English
русский
عربي

Massenorganisation statt Bewegungsorientierung

Beitrag zur Diskussion um den Leitantrag – keine Positionierung der Kommunistischen Organisation (siehe Beschreibung der Diskussionstribüne)

von Lenny

Der Leitantrag zur zweiten Vollversammlung der Kommunistischen Organisation formuliert die notwendigen Schritte zur Verankerung der Kommunisten in der Arbeiterklasse und zum Aufbau einer aktiven, vom Einfluss des Kapitals unabhängigen Arbeiterbewegung.

Die formulierte „Arbeit in den Massen“ ist für die kommunistische Bewegung alles andere als selbstverständlich. Viele von uns kommen aus Organisationen, deren Praxis zu einem großen Teil daraus besteht, sich an der Arbeit von Bündnissen oder Gruppen zu beteiligen, die einzelne politische Themen bearbeiten. Der bürgerliche Parlamentarismus und seine Wahlen sind in dieser Wahrnehmung als politische Beteiligung und Vehikel der Veränderung unzureichend, man müsse daher auch „auf der Straße“ aktiv sein, in politischen Bewegungen.

Was hier mit „Bewegung“ gemeint ist

Der Begriff „Bewegung“ ist mehrdeutig. Hier beziehe ich mich auf die politischen Bewegungen, die spontan in der Bevölkerung entstehen oder als Kampagnen von Organisationen aufgezogen werden. Es wird stets ein politisches Einzelthema aufgegriffen, das als solches gerade in der Bevölkerung virulent ist. Bewegungen knüpfen im Gegensatz zu Massenorganisationen nicht an ökonomischen, sozialen und kulturellen Bedürfnissen an, sondern an politischen Überzeugungen.

Es gibt verschiedene Beispiele, die sich organisatorisch unterscheiden, die aber alle mehr oder weniger nach den gerade formulierten Prinzipien funktionieren. Hier lassen sich bspw. die Anti-TTIP-Proteste, die Occupy/Blockupy-Bewegung, Fridays For Future, Kastor schottern oder Aufstehen benennen. Aber auch die Friedensbewegung oder die Proteste der Gelbwesten lassen sich als Bewegungen fassen.

Die Themen der Bewegungen betreffen verschiedene Symptome des imperialistischen Kapitalismus, wie Krieg, Rassismus, das mangelhafte Bildungs- oder Gesundheitssystem oder auch jüngst den Klimawandel. Mal werden sie als Kampagne einer Partei aufgezogen, mal entstehen sie eher spontan, wie die Gelbwestenbewegung in Frankreich. Über jede Sauerei des Imperialismus empört sich ein Teil der Bevölkerung und das meistens zu Recht. Die Arbeit in Bewegungen als zentraler Punkt sozialistischer Praxis ist vielen in Fleisch und Blut übergegangen. Die Kommunistische Bewegung wird darüber, wann sich Kommunisten unter welchen Bedingungen an spontan aufkommenden, politischen Bewegungen und Bündnissen beteiligen sollten oder nicht im Zuge des Klärungsprozesses (vgl. AG Revolutionäre Arbeiterbewegung und Kommunistische Partei) noch elaborierte Positionen entwickeln müssen. Trotzdem lässt sich der Leitantrag als erstes umfangreicheres Dokument der KO zur Praxis der Kommunisten auch als Kritik gegenüber bestehenden Ansätzen verstehen.

Ich halte nach einigen Diskussionen um den Leitantrag und seine mögliche Umsetzung vor Ort, u.a. mit Genossen der KO, eine Auseinandersetzung darum für notwendig, mit welcher praktischen Ausrichtung der Leitantrag auch Schluss macht. In diesem Beitrag möchte ich die Bewegungsorientierung kritisieren, also das Ausschauhalten nach spontan entstehenden Bewegungen und das Initiieren von Kampagnen außerhalb der Massenorganisationen. Es handelt sich meiner Meinung nach um eine weit verbreitete Fehlorientierung. Dies ist eine Praxis der Verlegenheit, die die Bewusstheit und Beständigkeit der Arbeiterbewegung ihrer Spontaneität opfert. Ich will hervorheben, wie mit dem Leitantrag aus meiner Sicht ein sinnvollerer Ausgangspunkt erarbeitet wurde, als ihn die Bewegungsorientierung darstellt.

Die Arbeit in den Massen

Die Erfahrungen der Arbeiterbewegung im imperialistischen Kapitalismus unter den Bedingungen von schwerster Repression staatlicher Seite und dem Phänomen der beschwichtigenden Arbeiteraristokratie innerhalb der Arbeiterbewegung führten gegen Ende des 19. Jahrhunderts und Anfang des 20. Jahrhunderts zu neuen Erkenntnissen über die notwendigen Eigenschaften einer politische Organisation der Arbeiterklasse im Imperialismus. Diese legt Lenin u.a. in den Schriften „Was tun?“ (1902, LW 05) und „Der Imperialismus und die Spaltung des Sozialismus“ (1916, LW 23) umfassend dar. Für den Erfolg der Arbeiterbewegung ist es erforderlich, die richtigen Einschätzungen und Entscheidungen im Aufbau und Kampf zu treffen. Hierfür ist größtmögliche Bewusstheit über alle gesellschaftlichen Bedingungen des Kampfes erforderlich, die unmöglich in der ganzen Masse der Arbeiterbewegung spontan vorhanden sein kann. Dies muss daher möglichst zentral und wissenschaftlich angeleitet geschehen. Diese zentrale Organisation zur Klärung der Bedingungen und notwendigen Schritte im Kampf der Arbeiterklasse ist die kommunistische Partei. Sie ist durch ihre Analyse und Erfahrung in jeder Situation der Arbeiterbewegung in der Lage, die bestmögliche Handlungsentscheidung vorzuschlagen. So bewährt sich die kommunistische Partei im Kampf weiter und ist immer mehr in der Verantwortung – aber durch ihre wachsende Erfahrung auch tatsächlich in der Lage – der Arbeiterbewegung die richtigen Anweisungen zu geben. Die Kommunistische Organisation begeht derzeit mit den Arbeitsgruppen den Klärungsprozess der theoretischen Vorbedingungen, um im Aufbau und Kampf der Arbeiterklasse die notwendigen Entscheidungen treffen zu können.

Ergänzt und komplettiert wird dieser Klärungsprozess durch die Arbeit in den Massenorganisationen der Arbeiterklasse. Um die Auseinandersetzung mit dem Kapital zu gewinnen müssen diese Organisation der Arbeiterklasse zahlreicher und umfangreicher und in ihrer Ausrichtung klarer über den Gegensatz zwischen Kapital und Arbeit werden. Hierfür beschreibt der Leitantrag Prinzipien, denen wir in den Massenorganisationen zur Durchsetzung verhelfen wollen und gibt Hinweise darauf, was erste Schritte der von der Arbeiterklasse losgelösten Kommunisten sein können, um die Arbeiterbewegung wiederaufzubauen und hier Verankerung zu finden. Der Leitantrag stellt so auch eine gut begründete Handlungsempfehlung für die am Boden liegende kommunistische Bewegung in der BRD dar. Er bietet eine Alternative zum Umherirren. Es bleibt aber offen, in welchen Methoden sich die Handwerklerei der Kommunisten genau ausdrückt. So entstehen im Leitantrag offene Flanken für Verlegenheitslösungen wie die Bewegungsorientierung.

Abschied von Bewegungsorientierung

Ohne dass die Arbeiterklasse sich in allen Lebenslagen organisiert, ist sie nicht in der Lage den Zumutungen des Kapitals etwas entgegenzusetzen und langfristig die Herrschaft zu übernehmen. Die Massenorganisationen wie Gewerkschaften und Vereine werden immer kleiner und folgen bürgerlichen Ideen (vgl. Leitantrag S. 20ff.). Um diesen katastrophalen Zustand der Organisierung der Arbeiterklasse zu ändern, müssen die Kommunisten neue Massenorganisationen aufbauen und in bestehenden um ihre Ausrichtung kämpfen. Diesen Weg beschreibt der Leitantrag. Es gibt keine Abkürzungen für den Aufbau der Macht der Arbeiterklasse. Die Arbeit in den Massen erfordert beständige Aktivität, Elan und Verlässlichkeit von den Kommunisten.

Manchen mag es bei Zustimmung zum Leitantrag daneben noch sinnvoll erscheinen in aufkommenden, politischen Bewegungen mitzuarbeiten. Dies zieht Kapazitäten ab vom Klärungsprozess und der Arbeit in den Massen. Kann sich dieser Einsatz lohnen? Welchen Sinn könnte diese zusätzliche Orientierung auf Bewegungen haben? Ich unterstelle zweierlei Erwägungen, aus denen heraus die Mitarbeit in diesen Bewegungen sinnvoll erscheinen kann: 1.) Mit den Bewegungen können Reformen und Richtungsänderungen in der Politik erwirkt werden. Bewegungen betreiben Aufklärung über Probleme wie wachsende Ungleichheit, den Abbau von Sozialleistungen, Krieg, Rassismus, Klimawandel, o.ä. 2.) In den Bewegungen kommen politisch interessierte Leute, diejenigen, die „aktiviert“ wurden und bereit zum Kämpfen sind, zusammen. Jene Leute sind auf der Suche nach politischen Antworten und empfänglich für Agitation und Propaganda der Kommunisten. Um diese Leute anhand ihres politischen Interesses einzufangen, lohnt es sich in der Bewegung mitzuarbeiten oder sie mit eigenen Kampagnen zu locken.

Ich halte beide Überlegungen für fehlgeleitet. Ich will zeigen, wo der Leitantrag mit dieser voluntaristischen Bewegungsorientierung Schluss macht.

Bewegungen fehlt die kommunistische Führung

Tatsächlich gibt es Beispiele, wo die Herrschenden auf Forderungen von Bewegungen eingegangen sind. In den meisten Fällen werden die am wenigsten weitgehenden Forderungen herausgepickt und umgesetzt, um der Aufruhr den Schwung zu nehmen und den Interessengegensatz zu verschleiern. Am Ende sind die Proteste sozialdemokratisch befriedet und viele in ihren Hoffnungen enttäuscht. Der aufgekommene Schwung verebbt im Kompromiss, der Antagonismus zwischen Kapital und Arbeit tritt nicht offen zu Tage. Das Ziel der „Arbeit in den Massen“ aber ist, „dass durch die Erfahrungen in Massenorganisationen die Masse die Fähigkeit lernt, sich zu organisieren und die Macht wirklich übernehmen und ausführen zu können, keine Illusionen in die bürgerliche Herrschaft zu haben, welche Form auch immer sie haben mag.“ (Leitantrag, S. 11, Z. 338ff.) Dem laufen die faulen Kompromisse zugegen, die spontane Bewegungen der Arbeiterklasse ohne verankerte, kommunistische Führung erwirken. Die Reform ist nur sinnvoll, wenn sie dazu dient den Klassenkonflikt zuzuspitzen. Die Überwindung des Kapitalismus ist das Ziel, dem sich alle anderen Erwägungen unterzuordnen haben. Nur der Sozialismus kann tatsächlich jene Verbesserung bringen, in dessen Hoffnung die Bevölkerung überhaupt zu kämpfen beginnt. Angesichts dessen, müssen wir alle Illusionen über ein falsches Verständnis von Reformen zerstreuen, in denen Verbesserungen im Kapitalismus aufeinander aufgehäuft, die gute Welt ergeben könnten. Auch Problemen wie dem Klimawandel oder Rassismus lässt sich meiner Einschätzung nach nicht auf reformistischem Wege beikommen, auch wenn eine Lösung drängend ist. Als Kommunisten in falschem Alarmismus in Bewegungen zu stürzen, hilft nicht bei der Beseitigung der ja nur durch den faulenden Imperialismus bestehenden Probleme. Die Anstrengung der Kommunisten dient heute der Entwicklung des Klassenbewusstseins der Arbeiterklasse und der Entwicklung des Klassenkampfes. „Unser Ziel ist, die eigenständige, das heißt klassenbewusste Organisierung der Arbeiterklasse voranzutreiben, sie neu zu beleben und damit die Grundlage für die Änderung der Kräfteverhältnisse in der Arbeiterbewegung zu schaffen.“ (S.18, Z. 566ff.) Denn nur so, nur mit der klassenbewussten Organisation der Arbeiterklasse lässt sich der Umsturz herbeiführen.

Dies ist auch Voraussetzung, um in einer revolutionären Situation die dann entstandene Bewegung korrekt zum Aufstand zu führen und von der Niederwerfung der Bourgeoisie zu überzeugen. Bewegungen bekommen diese klassenbewusste Ausrichtung nicht spontan. Sie kann auch nicht auf vereinzelten Treffen und Versammlungen plötzlich herbeidiskutiert werden. Es geht dem ein langer Prozess der Bewusstwerdung der Arbeiterklasse voraus, in Kämpfen mit der Bourgeoisie, im Erkennen der Fehler der sozialdemokratisch vereinnahmten Arbeiterbewegung, in der Auseinandersetzung mit den Positionen der Kommunisten. Dies passiert vorrangig in Massenorganisationen. Und nur aus der so zu Bewusstsein und Organisation gekommenen Klasse können Bewegungen hervorgehen, die die Fähigkeit zum Umsturz besitzen.

Bewegungen fehlen die Massenorganisationen

Der Bewegungsfetischismus nimmt schlimme Züge an: Oft gibt es gar keine Strategie, in die sich die Arbeit in Bewegungen einordnet. Mit Demonstrationen oder Aktionen sollen sehr viele Leute zusammengebracht werden können, womit „Druck von unten“ aufgebaut, ein „starkes Signal“ an die Politiker gesendet oder ein „Umdenken“ in der Bevölkerung ausgelöst wird. In einer Erweiterung dieser idealistischen Vorstellungen und der völligen Abwesenheit einer Strategie wurde in letzter Zeit häufig der Begriff Streik als Prothese für fehlende Organisierung und ökonomische Macht verwendet. Der Aktionismus der Bewegungen belügt sich und andere mit dem Wort „Streik“ darüber, auf welcher flüchtigen Basis er eigentlich steht. Die Einschätzung der eigenen Organisierung, der Chancen auf Durchsetzung der eigenen Forderung und der notwendigen Schritte zum Aufbau von Gegenmacht geraten in den Hintergrund vor dem Zweck der kurzfristigen Mobilisierung eines willkürlich anvisierten Kreises von Leuten. Oft geht es tatsächlich um Profilierung einiger führender Köpfe, die sich mit den mobilisierten Massen selbst schmücken und ihre Karriereoptionen im sozialdemokratischen Parteiapparat oder ähnlichem verbessern wollen. Der Karrierismus und der Voluntarismus in Strategie und Taktik sind Ausdruck des Eindringens bürgerlicher Elemente in die Arbeiterbewegung und ihre Parteien. Dies benennt auch der Leitantrag richtigerweise: „Seit der Niederlage von 1989 ist die Arbeiterbewegung von Desorganisierung und Opportunismus geprägt. Die Erkenntnis, dass nur mit dem Sturz des Kapitalismus und der Macht der Arbeiterklasse die Lösung der Probleme möglich ist, ist verschüttet und aus dem Bewusstsein weitgehend verschwunden. Die Lücke, die durch die Niederlage und das Verschwinden oder Schrumpfen der Parteien entstanden ist, wurde gefüllt durch allerlei Varianten der Sozialdemokratie und der kleinbürgerlichen Ideologie. Sie alle zielen auf die Reformierung des Systems ab, auch wenn sie teilweise radikal klingende Parolen und utopische Vorstellungen aufstellen.“ (S. 30, Z. 952ff.) Fehlannahmen und Unklarheit verschleiern, welche Schritte notwendig sind, um tatsächlich „Druck von unten“ aufzubauen. So wird nach jedem Halm gegriffen, der organisierte Macht gegenüber dem Kapital simuliert.

Zur Klärung der notwendigen nächsten Schritte der kommunistischen Bewegung nach der Niederlage 1989 gibt es die Kommunistische Organisation. Der Leitantrag zur Vollversammlung bildet dabei das nächste wichtige Puzzlestück. Es gilt die Arbeit in den Massen aufzubauen. Dabei ist entsprechend der Bedingungen vor Ort und der Lebensbereiche, in denen sich die Genossen der KO im Alltag bewegen, unterschiedlich anzufangen. Die höchste Priorität hat die Organisierung der Arbeiterklasse in den Betrieben (vgl. S.24ff.). Abhängig davon, wie die Kommunisten aufgestellt sind, können aber auch andere Schritte vorher nötig sein: „Wichtig ist auch, dass wir die Frage nach der besseren Organisierung der Arbeiterklasse nicht einfach dadurch beantworten, indem wir einfach selbst in den Betrieb oder in die Gewerkschaft gehen. Das kann durchaus richtig und notwendig sein, muss aber je nach den Bedingungen und Kapazitäten in einem Ort entschieden werden, die besten Ansatzpunkte müssen gefunden und umgesetzt werden.“ Der Alltag macht die gesellschaftliche Praxis der Arbeiterklasse aus, deswegen sollten Kommunisten diesem ihre Arbeit widmen: „Die Sammlung von Menschen, die Orientierung auf die Breite der Bevölkerung und hier vor allem die Arbeiterklasse ist unser Ziel. Unsere Aufmerksamkeit richtet sich auf die verschiedenen Bedürfnisse der Arbeiterklasse, seien es ökonomische, soziale oder kulturelle.“ (S. 18, Z. 559ff.)

Gegenseitige Hilfe kann dabei eine wichtige Rolle spielen, weil sie an den Bedürfnissen der Menschen anknüpft. Darin müssen sich Kommunisten als Konstante beweisen: „Die Herstellung von Vertrauen und Beziehungen ist eine politische Aufgabe, weil sie die Grundlage dafür ist, dass man gemeinsam handelt und vielleicht irgendwann als Genossen gemeinsam kämpft.“ (S. 22, Z. 684ff.) Das spontane Kommen und Gehen von Bewegungen verhindert, dass Bewegungen Ausgangspunkt für die notwendige, langfristige Organisation der Arbeiterklasse sein könnten. Hier werden mit kurzfristigen Mobilisierungen Erfolge simuliert, denn tatsächlich tragen sie meist nichts zur Offenlegung der Klassengegensätze und der Organisation der Arbeiterklasse bei. „Unsere Aufgabe ist, überall Keimformen zu entwickeln und sie zum Klassenkampf zu entwickeln, sie zu politisieren, damit die Massen durch Erfahrung lernen und bereit sind, dieses Ziel zu erreichen.“ (S. 6, Z. 175ff.) Spontane Bewegungen knüpfen nicht am Alltag der Arbeiterklasse an und sind meist stark von bürgerlichen Elementen vereinnahmt. Sie führen beim Großteil der Teilnehmer eher zu Enttäuschung und dem Rückzug ins Private, als zur dauerhaften Organisation. Deswegen sind vor allem dauerhaft aktive Organisationen, die ein alltägliches Interesse der Arbeiterklasse bedienen, also die Massenorganisationen der Arbeiterklasse, für die Kommunisten interessant: „Unter Massenorganisationen verstehen wir Organisationen, in denen die Arbeiter sich entlang ihrer ökonomischen, sozialen und kulturellen Bedürfnisse und Interessen organisieren.“ (S. 22, Z. 694ff.) Spontane Bewegungen fallen nicht darunter.

Nun kann man zustimmen, dass die Arbeit in den Massen höchste Priorität hat und es trotzdem als nützlich befinden, nebenbei in Bewegungen für das Projekt der Kommunisten zu agitieren. Doch auch das ist weniger nützlich, als vielmehr Fallstrick und Ablenkung von den im Leitantrag formulierten Aufgaben. Die alltäglichen Auseinandersetzungen sind der Ausgangspunkt für die Entwicklung des Klassenkampfs. In diesen Auseinandersetzungen gewinnen die Agitation und Propaganda der Kommunisten ihre Schlagkraft und werden zu mehr als nur abstraktem Radikalismus. In Bewegungen, die nicht am Alltag der Arbeiterklasse ansetzen, wird Agitation und Propaganda der Kommunisten zum Appell an bestehende politische Überzeugungen und lockt so vor allem diejenigen, die aus einem Ideal für linken Ideen einstehen und nur nachrangig solche, die qua ihrer gesellschaftlichen Stellung und Erfahrung ein objektives Interesse an der Überwindung des Kapitalismus haben und in den kommunistischen Ideen die notwendigen Schritte dafür erkennen. Auf diese Weise kann auch der Anteil an Personen aus schwankenden Schichten zwischen Kapital und Arbeit in der kommunistischen Bewegung personell noch mehr an Gewicht bekommen, als er ohnehin schon hat. Die Mitglieder der Kommunistischen Organisation – und später einmal der Kommunistischen Partei – nicht vorrangig aus den Interessensorganisationen der Arbeiterklasse zu rekrutieren, stellt langfristig ein Einfallstor für bürgerliche Ideologie und Revisionismus dar. Dieses Tor gilt es eher zu schließen, als noch weiter zu öffnen. Auch dafür könnte die Arbeit in den Massen eigentlich die Grundlage bilden, wenn er denn konsequente Umsetzung findet.

Aus diesen Gründen stehe ich der Mitarbeit in oder Gründung von eigenständigen, von Massenorganisationen losgelösten Bewegungen oder Gruppen als einem dritten Wirkungsort der Kommunisten neben Partei/KO und Massenorganisation skeptisch gegenüber. Anhand des Leitantrags müssen die bestehenden und noch entstehenden Massenprojekte der KO immer wieder auf ihren Charakter hin überprüft, organisationsintern kritisiert und schließlich befördert oder beendet werden.

Politischer Charakter der Massenorganisationen

Zuletzt will ich noch auch auf Probleme hinweisen, die in der Arbeit in den Massenorganisationen mitunter bereits entstanden sind und in Zukunft vermieden werden sollten bzw. die noch eine Lösung erfordern. Die Massenorganisationen „sind Orte der Erfahrung der eigenen gesellschaftlichen Kraft, der eigenen Fähigkeiten, Orte wo man lernt selbst zu entscheiden und diese umsetzen zu können. Sie sind ebenso Räume der gesellschaftlichen, politischen, ideologischen Auseinandersetzung.“ (S. 22, Z. 705f.) Die Massenorganisationen dürfen sich daher nicht auf die Bedienung der ökonomischen, sozialen und kulturellen Interessen der Arbeiter beschränken. Die am Alltag der Leute ansetzende Agitation der Kommunisten gehört genauso zum Tageswerk in den Massenorganisationen, wie etwa die gegenseitige Hilfe. Zudem dürfen die Organisationen keinen Dienstleistungscharakter annehmen. In den Massenorganisationen lernt „die Masse die Fähigkeit […], sich zu organisieren und die Macht wirklich übernehmen und ausführen zu können, keine Illusionen in die bürgerliche Herrschaft zu haben, welche Form auch immer sie haben mag.“ (S. 11, Z. 339ff.) Bei der Ablehnung der Bewegungsorientierung zugunsten der Arbeit in den Massen darf es nicht passieren, in der Bearbeitung der Interessen der Arbeiterklasse in bürokratischen Trott zu verfallen und so zu vergessen, dass alles was wir in Massenorganisationen an kleinteiliger Arbeit machen, aus politischen Gründen passieren muss und nicht aus reiner Routine. Die gegenseitige Hilfe etwa oder das Sporttreiben im Verein darf nicht zum Selbstzweck werden. Es muss zur Entwicklung des Klassenbewusstseins beitragen oder Anknüpfungspunkt für Kämpfe sein, die auf den Klassenantagonismus gerichtet sind. Dies betreffend finden sich auch in der bisherigen Arbeit der Kommunistischen Organisation in Massenorganisationen deutliche Mängel. Sie sind an manchen Stellen zu sehr nach innen und auf die Bearbeitung der eigenen Probleme gerichtet. An der Schnittstelle von Massenorganisation und AG muss die Organisation sinnvolle, „kampforientierte Handlungsoptionen“ für die Arbeit in den Massen entwickeln und ausprobieren.

Eine Leerstelle des Leitantrags zur Vollversammlung der Kommunistischen Organisation besteht meiner Ansicht nach in der fehlenden Auseinandersetzung mit falschen praktischen Ansätzen im Rest der kommunistischen Bewegung. Wie gezeigt, bietet er aber durchaus die Möglichkeit zu benennen, was die Umsetzung dieses Papiers hinter sich lassen würde. Die Identifizierung falscher Ansätze trägt sowohl nach innen als auch nach außen zur Klärung des heute richtigen Wegs bei.

Aktuelles

Positionen und Perspektiven zu den Entwicklungen in Syrien

Wir dokumentieren an dieser Stelle Übersetzungen von Erklärungen und Stellungnahmen arabischer, türkischer und iranischer Kommunisten.Diese Zusammenstellung verschiedener Statements soll dazu dienen die verschiedenen Perspektiven und Positionierungen gegenüber der Zerschlagung der Syrischen Arabischen Republik in ihrer jetzigen Form aufzuzeigen. Außerdem sollen die offenen Fragen und Orientierungen der Kommunisten angesichts der imperialistischen Aggression gegen Syrien zusammengetragen werden, um die Standpunkte von Kommunisten aus der Region für hiesige Debatten zugänglich zu machen.

Palästina und die DDR – Befreiungskampf als Staatsräson?

Während in der BRD die bedingungslose Unterstützung Israels als „Ersatz- Antifaschismus" spätestens ab 1952 zunehmend zur „Staatsräson" wurde, erkannten sich die DDR und Israel bis zur Konterrevolution 1989/90 nicht gegenseitig an. Stattdessen wurde die DDR zu einem wichtigen Alliierten der palästinensischen Befreiungsbewegung.