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Georgien an die Front? Zwischen engen transatlantischen Beziehungen und vollständiger Kontrolle des Westens

Artikel – keine Positionierung der Kommunistischen Organisation 

Von Batya Shumi

Über die Hintergründe der Protestwelle vom 7.-9.März 2023

Das georgische Parlament, das mit 49% von Mitgliedern der regierenden Partei „Georgischer Traum“ besetzt ist, hat am 7. März mit 76 gegen 13 Stimmen ein Gesetzentwurf verabschiedet, der die Souveränität des Landes stärken soll, in dem NGO’s mit mehr als 20% Finanzierung aus dem Ausland als ausländische Organisationen registriert werden sollen. Es blieben zwar 40 Abgeordnete der Abstimmung fern, bei insgesamt 139 Abgeordneten bilden die 76 Stimmen für das Gesetz jedoch eine absolute Mehrheiti.

Das Gesetz zielt darauf ab jegliche Einflussnahme zu registrieren, sowohl russische, als auch die der EU/USA und asiatischen Staaten. International stellen solche Registrierungen keine Besonderheit dar. Die USA haben mit dem „Foreign Agents Registration Act (FARA)“ ein sehr ähnliches Gesetz bereits 1938 verabschiedet, um den Einfluss von Nazideutschland einzudämmenii, aktuell haben dutzende andere Staaten wie Russland, Australien und Kanada ähnliche Interpretationen eines solchen Gesetzes implementiert. Besonders in den USA wird es sehr scharf angewendet, da durch dieses nicht nur NGO’s, sondern auch andere legale Organisationen und Zivilisten unter Verwaltungs- und sogar Gefängnisstrafe gestellt werden können. 

Der Westen ist über den Versuch die georgische Souveränität zu stärken nicht amüsiert; die US-Botschaft in Georgien veröffentlicht noch am selben Nachmittag ein Statement, das den Vorgang als „schwarzen Tag für die georgische Demokratie“ bezeichnete – das „Kreml-inspirierte Gesetz“ sei unvereinbar mit dem Wunsch, dass sich „Georgien in Europa“ integriere und werfe „echte Fragen über die Loyalität der Regierungspartei zur euroatlantischen Integration auf“iii. Der Tenor ist gesetzt. 

Als Reaktion auf die Verabschiedung des Gesetzes kam in den nächsten drei Nächten in der Hauptstadt Tiflis zu gewaltsamen Protesten mit mehreren Tausenden Anhängern vor dem Parlamentsgebäude, die das Gesetz als „Russengesetz“ brandmarkten. Insbesondere in der Nacht vom 8. zum 9. März waren die Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und überwiegend jungen Leuten, die mit EU-, US- und Ukrainefahnen sowie Molotowcocktails ausgestattet waren, sehr intensiv. Der Mob verletzte einige Politiker des Innenministeriums und zündete zahlreiche Autos vom ihnen an. Es gab auch versuche das Parlamentsgebäude zu stürmen. Insgesamt kam es zu 133 Festnahmen, die Polizei setzte Tränengas und Wasserwerfer ein. Abgeordnete flüchteten durch den Hinterausgangiv.

Für den Imperialismus haben sich NGO’s in Vergangenheit als hervorragendes Werkzeug bewiesen, um politische Einflussnahme auf Georgien auszuüben. In einer Studie der Asian Development Bank wird festgestellt, dass NGO’s in der US- und EU-gestützten „Rosenrevolution“ von 2003 eine wesentliche Rolle spielten – als Ergebnis der Farbrevolution wurden 7 von 11 Minister aus vom Westen finanzierten NGO’s rekrutiertv, die US-Marionette Mikhail Saakaschwili und seine Partei „Vereinte Nationale Bewegung“ kamen an die Macht. Anfangs stand Saakaschwili dem vorherigen Präsidenten und einflussreichen Konterrevolutionär Eduard Shevadnaze nahe, der bis 1991 Außenminister der Sowjetunion war und den Ausverkauf der Sowjetunion mitorganisierte. Doch das war den Transatlantikern nicht genug – die Spanne zwischen engen Beziehungen und voller Kontrolle sollte geschlossen werden und sie wurde geschlossen. Im Zuge der „Rosenrevolution“ stieg Saakaschwili 2004 vom Justizminister zum Präsidenten Georgiens auf, setzte die Partie Shevadnazes ab, die georgische Staatsfahne wurde geändert, antikommunistische, russophobe und nationalistische Rhetorik nahmen rapide zu und es dauerte keine zwei Jahre, bis Georgien einen EU-Beitritt und enge Beziehungen zur NATO anstrebte. Wie weitreichend dabei der eigene Entscheidungsspielraum Georgiens in innen- sowie außenpolitischen Fragen ist, ist seither ein andauernder Konflikt innerhalb der herrschenden Klasse Georgiens und Gegenstand politischer Auseinandersetzungen. Der imperialistische Westen übt darauf permanent Einfluss und kann dabei auf eine lange Geschichte der Spaltung des Landes anknüpfen.

Geschichte ethnischer Spaltung und lokaler Autonomie

Eng verknüpft mit der Frage der Souveränität und des Entscheidungsspielraumes sind Auseinandersetzungen zwischen ethnischen Minderheiten in Georgien und der georgischen Zentralregierung, die historisch immer wieder aufkochten, wenn die georgische Zentralregierung eine politische Richtung einschlug, die im Widerspruch zu der Bevölkerung in den Regionen Abchasiens und Südossetiens stand.

Die Bevölkerung Südossetiens stellt eine persisch sprechende Minderheit dar. Nach der Februarrevolution in den Jahren 1918-1920 herrschte in der südossetischen Bevölkerung hohe Sympathie zu den Bolschewiki, was zu massiven kriegerischen Auseinandersetzungen mit der damals den Menschewiki nahestanden Georgischen Republik führtevi, in der etwa 5% der Bevölkerung Südossetiens umgekommen ist. Dass in Südossetien das sprechen und lehren der eigenen Sprache erlaubt war und Autonomie zu lokalen Fragen gewährt wurde, war eine Errungenschaft der bolschewistischen georgischen Revolution im April 1922. Die Entwicklung in Abchasien, eine Region im Westen Georgiens am Schwarzen Meer, war sehr ähnlich. Dort wurde ebenfalls nach der Februarrevolution die den Bolschewiki nahestehende Bevölkerung von der Georgischen Republik unterdrückt. Nach der georgischen Revolution 1922 entstand die Abchasische Sowjetrepublik, die 1931 in die Georgische Sowjetrepublik integriert wurdevii. In der gesamten Zeit des Sozialismus herrschte bis zur Konterrevolution 1991 in beiden Regionen eine Völkerfreundschaft ohne relevante gewaltvolle Auseinandersetzungen, auch wenn es in Abchasien nach dem 2.Weltkrieg etwa alle zehn Jahre Petitionen gegen die Integration in die Georgische SSR gabviii.

In Folge der Konterrevolution in der Sowjetunion kam es erneut zu kriegerischen Auseinandersetzungen in beiden Regionen. Auf die erneuten Autonomiebestrebungen Südossetiens 1991 antwortete die georgischen Zentralregierung militärisch und griff Südossetien an. Die georgischen Milizen brannten 60-100 südossetische Dörfer nieder und betrieb ethnische Säuberungenix; die Bevölkerung Südossetiens reagierte mit Angriffen auf Häuser, in denen ethnische Georgier lebten. Durch den Krieg 1991 wurde die ethnische Spaltung erneut forciert: Der Krieg forderte 1000 Tote, etwa 100.000 Osseten flohen in den von der Russischen Föderation kontrollierten Norden Ossetiens, etwa 23.000 Georgier flohen Richtung Süden tiefer in georgisches Gebietx. Die Kämpfe dauerten etwa ein Jahr an, bis Russland beide Seiten mit dem „Sochi-Abkommen“ zu einem Waffenstillstand und einem entmilitarisierten Landkorridor bewegen konntexi; Südossetien blieb vorerst Teil Georgiens. 

Parallel dazu kochte die Lage in Abchasien hoch, die einen sehr ähnlichen Charakter trug, jedoch noch härter eskalierte. Aufgrund der nicht akzeptierten prosowjetischen Autonomiebestrebungen Abchasiens griff die zunehmend antisowjetische georgische Zentralregierung die Region im August 1992 mit einer regelrechten Kriegserklärung an und äußerte, dass sie keine Kriegsgefangenen akzeptieren werdexii. Mit an der georgischen Seite kämpften auch der ukrainische Naziverband UNA-UNSO, der später in den „Rechten Sektor“ integriert wurdexiii. Es folgte ein das Land zerreißender Krieg mit zahlreichen Plünderungen Abchasiens. Die Auseinandersetzung schaukelte sich hoch zu ethnischen Säuberungen auf beiden Seiten. Im Abchasienkrieg 1992-1993 starben 15.000-30.000 Tausend Abchasen und Georgierxiv. Russland unterstützte ab 1993 Abchasien militärisch, vor allem mit Waffenlieferungen. Das führte zu einer militärischen Pattsituation, die letztlich zu einer Abtrennung Abchasiens führte. Seither sichert die Russische Föderation die Autonomie Abchasiens in der Region. 

Die Folgen der „Rosenrevolution“

In Südossetien blieb die Lage bis 2003 angespannt, aber friedlich. Nach der vom Westen gestützten nationalistischen „Rosenrevolution“ griff die georgische Zentralregierung unter Saakaschwili und seiner Partei „Vereinte Nationale Bewegung“ die Bevölkerung Südossetiens 2003 und 2004 erneut militärisch an, weil diese die Putschregierung nicht anerkannte. Das militärische Agieren der georgischen Regierung geschah mit Billigung der USA und sollte Russland provozieren und testen. Die Behörde Südossetiens bat drei Tage lang Russland um militärische Unterstützung um das Massaker zu beenden, bis die Russische Föderation – sicherlich motiviert durch die Verteidigung der strategischen Tiefe an der traditionell schwachen Südfront – letztlich einschritt und im August die Truppen der georgischen Zentralregierung bis kurz vor Tiflis zurückdrängte. Der Kaukasuskrieg 2008 hat 850 Menschenleben gefordertxv. Wie auch in Abchasien sichert seitdem die russische Regierung die Grenze Südossetiens. Beide Regionen machen etwa 20% der georgischen Fläche aus; Georgien hat lediglich die Landmasse von Hessen. 

Mittlerweile wird die brutale Unterdrückung in Südossetien legitimiert durch eine antirussische Umschreibung der georgischen Geschichte. Vermittelt wird diese unter anderem durch die deutsche „Entwicklungshilfe“ (GIZ), die 2006 im größten Museum in Tiflis eine gesamte Etage über die „Sowjetische Besatzung 1921-1991“xvi finanzierte, in der die selbstständige Revolution Georgiens als russische Besatzung umdefiniert und Sympathie zu der 1921 gestürzten Regierung (die engste Beziehungen zu Großbritannien und Frankreich pflegte) schürt. Im Nachgang des Kaukasuskrieges haben sich solche Geschichtsverfälschung als hilfreich erwiesen, denn nun kann auch die Entwicklung in Südossetien und Abchasien als anhaltende Kontinuität russischer Besatzung seit 1921 dargestellt werden. Seither sind in Sozialen Medien Slogans wie „I am Georgian and 20% of my country is occupied by Russia” populär. Besonders die Jugend der Bevölkerung ist für solche Narrative sehr anfällig, da sie die jahrzehntelange Erfahrung der Völkerfreundschaft nicht miterlebt haben und empfänglich für die durch die NGOs jahrelangen liberalistischen und antikommunistischen Darstellungen sind, die die Konterrevolutionäre, der IWF und die EU nach Georgien brachten. Häufig finden sich Darstellungen, die den Sozialismus und Faschismus gleichstellen. Das macht das offene Auftreten für Kommunisten in dem Land schwer, eine gewaltvolle Konfrontation mit georgischen Nationalisten ist keine Seltenheit. Obwohl 50% der Bevölkerung auch russisch spricht, verweigern häufig junge Leute das sprechen der „Feindessprache“. Tourismusratgeber raten heute, „dass man einen Georgier besser nicht auf Russisch ansprechen sollte“xvii.

Wahl der Partei „Georgischer Traum“ und der Sturz von Saakaschwili

Ab 2012 wurde Saakaschwili und seine Partei „Vereinte Nationale Bewegung“ durch die Partei „Georgischer Traum“ abgewählt. Während die Rosenrevolution im Jahr 2003 von einem recht großen Teil der Gesellschaft unterstützt wurde, ist dies heute nicht mehr der Fall. 2007, 2009 und 2011 kam es zu Massenprotesten gegen Saakaschwilis Regierung aufgrund von Korruptionsskandalen, Folter und Verfolgung politischer Oppositionellerxviii. Damals traten die Putschisten vor allem mit sozialpopulistischen Slogans auf und stellten sich als Bekämpfer der durchaus stark vorhandenen Korruption dar. Diese beiden Narrative konnten weder während der Regierungszeit noch in der Opposition ab 2012 gehalten werden. Laut Einschätzung der Kommunistischen Partei Georgiens werden die von den rechtsliberalen nationalistischen Kräften vorgelegten Pläne zur wirtschaftlichen und sozialen Erneuerung, die auf der Freiheit des Marktes und der liberalen Ideologie beruhen, von den Massen nicht mehr unterstütztxix. 2013 floh Saakaschwili nach dem Scheitern einer Amtszeitverlängerung aus Georgien, weil der Druck gegen ihn wuchs; Videoaufnahmen von systematischer Folter in georgischen Gefängnissen gelangten in die Öffentlichkeit. In der Regierungszeit der Partei „Georgischer Traum“ wurde Saakaschwili 2014 in Abwesenheit angeklagt und 2018 zu sechs Jahren Haft verurteilt, da er in Verbindung mit der Misshandlung eines Abgeordneten und der Billigung eines Mordes in Verbindung gebracht wurdexx. Saakaschwili akzeptierte das Urteil nicht und leitet seitdem seine Partei „Vereinte Nationale Bewegung“ aus dem Ausland. Er spielte eine Rolle beim Maidanputsch in der Ukraine und wurde anschließend von Poroschenko zum Gouverneur von Odessa ernannt, bis er 2017 im Widerspruch mit dem damaligen ukrainischen Präsidenten gelangte, mehrfach seinen Aufenthalt wechselte (USA, Niederlande, Polen) und erst nach der Wahl Zelenskys zurück in die Ukraine kehrte. 

Westliche Medien bezeichnen die Partei „Georgischer Träume“ gerne als Marionette Russlands. Als Argument dient ihnen der Abgeordnete und Oligarch Iwnischwili, der gute Beziehungen zu Russland pflegt. In Realität ist es jedoch nicht so simpel, viel mehr versucht die Partei gute Beziehungen zu allen Wirtschaftspartnern zu halten und sich gleichzeitig dem Westen anzunähern – der jedoch keinerlei Souveränität anerkennt. Damit ist die Partei vergleichbar mit der durch den Maidanputsch abgesetzten ukrainischen „Partei der Regionen“ von Wiktor Janukowitsch. Der NATO ist beispielsweise ein Dorn im Auge, dass der „Georgische Traum“ sich weigert, die Sanktionen zu übernehmen, die alle EU- und NATO-Staaten nach der Aufnahme der Krim in die Russische Föderation im März 2014 gegen Russland verhängtenxxi. Gleichzeitig strebt die konservative und sozialdemokratische Partei enge Beziehungen zur EU und USA an, unterschrieb im Juni 2014 ein EU-Assoziierungsabkommen und stellte im März 2022 im Kontext des Ukrainekrieges einen Antrag auf beschleunigten EU-Beitritt. 

Diese ungebrochene Kontinuität lässt Georgien heute weiterhin wie eine westliche Halbkolonie wirken. Es werden zahlreiche Straßen und Plätze mit einem westlichen Namen zu versehen, EU und sogar NATO-Fahnen prägen das Stadtbild. An die Sowjetunion erinnernde Symbolik wird seit 2003 kontinuierlich entfernt. Die schrankenlose Öffnung von Kapitalexport und der damit einhergehende gestiegene Zahlungsverkehr in US-Dollar hat dazu geführt, dass der Georgische Lari im Vergleich zum Dollar und Euro stetig an Wert verliert. Während ein GEL 2013 noch 0,6 USD Wert war, liegt der Kurs heute nur noch bei 0,38 USD und fällt seit 2020 gerne auch unter die 0,3 USD Marke, sprich 50% Wertverlust gegenüber 2013xxii. Das ist in der Bevölkerung schwer zu spüren, denn teurere Güter wie Häuser und Autos werden in der Regel in US-Dollar oder Euro gehandelt und sind keineswegs wesentlich günstiger als in Europa. Dabei liegt das monatliche Durchschnitts-Bruttoeinkommen in Georgien umgerechnet lediglich bei etwa 334€, angelernte Arbeiter können mit 140-210€ rechnen und selbst Vorarbeiter übersteigen selten die 400€ Markexxiii.

Regelmäßig lassen sich Artikel finden wie ein relativ aktueller vom Businessinsider finden, die Georgien als lukrativen Investitionsstandort bewerben, wegen der „Steuerpolitik, die ausländischen Investitionen entgegenkommt“, zudem habe Georgien ein „junges, preisgünstiges und qualifiziertes Arbeitskräftepotenzial“. In den drei wichtigen Städten Tiflis, Kutaisi und Poti gelten Steuerbefreiungen für dort registrierte Unternehmen. Zwei unbürokratische Dokumente genügen und schon sind Unternehmen als georgische Unternehmen registriert, Exportunternehmen in den drei Städten sind völlig von Steuern befreit – anders als die Arbeiter, die 20% Einkommenssteuer abgeben müssen. Entsprechend schwierig ist eine Recherche darüber, wie hoch der Anteil ausländischen Kapitals in Georgiens Wirtschaft ist. Offiziell sind 17% der Firmen aus dem Ausland, die einfache Registrierung von Unternehmen als georgische Unternehmen lässt jedoch eine hohe Dunkelziffer vermuten. Der Anteil von ausländischem Kapital in Georgiens Banken liegt bei 77,4%xxiv. Diese vom Westen durchgesetzten perfekten Bedingungen zur Ausbeutung der georgischen Arbeiterklasse veranlassten die Weltbank Georgien im „Ease of Doing Business Index“ mit Platz 7 auszuzeichnenxxv.

Die Strategie der regierenden Partei „Georgischer Traum“ stellt demnach eine Kontinuität der schnellen Profite durch den Ausverkauf des Landes dar, doch das ist den Transatlantikern nicht genug, denn das Kapital Georgiens verkauft ebenfalls an und handelt mit Russland und China, ähnlich wie Janukowitsch vor dem ukrainischen Maidanputsch. Besonders relevant ist das im Bereich des Warenverkehrs – China und Russland sind die wichtigsten Exportdestinationen für georgische Güter, im Importbereich sind die beiden Staaten neben Türkei ebenfalls hochrelevant. Eine außenpolitische Krise würde schnell die ökonomische Stabilität Georgiens noch weiter in den Ruin treiben, da etwa 15% der Exporte einbrechen würden. Eine hohe Kooperation mit Russland besteht vor allem im Getreide und Gasimport, Georgien profitiert vor allem am Verkauf von Wein und im Tourismussektorxxvi. Eine Krise im Import von Getreide (ca. 80%) und Gas (23%) würde die Lebenshaltungskosten in der Arbeiterklasse massiv erhöhen. Entsprechend wurden die Beziehungen mit Russland in der Regierungszeit der Partei tendenziell eher ausgebaut. 

Der Druck von der Straße und die Rolle der NGOs

Diese Kooperation ist dem Westen vor allem dann ein Dorn im Auge, wenn es darum geht, Georgien als Stoßpferd im Wirtschaftskrieg und seit neuestem auch als zweite militärische Front gegen Russland einzusetzen. Neben der aktuellen Eskalation bestand die letzte Gelegenheit diesbezüglich größeren Druck aufzubauen im Jahr 2019. Ein Abgeordneter der russischen KPRF war als Mitglied einer internationaler „Gruppe orthodoxer Abgeordneter“ in das georgische Parlament gereist und hat dort als Vorsitzender der Organisation auf Russisch eine Sitzung gehalten, in der er über die christlich-orthodoxe Brüderschaft zwischen Georgien und Russland referierte. Dass er als Sitzungsleiter Platz auf dem Präsidentensessel nahm, nahmen Saakaschwili nahestehende Nationalisten als Anlass, das Parlament zu stürmen und den Rücktritt der gesamten Regierung zu fordern. Die Protestierenden griffen dabei Polizisten mit Knüppeln und Eisenstangen an und handelten gut vorbereitet in organisierten „Sturmtrupps“ mit jeweils 30 Personenxxvii. Facebook sperrte damals zahlreiche Accounts von Abgeordneten und markierte sie als pro-russische Propaganda. 

Die auch heute noch amtierende Präsidentin Salome Zourabichvili solidarisierte sich 2019 mit den Protestierenden. Die Parteilose gebürtige Französin – ihre Vorfahren sind im Zuge der georgischen Revolution 1921 nach Frankreich geflohen – ist in der Bevölkerung als US-Marionette bekannt dafür, nach Kontakten zu den USA schnell ihre Meinung zu ändern und auf NATO-Kurs zu steuern. Zourabichvili hat in den USA und Frankreich studiert, einer ihrer Professoren war beispielsweise der antikommunistische Hardliner und US-Sicherheitsberater Zbigniew Brzezinski. Paradoxer Weise steht ihr Kurs häufig im Widerspruch zur Partei „Georgischer Traum“, obwohl diese ihr bei der Wahl 2018 verhalf Präsidentin zu werden. Seit 2019 entfernt sie sich immer weiter von dem Kurs der Partei. Auch wenn sie Saakaschwilis Verurteilung verteidigt, nimmt sie zunehmend seine Rolle ein, in dem sie Solidarität mit den transatlantischen Nationalisten übt. Zusätzlich zu ihrer Haltung stellte bei den Protesten 2019 Saakaschwili Forderungen gegen die Regierung aus dem ukrainischen Exil heraus. 
Als Reaktion auf die Solidaritätsbekundungen der Präsidentin mit den protestierenden Nationalisten sperrte Russland alle Direktflüge nach Georgien, was massive Schäden im Tourismussektor auslöste – besonders die zweitgrößte Stadt Batumi ist ein seit der Sowjetunion traditioneller Urlaubsort für viele Sowjetbürger gewesen und stark vom Tourismus abhängig. Die aktuelle Verabschiedung des Gesetzes zur Registrierung ausländischer Unternehmen steht direkt im Kontext zu Protesten aus dem Jahr 2019, in denen die Partei „Georgischer Traum“ stark vom US-Kapital unter Druck gesetzt wurde. Die westlichen NGOs, die bereits 2003 die „Rosenrevolution“ unterstützten, blieben ungebrochen im Land aktiv. So brüstet sich beispielsweise das „Liberty Institute Georgia“ damit, mit 800 Studierenden an den Universitäten praktische und ideologische Schulungen durchgeführt zu haben, um diese zu „Aktivisten“ ausgebildet zu habenxxviii. Die Vereinte Kommunistische Partei Georgiens schätzt ein, dass vor allem Studierende und Lehrkräfte dieser westlichen Universitäten eine treibende Kraft hinter der aktuellen Eskalation seien. Die Opposition um Saakaschwili nutzte die enge Verbindung mit diesen „Aktivisten“ taktisch, in dem sie solche jungen Leute in den Vordergrund rücken ließen und bewusst die unpopulären Politiker der „Vereinten Nationalen Bewegung“ nicht zu offensichtlich öffentlich auftreten ließxxix.

Die regierende Partei wirft der „Vereinten Nationalen Bewegung“ vor, Georgien in den Krieg gegen Russland verwickeln zu wollen. Dieser Vorwurf ist keineswegs unbegründet – tatsächlich fordern Politiker um das Kiewer Marionettenregime regelmäßig Georgien dazu auf, eine zweite Front gegen Russland zu eröffnen, mindestens jedoch die Gebiete Abchasien und Südossetien zurückzuerobernxxx. Ein Jahr vor Ausbruch des Krieges verhalf die ukrainische Regierung Saakaschwili eine wiedereinreise in Georgien und hoffte auf einen damit einhergehenden Coup – statt auf dem Stuhl im Präsidialamt nahm Saakaschwili jedoch Platz in der Gefängniszelle, in der er bis heute verharrt. Die aktuelle Entwicklung muss in diesem Zusammenhang verstanden werden – die Proteste sind ein Werkzeug, um die Herrschaft der „Vereinte Nationale Bewegung“ und damit die der USA zu restaurieren und Georgien in einen Krieg gegen Russland zu treiben. Viele Protestierende zwischen dem 7. und 9. März schwanken Ukrainefahnen und stimmten pro-ukrainische Parolen an, was besonders in dem Kontext absurd ist, dass in der Ukraine ein solches Gesetz längst in Kraft ist. 

Ein Rennen gegen die Zeit

Der NATO bleibt nicht viel Zeit, die Lage weiter zu eskalieren – das Präsidialsystem wird 2024 in Georgien abgeschafft, was die Kräfteverhältnisse für die Nationalisten verschlechtert. Die amtierende Präsidentin Salome Zourabichvili hat nämlich erneut die gleiche Rolle wie 2019 eingenommen, sich am 8.März mit den Protestierenden solidarisiert und das die Souveränität stärkende Gesetz verurteilt – diesmal in einer Videobotschaft vor der Freiheitsstatue in den USAxxxi. Am 10.März traf sie US-Sicherheitsberater Jake Sullivan im Weißen Haus – es bestand Einigkeit darin, wie das Gesetz die „wichtige Arbeit der NGOs behindern würde“ und dass es wichtig sei, dass „Russland die vollen Kosten der Sanktionen zu spüren bekommt“xxxii. Die Präsidentin stellt sich damit erneut gegen die Partei „Georgischer Traum“, die auch die Sanktionspakete seit 2022 gegen Russland nicht umsetzte und auch keine Waffen in die Ukraine liefertxxxiii. Dass die georgische und russische Arbeiterklasse den Preis für die Sanktionen zahlen würde, ist klar. Der Druck hat trotzdem gereicht, dass das Parlament kurzfristig zurückgerudert ist und das Gesetz doch nicht in Kraft treten ließ – laut Einschätzung der KP Georgiens aus Angst vor einem georgischen Maidan und weiterer Eskalation. 

Die Lage bleibt angespannt. Die leider recht kleine KP Georgiens schreibt in einem Statement: „Jetzt liegen die moralische Überlegenheit und die Initiative auf der Seite der pro-amerikanischen Opposition. Die Sicherheitskräfte, die Aktivisten der Dream Party und die Regierungsbürokratie sind demoralisiertxxxiv.“ Damals ebbte der Ansturm ab und die Partei „Georgischer Traum“ hatte Zeit sich zu konsolidieren und einen Staatsstreich zu neutralisieren. Das Ergebnis der aktuellen Entwicklung ist jedoch ein Etappensieg für die Transatlantiker – es gibt Siegesrhetorik in der georgischen Opposition, in den USA und EU. Außenministerin Baerbock nutzte die Gunst der Stunde, um am 24.März nach Georgien zu reisen und an der Ilia-Universität in Tiflis den Studierenden zu vermitteln, dass „Deutschland voll und ganz zur europäischen Perspektive Georgiens steht“xxxv.

Es bleibt zu hoffen, dass die Arbeiterklasse Georgiens nicht auf das Spiel hineinfällt und als weiteres Kanonenfutter für den Westen eingesetzt wird. Die Erfahrung mit der georgischen Präsidentin zeigt, dass die Strategie der Bourgeoisie leicht kippt, wenn nur genügend Geld versprochen wird. Auch wenn die teilweise resignierte Sowjetgeneration leider sehr isoliert von der Jugend ist, kann sie aktuell eine wichtige Rolle in der Vermittlung von Völkerfreundschaft in der Jugend spielen, um die Verwandlung Georgiens in ein Schlachtfeld der NATO zu verhindern. 

i https://www.jungewelt.de/artikel/446523.krise-in-georgien-einstweilen-zurückgezogen.html?sstr=georgien

ii https://en.wikipedia.org/wiki/Foreign_Agents_Registration_Act

iii https://www.facebook.com/usingeo/posts/pfbid0qkZboSC5WE9kptPDUcB4JUKFUwigBxxpeDmnSsvstjuLL6UKJkdA54jn2CQNyPerl

iv https://southfront.org/protests-in-georgia-revealed-their-true-goals/

v https://www.adb.org/sites/default/files/publication/29305/csb-geo.pdf

vi https://en.wikipedia.org/wiki/Georgian–Ossetian_conflict_(1918–1920)

vii https://en.wikipedia.org/wiki/Abkhaz–Georgian_conflict

viii S. 99ff: https://www.tandfonline.com/doi/ref/10.1080/02634939508400893?scroll=top&role=tab

ix https://www.hrw.org/reports/pdfs/g/georgia/georgia.923/georgia923full.pdf

x https://www.hrw.org/reports/1996/Russia.htm

xi https://en.wikipedia.org/wiki/Sochi_agreement

xii https://en.wikipedia.org/wiki/War_in_Abkhazia_(1992–1993)#cite_note-karkarashvili-22

xiii https://en.wikipedia.org/wiki/Ukrainian_National_Assembly_–_Ukrainian_People%27s_Self-Defence

xiv https://d-nb.info/993911447/34

xv https://de.wikipedia.org/wiki/Kaukasuskrieg_2008#cite_note-IIFFMCG_223-6

xvi https://museum.ge/index.php?lang_id=ENG&sec_id=53

xvii https://www.evaneos.de/georgia/reisen/wichtigster-wortschatz/#:~:text=Aufgrund%20seiner%20Geschichte%20ist%20Georgien,sprechen%2050%20%25%20der%20Bevölkerung%20Russisch.

xviii https://www.politnavigator.net/pravyashhaya-gruzinskaya-mechta-pozorno-sdala-poziciyu-chto-dalshe.html

xix ebenda

xx https://pog.gov.ge/en/news/https-pog-gov-ge-ganckhadeba-saakashvili

xxi https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/9202

xxii https://www.xe.com/currencycharts/?from=GEL&to=USD&view=10Y

xxiii https://www.gtai.de/de/trade/georgien/wirtschaftsumfeld/lohnkosten-251786

xxiv S.10: https://international.bihk.de/fileadmin/eigene_dateien/auwi_bayern/eigene_dateien/Exportberichte/Exportbericht_Georgien_2018.pdf

xxv https://www.businessinsider.de/anzeige/lepl-enterprise-georgia-investieren/investieren-in-georgien-lepl-enterprise-georgia-8350108969/

xxvi https://www.transparency.ge/en/post/georgias-economic-dependence-russia-trade-tourism-remittances-and-russian-companies-georgia

xxvii https://www.jungewelt.de/artikel/358321.georgien-und-russland-flugboykott-zur-ferienzeit.html?sstr=georgien

xxviii https://en.wikipedia.org/wiki/Liberty_Institute_(Georgia) – Offizielle Seite derzeit offline. 

xxix https://www.politnavigator.net/pravyashhaya-gruzinskaya-mechta-pozorno-sdala-poziciyu-chto-dalshe.html

xxx https://southfront.org/after-kiev-regime-destroyed-ukraine-they-attempted-to-instigate-war-in-georgia/

xxxi https://twitter.com/Zourabichvili_S/status/1633244486569541633

xxxii https://www.whitehouse.gov/briefing-room/statements-releases/2023/03/10/readout-of-national-security-advisor-jake-sullivans-meeting-with-president-salome-zourabichvili-of-georgia/

xxxiii https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/9202

xxxiv https://www.politnavigator.net/pravyashhaya-gruzinskaya-mechta-pozorno-sdala-poziciyu-chto-dalshe.html

xxxv https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/europa/erweiterung-nachbarschaft/baerbock-reise-nordmazedonien-georgien/2589108

Aktuelles

Vortrag zur Geschichte des Zionismus

Im Oktober hielten wir als KO in Leipzig im Rahmen der Aktionswoche des Kufiya-Netzwerks einen Vortrag zur Geschichte des Zionismus. Der Vortrag soll einen Einstieg in das Thema leisten und gibt Argumentationshilfen für die politische Auseinandersetzung an die Hand.

Lenin und seine Imperialismus-Broschüre

Paul Oswald setzt sich im folgenden Beitrag mit Teilen des Quellenmaterials von Lenins Imperialismus-Broschüre auseinander. Anhand eines vergleichenden Blicks zwischen Lenins Broschüre und vorangegangenen theoretischen Auseinandersetzungen innerhalb der Arbeiterbewegung sowie der bürgerlichen Wissenschaft wird das Alleinstellungsmerkmal von Lenins Untersuchung herausgearbeitet. Durch diesen Vergleich wird insbesondere Lenins Entwicklung des Begriffs des Imperialismus aufgezeigt und damit ein Zugang zur Imperialismus-Broschüre eröffnet wird, der in der Debatte unterrepräsentiert ist.