Diskussionsbeitrag – keine Positionierung der Kommunistischen Organisation
Von Noel Bamen
1. Einleitung und Selbstkritik
Wer tagtäglich die Situation in Palästina beobachtet, kann nur zunehmend betroffen und bestürzt darüber sein, wie wenig Beachtung die derzeitige Lage in dieser letzten wirklich umkämpften Kolonie des Westens hierzulande findet, gerade auch in der politischen Linken. Was dort vor sich geht, ist eine dritte Intifada, ein Volksaufstand, mit dem Potential, zumindest die Lage in den 1967 besetzten Gebieten nachhaltig zu verändern. Das scheinen die wenigsten zu begreifen. So viele Palästinenser in den letzten Monaten und Jahren getötet wurden, so sehr macht die derzeitige Lage in Palästina dennoch Hoffnung: der Widerstand nimmt neue Qualitäten an, und er drängt zur Einheit.
Vor diesem Hintergrund fällt noch einmal besonders auf, dass Palästina in denjenigen Teilen der Linken in Deutschland, die grundsätzlich mit dem dortigen Befreiungskampf solidarisch sind, seit Längerem kaum Thema ist. Das gilt gerade auch für die deutschen Kommunisten. Die meisten haben sich von der realen palästinensischen Befreiungsbewegung abgewandt: Die DKP etwa schweigt weitestgehend zu diesem Thema, die UZ berichtet nur sporadisch (und mit z. T. merkwürdigen Überschrifteni), die Junge Welt legt den Fokus eher auf die offizielle Politik Tel Avivs und Ramallahs als auf den palästinensischen Widerstand und auch Marx21, die in der Vergangenheit mit die besten Positionen in Sachen Palästina innerhalb der deutschen Linken vertraten, haben in den letzten Jahren leider wenig Neues zur Auseinandersetzung mit den Entwicklungen im palästinensischen Widerstand beigetragen.ii
Auf Demos für Palästina sind in den letzten Jahren – neben palästinensischen Gruppen wie Samidoun – v. a. die linksradikalen bzw. maoistischen/hoxhaistischen Spektren rund um Young Struggle, Kommunistischer Aufbau (KA) und MLPD präsent. KA und MLPD haben zudem in den vergangenen zwei Jahren jeweils Grundsatztexte zur Palästina-Frage veröffentlicht.iii Beide Dokumente und vor allem die Positionen, die in ihnen bezogen werden, ähneln sich sehr stark – und sind meines Erachtens sehr falsch und sogar fatal: Sie führen beispielhaft vor Augen, welche Fehler Teile der linken und kommunistischen Bewegung sowohl in Deutschland als auch international bezüglich Palästina machen und wie diese Fehler eine echte Palästina-Solidarität verunmöglichen. Daher der Entschluss, die folgende Kritik zu formulieren.
Zunächst aber soll an dieser Stelle trotzdem betont werden, wie gut es ist, dass KA und MLPD ihre Positionen öffentlich dargelegt haben! Nur so kann man sie auch kritisieren und darüber streiten. Die meisten anderen Organisationen tun weder das eine noch das andere: Die DKP beispielsweise vertritt offiziell bis heute das Konzept der sog. Zwei-Staaten-Lösung – während ich von allen DKP-Genossen, die ich kenne und die Ahnung von dem Thema haben, weiß, dass sie persönlich diese Position falsch finden. Zugleich war ich (positiv) überrascht, von einem ihrer Sprecher im Jahr 2021 öffentlich zu hören, dass die DKP Kontakte zur PFLP pflegt.iv Es scheint dort also durchaus Voraussetzungen zu geben, um in Sachen Palästina alte Zöpfe abzuschneiden.
Aber auch als KO müssen wir ganz klar Selbstkritik leisten: Trotz des Potentials, das ich gerade in der Palästina-Frage bei uns sehe, trotz der vorhandenen Einsicht in die Notwendigkeit einer Resolution zu Palästina und trotz der Tatsache, dass wir uns als KO verhältnismäßig aktiv und offensiv in der Palästina-Frage verhalten, haben wir uns bis heute nicht systematisch mit diesem Thema beschäftigt. Wir haben in einzelnen Stellungnahmen Positionen bezogen, und zwar sehr gute und auch solche, die in der kommunistischen Bewegung – zumindest im Westen und auf jeden Fall in Deutschland – ein relatives Alleinstellungsmerkmal darstellen.v Aber bis heute haben wir beispielsweise keine kollektive und offizielle Position zur sog. Ein- oder Zwei-Staaten-Lösung oder zur Frage der Solidarität mit den islamischen Befreiungskräften bezogen. Die folgende Kritik am Dokument der MLPD soll auch einen Anstoß in diese Richtung geben und nicht zuletzt uns selbst die Notwendigkeit zur Positionierung vor Augen führen.
2. Kritik an den Palästina-Positionen der MLPD
Der KA hat seine Positionen in einem etwas ausführlicheren Text dargelegt, eingebettet in einem historischen Abriss des sog. Palästina-Konflikts. Die Positionen der MLPD sind dagegen in einem sehr viel kürzeren Dokument und in Form programmatischer Punkte festgehalten. Da sich die Positionen der MLPD und des KA sehr ähneln und beide stellvertretend für weitere Organisationen aus diesem Spektrum stehen, werde ich mich hier der Einfachheit halber weitgehend auf die MLPD konzentrieren. Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich alle Zitate auf den Text Grundlinien der Positionierung zum palästinensischen Befreiungskampf.vi
Es gibt kein „Existenzrecht“ für Kolonien!
Eingangs behauptet die MLPD, sie sei „uneingeschränkt solidarisch mit dem palästinensischen Volk im Kampf um seine soziale und nationale Befreiung.“ Die folgenden von ihr verabschiedeten Positionen legen allerdings ein Zeugnis davon ab, dass sie den Befreiungskampf der Palästinenser weder versteht, noch ihm tatsächlich „uneingeschränkt solidarisch“ gegenübersteht:
1. Die MLPD schreibt: „Wir erkennen das Existenzrecht des Staates Israel an.“ Darin liegt schon das Grundproblem. Dass die MLPD die Propagandafloskel des westlichen Imperialismus vom „Existenzrecht“ Israels übernimmt, zeugt schon davon, dass sie sich nicht materialistisch-wissenschaftlich mit dem Thema befasst hat, sondern ahistorisch, moralistisch und eurozentrisch. Wer von einem „Existenzrecht“ Israels spricht, hat sich die Hälfte der zionistischen Agenda bereits zu eigen gemacht und kann nicht ernsthaft solidarisch mit den Palästinensern und ihrem Befreiungskampf sein: 1. Das Judentum ist keine Nation; diese Behauptung ist nur ein völkischer Mythos der Antisemiten und der Zionisten. 2. Israel ist kein normaler Nationalstaat, sondern ein siedlerkoloniales Projekt, das auf die Vernichtung und/oder Verdrängung der Indigenen in Palästina abzielt. Erst wenn diese politische oder physische Vernichtung der Palästinenser abgeschlossen ist, können die Siedler überhaupt erst zu einer Nation werden. Bis dahin sind sie ein multinationales Gemisch, das sich zu einem Kriegskollektiv zusammengeschlossen hat, um das Territorium, das für eine Nationenbildung notwendig ist, zusammenzurauben. Genau wie das südafrikanische Apartheidregime, wie die europäischen Kolonialregime überall auf der Welt, wie die Marionettenregime der Nazis in Europa im Zweiten Weltkrieg: Israel hat kein Existenzrecht! Punkt.
2. Indem sie das Dogma des „Existenzrechts“ übernimmt, positioniert sich die MLPD bereits im Sinne der sog. Zwei-Staaten-Lösung, auch wenn sie es anders zu drehen versucht:vii Sie wünscht sich „für das israelische und das palästinensische Volk“ einen einzigen „gemeinsamen demokratischen Staat, in dem Gleichberechtigung, gegenseitiger Respekt und Vertrauen, ohne Diskriminierung herrschen.“ Angeblich sei das aber „letztlich und in aller Konsequenz“ nur im Sozialismus möglich. Deshalb sei eine „demokratische Zweistaatenregelung als Übergangsstadium“ vermeintlich realistischer. Soweit, so beschränkt – denn wer behauptet denn, dass es darum gehen müsse, dass all die rassistisch verhetzten zionistischen Siedler, die den Großteil des „israelischen Volkes“ ausmachen, in Palästina bleiben? Diese Menschen haben sich das Land geraubt, sie wollen es nicht teilen, geschweige denn irgend etwas davon zurückgeben; sie hassen Palästinenser und halten sie für gefährliche Untermenschen; sie wollen nicht mit ihnen Seite an Seite leben, erst recht nicht als Minderheit zusammen mit einer palästinensischen Mehrheit und vor allem nicht in einem System, wo die Palästinenser gleichberechtigt sind. Zudem haben viele von ihnen mindestens eine weitere Staatsangehörigkeit, nämlich die desjenigen (meist europäischen oder nordamerikanischen) Landes, aus dem sie nach Palästina eingewandert sind, um sich auf geraubtem Land ein schönes Leben zu machen bzw. „für den Zionismus zu kämpfen“. Die Linken im Westen müssen endlich aufhören, anderen ihre romantischen Vorstellungen überstülpen zu wollen: Es geht in Palästina nicht um eine Utopie der Aussöhnung zwischen Palästinensern und „Israelis“ – es geht um den nackten Überlebens- und Existenzkampf der Palästinenser gegen die Siedler! Wir sollten uns klar machen, dass wir nicht das Recht haben, den zionistischen Kolonialsiedlern Persilscheine auszuhändigen. Im Zuge der Entkolonisierung Palästinas wird es einerseits an den konkreten Machtverhältnissen, unter denen sie zustande kommt, andererseits aber auch an der Großherzigkeit der Palästinenser liegen, ob Gnade vor Recht ergeht und diejenigen Siedler, die damit klar kommen, gleichberechtigt mit Arabern zusammen zu leben, bleiben dürfen. Ein „Recht“ dazu haben sie jedenfalls nicht.
3. Da die MLPD de facto für eine Zwei-Staaten-Lösung eintritt, ist es absurd, dass sie zugleich Oslo als Verrat der PLO-Führung geißelt (auch wenn das richtig istviii), denn Oslo war eine logische Konsequenz aus dem Kurs der Fatah, sich auf die Zwei-Staaten-Lösung einzulassen. Diese aber muss scheitern, denn 1. waren die Zionisten nie bereit, einer Zwei-Staaten-Lösung zuzustimmen, sie wollten immer ganz Palästina (und Gebiete darüber hinaus) und haben seit ihres Bestehens auf permanente Expansion gesetzt; 2. sind zwei Staaten auf einem so kleinen Gebiet wie Palästina unvorstellbar; 3. und das umso mehr, als für die Palästinenser nie auch nur ein einheitliches Territorium vorgesehen war.
4. Daran krankte auch bereits der UN-Teilungsplan von 1947, auf den die MLPD rekurriert. Dieser Plan war ein Musterbeispiel kolonialistischer Willkür: Zunächst haben die Westmächte die von den Nazis vertriebenen Juden nach Palästina verfrachtet, weil sie sie selbst nicht aufnehmen wollten. Dann wurde diese multinationale Masse aus Flüchtlingen zu einem „Volk“ umdeklariert und unter zionistische Führung gestellt. Und schließlich hat man dieser Minderheit in Palästina nicht nur mehr als die Hälfte des Landes zugesprochen, sondern auch noch die fruchtbarsten Böden und die geopolitisch wichtigsten Gebiete. Dass sich die Sowjetunion, wie die MLPD lobend betont, daran beteiligt hat, ist eine Schande für die kommunistische Bewegung, für das Erbe des ersten sozialistischen Landes und auch für die Genossen der damaligen KPdSU-Führung.ix Überspitzt könnte man sagen: Wenn es ein Stalin’sches Verbrechen gegeben hat, dann war es wohl die Anerkennung Israels. Die Hintergründe müssen wir noch aufarbeiten. Trotzdem lässt sich jetzt schon sagen, dass es sich dabei um den vielleicht nachhaltigsten Fehler der sowjetischen Führung handelte (von der Konterrevolution 1989-91 einmal abgesehen).
Solidarität mit dem palästinensischen Befreiungskampf – nicht mit der „israelischen Arbeiterklasse“!
5. Mit dem falschen Verständnis von Israel als Nationalstaat und den jüdischen Siedlern als Nation geht die völlige Verkennung der Klassenverhältnisse in Palästina einher: Die MLPD ist bemüht, Israel als eine normale Klassengesellschaft darzustellen, wenn sie schreibt: „Es gibt auch in Israel Klassenkampf, gewerkschaftliche Streikbewegungen sowie palästinensisch-arabische Parteien mit berechtigten Forderungen, Initiativen und Bewegungen in Israel, die sich für gerechten Frieden, die Rechte der Palästinenser, gegen die Beschlagnahmung von Häusern, den Siedlungsbau oder das rassistische Nationalitätengesetz einsetzen.“ Natürlich gibt es all das in Israel, genauso wie es all das auch in Südafrika und im französisch besetzten Algerien gab. Soziale Spaltung und Klassenwidersprüche gibt es nunmal auch innerhalb von Siedlergemeinschaften. Nur wird diese Feststellung nicht den besonderen Bedingungen innerhalb eines solchen Konstruktes gerecht: 1. wird ein Großteil der „israelischen“ Arbeiterklasse in Wahrheit von Palästinensern mit und ohne israelischen Pass gestellt; sie verrichten die härtesten, schmutzigsten und am schlechtesten bezahlten Jobs, während sie zugleich Abgaben an die zionistischen Gewerkschaften leisten müssten, ohne jedoch von ihnen vertreten zu werden. 2. ist die von der MLPD angeführte palästinensische Bürgerrechtsbewegung in Israel objektiv Teil der palästinensischen Befreiungsbewegung, nicht eines „inner-israelischen Klassenkampfs“; 3. ist die Siedlerbevölkerung ein rassistisches Kollektiv, das als Kollektiv auf Kosten der Palästinenser lebt. Selbst die ärmsten Israelis profitieren materiell von der Enteignung, Unterdrückung, Ausbeutung und Vertreibung der Palästinenser – sowohl innerhalb Israels, als auch in der Westbank. Die Bestechung der Arbeiterklasse, die wir aus imperialistischen Zentren wie Deutschland nur zu gut kennen, nimmt in Bezug auf die Arbeiter- und Bauernschaft der „Herrenrasse“ innerhalb einer Kolonie noch einmal unvergleichbar krassere Ausmaße an. Während die aus der europäischen Arbeiterbewegung stammende Gewerkschaft Histadrut, die Landwirtschaftskollektive (Kibbuzim) und die „zionistische Linke“ von Beginn an die Speerspitze der „sozialistisch“ verbrämten kolonialen Landnahme, der ethnischen Säuberung und des Rassismus’ – sowohl gegen nicht-jüdische Palästinenser, als auch gegen arabische Juden – waren, stellen die arabischen jüdischen Unterschichten seit Jahrzehnten die soziale Basis der israelischen äußersten Rechten. Auch bei den Protesten, die in den letzten Jahren und vor allem in den letzten Monaten gegen die Netanyahu-Regierungen zig tausende Israelis mobilisiert haben, war der zionistische Konsens unantastbar: palästinensische Fahnen etwa wurden nicht geduldet; weder der Rassismus, noch die Besatzung der Westbank waren Thema. Palästinenser mit israelischen Pass nahmen entsprechend nicht teil. Die Gay-Pride-Fahnen dürfen nicht darüber hinweg täuschen, dass es sich um Aufmärsche einer Fraktion der siedlerkolonialen „Herrenrasse“ – und zwar sowohl an, als auch für sich – handelt, die schlicht und einfach um ihre eigenen Privilegien besorgt ist.x Die MLPD versucht diese Tatsachen allein auf „die systematische jahrzehntelange zionistische Beeinflussung und Hetze“ zurückzuführen, die „Spuren in der israelischen Arbeiterschaft und den Massen hinterlassen“ hätten. In Wahrheit hat sie selbst die strukturellen Besonderheiten des Siedlerkolonialismus nicht verstanden. Ihre Schlussfolgerung, mit „geduldiger Überzeugungs- und Bündnisarbeit“ gegenzusteuern, zeugt von der völligen Verkennung der Tatsachen vor Ort:xi Es gibt ein revolutionäres Subjekt in Palästina, und das ist die nationale Befreiungsbewegung der Palästinenser, die alle Klassen der palästinensischen Gesellschaft (bis auf die Kompradorenbourgeoisie) umfasst.
Weiter heißt es bei der MLPD, es sei der „prinzipiell falsche Weg, aus Enttäuschung oder Skepsis in die Arbeiter und die Massen in Israel oder aufgrund nationalistischer und reaktionärer Einflüsse, die palästinensische Nationalität über die Klasseninteressen zu stellen“. Wie überheblich und ignorant dieser Satz ist, wird klar, wenn man sich bewusst macht, dass der Adressat hier die Palästinenser sind. Diese sollen nicht „enttäuscht“ oder „skeptisch“ gegenüber den „israelischen Massen“ sein. Diese Massen, so muss man sich vergegenwärtigen, sind, seit sie in Palästina sind, an der Besatzung, der Unterdrückung, der Ausbeutung und der Vertreibung der Palästinenser beteiligt. Ohne Ausnahme. Jeder Israeli lebt auf geraubtem Land. Jeder Israeli muss Militärdienst leisten; rechte wie „linke“ Regierungen haben unterschiedslos Krieg gegen die Palästinenser und die arabischen Nachbarn geführt; breiteren Protest hat es – außer im Fall des Libanonkriegs 1982 – nie gegeben. Bestenfalls schauen die „israelischen Massen“ dem Abschlachten der Palästinenser seit bald 100 Jahren gemütlich zu und profitieren davon; in der Regel aber bejubeln sie es sogar oder morden direkt mit. Es geht indes nicht darum, dass die Palästinenser „enttäuscht“ von den „israelischen Massen“ sind – die wenigsten dürften je Hoffnungen in sie gesetzt haben, allenfalls die palästinensischen Kommunisten. Sie waren es, die schmerzlich lernen mussten, dass auf die „israelischen Massen“ nicht zu bauen ist, und das haben Organisationen wie die PFLP, aber auch die KP Palästinas getan. Nun ist es an der MLPD und allen anderen, die ihrer Einschätzung folgen,xii ihre Illusionen in die „israelischen Massen“ zu verlieren!
6. Der oben zitierte Satz drückt aber auch ein Missverständnis zur nationalen Frage aus, das, so mein Eindruck, in der kommunistischen Bewegung recht weit verbreitet ist: und zwar werden Klassenkampf und nationale Frage einander häufig entgegengestellt bzw. voneinander getrennt.xiii Dabei liegt der Fehler darin, den Klassenkampf quasi als sozialen und ökonomischen Kampf zu begreifen und ihn auf diese Frage zu reduzieren. Dagegen ist die nationale Frage (genau wie rassistische, sexistische usw. Unterdrückung, die Frage von Krieg und Frieden etc.) in Wirklichkeit Teil des Klassenkampfs, so wie auch die Frage der Ausbeutung. Der Unterschied besteht darin, dass es im nationalen Befreiungskampf Interessensüberschneidungen zwischen Arbeiterklasse und nationaler Bourgeoisie gibt und es entsprechend zu Bündnissen kommen kann, anders als im ökonomischen Kampf, wo die Interessen von Arbeitern und Kapitalisten antagonistisch sind. Zu sagen, dass in Palästina der „Hauptwiderspruch“ der zwischen den Palästinensern als Nation auf der einen und dem zionistischen Kolonialismus auf der anderen Seite ist, hat nichts damit zu tun, „die palästinensische Nationalität über die Klasseninteressen zu stellen“: Der Zionismus negiert die pure Existenz der Palästinenser (ob als Arbeiter, Bauern oder Bourgeoisie). Darum ist die nationale Befreiung Palästinas aktuell das strategische Hauptziel. Denn auch wenn sich diese nationale Revolution nicht unter kommunistischer Führung vollziehen und daher nicht unmittelbar in eine sozialistische Revolution hinüberwachsen sollte – und das scheint derzeit äußerst unrealistisch –, ist ein souveräner Nationalstaat ein großer Fortschritt für die palästinensische Arbeiterklasse; eine von direkter ausländischer Unterdrückung befreite Klassengesellschaft, in der sich das Proletariat an sich formieren und für sich organisieren kann, ist ein gewaltiger Gewinn gegenüber der Realität, wie wir sie heute aus Palästina kennen: Millionen Menschen verstreut über verschiedene Staaten und Hoheitsgebiete, unter militärischer Besatzung und ökonomischer Blockade, eingepfercht in Flüchtlingslager, wirtschaftlich komplett abhängig von Israel, westlichen Staaten und der UN; eine Gesellschaft von Kleinbürgern und Tagelöhnern, überausgebeutet, entrechtet, permanentem rassistischem Terror ausgesetzt, im alltäglichen Überlebenskampf gefangen, eingesperrt oder ins Exil getrieben, fortlaufend enteignet. Die Befreiung der palästinensischen Nation liegt also im dringendsten Interesse der palästinensischen Arbeiterklasse!
Gegen die Spaltung und Diffamierung des palästinensischen Widerstands!
7. Der Satz geht allerdings noch weiter: Denn es sei nicht nur falsch, den palästinensischen Befreiungskampf an erste Stelle zu stellen, sondern auch fatal, „mit reaktionären und faschistoiden oder faschistischen Kräften wie der Hamas und der Organisation „Dschihad“ oder gar (direkt oder indirekt) der imperialistischen und faschistischen Diktatur im Iran zusammenzuarbeiten oder gar in ihnen Verbündete zu sehen.“xiv Diese Kritik zielt ziemlich eindeutig auf die palästinensische Linke ab, und wohl vor allem auf die PFLP, mit der die MLPD Beziehungen unterhält. Denn sowohl die PFLP als auch die DFLP arbeiten mit Hamas und Islamischem Jihad zusammen: es gibt gemeinsame Militäroperationen gegen das zionistische Regime, man hält diplomatischen Kontakt, gratuliert und kondoliert einander, ehrt die Märtyrer der jeweils anderen und sieht sich geeint im Widerstand gegen Tel Aviv und gegen das Kollaborationsregime in Ramallah. Der Iran wird außerdem, genau wie das Baath-Regime in Syrien und die Hisbollah im Libanon, als strategischer Partner im Ausland betrachtet. Nun wirft die MLPD der mit ihr befreundeten PFLP also vor, mit Faschisten zusammenzuarbeiten.xv Das muss man erstmal sacken lassen. Was das in der Konsequenz bedeutet, wird klar, wenn man sich die Positionierung der MLPD zu konkreten Operationen des palästinensischen Widerstands ansieht: So bezeichnete sie die Vergeltungsaktion für das Massaker von Jenin, bei der am 27. Januar diesen Jahres mehrere israelische Siedler in Ostjerusalem erschossen wurden, als „antisemitische“, „reaktionäre“ und „massenfeindliche“ „Verzweiflungstat“.xvi Was die palästinensischen Massen von dieser Tat hielten, bezeugten sie, indem sie in den Straßen und Gefängnissen feierten und indem sie diesen spektakulären Anschlag zum Vorbild nahmen: seither kommt es täglich zu Angriffen nicht nur auf israelische Soldaten, sondern auch auf Siedler. Daran sind auch Kämpfer der PFLP beteiligt, von denen bereits mehrere in den letzten Wochen ihr Leben ließen. Die Operation gegen die Siedler in Ostjerusalem indes bezeichnete die PFLP öffentlich als „heldenhafte Operation“ und als „Verkörperung des Willens unseres Volkes“. Khayri Alqam, den jungen Palästinenser, der die Operation durchgeführt hatte und der dabei getötet wurde, würdigte die Volksfront als „Held des Widerstands“.xvii Zudem nahm sie in Gaza an den Freudenfeiern nach der Operation teil.xviii Verübt und feiert die PFLP also antisemitischen, faschistischen Terror?
Nein, sie ist Teil des Volkswiderstands der Palästinenser, genau wie die Hamas, der Jihad, die Al-Aqsa-Märtyrerbrigaden, die DFLP und Arin al-Usud!xix Wer sich nur ein kleines bisschen ernsthaft mit der Geschichte der Hamas beschäftigt, der weiß, dass sie längst nicht mehr die ultrakonservative und sektiererische Politik aus ihrer Gründerzeit fährt, sondern eine religiös-nationale Linie, die von Pragmatismus und Widersprüchen (im guten wie im schlechten Sinn) geprägt ist; zudem hält sie bis dato einen ziemlich konsequenten Widerstandskurs gegen das zionistische Kolonialregime durch. Ihr zentrales Ziel ist kein islamischer Staat, auch wenn es natürlich sein kann – und auch das müssen sich palästina-solidarische Menschen hier im Westen einmal bewusst machen –, dass ein solcher das erste Ergebnis nach der Befreiung vom zionistischen Kolonialismus sein kann; das ist Sache der Palästinenser. Ein Fortschritt wäre ein solcher national befreiter islamischer Staat trotzdem!xx Die Hamas jedenfalls setzt seit Jahren an aller erste Stelle die nationale Befreiung Palästinas. Dabei kooperiert sie mit säkular-nationalistischen, genauso wie mit sozialistischen und kommunistischen Kräften. Als Marxisten sollten wir bei allem Gerede über die Ideologie auch den Klassencharakter nicht außer acht lassen: Die Hamas ist eine Partei des Kleinbürgertums und der nationalen Bourgeoisie. Ähnliches gilt für den – allerdings sehr viel kleineren und weniger in den Massen verankerten – Islamischen Jihad, der sehr eng an den Iran gebunden ist. Sowohl Hamas als auch Jihad sind zudem elementarer Bestandteil des palästinensischen Widerstands, politisch wie militärisch.xxi Gegen sie zu sein, heißt gegen den palästinensischen Widerstand zu sein, wie er real existiert! Eine Distanzierung von ihnen und ihrer Praxis bedeutet faktisch, auch wenn es MLPD, KA etc. nicht klar zu sein scheint, eine Distanzierung von der Praxis von PFLP und Co. Mehr noch: Wenn sich in Deutschland große Teile, wenn nicht gar die Mehrheit der Solidaritätsbewegung, von Hamas und Jihad distanzieren, betreiben sie letztlich nichts anderes als eine Spaltungspolitik. Damit spielen sie Israel und dem deutschen Imperialismus bei ihrer Delegitimierung des palästinensischen Widerstands und bei ihrer Repression gegen Palästinenser hierzulande in die Hände.xxii Dann sind sie es, die spalten, während die anderen herrschen.
Der herrschenden Propaganda richtig begegnen!
8. Auffällig ist das offenbar große Bedürfnis der MLPD, sich gegen Antisemitismusvorwürfe zu verteidigen:xxiii In drei von zehn Punkten geht es darum, sich gegen Antisemitismus auszusprechen, in einem weiteren wird sich von „reaktionären und faschistoiden oder faschistischen Kräften“ unter den Palästinensern distanziert. Die Sorge, als Antisemit diskreditiert zu werden, ist angesichts der krassen anti-palästinensischen Hetz- und Diffamierungskampagnen der letzten Jahre, von denen auch die MLPD selbst bereits betroffen war,xxiv verständlich. Trotzdem zeugt diese völlige Überbetonung des Antisemitismus in den „Grundlinien“ von einer sehr problematischen defensiven Haltung: Nicht wir sind es, die Juden, Israelis und Zionisten in einen Topf werfen, sondern die Zionisten und ihre westlichen Alliierten selbst! Weder die Kommunisten noch die Araber hatten je ein Problem mit Juden, das waren der Westen bzw. seine feudalen, faschistischen, konservativen und liberalen Antisemiten! Nicht wir müssen uns für ein rassistisches genozidales Projekt rechtfertigen, sondern jene, die das „Existenzrecht“ eines solchen genozidalen Kolonialprojekts in Palästina verteidigen! Allerdings stolpert die MLPD auch darüber, dass sie eben diesen zionistischen Mythos von der „jüdischen Nation“ übernommen hat, und tappt so in die Falle des herrschenden Diskurses über Palästina und angeblichen Antisemitismus. Der Gipfel ist dann, dass sie ihn auch noch aufgreift und mitträgt, indem sie von „Antisemitismus“ in Zusammenhang mit „kleinbürgerliche[n] / bürgerliche[n] arabische[n] Kreise[n], Trotzkisten und Teilen der kleinbürgerlichen Linken“ schwadroniert.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die MLPD entgegen ihrer eingangs betonten Behauptung, „uneingeschränkt solidarisch mit dem palästinensischen Volk im Kampf um seine soziale und nationale Befreiung“ zu sein, in Wahrheit 1. diesen Befreiungskampf selbst, wie auch dessen strategischen Feind, das zionistische Regime, weder theoretisch versteht, noch sich konkret mit den Realitäten des einen oder anderen auseinandergesetzt hat;xxv 2. hat die MLPD zionistische Narrative übernommen, sodass sie auf Teile der anti-palästinensischen Propaganda hereinfällt, sie sich teilweise sogar zu eigen macht und selbst in eine argumentative Defensive gerät. 3. und aus den beiden ersten Punkten folgend, sind die strategischen Perspektiven, die die MLPD mit Blick auf Palästina aufmacht – die „Verbrüderung“ zwischen palästinensischer und israelischer Arbeiterklasse und die Zwei-Staaten-Lösung als Übergangsetappe –, illusorisch; da die Genossen in Palästina in dieser Sache aber wohl ohnehin nicht auf unqualifizierte Ratschläge aus dem Westen hören werden, liegt hier meiner Meinung nach nicht das größte Problem. Viel gravierender ist 4., dass Distanzierungen vonseiten der Palästina-Solidaritätsbewegung von Teilen des Widerstands faktisch zu einer Spaltung und Schwächung der palästinensischen Befreiungsbewegung führen. Damit verkehrt sich die Soli-Bewegung in ihr Gegenteil.
Die Antwort muss heißen: 1. konsequent zionistische Mythen entlarven, der herrschenden Propaganda entschieden entgegentreten und sich nicht verunsichern lassen! 2. Wir müssen uns bilden und ganz real und konkret mit dem palästinensischen Widerstand sowie seinen Akteuren beschäftigen und mit ihnen in Austausch kommen! 3. Nur so können wir auch von ihnen lernen und mit ihnen erarbeiten, was konkret die Aufgaben der Palästina-Solidarität in Deutschland sein müssen. Und 4. müssen wir uns der Spaltung des Widerstands entgegenstellen, d. h. wir müssen uns solidarisch mit all seinen Formen und all seinen Akteuren erklären!
i Ein Artikel über das Massaker von Jenin im Januar diesen Jahres und die darauf folgende palästinensische Vergeltungsaktion in Ostjerusalem stand etwa unter der Überschrift: „Eskalation in Israel“, https://www.unsere-zeit.de/eskalation-in-israel-4776566/.
ii Immerhin gehört Marx21 weiterhin zu den wenigen linken Kräften in der BRD, die die Hamas als Teil des palästinensischen Widerstands begreifen, und nicht als „faschistisch“ oder „reaktionär“. Allerdings scheint auch hier das schädliche und relativierende Narrativ, wonach die Hamas eine Art Nutznießerin der israelischen Unterdrückungspolitik sei, Einzug erhalten zu haben:https://www.marx21.de/eine-kurze-geschichte-der-hamas/ Dieser Artikel endet mit dem Satz: „Nichts könnte ihre schwindende Popularität besser aufpolieren als der aggressive Kurs der israelischen Politik.“
iii Der Text Die Nationale Frage in Palästina und Israel vom KA erschien im Mai 2021: https://komaufbau.org/die-nationale-frage-in-palaestina-und-israel/; die Grundlinien der Positionierung zum palästinensischen Befreiungskampf der MLPD wurden im November 2022 veröffentlicht: https://www.rf-news.de/rote-fahne/2022/nr23/mlpd-grundlinien-der-positionierung-zum-palaestinensischen-befreiungskampf.
iv https://youtu.be/xHKJmowzjko?t=5589.
v https://kommunistische-organisation.de/internationalismus/73-jahre-vertreibung-sind-kein-grund-zum-feiern-freiheit-fuer-palaestina/, https://kommunistische-organisation.de/allgemein/74-jahre-widerstand-gegen-die-andauernde-nakba/ und https://kommunistische-organisation.de/allgemein/intifada-bis-zum-sieg/.
vi In Bezug auf den KA gilt, dass alle Zitate von ihm, die in den Fußnoten aufgeführt werden, wenn nicht anders angegeben, aus dem Text Die Nationale Frage in Palästina und Israel stammen.
vii Der KA umschifft eine klare Aussage zu dieser Frage.
viii Den Prozess, wie sich die Position der sog. Zwei-Staaten-Lösung innerhalb der PLO und der Fatah durchsetzen konnte, gilt es noch aufzuarbeiten. Auch wenn man davon ausgeht, dass die PLO-Führung (anfangs) ein taktisches Verhältnis zur Errichtung eines palästinensischen Teilstaates in der Westbank und im Gaza-Streifen einnahm, um von dort aus den Kampf um die Befreiung ganz Palästinas fortzusetzen, und auch wenn man anerkennt, dass Arafat in seinen letzten Jahren eingesehen hat, wie fatal sein Pakt mit Tel Aviv war, muss die Errichtung des Marionettenregimes von Ramallah unterm Strich als Verrat betrachtet werden, der im Interessen einer palästinensischen Kompradorenbourgeoisie lag.
ix Der KA hält sich bei der Bewertung übrigens betont zurück.
x Der KA erkennt stattdessen eine „Entwicklung klassenkämpferischer Proteste in Israel und die Schwächung der zionistischen Regierungen“. Wie er darauf kommt, erfährt man leider nicht.
xi Das gilt auch für den KA: Bei ihm werden der „reaktionäre Zionismus“ und der „islamische Fundamentalismus“ als zwei gleichsam negative ideologische „Einflüsse“ bezeichnet, die von den Kommunisten zurückgedrängt werden müssten.
xii Auch ein ehem. KO-Mitglied hat in einem früheren Diskussionsbeitrag von der Notwendigkeit „gemeinsamer Aktionen“ der israelischen und der palästinensischen Arbeiterklasse fabuliert, wobei er sie sogar als eine einzige Klasse bezeichnete:https://kommunistische-organisation.de/diskussion/eine-marxistische-kritik-der-postmodernen-identitaetslinken-und-des-identitaetspolitischen-antirassismus/.
Der KA indes formuliert diese falsche strategische Ausrichtung besonders prägnant aus: „Eine fortschrittliche Lösung der nationalen Frage in Palästina und Israel kann letztlich nur durch die Verbrüderung und einen gemeinsamen Kampf der israelischen und palästinensischen, der jüdischen und arabischen Arbeiter:innenklasse herbeigeführt werden. Diese Verbrüderung ist die Voraussetzung für die dauerhafte Lösung der nationalen und sozialen Frage in Palästina und Israel.“ Auf eine solche „Verbrüderung“ zu warten, bedeutet aber in Wahrheit, die Befreiung Palästinas auf den Sankt Nimmerleinstag zu verschieben, und ist der sicherste Weg, die Palästinenser in die totale Niederlage zu führen!
xiii Beim KA klingt das so: „Erstens und auf der allgemeinen Ebene bedeutet die Unterdrückung von Nationen aus der Sicht der Arbeiter:innenklasse ein politisches Hindernis für den eigenen Kampf, weil durch sie „nationale“ Fragen in den Vordergrund gerückt werden. Hierdurch wird der Eindruck einer Interessengemeinschaft zwischen der Bourgeoisie und dem Proletariat einer Nation erweckt. Es besteht die Gefahr, dass die Aufmerksamkeit der Arbeiter:innen und anderer unterdrückter Schichten damit von den Klassenunterschieden abgelenkt und der internationale Zusammenschluss der Arbeiter:innen im Kampf gegen die Bourgeoisie erschwert wird.“ (Hervorhebung N.B.) Wenn sich dieser Satz (auch) auf die Arbeiterklasse der unterdrückten Nation bezieht (was in dem Text nicht ganz eindeutig ist), dann ist er ein Ausdruck der totalen Negierung wesentlicher Erkenntnisse von Marx, Engels und Lenin, von der Komintern und der späteren internationalen kommunistischen Bewegung ganz zu schweigen.
xiv Beim KA findet sich eine ziemlich identische Aussage: „Wir dürfen dabei jedoch nicht in die Falle tappen, die nationale Frage in Palästina und Israel selbst nur unter dem Gesichtspunkt des nationalen Konfliktes zu sehen und die Klassenfrage dabei zu vernachlässigen. Auch wenn der Zionismus heute aufgrund der konkreten Machtverhältnisse weiterhin das wichtigste Unterdrückungsinstrument der Arbeiter:innen in Palästina darstellt, dürfen wir die Gefahren nicht unterschätzen, die von Teilen der palästinensischen Bourgeoisie sowie von den aufstrebenden kapitalistischen Staaten der Region wie Saudi-Arabien, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Katar, Iran oder der Türkei ausgehen. (…) Den Zionismus abzulehnen, darf uns nicht dazu führen, anderen imperialistischen Fraktionen und den von ihnen geführten reaktionären Kräften wie der Hamas oder der Fatah auf den Leim zu gehen. Deshalb müssen wir auf das Schärfste auch gegen islamisch-fundamentalistische, antisemitische und faschistische Positionen kämpfen“. (Hervorhebung N.B.) Wieso der KA hier auch die Fatah nennt, bleibt sein Geheimnis. Möglicherweise handelt es sich um eine Kritik am sozialistischen Lager, das in erster Linie auf die Fatah als führende Kraft der palästinensischen Befreiungsbewegung gesetzt hat; vielleicht sind auch die Al-Aqsa-Märtyrerbrigaden gemeint. Möglicherweise ist dem KA aber auch nicht bewusst, dass die Fatah-Führung längst das Lager des palästinensischen Widerstands verlassen hat.
xv Der KA hat in einem – nebenbei bemerkt sehr oberflächlichen, undifferenzierten und mit eurozentrischen bis antideutschen Klischees vollgepackten – Text dargelegt, dass er den „islamischen Fundamentalismus“ an sich, unter völliger Ignoranz der Diversität seiner zahlreichen und teilweise in krassem Widerspruch zueinander stehenden Strömungen und Vertreter, als Form des Faschismus versteht: https://komaufbau.org/islamischer-fundamentalismus-und-imperialismus-teil-1/. Diesem Muster scheint auch die MLPD zu folgen, wenn sie die Hamas, den Jihad und den Iran, und natürlich auch die Hisbollah (https://www.rf-news.de/2020/kw32/libanon-wir-koennen-es-nicht-mehr-ertragen-das-ganze-system-muss-weg), quasi bei jeder Erwähnung als „faschistisch“ bzw. „faschistoid“ kennzeichnet.
xvi https://www.rf-news.de/2023/kw04/massaker-in-jenin-militaerschlage-gegen-gaza-attacke-gegen-juden und https://www.rf-news.de/2023/kw05/staatsterror-und-wachsende-massenproteste-zehntausender-gegen-netanjahu-regierung.
xvii http://pflp-lb.org/news.php?go=fullnews&newsid=15633
xviii https://t.me/pflpgaza1/9984
xix Natürlich kann man auch solidarische Kritik an Formen des Widerstands üben, wenn man etwa der Meinung ist, dass Siedler „Zivilisten“ seien, die unter keinen Umständen Ziel militärischer Gewalt werden dürften. Doch müssen wir uns auch mit den Argumenten der Genossen von vor Ort auseinandersetzen. So muss man sich die Frage stellen, ob (erwachsene) Siedler in einer Siedlerkolonie grundsätzlich überhaupt als „Zivilisten“ gelten können, da sie objektiv Teil der Besatzung und der ethnischen Säuberung sind.
xx So habe ich auch mit Blick auf Afghanistan argumentiert: https://kommunistische-organisation.de/diskussion/thesen-zu-afghanistan/.
xxi Das gilt übrigens auch für die Rolle des Iran: Teheran und seine Alliierten in der Region haben nach der Konterrevolution 1989-91 die Rolle des sozialistischen Lagers als wichtigstem Verbündeten der Palästinenser eingenommen. Ohne die Waffen und das Geld von dort wäre der militärische Widerstand, vor allem in Gaza, längst am Ende. Natürlich muss die Rolle des ohne Frage bürgerlichen Regimes in Teheran und die Abhängigkeiten des palästinensischen Widerstands von ihm kritisch gesehen werden. Trotzdem nimmt der Iran derzeit die – unterm Strich positive – Rolle eines unverzichtbaren Verbündeten der palästinensischen Befreiungsbewegung ein. Darüber hinaus ist hier nicht der Ort, um auf die plumpe Charakterisierung der Islamischen Republik als „faschistisch“ einzugehen.
xxii U. a. über diese Frage haben wir auch im letzten Drittel unseres letzten Podcasts zu Palästina diskutiert:https://youtu.be/1R4XRMJX-lU?t=3580.
xxiii Beim KA zeigt sich ein ähnlicher Drang, wenn er in einer sehr kurzen Stellungnahme von 2017 gleich zwei mal die Parole „Gemeinsam gegen Imperialismus, Antisemitismus und religiösen Fundamentalismus!“ respektive „Reaktion“ ausgibt: https://komaufbau.org/freiheit-fur-palastina/.
xxiv Bei dieser Kampagne gegen die MLPD 2017 spielte nicht zuletzt RT Deutsch eine sehr unrühmliche Rolle (https://www.jungewelt.de/artikel/317479.wahlkämpfer-des-tages-pflp.html). Die entsprechenden Artikel sind dort mittlerweile nicht mehr auffindbar.
xxv Das gilt auch für den KA, dessen Text weitgehend eine Entstehungsgeschichte des Zionismus und der Verbrechen Israels ist. Dabei schafft er es allerdings nicht, aus dem Charakter des Zionismus als kolonialem Siedlerprojekt richtige Schlüsse in Bezug auf die Siedlerbevölkerung zu ziehen, die für den KA eine von „zwei Nationen“ ist, die Palästina „beherbergt“. Die Darstellung der Geschichte des palästinensischen Widerstands beschränkt sich auf eine Kritik an der von Feudalherren und Kompradoren geprägten Führung der Bewegung in der Zeit des britischen Mandats, einen ziemlich unreflektierten und unkritischen Abriss der Politik der KP Palästinas zwischen 1924 und 1948 und schließlich auf eine Auflistung von Schlagworten und lückenhaften Daten (Fatah-Gründung 1959, PFLP-Gründung 1967, Erste Intifada 1987, Spaltung Hamas–Fatah/Westbank-Gaza 2007) statt einer echten Darstellung der Genese des Widerstands nach der Nakba, die aber notwendig wäre, um überhaupt etwas über die heutigen Widerstandsakteure sagen zu können.