Beitrag aus der Zeitung zum Kommunismus Kongress 2023
Im Juli haben wir Kyeretwie Opoku von der „Socialist Movement of Ghana (SMG)“ interviewt. Mit ihm sprachen wir über die aktuelle politische Situation in Ghana und Westafrika. Darüber hinaus gab er uns wichtige Einblicke in die Rolle des US-Imperialismus und der VR China in der Region, wie auch in die konkreten Vorstellungen von Strategie und Taktik der SMG im Hinblick auf die antiimperialistischen Kämpfe der ghanaischen und afrikanischen Arbeiterklasse. Wir drucken hier auf Deutsch übersetzte Auszüge aus unserem Interview mit ihm ab.
Könnten Sie uns zunächst einen Überblick über die derzeitige politische Situation in Ghana geben? Welchen Kurs verfolgt die Regierung um Nana Akufo-Addo? Was sind die entscheidenden Kämpfe und welche Rolle spielt die SMG in diesen Kämpfen?
Ich denke, es ist zunächst wichtig, hervorzuheben, dass Ghana eine intensiv ausgebeutete Neokolonie des von den USA dominierten westlichen Kapitalismus ist. Das muss klar sein. Die wichtigsten Sektoren unserer Wirtschaft werden von ausländischem Kapital dominiert. Ganz gleich, ob es sich um natürliche Ressourcen, Finanzen, Infrastruktur oder andere Dienstleistungssektoren handelt, die den Export natürlicher Ressourcen erleichtern, ob es sich um Energie oder das Baugewerbe handelt. Selbst wenn wir über die Landwirtschaft sprechen. Es gibt oft den Mythos, dass die Landwirtschaft ein Sektor ist, der unter einheimischer Kontrolle bleibt, weil das Land in Ghana nicht in ausländischer Hand ist.
Die Wahrheit ist, ja, wir haben ein Landbesitzsystem, was bedeutet, dass der formale Rechtsanspruch in den ghanaischen Gemeinden verbleibt. Aber die Handelsbedingungen sind so, dass sowohl die Märkte, auf denen wir verkaufen, als auch die Märkte, auf denen wir kaufen, vollständig vom Kapital beherrscht werden. Es handelt sich also nicht um einen Austausch auf Augenhöhe. Noch wichtiger ist, dass im Laufe der Jahre seit der Kolonialzeit der Aufbau der Landwirtschaft gestört wurde, da die Gemeinden gezwungen waren, sich immer weiter von der Produktion von Nahrungsmitteln und Rohstoffen, die wir im Lande verbrauchten, wegzubewegen und stattdessen Exportprodukte zu produzieren, die an Fabriken in Europa und Amerika, Japan usw. geliefert werden. Jeder Aspekt der ghanaischen Wirtschaft wird also von ausländischem Kapital beherrscht. […]
Nun zur nationalen Politik. Sie wird von einer Kompradoren-Elite beherrscht. Sie wird von Leuten beherrscht, deren persönliches Vermögen und deren soziales Ansehen vollständig von der Unterwerfung unter den Imperialismus abhängt. Und das sind Leute, die sich wirklich keine andere Welt, keine andere Art der Organisation der Gesellschaft vorstellen können. Und das gilt selbst für die liberale Linke, die ein Lippenbekenntnis zu Fragen der nationalen Unabhängigkeit, ein Lippenbekenntnis zum Panafrikanismus und ein Lippenbekenntnis zur Eigenständigkeit ablegt. Das Wirtschaftsmanagement und die wirtschaftspolitische Ausrichtung sind also keine wirkliche Trennlinie in der ghanaischen Wahlkampfpolitik. Es gibt zwei große Parteien, die beide die neoliberale Demontage des ghanaischen Staates unterstützen und das Eindringen des Kapitals in alle verschiedenen Sektoren unserer Wirtschaft, sowohl im kommerziellen als auch im sozialen Bereich, befördern. Beide großen Parteien, eigentlich alle großen Parteien, unterstützen die Unterordnung der wirtschaftlichen Entscheidungsfindung unter das, was sie die internationalen Märkte nennen, oder unter die Institutionen, die die Wertentwicklung auf diesen internationalen Märkten kontrollieren. Auf die Art und Weise wie der IWF die Finanzmärkte kontrolliert, sorgen sie beispielsweise dafür, dass einige Länder der Rückzahlung von privaten Schulden Vorrang vor der Befriedigung der Bedürfnisse ihrer Bürger geben. Das gesamte politische Establishment ist in seiner Einstellung und in seinen Praktiken liberal.
Welchen Einfluss hatte der Kolonialismus auf die Bevölkerung in Ghana und wie konnte unter diesen Umständen die Unabhängigkeit unter Nkrumah erreicht werden? Auch im Hinblick auf die Probleme und Herausforderungen, mit denen Nkrumah und die Convention People‘s Party (CPP) in den 60er Jahren konfrontiert waren, was ihre Vision von afrikanischer Einheit und dem Erreichen echter Souveränität anstelle einer „Flaggensouveränität“ angeht.
Die Erfahrung in Ghana und in vielen anderen Teilen Afrikas war, dass die Mobilisierung für die nationale Unabhängigkeit, die Mobilisierung für die Rückeroberung unseres Landes aus fremden Händen usw. in gewisser Weise viel einfacher war als die Mobilisierung gegen die Imperialisten und die neokolonialen Strukturen der Wirtschaft. In diesem Fall haben Sie es mit Menschen zu tun, die wie Sie aussehen, die Ihre Sprache sprechen und so weiter, und die Tatsache, dass sie jetzt an Ihrer Ausbeutung und Unterdrückung beteiligt sind, ist nicht immer offensichtlich, insbesondere in den Ländern Afrikas, in denen so wenig investiert wurde. Die Briten haben an der Goldküste [Anm. d. Red.: Goldküste war der Name einer britischen Kolonie auf dem Gebiet des heutigen Ghana] sehr wenig in die Bildung investiert – über viele, viele Jahre. Sie hatten also eine große analphabetische Bevölkerung und eine sehr kleine koloniale Elite. Die meisten dieser Eliten waren Kompradoren, und selbst die Nationalisten und linksgerichteten Eliten hatten keine Vorstellung davon, was ein antiimperialistischer Kampf bedeutete und wie weit er über die Unabhängigkeitserklärung hinausging. Dieser Kampf würde weitergehen müssen. Daher befand sich Nkrumah an vielen Punkten des Kampfes, insbesondere ab 1960, in einer schwierigen Lage. […] Er versuchte, den Panafrikanismus aufzubauen und eine neue afrikanische Kolonie zu stabilisieren, er versuchte, auf der globalen Bühne zu intervenieren. Zum Beispiel seine Beteiligung an den Kämpfen in Vietnam und seine Friedensmissionen nach Hanoi und seine Beteiligung am Aufbau einer blockfreien Bewegung und so weiter. Die Forderungen des Internationalismus führten zwangsläufig dazu, dass er einige Probleme in seiner Heimat aus den Augen verlor, und das schuf Raum für seine Feinde, von denen einige nicht einmal wussten, dass sie seine Feinde waren, um sich einzumischen.
Heute ist das Afrika-Kommando des US-Militärs (AFRICOM) immer noch auf dem gesamten Kontinent präsent – speziell in Westafrika. Zudem fand kürzlich die Militäroperation Flintlock in Ghana und Cote d‘Ivoire statt. Konnten die USA nach Nkrumahs Sturz ihre massive militärische Präsenz in der Region aufbauen und wie gestalten sich demnach die Verhältnisse in Westafrika?
Es gibt Ereignisse wie die Operation Flintlock, die, wie ich denke, die größte gemeinsame imperialistische Militäroperation auf afrikanischem Boden in der Geschichte ist. Alle Europäer, die Amerikaner und sogar die Japaner waren vor Ort und führten Marine-, Luftwaffen- und Landoperationen durch. Und sie tun dies in aller Öffentlichkeit, fahren in ihren Uniformen durch die Stadt usw. Was Sie also sehen, ist, wie wir es manchmal analysieren: das koloniale Unternehmen. Es hat sich nie geändert, nie verloren. Es ist eine gewalttätige verdeckte Unternehmung und manchmal eine offene. Und das ist, was passiert ist: Das Versagen von US-Untergebenen wie Frankreich, ihre kolonialen Besitztümer zu verwalten, hat zu einer Situation geführt, in der der Imperialismus das Potenzial einer direkten Wiederaufnahme der kolonialen, direkten politischen Herrschaft über alle unsere Länder in Betracht zieht und erforscht.
Ich weiß, es klingt weit hergeholt, aber die Realität ist, dass Truppen in unserem Land operieren und diese Truppen nicht unserem Recht unterworfen sind. Ich meine, unser Vertrag mit der US-Regierung besagt, dass Straftaten, die von US-Militärangehörigen in Ghana begangen werden, nicht von unserer Polizei untersucht und nicht von unseren Gerichten verfolgt werden können. Wenn also ein US-Soldat morgen ein Schulkind erschießt, können unsere Behörden es nur dem US-Militär übergeben, das es dann mitnimmt, und Sie würden wahrscheinlich nie erfahren, was passiert ist. Wenn sie Eigentum zerstören, wenn sie Gebäude, Brücken usw. in die Luft jagen, können sie dafür nicht haftbar gemacht werden. Das ist eine Negation der Souveränität. Das ist die Situation, in der man sich in die Kolonialzeit zurückversetzt sieht. Der Imperialismus in Form der Regierung der USA übt Rechte aus, die selbst die Briten während der früheren Kolonialzeit nicht zu nutzen wagten.
Wie sehen Sie die Rolle Chinas in Ghana und Afrika? Sowohl in unserer Presse als auch in der linken Bewegung wird der Volksrepublik oft eine Art Wiederholung der altbekannten kolonialen Schuldenfalle vorgeworfen und das Agieren Chinas als Mechanismus der Aufrechterhaltung kolonialer Abhängigkeiten angesehen.
Wenn wir bei der Rückzahlung von Krediten in Schwierigkeiten geraten, ist China immer bereit, sich zusammenzusetzen und zu verhandeln. Das ist keine Wohltätigkeit. Es handelt sich um geschäftliche Transaktionen, bei denen China auch andere Vorteile erwartet. China verschenkt nicht nur seine Ressourcen. Es versucht, fairen Handel und faire Investitionen zu schaffen. China steckt Geld in Dinge wie die Neue Seidenstraße. Diese Initiative leistet einen großen Beitrag dazu, die Infrastruktur der Welt zu vereinen und Transaktionen mit Afrika zu ermöglichen, die bisher nicht realisierbar waren. China spielt also eine konstruktive Rolle in Afrika. Es gibt eine Menge Propaganda, die suggeriert, dass China einfach nur Ressourcen abgibt und so weiter, und die Probleme, die es gibt, aufbläht. Und es gibt Probleme. Wie ich schon sagte, ist China ein Entwicklungsland, das meiner Meinung nach einen Weg einschlägt, der sowohl innovativ als auch klassisch sehr fundiert ist, was die Schriften der großen marxistischen Theoretiker, Marx selbst, Lenin und so weiter, angeht. China hat seinen eigenen Klassenkampf. In China gibt es eine große Kapitalistenklasse, die innerhalb seiner Grenzen operiert. Und das sind Kapitalisten, die kapitalistische Instinkte haben. Überall gibt es den gleichen Ansatz. Die gleichen Dinge, die einen Kapitalisten in Nordamerika antreiben, treiben auch einen Kapitalisten in China an. Sie mögen innovativer sein und so weiter, aber sie haben dieselben grundlegenden Instinkte, was die Akkumulation, den Wettbewerb usw. angeht. Es gibt also chinesische Unternehmen, die sich in Afrika danebenbenommen haben. Daran besteht kein Zweifel. In meinem eigenen Land gab es zum Beispiel chinesische Firmen, die in den illegalen Goldabbau verwickelt waren. Das waren nicht wenige. Das Problem ist aber übertrieben worden. Es wurde maßlos aufgeblasen. Aber das gibt es, und wir sollten das nicht leugnen. […] Es ist jedoch wichtig zu verstehen, dass es sich um einzelne private Akteure handelt. Es handelt sich nicht um die Kommunistische Partei Chinas. Es ist nicht der chinesische Staat, der sich an der Ausbeutung von Afrikanern beteiligt. Und es ist kompliziert, damit umzugehen. Es ist unsere Pflicht als Länder und als Menschen, diese Praktiken zu stoppen, egal ob es sich um Chinesen, Ghanaer, Nigerianer oder andere handelt.
Was ist aus der Perspektive der SMG die Strategie für den Klassenkampf heute? Wie ist der Kampf gegen die neokolonialen Strukturen mit dem Kampf für den Sozialismus verbunden? Gibt es etwas fortschrittliches an den nationalen bürgerlichen Kräften, oder wer wird das Subjekt des sozialen Fortschritts in Ghana oder allgemeiner in Afrika sein?
Je nach dem Stand der Entwicklungen sind in den jeweiligen Ländern natürlich unterschiedliche Kräfte im Spiel. Und in vielen dieser Länder gibt es bedeutende nationale Bourgeoisien, nationale Kapitalisten, die sich mit uns verbünden würden – im Rahmen des Wettbewerbs mit globalen Versicherern, weil ihre eigenen Bestrebungen als aufstrebende Kapitalisten durch die Operationen der globalen transnationalen Unternehmen eingeengt und erdrückt werden. Der globale Kapitalismus ist, was er ist. Er expandiert, er verschlingt, er vernichtet, er formatiert sich neu. Es gibt also kaum eine Chance für afrikanische kapitalistische Formationen zu überleben, ohne einen direkten Konflikt mit den imperialistischen Kräften einzugehen. Also gibt es Bündnisse, die hierauf basieren. Das müssen wir fördern. Diese Bündnisse müssen wir aufbauen. Und wir arbeiten daran. Sowohl innerhalb der sozialen Bewegungen der direkten Opfer des Kapitalismus als auch unter den Konkurrenten des Kapitalismus, die mehr auf ein nationalistisches Bestreben ausgerichtet sind. Dieses gehört nicht zu unseren vordergründigen Zielen, aber jeder Kampf hat sein Gesicht und seine Taktik.