Beitrag zur Diskussionstribüne Klima&Kapitalismus – keine Positionierung der Kommunistischen Organisation (siehe Beschreibung der Diskussionstribüne)
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Ein Gastbeitrag von Hans Christoph Stoodt
1. Zum Stand der Diskussion
Nehm’n wir mal an, die Proleten in Russland
hätten gesagt: „die Revolution –
machen wir erst wenn der Krieg vorbei ist,
und auch dann erst nach gründlicher Diskussion!“
Nein, sie fingen sofort damit an
und zur rechten Zeit war’n sie bereit.
Denn sie kannten das Gesetz des Klassenkampfs:
die Ökonomie der Zeit.
Dieser Vers aus einem bekannten Lied des DDR-Sängers Reinhold Andert1 trifft es gut und passt genau auf die gegenwärtige Situation. Mit dem folgenden Diskussionsbeitrag möchte ich nicht umfassend auf alle Seiten der Diskussionstribüne „Klima & Kapitalismus“ der Kommunistischen Organisation eingehen. Diese Diskussion umfasst inzwischen viele Facetten und Aspekte. Meine eigene Position dazu findet sich in dem von Spanidis, anderen und mir als Aufschlag der Debatte veröffentlichten Text „Kapitalismus, ökologische Zerstörung und kommunistische Strategie“2, eine Gegenposition bezogen Kissel u.a. in „Wir werden nicht in Panik geraten“3, weitere Positionen wurden von Oskar4 sowie Michael Kubi5 beigesteuert, der zur selben Frage im vergangenen Sommer auch einen Artikel in offen-siv veröffentlicht hat6. Eine besondere Stellung aus einer trotzkistischen Position bezieht Jan Müller in „Diskussionsbeitrag zum Klimawandel“7. Thanassis Spanidis hat in einem aktuellen Text aus meiner Sicht sehr gut die Wissenschaftsfeindlichkeit jeder Position charakterisiert, die den von Menschen gemachten, richtiger: den kapitalistischen Klimawandel leugnet.8
In der zeitgleich laufenden Diskussion zum Leitantrag der 2. Vollversammlung der KO „Zur Arbeit unter den Massen“ hatte ich weitere Anmerkungen zur Klimafrage und ihrer Bedeutung für das Konzept kommunistischer Massenarbeit gemacht: „… bis zu einem gewissen Grade mit den Massen zu verschmelzen“ (Lenin) – noch einmal zu Inhalt und Form kommunistischer Massenarbeit heute“ 9. Ich melde mich mit den folgenden Zeilen noch einmal zu Wort, weil mich einige Aspekte dieser wichtigen Debatte besonders herausfordern, und um einen bislang wenig oder gar nicht beachteten Aspekt der Debatte zu betonen: die Ökonomie der Zeit im Kontext des Klassenkampfs um die Frage des Klimawandels, des Kampfs um das Überleben der uns bekannten menschlichen Zivilisation.
2. Ausgangspunkt jeder Strategie: Gegenwartsbestimmung
Ende Oktober 2019 erschien in der naturwissenschaftlichen Zeitschrift „Nature“ ein Artikel, der darauf hinwies: aufgrund neuer und genauerer Vermessungen besonders von Überflutung bedrohter Küstenregionen der Erde muss man von einer dreimal höheren Verwundbarkeit solcher Gebiete durch den klimabedingten Anstieg des Meeresspiegels ausgehen als bisher angenommen. Karten zeigen zB. die zu erwartende Überflutung der norddeutschen Tiefebene im Jahr 2100 für den unwahrscheinlich günstigen Fall, daß das 2-Grad-Ziel erreicht wird. Hamburg, Bremerhaven, Cuxhaven, Bremen, weite Teile Schleswig-Holsteins, Dänemarks und der Niederlande werden dann ganz oder zeitweilig unter Wasser stehen.10 Ähnliche Perspektiven haben viele weitere Küstenstriche der Welt. Betroffen sein werden nach heutigen Schätzungen global etwa 360 Millionen Menschen.
Bereits heute müssen große Anstrengungen unternommen werden, die 25-Millionen-Metropole Jakarta, Hauptstadt Indonesiens, komplett umzusiedeln, weil sie aufgrund des klimabedingt steigenden Seewasserspiegels im Begriff ist, zu versinken11.
Vor wenigen Tagen veröffentlichten 11000 Naturwissenschaftler*innen einen weiteren dramatischen Appell „World Scientist’s Warning of a Climate Emergency“, in dem sie auf die vergangenen 40 Jahre weitgehender Untätigkeit gegen den Anstieg der Treibhausgasemissionen seit der ersten internationalen Konferenz zu diesem Problem (Genf 1979) hinwiesen. Sie prognostizieren bereits für die mittlere Zukunft unermessliches menschliches Leid, wenn es nicht gelingen sollte, in kürzester Zeit diejenigen Trends der globalen Entwicklung umzukehren, die die angebrochene Klimakatastrophe vorantreiben.12 Sie bestätigen und verschärfen damit die Positionen der Zehntausende „scientists for future“ des deutschsprachigen Raums, die bereits im Frühjahr 2019 ähnlich argumentierten13.
David Wallace-Wells fasst diese Lage in seinem aktuellen Aufsatz „Ausblick auf das Höllen-jahrhundert. Warum wir im Kampf gegen die Klimakrise keine Sekunde mehr verlieren dürfen“14 zusammen, ein Text, der mit den Worten beginnt: „Es ist schlimmer, viel schlimmer, als Sie denken. Das langsame Voranschreiten des Klimawandels ist ein Märchen, das vielleicht ebenso viel Schaden anrichtet wie die Behauptung, es gäbe ihn gar nicht.“
Um es klar zu sagen: wer es anders sieht, wer ernsthaft behauptet, das alles wisse man doch nicht so genau, der trägt die Beweislast, anhand eigener Daten oder einer grundstürzend neuen Interpretation der vorliegenden empirischen Fakten vorzutragen, weshalb es keinen durch menschliches Handeln, vor allem den steilen Anstieg des Ausstoß der Treibhausgase CO2, CH4 und anderen seit Beginn der Dominanz der kapitalistischen Produktionsweise ca. 1850 verursachten Klimawandel geben soll.
Das ist nicht so, weil das irgendjemand dekretiert oder in den politischen Kram irgendeiner Agenda passt. Sondern das folgt aus der unumstößlichen Tatsache, daß Zehntausende professionelle Naturwissenschaftler*innen praktisch aller Staaten der Erde mit ihren einander widerstrebenden politischen Interessen, quer über alle denkbaren Fronten wissenschaftlicher oder politischer Debatten hinweg in diesem Punkt seit Jahrzehnten wieder und wieder zu diesem Ergebnis kommen. Der zuletzt gemessene Grad des Konsenses der globalen klimatologischen Forschung dazu beträgt über 99% 15. Das besagt die von J.L. Powell erstellte Metastudie auf der Basis von über 54.000 zwischen 1991 und 2015 weltweit zur Frage des Klimawandels veröffentlichten wissenschaftlichen Aufsätzen, die vor ihrer Publikation nach der Methode der „peer reviews“ von FachkollegInnen gegengelesen und als veröffentlichungsreif eingestuft worden waren16. Rahmstorf und Schellnhuber schildern in ihrem Buch „Der Klimawandel“ vernünftig nachvollziehbare Gründe dafür, weshalb es äußerst unwahrscheinlich ist, daß dieser Konsens, wie er zB. in den bislang vorliegenden Berichten des UN – International Panel on Climate Change (IPCC) seit 1990 immer wieder dokumentiert ist, einfach auf Irrtum, interessegeleiteter Manipulation, politischer Einflussnahme, einseitiger Betrachtungsweise oder ähnlichen Fehlern basiert17.
Im Gegenteil. Wer heute mit vernünftigen und nachvollziehbaren Gründen auf der Basis überprüfbarer Fakten nachweisen könnte, daß der aktuelle, größer als 99%ige Konsens auf Irrtum oder gar Manipulation beruht, wäre sofort reif für den Nobelpreis und sich der jubelnden Unterstützung sämtlicher internationalen Monopole der kohlenstoffbasierten Energie-, KFZ- usw. -Industrie gewiß, könnte sich vor Drittmitteln kaum retten. Es gäbe also ein sehr starkes Motiv für Forschungsteams, genau an diesem Ziel zu arbeiten. Aber solche Erkenntnisse, die auf allgemein akzeptierten Standards wissenschaftlicher Forschung beruhen, gibt es seit Jahrzehnten schlicht und einfach nicht – genauer: es gibt sie in einem Ausmaß, der weitaus weniger als ein Prozent der wissenschaftlichen Veröffentlichungen ausmacht.
Um das Problem noch komplexer zu machen: ähnliche Alarmrufe wie die Klimatologen erheben seit längerer Zeit die Biodiversitätsforscher*innen, aber auch andere NaturwissenschaftlerInnen, die sich mit den sogenannten Planetaren Grenzen der Ökologie beschäftigen18. Die Konsequenzen zB. der Überdüngung mit stickstoffhaltigen Substanzen in der globalen Landwirtschaft, werden heute so diskutiert, daß es hier zu einem nach derzeitigem Wissensstand nicht auflösbaren Zielkonflikt kommen wird: entweder massenhaften Hunger durch Beendigung der Stickstoffdüngung wie bisher oder durch nachhaltige Ruinierung der Böden und Gewässer durch eine Fortsetzung der landwirtschaftsbedingten Stickstoffbelastung. Von beiden Varianten werden Milliarden Menschen betroffen sein. Zugleich sind durch den Prozess der Stickstoffdüngung in die Atmosphäre gelangende Substanzen stark klimaaktiv, verstärken also den Treibhausgaseffekt19.
Wer sich also mit der Frage beschäftigt: in welcher Welt leben wir hier und heute, steht objektiv vor einem nicht vom eigenen Wollen oder Meinen einfach so beeinflussbaren Szenario der kapitalistischen Klimakatastrophe, ist schon vor Beginn seiner Überlegungen deren Bestandteil. Das erst einmal anzuerkennen ist der Anfang jeder weiteren ernstzunehmenden Beschäftigung mit der uns umgebenden Natur und der mit ihr in Wechselwirkung stehenden menschlichen Gesellschaft. Wer heute gar eine politische Strategie zur Überwindung dieser höchst bedrohlichen Szenarien und ihrer weltweiten Ursachen formulieren will, muss sich zuallererst diesen Tatsachen stellen – es sei denn sie oder er hätte den nobelpreisverdächtigen Beweis, daß der globale Konsens der Naturwissenschaften zu dieser Frage auf Irrtum oder Manipulation beruht.
Was den Zeithorizont angeht, der bleibt, um das bevorstehenden Erreichen und Überschreiten jener Kipp-Punkte der Entwicklung zu vermeiden, jenseits deren menschliches Tun oder Lassen welcher Absicht auch immer etwas an den unwiderruflichen, katastrophalen und die bisherige menschliche Zivilisation, wie wir sie kennen in Frage stellenden Welt etwas ändern kann, sind sich die damit Beschäftigten auch weitgehend einig: es handelt sich um allenfalls wenige Jahrzehnte.
Daß bestimmte komplexe Problemstellungen immer auch zeitkritisch sind, ist keine originelle Erkenntnis. Die gegenwärtige Lage aber zwingt uns, anzuerkennen, daß das heute in einem qualitativ neuen, auch für die revolutionäre Bewegung neuen und zugleich weltweiten Ausmaß der Fall ist. Dafür das einfachste Beispiel: das Erreichen des 1,5- oder des 2 Grad-Ziels hängt berechenbar davon ab, wieviel CO2 aufgrund der Nutzung fossiler, kohlenstoffhaltiger Primärenergieträger noch in die Atmosphäre gelangen. Die Grenze für die Erreichbarkeit des 1,5 Grad-Erwärmung liegt bei 480 Gigatonnen CO2. Jenseits dessen beginnt ein Bereich, in dem Kipp-Punkte der atmosphärischen Entwicklung überschritten werden, die nicht mehr rückgängig gemacht werden können und das globale Klima ein für alle Mal im Sinne der bei Wallace-Wells und anderen Forschern beschrieben Entwicklung prägen werden (vgl. unten). Derzeit produziert die Menschheit insgesamt 41 Gigatonnen Kohlendioxid pro Jahr. Es bleiben beim gegenwärtigen Stand der Dinge also etwa 10 Jahre, in denen der Ausstieg aus der gegenwärtigen kohlenstoffbasierten Technologie der globalen, ganz wesentlich kapitalistisch bestimmten Energieerzeugung, Industrie und Mobilität erreicht sein muß 20. Je länger es dauert, vom gegenwärtigen Level drastisch herunterzukommen, desto steiler muß die Ausstiegskurve sein21, und desto schwerer ist sie politisch vermittel- und durchsetzbar.
Genau hier entstehen objektiv die konkreten Rahmenbedingungen für die Entwicklung einer kommunistischen, einer revolutionären Strategie für heute und morgen, die einerseits die nach wie vor objektiv richtigen Instrumentarien des Marxismus-Leninismus in Analyse und Aktion enthalten, andererseits auf eine Umgebung reagieren muß, die sich seit den 1920er, 1950er oder 1970er Jahren massiv verändert hat – zusätzlich zu den Einbrüchen, die mit dem Sieg der Konterrevolution 1989 erfolgten.
Diese Aufgabe ist radikal neu und riesig. Sie dreht sich um die Frage: wie müssen wir eine marxistisch-leninistische Strategie für die sozialistische Revolution formulieren, die dem heutigen Rahmen der gegebenen Ökonomie der Zeit gerecht wird?
Aus diesem Grund muss man sich, wenn man strategische Konzepte für die Überwindung des Kapitalismus/Imperialismus diskutiert, wenigstens mit den wahrscheinlichen Zeitverläufen des Klimawandels in der mittleren Zukunft aktiv auseinandersetzen. D. Wallace-Wells referiert die Szenarien, die es derzeit dazu gibt, vor dem Hintergrund der Erkenntnis: tendenziell haben sich in den vergangenen Jahrzehnten alle Annahmen im Nachhinein als zu optimistisch erwiesen. Seiner Ansicht nach ist das im Pariser Klimaschutz-Abkommen von Paris für verbindlich erklärte Ziel einer maximalen Erwärmung der Erdatmosphäre um 2 Grad C gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter bis 2100 nach heutigem Kenntnisstand kaum zu erreichen – realistisch ist von ca. 4 Grad auszugehen:
„… das ist der Pfad, den wir heute so unbekümmert beschreiten – hin zu einer Erwärmung um mehr als vier Grad bis 2100… Laut einigen Schätzungen würde das bedeuten, dass große Gebiete in Afrika, Australien und den Vereinigten Staaten, die Teile von Südamerika, die nördlich von Patagonien liegen, und ganz Asien südlich von Sibirien durch Hitze, Verwüstung und Überschwemmungen unbewohnbar wären… Ganz sicher wären sie und viele weitere Regionen unwirtlich. So sieht unser Fahrplan für die Zukunft aus, zumindest sind das die Eckpunkte…“ 22
Aber gehen wir davon aus, daß es so schlimm nicht werden wird, unterstellen wir, das 2 Grad – Ziel werde bis 2100 erreicht. Wie hat man sich das dann vorzustellen? „Bei zwei Grad begännen die Eisschilde zu verschwinden, … 400 Millionen Menschen würden an Wassermangel leiden, die Großstädte rund um den Äquator würden unbewohnbar und selbst in den nördlichen Breitengraden würden Hitzewellen jeden Sommer Tausende Menschen das Leben kosten… Es gäbe 32 Mal so viele extreme Hitzeperioden in Indien wie heute, von denen jede einzelne fünfmal so lange andauern würde und die insgesamt 93 Mal so viele Menschen beträfen… Das ist das Best-Case-Szenario.“23
Allerdings ist das eher unwahrscheinlich, denn:
„Besonders beunruhigend sind jüngste Untersuchungen der weit in der Vergangenheit liegenden Erdgeschichte, die nahelegen, dass unsere aktuellen Klimamodelle das Ausmaß der Erwärmung, das bis 2100 erreicht sein wird, um etwa die Hälfte unterschätzt haben.“24
Deshalb ist es einfach nur realistisch, sich die Perspektiven auf eine Welt in 80 Jahren vorführen zu lassen, die das 2 Grad – Ziel nicht erreicht:
„Bei drei Grad würde Südeuropa dauerhaft verdorren, während die durchschnittliche Trockenzeit in Mittelamerika 19 Monate und in der Karibik 21 Monate länger andauern würde. In Nordafrika wären es 60 Monate mehr – fünf Jahre. Im Mittelmeerraum würde doppelt so viel Fläche Waldbränden zum Opfer fallen, in den USA sechsmal so viel oder noch mehr.
Bei einer Erwärmung um vier Grad gäbe es allein in Lateinamerika jährlich acht Millionen mehr Denguefieber-Fälle und fast jährlich eine globale Nahrungsmittelkrise… Die Anzahl der hitzebedingten Todesfälle könnte um 9 Prozent steigen… Die Schäden durch über die Ufer tretende Flüsse würden sich in Bangladesch verdreißigfachen, in Indien verzwanzigfachen und in Großbritannien sogar versechzigfachen. An manchen Orten wäre es möglich, dass sechs klimabedingte Naturkatastrophen gleichzeitig auftreten, und die Schäden könnten weltweit über 600 Billionen Dollar betragen – das übersteigt das gesamte Vermögen, das es heute auf der ganzen Welt gibt. Die Anzahl der Kriege und Konflikte könnte sich verdoppeln.
Selbst wenn wir es doch noch schaffen sollten, die Erwärmung bis 2100 auf unter zwei Grad zu begrenzen, enthält die Atmosphäre dann 500 ppm Kohlendioxid – vielleicht mehr. Das letzte Mal, als das der Fall war, vor 16 Millionen Jahren, war die Erde nicht zwei, sondern zwischen fünf und acht Grad wärmer, was zu einem Anstieg des Meeresspiegels um knapp 40 Meter führte … Einige dieser Prozesse laufen über Jahrtausende ab, aber sie sind unumkehrbar und daher dauerhaft. Niemand sollte sich daher der Hoffnung hingeben, den Klimawandel wäre einfach rückgängig zu machen. Das geht nicht. Er wird uns davonlaufen.“ 25
Damit nicht nur arithmetisch, sondern auch vom Gefühl her klar ist, wovon wir hier reden: über den Zeitraum in achtzig Jahren. Vor kurzem haben wir gemeinsam den 100. Jahrestag der Novemberrevolution gefeiert.
Ich erspare den Lesenden die Aussichten auf die Szenarien bei Temperaturanstiegen zwischen 4 bis 8 Grad C bis 2100. Wallace-Wells referiert sie kurz. Er selbst geht von einer Entwicklung aus, die bei vier bis sechs Grad Temperaturanstieg liegt. Das allerdings wäre das ökologische Ende der uns bekannten Zivilisation.
Sicher wäre es nicht das Ende allen menschlichen Lebens. Aber das sähe dann vermutlich völlig anders aus, als wir es uns heute, wenige Jahrzehnte davor, auch nur annähernd vorstellen können. Hinzu kommt, daß die Entwicklung ja nicht im Jahre 2100 endet, sondern sich aufgrund von Rückkopplungsschleifen eher beschleunigen wird, was dazu Forschende vom 22. jetzt schon als vom „Höllenjahrhundert“ sprechen lässt.26 Am pronociertesten fasst das derzeit der australische Klimatologe Will Steffen zusammen, nach dessen Analyse die kommenden Jahre darüber entscheiden, ob die Menschheit das Erdzeitalter des Holozäns verlässt und die Erde zu einem „hot-house“ wird27. Steffen schlägt deshalb seit mehreren Jahren bereits für die das Holozän ablösende Epoche der Erdgeschichte den Begriff des „Anthropozäns“ vor28 und rechnet in einem relativ kurzen Zeitraum mit dem Zeitpunkt der Entscheidung, ob es gelingt, die Erde in einem uns bekannten bewohnbaren Zustand zu halten oder nicht.
Der Verfasser des vorliegenden Textes kann aus eigenem Erleben berichten: wer auch immer diese oder ähnliche in der zuständigen Fachwissenschaft konsensuellen Aussagen als interessierter Laie referiert, läuft nicht nur unter reaktionären und wissenschaftsfeindlichen Gestalten wie der AfD, sondern auch unter Linken und Kommunistinnen und Kommunisten durchaus Gefahr, als Apokalyptiker, Hysteriker, Alarmist, Weltuntergangsprophet bezeichnet zu werden.
Darum hier erneut die Einladung an alle, die das so sehen, darzulegen, was an den wissenschaftsbasierten Perspektiven auf die nächsten Jahrzehnte falsch sein soll, wie und aufgrund wovon sie selber den globalen klimatologischen Konsens einordnen und welche Zukunftsperspektiven sie generell und insbesondere für die politische Arbeit daraus ableiten.
Angesichts dessen darf es sich niemand auch nur einen Tag länger so leicht machen, gegen diese gesicherten Erkenntnisse locker zu erklären:
„Keiner weiß, ob das alles stimmt.“
„Ich bin kein Naturwissenschaftler, das kann ich alles nicht beurteilen. Mich interessieren eher die politischen Fragen…“
„Ja klar, vielleicht gibt es einen Klimawandel, aber ob der wirklich mit menschlichem Handeln zu tun hat, das ist doch wissenschaftlich sehr umstritten.“
„Sowas hat es doch in der Erdgeschichte immer wieder gegeben.“
„Das hat doch eher was mit der Sonnenstrahlung zu tun.“
„Diese ganze Geschichte mit dem Klimawandel ist doch nur eine Erfindung der Chinesen (so Trump) oder der „grünen“ Fraktionen des Monopolkapitals (so manche Linken).
Oder auch als bereits recht defensive Auffangposition:
„naja, vielleicht ist das ja so, aber gerade wenn es so ist, dann können wir daran ja sowieso nichts ändern“;
was nichts anderes ist als die fatalistische Variante der etwas optimistischeren Auffassung:
„selbst wenn das alles so kommt, dann werden wir uns eben etwas einfallen lassen, uns an die neuen Gegebenheiten anpassen…“
Jede/r hat solche und ähnliche Reaktionen schon selber gehört oder auch selber gedacht. Wohlgemerkt: es ist meines Erachtens weder „verboten“ noch irgendwie moralisch „schlecht“, solche aus meiner Sicht wissenschaftlich und politisch zweifellos unhaltbaren Positionen zu vertreten – und ich rede hier, damit das auch klar ist, nicht von den in aller Regel komplett falschen politischen Schlußfolgerungen der referierten naturwissenschaftlichen Forschung, sondern von deren fachlichen Ergebnissen, die nicht in einen Topf mit daraus bisweilen abgeleiteten politischen Vorstellungen zu werfen sind29.
Aber es kann da keine unterschiedlichen Standards geben: wer auch immer so redet, denkt, fühlt, dementsprechend handelt, schon gar als Kommunist/in, hat die Verpflichtung sich selbst und allen Gesprächspartner*innen oder Genossinnen und Genossen gegenüber, nachvollziehbare und rationale Gründe für eine solche Haltung darzulegen – eine Haltung, die im eklatanten Widerspruch zu buchstäblich zehntausenden mit der hier diskutierten Problematik beruflich befassten Naturwissenschaftler*innen steht, die in einer solchen Attitüde einfach ignoriert werden, als ginge es dabei bloß um unverbindliche „Meinungen“.
Es geht nicht um Meinungen. Es geht um harte Fakten und das, was daraus folgt. Mit Naturgesetzen können wir nicht „verhandeln“, ebensowenig wie mit den gesetzmäßigen Prozessen in der Gesellschaft. Wir können versuchen sie zu erkennen, zu verstehen, sie für unsere Zwecke wirken lassen, sie anwenden – aber ändern, aus der Welt schaffen können wir sie nicht. Wenn wir sie oder ihre Ergebnisse ignorieren werden wir ihnen nur umso härter unterworfen sein.Bei allen Unterschieden: gemeinsam ist den oben schlagwortartig anklingenden wissenschaftsfernen Positionen eine Verweigerung, die heute als solche erkennbaren Realität anzuerkennen, und, daraus resultierend: die Weigerung, die daraus folgenden Überlegungen in aktives, revolutionäres Handeln einzubeziehen. Dazu gehört auch die Argumentation der GenossInnen Kissel / Bina / Mayer, sie wollten sich, da sie keine Naturwissenschaftler*innen seien, nicht zu den naturwissenschaftlichen Fragen des Klimawandels äußern, wobei sie gleichwohl aus ihrer Skepsis an der Realität der kapitalistischen Klimakrise keinen Hehl machen 30.
Eine solche Argumentation ist meines Erachtens grundsätzlich falsch. Hätten Marx, Engels und Lenin sich auf diese Form des Arbeitens zurückgezogen – „Das Kapital“, die „Dialektik der Natur“, „Der Ursprung der Familie“, „Die Entwicklung des Kapitalismus in Rußland“, „Materialismus und Empiriokritizismus“ sowie viele weitere grundlegende Texte des Marxismus wären nie geschrieben worden – denn die Klassiker waren bekanntlich von Haus aus weder Fachwissenschaftler als Nationalökonomen, Ethnologen, Historiker, Naturwissenschaftler oder ähnliches.
Darum noch deutlicher gesagt: solche „klimaskeptischen“ Positionen sind meines Erachtens mit einer materialistischen Auffassung von Natur und Gesellschaft nicht vereinbar und können nach meiner Auffassung deshalb in keiner kommunistischen Organisation geduldet werden. Sie weichen der Wirklichkeit, so, wie wir sie heute erkennen können, opportunistisch aus. Noch viel weniger sind sie ein irgendwie geeigneter Ausgangspunkt für eine den Prinzipien des wissenschaftlichen Sozialismus entsprechende politische Strategie für die sozialistische Revolution und die Perspektive der klassenlosen Gesellschaft.
Für Marx, Engels, Lenin und andere herausragende Revolutionäre der Arbeiterklasse war die Frage der zutreffenden Gegenwartsbestimmung für alle strategischen und taktischen Überlegungen grundlegend, was hier nicht umfassend ausgeführt werden kann und auch nicht muß, denn es ergibt sich von selbst aus dem Anspruch, politisches, erst recht revolutionäres Handeln nicht einfach aus dem eigenen Kopf der vorfindlichen Welt überstülpen zu wollen, sondern umgekehrt: die erkennbaren gesellschaftlichen Entwicklungstendenzen und Herrschaftsverhältnisse einschließlich ihrer natürlichen Grundlagen zum Ausgangspunkt einer wissenschaftlich verantworteten Strategie für eine Gesellschaft zu wählen, die den Sprung aus der Vorgeschichte zur Geschichte der Menschheit vollziehen kann.
Die Aufgabenstellung der Gegenwart für Kommunistinnen und Kommunisten lautet daher: in Furchtlosigkeit und Klarheit vor dem Szenario der bereits beginnenden kapitalistischen Klimakatastrophe für hier und heute eine revolutionäre Strategie zu formulieren, die diese Menschheitsbedrohung als Ausdruck des menschenverachtenden Kapitalismus / Imperialismus erkennt, in Propaganda und Agitation benennt, Arbeiterklasse und Volksmassen darüber aufklärt, alle Illusionen über einen „grünen“ Kapitalismus ebenso unerbittlich bekämpft wie alle Erscheinungsformen der Wirklichkeitsverleugnung durch reaktionäre oder auch „linke“ sogenannte Klimaskeptiker, und den revolutionären Kampf für den Sozialismus heute schon so führt, daß grundlegende Fragen zur Bekämpfung der Klimakatastrophe nicht reformistisch, sondern revolutionär, das heißt vom Sozialismus aus gedacht und angegangen werden.
Das strategische Ziel dabei muß so gestellt werden, daß die sozialistische Gesellschaft wenigstens die gröbsten Katastrophen aufzufangen in der Lage ist und schon vorher plausibel gemacht werden kann, daß nur sie dazu fähig sein wird, daß hingegen die anstehenden ökologischen Probleme, die die Grundlagen nicht nur, aber auch des menschlichen Lebens bedrohen, im Rahmen des Kapitalismus nicht gelöst werden können31. Hierzu bedarf es einer Debatte zur künftigen politischen Ökonomie des Sozialismus, die sich den Fragen stellt, die sich hieraus ergeben.32
3. Imperialismus und Irrationalismus
So bedrohlich auch die bereits begonnene Klimakatastrophe aussieht, sie ist nicht das einzige bedrohlich Szenario, vor dem wir stehen, wenn wir heute als Kommunistinnen und Kommunisten arbeiten wollen. Daß allein schon die ökologische Krise vielgestaltig ist wurde oben kurz am Zusammenhang von Biodiversität, Stickstoffkreislauf und unterschiedlichen Treibhausgasemissionen angerissen. Der Zusammenhang dieser und vieler weiterer sich überlagernden und gegenseitig beeinflussenden Probleme muss genauer untersucht werden, was hier nicht Gegenstand sein kann. In notwendigerweise groben Umrissen wurde dies im oben zitierten Beitrag von Spanidis u.a. geleistet33.
David Wallace-Wells weist in seinem Text darauf hin, daß sich in der zu erwartenden Klimakatastrophe Hunderte Millionen Menschen auf den Weg machen werden, um unerträglichen Lebensbedingungen zu entfliehen. Wenn in den heute tropischen Zonen rund um den Erdball aufgrund hoher Temperaturen und Dürre keine Landwirtschaft mehr möglich sein wird und sogar Südeuropa von chronischer Dürre heimgesucht sein sollte – wohin sollen die Menschen, die jetzt dort leben fliehen? Um sich die öffentlich diskutierte Dimension des Problems vor Augen zu führen: die Weltbank rechnet bis 2050 mit weltweit 140 Millionen Klimaflüchtlingen34, Greenpeace nimmt bereits 2014 200 Millionen Fliehende bis 2050 als realistisch an35 und der World Migration Report 2018 geht von ca. 400 Millionen Klimaflüchtlingen bis 2100 aus36. Es wäre naiv, zu vermuten, solche riesigen Migrationsbewegungen würden ohne jede Form von Gewalt und massiven gesellschaftlichen Umbrüchen in den Herkunfts-, Transit- wie in den Zielländern der Flucht verlaufen. Auch deshalb rechnet Wallace-Wells mit einer globalen Verdopplung der Zahl bewaffneter Konflikte bis zum Ende des Jahrhunderts.37
Rasch schwindende Lebensmöglichkeiten für Hunderte von Millionen Menschen, alte und neue staatliche Unterdrückungsmechanismen zu ihrer Kontrolle und Unterdrückung, daraus resultierende Aufstände und Kriege, Hunger, Wasserknappheit und weitere katastrophale Entwicklungen dieser Art haben in der heutigen Welt einen gemeinsamen Ursprung, ohne den sie immer nur oberflächlich und auf kurze Sicht, aber nicht grundsätzlich bekämpft werden können: den Imperialismus. Unter diesem Begriff ist nicht, wie in der bürgerlichen Geschichtswissenschaft oder dem umgangssprachlichen Gebrauch eine irgendwie expansive oder militärisch geprägte Außenpolitik beliebiger Staaten zu verstehen. Imperialismus ist die höchste und letzte Phase des Kapitalismus und ohne dessen Überwindung nicht aus der Welt zu schaffen38. Die heutige Welt kann und muß nach Ansicht des Verfassers als imperialistische Pyramide beschrieben werden: ein Komplex einander überlagernder Verhältnisse von Abhängigkeiten und Dominanzen imperialistischer Staaten.39
Die im Rahmen der begonnenen kapitalistischen Klimakatastrope sich zuspitzenden globale Trends: Nationalismus und revival des religiösen Fundamentalismus, Faschisierungstendenzen, Entgrenzung des Kriegs, nukleare Bedrohung – sie alle führen natürlich auch zu Umwälzungen im Bewußtsein der diesen Prozessen unterworfenen Menschen. Dasselbe gilt umgekehrt: die heutige Lage entspringt auf der Ebene des Überbaus ihrerseits bereits einem Denken, daß sich im Kern immer weiter von der Fähigkeit entfernt hat, die Interessen der Gattung insgesamt angemessen zu reflektieren. Für Kommunist*innen dürfte das nicht überraschend sein. Ein heute die Gattung in den Mittelpunkt stellendes rationales ökonomisches und politisches Denken wird nach ihrem / unserem Wissen notwendig nur revolutionär sein können. Da aber genau das den Herrschenden nicht erwünscht sein kann, wird genau diese letzte Konsequenz aufklärerischen Denkens allüberall bekämpft, abgemildert, eingebunden, entschärft, auf Nebengleise abgelenkt, durch „Unterhaltung“ oder zeitweilige Zugeständnisse teilbefriedigt, isoliert und gebrochen. Die Folge davon ist die fast vollständige Herrschaft irrationalen Denkens, wenn es um die gesellschaftliche Gegenwart und Zukunft der Menschheit überhaupt geht – eine Folge, die die Lösung der drohenden Katastrophe immens erschweren muß.
Thomas Metscher hat für diesen Komplex in mehreren aufeinander folgenden Texten, zuletzt 2010, den Begriff des „konstitutionellen Irrationalismus“ als Bezeichnung für die „ideologische Grundverfassung einer imperialistischen Gesellschaft“ vorgeschlagen.40 Im Anschluß an Georg Lukács41 entsteht nach diesem Modell die ideologische Grundverfassung der imperialistischen Gesellschaft aus dem Widerspruch zwischen weit vorangetriebener Rationalität in ihren Teilsektoren bei gleichzeitiger Anarchie der Gesellschaft als Ganzer.
Rosa Luxemburg folgend sieht Metscher diese Bewußtseinsstruktur natürlich schon in der kapitalistischen Gesellschaft angelegt, zur vollen, alles durchdringenden Dominanz aber bringt sie es erst auf deren höchster Stufe. Sie ist unfähig zur Formulierung globaler Ziele für das Überleben der Gattung, bringt eine „pathische Gesellschaft“ zum Ausdruck, die jederzeit zur Re-Barbarisierung bereits erkämpfter Standards des Lebens in der Lage ist. Irrationalismus, so verstanden, ist „die adäquate Vernunftform der imperialistischen Gesellschaft im Sinn expliziter … wie impliziter Ideologien, also im Sinn ihres allgemeinen gesellschaftlichen Bewußtseins“.42 Auch wenn derzeit, wie Metscher konstatiert, eine durchgreifende Analyse des Irrationalismus der hiesigen Gesellschaft in seinen konkreten Formen und deren Interaktionen noch aussteht, können doch typische Elemente und ihre Grundbedingungen benannt werden. „Irrationalismus … heißt eine Weltauffassung und ein praktisches Verhalten, das die Erkennbarkeit und rationale Gestaltbarkeit … objektiv gegebener … Wirklichkeit grundsätzlich leugnet…“43, woraus nicht zuletzt folgt, daß das Denken in der Realität, dem Wesen der gesellschaftlichen Zusammenhänge vor allem deshalb ständig zerstört wird, weil eben dies der Zerrissenheit der Gesellschaft in ihren „letalen Widersprüchen“ sowie ihrer Verfaßtheit als Einheit höchst-rationaler Partialstrukturen bei völliger Irrationalität ihrer Gesamtziele entspricht. Rationales Verhalten in der imperialistischen Gesellschaft ist darum nur möglich von einer Position aus, die sich selbst begrifflich und praktisch als Opposition begreift: „Als Regel dürfte gelten, dass die Position eines bewußten Widerstands zum Imperialismus als Gesamtsystem – in gewissem Sinne eine logisch-politische Außenposition – die epistemische Bedingung dafür ist, dieses System als Ensemble gesellschaftlicher Verhältnisse zu durchschauen und damit als ‚strukturierte Totalität‘ (Leo Kofler) erkennen zu können. Nur eine im Prinzip oppositionelle Theorie kann den Gesamtprozess noch als rationalen erfassen, die Irrationalität des Ganzen rational diagnostizieren und damit auf den Begriff bringen.Von einer ‚Innenposition‘ her, d.h. von der Position prinzipieller Akzeptanz der gegebenen Produktions-und Herrschaftsverhältnisse (wobei diese Akzeptanz kein bewußter Akt zu sein braucht) ist eine solche Erkenntnis nicht möglich. … Die Einsicht in den notwendigen Zusammenhang von imperialistischer Gesellschaft und Irrationalismus bedeutet nicht, dass das Irrationale in dieser Gesellschaft unaufhebbares Schicksal ist. Es kann, als Teil der Mechanismen der Gesellschaft, die dieses hervorbrachte, erkannt und durchschaut werden. Bedingung dafür freilich ist (als Bedingung einer Möglichkeit, nicht als Garantie) eine bestimmt kognitive Haltung: die bewusste Opposition gegen den Imperialismus als Gesamtsystem. Eine solche Haltung ist heute zur Bedingung jeder Rationalität geworden …“44.
Wenn die oben zusammengefaßten Ergebnisse einer ungeschminkten Beschreibung des Zustands der natürlichen Lebensgrundlagen der Welt und die dieser Lage entsprechende ideologische Situation zutrifft, ist klar, daß wir auch auf der ideologischen Ebene einer Katastrophe entgegengehen könnten: nichts weniger als der kompletten, schwerlich wieder rückgängig zu machenden, globalen Niederlage der Aufklärung – nicht nur ihres im Wortsinn radikalen und praktischen Flügels, des Kommunismus, sondern insgesamt. Es droht in der Realität, wie Adrian Leverkühn, Protagonist in Thomas Manns Roman „Doktor Faustus“ angesichts der Barbarei des Faschismus ausspricht, die „Zurücknahme der Neunten Sinfonie“45– Metapher einer Welt, die wenigstens die Möglichkeit der Freiheit, Gleichheit, Geschwisterlichkeit, der Fähigkeit zur Arbeit und zur Liebe birgt.
Dieser Katastrophe ernsthaft und praktisch und mit der Absicht des Erfolgs entgegentreten zu wollen verlangt jene „Außenposition“, von der oben schon die Rede war. Das aber ist nicht eine wie auch immer geartete „geistige“ Haltung. Es kann sich dabei nur um eine reflektierte, kritische und selbstkritische praktisch-politische Haltung handeln, deren Außen das Wissen um eine Welt jenseits des Imperialismus ist, genauer: nicht nur ein Wissen, sondern der Kampf dafür. Ohne diesen Kampf wird dieses Wissen weder zustande kommen noch Erfolg haben können, der Kampf ohne sein bewußtes Ziel aber ziellos bleiben: „Von der lebendigen Anschauung zum abstrakten Denken und von diesem zur Praxis – das ist der dialektische Weg der Erkenntnis der Wahrheit, der Erkenntnis der objektiven Realität.“46 Dieses Ziel jenseits der Panzerung des Imperialismus immer wieder möglichst genau zu benennen, von ihm aus her zu denken, zu organisieren und zu handeln ist der praktisch-politische, der ideologische, aber auch der ethische und, umfassend gedacht, auch der ästhetische Kompass. Schon am Sammelpunkt aller Kräfte, die bereit sind, für das Durchbrechen dieser inneren und äußeren Mauer zu kämpfen, muß rational bestimmt und allen Beteiligten möglichst klar sein, wo das Ziel liegt. Anders dürfte der Durchbruch nicht zu schaffen sein. Die dann eintretende Alternative ist die globale Barbarei.
Der bedingende Gesamtzusammenhang von drohender Klimakatastrophe und herrschendem Irrationalismus ist die von tiefen Widersprüchen durchfurchte imperialistische Gesellschaft, genauer, die imperialistische Pyramide der sich in unlösbaren gesellschaftlichen und politischen Widersprüchen gegenseitig beherrschenden imperialistischen Staaten der Welt.
Der Kampf gegen den Imperialismus in der Welt von heute aber ist nicht möglich, ohne den Kapitalismus als Gesellschaftsformation, als Ganzes, zu bekämpfen.
Der Kampf gegen den Kapitalismus aber erfordert das Zielwissen seines Jenseits, das Wohin der Umwälzung, die aus den innersten Gründen der Klassenverhältnisse des Kapitalismus nichts anderes sein kann als der Kampf der revolutionären Klasse dieser Gesellschaftsformation, der Arbeiterklasse und ihrer Verbündeten, um die sozialistische Revolution. Um nichts weniger kann es heute gehen – alles, was unterhalb des Niveaus dieser Forderung bleibt, liefert die Menschheit dem Untergang aus.
4. Ökonomie der Zeit und Strategie
Im ersten Abschnitt habe ich dargelegt, weshalb meines Erachtens eine Leugnung der kapitalistischen Klimakatastrophe mit marxistischen Positionen unvereinbar ist, weil sie antimaterialistisch argumentiert. Sie geht nicht von den hinreichend wahrscheinlich meßbaren Realitäten der Welt und ihrer im übergroßen Konsens der Fachwissenschaften plausiblen Interpretation aus.
Bedenkt man die Konsequenzen eines solchen Herangehens für jede strategische Diskussion, ergibt sich ein weiteres Problem. Alle natürlichen und gesellschaftlichen Prozesse verlaufen in der Zeit, das heißt, in dialektischen Gesetzmäßigkeiten sich entwickelnde Bewegungen.
Die Formulierung einer Strategie setzt nicht nur die genaue Erkenntnis der gegenwärtigen Lage einschließlich ihrer vorangegangenen Entwicklungen voraus, aufgrund deren die Gegenwart ist, was sie ist. Sie benötigt ebenfalls eine hinreichend genaue Kenntnis des wahrscheinlichen weiteren Verlaufs der gesellschaftlichen Entwicklungen, auf die die zu formulierende Strategie Einfluss nehmen will.
Die Realität der drohenden kapitalistischen Klimakatastrophe ist auf plausibel messbare menschliche Aktivitäten seit ca. 1850 zurückzuführen. Es kann hinreichend wahrscheinlich gemacht werden, daß Klimakatastrophe und weltweite Dominanz der kapitalistischen Produktionsweise nicht voneinander zu trennen sind. Ohne Beendigung des Kapitalismus wird es kein Ende der Klimakatastrophe geben.47
Die Zeit bis dahin ist nicht einfach eine leere Fläche – eine Erkenntnis, die auf jede Zukunftsvorstellung in der Geschichte zutrifft, aber im Rahmen der Klimakatstrophe in noch nicht dagewesener Weise Rahmen und Bedingungen der Zukunft formbestimmen, für die eine heutige kommunistische Strategie zu formulieren ist. Das trifft auf viele Elemente des historischen Zeitraums zu, über den wir unter dem speziellen Blickwinkel einer revolutionären Strategie diskutieren: seine anzunehmende Dauer, die sich daraus ergebenden Zeiten, die für das Erreichen unseres Ziels plausibel sind, sowie deren Grenze – und die Überlegungen, was sich hinter dieser Grenze ereignen könnte, falls wir unser Ziel nicht im zur Verfügung stehenden Zeitrahmen erreichen können. Die Geschichte der Gattung wird dann nach heutigem Kenntnisstand nicht vorbei sein – aber sie wird sehr wahrscheinlich unter solch veränderten Bedingungen verlaufen, daß wir das, was wir heute unter den Grundannahmen des historischen Materialismus annehmen und tun können, sehr wahrscheinlich in Teilen neu formulieren müssen – einschließlich einer Theorie der sozialen Revolution, der sozialistisch-kommunistischen Gesellschaft und so weiter. Das zu behaupten folgt logisch daraus, daß die Gesellschaften im Rahmen einer 4-Grad-Welt – wie oben beschrieben – mit großer Wahrscheinlichkeit nicht so aussehen werden, als ob sie einfach eine Verlängerung des heute bekannten Kapitalismus-Imperialismus sein könnten, aber auch kein Sozialismus auf dem Weg zum Kommunismus. Was aber dann?
Um die Beantwortung dieser Frage kann es hier nicht gehen – ich möchte für den Zusammenhang der Diskussionstribüne Kapitalismus & Klima der KO jetzt nur die These aufstellen, daß die nicht bestreitbare Realität der bereits begonnenen Klimakatastrophe des Imperialismus die Zeit begrenzen könnte, für die wir strategisch denken und in der wir kämpfen.
Das anzuerkennen ist meines Erachtens Grundlage der Arbeit an jeder ernstzunehmenden Strategie. Die Vorstellung, wir könnten auf unbestimmbare Zeit logisch und folgerichtig einen Schritt nach dem andern planen und tun, als würden wir uns in einer Zeit bewegen, deren gesellschaftliche Zukunft noch nicht erkennbar so begrenzt war, wie unsere, ist falsch. Sie denkt und handelt nicht in Formen der erkennbaren Bewegung – der Bewegungsformen, die uns durch die absehbaren Entwicklungen der materiellen Natur wie erst recht durch die damit wechselwirkenden gesellschaftlichen Prozesse in den vor uns liegenden Jahrzehnten konkret zur Verfügung steht.
Ein solches Denken wäre deshalb nicht nur unmaterialistisch, sondern auch undialektisch. Es stellte sich eine kommunistische Strategie in Form gleichsam der Zeit enthobener, unveränderbarer logischer Klötzchen vor, anstatt als ein die heute und – soweit jetzt erkennbar morgen – vorfindliche Realität lebendig widerspiegelndes Netz einander dialektisch bedingender und durchdringender Begriffe. Das wäre eine Karikatur auf den Marxismus.
Ich bin deshalb der Ansicht, daß die Programmatischen Thesen der Kommunistischen Organisation sorgfältig und kollektiv daraufhin überprüft werden müssen, in wieweit sie dem Imperativ der erkennbar vor uns liegenden Gegenwart und Zukunft angemessen sind. Das wiederum setzt, so wie der Stand der Diskussion sich jetzt abzeichnet voraus, daß sich die KO in der Frage der Existenz des kapitalistischen Klimawandels rasch und kollektiv eine klare Meinung bildet, von der aus sie eine solche Prüfung angeht.48
Als jemand, der an der Formulierung der Programmatischen Thesen der KO selbst beteiligt war, kritisiere ich mich deshalb zugleich auch selbst. Mitte 2018 waren die meisten der heute breit diskutierten Fakten zum Klimawandel bereits hinreichend bekannt. Auch ich habe nicht darauf bestanden, sie in die Diskussion der Programmatischen Thesen aktiv einzubringen. Aus heutiger Sicht scheint es geradezu unerklärlich, weshalb dieses wesentliche Phänomen der Gegenwart und Zukunft nicht auch Teil des seinerzeitigen Wie-Weiter?– und des jetzigen Kommunistischen Klärungsprozesses war und ist.
Ich sage das auf der Basis einer vollen Zustimmung zu diesen vergangenen und gegenwärtigen Diskussionsprozessen und ihren Grundlagen, so, wie sie in den Programmatischen Thesen Niederschlag gefunden haben. Aber ich halte es gleichwohl mit den Prinzipien einer revolutionären, sich auf den Marxismus und Leninismus stützenden Organisation nicht für vereinbar, in der gegenwärtigen globalen Entwicklung ungerührt einfach so weiter zu machen, als sei nichts geschehen – und diese Haltung vielleicht auch noch mit Prinzipienfestigkeit zu verwechseln.
Wir können uns die sich daraus ergebenden notwendigen Diskussionen nicht ersparen, ohne die von uns selbst angegebenen Ziele notwendig weit verfehlen zu müssen. Mit dem Klärungsprozess und seiner äußeren Form, dem BolscheWiki, sowie den Programmatischen Thesen gibt es eine ausgezeichnete Grundlage genau für diese nicht weiter hinausschiebbare Diskussion. Sie muß mit dem Ziel geführt werden, materialistisch und dialektisch denkend und handelnd die bereits gegebenen und beschlossenen strategischen Grundentscheidungen so zu formulieren, daß sie Bestand haben in der durch die begonnene Klimakatastrophe gezeichneten Welt, in der wir leben, in dem sie sich im Stand erweisen, sie grundlegend zu verändern – das ist nun einmal der Praxistest jeder Strategie. Das Ziel ist die klassenlose, von den Übeln des Imperialismus befreite Welt. Unentbehrliches Werkzeug zum Erkämpfen dieser Welt ist eine Partei, von der man sagen kann:
„… sie vertritt die Methoden der Klassiker
Welche geschöpft sind aus der Kenntnis der Wirklichkeit
Und bestimmt sind, sie zu verändern
Indem die Lehre die Massen ergreift“
1 https://lieder-aus-der-ddr.de/okonomie-der-zeit/
2 https://kommunistische-organisation.de/diskussionstribuene-klima/kapitalismus-oekologische-zerstoerung-und-kommunistische-strategie/
3 https://kommunistische-organisation.de/diskussionstribuene-klima/wir-werden-nicht-in-panik-geraten/
4 https://kommunistische-organisation.de/diskussionstribuene-klima/die-natur-ist-unser-unorganischer-leib-von-dem-wir-leben-sie-ist-grossartig-aber-die-geschichte-scheint-mir-doch-grossartiger-als-die-natur/
5 https://kommunistische-organisation.de/diskussionstribuene-klima/klima-und-klassenkampf-zur-diskussion-der-klimadebatte-in-der-kommunistischen-organisation-ko/
6 Michael Kubi, Irrationalismus und Klimaskepsis, Offen-siv. Zeitschrift für Sozialismus und Frieden, 4/2019, S. 33 – 37
7 https://kommunistische-organisation.de/diskussionstribuene-klima/stellungnahme-zum-klimawandel/
8 https://kommunistische-organisation.de/diskussionstribuene-klima/ist-es-moeglich-innerhalb-des-kapitalismus-die-natuerlichen-lebensgrundlagen-der-menschheit-zu-erhalten/
9 https://kommunistische-organisation.de/vollversammlung-2019/diskussionstribuene/bis-zu-einem-gewissen-grade-mit-den-massen-zu-verschmelzen-lenin/
10 Scott A. Kulp / Benjamin H. Strauss, New elevation data triple estimates of global vulnerability to sea-level rise and coastal flooding, in: naturecommunications, 29.10.2019 (https://www.nature.com/articles/s41467-019-12808-z)
11 https://www.theguardian.com/world/2019/aug/26/indonesia-new-capital-city-borneo-forests-jakarta
12 https://academic.oup.com/bioscience/advance-article/doi/10.1093/biosci/biz088/5610806; vgl. https://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/klimaschutz-unzureichend-forscher-warnen-vor-weltweitem-klimanotstand-a-1294979.html
13 https://www.scientists4future.org/
14 Blätter für deutsche und internationale Politik, 11/2019, S. 47 – 57. Der Aufsatz fasst die wesentlichen Aussagen seines 2019 erschienen Buches „Die unbewohnbare Erde“ zusammen, vgl. dazu https://www.ndr.de/kultur/buch/Die-unbewohnbare-Erde-von-David-Wallace-Wells,wallace132.html
15 https://www.bundestag.de/presse/hib/655774-655774 und http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/126/1912631.pdf vgl. auch: https://www.klimafakten.de/behauptungen/behauptung-es-gibt-noch-keinen-wissenschaftlichen-konsens-zum-klimawandel
16 James Lawrence Powell, The Consensus on Anthropogenic Global Warming matters, in: Bulletin of Science, Technology & Society, 2016, Vol. 36(3) S. 157–163
17 St. Rahmstorf / H.J. Schellnhuber , Der Klimawandel. Diagnose. Prognose. Therapie, 8. Auflage 2018, S. 79 – 87.
18 https://de.wikipedia.org/wiki/Planetare_Grenzen
19 „Der Stickstoffkreislauf wird durch zahlreiche anthropogene Prozesse beeinflusst. So wird atmosphärischer Stickstoff bei der Ammoniakherstellung gebunden, aber auch der Anbau von stickstoffbindenden Pflanzen (Leguminosen) trägt zu einer Stickstofffixierung bei. Durch die Verbrennung fossiler Brennstoffe und von Biomasse gelangt Stickstoff in die Atmosphäre. Die Auswirkungen von Stickstoff sind vielfältiger Natur und von der eingegangenen Verbindung abhängig. So trägt es etwa als Lachgas (N2O) als eines der stärksten klimawirksamen Gase direkt zum Treibhauseffekt bei. Als Nitrat (NO3–) sammelt es sich in Gewässern und Böden. Nitrat kann von bestimmten Bakterien zu Nitrit umgewandelt werden, das für zahlreiche Organismen giftig ist“, https://de.wikipedia.org/wiki/Planetare_Grenzen#Stickstoffkreislauf. Vgl. aktuell zur ernährungsökologischen Seite dieser brisanten Frage die Sendung des hr-Funkkollegs Ernährung, 2. Sendung „Böden, Labore, Substrate“ (https://funkkolleg-ernaehrung.de/themen/02-boeden-labore-substrate/) und 4. Sendung: „Fressen und gefressen werden – Proteine im Nahrungskreislauf“ (https://funkkolleg-ernaehrung.de/themen/04-fressen-und-gefressen-werden/)
20 https://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/co2-budget-so-viel-treibhausgas-darf-die-menschheit-noch-ausstossen-a-1277801.html. Diese Annahme geht der Einfachheit halber nur vom Klimagas Kohlendioxid aus. Methan und Lachgas, beide weitaus klimaaktiver als CO2, bleiben in dieser Betrachtungsweise ausgeklammert. Der angegebene Zeitraum von 10 Jahren ist also der am weitesten gehende, optimistischste Zeitrahmen. Veranschaulichung dieser Fakten für das 1,5- und das 2 Grad-Ziel in Form einer CO2-Uhr hier: https://www.mcc-berlin.net/forschung/co2-budget.html
21 https://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/bild-1200101-1196008.html
22 D. Wallace-Wells, a.a.O., S. 49
23 ebenda, S. 54
24 ebenda, S. 53
25 ebenda, S. 54
26 Brady Dennis und Chris Mooney, Scientists Nearly Double Sea Level Rise Projections for 2100, Because of Antarctica, in: The Washington Post, 30.3.2016. Wie oben aus Anm. 10 folgt, ist die Annahme der beiden Autoren aus dem Jahr 2016 heute bereits weit überholt: der Meeresspiegelanstieg wird aktuell mit einer dreimal höheren Verwundbarkeit der Küstenregionen in Verbindung gebracht, nicht einer doppelten.
27 https://glacierhub.org/2018/08/21/earth-in-danger-of-tipping-into-hothouse-state-scientists-warn/
28 https://www.youtube.com/watch?v=RitK73xnB0M&t=1772s
29 Wallace-Wells zB. hat als einzige Hilfe angesichts der von ihm selbst konstatierten drohenden Katastrophe den Gang zur Wahlurne anzubieten: „einzelne Lebensstilentscheidungen bringen insgesamt gesehen kaum etwas, wenn sie nicht in die Politik eingehen. Oder anders ausgedrückt: Bioprodukte zu essen ist gut, aber wer das Klima retten will, sollte lieber wählen gehen.“ (Wallace-Wells, a.a.O.) Das ist natürlich erbärmlich. Man macht es sich allerdings unverantwortlich leicht, wenn man solche naiven Sätze dazu nutzt, den gesamten Text von Wallace-Wells in den Papierkorb zu werfen und zum politischen business as usual zurückzukehren.
30 https://kommunistische-organisation.de/diskussionstribuene-klima/wir-werden-nicht-in-panik-geraten/
31 Th. Spanidis, Ist es möglich, innerhalb des Kapitalismus die natürlichen Lebensgrundlagen der Menschheit zu erhalten? (https://kommunistische-organisation.de/diskussionstribuene-klima/ist-es-moeglich-innerhalb-des-kapitalismus-die-natuerlichen-lebensgrundlagen-der-menschheit-zu-erhalten/)
32 Bietet das marxistisch-leninistische Fernstudium (http://ml-fernstudium.de/) möglicherweise die Option, solche Fragen intensiv zu diskutieren und zB. vielleicht am aus der dortigen Arbeit bereits hervorgegangenen Entwurf grundlegender Eckpunkte einer sozialistischen Ökonomie in Deutschland an dieser Fragestellung weiter zu arbeiten? Eine grundlegende Frage könnte zB. die nach einer künftigen sozialistischen Energie- und Mobilitätspolitik sein. In diesem Zusammenhang könnten die aus meiner Sicht fatal falschen Vorstellungen von Jan Müller (https://kommunistische-organisation.de/diskussionstribuene-klima/stellungnahme-zum-klimawandel/) zur Frage der Kernenergie einer sorgfältigen Prüfung unterzogen werden. Ebenso könnte dort vielleicht untersucht werden, welchen Schaden heute und morgen die aktuelle Konzentration von Regierungen und Konzernen auf batteriegestütze Elektromobilität als absehbar nächster Sackgasse anrichtet, wie allein schon ein Blick auf die aktuelle Entwicklung in Bolivien zeigt, vom ökologischen Schaden und anderen Problemen dieses Entwicklungspfads abgesehen.
33 Spanidis / Schulze / Camillo / Stoodt: Kapitalismus, ökologische Zerstörung und kommunistische Strategie (https://kommunistische-organisation.de/diskussionstribuene-klima/kapitalismus-oekologische-zerstoerung-und-kommunistische-strategie/)
34 https://www.tagesspiegel.de/politik/weckruf-der-weltbank-140-millionen-klimafluechtlinge-bis-2050/21091728.html
35 https://www.greenpeace.de/presse/presseerklaerungen/200-millionen-klimafluchtlinge-bis-2040
36 https://www.iom.int/sites/default/files/country/docs/china/r5_world_migration_report_2018_en.pdf
37 a.a.O., S. 54
38 https://kommunistische-organisation.de/programmatische-thesen/#4_Der_Imperialismus
39 https://www.unsere-zeit.de/de/4836/29/3475/Krach-in-der-imperialistischen-Pyramide.htm; vgl. https://kommunistische-organisation.de/wp-content/uploads/2017/12/Stoodt-Thesen-zum-Imperialismus.pdf
40 Thomas Metscher, Logos und Wirklichkeit. Ein Beitrag zu einer Theorie des gesellschaftlichen Bewußtseins, Frankfurt am Main 2010, S. 369 – 388
41 besonders: G. Lukács, Die Zerstörung der Vernunft. Der Weg des Irrationalismus von Schelling zu Hitler, Berlin/DDR – Weimar 1984
42 Metscher, a.a.O., 373
43 Metscher, a.a.O., S. 374
44 Metscher, a.a.O., S. 375f. Der Frankfurter „Arbeitskreis 8. Mai“ hat sich am 7. Oktober 2017 mit dem Irrationalismus-Begriff Metschers beschäftigt. Dem lag eine Präsentation der Positionen Lukács und Metschers zugrunde: https://wurfbude.wordpress.com/2019/06/01/irrationalismus-und-imperialistische-gesellschaft/
45
In einem Dialog mit dem fiktiven Biographen Leverkühns erklärt
dieser: „Ich habe gefunden“, sagte er, „es soll nicht
sein.“ „Was, Adrian, soll nicht sein?“ „Das Gute und Edle“,
antwortete er mir, „was man das Menschliche nennt, obwohl es gut
ist und edel. Um was die Menschen gekämpft, wofür sie Zwingburgen
gestürmt, und was die Erfüllten jubelnd verkündigt haben, es soll
nicht sein. Es wird zurückgenommen.“ „Ich verstehe dich,
Lieber, nicht ganz. Was willst du zurücknehmen?“ „Die Neunte
Symphonie“, erwiderte er. Und dann kam nichts mehr, wie ich auch
wartete.“, Thomas Mann, Doktor Faustus.
Das Leben des deutschen Tonsetzers Adrian Leverkühn,
erzählt von einem Freunde,
Frankfurt a. M. 1960, S. 512.
Dazu: Thomas Metscher, Der
Roman als Medium geschichtlicher Erfahrung in der Epoche der
Barbarei. Thomas Manns Doktor Faustus und Peter Weiss’ Ästhetik
des Widerstands, in: Marxistische Blätter 2004, Heft 2, 48-63.
46 W.I. Lenin, Konspekt zur „Wissenschaft der Logik“. Die Lehre vom Begriff, in: Philosophische Hefte, LW 38, 160.
47
„Die These von Kissel et al., wonach es möglich sein könnte,
im Kapitalismus der ökologischen Probleme einschließlich des
Klimawandels Herr zu werden, ist einer der problematischsten
Irrtümer in ihrem Artikel. Letzten Endes wird der Kapitalismus
damit ausgerechnet auf einem Gebiet in Schutz genommen, wo er am
offensichtlichsten dabei versagt, die gesellschaftliche Entwicklung
mit den menschlichen Bedürfnissen in Einklang zu bringen. Es ist
eben nicht möglich, dass der Kapitalismus seine destruktive Seite
überwinden kann. Das zu glauben ist ein naiver Technikoptimismus,
der die Entwicklung der Produktivkräfte unabhängig von den
Produktions- und Eigentumsverhältnissen betrachtet, die ja gerade
immer eine Nutzung der Technik im Sinne des Menschen untergraben und
verhindern. Hier werden wesentliche Erkenntnisse des Marxismus über
das Mensch-Natur-Verhältnis in seiner historischen Entwicklung
ignoriert.“
Th. Spanidis,
https://kommunistische-organisation.de/diskussionstribuene-klima/ist-es-moeglich-innerhalb-des-kapitalismus-die-natuerlichen-lebensgrundlagen-der-menschheit-zu-erhalten/.
Dieser mehr als berechtigten Kritik des Genossen Spanidis am Text
der GenossInnen Kissel / Bina / Mayer ist aus meiner Sicht nichts
hinzuzufügen.
48
Ich möchte bei dieser Gelegenheit noch ein einen Seitenaspekt
ansprechen. Einer der herausragenden Dissenzpunkte zu DKP und SDAJ
im Entstehungszeitraum der KO Mitte 2018 war die Frage einer
Existenz von „Übergangsstadien“ oder -epochen zwischen
Imperialismus und Sozialismus, die in der Theorie und
bündnispolitischen Praxis beider bisheriger Organisationen als
Antimonopolistische Demokratie / Strategie einen festen Platz haben,
der nicht zur Debatte gestellt wird. Diese Theorie wird noch
problematischer, als sie an sich schon ist, betrachtet man sie unter
dem hier ins Zentrum der Diskussion gerückten Blickwinkel einer
revolutionären Ökonomie der Zeit unter den Bedingungen der
drohenden Klimakatastrophe.
Mit aller Klarheit ist ebenso die
katastrophale Rolle des Gorbatschow‘schen „Neuen Denkens“ und
seiner die Klassengegensätze beiseiteschiebenden Konzentration auf
die vorgeblich wichtigeren Gattungsprobleme der Menschheit zu
verurteilen, die die kommunistische Bewegung weltweit nicht nur um
Jahrzehnte zurückgeworfen, sondern vor allem genau damit wohl
entscheidende Zeit verspielt hat, die jetzt zur tatsächlich einzig
verbliebenen, klassenbezogenen Lösung des bedrängendsten
Gattungsproblems fehlt: der Klimakatastrophe.