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Rezension: Klaus Müller – Inflation

Rezension von Paul Oswald

Anfang März erschien im PapyRossa Verlag ein neues Buch von Klaus Müller zum Thema Inflation. Müller habilitierte in der DDR im Fach Politischen Ökonomie und war als Professor an der Technischen Hochschule Karl-Marx-Stadt tätig. Seit 2000 arbeitet er an der staatlichen Studienakademie Glauchau. Klaus Müller publizierte neben mehreren Büchern zahlreiche Artikel in Zeitschriften (u.a. IPW-Berichte, Z. Zeitschrift Marxistische Erneuerung, Marxistische Blätter) und Tageszeitungen wie der junge Welt.

In seinem neu erschienenen Buch gibt Müller auf 132 Seiten u. a. einen Überblick über die historischen Ursprünge der Inflation, die verschiedenen Formen, die es von ihr gibt, sowie ihre soziale Wirkung. Auch wird auf Fragen wie die der Antiinflationspolitik eingegangen. Am Ende seines Buches kommt Müller auf politökonomische Probleme zu sprechen, die es in der wissenschaftlich-kommunistischen Inflationsdiskussion gibt, und auf Fragen, zu denen weitere Arbeit geleistet werden muss.

Durch die Lektüre des Buches erfährt der Leser etwas über die politökonomische Bedeutung der Inflation. Politisch dahingehend, dass Inflation historisch schon immer ein Mittel des Staates war, um seine Kriegspolitik zu finanzieren. Ökonomisch bedeutet Inflation im Imperialismus wesentlich die Sicherung der Monopolprofite, natürlich durch das Ausquetschen der Arbeiterklasse.

Ein tiefergehendes Verständnis von der Inflation ist nicht nur wichtig, weil wir gerade in unserem Alltag damit zu kämpfen haben. Es muss darum gehen, ihren politischen Mechanismus besser zu verstehen. Losungen dürfen nicht allein bei sozialen Forderungen stehen bleiben, sondern müssen konkret auf den politischen Kurs unseres Hauptfeindes bezogen werden.

Wen die ökonomischen Mechanismen hinter der Inflation interessieren, der findet in hier verlinkten junge Welt Artikel von Klaus Müller,[1] welchen er Anfang 2022 veröffentlichte, eine gute Einführung.

Inflation – was ist das eigentlich?

Müller beschreibt im dritten Kapitel seines Buches verschiedene Arten der Inflation, aber vor allem auch ökonomische Fehlannahmen hierüber. Die wohl berühmteste Fehlannahme ist die sogenannte Lohn-Preis-Spirale (s. u.). Ein wichtiger Zusammenhang, den der Autor aufzeigt, ist der zwischen dem Fall der Profitrate bei gleichzeitig hoher Monopolisierung. Dies bewirkt eine Inflation. Die Monopole versuchen durch steigende Preise hohe Profite zu sichern – und somit dem Fallen der Profitrate entgegenzuwirken.

Müller führt aus, dass Monopole es vorziehen, einen Teil ihrer Produktionskapazitäten nicht voll auszulasten, im Gegensatz zu nichtmonopolistischen Unternehmen, welche ihre überschüssigen Produkte preisgünstig verkauften. Die Monopole untergraben dauerhaft den Angebot-Nachfrage-Preismechanismus, indem sie ihr Angebot begrenzen, um die Preise hochzuhalten. Durch das nicht auslasten der Kapazitäten und das Entsorgen von überschüssigen Produkten entstehen Kosten. Diese werden jenen Produkten hinzugefügt, die ohne die nicht ausgelasteten Kapazitäten produziert wurden (S. 51). Auch dies erhöht die Preise.

Vermutlich kennt jeder die Erzählungen von der sogenannten Lohn-Preis-Spirale, welche bürgerliche Ökonomen gerne heranziehen, um die Inflation zu erklären. Nach dieser Auffassung drücken sich Löhne und Preise quasi wie ein Naturgesetz gegenseitig in die Höhe: Höhere Löhne bewirken eine höhere Nachfrage nach Waren und das dadurch knappere Angebot führt zu höheren Preisen. Die These einer vermeintlichen Lohn-Preis-Spirale dient dazu, das bisherige Lohnniveau der Arbeiterklasse als ein nichtveränderbares Phänomen zu erklären. Müller zeigt auf Grundlage des Wertgesetzes auf, dass die Annahme über den Zusammenhang von steigenden Löhnen und steigenden Preisen lediglich dann zutreffen würde, wenn der Wert der Arbeitskraft, das Wertprodukt (die Wertschöpfung: v + m) sowie der Produktenwert (c + v + m) gleichzeitig ansteigen würden. Es wird gezeigt, dass es sich um eine Fehlannahme handelt, nach welcher die Mehrwertrate lediglich steigen würde, wenn der Wert der Arbeitskraft – und damit verbunden die notwendige Arbeitszeit – sänke. Tatsächlich sind aber ein steigender Mehrwert und eine steigende Mehrwertrate bei gleichzeitig wachsendem Wert der Arbeitskraft möglich. Dies funktioniere durch die Ausbeutung von qualifizierter/komplizierter Arbeit, welche einen höheren Wertzuwachs bringe, als sie selbst verkörpert. Auch durch die Intensivierung der Arbeit – also die Verdichtung der Arbeit je Zeiteinheit – ist dies möglich. Beispielsweise schöpft ein Arbeiter der acht Stunden komplizierte und intensive Arbeit leistet, etwa so viel Wert wie ein Arbeiter der elf oder zwölf Stunden einfache Arbeit verrichtet (S.45 f.).

Inflationsgewinner und -verlierer

Der Staat ist einer der Hauptprofiteure einer steigenden Inflation. Durch die steigende Preise nimmt der Staat über die Mehrwertsteuer, die sich prozentual auf die Preishöhe bezieht, mehr Geld ein. Durch die steigende Inflation schätzt z.B. das Handelsblatt, dass der Staat in den kommenden Jahren mit deutlich höheren Steuereinnahmen rechnen kann: Bis 2026 würden Bund, Länder und Gemeinden über 126 Milliarden Euro mehr einnehmen, als bisher angenommen (S. 71).

Die Arbeiterklasse gehört natürlich zu den Inflationsverlierern. Klaus Müller erläutert die Unterscheidung zwischen einer gefühlten und einer gemessenen Inflation. Diese ist wichtig, weil anhand der statistischen Inflation die tatsächlichen Mehrkosten, die die Arbeiterklasse zu tragen hat, verschleiert werden. Die Differenz zwischen beiden Größen liegt an dem Unterschied zwischen dem individuellen und dem durchschnittlichen Warenkorb. Statistisch wird die Inflation mit dem durchschnittlichen Warenkorb berechnet. Die Produkte des individuellen Konsums (Lebensmittel, aber auch Dinge wie Fernseher, Autos usw.) sind in den individuellen Warenkörben anders zusammengesetzt als in dem durchschnittlichen. So geben beispielsweise ärmere Menschen einen höheren Anteil für Lebensmittel, die Miete oder das Heizen aus, als die Reichen. Dieser Anteil ist in der Realität deutlich höher als im statistischen Durchschnittswarenkorb vorgesehen. In der Statistik wird der durchschnittliche Wert der Preisentwicklung berechnet. Dem Käufer hingegen werden die Einzelpreise bewusst. Im Juli 2022 betrug die Preissteigerung gegenüber dem Vorjahresmonat 7,5 Prozent und im November 2022 stieg sie auf 10 Prozent an. Gleichzeitig steigen die Preise von einzelnen Waren viel stärker: Gas und Strom stieg beispielsweise im selben Zeitraum um 43 Prozent, die Preise von Heizöl und Kraftstoffen um 37 Prozent, die Lebensmittelpreise und die von alkoholfreien Getränken um 14 Prozent. Klaus Müller erklärt das Problem an einem Warenkorb der lediglich zwei Waren enthält. In seinem Beispiel kosten ein Kilogramm Beeren im Vorjahr 2 Euro und aktuell 4 Euro. Demnach gab es eine Preissteigerung von 100 Prozent. Für ein Moped hat man ursprünglich 1500 Euro bezahlt und heute kostet es 1575 Euro. Der Preis stieg also um 5 Prozent. Für den gesamten Warenkorb zahlte man also einst 1502 Euro und nach der Preissteigerung schließlich 1579 Euro. Daraus folgt das der durchschnittliche Preis um 5,1 Prozent angestiegen ist. Mit diesem Beispiel soll aufgezeigt werden, dass, auch wenn die Inflationsrate als Durchschnittrate eines Warenkorbs nur langsam steigt, dennoch Waren mit einbezogen sein können, deren Kosten sich verdoppelt haben (S. 63 ff.).

Die gefühlte Inflation soll den Eindruck erwecken, dass es sich dabei um eine Täuschung handeln soll und die Inflation in Wirklichkeit (statistisch) nicht so hoch ist. Klaus Müller gibt dem Leser einen Einblick, wie bei der Ermittlung der Inflationsrate geschummelt wird. Zur Berechnung werden monatlich 300.000 Einzelpreise von Handels- und Dienstleistungsunternehmen erfragt. Werden technische Güter bei der Erhebung einbezogen, steigt der Durchschnittspreis schwach, da ihre Preise langsamer ansteigen als jene von Gütern des täglichen Bedarfs. Müller nimmt an, dass Unternehmen den Statistikern hohe Preissteigerungen verschweigen, weil niemand als der Preistreiber dargestellt werden will. Hinzu kommt, dass die Statistiker die Preissteigungen bei der Berechnung ‚kreativ‘ stabilisieren, indem der Anteil von Waren und Dienstleistungen, die große Preissprünge vollziehen, kleingehalten wird und der Anteil von Waren mit niedrigen Preisen höher ist. In den USA wurde beispielsweise die Inflationsrate verkleinert, indem im durchschnittlichen Warenkorb Rindfleisch,dessen Preis um 30 Prozent angestiegen ist, durch Putenfleisch, dessen Preis nur um zwei Prozent stieg, ersetzt wurde. Das obwohl die Leute natürlich weiterhin Rindfleisch kaufen. Als Clou der Inflationsmessung führt Klaus Müller die sogenannte hedonische Preissteigerung an. Durch diese fließt ein angenommener Zuwachs an Qualität von Waren in die Preisberechnung ein. So fließt bspw. ein Computer der früher und heute 1000 Euro kostet, aber deren Leistung sich verdoppelt hat, lediglich mit 500 Euro in den durchschnittlichen Warenkorb ein (S. 67 ff.).

Der (Schein-)Kampf der Zentralbanken gegen eine steigende Inflation

Die Annahme, die Inflation durch Zinssteigerungen zu senken, gehört zum Alltagsverständnis, vermittelt durch die Medien und die Politik. Es wird also davon ausgegangen, dass hohe Zinsen durch die Reduzierung der Geldmenge und des Kreditvolumens die Preise senken. Müller führt in diesem Zusammenhang die Auseinandersetzung von Marx mit David Ricardo an, in welcher Marx begründete, dass die zirkulierende Geldmenge nicht die Ursache des Preisniveaus ist, sondern umgekehrt die zirkulierende Geldmenge bestimmt wird durch die Preissumme und die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes. Die Preise werden nicht durch die Nachfrage festgelegt – das käme einer Auktion gleich – sondern durch die Anbieter. Durch eine erhöhte Kaufkraft verbessert sich lediglich die Möglichkeit der Verkäufer höhere Preise durchzusetzen. Marx geht es bei dem Geldumlaufgesetz nicht um eine beliebige Geldmenge, sondern um jene die zirkuliert, also um das Geld, was gebraucht wird, um Waren zu kaufen. Die Preise sind die bestimmende Größe, die Geldmenge ist abhängig von der Preissumme. Steigen die Preise, wird mehr Geld benötigt. Umgekehrt wird bei niedrigeren Preisen eine geringere Geldsumme gebraucht. Es zirkuliert also immer so viel Geld, wie gebraucht wird, was heißt, dass die Preise dem Geld logisch vorausgehen (S. 100 f.).

Erhöht die EZB den Leitzins, erhöhen sich die Bankkreditzinsen. Klaus Müller führt aus, dass dies nicht dafür sorgen werde, dass Bauprojekte o.ä. gestoppt würden. Unternehmen würden mit einer hohen Wahrscheinlichkeit den Banken höhere Zinsen zahlen und diese gestiegenen Kosten, ähnlich wie gestiegene Materialpreise, ihren Auftraggebern berechnen. Daraus folgert Müller, dass höhere Zinsen höhere Preise verursachen. Hohen Zinsen folgen hohe Preise und ein Anstieg der Preise bedarf einer höheren Geldmenge. Die Zentralbanken stehen nach Müllers Ausführungen am Ende einer Wirkungskette. Zinskorrekturen vollziehen sich vorher auf den Märkten von allein und gehen den Entscheidungen der Zentralbanken voraus. Der Zinserhöhung der Zentralbanken Mitte 2022 ist ein enormer Anstieg der Zinsen auf dem Geldmarkt, Konsumentenkrediten, Hypothekenkrediten, sowie Investitionskrediten von Unternehmen und Staaten vorausgegangen. Niedrige Zinsen sind nicht die Ursache der Inflation, weshalb eine Erhöhung der Zinsen die Preissteigerungen auch nicht beenden kann (S.102 ff.).

Leerstellen des Buches

Interessant ist, dass Klaus Müller direkt zu Beginn seines Buches auf die politische Seite der Inflation zu sprechen kommt. Er führt aus, wie die Entwertung des Münzgeldes und später des Papiergeldes immer etwas mit dem riesigen Geldbedarf des Staates zu tun hatte. Von den Römern, die das Gewicht ihrer Münzen mehrfach herabsetzten und im Ergebnis eine Inflation verursachten (S.11 f.), oder dem französischen Staat, der versuchte seine immensen Staatskosten durch Papiergeld zu finanzieren und deren Menge nicht mehr von Edelmetall gedeckt war (S.15). Das wohl einprägsamste Beispiel ist die Hyperinflation in Deutschland von 1921-1923, deren Ursache die Finanzierung des des Deutschen Reichs Ersten Weltkriegs durch Kriegsanleihen war. Durch eine massive Ausweitung der Geldmenge versuchte sich die deutsche Staatsführung ihrer Schulden zu entledigen (S.21).

Leider geht Klaus Müller in diesem Buch nicht auf den Krieg in der Ukraine ein und den möglichen Zusammenhang zwischen der massiven Aufrüstung des Staates und der steigenden Inflation. Beim Lesen erfährt man zwar einiges über allgemeine Hintergründe der Inflation anhand der beschriebenen historischen Zusammenhänge, aber es fehlt eine politökonomische Analyse der aktuellen Staatspolitik. Trotz dieser Leerstelle lohnt sich die Lektüre des Buches, für eine übersichtliche Einführung in das Thema.


[1] https://www.jungewelt.de/artikel/419908.politische-%C3%B6konomie-b%C3%BCrgerliche-nebelschwaden.html?sstr=Klaus%7CM%C3%BCller%7CInflation

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