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„Man darf gegen die NATO nicht länger Zeit verlieren, sondern muss jetzt das Momentum der Geschichte nutzen.“

Von Bernhard Falk

Anmerkung der Redaktion: Wir veröffentlichen hiermit einen Beitrag von Bernhard Falk, der uns im Rahmen der Debatte zu Imperialismus und Krieg zugesendet wurde. Folgende Redaktionsnotiz möchten wir dem Beitrag vom 27.06.2022 voranstellen: der Beitrag ist insofern interessant, als er erstens eine bestimmte Denkweise vorstellt, die es durchaus in der Bewegung gibt. Zweitens zeugt er von einer ernstgemeinten internationalistisch solidarischen Sichtweise.

Zum ersten sei gesagt, dass offenkundig der hier vorgestellte Antiimperialismus der Behandlung der Klassenfrage nicht mehr bedarf. Wir möchten dem Autor nicht unterstellen, dass er das bewusst unterlässt, jedoch spricht der Artikel selbst an keiner Stelle mehr vom internationalen Proletariat bzw. ihren nationalen Abteilungen. Es sind lediglich Völker, Staaten und Staatsführer, die als Subjekte der Geschichte vorgestellt werden. Wir sind der Ansicht, dass diese Antiimperialismusvorstellung nicht dazu geeignet ist, das revolutionäre (Selbst-) Bewusstsein der internationalen Arbeiterklasse hinsichtlich ihrer Rolle im Kampf gegen den Imperialismus / Kapitalismus zu schärfen.

Wir denken, dass der vorliegende Beitrag ein gutes Zeugnis dafür ablegt, wie ein zwar ernstgemeintes, aber nicht ausreichendes Antiimperialismusverständnis aussieht. Im kommunistischen Klärungsprozess, den wir angestoßen haben und gewillt sind, zu organisieren, müssen wir uns auch mit solchen Vorstellungen, die es in der Bewegung gibt, auseinandersetzen. Es sollte dabei darum gehen, zu verstehen wie sich solche Vorstellungen entwickeln und welche politischen Konsequenzen mit ihnen einhergehen.

Vor wenigen Tagen bin ich in Berlin durch Hans Bauer (GRH), den ich persönlich sehr schätze, auf den vorbezeichneten Podcast hingewiesen worden, in dem Hans mit einem Diskutanten spricht. Die bisweilen recht kontroverse Diskussion umfasst ca. 90 Minuten, ist sehr interessant und erörtert Fragen, die für Antiimperialisten in aller Welt aktuell von zentraler Bedeutung sind.

Vor dem Hintergrund, dass ich mindestens die vergangenen 30 Jahre meines Lebens in Vollzeit dem antiimperialistischen Widerstand gegen die USA und die BRD gewidmet habe, davon zwölfeinhalb Jahre im Knast als politischer Gefangener der BRD wegen mutmaßlicher Beteiligung an der „Antiimperialistischen Zelle“ (AIZ), liegt es nahe, dass ich mir ein paar Anmerkungen zu den im Podcast angesprochenen Fragen erlaube.

Ich will versuchen, dies ohne den Anschein von „Besserwisserei“ zu tun, möchte aber auch keinen Zweifel daran lassen, dass ich es als Antiimperialist für verpflichtend halte, in der heutigen Zeit solidarisch an der Seite der Russischen Föderation und ihres Präsidenten Putin zu stehen.

Auf dem Internationalen Forum, das vorige Woche in St. Petersburg (Leningrad) stattfand, betonte Präsident Putin, „dass die Ära der unipolaren Weltordnung vorüber ist“. Und er warnte treffend vor aufgezwungenen „Schablonen“ des Denkens und Handelns: „Denn die zivilisatorische Vielfalt des Planeten, der Reichtum der Kulturen lässt sich nur schwer mit politischen, wirtschaftlichen und anderen Schablonen vereinbaren. Schablonen, die grob und alternativlos von einem Zentrum aufgezwungen werden, funktionieren hier nicht.“

Es ist eine Tatsache, dass die unipolare – nämlich von der NATO dominierte – Weltordnung der vergangenen 30 Jahre (1991 – 2021) ein Intermezzo war, das nun vorüber ist. Während ich diese Zeilen schreibe, versammelt sich gerade unter BRD-Präsidentschaft im Luxushotel „Schloss Elmau“ nahe Garmisch-Partenkirchen die G7-Führung. Die dort versammelten Herren haben bis heute nicht begriffen, dass das Intermezzo ihrer globalen Vorherrschaft vorbei ist. Präsident Putin sagte hierzu vorige Woche, dass sich „die herrschenden Eliten einiger westlicher Staaten Illusionen hingeben“.

Sagen wir also ganz deutlich, was es konkret bedeutet, dass sich die vorgenannten westlichen Kreise der Realität verweigern: „Weil sie sich selbst für außergewöhnlich halten“, konstatiert Putin, „betrachten sie die anderen immer noch als Kolonien und die dort lebenden Völker als Menschen zweiter Klasse. Daher kommt der unbändige Wunsch, jeden, der aus der Reihe tanzt und nicht blind gehorchen will, zu bestrafen und wirtschaftlich zu vernichten. Mehr noch, sie drängen allen auf rüde und skrupellose Weise ihre Ethik, ihre Meinungen über Kultur und Geschichte auf …“

In den letzten drei Jahrzehnten habe ich mich immer gefragt, wie lange die Russische Föderation sich eine derart zersetzende westliche Arroganz eigentlich noch gefallen lassen will. Nach dem Hochverrat durch Gorbatschow (1985 – 1991) war Jelzin aus westlicher Sicht quasi die passende Marionette für den Ausverkauf – fast zehn Jahre lang (1991 – 1999). Damals, ab 1998, leisteten es sich die G7-Imperialisten sogar, den G7-Kreis durch vorübergehende Aufnahme einer Delegation der Russischen Föderation auf „G8“ zu erweitern.

Gleichzeitig rückte die NATO durch permanente Ausdehnung immer näher an das Territorium der Russischen Föderation heran; natürlich kann man das flächengrößte Land der Erde nicht einfach „umzingeln“; aber es ist völlig klar, dass die Wühltätigkeit der NATO in Osteuropa damals wie heute auf die Zerschlagung der Russischen Föderation abzielt. Letztlich handelt es sich bei dieser NATO-Zielsetzung um eine Fortsetzung der Politik des Hitler-Faschismus mit anderen Mitteln. Welche Hochrüstung gepaart mit Russlandfeindlichkeit sich die NATO leistet, wird man auf dem morgen in Madrid beginnenden NATO-Gipfeltreffen besichtigen können.

Wie gesagt – ich fragte mich während der vergangenen Jahre immer wieder, ob/wann die Russische Föderation die Kraft finden wird, sich der westlichen Zersetzung entschlossen zu widersetzen. Ja, es gab zunehmend entsprechende Signale – 2007, 2014, … -, aber erst seit diesem Jahr (2022) kann man wirklich sicher sein, dass die Russische Föderation fest und mutig Widerstand gegen die NATO-Aggressoren leistet und leisten wird. Und das ist eine großartige Wendung, zu der man die Völker in der Russischen Föderation wirklich von Herzen beglückwünschen muss!

Menschen in aller Welt sind erleichtert, dass das 30-jährige Intermezzo der globalen NATO-Dominanz nun endgültig vorbei ist und die Russische Föderation ihren eigenständigen Weg geht, nämlich im Bündnis mit China. Man braucht kein Experte zu sein, um zu ahnen, dass das flächengrößte Land der Erde – die Russische Föderation – im Bündnis mit dem bevölkerungsreichsten Land der Erde – der Volksrepublik China – angesichts des mittlerweile erreichten Niveaus der Entwicklung beider Länder ein starkes Gegengewicht gegen die NATO sein wird.

Diese neue weltpolitische Konstellation, deren Beginn wir in den gegenwärtigen Monaten erleben, ist eine erfreuliche Zeitenwende und ich bin sehr dankbar, dass das zu meinen Lebzeiten geschieht. Natürlich würde ich mir persönlich wünschen, physisch und psychisch in den vergangenen sehr schwierigen 30 Jahren des antiimperialistischen Widerstands nicht so viel Kraft verloren zu haben (innerhalb des Knasts und außerhalb), aber die neue Etappe jetzt beflügelt und ermutigt.

Da viele Leute der außerparlamentarischen Linken in der BRD nicht wissen, wie sie sich bezüglich der neuen Entwicklungen verhalten sollen, dazu meinerseits folgender Hinweis: Natürlich ist die Entscheidung der Russischen Föderation, das Intermezzo des Ausverkaufs und der Agonie endgültig hinter sich zu lassen, nicht nur die Entscheidung und der Wille einer bestimmten Klasse, sondern der Völker der Russischen Föderation in ihrer Gesamtheit. Die entschlossene Verteidigung dieses Vielvölkerstaates mit seinen Kulturen, Sprachen, Religionen und Werten ist eine Angelegenheit des gesamten Staates.

Denjenigen, die hier in der BRD zögern, sich damit zu solidarisieren, sei zudem empfohlen, den gegenwärtigen Übergang zur multipolaren Weltordnung zu begreifen: Die Völker Lateinamerikas lassen sich immer weniger von NATO-Kräften gängeln; auf dem afrikanischen Kontinent fasst die NATO kaum noch Fuß; in Afghanistan hat die NATO trotz 20-jähriger Besatzung (2001-2021) eine fulminante Niederlage erlitten und weltweit leisten Muslime gegen die NATO militant Widerstand; und ostasiatische Länder wie die VR China und die DVR Korea lassen keinen Zweifel, dass sie die NATO in die Schranken weisen werden. Das heißt, die Russische Föderation befindet sich in guter Gesellschaft und ist Teil der globalen Anstrengung, den Hegemon zu überwinden.

Es mag manchen Personen, die allzu holzschnittartige Vorstellungen von der menschlichen Geschichte als der Geschichte von Klassenkämpfen haben, die Erkenntnis schwerfallen, dass die Verteidigung des jeweiligen Kulturkreises (Sprache, Ethik, Religion) eine wichtige Voraussetzung für den Aufbau einer gerechten globalen multipolaren Ordnung ist. Umgekehrt gefragt: Würde man ernsthaft mit einer „verwestlichten“ Gesellschaft, deren kulturelle Identität von der NATO verwüstet ist und die nur noch Individualismus, Liberalismus, Kapitalismus und Konsumismus kennt, noch eine gerechte Gesellschaftsordnung aufbauen können???

Wichtig zu berücksichtigen ist meines Erachtens auch die Eilbedürftigkeit der Angelegenheit. Als Antiimperialist sollte man sich jetzt entscheiden – für Solidarität mit der Russischen Föderation und ihrem Präsidenten – und die persönliche Entscheidung nicht verzögern. Es gibt Situationen, in denen muss man sich schnell entscheiden und die aktuelle Zeitenwende ist eine solche historisch bedeutsame Situation. Man darf gegen die NATO nicht länger Zeit verlieren, sondern muss jetzt das Momentum der Geschichte nutzen.

Man bedenke die Chance, dass das Verhältnis zwischen Russland und China jetzt so eng ist wie seit 70 Jahren nicht mehr – siehe die Zeit nach dem Sieg im Großen Vaterländischen Krieg unter Führung von Stalin und der Gründung der Volksrepublik China unter Führung von Mao Tse-tung.

Man bedenke die dramatische Tatsache, dass sich die von den NATO-Staaten weltweit propagierte Lebensweise des hemmungslosen Konsumismus ökologisch mittlerweile so verheerend auswirkt, dass sich die globale Klimakatastrophe einem Kipp-Punkt der Irreversibilität nähert.

Man berücksichtige die mehr als 800 Millionen hungernden Menschen weltweit – das ist mehr als jeder zehnte Einwohner auf der Erde; für diese von der Klimakatastrophe und der NATO-Politik an den Rand des Todes gebrachten Menschen ist es überlebenswichtig, den Hegemon zu überwinden.

Zum Abschluss dieses Beitrags, den ich als Denkanstoß verstanden wissen möchte, drängt mich die aktuelle Situation, meine vorzügliche Hochachtung gegenüber allen Menschen auszudrücken, die in treuer Pflichterfüllung – Tag für Tag, von Stunde zu Stunde – der Russischen Föderation dienen. Durch solch eine kollektive Kraftanstrengung wird der Weltgemeinschaft jetzt konkret gezeigt, wie wirkungsvoll Antiimperialismus ist. Druschba – auf dem Weg zu einer gerechten Weltordnung!!!

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