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Widersprüche in der Palästinasolidarität

Ein Überblick von Paul Oswald über Einschätzungen und Bewertungen der al Aqsa-Flut verschiedener Kommunistischer Parteien und Organisationen

Vor über drei Monaten begann der palästinensische Widerstand mit der al Aqsa-Flut eine erfolgreiche Aktion gegen die Besatzungsmacht und versetze ihr einen schweren Schlag. Um seine offensichtliche militärische Schwäche sowie die wachsenden Probleme innerhalb des zionistischen Projekts zu kaschieren, verübt die Besatzungsmacht einen nicht enden wollenden Krieg gegen das palästinensische Volk im Gazastreifen, durch welchen bereits über 20.000 Zivilisten ums Leben kamen. Die Kolonialisten verüben auch im Westjordanland Vergeltung durch Massenentführungen und -verhaftungen, aber auch durch das Töten von Zivilisten. Trotz dieser Kollektivbestrafungen kämpft der Widerstand erfolgreich weiter und der Besatzungsmacht gelingt es nicht, ihn militärisch niederzuschlagen. 

Wie die al Aqsa-Flut in einem größeren weltpolitischen Kontext von Journalisten bewertet wird, wurde an anderer Stelle1https://kommunistische-organisation.de/artikel/eine-weitere-niederlage-fuer-den-imperialismus/ grob beschrieben und sollte weiter verfolgt werden. Aber wie bewerten eigentlich kommunistische Kräfte in Deutschland, aber auch international die al Aqsa-Flut sowie die darauffolgenden Entwicklungen? Der folgende Artikel soll einen ersten Überblick liefern. Es soll gleich vorweg selbstkritisch angemerkt werden, dass der Überblick an vielen Stellen noch zu oberflächlich ist und es einer weiteren Recherche bedarf, da bspw. viele Statements auf Solidnet sehr allgemein bleiben und es aufgrund der Kürze der Zeit nicht möglich war, systematischer die Websites von vielen Parteien zu durchsuchen und auch frühere Veröffentlichungen zu Palästina mit einzubeziehen. Der Artikel bietet also nur einen groben Überblick. 

Ein genereller Eindruck ist, dass eine tiefe Analyse des palästinensischen Widerstandes und seines Befreiungskampfes innerhalb der kommunistischen Bewegung eine Seltenheit darstellt. 

Natürlich gibt es eine generelle Solidaritätsbekundung. Aber dennoch zeigt sich in unterschiedlichen Formen eine Distanzierung zum palästinensischen Kampf: durch das Festhalten an der Zwei-Staaten-Lösung, durch das Delegitimieren von Teilen des palästinensischen Widerstandes, aber auch durch Vorstellungen, nach denen der Erfolg des Widerstands vor allem von einem Bündnis mit der israelischen Arbeiterklasse abhängen würde. Die Zwei-Staaten-Lösung verkennt den siedlerkolonialen Charakter des zionistischen Projekts Israels. Dies führt insofern zu einer Distanzierung vom palästinensischen Widerstand, da ihm sein antikolonialer Charakter abgesprochen wird und eine Hoffnung in eine Nachsicht oder freiwilligen Rückzug der Kolonisatoren gelegt wird. 

Längere Einschätzungen, in denen Positionen ausführlich begründet werden stellen eher eine Seltenheit dar. Dies mag sich möglicherweise aber geändert haben – die Recherche, auf dessen Grundlage dieser Artikel geschrieben wurde, erfolgte größtenteils Anfang Dezember 2023.

Die Betrachtung der unterschiedlichen Einschätzungen und Positionen verdeutlich die Relevanz des Imperialismusverständnisses für politische Einschätzungen des palästinensischen Kampfes: 1. zeigt sie sich darin, welche Staaten als imperialistische bewertet werden und welche Rolle sie für den Widerstandskampf einnehmen; 2. wirkt sich das Verständnis darauf aus, wie nationale Kämpfe bewertet werden und 3. wie sich dies auf einer strategischen aber vor allem taktischen Ebene des Klassenkampfes auswirkt. Eine tiefgehende Beschäftigung mit dem palästinensischen Befreiungskampf, sowohl historisch als auch aktuell, kann dadurch einen wichtigen Beitrag für eine internationale Untersuchung des Imperialismus im 21. Jahrhundert darstellen.

Für den folgenden Beitrag wurden im internationalen Maßstab Texte der verschiedenen Solidnet-Parteien und Parteien der World-Antiimperialist-Platform hinzugezogen (ein Parteien- und Organisationszusammenschluss, der im Herbst 2022 in Paris gegründet wurde). Aus Deutschland wurden neben der DKP, der SDAJ und der KPD auch Parteien und Gruppen aus dem maoistisch-hoxaistischem aber auch trotzkistischem Spektrum berücksichtigt. Dies soll nicht den Eindruck erwecken, als stünden diese strömungsübergreifenden Kleinstgruppen ebenbürtig neben international kommunistischen Parteien. Da diese Gruppen aber in Deutschland in einer gewissen Weise in der Palästinaarbeit aktiv sind und man ihnen und ihren Argumenten dort begegnet, wurden sie in diesen Überblick mit aufgenommen.

Ein zwischenimperialistischer Konflikt?

KKE

Der Zusammenhang mit der Imperialismusdebatte fällt auf, sobald es in Stellungnahmen oder Artikel um den internationalen Kontext geht, in welchem die al Aqsa-Flut durchgeführt wurde. Die KKE verortet die al Aqsa-Flut in eine Konkurrenz zwischen verschiedenen imperialistischen Mächten in der Region. Auf der einen Seite spricht die KKE von den USA, der NATO und der EU. Auf der anderen Seite führt sie Russland, China und den Iran an. Daraus folgert die KKE zwei in ihren Augen falsche Positionen: einerseits sei es falsch anzunehmen, dass sich eine „antiimperialistische Achse“ durch den Iran, China und Russland in der Region herausbilde, die unterstützenzwert sei. Andererseits sei es auch falsch anzunehmen, dass der Krieg in der Ukraine und nun auch der Krieg in Palästina Ausdrucksformen eines imperialistischen Dritten Weltkrieges seien und deshalb der Befreiungskampf der Palästinenser unterstützt werden müsste. 

Die KKE führt ihre übliche Kritik an, wonach sich zwei imperialistische Blöcke gegenüberständen und der Klassenstandpunkt aufgegeben würde, wenn von einer „antiimperialistischen Achse“ gesprochen werde, da diese den Imperialismus mit einer aggressiven Politik der USA gleichsetze. Russland, China und der Iran setzten sich nach der KKE nicht für die Palästinenser ein, weil es ihnen um eine gerechte Sache gehe, sondern weil sie die Pläne der USA stören wollten. Die „Monopole“ dieser Länder könnten den Palästinensern nicht helfen. Eine andere Sache sei es für die KKE, dass die Palästinenser versuchten diese zwischenimperialistischen Widersprüche für sich auszunutzen. Die Schlussfolgerung der KKE lautet: „Die KKE steht sowohl im Fall des Konflikts in der Ukraine als auch im Fall Palästinas auf der richtigen Seite der Geschichte, weil sie an der Seite des Volkes steht und gegen die Imperialisten, die Monopole und den Kapitalismus kämpft, die den Völkern ihr Recht entziehen.“2http://solidnet.org/article/CP-of-Greece-Short-answers-to-current-ideological-political-questions-concerning-the-Israeli-attack-and-massacre-against-the-Palestinian-people-in-the-Gaza-Strip/

Die KKE führt an, dass es eine opportunistische Position wäre, anzunehmen, dass es antiimperialistische und antifaschistische kapitalistische Staaten geben könne. Dies würde verschleiern, dass auch diese Staaten aus eigenen Interessen und Bestrebungen handelten, welche zum Nachteil des palästinensischen Volkes und anderen Völkern der Region seien. Die Nachteile werden allerdings von der KKE nicht benannt. Trotz dessen ist es für die KKE legitim, dass die Palästinenser internationale Allianzen mit kapitalistischen Staaten und „Machtblöcken“ suchen, die sich für ein unabhängiges Palästina einsetzen.3http://solidnet.org/article/CP-of-Greece-On-the-military-conflict-between-Israel-and-Palestine-and-the-developments-in-the-region/

MLPD

In einer Rede in Gelsenkirchen betonte Stefan Engel (MLPD) die Rolle von sogenannten „neuen imperialistischen Ländern“ die sehr aggressiv seien. Ihnen ginge es darum, einen Platz in der Welt zu erobern. Engel führte als Beispiel Afrika an, wo die „neuen Imperialisten“ Russland, die Türkei und China versuchten, neuen Einfluss zu gewinnen und Frankreich, England und Deutschland verdrängen. Nach Engel würden diese „neuen imperialistischen Länder“ bestimmte Methoden nutzen, die auch in Palästina eine Rolle spielen. So z. B. die Hamas, die von den Muslimbrüdern aufgebaut worden sei und heute von Katar, der Türkei und dem Iran unterstützt würde, welche nach Engel alle als imperialistische Länder zu sehen seien. Ähnliches gelte für die Hisbollah, die vom Iran aufgebaut worden sei.4https://www.mlpd.de/2023/11/freiheit-fuer-palaestina Nach der MLPD ginge es Israel vordergründig um das Ziel, einen „neuen Nahen Osten“ zu schaffen. Die „neuimperialistischen Länder“ der Region (Saudi-Arabien, Katar, Vereinigten Arabische Emirate, Türkei und der Iran) hätten alle ihre Beziehung mit dem „sozialimperialistischen“ China und dem „neuimperialistischen“ Russland ausgebaut. Da der Einfluss der USA erheblich zurückgegangen sei, setzten diese auf die Abraham-Abkommen, als Versuch die „neuimperialistischen“ Länder stärker an ihre Seite zu ziehen. Gegen diesen Versuch setzte der „neuimperialistische“ Iran von ihm abhängige „Terrororganisationen“ wie die Hamas, den Islamischen Dschihad oder die Hisbollah ein. Vor diesem Hintergrund propagiert die MLPD, dass sich der Kampf „gegen alle Imperialisten“ richten müsse.5https://www.mlpd.de/2023/11/stoppt-den-imperialistischen-krieg-im-nahen-osten Der palästinensische Widerstand wird demnach für die MLPD zu einem Instrument „neuimperialistischer Länder“

Kommunistischer Aufbau

Der Kommunistische Aufbau (KA) führt verschiedenen Interessen von „großen und kleineren imperialistischen Welt- und Regionalmächten“ an, um die Situation in Westasien zu erklären. Dadurch, dass die „großen Mächte“ USA, China und Russland mit den Spannungen untereinander beschäftigt seien und ihre Kräfte neu ordnen, würde es „regionalen Mächten“ möglich werden, ihren eigenen Interessen nachzugehen.6https://perspektive-online.net/2023/11/von-rojava-bis-zum-roten-meer-frieden-nur-durch-sozialismus/ Regionale Konflikte dienten vor allem der Neuordnung der Machtverhältnisse. Der KA schreibt, dass es keinesfalls so sei, dass die USA als militärische Großmacht alle anderen Staaten herumschubsen könnten. Vielmehr seien in unterschiedlichen Regionen, verschiedene Entwicklungsrichtungen zu beobachten. Teilweise seien die USA auf dem Vormarsch, an anderen Stellen seien China und Russland auf dem Vormarsch. In Westasien wäre es vor allem der Iran, der von der al Aqsa-Flut profitiere.7https://perspektive-online.net/2023/11/analyse-welche-interessen-verfolgen-der-iran-und-die-usa-beim-krieg-in-gaza/ Auch hier wird die al Aqsa-Flut also in den Kontext einer zwischenimperialistischen Auseinandersetzung gestellt.

Antiimperialistischer Kampf der Palästinenser?

TKP

Der enge Zusammenhang der Palästinafrage und dem Imperialismusverständnis, drückt sich auch in Bemerkungen über die Charakterisierung des nationalen Befreiungskampfs der Palästinenser aus. In den Augen der TKP sei es offensichtlich, dass die Hamas lediglich Israel gegenübertrete, ohne sich gegen „den Imperialismus“ und seine „regionale Politik als Ganzes“ zu positionieren. Deswegen und aufgrund seines Klassencharakters könne dieser Kampf keinen Fortschritt bringen.8https://www.tkp.org.tr/en/agenda/tkp-central-committee-states-they-wont-be-able-to-defame-the-righteous-resistance-of-the-palestinian-people/

KPD

Die KPD meint, dass eine wirkliche nationale Befreiung erst im Sozialismus möglich sei. Dies wird angeführt, da in der Geschichte mehrfach die „bittere Erfahrung“ gemacht worden sei, dass die nationale Frage vom Sozialismus gelöst wurde.9https://offen-siv.net/wp-content/uploads/2023/11/offensiv-10-2023-November-Dezember.pdf

KO/ML

Die KO/ML [eine Abspaltung unserer Organisation] geht in einem längeren Text zwar nicht so weit wie die KPD, schreibt allerdings davon, dass es keinen Grund dafür gäbe, die nationale Befreiung als eine „Zwischenetappe“ zu verstehen: „Das bedeutet natürlich nicht, dass im Zweifelsfall eine nationale Befreiung unter bürgerlichen Vorzeichen nicht ebenfalls zu begrüßen und zu unterstützen wäre, um anschließend den Kampf gegen den neuen bürgerlichen Staat aufzunehmen. Doch das zu tun ist etwas anderes, als wenn die Kommunisten in ihrer eigenen Strategie die Notwendigkeit der nationalen Befreiung als separaten Schritt, der unbedingt vor der sozialistischen Revolution kommen müsse, einplanen.“10https://kommunistische.org/geschichte-theorie/zur-strategie-und-taktik-des-palaestinensischen-befreiungskampfes/

Über den palästinensischen Widerstand

Die unterschiedlichen Positionen im Bezug zum Antiimperialismus aber auch der nationalen Befreiung zeigen sich, wenn die Parteien oder Gruppen über die Klassenstruktur des palästinensischen Volkes sowie seinem Widerstand schreiben. Die PLO und die Hamas werden von der KKE als Teil der palästinensischen Bourgeoisie beschrieben, deren internationale Verbündete bürgerliche Interessen vertreten.11http://solidnet.org/article/CP-of-Greece-On-the-military-conflict-between-Israel-and-Palestine-and-the-developments-in-the-region/ Ähnlich wie die KKE schreibt die KPD davon, dass der Widerstand „selbstverständlich“ von verschiedenen Klassen getragen würde. Es sei also nicht nur ein Widerstand der Arbeiterklasse gegen ihre Unterdrückung durch Israel, sondern es sei auch ein Widerstand der palästinensischen Bourgeoisie gegen die „Beschneidung ihrer Entfaltungsmöglichkeiten durch die Bourgeoisie der Besatzer“. Palästina könne nach diesem Statement der KPD, erst dann frei sein, wenn der Staats- und Militärapparat Israels in der aktuellen Weise nicht mehr herrsche und die palästinensische Bourgeoisie, in Form der Hamas und der Fatah, „abgeschüttelt“ sei, da „Ausbeutung und Unterdrückung bleiben, egal, welche Sprache die Ausbeuter sprechen.“12https://offen-siv.net/wp-content/uploads/2023/11/offensiv-10-2023-November-Dezember.pdf

Für die KO/ML sei es „natürlich ein Problem“, dass die Hamas eine führende Rolle im palästinensischen Widerstand einnimmt, da es sich „um eine bürgerliche Organisation“ handele, die für „einen palästinensischen Kapitalismus steht“.13https://kommunistische.org/stellungnahmen/der-terrorist-heisst-israel/ In einem anderen Artikel führt die KO/ML diese Einschätzung etwas genauer aus. Nach der KO/ML hätten sich auch in Palästina Monopole entwickelt und damit der Monopolkapitalismus. Als Beweis für die Existenz von palästinensischen Monopolen werden von den Autoren die Anzahl von Angestellten und die Vermögenswerte der Unternehmen angeführt. Die „palästinensischen Kapitalisten“ stünden nach der KO/ML in einem widersprüchlichen Verhältnis zum Befreiungskampf. Zum einen erläutert der Artikel, dass die „palästinensischen Kapitalisten“ ein Interesse an einem palästinensischen Staat hätten, da die fehlende Souveränität die Akkumulation behindern würde. Gleichzeitig bedrohe der palästinensische Widerstand aber auch die Profite der „palästinensischen Kapitalisten“. Diese Ambivalenz drücke sich darin aus, „dass die bürgerliche Führung der Palästinenser gespalten ist in den kollaborationistischen Flügel (Fatah) und den Flügel, der den bewaffneten Widerstand organisiert (Hamas, PIJ).“14https://kommunistische.org/geschichte-theorie/zur-strategie-und-taktik-des-palaestinensischen-befreiungskampfes/

Haltung zur al Aqsa-Flut

Die unterschiedlichen Verständnisse über den Imperialismus bzw. den nationalen Befreiungskampf, aber auch der Besatzung Palästinas selbst und der sich daraus ergebenden sozioökonomischen Struktur, führen zu sehr unterschiedlichen Haltungen der Kommunistischen Parteien und Gruppen gegenüber der al Aqsa-Flut. 

Die NKPJ (Jugoslawien) verurteilt in einer Stellungnahme die Angriffe der Hamas auf Zivilisten, deren Tötung und Entführung. Diese seien „nicht nur bestialisch, sondern stellen auch einen Makel auf den gerechten Kampf des palästinensischen Volkes“ dar.15https://nkpj.org.rs/2023/10/12/sloboda-palestini-stop-teroru-izraelske-vojske/ Die KP Sri Lanka fordert beide Parteien auf, die Situation zu deeskalieren, um „den aktuellen Konflikt zu beenden“.16http://solidnet.org/article/CP-of-Sri-Lanka-Communist-party-statement-on-the-Israel-Palestine-conflict/ Die KPÖ (Österreich) meidet offiziell das Thema, da sie auf einen Einzug in den Nationalrat hofft. Sie verweist auf den Pluralismus innerhalb der Partei.17https://www.jungewelt.de/artikel/462510.wahlen-in-%C3%B6sterreich-antiimperialismus-geopfert.html Die KPÖ Steiermark18https://www.kpoe-steiermark.at/nein-zum-krieg-israel-palaestina.phtml verurteilt den „terroristischen Angriff“ der Hamas und warnt vor einer Gleichsetzung der palästinensischen Bevölkerung mit der Hamas. Die Hamas mit ihren „mörderischen Methoden“ und die die Politik Netanyahu würden sich gegenseitig befeuern. Beide stünden einem gerechten Frieden im Weg.

In Deutschland teilt die MLPD die wohl erschreckendste Position. Nach der MLPD versuche die „islamistisch verbrämte faschistische Hamas“ den Krieg für sich zu nutzen, um sich an die Spitze des palästinensischen Volkes zu stellen und jede Kritik zu unterdrücken. Die al Aqsa-Flut sieht die MLPD als ein „faschistisches Massaker von Hamas und ‘Islamischem Dschihad’.“ In Israel hingegen bekämpfe eine in großen Teilen antifaschistische und demokratische Volksbewegung die faschistischen Tendenzen der Netanjahu-Regierung.19https://www.mlpd.de/2023/11/stoppt-den-imperialistischen-krieg-im-nahen-osten Den „faschistischen“ Charakter der Hamas begründet die MLPD damit, dass die Hamas im Kern den politischen Kampf um eine nationale und soziale Befreiung ablehnen würde, den Kampf reaktionär umleite und in eine religiöse Auseinandersetzung verwandele. Dafür bezieht sich die MLPD auf die Charta der Hamas von 1988 und nimmt dabei nicht zur Kenntnis, dass die Hamas 2017 eine neue und wesentlich überarbeitete Charta veröffentlichte.20https://www.mlpd.de/2023/10/hamas-faschistische-ideologie Es stellt sich auch die Frage, wen die MLPD in Israel genau meint, wenn sie von einer antifaschistischen und demokratischen Volksbewegung sprechen.

Der Kommunistische Aufbau (KA) schreibt zwar nicht von einer „faschistischen Hamas“, schlägt aber argumentatorisch in dieselbe Kerbe wie die MLPD. Der KA schreibt von „offensichtlichen reaktionären Eigenschaften des bürgerlichen palästinensischen Nationalismus und islamischen Fundamentalismus“, der sich auch in den Widerstandsaktionen niederschlage, welche zum Tod zahlreicher Zivilisten geführt hätten. Für den KA führen Positionen, nach denen es keine Zivilisten in Israel gebe, dazu dass es keine Annäherung und letztlich ein Bündnis zwischen Völkern und ethnischen Gruppen geben könnte. Der KA spricht seine Solidarität für die palästinische Bevölkerung aus, nicht aber für die „bürgerlichen“ oder „reaktionären“ Kräfte, die sich an die Spitze des Widerstandes setzen wollten.21 https://komaufbau.org/der-kampf-gegen-die-israelische-besatzung-ist-legitim-friede-zwischen-den-voelkern-krieg-den-imperialisten-freiheit-fuer-palaestina/ Für den KA sei klar, dass die al Aqsa-Flut den Völkern in Westasien keine Freiheit bringen werde. So wäre ein eigenständiger kapitalistischer palästinensischer Staat nicht ohne den Iran und andere regionale „Schutzmächte“ denkbar, was für den KA keinen Fortschritt darstelle.22https://perspektive-online.net/2023/11/von-rojava-bis-zum-roten-meer-frieden-nur-durch-sozialismus/

Die Internationale-Jugend begründet ihre ablehnende Haltung gegenüber der al Aqsa-Flut damit, dass die grundsätzliche Unterstützung des Rechts auf Widerstand nicht bedeute, dass pauschal jede Aktion unterstützenswert sei, „die sich selbst unter dieses Banner stellt, gerade wenn die Bewegung von fundamentalistischen Kräften geführt wird.“ Denn die Verteidigung der nationalen Selbstbestimmung Palästinas bedeute „keinesfalls eine aktive Unterstützung der Hamas oder anderer rückschrittlicher oder fundamentalistischer Kräfte“. Denn diese Kräfte werden gleichgesetzt mit „religiösem Fundamentalismus“, „antisemitischen Pogromen“ und „patriarchale[r] Gewalt“.23https://internationale-jugend.de/index.php/2023/11/12/palaestina-grossdemo-in-berlin/

Mit einer ähnlichen Argumentation wie der KA begründet die KO/ML, dass eine Unterstützung Palästinas nicht die Gutheißung von jeder Aktion des Widerstandes bedeute, da „jedes unschuldige Leben, das gewaltsam beendet wird, eines zu viel [ist], egal auf welcher Seite“.24 https://kommunistische.org/stellungnahmen/der-terrorist-heisst-israel/

Auch Marx21 lehnt die al-Aqsa-Flut ab und spricht von einem grauenhaften Verbrechen. Es wird eine Parallele zum 11. September gezogen. Die al-Aqsa-Flut würde ähnlich von Israel genutzt werden, um ihren Krieg in Gaza zu rechtfertigen. Die Hamas werde danach nicht mehr in der Lage sein, einen vergleichbaren Angriff durchzuführen.25https://www.marx21.de/palaestinenser-wollen-keinen-holocaust/

International distanziert sich die CPGB-ML (Großbritannien) nicht vom Widerstand und gratuliert dem palästinensischen Volk zur al Aqsa-Flut.26https://thecommunists.org/2023/10/08/news/victory-palestinian-people-just-war-liberation-zionism-imperialism/ Ähnlich das Kollektiv des Kampfes für die revolutionäre Vereinigung der Menschheit27https://epanen.ilhs.gr/en/2023/10/18/714/(Griechenland).

In Deutschland schreibt young-struggle davon, dass die Hamas ein praktischer Teil und die Vorhut des antikolonialen Widerstandes in Gaza ist. Der Widerstand gehe aber über die Organisation hinaus, die den gemeinsamen Operationsraum der Widerstandsgruppen bilde.28https://young-struggle.org/deniz-boran-schrieb-aktuelle-tendenzen-zu-palaestina-und-die-unterdrueckten-der-welt/ Die al Aqsa-Flut wird als revolutionär charakterisiert. Sie drücke den einheitlichen Willen der Palästinenser gegenüber dem Zionismus und dem Imperialismus aus. Sie löse Panik bei den Imperialisten aus und sei für die Verbündeten Saudi-Arabien und die Türkei eine Überraschung gewesen. Die al Aqsa-Flut stelle die Interessen von Saudi-Arabien und der Türkei bloß, die sich an Seite der Imperialisten und Zionisten stellten. Dies habe wieder das „religiös betrügerische Gesicht“ des türkischen „faschistischen Regime“ offengelegt.29https://young-struggle.org/palaestina-kurdistan-intifada-serhildan-nicht-nur-eine-parole/

Ein- oder Zwei-Staaten-Lösung

Wenn es um den Kampf der Palästinenser geht, geht es natürlich unmittelbar um die Frage, was das Ziel dieses Kampfes sein muss: soll um einen einheitlichen, säkularen und demokratischen palästinensischen Staat gekämpft werden (Ein-Staaten-Lösung), oder um einen palästinensischen Staat, der neben Israel existiert (Zwei-Staaten-Lösung)? An dieser Stelle wird nicht auf die Diskussion über die Ein- oder Zwei-Staaten-Lösung in der kommunistischen Bewegung eingegangen. Noel Bamen geht in einem Diskussionsbeitrag30https://kommunistische-organisation.de/artikel/weder-verrat-noch-utopismus-sondern-nationale-befreiung-zur-debatte-um-die-ein-und-zweistaatenloesung-fuer-palaestina/, der im Herbst 2023 erschien, sehr dezidiert auf diese Debatte ein und beschreibt die historischen Ursprünge der Zwei-Staaten-Lösung. In dem Beitrag wird aufgezeigt, dass die Zwei-Staaten-Lösung eine tote Doktrin ist und ein Großteil der kommunistischen Bewegung vor der Aufgabe stehe, diese zu überwinden. Dies würde konkret bedeuten, das israelische „Existenzrecht“ deutlich zu verneinen, die Befreiung ganz Palästinas zu fordern und konsequent eine antikoloniale Position zu vertreten. An dieser Stelle soll lediglich eine kurze Übersicht gegeben werden, welche der hier betrachteten Parteien und Gruppen eine Ein- oder Zwei-Staaten-Lösung vertreten. 

Eine Mehrheit der hier berücksichtigten Parteien vertritt die Position einer Zwei-Staaten-Lösung: die KP Irak31http://solidnet.org/article/Iraqi-CP-Stop-the-Israeli-barbaric-massacres-in-Palestine/, die KPRF32https://kprf.ru/international/capitalist/112545.html (Russland), die KKE33http://solidnet.org/article/CP-of-Greece-On-the-military-conflict-between-Israel-and-Palestine-and-the-developments-in-the-region/ (Griechenland), die TKP34https://www.tkp.org.tr/en/agenda/tkp-central-committee-states-they-wont-be-able-to-defame-the-righteous-resistance-of-the-palestinian-people/ (Türkei), die KP Sri Lanka35http://solidnet.org/article/CP-of-Sri-Lanka-Communist-party-statement-on-the-Israel-Palestine-conflict/, die Tudeh-Partei36http://solidnet.org/article/Tudeh-Party-of-Iran-We-strongly-condemn-the-horrific-crimes-of-the-apartheid-regime-of-Israel-in-laying-siege-and-bombardment-of-Gaza-and-the-massacre-of-Palestinian-civilians/ (Iran), die KPÖ37https://www.kpoe.at/michael-graber-die-kpoe-und-ihr-verhaeltnis-zu-nahostkonflikt-zionismus-und-antikolonialem-befreiungskampf/ (Österreich), die PdA38https://parteiderarbeit.at/themen/stellungnahmen/gegen-besatzung-vertreibung-und-krieg-in-palaestina/ (Schweiz) die PCF39https://www.pcf.fr/une_paix_juste_et_durable (Frankreich), die CPA40https://cpa.org.au/guardian/issue-2075/israel-out-of-gaza/ (Australien), die CPC41https://www.idcpc.org.cn/ttxw_2992/202311/t20231122_162932.html (China), die CPI (M)42http://www.solidnet.org/article/Marxistindia-CPIM-CPI-joint-statement-on-Aggression-in-Gaza/ (Indien), die PCC43https://pacocol.org/por-una-salida-de-fondo-al-conflicto-entre-palestina-e-israel-cese-al-fuego-y-conferencia-internacional/ (Kolumbien), die NKPJ44https://nkpj.org.rs/2023/10/12/sloboda-palestini-stop-teroru-izraelske-vojske/ (Jugoslawien). Auf dem 23. Internationalen Treffen der Kommunistischen und Arbeiterparteien (IMCWP) in der Türkei wurde eine gemeinsame Erklärung45https://www.tkp.org.tr/en/agenda/we-stand-in-full-solidarity-with-the-palestinian-people/ verabschiedet, von insgesamt 68 Parteien und Organisationen, in der ebenfalls die „Anerkennung eines unabhängigen palästinensischen Staates“ gefordert wird. Die KKE kritisiert in einer Stellungnahme auf Solidnet sogar Positionen, die Israel das Existenzrecht absprechen und Israel lediglich als Stützpunkt der USA charakterisieren. Dies würde nach der KKE die israelische Bourgeoisie nicht anerkennen, die eigene Pläne verfolge sowie ein israelisches Volk ignorieren. Das Existenzrecht Israels in Frage zu stellen, bedeute nach der KKE die Klassenperspektive aufzugeben und lediglich durch ein „geopolitisches Prisma“ zu schauen.46http://solidnet.org/article/CP-of-Greece-Short-answers-to-current-ideological-political-questions-concerning-the-Israeli-attack-and-massacre-against-the-Palestinian-people-in-the-Gaza-Strip/ Die KKE drückt gleichermaßen ihre Solidarität mit dem palästinensischen Volk sowie dem israelischen Volk aus. Letzteres begründen sie damit, dass die Israelis genauso wie die Palästinenser unter dem israelischen Staat und der reaktionären Netanjahu-Regierung leiden würden, da die Regierung die Israelis ständig in militärische Konflikte, Massaker den Nachbarvölkern hineinzieht.47 http://solidnet.org/article/CP-of-Greece-On-the-military-conflict-between-Israel-and-Palestine-and-the-developments-in-the-region/

Im deutschsprachigen Raum ist die Zwei-Staaten-Lösung ebenfalls recht populär vertreten. Sie wird beispielsweise von der MLPD48https://www.mlpd.de/2023/11/freiheit-fuer-palaestina, der DKP49https://dkp.de/erklaerung-der-dkp-nahost-konflikt/, aber auch der SDAJ50https://www.sdaj.org/2023/11/14/solidaritaet-mit-den-menschen-in-palaestina-stellungnahme-der-internationalen-kommunistischen-jugendverbaende/ vertreten, die einen Aufruf der griechischen Jugendorganisation KNE unterzeichnete.

Die World Anti-Imperialist Platform konstatiert hingegen, dass niemand erwarten könne, dass sich die Palästinenser durch Israels Handlungen an das Abkommen von Oslo gebunden sehen und das Ziel eine säkulare Demokratie in ganz Palästina sein müsse.51https://wap21.org/?p=4473 Auch die Palestinian Communist Party fordert eine Ein-Staaten-Lösung. In ihrem Statement nehmen sie Bezug auf die PLO und schreiben, dass diese zwar derzeit nicht das Interesse der Palästinenser vertritt, die beste Lösung allerdings darin bestünde, diese umzustrukturieren, so dass sie als Dachverband aller palästinensischen Organisation fungieren könne.52http://solidnet.org/article/Palestinian-CP-Press-Statement-by-the-General-Secretary-of-the-Palestinian-Communist-Party-Comrade-Dr.-Mahmoud-Saadeh/

Die KO/ML lehnt zwar eine Zwei-Staaten-Lösung ab, nimmt aber in ihrer Argumentation eine Wendung. Die Ablehnung wird damit begründet, dass keine zionistische Regierung bereit sein würde, palästinensische Gebiete zurückzugeben. Die Zwei-Staaten-Lösung sei einerseits nur durch eine militärische Niederlage Israels erreichbar, was als unwahrscheinlich angesehen wird, da kein Staat in der Region ein Interesse an einem Krieg mit Israel habe, oder durch andere politische Kräfte in Israel, die mit dem Expansionismus brechen und den rechtsextremen „Teil“ der eigenen Gesellschaft sanktionieren. Bei der ersteren Option sei es für die KO/ML fragwürdig, ob ein solcher Krieg unterstützenswert sei, da dieser hauptsächlich von bürgerlichen Staaten geführt werden würde und potenziell hunderttausende Menschen sterben würden. Die KO/ML kommt zu dem Schluss, dass „also vermutlich kaum eine andere Möglichkeit [bleibt], als den Zionismus politisch zu schlagen und Kräfte an die Macht zu bringen, die bereit sind, alles Notwendige zu tun, um einen dauerhaften gerechten Frieden zu gewährleisten.“ Der palästinensische Widerstand sei notwendig, damit sich der Preis für die weitere Besatzung, durch die Zionisten, immer höher wird und sich dadurch ein Umdenken in der israelischen Bevölkerung vollziehe. Die KO/ML lässt offen, welche politischen Kräfte sie meinen, die eine andere Regierung stellen könnten. Ihr Artikel erweckt beim genauen Lesen den Eindruck, als sei die Ein-Staaten-Lösung vor allem von einem politischem Wandel in Israel und dem Bewusstsein der israelischen Bevölkerung abhängig.53https://kommunistische.org/geschichte-theorie/zur-strategie-und-taktik-des-palaestinensischen-befreiungskampfes/ Dies deckt sich auch mit einer anderen Stellungnahme, in der sie ihre Ablehnende Haltung gegenüber der Hamas damit begründet, dass ihr „nationalistischer und religiöser Charakter“ die Organisierung der israelischen Arbeiterklasse und eines Teils des israelischen Volkes, die notwendig sei für den Kampf gegen den Kapitalismus und Zionismus, erschweren würde.54https://kommunistische.org/stellungnahmen/der-terrorist-heisst-israel/

Auch wenn die Aufzählung unvollständig ist, zeigt sich, dass international die meisten Kommunistischen Parteien an der Hoffnung einer Zwei-Staaten-Lösung festhalten. 

Weil mit der Zwei-Staaten-Lösung das zionistische Siedlerprojekt akzeptiert und seine expansionistische Ausrichtung verkannt wird, könnte eine Untersuchung der Charakterisierung des Zionismus durch unterschiedliche Parteien aufschlussreich sein, anhand derer eine Zwei-Staaten-Lösung gerechtfertigt wird. Allerdings soll an dieser Stelle die Zwei-Staaten-Losung nicht als „Prüfstein“ oder Bewertungskriterium behandelt werden. Eine fundierte Diskussion dieser Losung und was sie in der Realität bedeutet, ist aber notwendig.

Fazit 

Weltweit gehen Millionen von Menschen auf die Straße und protestieren für eine Beendigung des Genozids in Gaza. In diesen Protesten spielen Kommunisten meist nur eine Randerscheinung und stehen nicht an der Spitze dieser Auseinandersetzungen. Fehlende Aktivität und wahrscheinlich auch mangelnde Klarheit über die Kämpfe und die politischen Aufgaben, erschweren ein orientierendes Handeln.

Wie eingangs bemerkt, erweckt die bisherige Recherche den Eindruck, als sei Palästina für viele kommunistische Parteien und Gruppen eher ein randständiges Thema. Natürlich kritisieren alle das militärische Vorgehen der israelischen Besatzungsarme in Gaza. Aber in der politischen Bewertung und auch in der Frage wie sich Kommunisten zu dem palästinensischen Befreiungskampf stellen sollen, gehen die Einschätzung weit auseinander. Als Fazit will ich an dieser Stelle eher ein paar Fragen festhalten, die mir beim Lesen der verschiedenen Stellungnahmen kam, die einen möglichen Rahmen für weitere Recherchen, aber natürlich auch Diskussionen geben können. 

Von Parteien die dem Spektrum rund um die „Europäischen Kommunistischen Aktion“ zuzurechnen sind, aber auch Parteien und Gruppen aus der maoistisch-hoxiastischen Strömungen sprechen von einem imperialistischen Agieren von Staaten in Westasien gesprochen. Ähnlich wie bereits beim Krieg in der Ukraine wird das Narattiv eines „zwischenimperialistischen“ Kampfes in das Zentrum gestellt, welches einerseits eine genauere Beschäftigung mit den Kämpfen und Kräften der Region ad absurdum führt und andererseits zu einer Distanzierung von den realen Kämpfen der Völker führt. Es wird der Eindruck erweckt, als würden bürgerliche Staaten (unabhängig ihrer Entwicklung und ihrer internationalen Stellung) automatisch imperialistisch agieren – was häufig synonym verstanden wird mit kapitalistischen Interessen. Aber welche Rolle spielen die Klassenauseinandersetzungen in diesen Ländern? Und spielt es keine Rolle, dass Israel eine objektive Bedrohung für seine Nachbarländer darstellt? Wirkt sich das nicht auch auf das Klasseninteresse der Arbeiterklasse aus? Und fällt der Kampf gegen diese Bedrohung nicht unmittelbar mit dem Kampf um die Befreiung Palästinas und gegen den Zionismus zusammen?

Eine weitere Frage stellt sich für mich in Bezug auf die Klassenstruktur Palästinas und dem Widerstand. Häufig wird von bürgerlichen Kräften, aber auch einer Kapitalistenklasse oder sogar Monopolen geschrieben. Aber ist es korrekt, einfach so von einer „palästinensischen Bourgeoisie“ zu sprechen? Natürlich mag es gewisse Eigentumsverhältnisse geben, aber können diese aufgrund der Besatzung überhaupt ihre gesellschaftliche Wirkung entfalten? Wenn die „palästinensische Bourgeoisie“ keine politische Macht besitzt, was sagt das dann über diese Klasse, aber auch den Klassenantagonismus aus? Bezogen auf die Hamas fällt auf, dass diese sehr schnell mittels unterschiedlicher Attribute („bürgerlich“„reaktionär“„faschistisch“ usw.) verurteilt wird. Teilweise wurde dies damit begründet, dass man zwar hinter dem palästinensischen Widerstand stehen würde, aber nicht jede Aktion gutheißen müsse. Drückt sich durch eine solche Haltung am Ende nicht doch eine Distanzierung von dem palästinensischen Kampf aus? Ist es nicht der Kampf des palästinensischen Volkers, der seine eigene Vertretung und auch seine eigenen politischen Mittel wählt? Und sind es nicht die objektiven politischen Umstände (hier die direkte Besatzung), gegen welche sich der Kampf richtet und wodurch er zu einem gerechten und zu unterstützenden Kampf wird? Durch das Lesen der verschiedenen Stellungnahmen habe ich den Eindruck gewonnen, als würden die Kommunisten den Palästinensern die Regeln und die Mittel ihrer Politik, im Kampf gegen Kolonialisierung und Besatzung vorschreiben bzw. nur eine gewisse Form unterstützen.

Der nicht seltene Bezug auf die israelische Arbeiterklasse hat mich irritiert. Auch hier stelle ich mir durch den historischen und politischen Kontext die Frage, ob es richtig ist in dem Sinne von einer Arbeiterklasse zu sprechen, wie man es üblicherweise tut. Sorgt nicht ihre objektive Stellung als Siedler in einem fremden Land, für ein objektives Interesse diesen Zustand der Besetzung weiterhin aufrecht zu erhalten und teilen sie damit nicht auch in gewissen Sinne ein gemeinsames Interesse mit der israelischen Bourgeoisie? Nach dem Schreiben dieses Artikels stellt sich für mich vor allem größer gefasst die Frage, wie sich ein Kolonisationsverhältnis auf die Klassenverhältnissen bzw. die Klasseninteressen und die politischen Zielen sowohl der kolonialisierten als auch der Kolonisatoren auswirkt und was dies wiederum für den politischen Kampf bedeutet? Oder anders formuliert: tritt der Klassenunterschied von Kolonisten nicht in den Hintergrund, weil die Eigenschaft als Arbeiter vor der Eigenschaft als Kolonial-Siedler irrelevant wird?

Referenzen

Aktuelles

„Der nationale Befreiungskampf ist eine Form des Klassenkampfes“. Interview mit Anwar Khoury – Teil 1 / “The national liberation struggle is a form of...

In Teil 1 des Interviews mit Anwar Khoury, Mitglied des ZK der Palästinensischen Kommunistischen Partei (PalCP), geht um die jüngere Geschichte der kommunistischen Bewegung in Palästina, um die sog. Zweistaatenlösung, um die Strategie der nationalen Befreiung und um die Alliierten im antikolonialen und antiimperialistischen Kampf in der Region. Part 1 of the interview with Anwar Khoury, member of the Central Committee of the Palestinian Communist Party (PalCP), introduces the PalCP, discusses the so-called two-state solution, the strategy of national liberation and the allies in the anti-colonial and anti-imperialist struggle in the region.

Spendet für Gaza! Ein Aufruf und eine Kritik

Wir teilen hier drei ausgewählte Spendenaufrufe für Gaza. Zugleich wollen wir konkret über die Probleme der humanitären Hilfe aufklären, wie sie sich derzeit im Gazastreifen stellen. Denn klar ist: So notwendig humanitäre Hilfe auch ist – die Menschen in Gaza und in ganz Palästina brauchen neben Brot auch Freiheit, und die kriegen sie nicht gespendet.