English
русский
عربي

Über den Charakter von Kriegen

Wir veröffentlichen hier das Skript eines Referats, das auf der XIV. Konferenz „Der Hauptfeind steht im eigenen Land“ vom 18. bis 21. Mai 2023 in Berlin gehalten wurde. Ausgehend von Franz Mehring, Carl von Clausewitz und weiteren definiert der Referent einige grundlegende Begriffe zur richtigen Einordnung eines Kriegs.

Wir bedanken uns bei den Referenten und Organisatoren für die Genehmigung zur Veröffentlichung. Auf ihrer Website sind viele weitere Beiträge zur Konferenz in Audio-, Video- und Textform dokumentiert. Der Text liegt hier in der Originalfassung vor, wurde also weder orthographisch noch anderweitig überarbeitet.

Das folgende Referat wurde gehalten von Pit Simons (Autor).

Kaum auf einem anderen Gebiete der Wissenschaft hat oberflächlicher Dilettantismus so arg gehaust wie in der Lehre vom Kriege, obgleich die Kriegswissenschaft in gewissem Sinne die einfachste aller Wissenschaften ist.“ Franz Mehring1

„Die Theorie fordert also, daß bei jedem Kriege zuerst sein Charakter und seine großen Umrisse nach der Wahrscheinlichkeit aufgefaßt werden, die die politischen Größen und Verhältnisse ergeben.“ Carl von Clausewitz2

Diese beiden Kopfzitate weisen auf Ausgang und Intention des Referats. Zunächst ist dies der demagogisch schluderige Umgang mit an sich bereits lange definierten kriegstheoretischen Begriffen durch die Journaille des Klassenfeinds im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine. Rußland führt hier alles mögliche; Hauptsache, es hört sich schrecklich an: „Angriffskrieg“, „Vernichtungskrieg“, „Zermürbungskrieg“, „Totaler Krieg“ etc., unabhängig von der Frage der sachlichen Richtigkeit der damit verbundenen Anschuldigungen, geschwiegen denn überhaupt ihrer inhaltlichen Vereinbarkeit. Bliebe dies eine Selbstverdummung des Klassenfeinds, könnte es uns egal oder sogar recht sein. Tatsächlich hat aber die politische Linke aus verschiedenen Gründen – intellektuelle Drainage im Zusammenhang mit der Großen Konterrevolution, Pazifismus und Abscheu gegen die theoretische Beschäftigung mit dem Krieg, vielleicht weitere … – offenbar wenig Resistenz gegenüber diesen als objektive Angriffe im ideologischen Klassenkampf fungierenden Begriffsvernebelungen. In meiner ruhmreichen Partei (DIE LINKE.) gilt weithin die Charakterisierung von Rußlands militärischem Vorgehen als „völkerrechtswidriger Angriffskrieg“ als gewissermaßen gesetzt; die mantraartige Wiederholung gleicht gelegentlich dem Grüßen eines Gesslerhuts.

Zum anderen wäre diese Begriffsknallerei des Klassenfeinds für uns nicht gefährlich, wenn wir selbst nicht ein klares Begriffsinstrumentarium zum Verständnis von Kriegen benötigen würden. Das mutmaßliche Vorfeld eines Dritten Imperialistischen Weltkriegs sollte uns Anlaß zur begrifflichen Schärfung genug sein.

Begriffe selbst beruhen auf einer Abstraktion. Das gilt auch hier. Wenn wir über den Charakter eines Menschen reden, so ermitteln wir ihn aus Einzelerlebnissen; wenn wir ihn begrifflich typisieren wollen, gruppieren wir begründbar ähnliche Muster, die wir unter einen einheitlichen Begriff bringen. Dies beinhaltet zwar eine Vergröberung, ein Absehen vom Individuellen, aber gleichzeitig einen Erkenntnisgewinn über das Allgemeine, Nicht-Individuelle. Für Kriege gilt sinngemäß dasselbe; sie sind individuell wie Menschen – jeder Krieg ist anders –, trotzdem entwickeln sie gemeinsame Züge je nach den politischen und gesellschaftlichen Verhältnissen der kriegführenden Parteien, ihren militärischen und gesellschaftlichen Kräfteverhältnissen, der politischen Bedeutung der jeweiligen Kriegsziele usw. In diesem Sinne soll im folgenden Referat eine Klärung einiger wesentlicher Begriffe und ihrer historischen Einordnung erfolgen. Dies wird eher ein anfängliches Tasten als eine erschöpfende Behandlung sein und daher nicht mehr als ein kleiner militärtheoretischer Streifzug. Es ist aber allemal mehr und besser, als sich dem Verdummungsbeschuß des Klassenfeinds wehrlos auszuliefern.

Ausgangspunkt sinnvoller Begriffsbildung bezüglich des Charakters von Kriegen sind die Überlegungen Carl von Clausewitz’, der als Autor – leider mehr zitiert als gelesen oder gar verstanden – insbesondere mit seinem unvollendet nachgelassenen Hauptwerk „Vom Kriege“ singulär für den Versuch steht, von einer handwerklichen Kriegslehre zu einer kohärenten historischen und kritischen Theorie des Krieges überhaupt zu gelangen. Nicht ohne Grund knüpfen marxistisch-leninistische Theoretiker immer wieder auf die eine oder andere Weise an Clausewitz an. Zum Verständnis seiner Ausführungen ist es allerdings vonnöten, diese in ihren historischen Kontext zu stellen. Clausewitz erlebt mit den Koalitionskriegen Preußens und seiner Verbündeten gegen das revolutionäre Frankreich bereits in der Frühzeit seiner militärischen Laufbahn die Kollision zweier grundsätzlich differierender Arten der Kriegführung: die des alten absolutistischen Kabinettkriegs auf der eigenen, die des modernen nationalen Massenkriegs auf der gegnerischen Seite, welche sich als die überlegene erweist. Diese Asymmetrie-Erfahrung deutet er richtig als die einer historischen Wende in der Art der Kriegführung:

Worin der Unterschied beider Verhältnisse sei, zeigt eine aufmerksame Betrachtung der Geschichte. Im achtzehnten Jahrhundert, zur Zeit der Schlesischen Kriege, war der Krieg noch eine bloße Angelegenheit des Kabinetts, an welchem das Volk nur als blindes Instrument teilnahm; im Anfang des neunzehnten Jahrhunderts standen die beiderseitigen Völker in der Wageschale. Die Feldherren, welche Friedrich dem Großen gegenüberstanden, waren Männer, die im Auftrag handelten, und eben deswegen Männer, in welchen die Behutsamkeit ein vorherrschender Charakterzug war; der Gegner der Österreicher und Preußen war, um es kurz zu sagen, der Kriegsgott selbst.“3

Wir werden mehrfach auf die Erscheinung der Asymmetrie, wie auf die grundsätzlich zu unterscheidenden Arten der Kriegführung, zurückkommen.

Festzuhalten ist, wie Clausewitz ‘Krieg’ definiert: „Der Krieg ist also ein Akt der Gewalt, um den Gegner zur Erfüllung unseres Willens zu zwingen.“4

Und weiter zum Verhältnis von ‘Mittel’ und ‘Zweck’ in diesem Zusammenhang: „Gewalt, d. h. die physische Gewalt (denn eine moralische gibt es außer dem Begriffe des Staates und Gesetzes nicht), ist also das Mittel, dem Feinde unseren Willen aufzudringen, der Zweck. Um diesen Zweck sicher zu erreichen, müssen wir den Feind wehrlos machen, und dies ist dem Begriff nach das eigentliche Ziel der kriegerischen Handlung. Es vertritt den Zweck und verdrängt ihn gewissermaßen als etwas nicht zum Kriege selbst Gehöriges.“5

Dies verweist bereits auf den Instrumentalcharakter und die Abhängigkeit des Krieges von der Politik, also die vielfach zitierte zentrale Erkenntnis, „daß der Krieg nichts ist als die fortgesetzte Staatspolitik mit anderen Mitteln.“6

Sie ist zum Verständnis des Krieges bei Clausewitz so zentral, daß sie mehrfach reformuliert und präzisiert wird: „So sehen wir also, daß der Krieg nicht bloß ein politischer Akt, sondern ein wahres politisches Instrument ist, eine Fortsetzung des politischen Verkehrs, ein Durchführen desselben mit anderen Mitteln. Was dem Kriege nun noch eigentümlich bleibt, bezieht sich bloß auf die eigentümliche Natur seiner Mittel.“7

Und: „Man weiß freilich, daß der Krieg nur durch den politischen Verkehr der Regierungen und der Völker hervorgerufen wird; aber gewöhnlich denkt man sich die Sache so, daß mit ihm jener Verkehr aufhöre und ein ganz anderer Zustand eintrete, welcher nur seinen eigenen Gesetzen unterworfen sei. / Wir behaupten dagegen, der Krieg ist nichts als eine Fortsetzung des politischen Verkehrs mit Einmischung anderer Mittel. Wir sagen mit Einmischung anderer Mittel, um damit zugleich zu behaupten, daß dieser politische Verkehr durch den Krieg selbst nicht aufhört, nicht in etwas ganz anderes verwandelt wird, sondern daß er in seinem Wesen fortbesteht, wie auch seine Mittel gestaltet sein mögen, deren er sich bedient, und daß die Hauptlinien, an welchen die kriegerischen Ereignisse fortlaufen und gebunden sind, nur seine Lineamente sind, die sich zwischen den Krieg durch bis zum Frieden fortziehen. Und wie wäre es anders denkbar? Hören denn mit den diplomatischen Noten je die politischen Verhältnisse verschiedener Völker und Regierungen auf? Ist nicht der Krieg bloß eine andere Art von Schrift und Sprache ihres Denkens? Er hat freilich seine eigene Grammatik, aber nicht seine eigene Logik. / Hiernach kann der Krieg niemals von dem politischen Verkehr getrennt werden, und wenn dies in der Betrachtung irgendwo geschieht, werden gewissermaßen die Fäden des Verhältnisses zerrissen, und es entsteht ein sinn- und zweckloses Ding.“8

Dabei ist der politische Zweck das Maß der für den Krieg aufgewendeten Mittel: „So wird also der politische Zweck als das ursprüngliche Motiv des Krieges das Maß sein, sowohl für das Ziel, welches durch den kriegerischen Akt erreicht werden muß, als für die Anstrengungen, die erforderlich sind.“9

Lenin wird später diese Erkenntnise – wie implizit auch Franz Mehring – mehrfach als die theoretische Grundlage auch der marxistischen Auffassung des Krieges – auch jedes konkreten – bezeichnen und verwenden.10

Von einiger Bedeutung sind auch Clausewitz’ Überlegungen zum dialektischen Wechselverhältnis von Angriff und Verteidigung, die sich in folgenden, sich aufeinander beziehenden Thesen festhalten lassen: Die Verteidigung setzt den Angriff voraus. Die Verteidigung bedarf – anders als der Angriff – keiner positiven Begründung, er ist einfach negativ begründet aus der Abwehr des Angriffs. Der Krieg beginnt erst mit der Verteidigung. In Zusammenziehung mit dem politischen Charakter des Krieges folgen hieraus politische wie strategische Bestimmungen von ‘Angriffs-’ vs. ‘Verteidigungskrieg’, von denen die des Verteidigungskriegs sich als die interessanteren erweisen, weil sie sich nicht (wie umgekehrt beim Angriffskrieg11) unmittelbar aus dem im Vorab gesetzten politischen bzw. strategischen Ziel ergeben. In „Die wichtigsten Grundsätze des Kriegsführens“ schreibt Clausewitz über den ‘Verteidigungskrieg’ folgendes: „Politisch heißt Verteidigungskrieg ein solcher, den man für seine Unabhängigkeit führt; strategisch heißt Verteidigungskrieg derjenige Feldzug, in welchem ich mich beschränke, den Feind in dem Kriegstheater zu bekämpfen, das ich mir für diesen Zweck zubereitet habe. Ob in diesem Kriegstheater ich die Schlachten offensiv oder defensiv führe, ändert darin nichts. […] Der Verteidigungskrieg besteht also nicht in einem müßigen Abwarten der Begebenheiten; abwarten muß man nur, wenn man sichtbaren und entscheidenden Nutzen davon hat.“12 In seiner „Bekenntnisdenkschrift“ zur politisch-militärischen Lage Preußens im Jahre 1812 heißt es: „Wenn ich mich auf einem Kriegstheater so verhalte, daß ich nur den Feind, welcher in das Kriegstheater vordringt, sei es verteidigend oder angriffsweise bekämpfe, so verhalte ich mich strategisch defensiv. […] Daß die strategische Defension […] nicht auch notwendig eine taktische herbeiführe, versteht sich von selbst. Innerhalb des Kriegstheaters, welches man zu verteidigen sich vorgenommen hat, kann man den Feind angreifen, wo und wie man es für gut befindet. Man hat also alle Mittel, in demselben eine feindliche Armee total zu vernichten, so gut dies nur im Angriff geschehen kann: Ja, dies ist in unserem eigenen Kriegstheater für uns viel leichter als für den Feind. / Daß man einen geschlagenen Feind auch über die Grenzen seines eigenen Kriegstheaters hinaus verfolgen und also zum strategischen Angriff übergehen könne, versteht sich von selbst […]. Ja, man wird es tun müssen, wenn man die Überlegenheit, welche der Sieg gibt, nicht etwa auf andern Punkten benutzen und einen Teil dieser Streitkräfte auf ein anderes Kriegstheater überführen will.“13

Wer mithin nach Clausewitz – affirmativ oder erst recht in schöpferischer Abgrenzung von ihm – das militärische Vorgehen Rußlands in der Ukraine ab dem 24. Februar 2022 als ‘Angriffskrieg’ auffassen will, hat ein erhebliches theoretisches Problem: Neben dem Nachweis, daß dieser nicht durch Clausewitz’ Definitionen des ‘Verteidigungskriegs’ hinreichend als solcher charakterisiert ist, wäre die Präsentation eines positiven – und vor allem: rationalen! – russischen Kriegsziels, politisch wie strategisch – unabdingbar. Darunter ist es nicht zu haben. Die mediale Kaffeesatzleserei über „Putins Ziele“ ist kein Ersatz, sondern der Offenbarungseid. – NB: Daß die Ukraine in einem politischen Sinne hier einen proklamierten Krieg für ihre Unabhängigkeit als ‘Verteidigungskrieg’ in Anspruch nehmen will, ist auf peinliche Weise lächerlich und spätestens seit dem Euro-Maidan 2014 obsolet, es sei denn, sie führte ihren Krieg gegen die NATO bzw. gegen die EU.

Wegen begrifflicher Manipulationsmöglichkeiten sei auch darauf hingewiesen, wie bei Clausewitz (und allgemein in der militärischen Literatur) der Begriff ‘Vernichtung’ im Zusammenhang mit dem Krieg verstanden wird, nämlich schlicht als Handlungsunfähigmachung des Gegners. Clausewitz schreibt in „Vom Kriege“: „Was ist die Überwindung des Gegners? Immer nur die Vernichtung seiner Streitkraft, sei es durch Tod oder Wunden oder was für eine andere Art, sei es ganz und gar oder nur in solchem Maße, daß er den Kampf nicht mehr fortsetzen will.“14 Dieser Begriff ist nicht einmal an die Ausübung physischer Gewalt gebunden: „Wenn wir von Vernichtung der feindlichen Streitmacht sprechen, so müssen wir hier ausdrücklich darauf aufmerksam machen, daß uns nichts zwingt, diesen Begriff auf die bloße physische Streitkraft zu beschränken, sondern vielmehr die moralische notwendig darunter mit verstanden werden muß, weil ja beide sich bis in den kleinsten Teil durchdringen und deshalb gar nicht voneinander zu trennen sind.“15 Wer einer Charakterisierung einer kriegerischen Handlung als ‘Vernichtungskrieg’ einen Erkenntniswert zuspricht, wird um eine explizite begriffliche Bestimmung nicht umhinkommen. Tatsächlich kann die Bezeichnung Vernichtungskrieg begrifflich doppelt, d.h. in zwei dringend zu unterscheidenden Bedeutungen verwendet werden. Wir werden darauf zurückkommen.

Clausewitz wird im Zusammenhang mit den antinapoleonischen Befreiungskriegen auch zum Theoretiker der Inkorporierung des Partisanenkriegs in ein ‘Volkskrieg’ genanntes Konzept, das er als Bestandteil des nationalen Kriegs auffaßt: Der Volkskrieg ist im kultivierten Europa eine Erscheinung des neunzehnten Jahrhunderts. Er hat seine Anhänger und seine Widersacher, die letzteren entweder aus politischen Gründen, weil sie ihn für ein revolutionäres Mittel, einen für gesetzlich erklärten Zustand der Anarchie halten, der der gesellschaftlichen Ordnung nach innen ebenso gefährlich sei wie dem Feinde nach außen, oder aus militärischen Gründen, weil sie glauben, der Erfolg entspräche nicht der aufgewendeten Kraft. Der erste Punkt berührt uns hier gar nicht, denn wir betrachten den Volkskrieg bloß als Kampfmittel, also in seiner Beziehung auf den Feind; der letzte Punkt aber führt uns zu der Bemerkung, daß der Volkskrieg im allgemeinen als eine Folge des Durchbruches anzusehen ist, den das kriegerische Element in unserer Zeit durch seine alte künstliche Umwallung gemacht hat; als eine Erweiterung und Verstärkung des ganzen Gärungsprozesses, den wir Krieg nennen. Das Requisitionssystem, die Anschwellung der Heere zu ungeheuren Massen vermittelst desselben und der allgemeinen Dienstpflicht, der Gebrauch der Landwehren sind alles Dinge, die, wenn man vom ehemaligen engbegrenzten Militärsystem ausgeht, in derselben Richtung liegen, und in dieser Richtung liegt nun auch der Aufruf des Landsturmes oder die Volksbewaffnung. Sind die ersten dieser neuen Hilfsmittel eine natürliche und notwendige Folge weggeworfener Schranken, und haben sie die Kraft dessen, der sich ihrer zuerst bedient hat, so gewaltig gesteigert, daß der andere mit fortgerissen worden ist und sie auch hat ergreifen müssen, so wird beides auch der Fall mit dem Volkskriege sein. In der Allgemeinheit der Fälle würde dasjenige Volk, welches sich desselben mit Verstand bediente, ein verhältnismäßiges Übergewicht über diejenigen bekommen, die ihn verschmähen.“16 Der Volkskrieg gehört hier in den Zusammenhang der strategischen Defensive, über die Bedingungen seines Gebrauchs schreibt Clausewitz: „Daß ein so verteilter Widerstand nicht zu der in Zeit und Raum konzentrierten Wirkung großer Schläge geeignet ist, geht aus der Natur der Sache hervor. Seine Wirkung richtet sich, wie in der physischen Natur der Verdampfungsprozeß, nach der Oberfläche. Je größer diese ist und der Kontakt, in welchem sie mit dem feindlichen Heere sich befindet, also je mehr dieses sich ausbreitet, um so größer ist die Wirkung der Volksbewaffnung. Sie zerstört wie eine still fortschwelende Glut die Grundfesten des feindlichen Heeres. Da sie zu ihren Erfolgen Zeit braucht, so entsteht, während beide Elemente so aufeinander wirken, ein Zustand der Spannung, die sich entweder nach und nach löst, wenn der Volkskrieg an einzelnen Stellen erstickt wird und an anderen langsam erlischt, oder die zu einer Krise führt, wenn die Flammen dieses allgemeinen Brandes über das feindliche Heer zusammenschlagen und es nötigen, das Land vor eigenem gänzlichen Untergange zu räumen. […] Will man […] kein Phantom verfolgen, so muß man sich den Volkskrieg in Verbindung mit dem Kriege eines stehenden Heeres denken und beide durch einen das Ganze umfassenden Plan geeinigt. / Die Bedingungen, unter welchen allein der Volkskrieg wirksam werden kann, sind folgende: / 1. daß der Krieg im Innern des Landes geführt, / 2. daß er nicht durch eine einzige Katastrophe entschieden werde; / 3. daß das Kriegstheater eine beträchtliche Länderstrecke einnehme; / 4. daß der Volkscharakter die Maßregel unterstütze; / 5. daß das Land sehr durchschnitten und unzugänglich sei, entweder durch Gebirge oder durch Wälder und Sümpfe oder durch die Natur der Bodenkultur.“17

Im Zusammenhang mit einer Charakterisierung des Kriegs in der Ukraine muß festgestellt werden, daß die Darstellung dieser aus der strategischen Defensive geborenen Kriegsform die Kriegsführung der Volksrepubliken Donezk und Lugansk ab Frühjahr 2014 sehr viel zutreffender beschreibt als die der Freiwilligenmilizen in der Ukrainischen Nationalgarde. Dies als weitere Fußnote zur Bewertung der russischen Militäraktion gegen die Ukraine an der Seite der Volksrepubliken als „Angriffskrieg“.

Spiegel des historischen Erlebens Clausewitz’ – die Ablösung des absolutistischen Kabinettkriegs durch den modernen nationalen Massenkrieg – sowie dessen theoretische Verarbeitung mittels der philosophischen Instrumentarien des deutschen Idealismus ist ein Konzept, daß als ‘Absoluter Krieg’ bezeichnet werden kann, die Selbstentgrenzung des Kriegs, die aber nichtdestoweniger Folge der Größe seiner politischen Motive ist: „Gehört der Krieg der Politik an, so wird er ihren Charakter annehmen. Sobald sie großartiger und mächtiger wird, so wird es auch der Krieg, und das kann bis zu der Höhe steigen, wo der Krieg zu seiner absoluten Gestalt gelangt.“18 Und: „Je großartiger und stärker die Motive des Krieges sind, je mehr sie das ganze Dasein der Völker umfassen, je gewaltsamer die Spannung ist, die dem Kriege vorhergeht, um so mehr wird der Krieg sich seiner abstrakten Gestalt nähern, um so mehr wird es sich um das Niederwerfen des Feindes handeln, um so mehr fallen das kriegerische Ziel und der politische Zweck zusammen, um so reiner kriegerisch, weniger politisch scheint der Krieg zu sein.“19

Es ist der historischen Situation wie ihrer philosophischen Verarbeitung im Kontext des deutschen Idealismus zu verdanken, daß er seine theoretischen Anstrengungen vornehmlich an dieser neuen Art des Krieges ausrichtet; Clausewitz ist freilich Praktiker genug, daß ihm bewußt ist, daß die Wirklichkeit selbst sehr andere Formen des Krieges erzeugt: „Wir sehen also, daß es im Kriege der Wege zum Ziele viele gibt, daß nicht jeder Fall an die Niederwerfung des Gegners gebunden ist, daß Vernichtung der feindlichen Streitkraft, Eroberung feindlicher Provinzen, bloße Besetzung derselben, bloße Invasion derselben, Unternehmungen, die unmittelbar auf politische Beziehungen gerichtet sind, endlich ein passives Abwarten der feindlichen Stöße – alles Mittelsind, die, jedes für sich, zur Überwindung des feindlichen Willens gebraucht werden können, je nachdem die Eigentümlichkeit des Falles mehr von dem einen oder dem anderen erwarten läßt.“20

Und:„Je nachdem man die absolute Gestalt des Krieges oder eine der davon mehr oder weniger entfernten wirklichen im Auge hat, entstehen zwei verschiedene Vorstellungen von dem Erfolge desselben. / Bei der absoluten Gestalt des Krieges, wo alles aus notwendigen Gründen geschieht, alles rasch ineinandergreift, kein, wenn ich so sagen darf, wesenloser neutraler Zwischenraum entsteht, gibt es wegen der vielfältigen Wechselwirkungen, die der Krieg in sich schließt, wegen des Zusammenhanges, in welchem, strenge genommen, die ganze Reihe der aufeinanderfolgenden Gefechte steht, wegen des Kulminationspunktes, den jeder Sieg hat, über welchen hinaus das Gebiet der Verluste und Niederlagen angeht, wegen aller dieser natürlichen Verhältnisse des Krieges, sage ich, gibt es nur einen Erfolg, nämlich den Enderfolg. Bis dahin ist nichts entschieden, nichts gewonnen, nichts verloren. Hier ist es, wo man sich unaufhörlich sagen muß: das Ende krönt das Werk. In dieser Vorstellung ist also der Krieg ein unteilbares Ganze, dessen Glieder (die einzelnen Erfolge) nur Wert haben in Beziehung auf dies Ganze. […] / Dieser Vorstellung von dem Zusammenhange der Erfolge im Kriege, welche man als eine äußerste betrachten kann, steht eine andere äußerste gegenüber, nach welcher derselbe aus einzelnen für sich bestehenden Erfolgen zusammengesetzt ist, bei denen, wie im Spiel bei den Partien, die vorhergehenden keinen Einfluß auf die nachfolgenden haben. Hier kommt es also nur auf die Summe der Erfolge an, und man kann jeden einzelnen wie eine Spielmarke zurücklegen. / So wie die erste Vorstellungsart ihre Wahrheit aus der Natur der Sache schöpft, so finden wir die der zweiten in der Geschichte. Es gibt eine Unzahl von Fällen, wo ein kleiner mäßiger Vorteil hat gewonnen werden können, ohne daß sich daran irgendeine erschwerende Bedingung geknüpft hätte. Je mehr das Element des Krieges ermäßigt ist, um so häufiger werden diese Fälle, aber so wenig wie je in einem Kriege die erste der Vorstellungsarten vollkommen wahr ist, ebensowenig gibt es Kriege, wo die letztere überall zutrifft und die erstere entbehrlich wäre. / Halten wir uns an die erste dieser beiden Vorstellungsarten, so müssen wir die Notwendigkeit einsehen, daß ein jeder Krieg von Hause aus als ein Ganzes aufgefaßt werde, und daß beim ersten Schritt vorwärts der Feldherr schon das Ziel im Auge habe, wohin alle Linien laufen. / Lassen wir die zweite Vorstellungsart zu, so können untergeordnete Vorteile um ihrer selbst willen verfolgt und das Weitere den weiteren Ergebnissen überlassen werden. / Da keine dieser beiden Vorstellungsarten ohne Resultat ist, so kann die Theorie auch keine derselben entbehren. Der Unterschied, den sie im Gebrauch derselben macht, besteht darin, daß sie fordert, die erstere als die Grundvorstellung auch überall zum Grunde zu legen und die letztere nur als eine Modifikation zu gebrauchen, die durch die Umstände gerechtfertigt wird.“21 Wiewohl hier die eine Möglichkeit von Clausewitz’ idealistischem Standpunkt aus als defizitär betrachtet wird, so scheint doch hier auf, daß er in der materiellen Wirklichkeit mit zwei grundsätzlich unterschiedlich zu beschreibenden Arten des Krieges rechnet.

Tatsächlich schließt Clausewitz auch die Möglichkeit nicht aus, daß „ermäßigte“ Formen des Krieges zurückkehren könnten: „Ob es nun immer so bleiben wird, ob alle künftigen Kriege in Europa immer mit dem ganzen Gewicht der Staaten und folglich nur um große, den Völkern naheliegende Interessen geführt sein werden, oder ob nach und nach wieder eine Absonderung der Regierung von dem Volke eintreten wird, dürfte schwer zu entscheiden sein, und am wenigsten wollen wir uns eine solche Entscheidung anmaßen. Aber man wird uns recht geben, wenn wir sagen, daß Schranken, die gewissermaßen nur in der Bewußtlosigkeit dessen, was möglich sei, lagen, wenn sie einmal eingerissen sind, sich nicht leicht wieder aufbauen lassen, und daß, wenigstens jedesmal, sooft ein großes Interesse zur Sprache kommt, die gegenseitige Feindschaft sich auf die Art erledigen wird, wie es in unseren Tagen geschehen ist.“22 Es ist also nicht verwunderlich, daß er vor seinem Tode – unzufrieden mit seinem Manuskript – die „doppelte Art des Krieges“ als stärker herauszuarbeiten betrachtet: „Ich betrachte die ersten sechs Bücher, welche sich schon ins reine geschrieben finden, nur als eine noch ziemlich unförmliche Masse, die durchaus noch einmal umgearbeitet werden soll. Bei dieser Umarbeitung wird die doppelte Art des Krieges überall schärfer im Auge behalten werden, und dadurch werden alle Ideen einen schärferen Sinn, eine bestimmte Richtung, eine nähere Anwendung bekommen. Diese doppelte Art des Krieges ist nämlich diejenige, wo der Zweck das Niederwerfen des Gegnersist, sei es, daß man ihn politisch vernichten oder bloß wehrlos machen und also zu jedem beliebigen Frieden zwingen will, und diejenige, wo man bloß an den Grenzen seines Reiches einige Eroberungen machen will, sei es, um sie zu behalten, oder um sie als nützliches Tauschmittel beim Frieden geltend zu machen. Die Übergänge von einer Art in die andere müssen freilich bestehenbleiben, aber die ganz verschiedene Natur beider Bestrebungen muß überall durchgreifen und das Unverträgliche voneinander sondern.“23

Es ist die theoretische Leistung des konservativen Historikers Hans Delbrück diese Unterscheidung später als ‘Niederwerfungsstrategie’ vs. ‘Ermattungsstrategie’ theoretisiert und begründet zu haben: „Das erste natürliche Grundgesetz aller Strategie ist, die Kräfte zusammen zu nehmen, die Hauptmacht des Feindes aufzusuchen, sie zu schlagen und den Sieg zu verfolgen, bis der Besiegte sich dem Willen des Siegers unterwirft und seine Bedingungen annimmt, äußersten Falls also bis zur Besetzung des ganzen feindlichen Landes. Eine derartige Kriegführung setzt die genügende Überlegenheit voraus; es mag sein, daß die Überlegenheit genügt, einen ersten großen Sieg zu erfechten, trotzdem aber nicht hinreicht, das ganze Land einzunehmen oder auch nur die feindliche Hauptstadt zu belagern. Die Kräfte können auch so weit im Gleichgewicht stehen, daß von vornherein nur mäßige Erfolge zu erwarten sind, und man seine Hoffnung nicht sowohl darauf setzen darf, den Feind niederzuwerfen, als ihn durch Schläge und Schädigungen aller Art soweit zu zermürben und ermatten, daß er es endlich vorzieht, die Bedingungen des Siegers, die in diesem Falles immer eine gewisse Mäßigung zeigen müssen, anzunehmen. Das ist das System der Ermattungsstrategie, deren großes Problem immer auf die Frage geht, ob eine taktische Entscheidung, eine Schlacht mit ihren Gefahren und Verlusten angestrebt werden soll oder nicht, ob der in Aussicht stehende Gewinn aus einem Siege den Einsatz lohnt. […] Die Schlacht spielt also sowohl in der Niederwerfungs- wie der Ermattungs-Strategie eine Rolle, der Unterschied aber ist, daß sie in jener das eine, alles überragende, alles andere in sich aufsaugende Mittel ist, in dieser nur als Mittel anzusehen ist, das neben anderen zur Wahl steht. Die Möglichkeit, den Feind auch ohne Schlacht soweit zu bringen, daß er die von unserer Seite erstrebten Bedingungen annimmt, führt in ihrer letzten Konsequenz zu einer reinen Manöver-Strategie, die den Krieg führen möchte ohne Blutvergießen. Eine solche reine Manöver-Strategie ist jedoch nur eine dialektische Spielerei, keine reale Erscheinung in der Weltkriegsgeschichte. Selbst wenn die eine Seite sich wirklich solche Kriegführung vorsetzen sollte, so weiß sie doch nicht, ob die andere Seite ebenso denkt und bei solchen Gedanken bleibt. Die Möglichkeit einer Schlachtentscheidung bleibt daher selbst bei sehr blutscheuen Feldherren immer im Hintergrunde, und die Ermattungs-Strategie ist also durchaus nicht gleichzusetzen mit einer reinen Manöver-Strategie; sie ist vielmehr als eine mit einem inneren Gegensatz behaftete Kriegführung anzusehen. Ihr Prinzip ist ein polarisches oder doppelpoliges.“24

Delbrück, der trotz seiner ungewollten materialistischen Ausflüge in echter idealistischer Affenliebe an der historischen Bedeutung „großer Männer“ hängt, bewertet Alexander, Cäsar und natürlich Napoleon als Niederschlagungs-, Perikles, Hannibal, Gustav Adolf und den Alten Fritz als Ermattungsstrategen, womit in der Tat auch die für Clausewitz’ Theorien bedeutsame Scheidemarke zwischen Kabinetts- und Massenkrieg aufscheint. Vorsorglich sei darauf hingewiesen, daß eine Ermattungstrategie nicht zwingend eine „schonendere“ Art der Kriegführung beinhaltet als eine Niederwerfungsstrategie. Beide sind in erster Linie bestimmt als „Strategien des Ziels“, nicht der Mittel. Niederwerfungskriege können durchaus auch unter der Beachtung einer Unterscheidung von Kombattanten und Nicht-Kombattanten geführt werden, Ermattungskriege durchaus auch unter Erscheinung so ziemlich aller Bestialitäten gegenüber der Zivilbevölkerung, die die aktualen Kriegsmittel zulassen. Die beiderseitig an der Niederwerfung der Gegenseite orientieren Napoleonischen Kriege kamen ohne umfängliche Übergriffe auf die Zivilbevölkerung aus. Umgekehrt wäre ein prominentes historisches Beispiel für einen allseitigen Ermattungskrieg der 30jährige Krieg mit seinen Massakern und großflächigen Verwüstungen, der ein Deutschland mit einer regional bis zu 70% reduzieren Bevölkerung hinterließ. Das imperialistische Vorgehen etwa in Syrien kann als aktuelles Pendant gelten.

Das Postulieren einer Ermattungsstrategie überhaupt und besonders die entsprechende Charakterisierung des Alten Fritz bringen Delbrück in unversöhnlichen Gegensatz zum kaiserlichen Generalstab, der dann folgerichtig im Verfolgen einer sturen Niederschlagungsstrategie den unfreiwilligen Übergang zum Stellungskrieg an der Westfront im 1. Weltkrieg maßgeblich mitzuverantworten hatte. Positive Aufnahme findet dieses Konzept jedoch bei Franz Mehring, der es auf eine materialistische Grundlage stellt,25 und im Sinne historischer marxistischer Analyse anwendet.26 Diese theoretische Integration wird allerdings von Heinz Helmert in den Einleitungen der Mehring-Ausgaben in der DDR inhaltlich verworfen,27 was ich sachlich nicht stichhaltig und weiter für voreilig halte. Helmerts Argument, das Manöver sei grundsätzlicher Bestandteil aller Strategien, verkennt m.E., daß es sich bei den von Delbrück im Anschluß an Clausewitz vorgenommenen Charakterisierungen um starke Abstraktionen von einer Wirklichkeit handelt, die selbstverständlich übergänglich ist;28 weiter, daß wir hier primär über die Ziele einer Strategie sprechen, die ja wesenhaft durchaus unterscheidbar sind, und nicht über ihre Mittel, durch die sie sichtbar werden. Hier wäre der Nachweis, daß das Manöver bei einem Niederwerfungsziel zwingend mehr ist als ein Hilfsmittel, unabdingbar für eine Widerlegung des Delbrück’schen Begriffsgegensatzes. Voreilig ist Helmerts Ablehnung, weil die Anwendung dieses Begriffspaars bei der Betrachtung insbesondere nationaler Befreiungs- wie revolutionärer Kriege fruchtbar gemacht werden kann. So rezipiert der belgische Kommunist Théodor Derbent in genau dieser Anwendung Delbrücks Konzepte unter den Termini (Übersetzung Marco Camensch) ‘Vernichtungs-’ vs. ‘Zermürbungsstrategie’.29 Hierauf wird im folgenden noch einzugehen sein.

Bezüglich des ersten Begriffs, dem der ‘Vernichtungsstrategie’, besteht die Gefahr eines ernsten Mißverständnisses. Jan Philipp Reemtsma definiert implizit einen Begriff ‘Vernichtungskrieg’ wie folgt: Vernichtungskrieg, sprich: Krieg, der geführt wird, um – im schlimmsten Falle – eine Bevölkerung zu vernichten oder auch zu dezimieren, aber auch der Krieg, in dem es um die Vernichtung der gegnerischen waffenfähigen Bevölkerung, der gegnerischen Armee geht, ja auch die Vernichtungsschlacht, in der das gegnerische Heer nicht nur besiegt oder zurückgeschlagen, sondern in möglichst großem Umfange getötet werden soll – alle diese Formen des Vernichtungskriegs sind, wiewohl in geographischem Raum und historischer Zeit weit verbreitet, keine historischen Selbstverständlichkeiten.30 Der zugrundeliegende Begriff ‘Vernichtung’ differiert somit von dem der klassischen Militärtheorie und bezieht sich – gleichzeitig enger wie weiter – auf die physische Vernichtung eines beliebig bestimmbaren Feinds. Er ist mittel-zentriert und in seiner Anwendung bei Reemtsma unabhängig von der zugrundeliegenden Strategie: Das bei Reemtsma erwähnte Konzept des „Weißbluten-Lassens“ des Feindes, der deutlich höhere Verluste erleiden soll, in der Schlacht von Verdun (so die Begründung des seinerzeitigen Chefs der Obersten Heeresleitung Falkenhayn) ist unfehlbar Element einer Ermattungsstrategie, wie zynisch und blutig diese auch immer verwirklicht wurde. Die genozidalen Massaker der deutschen Wehrmacht im Krieg gegen die Sowjetunion gehören ebenso unfehlbar zu einer Niederwerfungsstrategie. Bedenkt man Clausewitz folgend, daß es der politische Zweck ist, der das Maß der aufgewendeten kriegerischen Mittel bestimmt, so gehört die in der deutschen Kriegsführung gegen die Sowjetunion durchgeführte Anwendung des Mittels der genozidalen Massenvernichtung in einem Niederschlagungskrieg zum Kern der faschistischen Kriegführung gegen die internationale Arbeiterklasse und ihre Verbündeten. Sinnvoll wäre hier alternativ der Begriff ‘Ausrottungskrieg’ anzuwenden, der sowohl die Spezifität des Mitteleinsatzes der faschistischen Kriegführung charakterisiert wie terminologische Irritationen vermeidet, denn diese Kriegführung hat politisch-strategisch mit der Blutmühle von Verdun einerseits sowenig zu tun wie andererseits mit dem strategischen Konzept der ‘Niederschlagungsstrategie’ bei Delbrück. Unter dieser klaren Trennung der Begrifflichkeiten ist das Vorgehen Rußlands in der Ukraine ganz gewiß kein ‘Ausrottungskrieg’ (bzw. ‘Vernichtungskrieg’ in der Definition Reemtsmas). Ob er in der Definition von Delbrück bzw. Derbent unter einer ‘Niederwerfungs-’ bzw. ‘Vernichtungsstrategie’ geführt wird oder doch eher unter der Vorgabe einer ‘Ermattungs-’ bzw. ‘Zermürbungsstrategie’, wird noch zu besprechen sein.

Zur weiteren Klärung der Begrifflichkeit um den Charakter von Kriegen trägt maßgeblich die Arbeiterbewegung selbst im historischen Vorfeld und Fortgang des 1. imperialistischen Weltkriegs bei. Naheliegenderweise wird hier die einem Krieg zugrundeliegende Politik, die richtig als Klassenpolitik verstanden wird, zum bestimmenden Moment der Betrachtung. Wesentliche theoretische Interventionen kommen dabei von Franz Mehring und Lenin. Bereits 1907 bemerkt Mehring im Rückblick auf die praktische Positionierung der Sozialdemokratie im Krieg 1870/71, daß „die Kriegsfrage […] allein vom proletarischen Klasseninteresse aus zu entscheiden“ sei.31 Über dieses theoretische wie praktische Verständnis des Krieges bei den „Altmeistern“ – der Tradition der SPD entsprechend nennt er nicht nur Marx und Engels, sondern auch Lassalle – schreibt er 1915, also nach knapp einem Jahr eines Großen Krieges: „Unsere Altmeister waren historische Köpfe und standen deshalb nicht auf dem unhistorischen Standpunkte Krieg ist Krieg, und jeder Krieg ist nach derselben Schablone zu messen. / Für sie hatte jeder Krieg seine bestimmten Voraussetzungen und Folgerungen, von denen abhing, wie sich die Arbeiterklasse zu ihm zu stellen habe. Über diese tatsächlichen Bedingungen eines Krieges sind sie wohl in mehr oder minder starke Meinungsverschiedenheiten geraten, aber immer nur unter dem entscheidenden Gesichtspunkt, wie der jeweilige Krieg am gründlichsten für den proletarischen Emanzipationskampf auszunutzen sei. Für ihre Klassenpolitik gab es keinen Unterschied zwischen Krieg und Frieden, es sei denn, daß sie im Kriege von der Arbeiterklasse eine noch schärfere Aufmerksamkeit auf ihre Interessen und ein noch rücksichtsloseres Eintreten für diese Interessen beanspruchten.“32

Folgerichtig bemerkt er bereits 1914 völlig im Einklang mit Clausewitz, daß Krieg nicht eine Sache des Rechts oder der Moral, sondern eine Sache der Interessen der Kriegführenden ist: „So ist der Krieg eine Sache der Politik, nicht aber eine des Rechts oder der Sittlichkeit oder gar der Strafjustiz. Krieg wird nicht geführt, um die Gegner für ihre angeblichen oder wirklichen Sünden zu strafen, sondern um den Widerstand zu brechen, der sich gegen die eigenen Interessen erhoben hat. Es ist auch keine Sache für sich, die ihren Zweck in sich selber trägt, sondern ein organischer Bestandteil einer Politik, an deren Voraussetzungen er gebunden ist und deren Bedürfnissen er seine Erfolge anzupassen hat.“33

Bereits 1907 verwirft er aus proletarischem Klasseninteresse die politische Frage von ‘Angriffs-’ vs. ‘Verteidigungskrieg’ als politisch sinnlose „Schraube ohne Ende“: „Das historische Wesen des Krieges hat sie [die Bourgeoisie, P.S.] aber erst in unvollkommener Weise begriffen, solange sie zwischen Angriffs- und Verteidigungskriegen unterscheidet und diesen Unterschied in irgendeiner Weise zur Richtschnur für ihre praktische Politik macht. […] Jeder Krieg ist ein Angriffs- und ein Verteidigungskrieg, nicht etwa so, daß der eine der beiden Gegner angreift und der andere sich verteidigt, sondern so, daß jeder der beiden Gegner sowohl angreift als auch sich verteidigt.“34 Für das proletarische Klasseninteresse folgt daraus: „Der erste Wind, der ein neues Kriegsgewitter zusammenbliese, würde auch den windigen Unterschied von Angriffs- und Verteidigungskriegen als Richtschnur der proletarischen Politik fortblasen. Allein deshalb sollten wir ihn schon heute abdanken, zumal auch die herkömmliche Wendung, daß wir im Verteidigungskrieg „auch“ die Flinte auf den Buckel nehmen würden, einen künstlichen Gegensatz zwischen nationalen und proletarischen Interessen zu schaffen scheint, der nur verwirren kann. Da die ungeheure Mehrheit jeder Kulturnation vom Proletariat gebildet wird, so sind die proletarischen Interessen eben auch die nationalen Interessen.“35

Bezeichnenderweise nimmt Mehring diese einfache Negation des Begriffspaars vom Angriffs- und Verteidigungskrieg 1914 in seinem großen Aufsatz „Kriegsgeschichtliche Probleme“, in dem er bemerkenswerterweise den unbestrittenen Überfall Preußens auf Sachsen 1756 und den damit ausgelösten Siebenjährigen Krieg als historische Folie nimmt,36 wieder auf. So schreibt er: „Auf politischem Gebiete sind […] Angriff und Verteidigung vollkommen verschwimmende Begriffe. Sind die Kriege ein Aufeinanderstoßen von Interessen, die sich auf friedlichem Wege nicht mehr ausgleichen lassen, so ist das geschichtliche Urteil über sie daran gebunden, ob der Sieg dieser oder jener Interessen für den geschichtlichen Fortschritt heilsamer sein würde, nicht aber an den rein zufälligen Umstand, ob der Tritt der Gemse die Lawine an diesem oder jenem Ende ins Stürzen bringt, oder etwa noch an die sehr nebensächliche Tatsache, ob die Diplomatie hüben wie drüben die Karten noch im letzten Augenblick geschickter zu mischen versteht. Jede kriegführende Partei behauptet in ihrem Kriegsmanifeste, daß sie ihre heiligsten Güter verteidige und erklärt die Antastung dieser Güter durch die andere kriegführende Partei für einen frevelhaften Angriff; jede tut es von ihrem Standpunkt aus mit gutem Glauben an ihr Recht. Dieser gute Glaube mag auf falschen Voraussetzungen beruhen, wie es denn eben die Aufgabe des Krieges ist, falsche Voraussetzungen zu berichtigen und den wirklichen Stand der Dinge klarzustellen. Aber Kriege von vornherein nach ganz äußerlichen und zufälligen Maßstäben in berechtigte Verteidigungskriege und unberechtigte Angriffskriege einzuteilen ist ein Unding und eine Unmöglichkeit. […] Wie immer man über die Beteiligung der Arbeiterklasse an Kriegen denken mag, so muß man die Unterscheidung zwischen Angriffs- und Verteidigungskrieg von vornherein und ein für allemal ausschalten. Sie besagt eben gar nichts und ist keine sicher strahlende Leuchte, sondern ein hin und her huschendes Irrlicht.“37 So bemerkenswert und so viel höher dieses Durchdringungsniveau des Begriffspaares auch ist als das, welches gegenwärtig etwa von meiner Partei zum besten gegeben wird, bereits im nächsten Jahr wird es Lenin neu begriffsbildend wiederum aufheben – dazu gleich.

Von dieser ersten Negation unberührt bleibt bei Mehring das Verständnis von ‘Eroberungskrieg’: Anders als mit dem Angriffs- oder Verteidigungskriege steht es mit dem Eroberungskriege. Über diesen Begriff ist eine Verständigung ebenso möglich wie notwendig. Der Tendenz nach ist jeder Krieg ein Eroberungskrieg, denn jede kriegführende Partei strebt danach, ihr Machtgebiet auf Kosten des Gegners zu erweitern, das heißt also etwas zu erobern, was sie bisher nicht besessen hat, was nicht immer in der Form zu geschehen braucht, daß dem Gegner Land und Leute abgenommen werden, aber gewöhnlich in dieser Form zu geschehen pflegt. / Wenn also der Tendenz nach jeder Krieg für jede der kriegführenden Parteien ein Eroberungskrieg ist, so verläuft die Sache in der Wirklichkeit so, daß es in einem Kriege nur dann zu keinen Eroberungen kommt, wenn beide Teile sich gegenseitig so abmatten, daß keiner dem anderen seinen Willen aufzuzwingen vermag wie im Siebenjährigen Kriege, soweit er sich auf dem europäischen Festlande abspielte. Siegt aber der eine Teil so, daß er dem Gegner die Friedensbedingungen zu diktieren vermag, so werden sich unter diesen Friedensbedingungen immer Eroberungen zu seinen Gunsten befinden. Die beliebte Vorstellung, als könne ein ruchlos angegriffener Staat nach erfolgreicher Abwehr des Feindes sich damit begnügen, das Schwert wieder in die Scheide zu stecken in dem beseligenden Bewußtsein, seine gute Sache siegreich durchgeführt zu haben, ist ebenfalls nur ein Gebilde der Märchenwelt. Solche Kriege sind nie geführt worden und werden auch niemals geführt werden, wenigstens nicht, solange es eine Klassengesellschaft gibt.“38 – Man kann es aktuell kleinbürgerlichen Verhandlungs-Projektemachern in ihr vermeintlich rotes Stammbuch schreiben.

Über Lenins Beiträge zum Verständnis der Dialektik von Krieg und Revolution ist auf der XII. Hauptfeindkonferenz vor zwei Jahren bereits ausführlich referiert worden.39 Ähnlich wie Mehring weist er das einfache Reklamieren des Etiketts ‘Verteidigungskrieg’ für die „eigene“ Seite durch die Renegaten der II. Internationale als undialektische Sophistik zurück: „Die primitivste aller Theorien ist wohl die vom „Anstifter“. Man hat uns überfallen, wir verteidigen uns; die Interessen des Proletariats erfordern, daß die Störer des europäischen Friedens abgewehrt werden. Das ist die alte Leier aus den Erklärungen aller Regierungen und aus den Deklamationen der gesamten bürgerlichen und gelben Presse der ganzen Welt. Plechanow beschönigt sogar noch eine so abgedroschene Banalität mit der bei diesem Schriftsteller unvermeidlichen jesuitischen Berufung auf die „Dialektik“: Unter Berücksichtigung der konkreten Situation müsse man vor allem den Anstifter des Krieges feststellen und mit ihm abrechnen, alle übrigen Fragen aber verschieben, bis eine andere Situation eingetreten sei […]. In der edlen Kunst, die Dialektik in Sophistik umzufälschen, hat Plechanow den Rekord geschlagen. Der Sophist greift einen der „Gründe“ heraus, und schon Hegel hat mit Recht gesagt, daß man „Gründe“ absolut für alles auf der Welt finden könne. Die Dialektik verlangt die allseitige Erforschung einer gegebenen gesellschaftlichen Erscheinung in ihrer Entwicklung sowie die Zurückführung des Äußerlichen und Scheinbaren auf die grundlegenden Triebkräfte, auf die Entwicklung der Produktivkräfte und den Klassenkampf. Plechanow greift aus der deutschen sozialdemokratischen Presse ein Zitat heraus: die Deutschen selber hätten vor dem Kriege Österreich und Deutschland als die Anstifter betrachtet – und damit basta. Darüber, daß die russischen Sozialisten wiederholt die Eroberungspläne des Zarismus in bezug auf Galizien, Armenien usw. enthüllt haben, schweigt Plechanow. Er macht nicht den leisesten Versuch, an die ökonomische und diplomatische Geschichte, sei es auch nur der letzten drei Jahrzehnte, zu rühren; diese Geschichte beweist aber unwiderleglich, daß gerade die Eroberung von Kolonien, die Ausplünderung fremder Länder, die Verdrängung und Ruinierung des erfolgreicheren Konkurrenten die Hauptachse der Politik beider heute kriegführender Mächtegruppen bildeten.“40

Und: „Was ist – allgemein gesprochen – „Vaterlandsverteidigung“? Ist das ein wissenschaftlicher Begriff der Ökonomie, der Politik oder dgl.? Nein. Das ist einfach der verbreitetste, gebräuchlichste, manchmal einfach spießbürgerliche Ausdruck für die Rechtfertigung eines Krieges. Sonst nichts, sonst absolut nichts! „Verräterisch“ kann daran nur sein, daß Spießbürger imstande sind, jeden Krieg zu rechtfertigen, indem sie erklären: „Wir verteidigen das Vaterland“, während der Marxismus, der sich nicht zum Spießbürgertum degradiert, die historische Analyse jedes einzelnen Krieges fordert, um festzustellen, ob dieser Krieg als fortschrittlich, den Interessen der Demokratie oder des Proletariats dienend und in diesem Sinne als ein berechtigter, gerechter usw. Krieg betrachtet werden kann. / Wenn man nicht Sinn und Bedeutung jedes einzelnen Krieges historisch zu analysieren vermag, ist die Losung der Vaterlandsverteidigung fast stets eine spießbürgerliche, von mangelndem Bewußtsein zeugende Rechtfertigung des Krieges. / Der Marxismus gibt eine solche Analyse und sagt: Wenn das „wahre Wesen“ eines Krieges zum Beispiel der Sturz einer Fremdherrschaft ist (wie dies insbesondere für Europa in der Epoche von 1789 bis 1871 typisch war), so ist dieser Krieg seitens des unterdrückten Staates oder der unterdrückten Nation fortschrittlich. Wenn das „wahre Wesen“ des Krieges die Neuverteilung der Kolonien, die Teilung der Beute, der Raub fremden Bodens ist (und solch ein Krieg ist der Krieg 1914-1916), dann ist die Phrase von der Vaterlandsverteidigung „reiner Volksbetrug“. / Wie kann man nun das „wahre Wesen“ eines Krieges erkennen, wie kann man es bestimmen? Der Krieg ist die Fortsetzung der Politik. Man muß die Politik vor dem Krieg, die Politik, die zum Krieg geführt und ihn herbeigeführt hat, studieren. War die Politik imperialistisch, d. h., verteidigte sie die Interessen des Finanzkapitals, war sie eine Politik der Ausplünderung und Unterdrückung von Kolonien und fremden Ländern, dann ist auch der Krieg, der sich aus dieser Politik ergibt, ein imperialistischer Krieg. War die Politik eine Politik der nationalen Befreiung, d. h., war sie Ausdruck der Massenbewegung gegen die nationale Unterdrückung, dann ist der Krieg, der sich aus dieser Politik ergibt, ein nationaler Befreiungskrieg. / Der Spießbürger begreift nicht, daß der Krieg die „Fortsetzung der Politik“ ist, er begnügt sich deshalb mit der Erklärung: „der Feind greift an“, „der Feind ist in mein Land eingefallen“, ohne sich Gedanken darüber zu machen, worum der Krieg geführt wird, von welchen Klassen, um welchen politischen Zieles willen. […] Für den Spießbürger ist es wichtig, wo die Truppen stehen, wer im Augenblick siegreich ist. Für den Marxisten ist es wichtig, worum der gegebene Krieg geführt wird, in dessen Verlauf bald das eine, bald das andere Heer siegreich sein kann.“41

Diese Ausführungen enthalten also auch implizite Bestimmungen dessen, was als ‘imperialistischer Krieg’, und was als ‘nationaler Befreiungskrieg’ gelten kann. Sie sind nicht eine Frage der Form, sondern des (Klassen-)Inhalts des Kriegs!

In seiner bedeutsamen Schrift „Sozialismus und Krieg“ von 1915 gelingt Lenin eine nicht zu unterschätzende theoretische Innovation im Verständnis des Charakters von Kriegen, indem er das Begriffspaar ‘Angriffs-’ vs. ‘Verteidigungskrieg’ mit dem – ursprünglich aus der antiken Rechtstradition (Cicero) kommenden – Begriffspaar des ‘ungerechten’ vs. ‘gerechten Kriegs’ zusammenbringt, identifiziert und klassenmäßig reinterpretiert: „Die Epoche von 1789 bis 1871 hinterließ tiefe Spuren und revolutionäre Erinnerungen. Vor dem Sturz des Feudalismus, des Absolutismus und der Fremdherrschaft konnte von einer Entwicklung des proletarischen Kampfes um den Sozialismus nicht die Rede sein. Sprachen die Sozialisten im Hinblick auf die Kriege einer solchen Epoche von der Berechtigung des „Verteidigungs“krieges, so hatten sie stets gerade diese Ziele, das heißt die Revolution gegen Mittelalter und Leibeigenschaft im Auge. Die Sozialisten verstanden unter einem „Verteidigungs“krieg stets einen in diesem Sinne „gerechten“ Krieg (wie sich Wilhelm Liebknecht einmal ausdrückte). Nur in diesem Sinne erkannten und erkennen jetzt noch die Sozialisten die Berechtigung, den fortschrittlichen und gerechten Charakter der „Vaterlandsverteidigung“ oder des „Verteidigungs“krieges an. Wenn zum Beispiel morgen Marokko an Frankreich, Indien an England, Persien oder China an Rußland usw. den Krieg erklärten, so wären das „gerechte“ Kriege, „Verteidigungs“kriege, unabhängig davon, wer als erster angegriffen hat, und jeder Sozialist würde mit dem Sieg der unterdrückten, abhängigen, nicht gleichberechtigten Staaten über die Unterdrücker, die Sklavenhalter, die Räuber über die „Groß“mächte sympathisieren. / Aber stellen wir uns einmal vor, ein Sklavenhalter, Besitzer von 100 Sklaven, läge im Krieg mit einem anderen Sklavenhalter, Besitzer von 200 Sklaven, um die „gerechtere“ Neuaufteilung der Sklaven. Es ist klar, daß die Anwendung der Begriffe „Verteidigungs“krieg oder „Vaterlandsverteidigung“ auf einen solchen Fall historisch verlogen und praktisch ein glatter Betrug wäre, begangen von gerissenen Sklavenhaltern am einfachen Volk, an den Kleinbürgern, an der unaufgeklärten Masse. Ganz genauso werden im gegenwärtigen Krieg, den die Sklavenhalter führen, um die Sklaverei aufrechtzuerhalten und zu verstärken, die Völker von der heutigen imperialistischen Bourgeoisie mittels der „nationalen“ Ideologie und des Begriffs der Vaterlandsverteidigung betrogen.“42

Diese Identifikation hat folgenreiche theoretische Konsequenzen: Wenn der Krieg der Unterdrückten gegen die Unterdrücker ein gerechter, mithin der Krieg der Unterdrücker ein ungerechter Krieg ist und diese beiden Konzepte mit der politischen Dimension von Verteidigung und Angriff identifiziert werden, dann ist die Unterdrückung selbst als ein Angriff des Unterdrückers auf den Unterdrückten zu verstehen, ganz gleich in welcher Form – militärisch oder auch nicht – sie stattfinden mag. Diese Konsequenz hebt Clausewitz’ Erkenntnis vom unvermeidbar politischen Charakter des Krieges auf eine neue Stufe: Die Frage der Gerechtigkeit holt die Politik in die Beschreibung des Charakters des Krieges selbst, dergestalt, daß sie nicht möglich ist, ohne daß die Unterdrückung – ungeachtet ihrer konkreten Gestalt – als ‘Angriff’ in die Gleichung eingeführt wird. ‘Politik’ und ‘Krieg’ geraten in eine ‘Politisch-Militärische Verrechnung’, deren materielle Wirklichkeit unmittelbar sichtbar wird im implosiven Zurückschlagen des ungerechten Kriegs in den revolutionären Sturz der ihn verantwortenden Herrschaft – fanalhaft im Roten Oktober 1917.

Die ‘Politisch-Militärische Verrechnung’ ist von diesem Punkt an unverzichtbares Werkzeug der Beschreibung des Charakters von Kriegen wie der revolutionären Strategie und Taktik: Ungeachtet des grundsätzlichen Primats der Politik kann jede einzelne strategische Etappe wie jede taktische Maßnahme der proletarischen Revolution als ‘Politik’ oder als ‘Krieg’ in Erscheinung treten. Vo Nguyen Giap theoretisiert dies im Zusammenhang mit dem Befreiungskrieg in Vietnam so: Der Aufstand ist eine Kunst, und zum wesentlichen Inhalt dieser Kunst gehört, daß man jede Änderung der politischen Situation der jeweiligen Form des Kampfes flexibel anpaßt, daß man den Zusammenhang von politischem und bewaffnetem Kampf keinen Moment aus dem Auge verliert. […] Die Formen des Kampfes bestimmen die der Arbeit und Organisation.“43

Mao bringt die Politisch-Militärische-Verrechnung auf folgende Formel: „Die Politik ist Krieg ohne Blutvergießen, der Krieg ist Politik mit Blutvergießen.“44 Dies vor dem Hintergrund der Lage im China der 1930er und 40er Jahre, in der revolutionäre Politik überhaupt nur in der Gestalt des ‘revolutionären Krieges’ auftreten konnte, der sich als ‘langwieriger’ bzw. ‘langdauernder Volkskrieg’ theoretisch verallgemeinern läßt. Auch darüber wurde bereits auf der XII. Hauptfeindkonferenz ausführlich referiert. Der belgische Kommunist Théodor Derbent schreibt über diese zweite Art des gerechten Kriegs folgendes: der langdauernde Volkskrieg, die marxistisch-leninistische Form des revolutionären Krieges, ist in folgenden Belangen eindeutig bestimmt: / 1. Er charakterisiert sich zwar vom Anfang bis zum Ende durch den Einsatz des Guerillakrieges, kombiniert aber den Guerillakrieg, den klassischen Krieg, den psychologischen Krieg , den Geheimkrieg, den Terrorismus und den aufständischen Krieg je nach der Entwicklungsstufe, wobei die ersten Guerillaeinheiten eigentlich eine in ihrer Entwicklung begriffene konventionelle Armee bilden. / 2. Er hat kein begrenztes und spontanes Ziel (wie etwa die nationale Befreiung), sondern einen totalen und präzisen Zweck (soziale Revolution und Diktatur des Proletariats), er ist ein Vernichtungskrieg, das Wesen des Kriegszieles gebietet als Ziel den totalen militärischen Sieg über die gegnerischen Streitkräfte. / 3. Zu Beginn ist ihm die militärische Abnutzung des Gegners weniger wichtig als dessen ideologische und politische Abnutzung durch die Bestätigung der Legitimität des revolutionären Kampfes und die Aufklärung über die politischen und ideologischen Kunstgriffe, auf die das Regime seine eigene Legitimität zu gründen versucht. / 4. Jeder militärische Fortschritt ist mit einem politischen Fortschritt verbunden, mit dem auf die eine oder andere Art die Entwicklung der neuen Macht in der Gesellschaft verankert wird (in befreiten Gebieten der Dritten Welt, innerhalb von Massenorganisationen wie z.B. Gewerkschaften, in Netzwerken aus Aktivisten in den Metropolen usw.). / 5. Einer langen Phase der strategischen Verteidigung und taktischen Angriffe, die durch die Anhäufung der Kräfte und eine im wesentlichen politisch-ideologische Schlacht geprägt ist, folgt eine kürzere offensive Phase, deren Ziel die Vernichtung der bewaffneten Kräfte des Regimes ist.“45

Wir sehen hier, daß die auf Delbrück zurückgehende Unterscheidung von Niederwerfungsstrategie’ vs. ‘Ermattungsstrategie’ als ‘Vernichtungs-’ vs. ‘Zermürbungskrieg’ mit strategischer Relevanz unvermeidbar wieder auftaucht: Ein nationaler Befreiungskrieg kann – je nach Kräfteverhältnissen – durchaus erfolgreich auch als Zermürbungskrieg geführt werden.46 Für einen revolutionären Krieg – mit welchen militärischen und politischen Anteilen auch immer – kann nur das Handlungsunfähigmachen des Hauptfeinds im eigenen Land als akzeptable Strategie angesehen werden.47 Für einen revolutionären Befreiungskrieg in einem abhängigen Land, regiert von einer Kompradorenbourgeoisie, kann die Unterscheidung beider strategischer Arten des Krieges für unterschiedliche strategische Etappen relevant werden: Die Imperialisten können gegebenenfalls in einem Zermürbungskrieg aus der Rechnung geworfen werden, so daß das strategische Ziel der Vernichtung nur noch auf die übrigbleibenden Kompradoren zu richten ist.48

Für uns ist unbedingt festzuhalten: Die ‘Politisch-Militärische Verrechnung’ ist eine explizite theoretische Errungenschaft der internationalen Arbeiterklasse und der mit ihr verbündeten unterdrückten Völker. Der Klassenfeind kann sie weder theoretisch noch praktisch vollständig nachvollziehen und ist damit seit dem Roten Oktober in einem grundsätzlichen strategischen Hintertreffen, das er nicht überwinden kann. Der Grund ist sehr einfach: Die Unterdrückung ist die Lebensgrundlage und Existensbedingung des Unterdrückers; er kann sie nicht zur Disposition stellen und von ihr absehen – weder strategisch noch auch nur taktisch. Der Klassenfeind kommt aus der Rolle des Angreifers mit den dieser eigenen Schwächen nicht hinaus. Oder andersherum formuliert: Der Klassenfeind muß von seinem Bewußtseinshorizont eine Entscheidung darüber fällen, ob er den Krieg als – zwingend riskantes und vom Ergebnis her unsicheres – fortsetzendes Mittel seiner Politik wählt oder nicht. Eine analoge Entscheidung muß die Arbeiterklasse nicht fällen; da sie bereits angegriffen ist, ist der gerechte Krieg schon in der Politik der Klasse impliziert; sie muß lediglich entscheiden, wann und wie sie zur offensiven Verteidigung mit dem Ziel der Abschaffung des Kriegs überhaupt übergeht, das sie grundsätzlich erreichen kann.

Sichtbar wird dieses grundsätzliche Unvermögen des Klassenfeinds, eine politsch-militärische Verrechnung im o.g. Sinne zu betreiben, daran, daß die sich im Zeitalter der proletarischen Revolutionen und antikolonialen Befreiungskämpfe ergebenden Änderungen der Kriegführung von imperialistischen Militärtheoretikern sehr wohl wahrgenommen und nachvollzogen werden wollen, dies aber nur eben auf einer formalen, vom Klasseninhalt absehenden, Weise geschehen kann. Folgerichtig können hier auch lediglich „Strategien der Mittel“ entwickelt werden, da das politische Ziel der imperialen Kriegführung – die Aufrechterhaltung der Unterdrückung – in keiner Weise relativiert oder etappenmäßig modifiziert werden kann. Dies soll an den Beispielen Ludendorff und Beaufre knapp gezeigt werden.

Das wesentlich von Ludendorff 1935 formulierte Konzept des ‘Totalen Kriegs’ ist eine Reaktion auf die Erfahrung der militärischen Niederlage des deutschen Imperialismus im Ersten Weltkrieg und des Umschlagens des imperialistischen Kriegs in die proletarische Revolution.49 Dieses Konzept ist charakterisiert durch die totale Mitteleskalation, die grundsätzlich alle und jeden und alles und jedes in die Kriegführung einbezieht: „So richtet sich also der totale Krieg nicht nur gegen die Wehrmacht, sondern auch unmittelbar gegen die Völker. Das ist unerbittliche und eindeutige Wirklichkeit, und alle nur erdenklichen Kriegsmittel werden in den Dienst dieser Wirklichkeit gestellt und sind in ihren Dienst zu stellen.“50 Es ist verbunden mit einem klassennegierenden biologischen Verständnis des kriegführenden Staatswesens. „Das Wesen des totalen Krieges bedingt es, daß er nur geführt werden kann, wenn wirklich das ganze Volk in seiner Lebenserhaltung bedroht und entschlossen ist, ihn auf sich zu nehmen.“51 Vor den Erfahrungen der Oktober- und besonders der Novemberrevolution liegt éin Zweck in der Mitteleskalation in der maximalen Verkürzung des Krieges, der nur als Niederschlagungskrieg denkbar ist: „[…] die Führung eines totalen Krieges [wird] drauf ausgehen, den eintretenden Krieg so schnell als möglich zu beenden, um nicht durch die Schwierigkeiten, unter denen Volk und Kriegführung in einem langen Kriege nur zu leicht leiden können, den Ausgang des Krieges zu gefährden. Dies bedingt natürlich, daß zu Beginn eines Krieges von vorneherein die gesamte Volkskraft in einer gut ausgebildeten, gut ausgerüsteten und gut gegliederten Wehrmacht der Kriegführung zur Verfügung gestellt wird, und nicht vieles nachzuholen ist.“52 Wenn also bereits auf der XII. HFK konstatiert wurde, daß der Faschismus u.a. zu bestimmen ist als Politik zum Zweck des imperialistischen Krieges53 – die Entwicklung in der Ukraine nach dem Euro-Maidan 2014 bestätigt dies wie im Bilderbuch –, so wird dies bei Ludendorff bezüglich einer von ihm so genannten ‘totalen Politik’ wie folgt ausformuliert: Da der Krieg die höchste Anspannung eines Volkes für seine Lebenserhaltung ist, muß sich die totale Politik auch schon im Frieden auf die Vorbereitung dieses Lebenskampfes eines Volkes im Kriege einstellen und die Grundlage für diesen Lebenskampf in einer Stärke festigen, daß sie nicht in dem Ernst des Krieges verschoben, brüchig oder durch Maßnahmen des Feindes völlig zerstört werden kann.“54 Zwei Dinge sind m.E. in bezug auf Ludendorffs Darstellung der faschistischen Ausprägung des imperialistischen Kriegs festzuhalten: Zum einen ist ersichtlich, daß der Zusammenfall von ‘Zweck’ und ‘Ziel’ in Theoretikastereien Ludendorffs über den ‘Totalen Krieg’ wenig bis nichts gemeinsam hat mit der klaren politischen Zielbestimmung in der idealistischen Vorstellung des ‘Absoluten Kriegs’ des Theoretikers des nationalen Befreiungskrieges Clausewitz, von dem sich Ludendorff ja – wenn auch logisch inkonsistent – vehement absetzt.55

Zum anderen bildet Ludendorff negativ das Konzept des ‘antifaschistischen Kriegs vor, der aus der Perspektive der Arbeiterklasse neben dem ‘nationalen Befreiungskrieg’ und dem ‘revolutionären Krieg’ die dritte Art des gerechten Kriegs darstellt. Mit dem ‘nationalen Befreiungskrieg’ hat der ‘antifaschistische Krieg’ gemeinsam, daß er lediglich eine strategische Etappe des politisch-militärischen Befreiungskampfs der Arbeiterklasse darstellt, mit dem ‘revolutionären Krieg’, daß er nur unter einer politisch-militärischen Niederschlagungsstrategie geführt werden kann. Implizit bestimmt Stalin den ‘antifaschistischen Krieg’ in seiner Festrede zum 24. Jahrestag der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution am 6. November 1941, am Wendepunkt der Schlacht um Moskau: „Zum Unterschied von Hitlerdeutschland führen die Sowjetunion und ihre Bundesgenossen einen Befreiungskrieg, einen gerechten Krieg, der auf die Befreiung der unterjochten Völker Europas und der UdSSR von der Hitlertyrannei abzielt. Darum müssen alle ehrlichen Menschen die Armeen der UdSSR, Großbritanniens und der anderen Verbündeten als Befreiungsarmeen unterstützen. / Wir haben keine Kriegsziele und können keine Kriegsziele haben wie die Eroberung fremder Gebiete oder die Unterwerfung fremder Völker, ganz gleich, ob es sich um Völker und Gebiete Europas oder um Völker und Gebiete Asiens, darunter auch Irans, handelt. Unser erstes Ziel besteht darin, unsere Gebiete und unsere Völker vom faschistischen deutschen Joch zu befreien. / Wir haben keine Kriegsziele und können keine Kriegsziele haben wie etwa das Ziel, den slawischen und den anderen unterjochten Völkern Europas, die von uns Hilfe erwarten, unseren Willen und unser Regime aufzuzwingen. Unser Ziel besteht darin, diesen Völkern in ihrem Befreiungskampf gegen die Hitlertyrannei zu helfen und es ihnen dann zu überlassen, sich auf ihrem Boden völlig frei so einzurichten, wie sie das wollen. Keinerlei Einmischung in die inneren Angelegenheiten der anderen Völker! / Um aber diese Ziele verwirklichen zu können, gilt es, die militärische Macht der deutschen Eindringlinge zu zerschmettern, gilt es, alle deutschen Okkupanten, die in unser Heimatland eingedrungen sind, um es zu unterjochen, bis auf den letzten Mann auszutilgen.“56 Und: „Die deutschen Landräuber wollen den Vernichtungskrieg gegen die Völker der UdSSR. Nun wohl, wenn die Deutschen einen Vernichtungskrieg wollen, so werden sie ihn bekommen.“57 Und im Jahr darauf: „Wir führen einen großen Befreiungskrieg. Wir führen ihn nicht allein, sondern gemeinsam mit unseren Verbündeten. Er bringt uns den Sieg über die niederträchtigen Feinde der Menschheit, über die faschistischen deutschen Imperialisten. Auf dem Banner des Sieges steht geschrieben: […] Es lebe die Befreiung der Völker Europas von der Hitlertyrannei! […] Es lebe die Freiheit und Unabhängigkeit unserer ruhmreichen Sowjetheimat! […] Fluch und Tod den faschistischen deutschen Okkupanten, ihrem Staat, ihrem Heere, ihrer „Neuordnung Europas“!“58

Auf den ersten Blick wie eine elegante und geistreiche Gegenwelt zur stumpfen Kraftmeierei des notorischen Putsch-Generals Ludendorff – oder wie ein Florett gegenüber einer Nagelkeule – wirkt das Konzept der „Revolutionierung des Kriegsbildes“ des französischen Kriegstheoretikers André Beaufre.59 Es fußt auf der Erkenntnis eines Nuklearen Patts der Blöcke des Kalten Kriegs wie der Erfahrung der imperialistischen Niederlagen in den asymmetrischen Kriegen im Trikont, namentlich Algerien und Indochina. Komplementär zu Ludendorff zielt Beaufre nicht auf eine Eskalation, sondern auf eine Begrenzung des Krieges und auf die Adaption von Taktiken und Strategien der Befreiungsbewegungen, zu denen eine „Hybridisierung“ des Krieges – um eine Modevokabel zu benutzen – ebenso gehört wie die Wiederentdeckung von Ermattungsstrategien, die eines militärischen Sieges nicht bedürfen: „Die neue Grundregel besagt, man müsse in materieller Hinsicht die Beschränkung des Krieges hinnehmen, dürfe hingegen im Bereich der Psychologie keine Grenzen setzen. […] Im Grund bedeutet dies den Übergang vom materialistischen Kriegskonzept (das von der wesentlich logistischen amerikanischen Strategie ausgebildet wurde) zum psychologischen Kriegskonzept. […] Die traditionelle Strategie war eine direkte militärische Strategie, in der die psychologische Entscheidung indirekt dank der militärischen Mittel herbeigeführt wird. Die neue Strategie ist eine sehr indirekte Militärstrategie, in der die pychologische Entscheidung direkt durch den vorrangigen Einsatz psychologischer Mittel gesucht wird. / Es handelt sich hier um sehr verschiedenartige psychologische Mittel, die von der Propaganda bis zur politischen und wirtschaftlichen Indoktrinierung, von der Androhung internationaler Pression bis zur Gewaltandrohung reichen. Die bewaffnete Macht wirkt nur in dem Maße ein, wie sie ein psychologisches Ergebnis zu erzielen vermag; militärische Erfolge erweisen sich als nutzlos, wenn es nicht gelingt, sie psychologisch zu nutzen. / Der Krieg erhält damit eine psychologische Dimension: Das Ziel ist es zu überzeugen: den Gegner von der Notwendigkeit der Kapitulation, den Kämpfenden vom Gebot höchster Opferbereitschaft, die Bevölkerung von der Pflicht durchzuhalten und den Mut nicht zu verlieren! Die revolutionären Taktiken eignen sich hierfür in ganz besonderem Maße, und die neue Strategie wird deshalb immer stärker auf diese zurückgreifen und an die Gefühle und Leidenschaften appellieren.“60 Ebenfalls komplementär zu Ludendorff zielt Beaufre auf die Fähigkeit, auch langwierige imperialistische Kriege zu führen, da nur dies als erfolgversprechende Antwort gesehen wird auf die Fähigkeit der Unterdrückten, mit einer gewissen Selbstverständlichkeit langwierige Befreiungskriege führen zu können: „Ein langer Krieg vermag nur mit beschränkten Mitteln geführt zu werden. Der Versuch, unter gewaltigem Aufwand eine schnelle Entscheidung zu erzwingen, schlägt zugunsten des auf einen langen Konflikt eingestellten Gegner aus!“61

Lenin schreibt im Frühjahr 1915: Nie ist eine Regierung auf die Zustimmung aller Parteien der herrschenden Klassen und auf die „friedliche“ Unterwerfung der unterdrückten Klassen unter diese Herrschaft so sehr angewiesen wie während eines Krieges.“62 Zu den Gemeinsamkeiten der Konzepte Ludendorffs und Beaufres gehört nicht nur, daß sie lediglich „Strategien der Mittel“ präsentieren, die dauerhaft gegen „Strategien des (überlegenen) Ziels“ wirkungslos bleiben müssen, da sie die Bedingung des Krieges, die Unterdrückung selbst, nicht beenden können. Gemeinsam ist ihnen auch, daß sie den von Lenin erwähnten klassenübergreifenden gesellschaftlichen Konsens sicherstellen müssen. Dies setzt eine absolute Kontrolle der sog. „öffentlichen Meinung“ durch die Herrschenden voraus; dies gilt für den vermeindlich softeren Beaufre, der ja lange Ermattungskriege mit starken psychologischen Elementen anstrebt, vielleicht sogar noch mehr als für den faschistischen Blitzkrieger Ludendorff. Der Faschismus bleibt so oder so innerer Begleiter imperialistischer Kriege, wie auch immer er sich kostümieren mag; auf Breeches und Nagelstiefel ist er jedenfalls nicht angewiesen. Wir dürfen das in der gegenwärtigen Lage nicht einen Moment vergessen.

Womit wir bei der Beurteilung der konkreten Lage angekommen wären. – Jeder Krieg ist konkret. Ich zitiere Lenin: „Es gibt Kriege und Kriege. Man muß untersuchen, aus welchen historischen Bedingungen heraus der betreffende Krieg entstanden ist, welche Klassen ihn führen und mit welchem Ziel sie ihn führen. Tun wir das nicht, so werden alle unsere Erörterungen über den Krieg nichts als Strohdrescherei, nichts als fruchtlose Wortklauberei sein.“63 Dies ist richtig und unabdingbar für richtiges Handeln. Dennoch möchte ich darauf hinweisen, wo Schwierigkeiten liegen können, die die Lösung der bei Lenin so präzise benannten Aufgabenstellung gefährden können.

Zum einen ist es die aktuale Kriegsführung der jeweiligen Parteien selbst, die notwendige Daten liefern kann. Sie ist in einem Umfang so weit unvorhersagbar, daß aus dem konkreten Verlauf kriegerischer Handlungen nicht ohne weiteres die jeweiligen taktischen und strategischen Ziele der kriegführenden Parteien erkennbar sind, die ja notwendig Abdruck der politischen Ziele sein müssen. Ich zitiere hierzu Clausewitz: „Das Kriegführen selbst ist sehr schwer, das leidet keinen Zweifel; allein die Schwierigkeit liegt nicht darin, daß besondere Gelehrsamkeit oder großes Genie erfordert würde, die wahren Grundsätze des Kriegführens einzusehen; dies vermag jeder gut organisierte Kopf, der ohne Vorurteil und mit der Sache nicht durchaus unbekannt ist. Selbst die Anwendung dieser Grundsätze auf der Karte und dem Papier hat keine Schwierigkeit, und einen guten Operationsplan entworfen zu haben, ist noch kein großes Meisterstück. Die ganze Schwierigkeit besteht darin: den Grundsätzen, welche man sich gemacht hat, in der Ausführung treu zu bleiben.64 Und Moltke der Ältere – den bürgerlichen Kriegsfeuilletonisten ins Stammbuch –: Kein Operationsplan reicht mit einiger Sicherheit über das erste Zusammentreffen mit der feindlichen Hauptmacht hinaus. Nur der Laie glaubt, in dem Verlauf eines Feldzuges die konsequente Durchführung eines im voraus gefaßten, in allen Einzelheiten überlegten und bis ans Ende festgehaltenen, ursprünglichen Gedankens zu erblicken.“65

Konkret: Verfolgt Rußland in seiner Militäroperation in der Ukraine eine Niederschlagungs- oder eine Ermattungsstrategie? Die Frage ist auch klassenpolitisch relevant – ich komme gleich darauf zurück. Die ersten Aktionen Rußlands mit den Vorstößen auf Kiew legten eine Niederschlagungsstrategie nahe, es sei denn, man hätte lediglich ein nur taktisches Binden feindlicher Kräfte im Auge gehabt. Ich weiß es nicht. Jetzt sieht alles nach einer Ermattungsstrategie aus. Hat es also einen Strategiewechsel gegeben? Ich weiß es ebenfalls nicht. Daß die ukrainische Strategie nicht autonom ist, weil abhängig vom Imperialismus, macht die Analyse nicht einfacher.

Aber auch die Klassenlage eines Krieges kann diffus oder umschlagend sein. So schreibt Mehring über die Phase der deutschen Einigungskriege, daß sich in ihnen „immer noch revolutionäre, aber auch schon reaktionäre Elemente so wunderlich mischten, [so] daß sie selbst unter ehrlichen und konsequenten Revolutionären mancherlei Zwiespalt hervorrufen konnten und hervorgerufen haben.“66 Lenin weist in seiner Replik auf Rosa Luxemburgs „Junius“-Broschüre auf die Möglichkeit des dialektischen Umschlagens des Charakters in verschiedene Richtungen hin, die abhängig sind von der Gesamtlage, aber keinesfalls davon entbinden, den Charakter eines Krieges bestimmen zu müssen: „Selbstverständlich ist es ein Grundsatz der marxistischen Dialektik, daß alle Grenzen in der Natur und in der Gesellschaft bedingt und beweglich sind, daß es keine einzige Erscheinung gibt, die nicht unter gewissen Bedingungen in ihr Gegenteil umschlagen könnte. Ein nationaler Krieg kann in einen imperialistischen umschlagen und umgekehrt. […] Nur ein Sophist könnte den Unterschied zwischen einem imperialistischen und einem nationalen Krieg mit der Begründung verwischen, daß der eine in den anderen umschlagen kann.“67 Dabei bleiben auch vermeintlich historische Charaktere des Kriegs originär weiterhin möglich: „Nationale Kriege der Kolonien und Halbkolonien sind in der Epoche des Imperialismus nicht nur wahrscheinlich, sondern unvermeidlich. […] Die Fortsetzung der Politik der nationalen Befreiung in den Kolonien werden zwangsläufig nationale Kriege der Kolonien gegen den Imperialismus sein. Solche Kriege können zu einem imperialistischen Krieg der jetzigen imperialistischen „Groß“mächte führen, können aber auch nicht dazu führen – das hängt von vielen Umständen ab. […] [Man] darf […] selbst in Europa nationale Kriege in der Epoche des Imperialismus nicht für unmöglich halten. Die „Ära des Imperialismus“ hat den jetzigen Krieg zu einem imperialistischen gemacht, sie wird unweigerlich (solange nicht der Sozialismus kommt) neue imperialistische Kriege erzeugen, sie hat die Politik der jetzigen Großmächte zu einer durch und durch imperialistischen gemacht, aber diese „Ära“ schließt keineswegs nationale Kriege aus, z. B. von Seiten der kleinen (nehmen wir an, annektierten oder national unterdrückten) Staaten gegen die imperialistischen Mächte, wie sie auch im Osten Europas nationale Bewegungen in großem Maßstab nicht ausschließt.“68

Die aktuellen Schwierigkeiten, den gegenwärtigen Krieg bezüglich seiner Klassengerechtigkeit richtig einzuschätzen, hängen an zwei Perspektiven:

a) hinsichtlich des Klassencharakters der beteiligten Einzelstaaten: Wir verfügen noch über kein akzeptiertes Modell des postkonterrevolutionären Kapitalismus in einem ehemaligen alten sozialistischen Hauptland. Ist Rußland nur schon deshalb imperialistisch, weil es dort Monopole gibt? Wie verhalten sich kompradorische und nationale Elemente in der postsozialistischen Bourgeoisie? Welche Rolle spielen erhaltene Positionen der Arbeitermacht? Weiter: Der imperialistische Kettenhundcharakter des ukrainischen Regimes ist nicht zu bezweifeln. Aber herrscht dort bereits ein entwickelter Faschismus oder besteht lediglich eine starke Tendenz zu seiner Entwicklung? Der bisherige Verlauf des Krieges schafft keine Klarheit. Ist der Krieg Rußlands bereits ein antifaschistischer Krieg oder lediglich ein nationaler Verteidigungskrieg mit großrussisch-chauvinistischen Anteilen? Der antifaschistische Krieg setzt eine Niederschlagungsstrategie voraus, der nationale kann auch als Ermattungskrieg geführt werden. Bisher sehe ich eher die Tendenz der russischen Bourgeoisie, sich um das revolutionäre Risiko eines antifaschistischen Krieges herumzumogeln. Dies schließt nicht aus, daß er dennoch nicht zur nationalen Notwendigkeit werden kann. Der Krieg selbst wird die Klarheit schaffen.

b) hinsichtlich des Klassencharakters der internationalen Gesamtlage: Ist sie lediglich bestimmt durch die unvermeidbare zwischen-imperialistische Konkurrenz,69 nur weil es kein internationales sozialistisches Lager mehr gibt? Oder befinden wir uns in der Phase einer Herausbildung einer internationalen imperialistisch-antiimperialistischen Frontlinie?70 Davon ausgehend, daß der russisch-ukrainische Krieg lediglich einer der einleitenden Teile eines größeren Konfliktes sein wird, wird auch in dieser Frage der Krieg selbst zur Klärung beitragen.

Um die Beantwortung dieser Fragen werden wir nicht herumkommen; keine noch so richtige strategische Orientierung auf den Hauptfeind wird sie uns abnehmen. Ich zitiere daher zum Abschluß Karl Liebknecht aus einer im Zuchthaus Luckau 1917 entstandenen Notiz: „Unsere Stellung zum Krieg ist durchaus international: in der politischen, sozialen, wirtschaftlichen Orientierung des Urteils; in der Aktion und ihren Mitteln; im Ziel. […] Das Ziel unseres Krieges gegen den Krieg ist international; international ist das Maß, nach dem wir die möglichen Kriegsereignisse abwägen: der internationale Gesamteffekt für das Weltproletariat ist’s, nach dem wir fragen, den wir so günstig wie möglich zu gestalten suchen. / Internationaler Klassenkampf gegen den imperialistischen Krieg – das bedeutet kein plumpes, starres, in jedem Lande isoliert für sich und in stiermäßigem Drauflosrennen zu befolgendes Schema, sondern einen lebendigen organischen Prozeß, einen einheitlich zusammenhängenden Prozeß über die ganze Welt des Gegensatzes zwischen Kapital und Arbeit. Über diese ganze Welt erstreckt sich unsere Beobachtung und Beurteilung jenes Prozesses und seiner Entwicklung. In der Gesamtheit aller Länder und in jedem einzelnen Land richten wir unser Verhalten nach dieser internationalen Beurteilung ein, um den höchstmöglichen Gesamteffekt[,] die Stärkung der revolutionären Macht des Proletariats – als einer Einheit – zu erzielen. […] Jederzeit ist die höchsterreichbare internationale Wechselwirkung im revolutionär-sozialistischen Sinne anzustreben, jeweils die Wirkung der politischen Haltung nicht nur im eignen einzelnen Lande, sondern in allen Ländern zu beachten und zu berechnen. An den Angel- und Schlüsselpunkten der Lage ist die größte Energie einzusetzen.“71

¡Hasta la victoria siempre!

1Franz Mehring: Krieg und Politik, Bd. 1 (Militärpolitische und militärgeschichtliche Aufsätze), Berlin 1959, S. 403 (in: Kriegsgeschichtliche Streifzüge (1907/08)).

2Carl von Clausewitz: Vom Kriege. Ungekürzter Text. München 2000, S. 657.

3Ebd., S. 657.

4Ebd., S. 27.

5Ebd., S. 27f.

6Ebd., S. 19.

7Ebd., s. 44

8Ebd., S. 683.

9Ebd., S. 35.

10So Lenin 1915 in „Sozialismus und Krieg“: „Der Krieg ist eine bloße Fortsetzung der Politik mit andern“ (nämlich: gewaltsamen) „Mitteln“ / Dieser berühmte Ausspruch stammt von Clausewitz, einem der geistvollsten Militärschriftsteller. Die Marxisten haben diesen Satz mit Recht stets als theoretische Grundlage ihrer Auffassungen von der Bedeutung eines jeden konkreten Krieges betrachtet. Marx und Engels haben die verschiedenen Kriege stets von diesem und keinem anderen Standpunkt aus beurteilt.“ LW, Bd. 21, S. 304f. – Ähnlich u.a. ebd., S. 212f. (in: Der Zusammenbruch der II. Internationale), Bd. 22, S. 166 (in: Über das „Friedensprogramm“), S. 172 (in: Vorschläge des Zentralkomitees des SDAPR), S. 315f. (in: Über die Junius-Broschüre), Bd. 23, S. 126 (in: Über den Separatfrieden), Bd. 24, S. 396f. (in: Krieg und Revolution).

11Vgl. Carl von Clausewitz: Die wichtigsten Grundsätze des Kriegsführens zur Ergänzung meines Unterrichts bei Sr. königlichen Hoheit dem Kronprinzen. In: Günter Dill (Hg.): Clausewitz in Perspektive. Materialien zu Carl von Clausewitz: Vom Kriege. Frankfurt/M, Berlin, Wien 1980 S. 9-44, hier S. 37: „Der strategische Angriff geht dem Zwecke des Krieges unmittelbar nach […]. Daher kommt es, daß die Grundsätze des Angriffs in den allgemeinen Grundsätzen der Strategie schon enthalten sind.“

12Ebd. S. 34f.

13Carl von Clausewitz: Ausgewählte militärische Schriften. Berlin 21981, S. 207f. (in: Bekenntnisdenkschrift).

14Carl von Clausewitz: Vom Kriege. Ungekürzter Text. München 2000, S. 214.

15Ebd., S. 58.

16Ebd., S. 529f.

17Ebd., S. 530f.

18Ebd., S. 684.

19Ebd., S. 19.

20Ebd., S. 53.

21Ebd., S. 654-656.

22Ebd., S. 669.

23Ebd. S. 19.

24Hans Delbrück: Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte. Vierter Teil: Neuzeit. Berlin 1920, S. 334f.

25Franz Mehring: Krieg und Politik, Bd. 1 (Militärpolitische und militärgeschichtliche Aufsätze), Berlin 1959, S. 265-336 (Eine Geschichte der Kriegskunst).

26So Ebd., S. 451-456 (in: Kriegsgeschichtliche Streifzüge), S. 543 (in: Kriegsgschichtliche Probleme).

27Ebd., S. 30f. (in: Heinz Helmert: Einleitung). – Vgl. auch Franz Mehring: Gesammelte Schriften, Bd. 8 (Zur Kriegsgeschichte und Militärfrage), Berlin 1967, S. 10ff. Heinz Helmert: Vorwort zum 8. Band).

28Vgl. Friedrich Engels: „Die Dialektik, die ebenso keine hard and fast lines, kein unbedingtes allgültiges Entweder-Oder! kennt, die die fixen metaphysischen Unterschiede ineinander überführt und neben dem Entweder- Oder! ebenfalls das Sowohl dies – wie jenes! an richtiger Stelle kennt und die Gegensätze vermittelt, ist die einzige ihr in höchster Instanz angemeßne Denkmethode. Für den Alltagsgebrauch, den wissenschaftlichen Kleinhandel, behalten die metaphysischen Kategorien ja ihre Gültigkeit.“ MEW, Bd. 20, S. 482 (in: Dialektik der Natur). – Wir bewegen uns hier auf der Ebene der ersten Begriffsbildung notwendig noch im „wissenschaftlichen Kleinhandel“.

29T. Derbent: Clausewitz und der Volkskrieg. Hg. vom Revolutionären Aufbau Schweiz. Frankfurt/M. 2012, S. 93-99.

30Jan Philipp Reemtsma: Die Idee des Vernichtungskrieges, Clausewitz – Ludendorff – Hitler. In: Hannes Heer/ Kalus Naumann (Hg.): Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941-1944. Frankfurt/M. 81997, S. 377-401.

31Franz Mehring: Krieg und Politik, Bd. 1 (Militärpolitische und militärgeschichtliche Aufsätze), Berlin 1959, S. 133 (in: Eine Schraube ohne Ende).

32Ebd., S. 163 (in: Unsere Altmeister und die Instanzenpolitik).

33Ebd., S. 148 (in: Vom Wesen des Krieges).

34Ebd., S. 130 (in: Eine Schraube ohne Ende).

35Ebd., S. 133.

36Ebd., S. 498 (in. Kriegsgeschichtliche Probleme): „Es war ein schroffer Bruch des Völkerrechts, der selbst in jener abgehärteten Zeit als ein „entsetzliches Verbrechen“ betrachtet wurde und den allgemeinen Haß gegen das preußische System auf den Siedepunkt brachte. Was uns daran jedoch interessiert, ist die Tatsache, daß nicht etwa zwischen den österreichischen, russischen, französischen Historikern auf der einen und den preußischen Historikern auf der anderen Seite, sondern unter den preußischen Historikern selbst ein lebhafter Streit darüber besteht, ob Friedrich einen Angriffs- oder Verteidigungskrieg geführt habe. Für dies wichtige Problem ist der Ursprung des Siebenjährigen Kriegs ein klassisches Muster.“

37Ebd., S. 507-509.

38Ebd., S. 509f.

39http://www.gegen-den-hauptfeind.de/texte/2021/dialektik_krieg_revolution/. Siehe auch Kommunistische Arbeiterzeitung Nr. 378 (Februar 2022), S. 16ff. Ausführlicher in offen-siv 5-2023 (Zur Dialektik von Krieg und Revolution. Clausewitz, der Marxismus-Leninismus und der Nuklearkrieg. Von Pit Simons).

40LW, Bd. 21, S. 210f. (in: Der Zusammenbruch der II. Internationale).

41LW 23, S. 23f. (in: Über eine Karikatur auf den Marxismus).

42LW, Bd. 21, S. 300f. (in: Sozialismus und Krieg).

43Vo Nguyen Giap: Volkskrieg, Volksarmee. München 1968, S. 33 (in: Die großen Erfahrungen unserer Partei in der Führung des bewaffneten Kampfes und beim Aufbau der Revolutionsarmee).

44MaoGW, Bd. 2, S. 179 (in: Über den langwierigen Krieg).

45T. Derbent: Clausewitz und der Volkskrieg. Hg. vom Revolutionären Aufbau Schweiz. Frankfurt/M. 2012, S. 87f.

46Derbent nennt als Beispiele selbst den Krieg der IRA in Nordirland (ebd., S. 73f.) und die algerische FLN (ebd., S. 88, FN 92), mit starker Einschränkung die antiosmanische Arabische Revolte (ebd. S.71-73).

47Vgl. ebd. S. 84f.: „Die Eigenschaft des revolutionären Krieges wird nicht durch seine Form, sondern durch seinen Grund – soziale Gegensätze – bestimmt, darum sein Ziel: die Macht (im ganzen Lande oder in einem Teil davon) als notwendiges Mittel zur Veränderung der sozialen Verhältnisse. Wohlverstanden bestimmt die Sache oder, anders gesagt, die Politik die Form; darum strebt der revolutionäre Krieg die Vernichtung des Feindes an, während der nationale Befreiungskampf die Vertreibung des Feindes vom Territorium zum Ziel hat. Der revolutionäre Krieg ist ein Vernichtungskrieg: Die Niederlage der herrschenden Klasse bedeutet deren Verschwinden; zur Niederlage verurteilt, kann sie nicht verhandeln.“ Und ebd. S. 99: „Je näher am „Herz der Bestie“, je wichtiger der Einsatz, desto mehr nimmt der revolutionäre Krieg die Züge eines Vernichtungskrieges an. Und was den revolutionären Kampf in der Metropole angeht, so hat er zum vornherein diesen Charakter.“

48Derbent diskutiert dies am Beispiel des Vietnamkriegs ebd., S. 97-99. – Fürderhin zu diskutieren wären zwei Weiterungen: a) endet der Krieg gegen den Imperialismus ja nicht mit dem Sieg der Revolution im eigenen Land. In weltrevolutionärer Perspektive bleibt die Vernichtungsstrategie ihm gegenüber unabdingbar, in welchen Etappen sie auch immer umgesetzt wird. b) erlaubt die Wiedereinführung der Delbrück’schen Begrifflichkeit eine theoretische Annäherung an die im Vorfeld der XII. Hauptfeindkonferenz aufgetauchte Frage, inwieweit die von Karl Liebknecht formulierte Hauptfeindlosung (Der Hauptfeind jedes Volkes steht in seinem eigenen Land!“ Karl Liebknecht, Ausgewählte Reden und Aufsätze, Berlin 1952, S.301 (in: Der Hauptfeind steht im eigenen Land)), nicht nur für imperialistische, sondern auch für abhängige Länder anwendbar ist.

49Bereits 1914 klingt bei Franz Mehring an, daß dem kaiserlichen Generalstab die Gefahr eines revolutionären Umschlagens eines imperialistischen Krieges bewußt ist: „Am wenigsten wird der deutsche Generalstab so töricht sein, den Willen der arbeitenden Massen zu unterschätzen. Wer die Kriegsgeschichte und namentlich die moderne Kriegsgeschichte einigermaßen kennt, ist hinlänglich darüber unterrichtet, wie sorgfältig die Neigungen und Stimmungen der Massen, aus denen sich das Heer rekrutiert, an den „maßgebenden Stellen“ beobachtet und bei der Entscheidung über Krieg und Frieden beachtet werden. Nach außen hin tut man natürlich so, als ob es darauf gar nicht ankäme, als ob der einfache Befehl des Kriegsherrn genügt, auf Vater und Mutter, geschweige denn auf Franzosen und Russen zu schießen. Jedoch wo der Militarismus unter sich ist, weiß er sehr gut, daß in einer Zeit, in der so ungeheure Massen auf das Schlachtfeld geschickt und an ihre geistige, körperliche und sittliche Spannkraft so ungeheuere Anforderungen gestellt werden, sehr viel, ja im Grunde alles darauf ankommt, ob diese Massen den Krieg wollen oder nicht.“ Franz Mehring: Krieg und Politik, Bd. 1 (Militärpolitische und militärgeschichtliche Aufsätze), Berlin 1959 S. 142f. (in: Die Arbeiterklasse und der Weltkrieg).

50Erich Ludendorff: Der Totale Krieg. Theorie und Praxis 1934 bis 1945. Dresden 2011, S. 18.

51Ebd.

52Ebd., S. 60.

53A.a.O.

54Ebd., S. 22f.

55Ebd., S. 17-23.

56StW, Bd. 14, S. 257 (In: Der 24. Jahrestag der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution).

57Ebd., S. 253.

58Ebd., S. 292 (In: Der 22. Jahrestag der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution).

59André Beaufre: Die Revolutionierung des Kriegsbildes. Neue Formen der Gewaltanwendung. Stuttgart 1975. Der Bezeichnung „Revolutionierung des Kriegsbildes“ folgt mithin hier in seiner Formulierung der deutschen Übersetzung. Beaufre selbst spricht – die Klassenperspektive verschleiernd und damit für uns mißverständlich – lediglich von „la guerre révolutionaire“.

60Ebd., S 42f.

61Ebd., S. 54.

62LW, Bd. 21, S. 208 (in: Der Zusammenbruch der II. Internationale).

63LW, Bd. 24, S. 396 (in: Krieg und Revolution).

64Carl von Clausewitz: Die wichtigsten Grundsätze des Kriegsführens zur Ergänzung meines Unterrichts bei Sr. königlichen Hoheit dem Kronprinzen. In: Günter Dill (Hg.): Clausewitz in Perspektive. Materialien zu Carl von Clausewitz: Vom Kriege. Frankfurt/M, Berlin, Wien, S. 9-44, hier S. 39.

65Zit. nach Hans Delbrück: Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte. Vierter Teil: Neuzeit. Berlin 1920 S. 493f.

66Franz Mehring: Krieg und Politik, Bd. 1 (Militärpolitische und militärgeschichtliche Aufsätze), Berlin 1959, S. 427 (in: Kriegsgeschichtliche Probleme (1914/15).

67LW, Bd. 22, 314f. (in: Über die Junius-Broschüre).

68Ebd., S. 315-317.

69Für die Auslösung des Ukraine-Kriegs war sicher die Konkurrenz des deutschen und des US-Imperialismus nicht von zu vernachlässigender Bedeutung (vgl. Renate Schiefer / Stephan Schindlbeck: Das Geheimnis des Krieges. Der deutsche Imperialismus und der Ukraine-Krieg. offen-siv 7-2022). Dennoch sind es gerade nicht diese beiden Imperialismen, die in den kriegerischen Konflikt gegeneinander geraten sind.

70Vgl. hierzu das Kassioun Editorial 1115: „Are We Optimistic?“ vom 26. März 2023 der syrischen Partei des Volkswillens: https://kassioun.org/en/editorials/item/77230-kassioun-editorial-1115-are-we-optimistic

71Karl Liebknecht: Ausgewählte Reden, Briefe und Aufsätze. Berlin 1952, S. 462f. (in: Taktisches zum Prinzip).

Aktuelles

Positionen und Perspektiven zu den Entwicklungen in Syrien

Wir dokumentieren an dieser Stelle Übersetzungen von Erklärungen und Stellungnahmen arabischer, türkischer und iranischer Kommunisten. Diese Zusammenstellung verschiedener Statements soll dazu dienen die verschiedenen Perspektiven und Positionierungen gegenüber der Zerschlagung der Syrischen Arabischen Republik in ihrer jetzigen Form aufzuzeigen. Außerdem sollen die offenen Fragen und Orientierungen der Kommunisten angesichts der imperialistischen Aggression gegen Syrien zusammengetragen werden, um die Standpunkte von Kommunisten aus der Region für hiesige Debatten zugänglich zu machen.

Palästina und die DDR – Befreiungskampf als Staatsräson?

Während in der BRD die bedingungslose Unterstützung Israels als „Ersatz- Antifaschismus" spätestens ab 1952 zunehmend zur „Staatsräson" wurde, erkannten sich die DDR und Israel bis zur Konterrevolution 1989/90 nicht gegenseitig an. Stattdessen wurde die DDR zu einem wichtigen Alliierten der palästinensischen Befreiungsbewegung.