, womit geläufigerweise eine spezielle Methode der USA und ihrer Verbündeten beschrieben wird, die darin besteht Länder zu zerstören oder zu ruinieren, indem man sie durch Stellvertreter, meistens Milizen oder terroristische Gruppen destabilisiert. Darauf zu antworten, dass Kommunisten ja nicht gegen Destabilisierung sein dürfen, ist völlig deplatziert und macht mich wirklich sprachlos. Welchen Beitrag leistet eine solche Antwort auf die Frage, ob Imperialisten ein Land destabilisieren? Sind wir auch für imperialistische Angriffe auf Länder, weil die Arbeiterklasse ja nicht allgemein gegen Krieg ist, sondern ihn sogar in einen Bürgerkrieg gegen die Herrschenden wenden kann? Wie absurd ist das. Im konkreten Fall – Kasachstan – ging es doch darum, dass es Kräfte gibt, die die Proteste der Arbeiterklasse nutzen können, um das ganze Land, wenn nicht sogar die Region zu destabilisieren und dass wenn die Arbeiterklasse selbst nicht stark genug ist, diese Elemente zu kontrollieren, zu neutralisieren und im besten Falle zurückzudrängen, dann überlegen muss, ob ein taktischer Rückzug nicht sinnvoll ist, um die eigenen Kräfte nicht der Repression sinnlos auszuliefern. Es bedarf schon einer großen Distanz zur konkreten Frage, um dann zu sagen, aber wir Kommunisten (wer wir? wir in Deutschland?) wollen doch Destabilisierung, weil wir gegen die Stabilität der Herrschaft sind. Nein. Wir wollen nur dann Destabilisierung, wenn wir diese für uns ausnutzen können. Und das können wir nur, wenn wir dafür entsprechend aufgestellt sind. Die Position gegen die imperialistischen Destabilisierungsversuche widerspricht überhaupt nicht der Position der Befürwortung eines Militäreinsatzes gegen eine Putschregierung mit faschistischen Stützen. Auf einen solchen Widerspruch kommt man nur, wenn man von einer pazifistischen Kritik der Destabilisierung ausgegangen ist. Genauso verhält es sich mit zerstörerischen Kriegen gegen Länder wie Irak, Afghanistan und Syrien, wo jede Form der gesellschaftlichen Struktur vernichtet wurde und Menschen Jahrzehntelang im Kriegszustand leben. Das zu verurteilen widerspricht auch nicht der Zustimmung zu einem Militäreinsatz. Ich meine auch, dass der Einsatz der Russischen Föderation sich sehr von den Kriegen der USA und der NATO unterscheidet. Das erkennt man einerseits an der recht geringen Zahl an zivilen Opfern (und ich vermute viele dieser Opfer sind den faschistischen Truppen zuzuschreiben) und andererseits an der Konzentration auf Schläge gegen militärische Anlagen – Stichwort „Entmilitarisierung“.

Die Probleme der KO und der gesamten Bewegung sind vielfältig. Wir müssen auf der einen Seite erkennen, dass wir viele Schwächen und Mängel haben, auf der anderen Seite aber auch nicht diese als Ausrede für Passivität nehmen. Trotz oder gerade wegen dieser Schwächen muss der Grad der Aktivität gesteigert werden. Es ist die Pflicht und die Verantwortung gerade der Teile der Bewegung, die – wie jetzt schon öfter gesagt – aufgrund ihrer privilegierten Position im Verhältnis zum internationalen Proletariat einem besonderen bewusstseinsmäßigen Einfluss durch die bürgerliche Ideologie ausgesetzt sind und gleichzeitig mehr Mittel und Möglichkeiten haben die Arbeit zu leisten, die anderen Teilen der Arbeiterklasse durch Illegalität und sonstigen Bürden, sehr erschwert wird. Durch Kritik und Selbstkritik und eine ernsthafte und beherzte Aktivität an die Aufgaben heranzugehen, die sich uns stellen.

Imperialismus und Opportunismus

Ich will in diesem Abschnitt auf den Zusammenhang zwischen Imperialismus als die höchste Entwicklungsstufe des Kapitalismus und Opportunismus eingehen. Zunächst einmal aber ein paar Worte zum Imperialismus. Warum hat Lenin eigentlich das Wort Imperialismus benutzt? Er selbst sagt dazu: 

„In den letzten 15-20 Jahren, besonders nach dem Spanisch-Amerikanischen

Krieg (1898) und dem Burenkrieg (1899-1902), verwendet die ökonomische sowie die politische Literatur der Alten und der Neuen Welt immer häufiger den Begriff ‚Imperialismus‘, um die Epoche, in der wir leben, zu charakterisieren.“ (Lenin: LW22/S.199) Er bezieht sich auf J.A. Hobson und dessen Werk Imperialismus, das „eine sehr gute und ausführliche Beschreibung der grundlegenden ökonomischen und politischen Besonderheiten des Imperialismus“ gebe. Lenin übernimmt die Bezeichnung Imperialismus, weil er ihn richtig findet – so denke ich und finde keinen Widerspruch dazu in seiner Imperialismusschrift. Was war mit der Bezeichnung Imperialismus gemeint? Sehr allgemein gesprochen war mit Imperialismus das Streben von Staaten nach Imperien, also großen Weltreichen, heißt Eroberung der Welt gemeint. Imperialismus beschreibt eine Stufe, die der Kapitalismus erreicht hat, die vor allem darin besteht, dass die Großmächte (auch hiervon ist durchgehend in der Imperialismusschrift die Rede) die Welt gewaltsam unterwerfen und aufteilen. Sowohl Hobson, aber auch Hilferding, Luxemburg und mit ihnen in der Sache übereinstimmend auch Lenin, beschreiben mit Imperialismus zunächst einmal ein Phänomen, das sich als Expansionismus, Annexionismus, kriegerische Ausbreitung eines oder mehrerer Mächte darstellt. Es ist also eine Tatsachenbeschreibung. Dieses Phänomen, dass also bestimmte Länder wie eine aggressive Räuberbande über andere Länder und Völker herfallen, sie unterwerfen und in jeglicher Hinsicht – Rohstoffe, Waren- und Kapitalexport, Absatzmarkt, Handelswege …. – ausbeuten und auspressen, hat bestimmte historische Triebkräfte, denen Lenin (auch Hilferding, Luxemburg, Kautsky, aber auch der bürgerliche Hobson) in seiner Imperialismusschrift nachgeht. Wie Lenin selbst schreibt, geht es ihm in der Imperialismusschrift nicht um eine außerordentliche und herausragende Aufdeckung von Dingen, die bis dahin keiner gesehen hat, sondern darum „den Zusammenhang und das Wechselverhältnis der grundlegenden ökonomischen Besonderheiten des Imperialismus in aller Kürze und in möglichst gemeinverständlicher Form darzustellen. Auf die nichtökonomische Seite der Frage werden wir nicht so eingehen können, wie sie es verdienen würde.“ (Lenin: LW22/S.200) Teilweise Hobson und vor allem Hilferding (und bestimmt auch andere, die ich nicht kenne) haben die ökonomischen Grundlagen des Imperialismus, also Konzentration und Zentralisation des Kapitals, daraus hervorgehend das Monopol, die Entstehung des Finanzkapitals durch Verschmelzung von Bank- und Industriekapital und die steigende Bedeutung von Kapitalexport im Vergleich zum Warenexport beschrieben. Was Lenin tatsächlich macht, ist eine pointierte und verständliche Darlegung dieser Erkenntnisse zu liefern und die wesentlichen Triebkräfte, die dieser Entwicklung zugrundeliegen und die Widersprüche, die sich aus ihr ergeben, zu benennen. Darüber hinaus leistet Lenin eine Kritik am Opportunismus, zeigt auf die materielle Grundlage der Entstehung einer bestochenen Schicht innerhalb der Arbeiterklasse in den imperialistischen Ländern, die die materielle Grundlage des Opportunismus bildet und last but not least zeigt er, warum das imperialistische Stadium das letzte Stadium des Kapitalismus sein muss und wie in diesem Stadium schon die materiellen Voraussetzungen für den Sozialismus geschaffen werden. Die Hauptaussagen sind folgende, die ich vor allem von ihrer Widerspruchsseite her darstellen möchte, um damit auch gleich einzusteigen in die Darstellung des Zusammenhangs mit den notwendig falschen Illusionen, die sich aus diesen Widersprüchen ergeben.

Illusionen als Ausdruck der Widersprüche des Imperialismus

Aus dem ersten Stadium des Kapitalismus, dem Konkurrenzkapitalismus, musste unweigerlich der Imperialismus hervorgehen, weil die Kapitalakkumulation zu Konzentration und Zentralisation des Kapitals führt, diese wiederum unweigerlich zum Monopol, dieses unweigerlich zum staatsmonopolistischen Kapitalismus und alles in allem wiederum zu einem Drang zur Expansion und Eroberung für die eigenen nationalen Monopole und also Krieg zwischen den imperialistischen Großmächten. Das Ganze nicht linear als Abfolge einer Entwicklung, sondern als ein Auf und Ab, ein Aufstreben und Zurückfallen und letztlich dennoch immer wieder Durchsetzung der Gesetzmäßigkeiten, so wie hier beschrieben. Also: diese Entwicklung ist nicht aufzuhalten, Kapitalismus führt unweigerlich zum Imperialismus! Es sei eine Illusion zu glauben, dass es die Möglichkeit einer Rückkehr zum ersten Stadium des Kapitalismus geben könne. Damit zusammenhängend eine Illusion zu glauben, dass es einen friedlichen Imperialismus geben könne. In dieser scheinbar chaotischen, aber im Kern gesetzmäßigen Entwicklung sind folgende Widersprüche am Wirken, die ihrerseits wieder notwendig falsches Bewusstsein erzeugen, je nachdem was sie in ihrer Oberfläche an Projektionen bei entsprechend empfänglichen Subjekten erzeugen.

  • Der Widerspruch zwischen Monopol und Nicht-Monopol nimmt zu. Das nicht-monopolistische Kapital wird negiert durch das monopolistische Kapital, also zerstört, verdrängt, einverleibt. Die Zunahme erfolgt durch die immerfort vorantreibende Akkumulation…. Monopol … usw. Hieraus ergibt sich die Illusion, dass nicht-monopolistisches Kapital bzw. deren gesellschaftliche Träger, die nicht-monopolistischen Kapitalisten eine Art, wenn auch nur zeitweise, Interessensüberschneidung mit der Arbeiterklasse gegen das monopolistische Kapital hätten. Aus diesem Widerspruch ergibt sich aber auch die Illusion, dass es ein Supermonopol (und oder eine Supermacht) geben kann, die dann die gesamte Welt beherrscht und damit die inneren Widersprüche (Monopol-Nichtmonopol und Widersprüche zwischenimperialistischen Widersprüche) aufgehoben sind.
  • Der Widerspruch zwischen den imperialistischen Großmächten nimmt zu, da die Welt schon aufgeteilt ist und nur noch durch Gewalt, also Krieg neu aufgeteilt werden kann. Hier ist das Potential der Veränderung, heißt auch Verdrängung alter durch neuer Großmächte gegeben. Die Zunahme (der innerimperialistischen Widersprüche) ist begründet durch voranschreitende Monopolisierungstendenz. Die Welt wird immer enger für die Bedürfnisse des monopolistischen Kapitals. Hieraus ergibt sich die Illusion, dass neue imperialistische Großmächte eine andere Politik machen würden, als die alten Großmächte. Weiterhin lauert die Illusion, Imperialismus sei lediglich Aggression, Annexion, also ‚nur’ durch aggressive Außenpolitik und Expansionismus gekennzeichnet. Ein Fehler, der hier inhaltlich oft mit dieser Illusion einhergeht, ist dass die Politik eines imperialistischen Landes oder allgemeiner noch auf internationaler Ebene von der ökonomischen Grundlage abgetrennt wird. Es wird nicht gesehen, dass die Produktionsverhältnisse es sind, die solche Verhältnisse, im Sinne von Zuständen, also Krieg und so weiter hervorbringen. Im Wort Produktionsverhältnissesteckt ja auch beides drin: Politik und Ökonomie oder Politische Ökonomie. Die Illusion ist, dass es also ohne Aggression im Rahmen der gegebenen Produktionsverhältnisse möglich wäre, eine andere Politik, eine weniger aggressive oder eine sogar friedliche Politik zu betreiben.
  • Der Widerspruch zwischen den aufsteigenden kapitalistischen Ländern und den alten (verfaulenden, weil immer krisenhafteren) alten Großmächten steigt. Dieses Phänomen ist eine Folge der notwendigen Zentralisation und Konzentration des Kapitals – ein Bewegungsgesetz des Kapitals. Diese Prozesse führen zur Monopolisierung des Kapitals auf allen Ebenen (also auch bei allen kapitalistischen Ländern auf unterschiedlichen Entwicklungsstufen). Das Gesetz der ungleichmäßigen Entwicklung kapitalistischer Länder wirkt sich auf die Veränderung der Machtverhältnisse in der Welt aus. Die hierbei erzeugte Illusion ist erstens, dass sich durch den Wechsel der Mächtigen auch die Eigenschaften der Herrschaft, also das Wesen des Kapitalismus wandelt. Zweitens entsteht die Illusion, dass alle Länder zu Imperialisten werden (weil Monopole), nur auf unterschiedlicher Stufe (Pyramide). Die Vorstellung von einer Handvoll weltbeherrschender imperialistischer Staaten wird relativiert bis abgelehnt. Drittens entsteht die falsche Vorstellung, dass es keine nationale Unterdrückung mehr gibt, weil ja alle Länder sich kapitalistisch entwickeln, zwar nicht gleichzeitig, aber nach und nach zu eigenständigen Playern im System werden können.
  • Der Widerspruch zwischen den Großmächten einerseits und den anderen Nationen und Völkern andererseits nimmt zu, da letztere durch erstere negiert werden. Die vielschichtige Ausbeutung der Welt (Ressourcen, Menschen, Märkte …) muss immer größere Ausmaße annehmen, da die Kapitalakkumulation immer wieder an reale Grenzen stößt. Hier lauert die Illusion, dass die Kapitalistenklasse in den unterdrückten Nationen die gleichen Interessen hat wie die Arbeiterklasse dieser Länder. Hier steckt wieder das Potential drin, dass der Imperialismus abgekoppelt wird von der Ökonomie und die aggressive Außenpolitik überbetont wird.
  • Der Widerspruch zwischen der Entwicklung der Produktivkräfte und den Produktionsverhältnissen, der sich letztlich in immer heftigeren Krisen bis hin zur Allgemeinen Krise[12] des Kapitalismus ausdrückt und den Fäulnis-Charakter des Imperialismus als höchste und letzte Stufe des Kapitalismus ausmacht. Dieser Widerspruch zeigt unter anderem die Grenzen der Entwicklung der Großmächte an und die Notwendigkeit der Zerstörung von Kapital vor allem durch Krieg, um durch den Wiederaufbau wieder eine neue Runde der Kapitalakkumulation zu beginnen. Durch Krise und Krieg, aber auch durch das Gesetz der ungleichmäßigen Entwicklung verschiedener Monopole, Branchen, Verbände und Staaten ergibt sich das Potential der Veränderung der Stellung imperialistischer Länder in der jeweiligen historischen Lage. Auch hiermit gehen Illusionen einher: erstens die Illusion, dass mit einer veränderten Weltordnung eine verbesserte Welt einhergehen könnte (siehe oben). Zweitens, dass das Verhältnis zwischen den imperialistischen Großmächten und dem Rest der Welt sich grundsätzlich verändern könnte (siehe auch oben), wenn immer mehr Länder ein bestimmtes kapitalistisches Entwicklungsniveau erreicht haben.
  • Der Widerspruch zwischen der Arbeiteraristokratie und seinem politischen Ausdruck, dem Opportunismus auf der einen Seite und der internationalen revolutionären Arbeiterbewegung auf der anderen Seite nimmt zu. „Der Imperialismus, der die Aufteilung der Welt (…) bedeutet, der monopolistisch hohe Profite für eine Handvoll der reichsten Länder bedeutet, schafft die ökonomische Möglichkeit zur Bestechung der Oberschichten des Proletariats und nährt, formt und festigt dadurch den Opportunismus.“ (Lenin: LW22/S.286) Dieser Widerspruch ist real ein Widerspruch zwischen einem relevanten Teil der Arbeiterklassen der unterdrückenden Länder und dem internationalen Proletariat. Illusionen gehen damit eigentlich nicht einher, außer vielleicht auf Seiten der Arbeiteraristokratie und zwar bezüglich Sozialpartnerschaft, Sozialer Marktwirtschaft und ähnliche Vorstellungen von Klassenversöhnung. Hauptsächlich erzeugt dieser Widerspruch eine Entsolidarisierung bzw. Spaltung innerhalb der internationalen Arbeiterklasse und erzeugt die Politik des Sozialchauvinismus. 

Wir sehen, dass uns die Widersprüche, die sich in der imperialistischen Entwicklungsstufe des Kapitalismus vertiefen, viele potentielle Illusionsfallen bieten. Der Opportunismus entwickelt sich entlang dieser Illusionen, aber ist nicht lediglich ein Fehler im Denken. Er ist auch nicht einfach gleichzusetzen mit einem falschen Erklärungsansatz. Illusionen bieten den fruchtbaren Boden auf dem der Opportunismus als „Alternative“ zur revolutionären Orientierung gedeihen kann. Das treibende Motiv bzw. das Subjekt des Opportunismus selbst hat eine materielle Grundlage: entweder ist sie in der Arbeiteraristokratie als Agent der imperialistischen Großmächte, im Kleinbürgertum oder in den Kapitalistenklassen sowohl der unterdrückenden, als auch der unterdrückten Länder zu finden. Es ist kaum anders vorstellbar, als dass sich der Opportunismus mit dem Imperialismus entwickeln muss. So haben wir es heute in einem sich seit über 120 Jahren entwickelnden Imperialismus mit immer wieder neuen Erscheinungsformen des Opportunismus zu tun. Diesen sollten wir auf die Spur gehen, wollen wir den revolutionären Pfad der internationalen Arbeiterbewegung wieder aufnehmen. Der Kampf gegen Opportunismus aber selbst kann auch zu falschen, weil einseitigen Antworten führen. 

Lenins Vorstellung vom Imperialismus 

Bevor wir uns aber diese Erscheinungsformen in Erinnerung rufen und manche neuere Phänomene genauer anschauen, möchte ich an dieser Stelle noch das Bild, das uns Lenin in seiner Schrift hinterlassen hat, nochmal deutlich vor Augen führen:

Der Imperialismus ist eine Stufe der Entwicklung des Kapitalismus, in der es vor allem um Weltherrschaft oder sagen wir Beherrschung der Welt geht. Dieses Bild beinhaltet konstitutiv, dass es eine Welt ist, wo auf der einen Seite die „Handvoll Räuber“ und auf der anderen Seite „die Beraubten“, auf der einen Seite „die unterdrückenden“, auf der anderen Seite „die Unterdrückten“ stehen. Wenn dieses Bild nicht mehr stimmen soll, dann handelt es sich genau genommen nicht mehr um Imperialismus. Diese Form der Abänderung der Leninschen Vorstellung wird weiter unten meine Hauptbeachtung finden, da die anderen opportunistischen Vorstellungen erstens bekannt, zweitens für uns nicht so relevant sind. Drittens aber, weil ich diese Auflösung des Imperialismusbegriffs und die Beschreibung dessen als eine Welt der gegenseitigen Abhängigkeiten aus zwei Gründen für besonders gefährlich halte: erstens weil sie als Kritik des Opportunismus und damit als revolutionär oder sagen wir besonders radikal erscheint, zweitens weil sie de facto die Seite der imperialistischen Großmächte stärkt.

Lenin bietet uns eine Kurzdefinition, trotz und im Bewusstsein aller berechtigten Wenns und Abers, die Graustufen und Zwischenstufen, die eine solche Definition notwendig auslassen muss:

„Würde eine möglichst kurze Definition des Imperialismus verlangt, so müsste man sagen, daß der Imperialismus das monopolistische Stadium des Kapitalismus ist. Eine solche Definition enthielte die Hauptsache, denn auf der einen Seite ist das Finanzkapital das Bankkapital einiger weniger monopolistischer Großbanken, das mit dem Kapital monopolistischer Industriellenverbände verschmolzen ist, und auf der anderen Seite ist die Aufteilung der Welt der Übergang von einer Kolonialpolitik, die sich ungehindert auf noch von keiner kapitalistischen Macht eroberte Gebiete ausdehnt, zu einer Kolonialpolitik der monopolistischen Beherrschung des Territoriums der restlos aufgeteilten Erde.“ (Lenin: LW 22/ S.270)

Das „monopolistische“ Stadium ist in der Hauptsache die Existenz des Finanzkapitals einiger weniger und die Beherrschung der restlos aufgeteilten Welt durch eben dieses Finanzkapital bzw. ihrer monopolistischen Träger. Es geht nicht um die allgemeine Feststellung, dass Kapital zum Monopol oder Kapitalismus zur Monopolisierung tendiert. Das tut es. Den Imperialismus aber macht die Beherrschung der Welt durch wenige und durch bestimmte Monopole aus. Wir kommen noch darauf zurück, wenn wir weiter unten die Auflösung dieses Imperialismusbegriffs anschauen und wenn wir zur aktuellen Weltlage kommen.

Erscheinungsformen des Opportunismus

Im Folgenden werde ich zunächst auf die Hauptformen des Opportunismus in der Imperialismusfrage eingehen. Diese aufzuzeigen, halte ich für relevant, da sonst in der Diskussion die Vorstellung entsteht, dass diese nicht bekannt oder nicht durchdrungen seien. Zusätzlich halte ich diese Darstellung auch deshalb für relevant, um diese anderen Erscheinungsformen mindestens in Erinnerung zu rufen, weil der Weltsystemansatz als eine Reaktion auf andere opportunistische Vorstellungen in der Imperialismusfrage auftritt. Sicherlich wird diese Darstellung nicht ausreichen, um die hier dargelegten Illusionen und die opportunistische Politik, die damit einhergeht, zu durchdringen, aber für unsere Diskussion ist es wichtig, dass sie bekannt sind.

Illusionen eines friedlichen oder besseren Kapitalismus

Interessanterweise tritt die Vorstellung von einer friedlicheren Welt unter dem Kapitalismus je nach aktueller Weltlage, gerade in zwei sehr entgegengesetzten Formen in Erscheinung. Kautsky noch träumte von einem Überimperialismus, in der durch ein Übereinkommen verschiedener großer Imperialisten, eine Art ‚Ultraimperialismus’, eine nicht-kriegerische Form der Beherrschung der Welt möglich wäre. Die Realität beweist uns gerade das genaue Gegenteil. Der US-Imperialismus wütet seit Jahrzehnten und hat alle Hände voll mit Versuchen der kriegerischen Unterwerfung Anderer zu tun. Kautsky formulierte seine Vorstellungen in einer Zeit, in der sich gerade relativ gleich starke oder erstarkende imperialistische Großmächte gegenseitig den Garaus machten. Heute, wo sich vor unseren Augen eine immer noch gigantische Übermacht eines einzelnen Imperialisten zeigt, tritt die Illusion einer friedlichen Welt in der Vorstellung einer möglicherweise multipolaren Weltordnung zutage. An dieser Stelle muss man jedoch aufpassen und das sollten wir auch in den kommenden Auseinandersetzungen tun: nicht alle, die meinen, dass eine multipolare Weltordnung eine bessere Ausgangslage für die Kämpfe der Arbeiterklasse bietet, verbinden damit Illusionen einer friedlicheren Welt, sondern sehen darin Spielräume für Kämpfe der Arbeiterklasse weltweit und /oder für nationale Befreiungskämpfe. In einem Interview mit Rania Khalek z.B. erklärt Prabhat Patnaik seine Vorstellungen in diesem Sinne.[13] Welche Akteure in der Bewegung gerade überhaupt die Illusion einer potentiell friedlicheren multipolaren Weltordnung vertreten, muss man sich, wenn man die Sache ernst nimmt, genauer anschauen und auch prüfen, ob diese Akteure ihre Positionen in den letzten Jahren verändert bzw. modifiziert haben oder nicht. Mir scheint jedenfalls, dass in Teilen der Bewegung, aber auch bei uns, der wirkliche Nachweis einer solchen Position scheinbar nicht mehr als nötig erachtet wird. Die aktuelle Position der Marxistischen Linken (MaLi) zum Krieg in der Ukraine ließe sich in diese Richtung interpretieren[14], ebenso die Positionen der Freidenker[15].

Uns interessieren solche Illusionen als einseitige Spiegelung der Wirklichkeit, als falscher Schein aber ja nicht nur deshalb, weil wir ihre Träger und den Kontext der Illusion besser verstehen wollen. Vielmehr entspricht einer solchen Illusion eben auch eine Politik, die als mögliche Alternative einerseits zum angeblich radikaleren Kapitalismus (hier z.B. Keynesianismus versus Liberalismus), andererseits zur radikalen Umwälzung der kapitalistischen Verhältnisse angeboten wird. Das ist der Reformismus, also Opportunismus, der uns im revolutionären Kampf im Wege steht. Der Ultraimperialismus-Illusion entspricht der Kampf für eine Politikreform, die sich offensichtlich an den starken Imperialismus wendet. Mit der Vorstellung einer friedlicheren multipolaren Weltordnung geht die Politik von mehr Verträgen, mehr Bündnispolitik, mehr Regulierung einher. Je nachdem, welche Politik gerade für welchen Imperialisten eben opportuner ist. Für einen Imperialisten, der gerade nach Weltmacht strebt, ist es durchaus opportun eine Politik des Friedens für die Welt zu verkünden. Für einen Imperialisten, der die Vormachtstellung eines anderen Imperialisten gerade infrage stellt, ist es opportuner eine multipolare Weltordnung als friedliche Alternative zu propagieren. 

Ein Kapitalismus ohne imperialistische Politik ist aber nicht möglich! Die Illusion, dass das doch möglich sei, ist die Quelle opportunistischer Politik, der die Arbeiterklasse auf eine vermeintliche ‚friedliche‘ Politik der Kapitalistenklasse vor allem in den imperialistischen Ländern orientiert. Das ist eine Irreführung par excellence, denn eine solche friedliche Politik kann es nicht auf einer grundsätzlichen Ebene[16] geben. Und hier ist die richtige Kritik am falschen Bewusstsein: eine grundsätzlich friedliche Perspektive kann es unter dem Imperialismus nicht geben! Die allgemein richtige politische Schlussfolgerung muss sein: eine eigenständige politische Perspektive der Arbeiterklasse zu entwickeln, die sich in einer revolutionären Strategie und Taktik ausdrückt. Eine Orientierung, die grundsätzlich die richtige Richtung anzeigt. 

Warum betone ich hier so sehr das Wort ‚grundsätzlich‘? Weil es noch etwas anderes als grundsätzlich gibt, dass für den Kampf äußerst relevant ist und das ist die konkrete Bewegung der Geschichte. Diese Wirklichkeit ist voll von Widersprüchen und voller Ausnahmen. Die Erkenntnis des Verhältnisses zwischen allgemeinen Bewegungsgesetzen, also über das Wesen des Systems Kapitalismus und dessen konkreter Erscheinung in unseren täglichen Auseinandersetzungen mit ihr, ergibt zusammen die wirkliche Erfassung und damit die Möglichkeit wirksame Kampfmethoden für die Realität zu entwickeln. Deshalb brauchen wir eine einheitliche Strategie und Taktik. Wenn die Welt sich linear entwickeln würde, würden wir lediglich eine richtige Strategie brauchen. So ist es aber nicht. Deshalb sind wir in der Praxis aufgeschmissen, weil uns die taktischen Manöver, die taktische Ausnutzung von Gelegenheiten fehlen. 

Nur die eine Seite zu betonen, also entweder die allgemeine oder die konkrete, führt zu falschen Schlussfolgerungen, zu Illusionen, zu einer falschen Politik. Eine falsche Politik ist aber nichts anderes als eine schlechte Politik für das Proletariat und schlechte Politik für das Proletariat ist ausnahmslos eine gute Politik für die Kapitalistenklasse, und das völlig unabhängig vom Willen, von den Absichten und vom Bewusstsein derjenigen, die diese Politik machen. Auch die radikalste Erscheinung antikapitalistischer Politik und Kritik, kann vom Klassengegner für die eigene Sache ausgeschlachtet und genutzt werden. Worin sonst liegt unser Verständnis vom Wesen des linken Opportunismus? Es ist mal wieder nötig, dass wir eine Schau über den linken Opportunismus in der heutigen Bewegung machen. Das kann ich hier nicht leisten, aber vielleicht fühlen sich ja Genossen der KO oder auch andere dazu angestiftet, dazu zu arbeiten.

Imperialismus als reiner Expansionismus oder als aggressive Außenpolitik

Meistens geht die Vorstellung, Imperialismus sei dann gegeben, wenn es sich um expansionistische oder aggressive Außenpolitik handele, einher mit der faktischen Loslösung der Politik von der Ökonomie. Was mit den bisherigen Ausführungen klar geworden sein sollte ist, dass es natürlich kein Imperialismus ohne Expansionismus und ohne eine aggressive Außenpolitik geben kann. 

Die absurdesten Erscheinungsformen dieses Opportunismus sind in der „Sozialimperialismus-These“ zu finden. Trotzkismus und Maoismus sind vereint in dieser opportunistisch-konterrevolutionären Sichtweise, die sich gegen die Sowjetunion richtete. Völlig unabhängig davon, ob die Politik der Sowjetunion in Bezug auf andere Länder, ob kapitalistische oder sozialistische Länder, aus Sicht des internationalen Proletariats kritikwürdig ist oder nicht, ist es falsch diese Politik als ‚imperialistisch‘ zu bezeichnen. Die Einflussnahme und sogar Beherrschung anderer Länder durch ein sozialistisches Land sind nicht gleichzusetzen mit der Außenpolitik eines imperialistischen Landes. Dabei können sogar die gleichen Mittel zum Einsatz kommen. Der Inhalt, die Zielstellung und der Gesamtzusammenhang der Außenpolitik ist eine ganz andere und muss eine ganz andere, wenn nicht sogar eine gegenteilige Politik sein. Eine solche opportunistische Sichtweise, die auch beinhaltet, dass es sich bei der Sowjetunion nicht um ein sozialistisches Land gehandelt habe, ist nur möglich, wenn die ökonomische Basis, die Produktionsverhältnisse und damit die Machtverhältnisse in einem Land, völlig außer Acht gelassen werden. Um falschen Reaktionen vorzubeugen: das hier Gesagte bedeutet nicht, dass die Politik im Sozialismus nicht eine wesentliche Rolle spielt und gerade im Ringen um eine wirkliche Arbeitermacht spielen muss. Es sagt nur aus, dass die Ökonomie nicht völlig außer Acht gelassen werden kann. Eine Einschätzung der falschen und richtigen Analyse der konkreten sozialistischen Versuche kann und soll auch nicht an dieser Stelle geleistet werden. Hier soll es reichen auf eine der Formen des Opportunismus hinzuweisen, die Imperialismus auf aggressive Außenpolitik reduzieren.

Es ist jedenfalls überhaupt nicht überraschend, dass die allermeisten trotzkistischen und maoistischen Parteien und Organisationen im gegenwärtigen Krieg, aber auch in Syrien, sehr schnell die äquidistante Position eingenommen haben, dieser Krieg würde von zwei imperialistischen Seiten geführt. Offensichtlich musste weder viel nachgedacht, noch analysiert werden: das Konkrete interessiert hier nicht, es wird mit der allgemeinen Schablone gearbeitet, wenn Staaten aggressive Außenpolitik machen (z.B. eine militärische Offensive starten), dann ist das imperialistisch. Punkt. Welche Inhalte aber transportiert werden und wie die Arbeiterklasse orientiert wird, das steht auf einem anderen Blatt.

Auch autonome und anarchistische Gruppen neigen häufig zu solchen unzulässigen Schlüssen und Verallgemeinerungen, die häufig eine moralische Komponente haben und mit dieser Komponente wären wir auch schon bei den relevanteren Akteuren, die eher in der Friedensbewegung, also im Pazifismus anzutreffen sind und häufig überhaupt nichts mit proletarischer Revolution im Sinn haben, geschweige denn mit dem Proletariat zu tun haben. Ich werde jetzt auch hier keine Bewegungsschau machen können, will aber betonen, dass es unabdingbar ist eine solche Analyse der Bewegung zu leisten.

Imperialismus als Alleinherrschaft eines Imperiums

Hier sind verschiedene Sichtweisen zu unterscheiden. Die Vorstellung, dass es eine absolute Alleinherrschaft eines Imperiums gäbe, ist in dieser Extremform abzugrenzen von der allgemeinen und meiner Ansicht nach auch nicht falschen Darstellung des derzeitigen Imperialismus als unipolare Herrschaft. Dabei ist klar, dass mit dem Imperium die USA gemeint ist. Die Vorstellungen von dieser Alleinherrschaft unterscheiden sich, wenn auch durch Nuancen. Aus ihnen folgen häufig ähnliche politische Schlussfolgerungen, die die Arbeiterklasse in die Irre führen können.
Wenn Alleinherrschaft so gemeint ist, dass alle anderen imperialistischen Großmächte aufgrund ihrer relativen Schwäche gegenüber dem US-Imperialismus nichts als Vasallen der USA sind, dann geht damit die Illusion einher, dass es in Deutschland, Frankreich und anderen imperialistischen Großmächten um eine nationale Befreiung gegenüber dem US-Imperialismus gehen müsse[17]. Diese Vorstellung kann natürlich auch etwas abgemilderter auftauchen, wie vor Kurzem z.B. bei Vijay Prashad in einem Seminar des International People’s Assembly[18], wo er dem deutschen Imperialismus riet, eine eigenständige Außenpolitik zu betreiben und sich nicht zum Handlanger der USA machen zu lassen. Es ist wahrscheinlich unnötig zu sagen, welche Illusionen damit einhergehen können und welche fatale Politik daraus folgen würde. Ich sage es der Vollständigkeit halber trotzdem: die Illusion, dass die eigene Bourgeoisie in einem imperialistischen Land wie Deutschland, aufgrund seiner Stellung zum US-Imperialismus im Rahmen einer nationalen Befreiung vom Joch der USA ein Partner der Arbeiterklasse sein könnte. Überhaupt, dass eine eigenständige Politik Deutschlands in irgendeiner Weise besser für die deutsche und/oder internationale Arbeiterklasse wäre, ist naiv und gefährlich. Warum? Weil der deutsche Imperialismus durch seine ökonomische Potenz bei gleichzeitiger und gerade aufgrund seines politischen Hinterherhinkens hinter den anderen imperialistischen Räubern, genau diese Tendenz aufweist, einen eigenständigen Weg gehen zu wollen. Eine Eigenständigkeit, deren Aggression wir in der Geschichte schon gesehen haben. Die Möglichkeit, dass die deutsche Bourgeoisie diese Option an irgendeinem Punkt wieder ins Auge fasst, ist gegeben und real. Die Arbeiterklasse in Deutschland in welcher Weise und mit welchen Begründungen auch immer auf eine Politik der Eigenständigkeit des deutschen Imperialismus vorzubereiten, heißt die Arbeiterklasse in fataler Weise auf einen Pfad der wiederholten Aggression gegenüber anderen Ländern, heißt sie als Fußtruppe einer reaktionären Sammlungsbewegung genau für diese Option der eigenen Bourgeoisie zu bringen.

Auch bei der Sichtweise, die zwar keine absolute, aber eine starke Abhängigkeit der anderen imperialistischen Länder von den USA beinhaltet (was an sich nicht falsch sein muss), wird häufig die relative Eigenständigkeit und die real vorhandene materielle Basis (ökonomische und / oder politische, vor allem militärische Stärke) dieser Eigenständigkeit bei den entsprechenden Ländern unterschätzt. 

Es liegt auf der Hand, welche Politik sich aus einer solchen Sichtweise ergeben kann: eine Politik der Klassenversöhnung mit dem Klassengegner, eine Burgfriedenpolitik. Die Frage, die sich für Kommunisten stellen muss, ist erstens zu erkennen, was die real wirkenden Erscheinungen und mit ihnen die Widersprüche sind, die solche Sichtweisen produzieren, zweitens welche Klassenpolitik der strategischen Orientierung auf Umsturz der eigenen Bourgeoisie dient. Erstens also zu erkennen, dass es in einer historischen Phase, in der ein imperialistischer Räuberstaat eine immense Vormachtstellung hat, es darauf ankommt korrekt zu bestimmen in welchem Verhältnis der eigene Staat zu diesem Alpha-Räuber und zum Rest der Welt steht. Zweitens heißt das entsprechend der Stellung des eigenen Imperialisten Taktiken zu überlegen, welche Politik zur dauerhaften und nachhaltigen Schwächung und im besten Falle Spaltung der herrschenden Klasse führt. Was im Falle Deutschlands hieße, zu verhindern, dass es der Bourgeoisie gelingt eine Sammlungsbewegung für eine eigenständige aggressive Außenpolitik aufzubauen, hieße für Russland potentiell die Bourgeoisie zu ‚zwingen‘ bzw. je nach Stärke der Arbeiterklasse dazu zu drängen, eine eher nationale Eigenständigkeit zu verfolgen und noch mehr das eigene militärische Potential für die Unterstützung anderer Länder und Arbeiterklassen zum Einsatz zu bringen. Wir sehen wie der proletarische Internationalismus hier funktionieren würde: eine einheitliche Politik der internationalen Arbeiterklasse gegenüber Russland, die im Kern eine Unterstützung des Militäreinsatzes gegen die Faschisten in der Ukraine beinhaltete, aber auch eine solche Position z.B. bezüglich Westasien und Afrika[19] vertreten und praktizieren würde. Wäre das nicht etwa auch eine Politik der Klassenversöhnung? Möglicherweise ja. Genau das müssten wir Kommunisten verhindern: dass eine im Sinne der revolutionären Strategie, richtige taktische – vielleicht sogar über eine längere Phase anhaltende Orientierung – nicht in Klassenversöhnung umschlägt. Sich aber auf Phrasen auszuruhen, nur noch die richtige Zielstellung (Sozialismus) und einen allgemeinen Plan (Strategie) zu haben (?), sich aber nicht in Kämpfe werfen wollen, weil sie die Gefahr bergen, Fehler machen zu können, das ist eine von vornherein falsche Politik, weil sie die Klasse in den konkreten Abläufen dem Einfluss des Gegners überlässt.

Ein hierarchisches Weltsystem gegenseitiger Abhängigkeit

Wie oben schon gesagt, werde ich mich vor allem mit dem Weltsystem-Ansatz der KKE befassen, weil ich glaube, dass dieser Ansatz für unsere Diskussion in der KO, aber auch als ein wichtiger Pol innerhalb der kommunistischen Bewegung relevant ist.

Leider ist es nun nicht so, dass mir ein systematisches Werk mit nachvollziehbaren Belegen und Bezugspunkten, einschließlich der Genese der Position der KKE vorliegt. Ich kenne tatsächlich nur die Quellen, die ich hier anführen werde. 

Eine Quelle, die auch bei uns in der Organisation und auch vor der Konstituierung der KO, eine wichtige Rolle gespielt hat, ist ein Artikel von der Genossin Aleka Papariga[20] aus dem Jahre 2013, der auf der englischen Website der KKE als ein Beitrag für die theoretische Zeitschrift der KP Mexiko ausgewiesen wird. In diesem Artikel erwähnt Papariga, dass die Einschätzung, die sie hier darlegen wird, auf Beschlüssen des 15.Parteitages der KKE aus dem Jahre 1996 beruht. Leider ist es nicht möglich, auf der Website des theoretischen Organs der KKE (www.komep.gr) bis zu dieser Zeit zu recherchieren, um die Hintergründe und möglichen Diskussionen, die ja stattgefunden haben müssen, nachvollziehen zu können. Das Archiv geht nur bis zum Jahr 2001. Tatsächlich wäre es aber sehr wichtig, die Quellen und die Genese der Debatte um diesen Beschluss besser nachvollziehen zu können. Das würde es uns und in diesem Fall mir erleichtern, besser zu verstehen, woher die Vorstellungen und Analysen genommen wurden bzw. werden.

Da ich aber keinen Zugang dazu hatte, muss ich mich an dem wenigen Wissen und Informationen halten, die mir zur Verfügung stehen, um diese Sichtweise zu verstehen. Was steht mir noch zur Verfügung? Vor allem drei weitere Texte aus der Komep, auf die ich weiter unten eingehen werde. Ich denke, dass wir in der nächsten Zeit versuchen sollten, mehr Quellen zu finden, die uns die Einschätzungen besser darlegen. Des Weiteren stehen mir natürlich die Beschlüsse des Parteitages (bzw. der Parteitage) und die Stellungnahmen der KKE zur Verfügung.

Der historische Kontext der Entstehung dieser Einschätzung der KKE auf ihrem 15.Parteitag ist der Kampf innerhalb der Partei gegen den Opportunismus. Bekanntlich wurden Anfang der Neunziger (zwischen 1991-1996) in der KKE harte Kämpfe zwischen dem rechten Opportunismus und dem revolutionären Flügel geführt, die letztendlich vom revolutionären Teil für sich entschieden wurden[21]. Der Kampf gegen den rechten Opportunismus beinhaltete vor allem den Kampf gegen die Sozialpartnerschaft, gegen Bündnisse mit der eigenen Bourgeoise, gegen die Vorstellung von Etappen zum Sozialismus, die über eine Etappe der antimonopolistischen Demokratie führten. Dieser Kampf gegen den rechten Opportunismus ist nicht durch den Sieg in der KKE beendet worden, sondern wurde und wird bis heute in der Bewegung sowohl in Griechenland, als auch international weitergeführt, was im Artikel von Aleka Papariga deutlich herauszulesen ist. Leider wird im Artikel nicht konkret benannt, welche Akteure und Wortführer hier konkret gemeint sind, so dass der Leser sich ein genaues Bild über die Positionen dieser Protagonisten machen kann. Zuweilen macht es den Eindruck, dass sehr unterschiedliche Akteure gemeint sind. Das Spektrum scheint von nationalistischen bis bürgerlich-liberalen Sozialdemokraten bis linksradikale und Kommunisten zu umfassen. Das macht die Nachvollziehbarkeit auch schwierig.

Die Pyramide – das Weltsystem gegenseitiger Abhängigkeiten

Worum geht es aber im Text der Genossin Papariga vor allem und in welcher Weise ist er – nicht nur für uns -, sondern auch in anderen Teilen der Bewegung ein Bezugspunkt geworden?

Hauptsächlich geht es im Artikel darum, opportunistische Positionen zurückzudrängen, die eine Zusammenarbeit mit der eigenen nationalen Bourgeoisie mit einer (ökonomischen) Abhängigkeit von starken imperialistischen Ländern begründen. In der Hauptsache argumentiert Papariga, dass diese falsche Politik aus einem falschen Verständnis des Imperialismus erwächst, die die politischen Verhältnisse, die Klassenverhältnisse von der ökonomischen Basis ablöst. Diese falsche Vorstellung würde nur die starken imperialistischen Länder als imperialistisch ansehen und nicht erkennen, dass Imperialismus nicht ein Charakteristikum eines Landes, sondern eines Systems sei, indem bestimmte ökonomische Gesetzmäßigkeiten, wie z.B. Monopolisierung, alle Länder in diesem System erfassen und entsprechend Klassenverhältnisse produzieren. Außerdem würden die Opportunisten die Dynamik im System und damit das Gesetz der ungleichmäßigen Entwicklung nicht erkennen oder anerkennen und gingen davon aus, dass Machtverhältnisse statisch seien. Im Zuge der Entfaltung ihrer Argumente verwirft sie einerseits die Vorstellung, dass der Imperialismus dadurch gekennzeichnet sei, dass eine Handvoll Räuber einerseits den Rest der Welt unterdrücken bzw. von sich abhängig machen würden und andererseits entwirft sie das Bild der Pyramide, das der Hierarchie im System, das sich vor allem in Abhängigkeiten ausdrückt, Rechnung tragen soll. Diese Abhängigkeiten aber seien nicht einseitig, sondern gegenseitig. Vor allem in Bezug auf Griechenland zeigt Papariga auf, dass falsche Vorstellungen von Abhängigkeit zu einer Politik der Klassenversöhnung führen und die strategische Orientierung auf die sozialistische Revolution aufgegeben wird.

Ein Bezugspunkt in unserer Entwicklung war diese Position vor allem hinsichtlich der Frage der strategischen Orientierung z.B. auf Bündnisse mit Teilen der Bourgeoisie, die wir in der Strategie der Antimonopolistischen Demokratie in der DKP kritisiert hatten.

Die nach Papariga falsche Vorstellung der Abhängigkeitsverhältnisse beschreibt sie wie folgt:

„Sie verwenden willkürlich die Einschätzung von Lenin in seinem bekannten Werk IMPERIALISMUS DIE HÖCHSTE STUFE DES KAPITALISMUS, dass eine Handvoll, eine sehr kleine Anzahl von Staaten die große Mehrheit der Staaten auf der ganzen Welt ausplündert. Als Konsequenz wird der Imperialismus mit einer sehr kleinen Anzahl von Ländern identifiziert, die an einer Hand abgezählt werden können, während alle anderen untergeordnete, unterdrückte Kolonien sind, besetzt aufgrund ihrer Unterwürfigkeit gegenüber dem liberalen Standpunkt.“[22]

In mehrfacher Hinsicht sind diese Aussagen kritikwürdig. Erstens, weil sie nicht belegt – und meiner Ansicht nach auch nicht wird belegen können -, dass diese konkrete Aussage, die sie hier kritisiert, – also Handvoll Räuber beuten die Welt aus – eine Verfälschung der Leninschen Auffassung von Imperialismus sei. Zweitens ist die übertreibende Aussage, dass die von ihr kritisierten Positionen (ausnahmslos?) behaupten würden, auf der Seite der abhängigen Länder seien nur „unterdrückte Kolonien“. Das müsste man erst einmal nachweisen. Es gibt sicherlich in der Bewegung solche Ansichten, keine Zweifel. Aber wer behauptet konkret, dass Abhängigkeit heute überhaupt, hauptsächlich oder in vielen Fällen die Form der Kolonisierung annimmt? Sind solche Positionen nicht meistens Positionen von reaktionären Kräften, die auf demagogischer Weise die Bezeichnung „Kolonisierung“ verwenden? Vielmehr noch: es wird suggeriert, dass die anderen die These aufstellen würden, dass es sich dabei sogar um Besatzung handeln würde. Wie gesagt: das ist durchaus möglich. Aber wie relevant und ernst zu nehmen sind solche Positionen? 

Wir werden gleich noch genauer darauf eingehen, wie die Vorstellungen der KKE vom Imperialismus als ein System gegenseitiger Abhängigkeiten sehr grundsätzlich den Vorstellungen Lenins widersprechen. Hier sei nur in Bezug auf die Darstellung der Gegenposition gesagt, dass es sich an diesem Zitat sehr gut zeigen lässt, warum es Sinn machen würde, die anderen Positionen, die man kritisieren möchte, konkret zu benennen. Die hier kritisierte Vorstellung erinnert mich vor allem an neofaschistische Argumentationen aus Griechenland (ähnliche Positionen gibt es wie ich meine, auch in anderen Ländern wie z.B. Polen), die z.B. von einer Kolonisierung und Besatzung Griechenlands sprechen. Vorstellbar ist auch, dass solche Positionen tatsächlich im linken bis kommunistischen Spektrum zu finden wären, aber sind diese die Hauptprotagonisten? Beinhalten aber nicht die allermeisten Argumente eher, dass Griechenland in immer größere Abhängigkeit gerät? Wird das nicht mit der Verschuldung und dem Diktat der Troika begründet? Müsste man nicht genauer darauf eingehen, worin möglicherweise diese Abhängigkeit tatsächlich besteht und worin nicht? Genossin Papariga geht weiter unten im Text auf die Frage der Abhängigkeit Griechenlands etwas mehr ein. 

Ihr Hauptargument ist aber nicht die Nicht-Abhängigkeit, sondern dass die griechische Bourgeoisie Vorteile aus der Gesamtstruktur bzw. aus dem System schlägt. Die Frage der Abhängigkeit ist aber nicht mit der Tatsache, dass die herrschenden Klassen daraus oder trotz der Abhängigkeiten Vorteile ziehen, ausreichend beantwortet. Im Rahmen der weiteren Auseinandersetzung müssten genau solche Fragen viel intensiver behandelt und diskutiert werden. Das kann ich und möchte ich an dieser Stelle nicht leisten, weil sonst der rote Faden meiner Argumentation verloren gehen würde[23].

Gehen wir deshalb der Frage nach, wie die Vorstellungen vom ‚imperialistischen‘ Weltsystem sind:

„Die Abhängigkeit und Interdependenz der Volkswirtschaften sind natürlich nicht gleich und werden durch die wirtschaftliche Stärke jedes Landes sowie bestimmte andere militärpolitische Elemente bestimmt, je nach den besonderen Bindungen eines Bündnisses. 

Und selbst wenn ein oder mehrere Länder auf höchstem Niveau und führend in der kapitalistischen Internationalisierung, in der Neuaufteilung der Märkte sind, hören sie nicht auf, in einem Regime der gegenseitigen Abhängigkeit von anderen Ländern zu existieren. Zum Beispiel mag Deutschland die führende Macht in Europa sein, aber seine Exporte von Kapital und Industriegütern hängen von der Kapazität der europäischen Länder und Chinas ab, sie aufzunehmen. Schon krisenbedingt beginnt diese Kapazität begrenzt zu werden, weshalb die führenden Kreise der Regierung und Teile der Bourgeoisie insbesondere in der Industrie besorgt und nachdenklich sind. 

Der Kurs der US-Wirtschaft ist in hohem Maße von China und den gegensätzlichen Interessen in der EU abhängig. Der Kampf von Dollar, Euro und Yen ist sichtbar.“[24]

Das zentrale Argument ist hier, dass es sich beim Imperialismus nicht um eine einseitige Abhängigkeit, so gesehen schon gar nicht um Weltbeherrschung, Unterwerfung und Ausbeutung der Welt, sondern um ein Regime der gegenseitigen Abhängigkeit handelt. Die Frage, die sich mir hier stellt: ist ein solches System überhaupt noch als imperialistisch zu bezeichnen? Aber lesen wir zunächst weiter, wie Papariga darauf aufbauend die Pyramide beschreibt:

„Die Zahl der Staaten nimmt zu, die Regionalmächte, Satelliten starker imperialistischer Mächte, Länder sind, die eine besondere Rolle in der Bündnis- und Partnerschaftspolitik der verschiedenen Mächte in der Pyramide spielen. Die interimperialistischen Widersprüche wirken in jeder Form des Bündnisses, und all diese vielschichtigen Beziehungen, die ausnahmslos jedes kapitalistische Land der Welt umfassen, bilden die imperialistische Pyramide.“[25] Wie oben schon gesagt, reicht das Material für eine noch weitergehende Kritik nicht aus, aber halten wir erstmal fest, was hier eigentlich gesagt wird:

  • strukturell ist Abhängigkeit im Weltsystem nicht einseitig, sondern gegenseitig
  • Qualitativ ist Abhängigkeit nicht im Sinne von Machtausübung des einen über den anderen, sondern als Gleiches auf beiden Seiten definiert, indem z.B. die Qualität von Exporten mit der Qualität von Importen gleichgesetzt wird. Deutschland ist von China abhängig, weil China die Exporte, hier auch explizit Kapitalexport, abnehmen muss. 
  • Die Zahl von Regionalmächten nimmt im System zu – diese spielen als ‚Partner‘ eine besondere Rolle in der Pyramide
  • Irgendwie sind alle kapitalistischen Länder Teil des imperialistischen Systems – diese Aussage ist besonders diffus. Es wird nicht klar, ob sie auch deshalb imperialistisch sind, weil sie kapitalistisch sind, weil also diese Tatsache wiederum gesetzmäßig zur Monopolisierung führt usw.[26]

Hierarchie ja, aber keine Weltherrschaft?

Wir werden sehen, dass eine der zentralen Aussagen im Text der Genossin Papariga und überhaupt in der Weltsystem-Vorstellung ist, dass es falsch sei die Welt als eine Welt von „unterdrückten und unterdrückenden Völkern, Ländern oder Nationen“ zu betrachten. Die Behandlung der Frage der Abhängigkeit ist eine Unterabteilung dieser großen Frage. Und sie wird hier mit einer Relativierung dessen beantwortet, was nicht nur Lenin – und vor ihm andere – mit Abhängigkeit meinten, sondern auch wie die Welt tatsächlich konstituiert ist. Was aber offensichtlich ist, ist dass eine solche Relativierung nicht richtig funktioniert. Deshalb muss die Relativierung selbst immer wieder durch den Zusatz von weiteren Relativierungen nochmal korrigiert werden und zwar sinngemäß wie folgt: ‚es wäre zwar keine einseitige Abhängigkeit, aber das hieße natürlich nicht, dass nicht die Schwächeren von den Stärkeren abhängig seien und deshalb ja auch das Bild der Pyramide, die genau dieser Hierarchie Rechnung tragen soll‘.

Was ist aber die Bedeutung dieser Hierarchie, wenn die Länder an der Spitze auch von den Ländern weiter unten in der Pyramide abhängig seien? Nicht nur hier, sondern auch an anderen Beispielen werden wir sehen, dass diejenigen, die sich diese Argumentation zu eigen machen, sich unwillkürlich in Widersprüche und Schwierigkeiten in der Begründung verwickeln müssen.

Dazu lesen wir den Beitrag eines weiteren Genossen der KKE aus dem Jahre 2017, der im theoretischen Organ der KKE erschienen ist:

„Es liegt auf der Hand, dass die unterschiedlichen Entwicklungsstufen des Monopolkapitalismus in verschiedenen Ländern dem einen oder anderen Land unterschiedliche Macht im imperialistischen Weltsystem (in Kombination mit seiner politischen und militärischen Macht) verleihen, daher unterschiedliche Möglichkeiten der politischen Intervention und Interessenvertretung seiner Monopolgruppen. Die unterschiedliche Macht jedes Landes, die auf der ungleichmäßigen Entwicklung des Kapitalismus beruht, bestimmt den Grad, in dem jedes Land an der Verteilung der Beute teilnimmt. Die geteilte Beute besteht aus dem gesamten Mehrwert, der von der Arbeiterklasse produziert wird, wobei die Erde, das „Opfer“, die Weltarbeiterklasse als Ganzes ist.“[27]

Was ist die Kernaussage hier? Das Hauptsächliche ist, dass es zwar eine Hierarchie der Macht gibt, aber dass alle „Länder“, – der Genosse hätte hier tatsächlich zwecks besseren Verständnisses und Kohärenz seiner Argumentation die ‚Kapitalistenklassen‘ aller Länder schreiben sollen – entsprechend ihrer Machtstellung an der Beute beteiligt werden. Sie sind also allesamt Beutemacher, nur auf unterschiedlichen Entwicklungsstufen. Die Macht dient nicht der Unterwerfung, sondern bestimmt nur – vereinfacht gesagt – die Menge, die das jeweilige Land von der Beute abbekommt. Woher kommt die Beute? Von der Erde und der Weltarbeiterklasse. Es ist der Versuch die Klassenfrage in die Betrachtung einzubeziehen. Auf die Klassenfrage werde ich weiter unten genauer eingehen, denn auch diese steht im Widerspruch zu den Vorstellungen Lenins über die besondere Stellung der Arbeiterklasse in den unterdrückenden Ländern.

Was mir an dieser Stelle wichtig ist, ist dass die Frage der Macht, die ja unmittelbar mit der Frage der Abhängigkeit zusammenhängt, so beantwortet wird: das ganze System ist ein Club der Mächtigen (wohlwollend gelesen, sind hier die Kapitalisten aller Länder gemeint), darin gibt es graduelle Unterschiede, aber die Qualität ist gleich, weil kapitalistisch. Die innerimperialistischen bzw. innerkapitalistischen Widersprüche sind auf der Ebene des gesamten Systems insofern gleich, weil es sich um gleiche Interessen handelt, nach denen alle streben: Einflusssphären, Märkte, Rohstoffe, billige Arbeitskräfte etc. pp.

Man könnte den Kern dieser Aussage auch so zusammenfassen: Mehr oder weniger Mächtige teilen das Interesse der Ausbeutung der Weltarbeiterklasse – und wenn ich ihn richtig verstehe, der Erde – und teilen sich die Beute. 

Wenn man die anderen Aussagen bezüglich der Dynamik der Entwicklung der verschiedenen Länder im System, aufgrund des Gesetzes der ungleichmäßigen Entwicklung dazu nimmt, verblasst die Frage der Macht innerhalb des Systems zunehmend und ist nicht mehr ein konstitutives Charakteristikum, keine relevante Größe in der Beschreibung der Welt, so wie wir sie heute vorfinden. Der Widerspruch zwischen den „imperialistischen Großmächten“ und dem Rest der Welt ist letztlich der gleiche Widerspruch wie der zwischen den imperialistischen Großmächten selbst. Es gibt nicht mehr ‚die Handvoll‘, die die Welt aufteilen, sondern alle teilen irgendwie alles auf, die einen bekommen mal mehr, die anderen mal weniger.

Das ist ein völlig anderes Verständnis der Welt, als das Verständnis, was uns Lenin in seiner Imperialismusschrift vorgelegt hat. Wenn wir das nachweisen, haben wir noch nicht viel über den Wahrheitsgehalt, über die Richtigkeit dieser Weltsicht gesagt. Das zu verstehen, hilft uns aber dabei, die Welt nach der einen oder anderen Weltsicht, nach den Mustern der Erklärung der einen oder anderen, zu untersuchen.

Lenin sagt unmissverständlich und das zieht sich wie ein roter Faden durch die Imperialismusschrift, dass es erstens Großmächte gibt, die sich qualitativ vom Rest der Welt unterscheiden, zweitens, dass diese Großmächte die Welt beherrschen, drittens dass der Widerspruch zwischen ihnen darin besteht, wie sie die Beute unter sich aufteilen. Das steht überhaupt nicht im Widerspruch dazu, dass auch die Länder, die nicht im Club der Räuber sind, auch einen Teil der Beute abbekommen können, auch nicht im Widerspruch dazu, dass sich die Räuberbande erweitern, verkleinern oder einzelne Länder ihre Positionen wechseln können. 

Das Gleiche, also die Unterscheidung Mächtige und Nicht-Mächtige, gilt für Großmonopole, Großbanken, weltbeherrschende Monopole und Monopolverbände im Verhältnis zu anderen Banken, Monopolen etc. Diese Abhängigkeit, Unterdrückung, Ausbeutung und/oder Abhängigkeit findet sowohl im nationalen Rahmen als auch im internationalen Kontext statt. Auch findet die Beherrschung sowohl innerimperialistisch als auch als Beherrschungsweise des Restes der Welt statt. Der qualitative Unterschied ist zwar zunächst ein quantitativer (wieviel Abhängigkeit), der aber bei einer gewissen Quantität in eine andere Qualität umschlägt und umschlagen muss und zwar in eine einseitige Abhängigkeit, die bis hin zur totalen Unterwerfung oder sogar Zerstörung jeglicher Reste von Eigenständigkeit gehen kann. Beispiele dafür sind Kriege, durch die auch mal vorher kollaborierende Bourgeoisien zur totalen Kapitulation gezwungen werden sollen.

Ich will hier im Folgenden zu diesen Fragen ein paar Schlaglichter auf Lenins Imperialismusschrift werfen, damit das hier Gesagte nicht im Vakuum bleibt:

„Die „Gruppe“ der „Deutschen-Bank“ ist eine der größten, wenn nicht die größte, von allen Gruppen der Großbanken. Um die wichtigsten Fäden, die alle Banken dieser Gruppe miteinander verbinden, in Betracht zu ziehen, muß man „Beteiligungen“ ersten, zweiten und dritten Grades unterscheiden oder, was dasselbe ist, eine Abhängigkeit (der kleineren Banken von der ‚Deutschen Bank‘) ersten, zweiten und dritten Grades.“[28] (LW 22, S. 216) 

und weiter: 

„Zu den 8 Banken des ‚ersten Abhängigkeitsgrades‘, die sich die ‚Deutsche Bank‘ ‚mit wechselndem Interesse‘ untergeordnet hat, gehören drei ausländische Banken: eine österreichische (der ‚Wiener Bankverein‘) und zwei russische (die Sibirische Handelsbank und die Russische Bank für auswärtigen Handel). Im ganzen gehören zur Gruppe der ‚Deutschen Bank‘ direkt und indirekt, ganz und teilweise 87 Banken, und der Gesamtbetrag des eigenen und fremden Kapitals, über das die Gruppe verfügt, beläuft sich auf 2-3 Milliarden Mark. (…)“ (LW 22, S.217)

und weiter: 

„Wir sehen, wie schnell ein dichtes Netz von Kanälen entsteht, die das ganze Land überziehen, sämtliche Kapitalien und Geldeinkünfte zentralisieren und Tausende und aber Tausende von zersplitterten Wirtschaften in eine einzige gesamtnationale kapitalistische Wirtschaft und schließlich in die kapitalistische Weltwirtschaft verwandeln. Jene ‚Dezentralisation‘, von der Schulze-Gaevernitz als Vertreter der bürgerlichen politischen Ökonomie unserer Tage in dem oben angeführten Zitat spricht, besteht in Wirklichkeit darin, daß zunehmend immer mehr früher verhältnismäßig ‚selbständige‘ oder, richtiger gesagt, lokal begrenzte Wirtschaftseinheiten einem einzigen Zentrum unterworfen werden. In Wirklichkeit ist das also eine Zentralisation, eine Steigerung der Rolle, der Bedeutung, der Macht der Monopolriesen.“ (LW 22, S.217)

Und weiter:

„Die Bank, die das Kontokorrent für bestimmte Kapitalisten führt, übt scheinbar eine rein technische, eine bloße Hilfsoperation aus. Sobald aber diese Operation Riesendimensionen annimmt, zeigt sich, daß eine Handvoll Monopolisten sich die Handels- und Industrieoperationen der ganzen kapitalistischen Gesellschaft unterwirft, indem sie – durch die Bankverbindungen, Kontokorrente und andere Finanzoperationen – die Möglichkeit erhält, sich zunächst über die Geschäftslage der einzelnen Kapitalisten genau zu informieren,  dann sie zu kontrollieren, sie durch Erweiterung oder Schmälerung, Erleichterung oder Erschwerung des Kredits zu beeinflussen und schließlich ihr Schicksal restlos zu bestimmen, die Höhe ihrer Einkünfte zu bestimmen, ihnen Kapital zu entziehen oder ihnen die Möglichkeit zu geben, ihr Kapital rasch und in großem Umfang zu erhöhen usw.“ (LW 22, S.217)

und weiter:

„Die Trennung des Kapitaleigentums von der Anwendung des Kapitals in der Produktion, die Trennung des Geldkapitals vom industriellen oder produktiven Kapital, die Trennung des Rentners, der ausschließlich vom Ertrag des Geldkapitals lebt, vom Unternehmer und allen Personen, die an der Verfügung über das Kapital unmittelbar teilnehmen, ist dem Kapitalismus überhaupt eigen. Der Imperialismus oder die Herrschaft des Finanzkapitals ist jene höchste Stufe des Kapitalismus, wo diese Trennung gewaltige Ausdehnung erreicht. Das Übergewicht des Finanzkapitals über alle übrigen Formen des Kapitals bedeutet die Vorherrschaft des Rentners und der Finanzoligarchie, bedeutet die Aussonderung weniger Staaten, die finanzielle ‚Macht‘ besitzen. In welchen Ausmaßen dieser Prozeß vor sich geht, läßt sich beurteilen an Hand der Statistik der Emissionen, d.h. der Ausgabe von Wertpapieren aller Art.“ (LW 22, S.242)

Ich habe diese Zitate ausgewählt, um folgende Punkte hervorzuheben:

  • Abhängigkeit ist nicht gleich Abhängigkeit (siehe verschiedene Grade der Abhängigkeit)
  • ab einem gewissen Grad (Quantität) der Abhängigkeit tendiert die Kontrolle des Abhängigen zum Absoluten, also zur absoluten oder sagen wir einseitigen Kontrolle
  • Kontrolle und Abhängigkeit tritt nicht immer als formale oder rechtliche Abhängigkeit (z.B. Einverleibung als Besitz) in Erscheinung, sondern durch wie hier z.B. ökonomische Kontrolle über ein „weitverzweigtes Netz“
  • Unterwerfung kann nur als Verhältnis verstanden werden (hier Monopolriese Deutsche Bank im Verhältnis zu anderen Banken und Industriekapitale) – dazu gleich weiter unten ein paar Worte mehr
  • Schlussendlich: es sondern sich Machtzentren – „wenige Staaten“ – ab, die finanzielle Macht besitzen, also ein besonders hohes Niveau der kapitalistischen Entwicklung erreicht haben, das man an der Stärke, Menge des Finanzkapitals (Verschmelzung von Industrie- und Bankkapital) messen kann.

Bleiben wir zunächst beim letzten Punkt. Lenin führt uns aufbauend auf den Erkenntnissen, wie die kapitalistischen Gesetzmäßigkeiten zum Monopol der Banken und Industrie, wie diese zu einer Verschmelzung beider Kapitale zur Bildung des Finanzkapitals[29] führen, dahin wie die weltbeherrschende Rolle des Finanzkapitals weniger imperialistischer Länder sich herausbildet. Er schreibt:

„Diese vier Länder (gemeint sind England, Frankreich, Deutschland und USA, Anm. KB) zusammen besitzen 479 Milliarden Francs, d. h. nahezu 80% des Weltfinanzkapitals. Fast die ganze übrige Welt spielt so oder anders die Rolle des Schuldners und Tributpflichtigen dieser Länder – der internationalen Bankiers, dieser vier ‚Säulen‘ des Weltfinanzkapitals.“ (LW 22, S.244)

Die Herausbildung dieser mit unglaublichen Mengen an Finanzkapital ausgestatteten Staaten drängt das Kapital zum Export. Es muss immer wieder weltweit neue Einsatzorte finden, um sich verwerten zu können. In diesem Zusammenhang geht Lenin auf die ungleichmäßige Entwicklung verschiedener Industriezweige und damit auch von Ländern ein, die durch den geschichtlichen Gang oder bestimmte politische Maßnahmen wie Protektionismus, sprunghafte Entwicklungen vollziehen können. Es wird auch beschrieben wie durch den Kapitalexport in weniger entwickelte Länder und Regionen, diese eine kapitalistische Entwicklung durchmachen. Der Unterschied aber zwischen den „überreifen“ kapitalistischen Staaten, die das Weltfinanzkapital kontrollieren, zu diesen Ländern ist, dass sie in der Lage sind durch das Vorhandensein von immensen Kapitalsummen die ganze Welt mit ihrem Kapital zu überziehen und zu kontrollieren. 

„Die kapitalexportierenden Länder haben, im übertragenen Sinne, die Welt unter sich verteilt.“ (LW 22, S. 249) 

Wohlgemerkt: die kapitalexportierenden Länder teilen die Welt unter sich auf, nachdem historisch einmal die Welt komplett aufgeteilt wurde. Wie geht diese Aufteilung unter den Riesen vor sich? Lenin beschreibt anhand der Konkurrenz der Monopole General Electrik und AEG wie eine solche Aufteilung konkret vor sich geht und schlussfolgert:

„Man versteht ohne weiteres, wie schwierig die Konkurrenz gegen diesen faktisch einheitlichen, die gesamte Welt umspannenden Trust ist, der über ein Kapital von mehreren Milliarden verfügt und seine ‚Niederlassungen‘, Vertretungen, Agenturen, Verbindungen usw. an allen Ecken und Enden der Welt hat. Aber eine Aufteilung der Welt unter zwei mächtige Trusts schließt natürlich eine Neuaufteilung nicht aus, sobald das Kräfteverhältnis – infolge der ungleichmäßigen Entwicklung, von Kriegen, Zusammenbrüchen usw. – sich ändert.“ (LW 22, S.252)

Es ist nicht so leicht in den Club der kapitalexportierenden Mächtigen und damit unter die Räuberbande zu kommen. Unmöglich ist es nicht, denn die Weltgeschichte verläuft nicht linear.  Aber festzuhalten ist:

Erstens erkennen wir die weltbeherrschenden Monopole und Staaten daran, in welchem Maße sie mit Finanzkapital ausgestattet sind und wie der Anteil des Kapitalexportes ist.

Zweitens: es gibt einen qualitativen Unterschied zwischen der Abhängigkeit von einem Räuber und der allgemein existierenden gegenseitigen Abhängigkeit, die gelinde gesagt so wie es hier von Genossen der KKE formuliert wird, an Sinnentleerung des Begriffs Abhängigkeit grenzt.

Drittens ist es zwar möglich, aber nicht so einfach in den Club der Räuber zu kommen. Es stellen sich hier viele Fragen, wenn wir versuchen wollen die heutige Lage zu verstehen: ab welchem Maß an Finanzkapitalisierung kann man von Weltbeherrschung sprechen? Wie funktioniert heute das weit verzweigte Netz der Kontrolle der Weltökonomie durch ökonomische Mittel? Welche Bedeutung hat der Staat als ideeller Gesamtkapitalist und als Machtfaktor zum Schutz der eigenen Monopole und zur Kontrolle, Unterwerfung oder Zerstörung anderer Länder?

Imperialismus Ciao!

Ich will hier einen Zwischenstand formulieren, der noch einmal den Unterschied zwischen der Leninschen Darstellung und der der KKE zeigt:

Imperialismus ist nach Lenin die Beherrschung der Welt durch wenige Monopole und ihre Staaten. Die KKE argumentiert gegen die Vorstellung, dass wenige Staaten die Welt beherrschen und argumentiert, dass die Welt ein System gegenseitiger Abhängigkeiten ist. Das Bild der Pyramide dient meiner Ansicht nach nur dazu, die offensichtliche Schwäche dieser Argumentation zu kaschieren, weil es Hierarchien anerkennt und auch anerkennen muss, da diese sich offensichtlich schon bei einer einfachen Betrachtung der Welt aufdrängen.

„Die Position gegenüber einer ‚Handvoll Länder‘ definiert verschiedene Formen der Beziehungen zwischen den kapitalistischen Ländern, die durch Ungleichmäßigkeit gekennzeichnet sind, dies beschreibt die Pyramide, um die globale kapitalistische Ökonomie zu veranschaulichen. 

Vor allem stellte Lenin klar, dass der Imperialismus Monopolkapitalismus ist, dass er die globale kapitalistische Wirtschaft ist, dass er der Prolog für die sozialistische Revolution in jedem Land ist.“ (Papariga 2013)

Das schreibt Papariga nachdem sie Lenin allgemein anführt, um zu bestätigen, dass sich ein paar Länder durch ihr Finanzkapital in der Welt ausbreiten. Was aber heißt hier „verschiedene Formen der Beziehungen“? Das ist doch nichtssagend. Was genau soll die Pyramide hier verdeutlichen? Weltherrschaft? Nein! Da wird drumherum laviert, dass es einem vor lauter Unklarheit schwindelig wird. Dass der Imperialismus Monopolkapitalismus ist? Geschenkt. Daraus wird jedoch von anderen (siehe Sörensen 2019) abgeleitet, dass jedes Land mit Monopolen schon quasi imperialistisch ist. 

Meistens implizit, aber auch recht eindeutig an manch einer Stelle, argumentiert Papariga, dass alle Länder im Weltsystem imperialistisch seien, auch wenn sie hier schwammig wird. Diese implizite Behauptung findet sich in der Aussage der Wesensgleichheit der verschiedenen Entwicklungsstände.

„Die kapitalistischen Länder auf dem Gipfel sind nicht die einzigen, die eine imperialistische politische Linie umsetzen, die auf den unteren Ebenen tun dies auch, sogar diejenigen, die starke Abhängigkeiten von den stärkeren Mächten als regionalen und lokalen Mächten haben. Zum Beispiel ist die Türkei heute eine solche Macht in unserer Region, aber auch Israel, arabische Staaten und solche Kräfte, durch die sich Monopolkapital neues Terrain in Afrika, Asien, Lateinamerika erschließt, als Folge haben wir das Phänomen der Abhängigkeit und Verflechtung. Abhängigkeit. 

Die Abhängigkeit und Interdependenz der Volkswirtschaften sind natürlich nicht gleich und werden durch die wirtschaftliche Stärke jedes Landes sowie bestimmte andere militärpolitische Elemente bestimmt, je nach den besonderen Bindungen eines Bündnisses.“ (Papariga 2013)

Sie schreibt auch, dass die Entwicklung der Monopole „in gleicher Weise“ stattfindet, „wobei der Kapitalexport den Warenexport überwiegt.“ Das ist eine gewagte These, die faktisch belegt werden müsste, wenn das als „Wesen“ der Entwicklung auf alle Länder zutreffen soll. Lesen wir, was sie schreibt: 

„Die Geschichte zeigt, dass Monopole als Ergebnis der Kapitalkonzentration als Grundgesetz der heutigen Phase des Kapitalismus weltweit die allgemeine Tendenz sind und neben vorkapitalistischen Wirtschafts- und Eigentumsformen koexistieren können. Ende des 19. Jahrhunderts beschleunigte die Wirtschaftskrise die Entstehung von Monopolen, wie alle zyklischen Wirtschaftskrisen die Konzentration und Zentralisierung und die Entstehung mächtiger Monopole, die Reproduktion des Wettbewerbs auf höherem Niveau, beschleunigten. Die Entstehung von Monopolen und ihre Entwicklung, ihre Ausdehnung und Durchdringung vollzieht sich nicht in allen Ländern gleichzeitig, auch nicht in den Nachbarländern, aber durchaus in gleicher Weise, wobei der Kapitalexport den Warenexport überwiegt.“ (Papariga 2013)

Soweit so unklar, wie das gemeint ist. Was soll das heißen, dass in allen Ländern die Monopolisierung zwar nicht gleichzeitig, aber in gleicher Weise stattfindet? Was ist diese gleiche Weise? Etwa die ‚einfache‘ Feststellung, dass durch Kapitalakkumulation, damit Konzentration und Zentralisation, damit Monopolisierung stattfindet? Ja, aber das sagt ja noch nichts über das Verhältnis zu den existierenden weltbeherrschenden Monopolen aus? Müsste man nicht genau dieses Verhältnis aber in die Betrachtung einbeziehen, um zu zeigen, dass die Monopolisierung überall in gleicher Weisestattfindet? Findet also z.B. Monopolisierung in den USA in gleicher Weise statt wie in Zimbabwe? Wesensgleich im allerabstraktesten Sinne, aber nicht im Sinne der realen Machtverhältnisse. Da diese Widersprüche und Unklarheiten ihrer Aussagen so sehr auf der Hand liegen, geht sie direkt im nächsten Abschnitt auch darauf ein:  

„Das Entstehen und Erstarken von Monopolen, auch wenn sie sich auf mehrere Sektoren auf nationaler Ebene beschränken, verursacht Anarchie in der kapitalistischen Produktion als Ganzes. Dies war besonders charakteristisch für das 20. Jahrhundert und bis heute und im Ungleichgewicht der industriellen und landwirtschaftlichen Produktion, dem Ungleichgewicht in Bezug auf die Entwicklung der verschiedenen Industriezweige. Das Ungleichgewicht bezieht sich nicht nur auf die Produktionssektoren, sondern auch auf das Ungleichgewicht bei der Implementierung und Nutzung von Technologie. Die Plünderungspolitik, die Politik der Annexionen, die Politik der Umwandlung von Staaten in Protektorate, die Politik der Zerstückelung von Staaten ist weder das Ergebnis politischer Unmoral seitens des starken Imperialisten noch eine Frage der Unterwürfigkeit und Feigheit seitens des starken Imperialisten der bürgerlichen Klasse des Landes, das Abhängigkeiten erlebt, aber ein dem Kapitalismus innewohnendes Problem des Kapitalexports und der Ungleichheit auf nationaler und internationaler Ebene.“ (Papariga 2013)

… Weltbeherrschung, Abhängigkeit, Unterwerfung etc. ist also weder der Unmoral der einen, noch der anderen Seite geschuldet. Das ist alles und es sagt nicht viel. Die Frage wird einfach nicht beantwortet, sondern mit einem Manöver, das signalisieren soll, dass man ja um die Machtverhältnisse wisse, umgangen. Die kapitalistische Entwicklung (sagen wir also Monopolisierung) findet in gleicher Weise statt, aber irgendwie auch nicht, weil die einen die Entwicklung der anderen durch Plünderung, Annexion, kriegerische Zerstörung etc. verhindern können? Also kann die Entwicklung aufgrund der Machtverhältnisse gar nicht in gleicher Weise stattfinden.

Leider wurde ich auch sonst nicht fündig, was eine wirkliche gute Argumentation der Frage der Abhängigkeit angeht und möchte es eigentlich auch bei der Erkenntnis belassen, dass erstens nicht nur ein anderes Bild von Imperialismus entworfen wird, sondern dass Imperialismus ersetzt wird durch das Bild eines kapitalistischen Systems gegenseitiger Abhängigkeiten in einer hierarchischen Weltordnung.

Ich würde zunächst dabei bleiben, dass „Der Imperialismus (…) die Epoche der fortschreitenden Unterdrückung der Nationen der ganzen Welt durch eine Handvoll ‚Groß’mächte (ist) (Anm.KB), (…)“[30] und in dieser Aussage „fortschreitende Unterdrückung“ unterstreichen.

Schwierigkeiten bei der Anwendung des Weltsystem-Ansatzes

Bevor wir darauf eingehen, welche Motivationen dieser Herangehensweise der KKE zugrunde liegen könnten, noch ein paar Worte über die Schwierigkeiten, die mit einer solchen Theorie einhergehen. In einem Interview beim Nachrichtenorgan der Kommunistischen Partei der Türkei (TKP) mit dem Vorsitzenden der Partei Kemal Okuyan[31], wird im Interview die Frage gestellt, ob Russland ein imperialistisches Land ist. Diese Frage muss in unterschiedlicher Weise wiederholt gestellt werden. Es wird darauf aber keine klare Antwort geben. Warum ist das so? Hier die Stelle aus dem Interview: 

Sehen Sie Russland als Teil der imperialistischen Welt? 

Der Imperialismus ist heute ein Weltsystem und alle kapitalistischen Ökonomien sind ein Teil davon. Und alle kapitalistischen Länder streben danach, dort eine stärkere Position zu erlangen, mehr Anteile zu bekommen. 

Bedeutet das, dass wir alle Länder als imperialistisch definieren? 
Nein. In unserer Zeit, in der der Monopolkapitalismus zur Regel geworden ist, sollten Begriffe wie Abhängigkeit jedoch mit Vorsicht verwendet werden. Ja, Ressourcen werden ständig in die mächtigsten imperialistischen Länder transferiert, aber hier gibt es nicht einmal einen Funken unschuldigen oder unterdrückten Kapitalismus. Jedes kapitalistische Land als imperialistisch zu bezeichnen, ist in jeder Hinsicht ein großer Fehler, so etwas kann es nicht geben. Es ist jedoch ein großer Fehler, eine Bewertung anhand eines einzelnen Parameters vorzunehmen, wie es manche tun. Imperialismus ist kein Begriff, den wir nur nach der Höhe des Kapitalexports oder der Macht des Finanzkapitals verwenden können. Imperialismus ist eine Position, die durch eine Reihe von Faktoren erreicht wird. Diese Faktoren sind zu komplex, um ein quantitatives Ranking der Länder zu ermöglichen. Es gibt keine konkrete Grenze oder Skala, anhand derer wir feststellen können, ob ein Land imperialistisch ist oder nicht. Wir müssen das wissen. Alle kapitalistischen Länder mit einem gewissen Entwicklungsstand neigen dazu, imperialistisch zu werden. einschließlich der Türkei. Ein Land als imperialistisch zu bezeichnen, erfordert jedoch letztlich einen politischen Ansatz. Ausführliche Thesen veröffentlichte die TKP vor Jahren, nach den parteiübergreifenden Debatten. Nachdem wir die wirtschaftlichen Dimensionen des Problems untersucht hatten, betonten wir, dass der Unterschied zwischen der Tendenz eines Landes, imperialistisch zu werden, und einer solchen Bezeichnung die Fähigkeit ist, in die wirtschaftlichen, politischen und sozialen Prozesse anderer Länder einzugreifen und die Gleichgewichte in diesem Land zu verändern. Dies ist ein äußerst wichtiges Kriterium. (…)[32]Russlands Bankensystem ist sehr schwach; Argumente wie Russland liege weit hinten im Ranking der kapitalexportierenden Länder sind unzureichend und das Ergebnis einer extrem mechanischen Herangehensweise an den Begriff des Imperialismus. 

Fragen wir also, ist Russland imperialistisch? 
Die Kommunistische Partei der Türkei ist keine Denkfabrik, sie ist eine politische Partei. Wissenschaftlichkeit ist uns natürlich wichtig, keiner unserer politischen Ansätze kann auf der Verleugnung der objektiven Realität aufbauen. Einige Benennungen sind jedoch Gegenstand der Politik. Definitionen wie faschistisch und imperialistisch haben auch einige andere Konsequenzen. Wir vermeiden es, diese Konzepte willkürlich zu verwenden. Wir werden keine Haltung einnehmen, die die Existenz und die Gefahr, die vom US-Imperialismus und seinen Verbündeten in der Türkei und der Region ausgeht, mindern wird. Lassen Sie mich ein Beispiel geben: Der italienische Imperialismus ist keineswegs unschuldig, er ist eine Tatsache. Wenn wir jedoch über die imperialistischen Länder in Europa sprechen, sprechen wir in erster Linie über den deutschen, britischen und französischen Imperialismus. Diese Wahl kann nicht allein nach wirtschaftlichen Kriterien getroffen werden. Wir sprechen von einer rein politischen Transaktion. Russland ist ein imperialistisches Land, wenn wir die Politik etwas zurücknehmen wollen. Die TKP sagt jedoch in ihrer politischen Arbeit, dass die Konfrontation in der Ukraine heute ein Kampf um die Hegemonie im imperialistischen System ist, sagt aber nicht ausdrücklich den russischen Imperialismus.“

Ich habe dieses Interview hier so ausführlich zitiert, weil ich meine, dass man aus den Antworten des Genossen Okuyan sehr gut herauslesen kann, mit welchen Problemen man in der konkreten Anwendung des Schemas des Weltsystem-Ansatzes der KKE konfrontiert wird. Ist es tatsächlich unnötig oder unwissenschaftlich, wenn die Frage gestellt wird, ob ein Land imperialistisch ist? Widerspricht es wirklich der Erkenntnis, dass der Kapitalismus als Ganzes in seiner imperialistischen Phase ist? Es ist absolut richtig, dass wir nicht Länder willkürlich als imperialistisch oder faschistisch bezeichnen sollten. Und auch ist es meiner Ansicht nach sehr richtig, dass wir die Welt nicht nur nach wirtschaftlichen Kriterien beurteilen können. Diese Einseitigkeit wäre reiner Ökonomismus. Ich finde den Ansatz der TKP interessant, dass ein Land danach beurteilt werden soll, ob es dazu in der Lage ist, andere Länder zu verändern. Es müsste aber erstens konkretisiert werden, was mit ‚Veränderung eines anderen Landes‘ gemeint ist und zweitens wenn erklärt werden würde, was mit ‚Tendenz‘ gemeint ist. Alles in Allem ist mein Eindruck, dass die Aussagen des Genosse Okuyan wie aus einer Art Korsett der Vorsicht anhören. Ob und warum das so ist, sollten wir herausfinden.

In den Thesen der TKP zum Imperialismus[33] fehlt es zwar teilweise auch an Stringenz und Klarheit, aber insgesamt finde ich sie sehr hilfreich für unsere Diskussion. These 7 dürfte für uns besonders interessant sein, wenn es um die konkreten Diskussionen geht: die Frage danach, wann wir von „imperialistischen Ländern“ sprechen, wird beantwortet mit: „Ein imperialistisches Land ist ein Land, das in einem hierarchischen Weltsystem im Endstadium der kapitalistischen Entwicklung die Fähigkeit hat, die ökonomische, politische, militärische, ideologische und kulturelle Dynamik anderer konstituierender Länder der Struktur zu beeinflussen und zu steuern. Die Tendenz, solche Beziehungen herzustellen, ist nicht gleichzusetzen mit der Fähigkeit, solche Beziehungen konkret herzustellen. Es ist immer das zweite Kriterium, das für die Definition eines imperialistischen Landes gilt. Deshalb sollte die Frage, ob ein bestimmtes Land imperialistisch ist oder nicht, am Ende einer konkreten Analyse immer mit einer politischen Perspektive beantwortet werden.“

Heißt das, dass die TKP diejenigen Länder als imperialistische Länder bezeichnet, die den höchstmöglichen Reifegrad des Imperialismus erreicht haben und aufgrund dieser Reife ganz konkret die Geschicke (…) anderer Länder steuern? Und um genau zu sein, müsste man das Verb ‚steuern‘ unterstreichen und abgrenzen von ‚steuern könnten‘. Heißt es, dass die Länder, die das zwar aufgrund ihrer Potenz könnten, aber nicht tun, nicht imperialistisch sind? 

Ich meine, dass die TKP mit ihren Thesen stellenweise im Widerspruch zu den Vorstellungen eines hierarchischen Weltsystems gegenseitiger Abhängigkeiten kommt, auch wenn sie sehr stark versucht die Argumente dieses Ansatzes zu übernehmen. Eine mögliche Kritik drückt sich z.B. in der These 18 gut aus: „Man ist gut beraten, Analysen zu vermeiden, die zwar die Charakteristika des Imperialismus als ein die ganze Welt durchdringendes System und die von jedem Land in einer bestimmten Phase des Kapitalismus übernommenen imperialistischen Rollen betonen, aber die imperialistische Hierarchie selbst trivialisieren. Das Phänomen der imperialistischen Hegemonie als grundlegendes Element der imperialistischen Hierarchie sollte nicht unterbewertet und die Verflechtung zwischen antiimperialistischen Kämpfen und sozialistischer Revolution nicht geschwächt werden.“[34] Bei mir löst das zumindest eine Assoziation aus mit den Stellungnahmen der KKE zum laufenden Militäreinsatz Russlands in der Ukraine und zu den allgemeinen Texten, die ich hier diesbezüglich angeführt habe. Werden dabei nicht etwa die Machtverhältnisse zwischen den Kontrahenten ‚trivialisiert‘? Oder ist die Tatsache des Besitzes der Atomwaffe ein Ausgleich dieser Machtverhältnisse? Alles Fragen, mit denen wir uns in der gesamten Bewegung und nicht nur in der KO auseinandersetzen müssen.

Wie Genosse Okuyan im Interview mit SoL-Haber sagt, ist es auch politisch von höchster Relevanz, z.B. in Bezug auf konkrete Kriege, genau zu bestimmen Wer Wen und wie die Politik der eigenen Bourgeoisie im Verhältnis zur Macht und zur Aggression steht: „Wir werden keine Haltung einnehmen, die die Existenz und die Gefahr, die vom US-Imperialismus und seinen Verbündeten in der Türkei und der Region ausgeht, mindern wird.“ Ich werde weiter unten argumentieren, warum es die Gefahr der NATO und des deutschen Imperialismus mindert, wenn Kommunisten heute nicht den Aggressor, in Falle des gegenwärtigen Krieges die USA und die führenden NATO-Staaten, eindeutig und klar benennen und sogar in die allgemeine Propaganda eines „russischen Angriffskrieges“ einstimmen. Um das aber tun zu können, müssen wir schon genaue Analysen machen und erstens den Charakter der beteiligten Staaten genau erfassen und zweitens den konkreten historischen Verlauf der Entwicklungen, die zu einem Krieg geführt haben, verstehen. Relativierungen bezüglich der tatsächlichen Verhältnisse mit spitzfindigen Argumenten, die sich auf Abhängigkeit oder Hierarchien beziehen und die besagen, dass ja alles im Fluß sei und man nicht so absolute Aussagen machen soll, sind dabei nicht nur nicht hilfreich, sondern politisch äußerst fraglich.

Der Weltsystem-Ansatz als Argument gegen den Opportunismus?

Wie kommt es nun dazu, dass die KKE so sehr darauf besteht, dass man die Welt nicht als eine Welt von „einseitigen Abhängigkeiten“ verstehen soll, dass man nicht mehr von „unterdrückenden und unterdrückten Ländern“ sprechen kann? Wer die entsprechenden Texte und Dokumente liest, dem wird schnell klar, dass die Motivation, die Weltordnung so zu beschreiben, aus der Absicht herrührt den Opportunismus zu kritisieren, der wiederum mit der Begründung, das eigene Land sei ein kolonisiertes, ein unterdrücktes, ein abhängiges Land, eine Zusammenarbeit mit der eigenen Kapitalistenklasse oder Teilen davon propagiert.

Es geht also um den Opportunismus, den wir weiter oben schon behandelt haben: die Politik der Klassenzusammenarbeit mit der eigenen Bourgeoisie zwecks Zurückdrängung der Macht der imperialistischen Mächte, von denen das eigene Land abhängig ist – abgesehen davon in welchem Grad. Wie wir gesehen haben, wird eine solche Perspektive durch den tatsächlichen Widerspruch zwischen den unterdrückenden und unterdrückten Ländern erzeugt, da auch die eigene Bourgeoisie zumindest zeitweise oder teilweise das Potential besitzt, sich gegen diese Abhängigkeitsverhältnisse zur Wehr setzen zu wollen. Der Opportunismus besteht meiner Ansicht nach nicht in der taktischen Bündnispolitik im nationalen Kampf um Unabhängigkeit (im schlimmsten Falle um die Abwehr von totaler Zerstörung und Unterwerfung durch Krieg), sondern in der strategischen Orientierung auf ein Bündnis mit der eigenen Bourgeoisie und damit einhergehend die Aufgabe einerseits des Kampfes gegen die eigene Bourgeoisie als ganze Klasse und andererseits die Aufgabe der Strategie der revolutionären Umwälzung der Verhältnisse durch eine sozialistische Revolution. Wir kennen diesen Opportunismus auch in ähnlicher Form, nur nicht bezogen auf nationale Abwehrkämpfe gegen imperialistische Unterwerfung, sondern als antimonopolsistische Bündnisvorstellung. Aber darum soll es hier nicht gehen. Mit diesen strategischen Bündnisvorstellungen geht die Vorstellung einer Verschiebung der Zielstellung Sozialismus zugunsten einer Zwischenetappe einher, entweder der Etappe der nationalen Befreiung oder der Etappe einer antimonopolistischen Demokratie. In der Epoche des faulenden und verfallenden Kapitalismus, also in der Epoche des Imperialismus, nicht die Epoche der proletarischen Revolution zu erkennen, welches eine strategische Orientierung auf den revolutionären Umsturz der Kapitalistenklasse einschließt, heißt die Haupttendenz dieser Epoche nicht zu erkennen. Wiederum aber nicht zu erkennen, dass die nationalen Befreiungskämpfe in den unterdrückten Ländern ein Bestandteil der proletarischen Revolution sind, heißt auch die Aufgabe der Arbeiterklasse in den unterdrückenden Nationen in eben dieser Epoche nicht wahrzunehmen. Diese Aufgabe besteht in der unverbrüchlichen praktischen Solidarität eben mit diesen Befreiungskämpfen[35].

Nun ist es absolut richtig und relevant den Opportunismus zu bekämpfen, aber um das zu tun, kann man nicht die materielle Grundlage aus der dieser Opportunismus erwächst einfach wegtheoretisieren. Ja! Dieser Opportunismus entsteht aus den Widersprüchen, die ich oben besprochen habe. Aber man kann ihn doch nicht bekämpfen, indem man behauptet, es gäbe diese Widersprüche nicht, hier konkret den Widerspruch zwischen unterdrückenden und unterdrückten Ländern. 

Wäre alle diese Kritik nicht auch mit den Leninschen Bestimmungen des Imperialismus möglich? Zu erkennen und zu kritisieren, dass die Widersprüche, die das imperialistische System mit sich bringt, notwendigerweise falsche Vorstellungen und Illusionen schaffen und dass darauf eine opportunistische Politik aufgebaut werden kann, ist Aufgabe von Kommunisten. Wir lösen das Problem aber nicht, wenn wir die Widersprüche, die diese Illusionen erzeugen, voluntaristisch wegdefinieren, sondern indem wir sie offenlegen und die Perspektive des Klassenkampfes unter eben diesen widersprüchlichen Bedingungen aufmachen und eine revolutionäre Strategie und Taktik ableiten, die diese Widersprüche berücksichtigt.

Offensichtlich geht es der KKE darum, die Positionen zu bekämpfen, die die Klassenverhältnisse ausblenden und daraus der Arbeiterklasse eine strategische Bündnisorientierung mit der eigenen Bourgeoisie machen. Aber warum reicht es nicht, die Klassenverhältnisse zu berücksichtigen und eine revolutionäre Strategie zu formulieren ohne die Möglichkeit taktischer Manöver wie z.B. ein zeitweises Bündnis unter bestimmten historischen und nationalen Bedingungen, auszuschließen? Widerspricht eine solche Herangehensweise nicht dem historischen Materialismus in der Analyse und den Grundsätzen des Wissenschaftlichen Kommunismus? Unsere Einsicht ist doch, dass die materiellen Bedingungen bestimmten Gesetzmäßigkeiten folgen, aber die Entwicklung nicht linear verläuft, sondern real immer die besonderen Bedingungen bestimmend für den konkreten Kampf sind. Es mag sein, dass in Griechenland ein Bündnis mit der nationalen Bourgeoisie heute in jedem Fall ein Fehler wäre, aber ist es das auch für andere Länder zu allen Zeiten? Warum wird daraus ein allgemeines Prinzip gemacht?

Meiner Ansicht nach widerspricht eine solche Sichtweise dem Wissenschaftlichen Kommunismus und den Lehren, die wir aus der Geschichte der Kämpfe der internationalen Arbeiterbewegung und der nationalen Befreiungsbewegungen ziehen können.

Es ist möglich, dass die KKE aus den Erfahrungen des Kampfes und die Niederlage der EAM[36] und später der DSE[37](Demokratische Armee Griechenlands) und die Bündnispolitik mit der griechischen Bourgeoisie und der bitteren Niederlage der Kommunisten in diesem Kampf, also ihre ‚Entwaffnung‘ mit der Folge der harten Repression gegen sie – zu diesem Schluss gekommen ist, dass das eine grundsätzlich falsche Orientierung sein muss. Das bestätigt auch der Beitrag von Makis Mailis aus dem Jahre 2012, auch in der KOMEP erschienen[38].

Diese Analysen der KKE sind für die internationale kommunistische Bewegung äußerst nützlich und von großer Bedeutung, wie auch viele andere Beiträge der KKE, was den Kampf gegen Opportunismus und die eigenständige Organisation der Arbeiterklasse angeht.

Den Opportunismus bekämpfen, das ist eine unbedingte Pflicht der Kommunisten. Den Kampf gegen den Opportunismus können wir aber nur wirksam führen, wenn wir uns davor hüten, aus einer richtigen konkreten Kritik eine allgemein fehlerhafte Schlussfolgerung zu ziehen. Diese Schlussfolgerungen – in unserem Fall der Abschied von der Vorstellung einer imperialistischen Weltordnung – müssen Gegenstand der kollektiven Auseinandersetzung innerhalb der kommunistischen Bewegung sein, aber auch unbedingt öffentlich vor der gesamten internationalen Arbeiterklasse geführt werden.

Imperialismus und Krieg

Wie kommen wir zu einer Charakterisierung des aktuellen Krieges?

Eine der Hauptfragen, die im Raum steht ist, ob der vor unseren Augen sich abspielende Krieg ein imperialistischer Krieg ist. Aber was meint „imperialistischer Krieg“? Sagen wir erst einmal, was diese Beschreibung nicht meint: es meint nicht einen bzw. jeden Krieg, der im imperialistischen Stadium des Kapitalismus stattfindet. Ein imperialistischer Krieg ist nicht dadurch definiert, dass er im Rahmen des Imperialismus (manchmal wird stattdessen „Monopolkapitalismus“ geschrieben, wie z.B. im Joint Statement Punkt 2 siehe Link oben) stattfindet. Ein imperialistischer Krieg ist dadurch definiert, dass er erstens von Imperialisten und / oder zweitens zwecks Durchsetzung imperialistischer Ziele geführt wird. Im Zeitalter des Imperialismus gibt es aber auch nationale Kriege, da die Epoche des Imperialismus, wie oben schon gesagt, eine Epoche der „fortschreitenden Unterdrückung“ von Nationen ist. 

Wie ich oben gezeigt habe, ist es zunächst die Aufgabe der Stunde, unser Verständnis von Imperialismus aufbauend auf einer historisch-materialistischen Analyse zu schärfen. Offensichtlich sind einige Koordinaten in der Bewegung entweder nicht mehr vorhanden und/oder sind untauglich, um das reale Geschehen zu erklären und/oder es fehlt eine konkrete Anwendung der Begriffe auf die heutige Zeit. Jedenfalls gibt es viel Dissens. Wir werden aber nicht bestimmen können, ob es sich bei einem konkreten Krieg um einen imperialistischen Krieg handelt, wenn wir nicht die Frage des Imperialismus in seiner konkreten historischen Erscheinungsform beantworten. Wer meint, sich auf prinzipielle Antworten in Bezug auf historisch-konkrete Fragen ausruhen zu können, irrt gewaltig.

Genausowenig und aus den selben Gründen können wir, meiner Ansicht nach, nicht die Frage des aktuellen Krieges mit den allgemeinen Positionen zum Krieg oder mit konkreten Analysen zum Ersten Weltkrieg beantworten. Wenn Genossen zu dieser Frage Lenins Analysen des Ersten Weltkrieges zitieren, müssten sie also in diesem Zusammenhang zeigen, warum diese Gleichsetzung beider Kriege richtig ist. Sie müssten die Bedingungen, die beteiligten Staaten, die Geschichte des Krieges und das heißt, die der Politik der beteiligten Länder, die zu diesem Krieg geführt hat analysieren und ihre Schlüsse daraus ziehen. Mir scheint, dass häufig übersehen oder überlesen wird, dass Lenin vom „gegenwärtigen“ Krieg oder dem „jetzigen Krieg“ spricht. Natürlich gibt es auch Verallgemeinerungen bei Lenin, aber diese beziehen sich häufig auf allgemeine Fehler, wie z.B. dass es keine fortschrittlichen Kriege mehr der entwickelten bürgerlichen Klassen in den überreifen imperialistischen Staaten mehr geben kann, weil diese schon (! Anfang des 20. Jahrhunderts wohlgemerkt) reaktionäre seien.

Ich möchte hier zunächst kurz darlegen, welche Positionen das sind, die von Lenin[39], von den Bolschewiki und anderen Revolutionären entwickelt wurden. Vielleicht lässt sich unsere Diskussion dadurch qualifizieren.

Lenin und die Frage des Krieges

Der Hintergrund der Entwicklung der klassenbewussten und revolutionären Positionen, die wir von Lenin, Liebknecht, Luxemburg und anderen kennen, ist der Revisionismus / Opportunismus der II. Internationale, der Verrat an der Arbeiterklasse durch sozialchauvinistische Antworten bezüglich des vor sich gehenden Krieges. Auch ist die Stärke der Arbeiterbewegung, der hohe Grad der Organisierung der Arbeiterklasse in Deutschland, aber auch in Russland und weltweit, ein nicht zu unterschätzender Faktor für die Entwicklung einer richtigen Haltung zum Krieg. Des Weiteren war die Frage, wie die imperialistischen Großmächte und ihre Stellvertreter bzw. die mit ihnen verbündeten, aber abhängigen Staaten aufgestellt waren, weitestgehend geklärt – siehe Imperialismusschrift von Lenin.

Die Positionen, die wir u.a. in der Schrift von Lenin „Sozialismus und Krieg“ (LW 21, S.295 ff) kennen, sind vor diesem Hintergrund zu verstehen. Welche Positionen sind das? 

  • grundsätzlich wird ein Unterschied zwischen der allgemeinen Haltung der Kommunisten zum Krieg und der pazifistischen Haltung gemacht:
    „Es hat in der Geschichte manche Kriege gegeben, die trotz aller Greuel, Bestialitäten, Leiden und Qualen, die mit jedem Krieg unvermeidlich verknüpft sind, fortschrittlich waren, d. h. der Entwicklung der Menschheit Nutzen brachten, da sie halfen, besonders schädliche und reaktionäre Einrichtungen (z. B. den Absolutismus oder die Leibeigenschaft) und die barbarischsten Despotien Europas (die türkische und die russische) zu untergraben. Wir müssen daher die historischen Besonderheiten eben des jetzigen Krieges untersuchen.“ (LW 21, S.299)
  • die Kriege in der Epoche des Imperialismus können nicht mit den gleichen Maßstäben beurteilt werden wie die Kriege in der Epoche des Konkurrenz-Kapitalismus bzw. die Epoche des aufsteigenden Kapitalismus. Warum? Weil die Phase der bürgerlich-demokratischen Revolutionen zwecks Zurückdrängung der alten Klassen beendet ist. Gemeint ist das in Bezug auf die Staaten, die eine Reife in ihrer kapitalistischen Entwicklung erreicht haben, das sind die imperialistischen Staaten. „Sprachen die Sozialisten im Hinblick auf die Kriege einer solchen  Epoche von der Berechtigung des „Verteidigungs“krieges, so hatten sie stets gerade diese Ziele, das heißt die Revolution gegen Mittelalter und Leibeigenschaft im Auge. Die Sozialisten verstanden unter einem „Verteidigungs“krieg stets einen in diesem Sinne „gerechten“  Krieg (wie sich Wilhelm Liebknecht einmal ausdrückte).“ (LW 21, S.300/301)
  • In der Epoche des Imperialismus kann es auch „gerechte“ Kriege geben, das sind die Kriege der unterdrückten, abhängigen Staaten gegenüber den sie unterdrückenden imperialistischen Großmächten. „Wenn zum Beispiel morgen Marokko an Frankreich, Indien an England, Persien oder China an Rußland usw. den Krieg erklärten, so wären das ‚gerechte‘ Kriege, ‚Verteidigungskriege‘, unabhängig davon, wer als erster angegriffen hat, und jeder Sozialist würde mit dem Sieg der unterdrückten, abhängigen, nicht gleichberechtigten Staaten über die Unterdrücker, die Sklavenhalter, die Räuber – über die ‚Groß’mächte sympathisieren.“ (LW 21, S.301)
  •  ein imperialistischer Krieg aber sei ein Krieg zwischen den Räubern, den „Sklavenhaltern“ und könne von Kommunisten nicht als fortschrittlich angesehen werden. Unter solchen Umständen sei es völlig egal, wer zuerst angegriffen habe, wer aggressiver sei und wer in der Verteidigungsposition. Hierbei muss die Arbeiterklasse stets versuchen, den Krieg in einen Bürgerkrieg für die sozialistische Revolution umzuwandeln. (u.a. siehe LW 21, S. 301)

Unter der Überschrift „Der gegenwärtige Krieg ist ein imperialistischer Krieg“ erläutert Lenin unmissverständlich, was er unter einen imperialistischen Krieg versteht. Wie wir sehen, hängt das genau mit der Frage zusammen, die wir unter den Abschnitten oben diskutiert haben.

„Fast alle erkennen an, daß der heutige Krieg ein imperialistischer Krieg ist, aber zumeist verfälscht man diesen Begriff oder wendet ihn jeweils nur auf eine Seite an oder unterstellt schließlich trotzdem die Möglichkeit, daß dieser Krieg die Bedeutung eines bürgerlich-fortschrittlichen, eines nationalen Befreiungskrieges haben könne. Der Imperialismus stellt die erst im 20. Jahrhundert erreichte höchste Entwicklungsstufe des Kapitalismus dar. Dem Kapitalismus ist es zu eng geworden in den alten Nationalstaaten, ohne deren Bildung er den Feudalismus nicht stürzen konnte. Der Kapitalismus hat die Konzentration bis zu einem solchen Grade entwickelt, daß ganze Industriezweige von Syndikaten, Trusts, Verbänden kapitalistischer Milliardäre in Besitz genommen sind und daß nahezu der ganze Erdball unter diese ‚Kapitalgewaltigen‘ aufgeteilt ist, sei es in der Form von Kolonien, sei es durch die Umstrickung fremder Länder mit den tausendfachen Fäden finanzieller Ausbeutung. Der Freihandel und die freie Konkurrenz sind ersetzt durch das Streben nach Monopolen, nach Eroberung von Gebieten für Kapitalanlagen, als Rohstoffquellen usw. Aus einem Befreier der Nationen, der er in der Zeit des Ringens mit dem Feudalismus war, ist der Kapitalismus in der imperialistischen Epoche zum größten Unterdrücker der Nationen geworden. Früher fortschrittlich, ist der Kapitalismus jetzt reaktionär geworden, er hat die Produktivkräfte so weit entwickelt, daß der Menschheit entweder der Übergang zum Sozialismus oder aber ein jahre-, ja sogar jahrzehntelanger bewaffneter Kampf der ‚Groß’mächte um die künstliche Aufrechterhaltung des Kapitalismus mittels der Kolonien, Monopole, Privilegien und jeder Art von nationaler Unterdrückung bevorsteht.“ (LW 21, S.301/302)

Wahrscheinlich wird der Inhalt dieses Zitates von Lenin vielen, die den gegenwärtigen Krieg im Jahre 2022 ohne vorherige konkret-historische Analyse als imperialistischen Krieg bezeichnen, aus der Seele sprechen. Hier ist jedoch Vorsicht geboten: die Aussagen sollten erstens genau und zweitens im Kontext der gesamten Zeit und aller unterschiedlichen Schriften gelesen werden. Ich werde im Folgenden ausführlicher Lenin zitieren, um zu zeigen, wie sehr man sich selbst betrügen kann, wenn man hier und da das zusammenpickt, was einem selbst gut in die Argumentation passt. Verbleiben wir aber kurz bei den Aussagen von Lenin. Auch aus diesem Zitat spricht eine klare Sprache bezüglich der Abhängigkeits- und Machtverhältnisse. Weiter heißt es, dass der „Kapitalismus“, also dieses System der privaten Aneignung gesellschaftlicher Erzeugnisse und Reichtümer, „zum größten Unterdrücker der Nationen“ geworden ist und das drücke sich in einem „bewaffneten Kampf der ‚Groß’mächte“[40] um die Erhaltung dieser Herrschaftsverhältnisse aus.

Um hier nicht den Raum zu sprengen, werde ich jetzt nicht noch den Resolutionsentwurf der Zimmerwalder Linken (LW 21, S.348 ff), geschrieben am 2.September 1915 zitieren, aber darauf hinweisen, dass diese Resolution, die häufig als Grundlage genommen wird, um allgemeine Leitlinien für Kommunisten in der Beurteilung von Kriegen zu formulieren, noch einmal gründlich untersucht werden sollte. Jedenfalls hoffe ich, dass die folgenden Aussagen, die ich hier anführe, hilfreich sein werden, um eine einseitige Lektüre zu vermeiden.

Im Juli 1916 schreibt Lenin eine Kritik an der so genannten „Junius-Broschüre“ (LW 22, S. 310 ff), die Rosa Luxemburg kurz zuvor unter dem Titel „Die Krise der Sozialdemokratie“[41] veröffentlicht hatte. Bevor ich aber auf die Kritik von Lenin eingehe, muss dazu gesagt werden, dass dieser Text von Rosa Luxemburg ein höchst lesenswerter Text ist, dessen Bedeutung und Richtigkeit durch die Kritik von Lenin kaum geschmälert wird. Das wird Lenin selbst nicht müde zu betonen. Für unsere Auseinandersetzung heute aber ist die Kritik, die Lenin an den Fehlern der Broschüre hat, äußerst spannend, deshalb führe ich sie an. Im Kern geht es dabei darum, wie man aus den Analysen und Schlussfolgerungen bezüglich des Ersten Weltkrieges falsche Verallgemeinerungen machen kann, die dem Geist des Wissenschaftlichen Kommunismus widersprechen. Lenin betont wie richtig es sei, dass Junius (zu dem Zeitpunkt wusste Lenin nicht, dass Junius ein Pseudonym von Rosa Luxemburg war) die Parole eines ‚nationalen Krieges‘ in Bezug auf den Ersten Weltkrieg, der imperialistischen Charakter hatte, zurückweist. Er meint aber zwischen den Zeilen eine potentielle Verallgemeinerung dieser These in dem Sinne herauszulesen, dass es in der imperialistischen Epoche überhaupt keine nationalen Kriege mehr geben könne. Auf die Gefahr hin, dass er Junius zu Unrecht kritisiere, sei es dennoch wichtig diese Kritik zu formulieren, weil er diese Gefahr der Verallgemeinerungen auch bei anderen Sozialdemokraten (damals kein Schimpfwort) beobachten würde. 

Was beinhaltet die Kritik Lenins?

Der erste mögliche Fehler ist, dass die Unmöglichkeit nationaler Kriege damit begründet wird, dass jeder Krieg letztendlich in einen imperialistischen Krieg umschlagen muss, weil es in der Epoche des Imperialismus keinen Flecken Erde mehr gibt, der nicht von den imperialistischen Großmächten aufgeteilt wäre und somit diese Mächte notwendigerweise darin verwickelt seien. 

„Die Unrichtigkeit dieses Arguments ist augenfällig. Selbstverständlich ist es ein Grundsatz der marxistischen Dialektik, daß alle Grenzen in der Natur und in der Gesellschaft bedingt und beweglich sind, daß es keine einzige Erscheinung gibt, die nicht unter gewissen Bedingungen in ihr Gegenteil umschlagen könnte. Ein nationaler Krieg kann in einen imperialistischen umschlagen und umgekehrt. Ein Beispiel: Die Kriege der Großen Französischen Revolution begannen als nationale Kriege und waren auch solche. Diese Kriege waren revolutionär, sie dienten der Verteidigung der großen Revolution gegen eine Koalition konterrevolutionärer Monarchien. Als aber Napoleon das französische Kaiserreich errichtete und eine ganze Reihe seit langem bestehender, großer, lebensfähiger Nationalstaaten Europas unterjochte, da wurden die nationalen französischen Kriege zu imperialistischen, die nun ihrerseits nationale Befreiungskriege gegen den Imperialismus Napoleons erzeugten.“ (LW 22, S. 314, Hervorh. von Lenin)

Für unsere heutige Auseinandersetzung wird folgende weitsichtige Formulierung relevant sein: auch ein imperialistischer Krieg kann also in einen nationalen Krieg umschlagen? Es ist sicherlich eine Herausforderung und dazu noch eine große Verantwortung diese Frage bezüglich konkreter kriegerischer Auseinandersetzungen zu beantworten. Man kann sie nur nicht – so hier die Quintessenz der Aussage – allgemein oder mit den Ergebnissen der Analyse anderer Kriege zu anderen Zeiten unter anderen historischen Bedingungen beantworten. Deshalb ist es auch meiner Ansicht nach sehr falsch, heute auf die Analyse des Ersten Weltkrieges zu verweisen, wenn es um die Frage der Einschätzung des heutigen Krieges geht.

Zwei Faktoren, die es als eher unwahrscheinlich erscheinen ließen, dass der Erste Weltkrieg in einen nationalen Krieg umschlagen könne, seien, so Lenin, erstens das Proletariat, das in diesem Krieg objektiv danach strebt, den Krieg in eine sozialistische Revolution, also in einen Bürgerkrieg gegen die Kapitalistenklassen der imperialistischen Ländern umzuwandeln und dass die beteiligten imperialistischen Staaten sich nur unwesentlich voneinander unterscheiden würden. Aber auch hier argumentiert Lenin gegen vorschnelle Statements und gegen Verabsolutierungen. Für uns sind seine Ausführungen deshalb von Interesse, weil sie uns potentiell helfen, aus dem schablonenhaften Denken herauszukommen. Wenn das Proletariat ohnmächtig wäre, so Lenin, wenn der Krieg (wohlgemerkt der innerimperialistische Krieg) zur Versklavung von Kriegsparteien führen würde, wenn also eine Seite eine andere Kriegspartei unterwerfen würde usw. und so fort, dann wäre sogar ein nationaler Krieg in Europa möglich. 

Ich belasse es hierbei und überlasse es unseren weiteren kollektiven Auseinandersetzungen aus diesen Zitaten hier zu lernen, wie eine Anwendung des Wissenschaftlichen Kommunismus aussehen könnte.

Hier aber erstmal Lenin im Original:

„Daß der gegenwärtige imperialistische Krieg, der Krieg von 1914 bis 1916, in einen nationalen Krieg umschlägt, ist deshalb in hohem Grade unwahrscheinlich, weil die Klasse, in der sich die Vorwärtsentwicklung verkörpert, das Proletariat ist, das objektiv danach strebt, diesen Krieg in einen Bürgerkrieg gegen die Bourgeoisie umzuwandeln, ferner aber auch deshalb, weil die Kräfte beider Koalitionen sich nur unerheblich voneinander unterscheiden und das internationale Finanzkapital überall eine reaktionäre Bourgeoisie geschaffen hat. Aber man kann ein solches Umschlagen nicht für unmöglich erklären: wenn das Proletariat Europas auf 20 Jahre hinaus ohnmächtig bliebe; wenn dieser Krieg mit Siegen in der Art der Siege Napoleons und mit der Versklavung einer Reihe lebensfähiger Nationalstaaten endetewennder außereuropäische Imperialismus (der japanische und der amerikanische in erster Linie) sich ebenfalls noch 20 Jahre halten könnte, ohne, z. B. infolge eines japanisch-amerikanischen Krieges, in den Sozialismus überzugehen, dann wäre ein großer nationaler Krieg in Europa möglich. Das wäre eine Rückentwicklung Europas um einige Jahrzehnte. Das ist unwahrscheinlich. Es ist aber nicht unmöglich, denn zu glauben, die Weltgeschichte ginge glatt und gleichmäßig vorwärts, ohne manchmal Riesensprünge rückwärts zu machen, ist undialektisch, unwissenschaftlich, theoretisch unrichtig.“ (LW 22, S. 315, Hervh. von Lenin)

Von Lenin lernen, heißt den Realitäten, ohne Angst vor unbequemen Schlussfolgerungen, in die Augen zu sehen. Mit Realitäten sind die konkret vor sich gehenden historischen Vorgänge gemeint. Besonders hervorheben will ich die Frage der Passivität („Ohnmacht“) des Proletariats, die Lenin hier als einen wesentlichen Faktor anführt. Das heißt ja, wenn ich das richtig verstehe, wenn die Arbeiterklasse nicht in der Lage sein sollte einen Krieg in einen Bürgerkrieg gegen die eigene Bourgeoisie zu verwandeln, um die sozialistische Revolution zu vollziehen und die Diktatur des Proletariats zu errichten, dann könnte der Krieg in einen nationalen Krieg (in Europa!) umschlagen, wenn die Unterwerfung des entsprechenden Landes drohen würde?

Ich möchte, wie oben schon gesagt, Lenin an dieser Stelle ausführlich zitieren. Im folgenden Beispiel erklärt Lenin wie der Beistand eines imperialistischen Staates in einem nationalen Krieg gegen einen anderen imperialistischen Staat, dann als nationaler Krieg zu werten ist, wenn die Rivalität zwischen den Imperialisten weniger Gewicht hat, als der Befreiungskrieg der Nation gegen die Unterdrückung durch einen Imperialisten.

„Ein Beispiel: England und Frankreich haben im Siebenjährigen Krieg um Kolonien gekämpft, d.h. einen imperialistischen Krieg geführt (der ebenso auf der Basis der Sklaverei und der Basis des primitiven Kapitalismus wie auf der gegenwärtigen Basis des hochentwickelten Kapitalismus

möglich ist). Frankreich wird besiegt und verliert einen Teil seiner Kolonien. Einige Jahre später beginnt der nationale Befreiungskrieg der nordamerikanischen Staaten gegen England allein. Frankreich und Spanien, die selbst noch Teile der heutigen Vereinigten Staaten besitzen, schließen aus Feindschaft gegen England, d. h. aus ihren imperialistischen Interessen heraus, einen Freundschaftsvertrag mit den Staaten, die sich gegen England erhoben haben. Französische Truppen schlagen zusammen mit den amerikanischen die Engländer. Wir haben es hier mit einem nationalen Befreiungskrieg zu tun, in dem die imperialistische Rivalität ein hinzugekommenes Element ohne ernste Bedeutung ist – im Gegensatz zu dem, was wir im Kriege 1914-1916 sehen (das nationale Element im Österreichisch-Serbischen Krieg hat keine ernste Bedeutung im Vergleich mit der alles bestimmenden imperialistischen Rivalität). Daraus ist ersichtlich, wie sinnlos es wäre, den Begriff Imperialismus schablonenhaft anzuwenden und aus ihm die ‚Unmöglichkeit‘ nationaler Kriege zu folgern. Ein nationaler Befreiungskrieg beispielsweise eines Bündnisses von Persien, Indien und China gegen diese oder jene imperialistischen Mächte ist durchaus möglich und wahrscheinlich, da er sich aus der nationalen Befreiungsbewegung dieser Länder ergeben würde, wobei das Umschlagen eines solchen Krieges in einen imperialistischen Krieg zwischen den jetzigen imperialistischen Mächten von sehr vielen konkreten Umständen abhinge, für deren Eintreten zu bürgen lächerlich wäre.“ (LW 22, S. 316)

Und schließlich geht Lenin noch einen Schritt weiter, um jegliches Schablonendenken zurückzuweisen und stellt die These auf, dass es sogar denkbar wäre, dass es in Europa nationale Kriege geben könne. Das könnte z.B. (Konjunktiv! Beispiel!) ein Krieg vonseiten der kleineren europäischen Mächte gegen die „imperialistischen“ (!) Mächte sein. Von besonderer Bedeutung ist, wie ich finde, der Hinweis auf das „eigentümlich Politische“ in Bezug auf Österreich. Wir sollten wirklich versuchen dieses Herangehen, diese Art der Anwendung des Wissenschaftlichen Kommunismus zu erlernen. Was ist das besondere Merkmal eines Staates, was sind die besonderen Bedingungen und immer wieder: erst verstehen, dann urteilen, dann kämpfen. Aber lesen wir erstmal wieder, was Lenin zur Möglichkeit eines nationalen Krieges unter den gegebenen Bedingungen in Europa schreibt:

„Drittens darf man selbst in Europa nationale Kriege in der Epoche des Imperialismus nicht für unmöglich halten. Die „Ära des Imperialismus“ hat den jetzigen Krieg zu einem imperialistischen gemacht, sie wird unweigerlich (solange nicht der Sozialismus kommt) neue imperialistische Kriege erzeugen, sie hat die Politik der jetzigen Großmächte zu einer durch und durch imperialistischen gemacht, aber diese ‚Ära‘ schließt keineswegs nationale Kriege aus, z. B. von Seiten der kleinen (nehmen wir an, annektierten oder national unterdrückten) Staaten gegen die imperialistischen Mächte, wie sie auch im Osten Europas nationale Bewegungen in großem Maßstab nicht ausschließt. Betreffs Österreichs z.B. hat Junius ein sehr gesundes Urteil, da er nicht nur das ‚Ökonomische‘, sondern auch das eigentümlich Politische in Betracht zieht, die ‚innere Lebensunfähigkeit Österreichs‘ hervorhebt und feststellt, daß‚ die Habsburgische Monarchie nicht die politische Organisation eines bürgerlichen Staates, sondern bloß ein lockeres Syndikat einiger Cliquen gesellschaftlicher Parasiten‘ darstellt und daß die ‚Liquidierung Österreich-Ungarns historisch nur die Fortsetzung des Zerfalls der Türkei und zusammen mit ihm ein Erfordernis des geschichtlichen Entwicklungsprozesses‘ ist. Mit einigen Balkanstaaten und mit Rußland steht es nicht besser. Und unter der Voraussetzung einer starken Erschöpfung der ‚Groß’mächte in diesem Krieg oder unter der Voraussetzung des Sieges der Revolution in Rußland sind nationale Kriege, sogar siegreiche, durchaus möglich. Die Einmischung der imperialistischen Mächte ist in der Praxis nicht unter allen Umständen durchführbar, das einerseits. Wenn man anderseits aber so ‚ins Blaue hinein‘ urteilt, der Krieg eines kleinen Staates gegen einen Giganten sei aussichtslos, so ist darauf zu sagen, daß ein aussichtsloser Krieg auch ein Krieg ist; überdies können gewisse Erscheinungen im Innern der ‚Giganten‘, z. B. der Ausbruch einer Revolution, einen ‚aussichtslosen‘ Krieg sehr ‚aussichtsreich‘ machen.“ (LW 22, S. 316/317, Hervorhebung Lenin)

Zuallerletzt möchte ich das vorerst letzte Zitat Lenins in die Diskussion einbringen, um einen weiteren Aspekt der Bedeutung unserer – hoffentlich bald beginnenden und hoffentlich ernsthaften – Auseinandersetzungen hervorzuheben. Es geht um das Potential oder die Gefahr eines bornierten Dogmatismus, der in Chauvinismus umschlagen kann und dessen objektive Grundlage wiederum die bestochenen Teile der internationalen Arbeiterklasse vor allem in den imperialistischen Großmächten und in den mit ihnen historisch-konkret verbündeten Ländern ist. Dabei geht es um eine Sichtweise, die die Position einnimmt, dass es keine anderen Kriege mehr geben könne als reaktionäre Kriege, außer sie seien der Krieg des Proletariats gegen die Kapitalistenklasse, also die Position, die die Möglichkeit nationaler Kriege im Zeitalter des Imperialismus in allgemeiner und dogmatischer Weise ausschließt.

„Wir sind nicht nur deshalb so ausführlich auf die Unrichtigkeit der Behauptung, daß es ‚keine nationalen Kriege mehr geben kann‘, eingegangen, weil sie offensichtlich theoretisch falsch ist. Es wäre natürlich sehr traurig, wenn die ‚Linken‘ in einer Zeit, in der die Gründung der III. Internationale nur auf dem Boden des nicht vulgarisierten Marxismus möglich ist, der Theorie des Marxismus gegenüber einen Mangel an Sorgfalt bekunden würden. Aber auch in praktisch-politischer Hinsicht ist dieser Fehler sehr schädlich, denn daraus wird die unsinnige Propaganda für

die ‚Entwaffnung‘ abgeleitet, da es angeblich keine anderen Kriege mehr geben könne als reaktionäre; daraus wird die noch unsinnigere und direkt reaktionäre Gleichgültigkeit den nationalen Bewegungen gegenüber abgeleitet. Eine solche Gleichgültigkeit wird zum Chauvinismus, wenn Angehörige der europäischen ‚großen’ Nationen, d. h. der Nationen, die eine Masse kleiner und kolonialer Völker unterdrücken, mit hochgelehrter Miene erklären: ‚Nationale Kriege kann es nicht mehr geben!‘ Nationale Kriege gegen imperialistische Mächte sind nicht nur möglich und wahrscheinlich, sie sind unvermeidlich, sie sind fortschrittlich und revolutionärobgleich natürlich zu ihrem Erfolg entweder die Vereinigung der Anstrengungen einer ungeheuren Zahl von Bewohnern unterdrückter Länder (Hunderte Millionen in dem von uns angeführten Beispiel Indiens und Chinas) erforderlich ist oder eine besonders günstige Konstellation der internationalen Lage (z. B. die Lähmung einer Einmischung imperialistischer Mächte infolge ihrer Schwächung, ihres Krieges, ihres Antagonismus u. dgl. m.) oder der gleichzeitige Aufstand des Proletariats einer der Großmächte gegen die Bourgeoisie (dieser in unserer Aufzählung letzte Fall ist der erste vom Standpunkt des Wünschenswerten und für den Sieg des Proletariats Vorteilhaften).“ (LW 22, S. 317/318 Hervorhebungen Lenin)

Kommunisten und der gegenwärtige Krieg

Ich kann es nicht nachvollziehen, wenn auf die gegenwärtigen Ereignisse mit einer gewissen Gelassenheit und Selbstsicherheit reagiert wird, vor allem dann, wenn offensichtlich keine Analyse der Lage vorgenommen wurde. Wenn Akteure in der Bewegung mit sehr allgemeinen Urteilen aufwarten, die nichts anderes als allgemeine Parolen zum Imperialismus / Kapitalismus und zur proletarischen Revolution beinhalten, dann frage ich mich, ob sie nicht merken, dass sie völlig an der Sache vorbeireden und letztendlich nur zu sich selbst im Sinne einer Selbstvergewisserung sprechen.

Aber gut. Es stellen sich ganz konkrete praktische Fragen in Bezug auf den gegenwärtigen Krieg. Hier nur ein paar Schlaglichter:

  • in welcher Weise und mit welchen Parolen kann die Arbeiterklasse unter den unterschiedlichen nationalen Bedingungen kämpfen? 
  • ist die Parole „Raus aus der NATO“ in Deutschland genauso richtig oder ausreichend wie z.B. in Griechenland? Ist der deutsche Imperialismus außerhalb der NATO eine noch größere Bedrohung und potentiell eigenständig aggressiver? 
  • In welchen Ländern könnte die Verteidigung der Grenzen eine nicht im Sinne der „Vaterlandsverteidigung“ der Bourgeoisie, also nationalistisch-völkisch verhetzt, sondern der Verteidigung der nationalen Sicherheit relevant werden.
  • Wie wird gerade der Pazifismus hierzulande zum Instrument in den Händen der kriegführenden Regierung? Wie müssen sich Kommunisten dazu verhalten?

Die Debatte innerhalb der KO bekam eine praktische Relevanz, als es um die Frage ging, ob wir uns auf bestimmte Parolen einigen können. Das mag so aussehen als hätte die Tatsache, dass wir das bis jetzt nicht konnten, keine gesellschaftliche Relevanz, weil die KO so klein und die Bewegung so isoliert etc. ist. Meiner Ansicht nach ist diese Wahrnehmung aber falsch. Von der Konsequenz her gedacht, ist die Handlungsunfähigkeit nichts anderes als eine Art der Neutralisierung der Arbeiterklasse durch den Klassenfeind bzw. in seinem Interesse, denn in diesem Fall musste der Feind nicht viel dafür tun. 

Wir konnten uns also nicht darauf einigen, unseren Kampf auf den Hauptfeind in unserem Land, den deutschen Imperialismus und damit auch auf die NATO, weil unser Hauptfeind ein gewichtiger Teil dieses Bündnisses ist, zu konzentrieren. Der Einwand war, dass das nur möglich sei, wenn wir auch den Militäreinsatz Russlands in der Ukraine als einen Angriffskrieg bzw. als einen aggressiven imperialistischen Akt benennen. Hätten wir uns darauf geeinigt, wäre das schlechter gewesen als einfach nur nichts zu sagen. Warum? Weil wir damit aktiv die Propaganda des Klassengegners unterstützt hätten. Ja, wir hätten wahrscheinlich einiges an Zuspruch auf der Straße und sonstwo bekommen. Genau das sollte uns alarmieren, bei der chauvinistischen Verhetzung, die gerade auf offensichtlich fruchtbarem Boden fällt. Wahrscheinlich hätten wir aber auch gerade die Teile der Arbeiterklasse nicht erreicht, die noch nicht von dieser Verhetzung ergriffen sind.

Fragen wir aber, warum Genossen in der Organisation und in der Bewegung so vehement darauf bestehen, dass der russische Militäreinsatz verurteilt wird. Besteht die Sorge, dass große Teile der Arbeiterklasse in Deutschland sich unter die Flagge Russlands stellen könnten? Geht es darum, eine agitatorische Taktik anzuwenden? Oder geht es darum, Wahrheiten zu verkünden? Gibt es nicht die Sorge, dass wir dadurch möglicherweise in die gleiche Kerbe schlagen, wie die bürgerlichen Medien in Deutschland und dem politischen „Westen“?

Zu glauben, dass es irgendjemanden zurzeit interessiert, ob wir zusätzlich zur Verurteilung Russlands auch allgemein gegen Krieg sind (was meiner Ansicht nach keine kommunistische Position sein kann) oder ob wir die NATO kritisieren, ist recht naiv. Für die Kriegspropaganda ist doch vor allem wichtig, dass alle einstimmen, wenn es um die Hauptstoßrichtung in ihrem Sinne geht, also gegen Russland. Es ist am Ende des Tages sogar wünschenswert, wenn so viele unterschiedliche Teile der Gesellschaft sich endlich einig sind – von links bis rechts alle gegen Russland und sogar die allerradikalsten Kommunisten sind dabei. Ich meine, dass man mit ein bisschen Klasseninstinkt und einem Hauch Gespür dafür, was sich in dieser Gesellschaft gerade an reaktionärem Potential zusammenbraut, erkennen müsste, dass es in so einer Situation besser ist, wenn man den Mund hält, anstatt auch nur eine Silbe Schützenhilfe für die Kriegspropaganda zu leisten. Gerade dann, wenn man nicht einmal in der Lage ist, die Arbeiterklasse so zu erreichen, dass man ihr die Differenzierungen und „Wenns und Abers“ seiner Stellungnahmen vermitteln kann. 

Ich kann nur sagen: zum Glück haben wir als Organisation bisher lieber geschwiegen oder noch besser Selbstkritik geübt. So leisten wir zwar auch eine Art Dienst für den Klassengegner, indem wir uns selbst neutralisieren, aber wir nehmen das ernst und arbeiten an uns.

Die internationale kommunistische Bewegung sollte diesen Krieg im Sinne eines Paukenschlags sehr ernst nehmen. Wie die letzten Jahrzehnte gezeigt haben, haben Kriege eine immense Sprengkraft – gerade dann, wenn keine soliden Grundlagen für die Orientierung der internationalen Bewegung geschaffen sind. Wie wir sehen können, ringen viele Kommunisten um die richtigen Positionen, um die richtige Haltung zum gegenwärtigen Krieg. Im schlimmsten Fall führt dieses Ringen um die richtige revolutionäre Linie zum Auseinanderfallen von bestehenden Strukturen, zum Zerfall und zur Zersetzung der Gesamtbewegung.

Deshalb plädiere ich dafür organisiert, diszipliniert und kollektiv, selbstkritisch und vor allem sachlich-konkret und wissenschaftlich an die Arbeit zu gehen und zu versuchen die Arbeit zu leisten, die geleistet werden muss, um eine richtige kommunistische Position und Haltung zu diesem Krieg zu entwickeln. Wir haben die Ressourcen dafür, nichts und niemand steht uns im Weg, wir müssen es nur tun. 


[1] Ich werde im Folgenden das Imperialismusverständnis der KKE als Weltsystem-Ansatz bezeichnen, weil ich meine, dass die Überbetonung, wenn nicht sogar die Verabsolutierung des Weltsystems als Struktur wesentlich für diesen Ansatz ist. Dazu weiter unten mehr. Dieser Ansatz ist zwar nicht zu verwechseln mit der Weltsystem-Analyse, die vor allem von Immanuel Wallerstein begründet wurde, jedoch sind einige Ähnlichkeiten festzustellen, denen man nachgehen könnte. Die Aufteilung der Welt in drei Hauptschichten „Zentrum“, „Semiperipherie“ und „Peripherie“, die durch hierarchische interdependente Verhältnisse gekennzeichnet sind, wird häufig auch in einer Art Dreieck bzw. Pyramidenform dargestellt.

[2] Diskussionsbeitrag Genosse Sörensen (SKP) Januar 2019: https://kommunistische-organisation.de/diskussion/zur-frage-des-imperialismus-on-the-question-of-imperialism/

[3] https://kommunistische-organisation.de/diskussion/tkp-thesen-zum-imperialismus-entlang-der-achse-von-russland-und-china-2017/

[4] http://solidnet.org/article/Urgent-Joint-Statement-of-Communist-and-Workers-Parties-No-to-the-imperialist-war-in-Ukraine/

[5] http://www.solidnet.org/article/CP-of-the-Russian-Federation-Letter-from-the-CPRF/

[6] https://www.wsj.com/articles/SB10001424127887324767004578488212012776272

[7] “… the Western objective must be to leave Russia profoundly weakened and militarily crippled, incapable of renewing such an onslaught, isolated and internally divided until the point that an aging autocrat falls from power.“  https://www.theatlantic.com/ideas/archive/2022/03/strategy-west-needs-beat-russia/626962/

[8] Was der erste Generalsekretär der NATO, Lord Ismay in Bezug auf SU und Deutschland als strategische Zielstellung der NATO formulierte, gilt bis heute zugeschnitten auf Russland: https://www.nato.int/cps/en/natohq/declassified_137930.htm

[9] auch hier wird genauer zu klären sein, was überhaupt mit diesem Weltsystem gemeint ist bzw. welche unterschiedlichen Vorstellungen es davon gibt 

[10] im vorliegenden Text ist weder Platz für genauere Ausführungen zur Kriegstheorie, noch habe ich dazu die nötige Vorbereitung und müsste das erst leisten. Es sei hier nur auf gewisse scheinbare Widersprüche verwiesen, die bei unseren Diskussionen für Konfusion gesorgt haben. Einige Genossen glauben, dass ein aggressiver oder gewaltvoller Akt nicht Teil einer Verteidigung sein kann und schlussfolgern aus den einzelnen Aktionen ein allgemeines Urteil darüber, dass es sich hierbei um einen Angriffskrieg Russlands handelt. Das ist eine sehr oberflächliche Betrachtung. Ein Angriff und damit auch der Einsatz offensiver militärischer Mittel kann durchaus ein integraler Bestandteil der Verteidigung sein. Hierzu lohnt es sich, – und das tut es auch in vielerlei anderer Hinsicht für Revolutionäre – Clausewitz zu lesen. Siehe S. 232-235 https://www.clausewitz.com/readings/VomKriege1832/_VKwholetext.htm#6-1

[11] http://www.solidnet.org/article/Urgent-Joint-Statement-of-Communist-and-Workers-Parties-No-to-the-imperialist-war-in-Ukraine/

[12] http://www.politische-oekonomie.org/Lehrbuch/kapitel_21.htm

[13] https://www.youtube.com/watch?v=xZay4Y9ilF8

[14] https://kommunisten.de/marx-linke/marxistische-linke-ev/8461-marxistische-linke-zum-krieg-russlands-gegen-die-ukraine

[15] http://multipolare-welt-gegen-krieg.org/

[16] So und nicht anders sind die Formulierungen in unseren Programmatischen Thesen zu verstehen. https://kommunistische-organisation.de/programm-thesen/4-der-imperialismus/

[17] es wäre lohnenswert hier mal eine Recherche zu machen, um zu sehen welche Teile der Bewegung in diese Richtung tendieren. Eine Richtung, die ich gefährlich finde. Ich meine eine solche Sichtweise bei den Freidenkern wahrgenommen zu haben.

[18] https://www.youtube.com/watch?v=_4KcI-upk54

[19] Wenn alles nach Plan läuft, werde ich in einem weiteren Beitrag diese Gedanken ausführlicher darlegen.

[20] Aleka Papariga: On Imperialism – the Imperialist Pyramid, 2013 in: https://inter.kke.gr/de/articles/On-Imperialism-The-Imperialist-Pyramid/ – zu diesem Zeitpunkt war Aleka Papariga Mitglied des ZK der KKE – übersetzt mit Google – geprüft durch K.Bina, da englische Quelle (das ist leider bei den Artikeln in griechischer Sprache nicht möglich gewesen – siehe weiter unten)

[21] http://interold.kke.gr/News/2008news/2008-1-aleka/index.html

[22] ebd. Die Formulierung mit der Unterwürfigkeit unter dem liberalen Standpunkt lässt sich besser nachvollziehen, wenn man weiß, dass sie vorher folgendes dazu geschrieben hat: „In Europa identifizieren die Opportunisten Imperialismus mit Deutschland und dem, was sie den dogmatischen autoritären liberalen Standpunkt nennen.“

[23] aber auch hier möchte ich dazu anregen, dass das eine der Felder ist, die wir uns noch erschließen müssen. Möglicherweise fühlen sich Genossinnen und Genossen hier angeregt, das zu tun.

[24] ebd.

[25] ebd.

[26] Eine solche Sichtweise vertritt Genosse Sörensen von der SKP (Kommunistische Partei Schweden). Er argumentiert, dass alle kapitalistischen Länder letztlich imperialistische Länder sind, weil Kapitalismus gleich Kapitalakkumulation gleich Konzentration und Zentralisation des Kapitals gleich Monopolisierung und irgendwann Kapitalexport und irgendwie beteiligt an der Aufteilung der Welt. Diese Sichtweise ist eine komplette Relativierung dessen, was Imperialismus bedeutet, da hier alle am Beutemachen beteiligt werden. Diskussionsbeitrag Genosse Sörensen von der SKP 2019: https://kommunistische-organisation.de/diskussion/zur-frage-des-imperialismus-on-the-question-of-imperialism/

[27] Vasilis Opsimos in KOMEP 2/17 https://www.komep.gr/m-article/I-TIEORIA-TOY-LENIN-GIA-TON-IMPERIALISMO-KAI-OI-DIASTREBLOSEIS-TIS/  – Übersetzt aus dem Griechischen mit Google – Überprüfbarkeit durch K.Bina nicht gegeben

[28] Alle Lenin-Zitate hier aus Leninwerke Band 22, Dietz Verlag Berlin 1971 – Digitalisierte Version abrufbar unter https://marx-wirklich-studieren.net/

[29] auch hierzu gibt es in unseren Reihen Dissens, den wir noch nicht bearbeitet haben. Inwiefern dieser Dissens mit den unterschiedlichen Vorstellungen vom Imperialismus im Allgemeinen zusammenhängt oder nur zufällig mit der Position der „gegenseitigen Abhängigkeiten im Weltsystem“ einhergeht, kann ich noch nicht beurteilen.

[30] Lenin 1915: Sozialismus und Krieg, Leninwerke Band 21, Dietz Verlag Berlin 1960, S.318

[31] Interview mit Okuyan auf SoL-Haber: https://haber.sol.org.tr/haber/soylesi-kemal-okuyan-yanitladi-rusya-ukrayna-savasi-nereye-evriliyor-328854

[32] In der Übersetzung steht hier „Sir“, was keinen Sinn macht. Im Türkischen beginnt der Satz mit „Efendim“, was ich hier eher mit „Sehen Sie“ oder „Sieh mal“ übersetzen würde. Ich habe es aber zugungsten der Lesbarkeit lieber rausgenommen.

[33] https://kommunistische-organisation.de/diskussion/tkp-thesen-zum-imperialismus-entlang-der-achse-von-russland-und-china-2017/

[34] ebenda

[35] Die Frage, was wir unter nationalem Befreiungskampf verstehen, muss an anderer Stelle behandelt werden. Auch das würde hier den Rahmen des Beitrages sprengen. Aber diese Fragen müssen uns im Zusammenhang mit der Imperialismusdiskussion beschäftigen, weil auch hier einige Genossen die Gefahr eines „Etappismus“ sehen, der auf nationale Befreiungskämpfe bezogen und kritisiert wird.

[36] Nationale Befreiungsfront und EAS, bewaffneter Arm der EAM, die während des Zweiten Weltkrieges gegen den Faschismus kämpfte und 1945 im Abkommen von Varkiza größtenteils die Waffen streckte. Die KKE hat in einer Reihe von Analysen und Forschungen diese Politik als falsch ausgewertet und bewertet diese im Zusammenhang mit der Politik der SU bezüglich „Normalisierung“ des Verhältnisses zu den imperialistischen Ländern nach dem Sieg über den Hitlerfaschismus. Dazu folgender Lesetipp: Rede von Eleni Bellou 2019 in Istanbul, damals Mitglied des Politbüros der KKE, der sich genau mit der Frage der Fehler der KKE in Fragen der Zusammenarbeit mit der griechischen Bourgeoisie befasst: 
https://inter.kke.gr/en/articles/Conclusions-from-KKEs-armed-struggle-during-WWII-and-from-the-struggle-of-DSE-Democratic-Army-of-Greece-through-the-scope-of-the-strategy-of-the-international-communist-movement/

[37] Demokratische Armee Griechenlands war die bewaffnete Armee der KKE, die nach dem Sieg über den Hitlerfaschismus ab 1946 als DSE den bewaffneten Kampf gegen die Regierung bis zu ihrer Niederlage 1949 fortsetzte.

[38] Makis Mailis in KOMEP 2/12 https://www.komep.gr/m-article/O-NIKOS-ZAXARIADIS-MESA-APO-TO-DOKIMIO-ISTORIAS-TOY-KKE-B-TOMOS-1949-1968

[39] Fast alle Beiträge Lenins zur Frage Imperialismus und Kriege sind im Band 21 der Leninwerke zu finden

[40] Warum Lenin an mehreren Stellen ‚Groß‘ in Anführungszeichen setzt, ist mir nicht klar. Ich vermute, dass er damit eine positive Zuschreibung im Sinne von „Größe“ relativieren bzw. herabsetzen oder ironisieren wollte.

[41] Luxemburg, Rosa: Die Krise der Sozialdemokratie. Erstveröffentlicht Zürich 1916 In: Rosa Luxemburg, Gesammelte Werke, Bd. 4 (6. überarbeitete Auflage), Berlin 2000, S. 51-164. oder unter: https://www.marxists.org/deutsch/archiv/luxemburg/1916/junius/

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