English
русский
عربي

„Das wird uns nur noch mehr Mut und Kraft geben“. Samidoun-Koordinator äußert sich zu den Angriffen der USA und Kanadas auf die Gruppe

Anmerkung der Redaktion der Kommunistischen Organisation (KO): Am 2. November 2023 wurde das palästinensische Gefangenensolidaritätsnetzwerk Samidoun vom Bundesinnenministerium unter Nancy Fauser (SPD) per Exekutivakt in Deutschland verboten. Mitte Oktober erklärten dann sowohl die USA als auch Kanada die Organisation in einer konzertierten Aktion zur „Terrororganisation“. 

Wir veröffentlichen hier ein ins Deutsche übersetztes Interview mit dem Samidoun-Sprecher Mohammed Khatib, in dem er sich zu diesem neuerlichen Angriff auf das Netzwerk äußert. Wir danken Mondoweiss für die Erlaubnis, das Interview zu spiegeln.

Am 15. Oktober gab das US-Finanzministerium eine gemeinsame Aktion mit der kanadischen Regierung bekannt, die sich gegen das Samidoun – Palästinensisches Gefangenensolidaritätsnetzwerk richtete. Die USA verhängten Sanktionen gegen die Organisation und Kanada setzte die Gruppe auf die Liste terroristischer Vereinigungen.

In der Pressemitteilung des Finanzministeriums wird Samidoun als „Schein-Wohltätigkeitsorganisation“ bezeichnet und beschuldigt, Gelder für die Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP) zu sammeln, eine säkulare marxistisch-leninistische palästinensische politische Partei, die vom US-Außenministerium als terroristische Organisation eingestuft wurde.

„Samidoun wird besonders wegen unserer politischen und lautstarken Unterstützung für die palästinensische Gefangenenbewegung und das Recht des palästinensischen Volkes auf Widerstand ins Visier genommen“, heißt es in einer Erklärung der Gruppe in Reaktion auf die Entwicklung. „Während die USA und Kanada zwei der größten materiellen Unterstützer Israels mit Waffen und Geld sind und die palästinensische Bewegung in ihren eigenen Ländern unterdrücken, haben ihre offiziellen Außenposten im Ausland häufig versucht, die palästinensische Politik durch an Bedingungen geknüpfte Finanzierungen und ähnliche koloniale Unternehmungen zu beeinflussen und zu lenken.“

„Mit diesen Sanktionen beabsichtigen die USA und Kanada nicht nur, den Völkermord zu unterstützen, sondern auch den verbalen Widerstand gegen diesen Völkermord zu kriminalisieren“, heißt es weiter. „Das palästinensische Volk hat, wie alle kolonisierten und unterdrückten Völker, das Recht auf Widerstand, um sich und sein Land vom Kolonialismus und der Besatzung zu befreien, vom Fluss bis zum Meer. Diejenigen, die sich der Besatzung und Unterdrückung widersetzen – der palästinensische Widerstand – sind nicht nur Helden des palästinensischen Volkes, sie sind Verteidiger der gesamten Menschheit.“

Der US-Korrespondent von Mondoweiss, Michael Arria, sprach mit Samidouns Europa-Koordinator Mohammed Khatib über die Situation.

Mondoweiss: Wann haben Sie die Nachricht gehört und wie war Ihre erste Reaktion?

Khatib: Ich habe es zuerst in den zionistischen Nachrichten gesehen und anschließend die Erklärung der USA.

Nach diesem schweren Jahr der Repression und des Völkermords war ich, um ehrlich zu sein, überhaupt nicht überrascht. Wir wissen, dass sich die USA hinter den Völkermord und die zionistische Entität stellen.

Diese Art von Repression richtet sich nicht nur gegen Samidoun und findet nicht nur in den Vereinigten Staaten und Kanada statt, sondern auch in Europa. Ich spreche gerade aus Brüssel zu Ihnen und bin von Abschiebung bedroht. Der Staat versucht beispielsweise, meinen Asylstatus in Belgien zu widerrufen.1 Auch unsere Genossinnen und Genossen in Deutschland sind starker Repression ausgesetzt.2

Das war also nicht wirklich überraschend, um ehrlich zu sein. Wir sehen das als Teil dieser Kampagne gegen das palästinensische Volk, gegen die palästinensische Diaspora, gegen die arabische und muslimische Community, gegen die Solidaritätsbewegung mit Palästina. Wir haben diese Formen der Repression gegen die Studentenbewegung, gegen die Queer-Bewegung, gegen die jüdische Gemeinschaft erlebt, weil sie sich für Palästina eingesetzt haben. Wir sind also Teil dieses Gesamtpakets.

Was halten Sie von den konkreten Anschuldigungen des Finanzministeriums, dass die Gruppe eine „Schein-Wohltätigkeitsorganisation“ sei, die Geld für die PFLP sammelt?

Wir haben nie behauptet, eine humanitäre Organisation zu sein, so wie sie verstehen, was humanitäre Arbeit ist. Aber das ist eine Verleumdungskampagne. Es ist ein Angriff, um das Netzwerk zu delegitimieren und Angst vor uns zu schüren.

Sie greifen uns an, weil wir Spenden für andere politische Gruppen und Parteien gesammelt haben, und sie wissen sehr gut, dass das nicht wahr ist. Wenn es hier ernsthafte Vorwürfe gäbe, wären viele von uns jetzt im Gefängnis. Es gibt also keine rechtliche Grundlage oder Anhaltspunkte für irgendetwas davon. Es ist einfach eine verlogene Kampagne, um Samidoun und die Arbeit, die wir leisten, anzugreifen.

Als einer der Mitbegründer von Samidoun kann ich Ihnen sagen, dass wir jedes Mal, wenn wir von der zionistischen Entität auf diese Weise angegriffen werden, in Deutschland, in Kanada, in den USA, stärker und schlagkräftiger werden. Das ist eine Art Bestätigung für uns, dass wir auf dem guten politischen Weg sind und auf der richtigen Seite stehen.

Das wird uns also niemals Angst machen, und wir werden niemals zulassen, dass sie das tun, was sie gegen unser Netzwerk vorhaben.

Inwiefern behindern diese Maßnahmen der USA und Kanadas Ihre Fähigkeit, Menschen zu organisieren und zu unterstützen?

Auf jeden Fall wird sich das auf unsere Mittelbeschaffung auswirken, aber wir erhalten keine großen Geldbeträge. Wir sind die meiste Zeit auf die Unterstützung von Einzelpersonen angewiesen. Um ehrlich zu sein, werden unsere Community, unsere Leute, die Unterstützer Palästinas, wenn sie diese Art von Kampagne gegen uns sehen, uns und unsere Arbeit noch mehr unterstützen.

Deshalb ist Samidoun ein sehr schwer zu zerschlagendes Netzwerk und politische Organisation, weil wir nicht auf Geld angewiesen sind. Wir haben keine Büros oder Mitarbeiter, wie es bei anderen Organisationen der Fall ist. Wir sind eine sehr schlanke Organisation und unsere Arbeit vor Ort erfordert nicht viel Geld. Wir haben eine alternative Perspektive auf Organisation und Mobilisierung. Jede lokale Gruppe ist unabhängig. Wir verdienen ein wenig Geld, das wir für die Herstellung von Flyern und Aufklebern und solche Dinge benötigen. Wir nehmen keine Zuschüsse und kein Geld von Stiftungen an. So arbeiten wir nicht. Es wäre also sehr schwer für sie, uns davon abzubringen.

Natürlich ist das das Ziel des Angriffs: Es soll uns schwer gemacht werden, Spenden zu sammeln und Unterstützung zu erhalten, aber das wird uns niemals brechen oder vernichten. Das wird uns nur noch mehr Mut und Kraft geben.

Welche Auswirkungen haben diese Schritte auf die Palästina-Bewegung im Allgemeinen?

In einer Zeit, in der wir mit ansehen müssen, wie unser Volk bei lebendigem Leib verbrennt, wie unsere Gemeinden vertrieben werden und wir mit ethnischer Säuberung und Völkermord konfrontiert sind, wird uns dies nur Kraft geben.

Wir müssen zurückschlagen, noch mehr mobilisieren und verstehen, dass wir, als Teil der palästinensischen Diaspora, Teil des Kampfes sind. Das bedeutet, dass wir Teil des Widerstands sind, des Widerstands des palästinensischen Volkes. Als Teil der Diaspora sind wir nicht nur in der Solidaritätsbewegung Palästinas. Die Solidaritätsbewegung selbst ist nicht vom palästinensischen Widerstand isoliert. Der palästinensische Widerstand stützt sich auf die Solidaritätsbewegung als eine Art Hülle, die das palästinensische Volk schützt, unterstützt und ihm Raum bietet.

All diese Angriffe auf das palästinensische Volk, auf unsere Jugend, die sich heute im Kampf einsetzt, auf die Studentenbewegung oder an andere Fronten zeigen, dass wir mehr denn je die Pflicht haben, unsere Massenorganisationen wieder aufzubauen, uns stark zu organisieren und Teil des Befreiungsprogramms zu sein. Um Teil des Befreiungsprojekts des palästinensischen Volkes zu sein und unsere Rolle als wesentlicher Bestandteil dieses Widerstands zu spielen.

Wir haben eine sehr strategische und wichtige Rolle und Position. Wir befinden uns im Herzen der Bestie. Wir befinden uns im imperialistischen und kolonialistischen Zentrum in Brüssel, in Berlin, in Paris. Hier wurde die zionistische Bewegung geboren. Unser Volk zu Hause in Palästina kämpft darum, den Zionismus zu besiegen. Wir müssen dafür sorgen, dass wir den Zionismus an seinem Geburtsort im Westen, in Brüssel, in den Vereinigten Staaten, in Kanada, stoppen.

Ich denke, die Kanadier und Amerikaner verhalten sich so, nicht nur, weil ihnen Israel am Herzen liegt, sondern auch, weil sie allmählich die Gefahr erkennen, die von einem Zusammenbruch des Zionismus ausgeht. Das wird der Befreiungsbewegung in den Vereinigten Staaten und Kanada eine Perspektive geben, damit Schwarze, Indigene, Migranten, Flüchtlinge, Araber und Muslime in den Vereinigten Staaten vereint werden können. Denn so wie Israel besiegt werden muss, müssen auch Kanada und die USA besiegt werden.

  1. Siehe hierzu: https://peoplesdispatch.org/2024/08/01/palestinian-activist-in-belgium-faces-deportation/ [Anmerkung KO] ↩︎
  2. Siehe auch unser Interview mit dem ehem. Deutschlandkoordinator von Samidoun, Zaid Abdulnasser vom 12. November 2023. [Anmerkung KO] ↩︎

Aktuelles

Podcast #45 – On the 20th Anniversary of the CPGB-ML and the Current Situation in Britain

We talked with Ella Rule, chair of the Communist Party of Great Britain (Marxist - Leninist), about the current political situation in Britain after the general election, the party’s work in the Palestine movement, and the repression against them. Additionally, we learned about the party’s development, their origins, challenges, and achievements.

Schönfärberei des Imperialismus: Die westliche „Linke“ und Venezuela

Wir spiegeln einen Debattenbeitrag von Lukas Koerner und Ricardo Vaz, der sich mit einer "linken" Kritik an der Maduro-Regierung im Kontext der jüngsten Wahlen in Venezuela beschäftigt, die uns auch in Deutschland begegnet: "Jedes Mal, wenn die Bolivarische Revolution in Venezuela erneut mit Bedrohungen ihres Überlebens konfrontiert ist, ist eine Schicht von in den USA ansässigen Intellektuellen immer bereit, "linke" Kritik zu üben, die die permanente imperialistische Belagerung des Landes absichtlich verschleiert."