Zur aktuellen Haltung der Redaktion der „jungen Welt“ und der Rosa-Luxemburg-Konferenz 2018
von Katharina Köhler und Hans Christoph Stoodt
Zweifellos ist die Tageszeitung junge Welt heute das wichtigste Selbstverständigungsorgan der marxistischen Linken im Land, all derer, die an sich diesen Anspruch teilen. Das schließt naturgemäß die Auseinandersetzung darüber ein, was jeweils zur Einlösung des Anspruchs gehört, marxistisch zu denken und zu handeln.
Eine Zeitung ist dazu besonders geeignet, weil in ihren Artikeln, in Leserbriefen oder auch den „junge Welt – Leserinitiativen“ und an anderen Stellen Anreiz und Möglichkeit gegeben werden, sich aus marxistischer Sicht mit allen wesentlichen Fragen der Gesellschaft zu beschäftigen und darüber zu diskutieren, welche praktischen Konsequenzen sich aus diesen Diskussionen ergeben. Als eine solche Plattform marxistischer Debatte ist die „junge Welt“ heute konkurrenzlos. Zudem hat sie durch die Geschichte als Zeitung der ehemaligen DDR, die deren Annexion in die BRD überleben konnte, sowie durch die darauf folgende innere Auseinandersetzung mit dem proimperialistischen Flügel der ehemaligen „radikalen Linken“, aus der dann die „antideutsche“ „jungle world“ hervorging, einen zum damaligen Zeitpunkt enorm wichtigen Klärungsprozess öffentlich durchgehalten. Zudem ist es von hoher Bedeutung, daß sie die wohl einzige Tageszeitung der BRD ist, in deren Texten auch führende Mitglieder der kommunistischen Partei problemlos zu Wort kommen und ihre Positionen veröffentlichen können. Das alles ist derzeit unersetzlich.
Zu diesen Verdiensten des Alltags ist ferner die alljährliche Ausrichtung der Rosa-Luxemburg-Konferenz zu rechnen, die bundesweite und internationale Bedeutung gewonnen hat.
Diese Verdienste bewahren sich allerdings nicht von selbst. Gemeinsam mit ihnen haben Genossenschaft und Redaktion der jW zugleich auch die hohe Verantwortung, nicht nur für sich selbst, sondern für die gesamte marxistische Linke im Land, ihnen dauerhaft gerecht zu werden. Das sehen wir schon seit einiger Zeit nicht mehr als fraglos gewährleistet an, und die aktuelle Entwicklung verschärft diesen Eindruck.
Am 9.12. 2017 bezeichnete Dietmar Koschmieder in seinem Artikel „Linke in Not“ die Lage als „katastrophal“ und rechnete zu den dazu führenden Faktoren auch die Situation in der DKP: „Die Kommunistische Partei des Landes, die in einer solchen Situation dringender denn je benötigt würde, ist kaum noch handlungsfähig, weil sie gerade von Linkssektierern und Rechtsopportunisten aus den eigenen Reihen in die Mangel genommen wird.“ Damit machte er sich die Haltung des Parteivorstands der DKP zu eigen. Das mag er tun, wenn er dieser Ansicht ist.
In ähnlicher Weise zog Arnold Schölzel kürzlich im „Rotfuchs“ gegen „Linkssektierer“ zu Feld, die in der BRD und weltweit angeblich jetzt sofort eine Revolution wollen – der pure Voluntarismus! Sollten damit wir gemeint sein, wären wir sehr erstaunt. Arnold Schölzel kennt uns gar nicht, und wir wollen etwas völlig anderes.
Natürlich ist nicht jeder Leserin und jedem Leser klar, wen Koschmieder und Schölzel mit den von ihnen mit dem Ketzerhut „Linkssektierer“ abgekanzelten Genossinnen und Genossen eigentlich meinen. So bleibt zunächst einmal nebulös, gegen wen sich dieses Verdikt richtet.
In der Tat hat sich mit dem „Kommunistischen Klärungsprozess wie weiter im hundertsten Jahr der Oktoberrevolution?“ eine politisch begründete Abspaltung von kommunistischer Partei und Jugendverband vollzogen. Das sieht die Führung der DKP naturgemäß nicht gern, und Koschmieder ebensowenig.
Wir können das nachvollziehen. Nicht nachvollziehen können wir, argumentationslos als Linkssektierer beschimpft zu werden, ohne daß die Leserinnen und Leser erfahren, wie zB. Koschmieder zu dieser Einschätzung kommt, ja sogar, gegen wen sie sich eigentlich richtet. Ist „Linkssektierer“ für Koschmieder einfach ein Schimpfwort? Oder hat es eine definierte Bedeutung? Was rechtfertigt es, diesen Begriff gegen uns in Anschlag zu bringen? So gewaltig ist unser Bekanntheitsgrad derzeit ja leider noch nicht, daß im ganzen Land alle sofort wissen können, wer, was und warum eigentlich gemeint ist.
Die Haltung der „jungen Welt“ zu „wie weiter“ und zu wichtigen Fragen einer revolutionären Strategie in der BRD ist durch dieses Vorgehen Koschmieders über den Artikel vom 9.12. hinaus charakterisiert. Sie ist typisch.
Die „Linke in Not“, besonders die Kommunistinnen und Kommunisten im Land brauchen dringend eine offene Strategiediskussion, die von Parteiführung der DKP und Redaktion der jW zugleich gefordert und behindert wird. Bereits im Juni 2017 war sichtbar, daß der Parteivorstand der DKP es bei der jahrzehntelangen strategische Grundposition der DKP belassen will, über die zwar seither diskutiert wird, deren Diskussionsende aber bereits festgestellt ist: es soll bei der Strategie demokratischer Übergänge zur sozialistischen Revolution, der „antimonopolistischen Demokratie / Strategie“ bleiben. Das wurde im seit Monaten vorliegenden Leitantrag der DKP so festgezurrt. Wir haben dazu auf dieser Seite im vorliegenden Artikel kritisch Stellung genommen (http://wieweiter.net/weiter-so/), weitere Artikel befassen sich mit Voraussetzungen, Geschichte und Konsequenzen der aus unserer Sicht falschen „antimonopolistischen“ Strategie (siehe unten).
In dieser Lage wäre es mehr als sinnvoll, wenn die Redaktion der jW unsere Positionen nicht nur selber zur Kenntnis nehmen, sondern auch ihrer Leserschaft zur Diskussion darstellen würde. Dies umso mehr, als man ja auch uns vorwirft, die gesamte DKP handlungsunfähig gemacht und „in die Mangel genommen“ zuhaben. Mag das auch ein wenig polemische Übertreibung sein – wir selbst machen uns da gar keine Illusionen. Aber wenn man schon so argumentiert, dann könnte man ja seitens der jW wenigstens deutlich machen, gegen wen sich ihre Kritik richtet und warum, und man könnte ferner als Zeitung mit der oben geschilderten hohen Bedeutung und Verantwortung dafür sorgen, daß unsere Ansichten diskutiert oder wenigstens inhaltlich gut begründet zurückgewiesen werden.
Nichts davon ist bisher geschehen. Mindestens drei Leserbriefe aus dem Kreis der Genossinnen und Genossen von „wie weiter“ zum Artikel Dietmar Koschmieders wurden offenbar im Papierkorb der Redaktion versenkt, ohne daß man uns wenigstens kurz mitgeteilt hätte, dass und weshalb man sie ignoriert. Dafür aber fuchtelt man öffentlich mit dem Begriff des „Linkssektierertums“ in unsere Richtung.
Dazu stellt sich natürlich schon die Frage, was Koschmieder damit inhaltlich eigentlich genau meint. Und wo in unseren wenigen öffentlich Statements – es gibt den Klärungsprozess „wie weiter“ ja erst seit wenigen Monaten – hat Koschmieder etwas „linkssektiererisches“ gefunden?
Ist unsere dezidierte Ablehnung der antimonopolistischen Demokratie / Strategie dafür schon hinreichend? Und wenn ja – worüber sollte dann in der revolutionären Linken in ihrer auch von der DKP geforderten Strategiedebatte eigentlich überhaupt noch diskutiert werden? Eine Diskussion zu fordern und sie zugleich zu verunmöglichen – das ist nicht einfach nur ein widersprüchliches und irrationales Verhalten. Es soll offenbar den Eindruck einer Diskussion ermöglichen und zugleich sicherstellen, dass ihr Ergebnis feststeht: weiter wie bisher.
Wer sich die in der Tat katastrophale Lage der Linken in der imperialistischen BRD anschaut, darunter auch den Weg der DKP, der muß sich doch fragen: reicht das? Ist das wirklich alles, wozu wir in der Lage sind? Waren 50 Jahre DKP im Zeichen der antimonopolistischen Strategie ein hinreichendes Argument dafür, die strategische Diskussion heute so einzugrenzen, daß die zentrale Festlegung dieser langen Zeit nicht angetastet werden darf?
Sich so zu verhalten kann wohl kaum als diskussionsfreudig bezeichnet werden. Schlimmer: es ist letzten Endes wissenschaftsfeindlich, wird dem Anspruch des Marxismus-Leninismus nicht gerecht und behindert eine dringend notwendige Auseinandersetzung.
Und das hat auch praktische Konsequenzen. Die Vorstellung „breiter antimonoplistischer Bündnisse“, seit Jahrzehnten im Zentrum der kommunistischen Strategie des Landes, führt wieder und wieder in eine Situation der Unbeweglichkeit, der Verteidigung reformistischer Illusionen, die sich außerhalb und innerhalb der Partei selbst in ihrer Rückwirkung zu einer Haltung verdichten können, wie sie ein Parteivorstandsmitglied vor wenigen Monaten und seitens der Parteiführungsgenosssen unwidersprochen so auf den Punkt brachte: das höchste Gut der DKP ist ihre legale Existenz, gleichsam ihr pures Vorhandensein. Eine solche Selbstgenügsamkeit kann kaum als Hinweis auf eine revolutionäre Perspektive dienen, geschweige denn zu revolutionärer Praxis führen.
Die Frage „breiter Bündnisse“ und ihrer heutigen falschen Praxis war im vergangenen Jahr und vor Beginn der sogenannten Strategiediskussion in der DKP auch Gegenstand der Diskussion in der jW. Inzwischen wird der linke Flügel dieser Diskussion für sektiererisch und diskussionsunwürdig eingeschätzt.
Damals ging es um die falsche Haltung von VVN und DKP in der Frage der bundesweiten Kampagne „Aufstehen gegen Rassismus“. Es musste damals massiv kritisiert werden, daß die Beteiligung von SPD und GRÜNEN – wohlgemerkt: als Organisationen! – im Rahmen dieser Kampagne als so wichtig angesehen wurde, daß man für ihre Kooperation und im Rahmen einer ersehnten künftigen rot-rot-grünen Regierung den politischen Preis zu zahlen bereit war, zu Fragen der Kriegs- und Sozialabbaupolitik von GroKo und Rot-Grün zu schweigen.
Ulrich Sander (VVN) kommt das „Verdienst“ zu, diese Haltung, die wesentliche Triebfedern nicht nur des AfD-Rassismus in der Gesellschaft unthematisiert lassen wollen, in mehreren Angriffen gegen Kritiker für die wahre und reine Lehre der antimonopolistischen Demokratie / Strategie zu erklären, die schon immer Position deutscher Kommunisten seit 1945 gewesen sei und letztlich auf die Haltung des VII. Weltkongresses der Komintern von 1935 zurückgehe.
Auch in diesem Punkt widersprach niemand aus der Parteiführung. Man muß also davon ausgehen, daß diese Haltung auch aus der Sicht von Patrik Köbele, Hans-Peter Brenner, Nina Hager usw. für richtig gehalten wird – eine Ansicht, die sich eindeutig weder aus der Geschichte der Komintern-Dokumente selbst rechtfertigen, noch aus den Notwendigkeiten praktischer antifaschistischer Arbeit ableiten lässt. Dazu haben Hans Christoph Stoodt (Was ist ein breites Bündnis? http://news.dkp.suhail.uberspace.de/2017/02/was-ist-ein-breites-buendnis/) und weiterführend Thanassis Spanidis (Der VII. Weltkongress der Komintern und seine Folgen, http://wieweiter.net/der-vii-weltkongress-der-komintern-und-seine-folgen/) ihre Positionen dargelegt. Jona Textor hat seither durch eine Untersuchung zur Geschichte der Programmatik der DKP deutlich gemacht, welche Konsequenzen dies auf der strategischen Ebene hatte und hat (http://wieweiter.net/der-mythos-eines-vom-reformismus-unbefleckten-ursprungs-der-antimonopolistischen-strategie/), und zuvor schon, bei anderer Gelegenheit, daß es sich dabei nicht um weltferne Theoriedebatten handelt, sondern um Themen, an denen sich alltagspraktische Fragen kommunistischer Politik hier und heute entscheiden (http://news.dkp.suhail.uberspace.de/2017/05/worum-geht-es-bei-den-diskussionen-in-dkp-und-sdaj/).
Man muß diese Positionen nicht teilen, aber diskutieren muß man sie schon. Und man sollte das auch im Licht der Fragestellung tun, was denn das für Marxisten zentrale Kriterium der gesellschaftlichen Praxis und ihrer historischen Entwicklung nach nun fünfzig Jahren konsequent durchgehaltener antimonopolistischer Strategie zu deren Beibehaltung eigentlich sagt.
Diesen Diskussionshintergrund muss man kennen, wenn man sich anschaut, wie jW-Redaktion und Organisatoren der bevorstehenden Rosa-Luxemburg-Konferenz derzeit agieren: sie bewegen sich exakt auf der Linie eines opportunistischen Verständnis „breiter Bündnisse“. Das wird nicht nur in der Diskussionsverweigerung gegen die einerseits für als bedeutungslos gehaltenen „Sektierer“ deutlich, die andererseits angeblich die Handlungsfähigkeit der Partei in Frage stellen.
Sondern: zugleich wird durch die Besetzung des Podiums der bevorstehenden Rosa-Luxemburg-Konferenz mit unter anderem einer GRÜNEN Bundestagsabgeordneten dem Publikum dargelegt, wie breit „breite Bündnisse“ sein sollten: antimonopolistische Strategie – das heißt in der Praxis, sich mit hochrangigen Vertreterinnen der kriegstreibenden und Sozialabbau befürwortenden GRÜNEN darüber zu unterhalten, wie man gegen Rassismus, Krieg und Sozialabbau vorgehen will, also exakt so, wie vor zwei Jahren im Fall der Gründung von „Aufstehen gegen Rechts“.
Jetzt werden bestimmt einige sagen, dass man ja nur mit den GRÜNEN reden will. Das mag bei Mitgliedern von der Basis ein Argument sein, aber bei der eingeladenen Person8 zieht dieses leider überhaupt nicht. Canan Bayram ist nicht nur irgendwie ein Mitglied der GRÜNEN von deren Basis. Ganz und gar nicht: erst seit 2009 tritt sie für die GRÜNEN bei Wahlen an, davor war sie Mitglied der SPD in Berlin. Dort ist sie zu den GRÜNEN gewechselt, weil ihr die SPD nicht mehr „links“ genug war. Da bleibt die Frage warum man zu den GRÜNEN geht? Vielleicht, weil man den Sitz im Parlament doch schon behalten möchte?
So konnte Canan Bayram weiter im Abgeordnetenhaus des Landes Berlin bleiben. Seit der Wahl zum Abgeordnetenhaus 2016 regiert dort eine rot-rot-grüne Koalition unter SPD-Führung, Canan Bayram war also wieder mit ihren alten Genossen vereint. 2017 wechselte sie dann in den Bundestag. Sie ist die einzige GRÜNEN-Kandidatin, die ein Direktmandat in ihrem Bezirk, Berlin-Friedrichshain, erringen konnte. Diesen Bezirk übernahm sie von Hans Christian Ströbele, der 2017 nicht mehr zur Bundestagswahl antrat.
Nun würden einige sagen, dass sie, wenn sie in der Tradition von Hans Christian Ströbele steht, doch durchaus würdig sei, auf einem Podium der Rosa-Luxemburg-Konferenz zu sitzen, schließlich ist Ströbele das Flaggschiff der Linken bei den GRÜNEN.
Aber Ströbele, daran muß hier erinnert werden, stimmte zwar gegen den Jugoslawienkrieg von 1999, dafür aber für den „friedenssichernden“ Bundeswehreinsatz von 2001 in Afghanistan. Unter dem beziehungsreichen Titel „Nie wieder Grün!“ erklärte ein Leitartikel in A&K 426 (Mai 1999) die Bedeutung der Doppelrolle Ströbeles damals: einerseits stimmte er persönlich gegen den Jugoslawienkrieg, andererseits half er Parteifreund und Bundesaußenminister Joseph Maria Fischer dabei, partei- und fraktionsintern zu überleben, womit auch die rot-grüne Kriegskoalition weitermachen konnte. Moralproblem gelöst, Krieg ermöglicht – soviel zu Ströbele als „Linkem“.
Und auch wenn man Canan Bayram über Geflüchtete und Armut reden hört, zählt sie vor allem moralische Gründe auf. Dies mag normal sein, vor allem für GRÜNEN-PolitikerInnen, aber eben deswegen haben sie nichts auf einer Konferenz zu suchen, die den Anspruch hat, marxistische Analysen zu diskutieren.
Welche Funktion soll sie, die unter Hinweis auf ihre Ströbele-Nachfolge als Linke auftritt, auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz haben? Wie stehen deren Organisatoren zu der Tatsache, daß Bayram als Juristin in Bundesministerien mitgearbeitet hat? Qualifiziert sie das als Gegnerin des deutschen Imperialismus? Wenn nicht – was tut sie dann als Rednerin auf einer Konferenz, die den Namen der Antimilitaristin, Antiiimperialistin und KPD-Gründerin Rosa Luxemburgs trägt?
Unter der Überschrift: „Soziale Frage und Flüchtlingselend: Abschied der Linken von der internationalen Solidarität?“ soll das Podium der RLK stattfinden, an dem Canan Bayram teilnimmt. Doch was bedeutet internationale Solidarität für sie?
Dass man auf fadenscheinige Beweise setzt und auf ihrer Basis einen Krieg anfängt wie 1999 oder in Afghanistan? Wie weit muss man gekommen sein, dass man VertreterInnen der GRÜNEN einlädt und sie so zum Teil der Linken erklärt? Vor allem, wenn diese Person auch schon einmal Mitglied der SPD war. Beides sind die Parteien, die den ersten Krieg der Bundeswehr durchgesetzt haben und danach mit den Hartz-Gesetzen tausende von Menschen in prekäre Lebensumstände gestürzt haben.
Die hier kritisch gewürdigten Positionen von jW-Redaktion und der bevorstehenden Rosa-Luxemburg-Konferenz ordnen sich in eine seit längerem zu beobachtende Entwicklung ein. Sie läßt sich am Besten als langsames Abgleiten weg von marxistischen Positionen schildern. Man muß sich fragen, ob sie etwa auf dem Hintergrund zu verstehen ist, daß in der Redaktion Positionen immer wirksamer werden, die, in analoger Weise zum Parteivorstand der DKP, zentristisch motiviert sind. Analog: denn natürlich geht es ihnen um bedeutend breitere Teile des linken Spektrums als um die auseinanderstrebenden Flügel der DKP. Vergleichbar aber insofern, als es in beiden Fällen dem zentristischen Verfahren darum geht, Einheit vor Klarheit zu wahren.
So war es trotz der erkennbaren Position in der Blockupy-Führung, sich ab November 2014 als künftige kritische Fußtruppe einer erhofften rot-rot-grünen Regierung zu dienen, nicht möglich, diesen Ansatz zu kritisieren. Im Gegenteil: der vom Blockupy-Spektrum kräftig mitangeblasene Hype um die seinerzeitige Hoffnung aller Linken, SYRIZA, schloß man sich fast kritiklos an, und der heute fast schon wieder vergessene Varoufakis war neben Tsipras Revolutionär der Stunde, wenn man jW las – die Position der griechischen Kommunisten zu diesem Thema überging man weitgehend schweigend. Wahrscheinlich hält man sie auch für „Linkssektierer“.
Da zum Blockupy-Spektrum nicht nur kritische GewerkschafterInnen, Teile der LINKEN, sondern auch das mindestens post-antideutsche „UmsGanze“ – Bündnis gehört, ist man in allen Fragen, was die so umrissene Einheit „linker Kräfte“, ja „der Linken“ angeht, äußerst elastisch, um es vorsichtig auszudrücken, und das, obwohl es bis zur Bundestagswahl eindeutig klar war, daß es diesen Kräften praktisch ausschließlich um die Beeinflussung der bürgerliche Parlamentswahlen ging.
So entfiel jede kritische Würdigung der strategischen Ausrichtung während der G20-Proteste.
So übernimmt man wortgleich wie „DIE WELT“, aus Rücksicht auf die weiteste Verbreitung findende komplett PKK-unkritische und US-kompatible Rojava-Solidarität in der Frage einer Einschätzung der türkischen Regierungspolitik Positionen, nach denen die Türkei angeblich in der Lage sei, den deutschen Imperialismus zu erpressen („Erdogans langer Arm reicht ins Kanzleramt“).
So wird – durchaus zu Recht – die nationale Querfront um Jebsen / Freidenker / Arbeiterfotografie usw. angeprangert, aber seit langer Zeit kein Wort gegen die „antinationale“ und letztlich antideutsche Querfront geäußert, die nicht zuletzt in der Palästinafrage objektiv völlig Trump- und BRD-Staatsräson-kompatibel ist.
So mußte man über die Situation der unter zionistischer Unterdrückung leidenden palästinensischen Familie von Ahed Tamimi lesen: „Kinder, die sich gegen die Besatzungstruppen wehren, machen Quote, weil das die erwachsenen Zuschauer besonders rührt…. Ahed ist inzwischen ein Profi“, und die im Internet dokumentierten Übergriffe gegen die 16-jährige werden von einem Gerrit Hoekman als „Filmchen“ disqualifiziert (jW, 5.1.2018). Solche Sätze und Worte, die man eher in „jungle world“ erwarten würde, sind an Zynismus schwer zu überbieten und legen nahe, der palästinensische Widerstand instrumentalisiere Kinder, anstatt daß der jW-Journalist gegen die israelischen Besatzer Partei ergreift.
So lässt man in den Spalten der jW Positionen zu den „Stalinschen Säuberungen“ zu, die künftig problemlos von der „Bundeszentrale für politische Bildung“ als Beleg zitiert werden können – wohl wissend, daß „Stalinismus“ in der Bundesrepublik nichts mit einer kommunistischen oder auch nur linken Diskussion, alles aber mit dezidierter und umfassender konterrevolutionärer Massenbeeinflussung zu tun hat.
Und vor nicht allzu langer Zeit konnte in einem Artikel zum seinerzeitigen „SED-SPD-Papier“ dessen Positionen, einschließlich der Machenschaften seiner Durchsetzung in der SED, abgefeiert werden, als ob man heute nicht sehr genau wissen könnte, daß dieses Papier als Meilenstein des gorbatschowistischen Selbstzerstörungsprozesses kommunistischer Politik angesehen werden muß.
Das alles sind nur wenige Beispiele für eine grundsätzliche Haltung der jW-Redaktion, die vor einigen Jahren noch schwer vorstellbar gewesen wäre. Sie kann und muß als Ausdruck opportunistischer Bündnispolitik verstanden werden, deren Ergebnis darin bestehen wird, weite Teile des Spektrums derjenigen, die heute bereit sind, unter schwierigen Bedingungen linken Widerstand zu leisten oder in Theorie und Praxis revolutionäre Politik neu zu formulieren und entsprechende Strukturen aufzubauen, immer wieder in eine „Linke“ integriert werden, zu denen positionell und objektiv auch Rechte gehören dürfen oder doch geduldet werden, wie zB. der Spezi Jutta Ditfurths, der Neocon-Ideologe, US-Think-Tank-Angehörige und Prozionist Benjamin Weinthal (https://wurfbude.wordpress.com/2016/05/02/jutta-ditfurth-und-die-neocon-querfront/).
Es ist politisch falsch, einerseits berechtigterweise unter Verweis auf Lars Mährholz und andere fragwürdige Bündnispartner gegen Jebsen aufzutreten, andererseits aber stillschweigend zu dulden, daß nicht nur Ditfurth mit Weinthal, sondern auch VertreterInnen der „Antinationalen“ mit der Staatsräson des deutschen Imperialismus unter einen Hut passen.
99 Jahre nach der Novemberrevolution und der unter Mühen, nach langwieriger Abgrenzung von Opportunismus und Revisionismus erfolgten Gründung der KPD kann das nicht die Aufgabe einer marxistischen Tageszeitung sein.
Wir rufen darum die Redaktion der jW auf, sich der Diskussion zu stellen, statt sie zu verweigern, den Kurs der opportunistischen Anpassung zu korrigieren und sich nicht, neben TAZ, jungle world und Neues Deutschland, als weiteres Organ einer postmodernen freestyle-Linken selbst überflüssig zu machen.