Bericht vom Buchenwald-Gedenken 09./10.04.2022
Die heutige Gedenkpolitik in der Bundesrepublik mystifiziert den Faschismus. Sie blendet seine gesellschaftlichen Ursachen bewusst aus und zielt auf eine moralische Ablehnung der faschistischen Gräueltaten ab. Ein solch entpolitisiertes Verständnis des „Nationalsozialismus“ erleichtert es, das zu schaffen, was eigentlich undenkbar wäre: Die heutigen Faschisten in der Ukraine, die sich selbst in direkte Tradition mit den damaligen Nazi-Kollaborateuren stellen, nicht als solche zu erkennen, sondern sie ebenfalls zu entpolitisieren und als mutigen Widerstand gegen den Krieg Russlands zu stilisieren. Es zeigt sich ganz direkt, wozu die bürgerliche „Aufarbeitung“ des Faschismus als Ganzes genutzt werden kann. Die moralische Ablehung des Faschismus dient als Grundlage für imperialistische Politik unter dem Banner der „Freiheit und Demokratie“ oder gleich als Legitimierung von Krieg, wie bereits der damalige Außenminister Fischer im Zuge des deutschen Angriffs in Jugoslawien unter Beweis stellte.
Das diesjährige Buchenwald-Gedenken der Kommunistischen Organisation fand im Rahmen eines gemeinsamen Wochenendes statt. Am Samstag besuchten wir, in thematisch untergliederten Arbeitsgruppen, die Ausstellung der Gedenkstätte in der ehemaligen Effektenkammer. Anschließend trafen wir uns in Weimar, um die Gruppenergebnisse zusammenzutragen und uns diese gegenseitig vorzustellen.
Wir beschäftigten uns mit der Verflechtung von Industrie und Faschismus, dem Lagerleben in Buchenwald, mit kommunistischem Widerstand im Faschismus und mit dem Umgang mit der Geschichte des Faschismus nach 1945. Dabei spielte die Diskussion um die Frage, wie der Geschichtsrevisionismus in der Gedenkstätte konkret aussieht eine wichtige Rolle. Zentrale Erkenntnisse der Diskussionen waren, dass viele geschichtliche Fakten zwar präsentiert, aber oft fragmentiert werden, d.h. ohne ihre Zusammenhänge oder Ursachen dargeboten werden. Die Rolle des Internationalen Lagerkomitees – insbesondere des kommunistischen Widerstands im Lager und die Selbstbefreiung der Häftlinge vor der Befreiung durch amerikanische Truppen werden in der Gedenkstätte heruntergespielt – ist unterrepräsentiert und in vielen Fällen sogar mit negativen Hinweisen versehen, wie zum Beispiel dass der kommunistische Widerstand nur Selbstzweck gewesen sei oder in der DDR instrumentalisiert und verfälscht worden sei. Zur Mittagszeit machten wir eine Kundgebung am kürzlich durch blau-gelbe Farbe geschändeten Sowjetischen Ehrenhain in Weimar. Wir gedachten der Gefallenen, verurteilten die Schändung und die aktuelle Kriegspolitik u.a. der BRD. Zurück ging es als Gruppe mit Fahnen und der Internationale. Wir schlossen den Tag mit einer Filmvorführung von „Nackt unter Wölfen“ von 1963.
Den Sonntag eröffneten wir mit einem Gedenken an Ernst Thälmann am Denkmal in Weimar. Es sprachen Vertreter der KPD, der DKP, des Freidenkerverbands und der KO. Neben historischen Hintergründen, die eine Einordnung von Thälmanns Schaffen erlaubten, ehrten wir Thälmann für sein Leben als überzeugter und standhafter Kommunist: Thälmann kämpfte zeit seines Lebens gegen den aggressiven deutschen Imperialismus und für Frieden zwischen den Völkern. In allen Redebeiträgen wurde die Aggression der NATO gegen Russland verurteilt und ein Ende der Waffenlieferungen an die Ukraine gefordert.
Zurück in der Gedenkstätte machten wir flankiert von roten Fahnen einen geführten Rundgang über das Gelände. Auf dem Weg erfuhren wir von Anhängern des Jugendverbands „REBELL“, dass sie bereits von Vertretern der Gedenkstätte dazu aufgerufen worden waren, ihre Flaggen niederzulegen. Dem kamen sie nicht nach. Nach einer erneuten Thälmann-Ehrung am Ort seiner Ermordung im Jahre 1944 nahmen wir an der offiziellen Gedenkveranstaltung des Internationalen Komitees Buchenwald, Dora und Kommandos (IKBD) und der Gedenkstätte Buchenwald auf dem ehemaligen Appellplatz teil. Hieran nahmen neben Vertretern der deutschen Politik wie z.B. Petra Pau, Bodo Ramelow oder einem Vertreter des Zentralrats der Juden in Deutschland auch ausländische Politiker wie beispielsweise belarussische Oppositionelle teil. Vertreter der belarussischen oder russischen Regierung wurden durch die Veranstalter im Vorhinein zu unerwünschten Personen erklärt und ausgeladen. So wurde auch statt der belarussischen Flagge die zaristische weiß-rot-weiße Fahne präsentiert.
An der Gedenkveranstaltung nahmen 16 KZ-Überlebende teil, u.a. die kürzlich aus der Ukraine geflohene A. Gulej. Es sprach zuerst der Direktor der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, welcher historische Fakten zum KZ mit Fokus auf ermordete Juden präsentierte. Dann ging er thematisch zum „Überfall Russlands auf die Ukraine“ über, den er verurteilte, jeden angriff der ihn „rechtfertigt“, und das Leiden von ehemaligen Buchenwald-Häftlingen im jetzigen Krieg in den Mittelpunkt stellte. Gleichzeitig erinnerte er daran, in der aktuellen Lage „mit historischen Analogien vorsichtig zu sein“. Im Anschluss sprach der Vertreter Israels im IKBD, der u.a. gegen einen „ungerechtfertigten, unmoralischen Krieg Russlands gegen die Ukraine“ polemisierte und an den Schwur von Buchenwald erinnerte. Auch er instrumentalisierte das Schicksal Borys Romantschenkos, der kürzlich in der Ukraine getötet wurde, für seine Argumentation gegen Putin. Der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland begann anschließend seine Rede mit der Verurteilung des Krieges Russlands gegen die Ukraine und sprach von verstörenden Bildern. Erneut wurde Borys Romantschenkos Tod für eine einseitige Betrachtung des Ukraine-Konflikts genutzt. Wieder wurde das Gedenken an Opfer des Faschismus für die Propaganda der imperialistischen Aggression der NATO gegen Russland instrumentalisiert. Verschwiegen oder in den Beiträgen nur am Rande erwähnt wurde die Rolle des als „tapferen Helden“ dargestellten Selenskij und seiner Regierung, die offen faschistische Kräfte im Militär unterhält, sie unterstützt und jegliche Opposition unterdrückt. Verschwiegen wurde das Ausbilden u.a. der faschistischen Asow-Truppen durch die NATO, deren Staaten sie nun auch noch mit allerlei schwerem Kriegsgerät beliefert. Ein aufrichtiges Gedenken im Sinne des Schwurs von Buchenwald, in dem die Ausrottung des Faschismus mit seinen Wurzeln gefordert wird, darf zu diesen Themen aber nicht schweigen und schon gar nicht für eine Politik der Aggression und für die Unterstützung von Faschisten ausgeschlachtet werden. Wir als KO entschlossen uns, die Gedenkveranstaltung aus Protest zu verlassen. Dabei erhielten wir diverse negative Reaktionen, aber auch durch Einzelpersonen lobende Worte, dass das Verlassen „gut“ gewesen sei. Von Vertretern bürgerlicher Parteien und dem Redner erhielten wir keine bzw. wenig Reaktion.
Zum Abschluss des Tages besuchten wir die Nationale Mahn- und Gedenkstätte mit dem Glockenturm Buchenwalds, der, anders als zu Zeiten der DDR, kaum besucht war. Hier diskutierten wir über die Bedeutung der vor dem Glockenturm befindlichen Figurengruppe, die einst von Fritz Cremer und Bertolt Brecht entworfen wurde. Die Plastik zeigt verschiedene Arten von gemeinsam Widerstand leistenden Häftlingen – im Gegensatz zur bundesdeutschen Erinnerungskultur, die die Darstellung der Häftlinge als handlungsunfähige Opfer vorantreibt.