Wir veröffentlichen heute zum neunjährigen Jahrestag des Massakers von Odessa ein Interview mit Alexej Albu, ehemaliges Mitglied des ZK der KP Ukraine sowie ab 2010 Mitglied des Regionalrats von Odessa. Alexej ist Mitbegründer und Sprecher der 2011 gegründeten antifaschistischen ukrainischen Widerstandsorganisation Borotba. Er ist selbst Überlebender des Massakers von Odessa und bis heute politisch aktiv. Neben einer Schilderung der Ereignisse von 2014 und ihrem Werdegang berichtet er über die Entwicklungen in der Ukraine seit 2014 bis heute. Wir sprechen über die Bedeutung der Anerkennung der Volksrepubliken Donezk und Lugansk sowie der militärischen Intervention der Russischen Föderation für den Kampf gegen das Kiewer Regime. Zuletzt reden wir über die Krise der internationalen kommunistischen Bewegung und die Rolle von Kommunisten in den imperialistischen Zentren im Kampf gegen den Krieg der NATO gegen Russland.
Das Interview führten Alexander Kiknadze und Nastya Kudrina.
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KO: Alexej, herzlich willkommen. Bevor wir in die Themen gehen, die wir heute vor uns haben – kannst du uns erzählen, wie und aus welchem Kampf Borotba hervorgegangen ist? Wie seid ihr derzeit organisiert?
Alexej: Ich möchte gerne ein paar Worte zu meiner Person sagen. Ich wurde 1985 in Odessa geboren. Als die Sowjetunion auseinanderfiel, war ich sechs Jahre alt. Dann ging ich in eine ukrainische Schule, wo ich Ukrainisch lernte, denn die meisten Menschen aus dem Südosten der Ukraine sprechen kein Ukrainisch. Es ist nicht unsere Muttersprache. In unseren Familien sprachen wir alle Russisch. Anfang der 2000er Jahre ging ich zur Universität und trat dem Lenin-Komsomol der Ukraine bei. Das ist eine Jugendorganisation, der Jugendflügel der Kommunistischen Partei der Ukraine. Ich leitete die regionale Organisation des Komsomol in Odessa, war Mitglied des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Ukraine und wurde 2010 Abgeordneter für die Kommunistische Partei der Ukraine im Regionalrat von Odessa. Die Kommunistische Partei der Ukraine und die bürgerliche „Partei der Regionen“, deren Anführer Viktor Janukowitsch war, der 2010 Präsident wurde, hatten zusammen eine Mehrheit im Parlament. Die Kommunistische Partei der Ukraine ging eine Koalition mit der Partei der Regionen ein. Wir hatten eine Meinungsverschiedenheit mit der Führung der Kommunistischen Partei und ich wurde aus der KPU ausgeschlossen. Meinen anderen Genossen aus dem Komsomol und der Kommunistischen Partei der Ukraine erging es genau so. Wir wollten den politischen Kampf, den politischen Aktivismus fortsetzen und schlossen uns mit kleinen Gruppen zusammen, mit einer Gruppe, die sich „Jugend gegen den Kapitalismus“ nannte, dem Komitee für die Rote Garde der Arbeiterpartei, benannt nach Kotovsky, und andere kleine Gruppen mit trotzkistischen, stalinistischen und sogar anarchistischen Ansichten. Wir schlossen uns zu einer Organisation zusammen und nannten sie Borotba. Die Vereinigung Borotba wurde im Frühjahr 2011 gegründet. Wir wollten damals bestimmte bürgerliche Freiheiten in der Ukraine nutzen, um eine Partei zu registrieren, an den Wahlen teilzunehmen und mit friedlichen, legalen Mitteln um die Macht zu kämpfen. Unsere Position richtete sich jedoch gegen die oligarchische Macht, gegen Janukowitsch‘ „Partei der Regionen“. Generell haben wir uns immer für eine sozialistische Umwälzung der Ukraine, für Internationalismus und für die Solidarität der Arbeiter eingesetzt. Wir haben viele Protestaktionen durchgeführt, Proteste zur Verteidigung der Arbeiter. Wir organisierten Arbeiter, die in den Häfen der Ukraine arbeiten, Lkw-Fahrer und Stewards der Fluggesellschaften. Wir halfen dabei, Kundgebungen für verschiedene soziale Gruppen zu organisieren, die in der Ukraine Schwierigkeiten hatten. Das sind zum Beispiel die Opfer von Tschernobyl oder Menschen, die unter verschiedenen Betrügereien im Zusammenhang mit Immobilien gelitten haben. Denn diese Menschen sind in der Ukraine ungeschützt. Unsere gesamte Tätigkeit war eine oppositionelle Tätigkeit. Wir haben das bestehende System nicht unterstützt.
2013 jedoch, als der Maidan begann, sahen wir , dass dieses bürgerliche Regime von Viktor Janukowitsch und der „Partei der Regionen“ durch ein noch reaktionäreres Regime ersetzt wurde: durch ultrarechte und ultra-liberale Kräfte. Es ist hier sehr wichtig hervorzuheben, dass das imperialistische Kapital hinter dem Maidan-Protest stand, oder besser gesagt, hinter allen Protestgruppen, die am Maidan teilnahmen. Das heißt, dass all diese Gruppen sehr langjährige Beziehungen zu verschiedenen Stiftungen, zu gemeinnützigen Organisationen unterhielten, wie z.B. USAID (United States Agency for International Development), UKAID (United Kingdom Aid), NED (National Endowment for Democracy), IRI (International Republican Institute), Freedom House, Open Society und so weiter und so fort. Mit anderen Worten, diese imperialistischen Strukturen ließen ihre Tentakel sehr tief in die ukrainische Gesellschaft eindringen, und zu dem Zeitpunkt, den wir als Zeitpunkt „X“ bezeichnen, kamen all diese Organisationen, die mit dem imperialistischen Zentrum verbunden waren, wie auf den Takt eines Dirigenten auf den Unabhängigkeits-Maidan. Jede dieser Gruppen hatte ihre Funktion, jede spielte ihre Rolle. 2014 siegte der Maidan. Das Regime von Viktor Janukowitsch wurde gestürzt.
Ich möchte an dieser Stelle aber auch einen sehr wichtigen Punkt hervorheben: Wie ich bereits sagte, hatten die Kommunistische Partei der Ukraine und die Partei der Regionen eine Mehrheit im ukrainischen Parlament. Neu waren die Oppositionsfraktionen, die den Maidan repräsentierten. Von ihnen gab es drei Parlamentsfraktionen. Eine davon war die Fraktion von Vitali Klitschko, dem Boxer, der Bürgermeister von Kiew wurde. Die zweite Fraktion war von Julia Tymoschenko, ebenfalls eine bekannte Politikerin. Sie war Premierministerin in der Ukraine. Und die dritte, die Svoboda-Partei, eine rechtsextreme Neonazi-Partei. Sie hatten zusammen keine Mehrheit im Parlament. Und als es darum ging, Janukowitsch aus dem Amt des Präsidenten zu entfernen, stimmte die Kommunistische Partei der Ukraine mit ihnen. Nur durch diesen Verrat der Kommunistischen Partei der Ukraine und von Pjotr Simonenka war es möglich, das Regime zu legalisieren, das als Ergebnis des Maidan entstand. Das ist ein sehr wichtiger Punkt, weil die Kommunistische Partei der Ukraine heute sehr starken Repressionen ausgesetzt ist. Aber sie ist verantwortlich für das, was heute in der ukrainischen Gesellschaft passiert, und zwar zu einem sehr großen Teil. Im Jahr 2014, als der Maidan gewann, gab es so viel Unmut in der Gesellschaft. Die Menschen, die im Süden und Osten des Landes lebten und vor allem die Partei der Regionen wählten, merkten, dass die Spielregeln, die es früher in der Gesellschaft gab, nicht mehr existierten, dass sie als Fußabtreter dienen. Dass die Stimmen, die sie für die „Partei der Regionen“, für Janukowitsch und für bestimmte politische Richtungen gegeben hatten, einfach mit Füßen getreten wurden. Natürlich waren die Menschen darüber empört und begannen, spontane, unorganisierte Proteste zu machen. Diese Bewegung kam komplett von unten und wurde Antimaidan genannt. Unsere Organisation, die verstand was im Land passierte, hat sich auch an der Anti-Maidan-Bewegung beteiligt und versucht mit einer großen Anzahl von Menschen, mit den Massen, zu arbeiten, um zu erklären, warum in unserem Land ein solche Situation passiert ist. Wir erklärten, dass im Prinzip die kapitalistische Natur der Beziehungen, die in der Gesellschaft existieren, an allem Schuld ist, weil die Gesellschaft in verschiedene politische Gruppierungen, Clans, gespalten war. Einige dieser Clans standen unter dem Einfluss äußerer Kräfte und konnten so die Macht übernehmen. Zu diesem Zeitpunkt strebten wir in Odessa eine weitgehende Autonomie an. Ich war Abgeordneter des Regionalrats von Odessa und schlug den Abgeordneten des Regionalrats am 3. März 2014 vor, über die Frage der Durchführung eines Referendums, über die Gründung einer autonomen Republik Odessa innerhalb der Ukraine abzustimmen. Damals ging es also nicht um eine Abspaltung von der Ukraine. Wir wollten einfach mehr Rechte, wir wollten Autonomie und wir wollten eine eigene Verfassung für unsere Region, die unsere Forderungen widerspiegeln sollte. Das heißt, wir wollten in der Lage sein, unseren eigenen Gouverneur zu wählen und nicht darauf zu warten, dass die neue Regierung uns einen neuen Gouverneur aus einer anderen Region schickt, der hier ein Fremder sein würde. Wir wollten unsere russische Muttersprache frei sprechen können. Denn wie ihr sicherlich wisst, war das erste Gesetz, dass das ukrainische Parlament nach dem Sieg auf dem Maidan verabschiedete, die Aufhebung des Sprachengesetzes, das der russischsprachigen Bevölkerung das Recht auf die Verwendung ihrer Muttersprache garantierte. Wir waren also sofort mit diesem Druck konfrontiert. Die neuen Machthaber, die illegal durch den Staatsstreich an die Macht gekommen sind, haben der Gesellschaft sofort signalisiert „Wir werden auf keinen Fall Rücksicht auf euch nehmen. Eure Meinungen, eure Wünsche bedeuten uns also nichts.“ Wir wollten die Möglichkeit haben, unsere Muttersprache zu sprechen, den Papierkram und den Umlauf von Dokumenten auf Russisch zu erledigen. Wir wollten eine Sonderwirtschaftszone schaffen, weil es in der Geschichte meiner Heimatstadt Odessa eine Zeit gab, die Porto Franco hieß. Es war die Zeit der Blüte unserer Stadt, als es Sonderrechte gab. Das heißt, es gab sozusagen eine Reihe von wirtschaftlichen Vorteilen, Steuervergünstigungen und Ferien. Das haben wir angestrebt, das war unsere dritte Forderung. Eine weitere Forderung des Antimaidan in Odessa war die Rückübertragung der Machtstrukturen an die lokalen Räte. Wir wollten nicht, dass die Polizei oder andere Machtstrukturen von den neuen Behörden, die sich in Kiew etabliert hatten, in der Politik als Unterdrückungsmechanismus eingesetzt werden. Deshalb wollten wir zum Beispiel, dass die regionale Polizeibehörde dem regionalen Rat der städtischen Polizeibehörde, dem Stadtrat unterstellt wird usw. Wir haben viele Proteste abgehalten – aber die Sitzung des Regionalrats hat mich leider nicht unterstützt. Danach sind wir jedes Wochenende auf den größten Platz, den Kulikovo-Platz, in Odessa gegangen, wo sich das Haus der Gewerkschaften befindet. Wir gingen dorthin, es gab ein Zeltlager, und viele politische Kräfte – linke, pro-russische und antifaschistische Kräfte nahmen an dieser Bewegung teil. Uns alle einte der Kampf gegen die neuen Behörden, der Kampf für die Möglichkeit, unsere Muttersprache zu sprechen, der antioligarchische, antifaschistische Kampf. Ihr wisst, dass unser friedlicher Protest in Blut ertränkt und im Feuer des Gewerkschaftshauses am 2. Mai 2014 verbrannt wurde.
Der 2. Mai war der Punkt, an dem es kein Zurück mehr gab, an dem die meisten Menschen ihren Standpunkt änderten, mich eingeschlossen. Wenn wir uns also vorher nicht von der Ukraine abspalten wollten, so haben wir zu diesem Zeitpunkt erkannt, dass wir mit diesen Menschen nicht in einem Staat leben können. Was am 02. Mai (2014) geschah, hatte enorme politische Konsequenzen. Alle sahen es, die Leute im Donbass oder Menschen aus verschiedenen Regionen der ehemaligen Sowjetunion, dem Baltikum, dem Kaukasus, Zentralasien, Zentralrussland oder den anderen Regionen der Ukraine, sogar der Westukraine. Diejenigen, die den Faschismus nicht unterstützten, sahen, dass der Faschismus sein Haupt erhebt, dass es sich nicht nur um eine Art Manipulation oder ein Märchen handelt, sondern dass es sich um echten Faschismus handelt, der bekämpft werden musste und muss. Tausende Menschen haben sich im Donbass gemeldet oder sind gekommen, um aufzustehen und mit den Waffen in der Hand zu kämpfen, um ihre Interessen zu verteidigen und gegen den Faschismus zu kämpfen. Habt ihr noch Fragen zu diesem Punkt?
KO: Ja, tatsächlich habe ich eine Frage. Du sagtest, dass die KPU nach dem Putsch für den Sturz von Janukowitsch gestimmt hat. Das ist ein sehr interessanter Punkt. Könntest du etwas dazu sagen, ob sie die Situation damals unterschätzt haben oder warum sie so gehandelt haben? Außerdem hattest du bereits vom Mai 2014 erzählt, im selben Monat gab es einen Artikel von dir in der Jungen Welt. Dort hast du bereits berichtet, dass es nach dem Staatsstreich zu verstärkten Repressionen gegen die Gewerkschaftsbewegung, die linke Bewegung, die antinationalistische Bewegung gekommen war. Du hast bereits angefangen darüber zu sprechen, in diesem Zusammenhang über Odessa. Es wäre sehr interessant zu erfahren, wie das alles weiterging.
Alexej: Zunächst mal zur Abstimmung der KPU. Ich denke, die Hauptmotivation war, dass der Vorsitzende der Kommunistischen Partei, Petro Symonenko, der innerhalb der Partei enormes Gewicht und Einfluss hat, ein Mann der alten politischen Formation ist. Und als er hörte, dass unsere Feinde rechtsextrem sind, sagten, dass sie Kommunisten töten werden, hielt er das für reinen Wahlpopulismus und glaubte ihnen nicht. Er dachte, er könnte mit diesen rechtsextremen Kräften verhandeln und, wenn er sie in einem kritischen Moment unterstützen würde, würden sie ihm dankbar sein und ihm garantieren, dass er seine kleine Fraktion im Parlament der Ukraine behalten, sie die derzeitige Regierung milde kritisieren könnten, sodass es ihm gut gehen würde und er seine politische Karriere fortsetzen könnte. Doch die Geschichte lehrt uns – dafür gibt es Dutzende von Beispielen – dass man mit Faschisten keine Einigung erzielen kann. Wurde er also benutzt? Natürlich wurde er benutzt. Er hat dieses Regime unterstützt. Ein paar Monate später, im Herbst 2014, als eine vorgezogene Parlamentswahl stattfand, verlor die Kommunistische Partei der Ukraine jedoch viele Stimmen und schaffte es nicht ins Parlament. Daraufhin begannen die radikaleren nationalistischen Kräfte zu fordern, dass die Kommunistische Partei der Ukraine verboten werden soll. Ich erinnere mich nicht mehr an die genaue Chronologie, aber soweit ich weiß, wurde ein solches Verbot erlassen. Wenn ich mich nicht irre, wurde beim Verfassungsgericht Berufung eingelegt. 2015 fanden Gemeinderatswahlen statt und die Kommunistische Partei war in einem so kaputten Zustand, dass sie nicht offiziell an den Wahlen teilnehmen konnte. Um ihre Aktivisten in die Gemeinderäte zu bekommen, benutzte sie eine andere befreundete Partei namens „Derzhava“ – der Staat. So hieß diese Partei, wenn ich mich irre. Viele Kommunisten traten also dieser Partei bei, und sie wurden auf diese Weise dann gewählt. Aber die Partei hat viele Abgeordnete verloren und im Allgemeinen wurde ihre Position geschwächt. Und das alles wegen eines solchen Verrats durch die Parteiführung. Offiziell sagt die Kommunistische Partei der Ukraine, dass sie nichts tun konnten, dass sie gezwungen wurden, dass ihre Wahlkarten weggenommen wurden, während die anderen gewählt haben. Aber wenn das stimmt, dann hätten sie vor das Verfassungsgericht gehen und gegen diese Entscheidung, die ohne Ihre Anwesenheit getroffen wurde, Einspruch erheben können. Sie hätten eine öffentliche Erklärung abgeben können, dass sie unter Druck gesetzt wurden. Nichts von davon wurde getan. Dies lässt mich zu dem Schluss kommen, dass es eine gewisse Absprache zwischen Pjotr Symonenko und den damaligen oppositionellen Kräften gab, die später zur neuen Regierung wurden.
Nun zu den Repressionen, die unmittelbar nach dem Sieg des Maidan einsetzten. In der Tat wurden viele Menschen verhaftet, nicht nur in meiner Heimatstadt, sondern auch in anderen Städten. Auch öffentlich bekannte Personen wurden verhaftet, wie zum Beispiel einer der Anführer der Proteste in Odessa – dem Odessaer Antimaidan – Anton Dawtschenko. Er wurde, wenn ich mich nicht irre, am 16. März 2014 verhaftet. Ebenfalls im März wurde ein sehr bekannter Journalist, Konstantin Dolgov, verhaftet. Er kommt aus Charkiw. Viele Menschen wurden einfach zu «Präventivgesprächen» beim Inlandsgeheimdienst der Ukraine vorgeladen. Sie sprachen mit ihnen, fanden heraus, was ihre Position war, wie diese Leute aufgestellt waren, ihnen wurde immer gesagt, was sie tun konnten, was sie nicht tun konnten. Dieser Druck wurde ausgeübt. Es ist wichtig zu erwähnen, dass wir die damalige Situation als sehr schwere Angriffe auf die Bürgerrechte bewerteten. Wir sehen, dass das, was danach folgte noch hundertmal schlimmer war, sodass die Ereignisse von damals damals noch als recht milde erscheinen. Das liegt daran, dass damals der Inlandsgeheimdienst der Ukraine nicht einschätzen konnte, wie sich die Ereignisse entwickeln würden. Unsere Unterstützer, die in den Strafverfolgungsbehörden tätig waren, haben mir persönlich erzählt, dass sie sich mit jemandem vom Inlandsgeheimdienst getroffen haben und sagten, sie hätten den Befehl, mich zu verhaften, aber sie werden es nicht tun, denn falls wir an die Macht gekommen wären, befürchteten sie an unserer Stelle zu sein, also dass sie verhaftet werden. Das Frühjahr 2014 war also der Zeitpunkt, an dem wir, wenn wir eine starke kommunistische Organisation gewesen wären, die Macht hätten übernehmen müssen. Aber weil wir eine ziemlich junge, unerfahrene Organisation waren und nicht über genügend Machtressourcen, Geldressourcen, Informationsressourcen und organisatorische Ressourcen verfügten, waren wir nicht in der Lage, diese Situation nutzen zu können. Da kommt mir wieder einmal Wladimir Lenin in den Sinn, der sagte, wenn eine revolutionäre Situation eintritt und wir nicht darauf vorbereitet sind, wird uns die Geschichte das nie verzeihen. Genau das ist 2014 mit Borotba passiert. Nach dem 02. Mai begannenviele unserer Aktivisten von legalen Formen des Kampfes zu illegalen Formen, zum bewaffneten Widerstand, überzugehen. Einige unserer Genossinnen und Genossen haben diese Erfahrung bis heute. Zu diesem Zeitpunkt begannen die Repressionen, Leute wurden verhaftet und zum Inlandsgeheimdienst der Ukraine gezerrt. Sie begannen, Listen von illoyalen Bürgern zu erstellen. All dies geschah, wir alle sahen es, aber leider konnten wir nichts tun.
KO: Meinst du mit diesen Listen illoyaler Bürger die Mirotworez-Seite? Oder gab es noch andere Listen?
Alexej: Mirotworez kam erst etwas später auf. Ich beziehe mich auf solche sehr raffinierten Techniken, wie zum Beispiel, dass Aktivisten zu einer großen Menschenmenge kommen, die auf Kundgebungen protestiert, und Unterschriften für die Abtrennung von Odessa sammeln. Das ist natürlich nach ukrainischem Recht nicht unzulässig. Und viele Leute dachten: „Wie lange wird diese Regierung noch bestehen? Wahrscheinlich nicht lange. Denn wir sind viele, wir sind stark. Vielleicht werden Russland oder Freiwillige aus anderen Ländern uns unterstützen und alles wird sich ändern“, sodass sie unterschrieben. Natürlich landen sie alle in einer bestimmten Datenbank, mit der der Inlandsgeheimdienst dann arbeitet. Ja, solche Technologien wurden leider eingesetzt.
KO:Alexej, wir haben jetzt schon über die Ereignisse im Jahr 2014 und euren Kampf gegen dieses Regime gesprochen. Damals wurden die Volksrepubliken Donezk und Luhansk als Ergebnis des Widerstands gegen die Regierung in Kiew ausgerufen. Wir kennen, gerade in Deutschland, die Diskussion, dass viele Kommunisten glauben, dass diese Republiken lediglich bürgerliche Kräfte sind und dass dort ein Kampf gegen Arbeiter und kommunistische Kräfte stattfindet. Ich habe ebenfalls den Vorwurf gehört, dass Denis Puschilin Kommunisten verfolge. Wie war eure Haltung gegenüber diesen Republiken damals und wie hat sie sich im Laufe der Jahre verändert? Wie wart ihr damals am Kampf gegen das Kiewer Regime eingebunden?
Alexej: Im Jahr 2014, nach dem 02. Mai, kam es dazu, dass unsere Gruppe aus Odessa – wir waren acht Personen – auf die Krim auswanderte. In die Donbass-Republiken sind wir nicht nicht rein. Wir sahen, dass im Donbass bereits sehr ernste Prozesse begonnen hatten und die Menschen mit Waffen in der Hand rebellierten. Unsere Organisation, die Vereinigung Borotba, hatte keine starken Zellen im Donbass. Wir hatten zwar Aktivisten in Donezk, Luhansk und Sloviansk, sie waren aber nur sehr wenige und hatten keinen Einfluss auf den Prozess. Aus diesem Grund haben wir uns innerhalb unserer Organisation beraten und die Entscheidung getroffen, dass wir uns auf den Kampf in anderen Regionen konzentrieren sollten, in denen wir eine starke Position hatten. Das war Charkiw und Odessa. In Kiew hatten wir auch eine starke Organisation, aber sie wurde fast vollständig niedergerungen. Zu dieser Zeit war es unmöglich, in Kiew politisch aktiv zu sein. Deshalb hatten wir von Anfang an eine sehr positive Haltung zu den Volksrepubliken, aber als Verbündete, nicht als Teil unserer Praxis. Ein Jahr später gelangten wir in die Volksrepublik Luhansk. Ich trat der Prizrak-Brigade bei. Aber ich habe nicht an den Kämpfen teilgenommen und war nur für kurze Zeit dort. Dennoch weiß ich, was dort vor sich ging, was für eine Stimmung herrschte und was für Leute beteiligt waren. Ich war dort, weil einer unserer Aktivisten, der aus dem Donbass kommt, Leiter der politischen Abteilung in der Prizrak-Brigade war, und viele Kommunisten begannen, dorthin zu gehen und sich um Prizrak zu sammeln. Wir hatten also eine gute Einstellung zu den Republiken. Gleichzeitig wir haben verstanden, dass wir uns und anderen Genossen nichts vormachen können. Natürlich sind das keine kommunistischen oder sozialistischen Republiken. Natürlich sind die Arbeitsbeziehungen in diesen Republiken kapitalistisch. Aber es ist sehr wichtig hervorzuheben, dass diese Republiken sich als tatsächliche Volksrepubliken erwiesen haben. Wie meine ich das? Die alte politische Elite und die Wirtschaftselite sind nach Kiew geflohen, und die einfachen Leute sind dort zurückgeblieben. Wenn es sich um Beamte handelte, dann waren es Beamte der dritten oder vierten Ebene, die nicht viel darüber wussten, wie man bestimmte Prozesse organisiert, wie man arbeitet. Und das führte zu großen Schwierigkeiten in der ersten Phase der Bildung der Republiken, denn die Organisation der Arbeit der verschiedenen Abteilungen und Ämter ist ein ernstzunehmender Prozess, in dem man sich auskennen muss. Viele Leute, die zu jung waren oder einfach noch nie mit der Organisation solcher Fälle zu tun gehabt hatten, übernahmen Führungspositionen und machten oft Fehler. Aber das waren keine bewussten Fehler und nicht verbunden mit dem Versuch, sich persönlich zu bereichern. Es handelte sich um einfache Arbeiter, denen die Möglichkeit gegeben wurde, den Staat zu führen. Verständlicherweise haben sie den Staat so geführt, wie sie es eben konnten. Die Kritik muss eher an die Kommunisten der Ukraine gerichtet werden, die nicht ausreichend stark waren, um selbst die Macht zu übernehmen und sich am Prozess der Gründung neuer Republiken zu beteiligen. Deshalb habe ich zum Beispiel von Anfang an nie die Unzulänglichkeiten verurteilt, die es in den Republiken gab, weil ich verstanden habe, dass sie durch den Krieg verursacht wurden, dass sie durch die von Kiew organisierte Wirtschaftsblockade verursacht wurden, und dass sie durch die Unerfahrenheit verursacht wurden, durch die Tatsache, dass die Leute, die begannen, die Republiken zu regieren, einfache Leute aus dem Volk waren.
Was die Anschuldigungen bezüglich der Angriffe auf Kommunisten betrifft, so habe ich, solange ich hier bin – ich bin seit dem Frühjahr 2015 hier –, nie Druck auf mich gespürt. Ich sah, dass die Mitglieder der Kommunistischen Partei der Ukraine, die sie im Herzen tragen, und Anhänger kommunistischer politischer Ansichten, wenn sie gute Fachleute waren, die Gelegenheit bekamen, an der Führung der Republik teilzunehmen. Einer der stellvertretenden Vorsitzenden des Obersten Rats der Volksrepublik Lugansk ist zum Beispiel Kommunist, Sekretär des Bezirkskomitees der kommunistischen Partei – natürlich ein ehemaliger, denn es gibt hier keine kommunistische Partei mehr, oder besser gesagt, es gibt keine alte kommunistische Partei. Sein Nachname ist Khoroschilow. Dann gibt es noch den Vorsitzenden des Obersten Rates der Donezker Volksrepublik. Er ist ein ehemaliger Abgeordneter des ukrainischen Parlaments von der Kommunistischen Partei der Ukraine. Einer der Anführer, beziehungsweise einer der Kommandeure der Volksmiliz der Lugansker Volksrepublik ist ein Mann, der den Rufnamen „der Kommunist“ trägt, weil er von seinen Überzeugungen, von seinen Ansichten her ein Kommunist ist. Alle Kommunisten, die sich am Aufbau des neuen Staates beteiligen und der Gesellschaft Gutes tun wollten, bekamen jede Gelegenheit dazu.
Es gab hier tatsächlich mal einen Fall, wo ein selbsternannter Kommunist angegriffen wurde. Das war kurz nach Beginn der speziellen Militäroperation. Dieser Mann kam aus Moskau hierher und begann Flugblätter gegen den Krieg zu verteilen. Ich muss sagen, dass unter solchen Bedingungen, dass hier Granaten fliegen, Kinder und andere Menschen, Zivilisten sterben, eine solche Person als jemand, der von außen kommt, natürlich als ein Feind wahrgenommen wird. Den Leuten bleibt unklar, was er da schreibt, was er hier erreichen will. Denn wenn wir auf die Frage des Friedens zurückkommen, sind alle hier für den Frieden. Aber wir wissen, dass dieser Frieden unmöglich ist, solange es eine Bedrohung durch ukrainische Neonazis gibt. Wir könnten jetzt also sagen, dass wir uns aus dem Krieg zurückziehen, aber die andere Seite wird nicht das gleiche sagen. Ich möchte sagen, dass es sich hier tatsächlich um eine spezielle Militäroperation handelt, die nur deshalb eingeleitet wurde, weil die ukrainischen Behörden eine große Zahl von Kräften zusammengezogen haben, um den Donbass mit Gewalt zurückzuerobern. Sie haben etwa 100.000 Menschen versammelt, eine riesige Gruppierung. Und ohne die Hilfe der Russischen Föderation, wäre unsere Volksmiliz der Lugansker Volksrepublik und der Donezker Volksrepublik, nicht in der Lage gewesen, mit so vielen gut ausgebildeten Streitkräften aus der Ukraine fertig zu werden. Mit anderen Worten können wir hier nicht davon sprechen, dass diese Person angegangen wurde, weil sie kommunistischen Ideen anhängt. Er wurde angegangen, weil er gegen eine bestimmte Klausel des Gesetzes verstoßen hat, z.B. zur Störung der Mobilisierung oder anderen Sachen aufgerufen hat. Ich habe mich nicht eingehend mit diesem Fall befasst, so dass es für mich schwierig ist, ein Urteil zu fällen. Aber ich bin davon überzeugt, dass dieser Mann, der verhaftet wurde, nicht deswegen verhaftet wurde weil er ein Kommunist ist, sondern weil er eine so destruktive Haltung einnahm, die für unseren Staat zu diesem bestimmten Zeitpunkt gefährlich war.
KO: Dann lasst uns das Gespräch in diesem Sinne fortführen. Die kommunistisch-sozialistischen Kräfte in Russland forderten bereits 2015, dass die Volksrepubliken von der Russischen Föderation anerkannt werden sollten. Zu Anfang der militärischen Spezialoperation (Die Volksrepubliken wurden von Russland kurz vor der MSO anerkannt, Anm. KO) ist genau das geschehen. Welche Bedeutung hat deiner Meinung nach die Anerkennung und Eingliederung der Volksrepubliken in die Russische Föderation für den Kampf?
Alexej: Meine persönliche Position und die Position von Borotba, ist folgende: Es ist falsch die Donbass-Republiken des Separatismus zu bezichtigen. Die wahren Separatisten sind die ukrainische Regierung, die 1991 entstanden ist. Und wir glauben, dass die Prozesse, die heute in der Ukraine stattfinden etwas mit der Wiederherstellung der historischen Gerechtigkeit zu tun haben. Wenn dieses Land, meine Heimat, in der ich geboren wurde, die Sowjetunion, wiederhergestellt wird. Die ukrainischen Behörden sind also Separatisten, nicht wir. Die Menschen hier sind seit der Anerkennung und Eingliederung in die RF sehr glücklich, weil diese Zeit der Instabilität und der Missverständnisse vorbei ist. Die Menschen wissen, dass sie jetzt einen vollwertigen Reisepass bekommen können. Sie wissen, dass die Produkte ihrer Unternehmen auf den russischen Märkten verkauft werden können. Sie wissen, dass sie einer legalen wirtschaftlichen Tätigkeit nachgehen können. Natürlich hat die Gesellschaft, die hier lebt, die Prozesse, die im September 2022 stattfanden, als die Republiken und die neuen Regionen Saporischschja und Cherson in Russland aufgenommen wurden, sehr positiv wahrgenommen. Als gebürtiger Odessaer würde ich mir sehr wünschen, wenn meine Heimatstadt Odessa, die von der russischen Kaiserin Katharina II. gegründet wurde – die übrigens eine Deutsche war und ins Russische Reich kam –, dass meine Heimatstadt also auch in das Land zurückkehrt, welches sie geschaffen hat. Und so denken sehr viele Odessiten bis heute. Ja, heute können wir ihre Stimmen nicht sehen und hören, weil diese Stimmen vom Repressionsapparat zum Schweigen gebracht und übertönt wurden. Es gibt eine offizielle Statistik, die der Inlandsgeheimdienst der Ukraine Ende 2022 bekannt gegeben hat. Dieser Statistik zufolge wurden in der Ukraine 1.200 Strafverfahren allein wegen Veröffentlichungen in sozialen Netzwerken eingeleitet. Können ihr euch das vorstellen? Wenn jemand einen Beitrag zur Unterstützung der Russischen Föderation schreibt, dann wird das strafrechtlich verfolgt. Wenn also Leute Russland unterstützen, sowie den Entnazifizierungsprozess, oder nicht einmal Russland unterstützen, aber einfach keinen Krieg wollen, oder aber die Zelenskys-Regierung nicht befürworten, dann können diese Leute heute nichts sagen und wir können sie nicht hören. Wir werden sie erst hören können, wenn wir diese Gebiete befreit haben.
KO:Das ist sehr interessant. Alexej, ich danke dir dafür, denn es ist selten, dass man in Deutschland erfährt was dort vor sich geht. Lasst uns weiter über Russland sprechen. Wie du bereits sagtest, hat die Russische Föderation die militärische Spezialoperation in der Ukraine gestartet. Und du hast erwähnt, dass das offizielle Ziel die Entmilitarisierung, die Entnazifizierung der Ukraine ist. In der internationalen kommunistischen Bewegung, insbesondere in Deutschland, behaupten verschiedene linke Kräfte, dass die Entmilitarisierung und Entnazifizierung nur ein ein ideologischer Vorwand sei, um die imperialistischen Interessen der Russischen Föderation in der Ukraine zu verschleiern. Darüber hinaus gibt es viele Berichte über Unentschlossenheit und Probleme bei der Kriegsführung seitens Russlands. Viele Linke sind der Meinung, dass die russische Regierung selbst nicht sehr entschlossen ist, was ihr Handeln angeht. Dass es innerhalb Russlands einige Widersprüche gibt. Wie beurteilst du das Vorgehen der russischen Regierung bei der Umsetzung der selbsterklärten Ziele?
Alexej: Es muss verstanden werden, dass Russland keinen Krieg führt. Russland führt eine militärische Spezialoperation durch. Das Ziel dieser Operation sind terroristische Gruppierungen, die eine Bedrohung für die Existenz der Russischen Föderation darstellen. Wenn Russland zuschlägt, dann nur gegen militärische Ziele, Lagerhäuser, Hauptquartiere und andere militärische Einrichtungen, Flughäfen. Wenn es ein Krieg im klassischen Sinne des Wortes wäre, würde Russland natürlich – wir haben diesen Ausdruck im Russischen – einfach alles in Asphalt wälzen – ihr wisst schon –, wie eine Walze, die einfach alles überrollt. Natürlich kann sich Russland so nicht verhalten, denn es weiß, dass es sich nicht im Krieg mit dem Feind befindet, sondern dass es Menschen befreit, die heute unter ultranationalistischen Kräften leiden. Deshalb versucht Russland, Menschenleben zu schonen und seine Offensivoperationen mit Rücksicht auf die Zivilbevölkerung durchzuführen. Man kann also nicht sagen, dass es sich um Unentschlossenheit handelt. Es handelt sich einfach um eine Strategie, die darauf abzielt, Menschenleben zu bewahren. Russland hätte kein Problem damit, einfach alles mit Raketen zu bombardieren. Aber dann würde die russische Gesellschaft selbst nicht verstehen, wozu das getan wird. Sie würde sich fragen „Befreien wir also, oder verursachen wir im Gegenteil Zerstörung?“ Krieg bedeutet natürlich immer Zerstörung. Aber am Beispiel der Volksrepublik Lugansk kann ich sagen, dass ich in den Gebieten, die im Rahmen einer speziellen Militäroperation befreit wurden, viele Siedlungen gesehen habe. Das sind die Siedlungen, die die ukrainischen Truppen als Schild, als Schutz benutzt haben. Sie sind intakt. Und dort, wo sie die zivile Infrastruktur als Festung, als Schießplatz nutzten, wo sie Schießplätze in den Wohnungen von Wohnhäusern einrichteten oder wie an einem bekannten Ort in der Stadt Severodonetsk. Sie benutzten den Torbogen eines großstöckigen Gebäudes, um ihren Panzer zu verstecken. Der Panzer kam heraus, feuerte einen Schuss ab und versteckte sich in dem Torbogen des Wohnhauses. Natürlich griff die russische Luftwaffe diesen Panzer an. Der Panzer explodierte, ein Teil des Hauses wurde natürlich auch beschädigt und brannte ab, denn die ukrainischen Streitkräfte nutzen zivile Infrastruktur für militärische Zwecke. Das ist natürlich schlecht. Es führt zu Opfern, aber es ist nicht die Schuld Russlands, es ist die Schuld der ukrainischen Führung, die den Befehl gibt, jedes Haus, jedes Wohngebäude, jedes Krankenhaus, jede Schule zu halten.
KO:Bist du schon mal auf das Argument gestoßen, dass die Entnazifizierung und Entmilitarisierung nur ein Vorwand für die Militärische Spezialoperation sei und dass Russland in Wirklichkeit nur seine imperialistische Agenda in der Ukraine verfolgt? Und was ist deine übliche Antwort darauf, wenn du bereits mit so etwas konfrontiert wurdest?
Alexej: Ja, so ein Argument ist mir schon mehr als einmal begegnet. Aber eine solche Frage wird meist von Leuten gestellt, die den politischen Gesamtzusammenhang nicht verstanden haben. Das heißt, der Kontext, in dem sich die militärische Spezialoperation abspielt. Ich werde etwas weiter ausholen und diese Frage mit einer anderen Frage verknüpfen, die ebenso gestellt wird. Üblicherweise werden die USA und Russland gleichgesetzt. Es wird gesagt, dass es sich um zwei imperialistische Länder handelt und die Ukraine für sie ein Austragungsort ist. In Wirklichkeit ist sie es nicht. Diejenigen, die das sagen, verstehen nicht, was Imperialismus im Allgemeinen ist. Der Imperialismus ein Stadium in der kapitalistischen Entwicklung der Gesellschaft. Seit dem wir nach dem Zweiten Weltkrieg eine vereinheitlichte und globale Wirtschaft haben, ist dieses Stadium gewissermaßen allgegenwärtig. Diese globale Wirtschaft hat ein Zentrum und dann gibt es noch wirtschaftliche Subsysteme. Das Zentrum liegt in den Vereinigten Staaten. Nicht weil das die russische Propaganda sagt, oder aus irgendeinem anderen Grund, sondern weil die USA die Emission der wichtigsten Weltwährung, des Dollars, kontrollieren. Nicht Russland kontrolliert es, sondern die Vereinigten Staaten. Und die wichtigsten Zentren der Kapitalakkumulation befinden sich in den Vereinigten Staaten. Das heißt, wenn wir zum Beispiel den berühmten Black-Rock-Investmentfonds nehmen, dann sehen wir, dass die Höhe seines Kapitals den Haushalt vieler Länder übersteigt. Und das ist nur einer von vielen Investmentfonds in den Vereinigten Staaten. Das ist der Ort für die Akkumulation der Kapitale. Und deshalb liegt das Zentrum dieses einen globalen imperialistischen Systems in den Vereinigten Staaten. Die wirtschaftlichen Subsysteme haben keine klaren Grenzen, sie sind miteinander verflochten. Sie sind quasi Pole, von denen aus sich eine riesige Anzahl von Wirtschaftsketten ausbreitet. Das sind verschiedene Produktionslogistikstränge, Logistikrouten, Steuerstränge (also die Steuererhebung, wo sie erhoben, woher sie kommt, wo sie akkumuliert wird). Es gibt einen bestimmten Pol, an dem eine große Anzahl dieser Wirtschafts- und Produktionsketten verläuft. Es gibt eine ganze Reihe solcher Subsysteme auf der Welt. Dazu gehören das europäische Wirtschaftsubsystem, das mexikanisch-karibische, das postsowjetische Wirtschaftssubsystem, das asiatisch-pazifische Wirtschaftssubsystem, das nordafrikanische und südafrikanische. Es gibt also einige Pole. Seit Anfang des Jahrtausends, haben die Angriffe auf eines dieser Subsysteme begonnen. Welches? Gemeint ist das postsowjetische Subsystem. Das postsowjetische Subsystem umfasst traditionell die ehemaligen Republiken, die Teil der Sowjetunion waren. Denn seit vielen Jahrzehnten werden Wirtschaftsketten zwischen Unternehmen in Russland und Unternehmen in der Ukraine oder Kasachstan, Aserbaidschan, Armenien, Moldawien und so weiter aufgebaut. Dafür gibt es ein gutes Beispiel, nämlich das Turboatom-Werk in Charkiw. Dieses Werk stellte früher Turbinen für Kraftwerke her. Sobald jedoch die Maidan-Putsch-Regierung an die Macht kam, wurde die gesamte wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen Turboatom und der Russischen Föderation eingestellt oder auf ein sehr geringes Maß reduziert. Dies hatte Auswirkungen auf die gesamte Industrie, die in diesem System existiert. Aus der Sicht der Global Player war das jedoch von Vorteil. Wenn Rosatom eine Zeit lang keine Unternehmen, z.B. Kraftwerke bauen kann, wer ist dann der Nutznießer dieses Stillstands der Industrie? Auf amerikanischer Seite ist der Konkurrent von Rosatom Westinghouse – ein berühmtes Unternehmen, aber es gibt auch andere Konkurrenten aus Frankreich und anderen Ländern. Wenn wir uns die Situation vorstellen, was passieren würde, wenn die russische Gazprom ihre Tätigkeit für einige Zeit einstellen würde, dann würden die US-Schiefergaswerke, also die Unternehmen, die Schiefergas fördern, natürlich fabelhafte Gewinne erzielen. Es ist also klar, wer der Nutznießer ist. Seit Beginn des Jahrtausends gab es Angriffe aus verschiedenen Subsystemen, insbesondere aus dem europäischen und dem imperialistischen Zentrum gegen das postsowjetische System. Worin hat sich das geäußert? Im Machtwechsel in den Republiken, der schließlich zu einem Bruch der wirtschaftlichen Beziehungen führen sollte. Die erste war die Farbrevolution in Georgien 2003, dann 2004 der erste Maidan in der Ukraine. 2005 ein Putsch in Kirgisistan, 2009/10 ein Putsch in Moldawien. 2014 war der zweite Maidan in der Ukraine. 2018 ist der Putsch in Armenien geschehen, der Paschinjan an die Macht brachte, einen Protegé der imperialistischen Strukturen. 2020 gibt es einen Putschversuch in Weißrussland, der jedoch scheiterte. Wir müssen diese Prozesse als Glieder einer großen Kette betrachten. Das Zentrum und das europäische wirtschaftliche Subsystem versuchen, einen Konkurrenten in Form des postsowjetischen wirtschaftlichen Teilsystems auszuschalten. Und was wir heute in der Ukraine erleben, ist nicht ein Einfall Russlands und des postsowjetischen wirtschaftlichen Subsystems, der dort einen offensiven Kampf für seine Interessen führt. Im Gegenteil, es ist die Verteidigung dieses Zentrums, dieses Systems, dessen Vertreter natürlich Russland ist. Es handelt sich um ein Versuch, sich gegen diese Vorstöße der Vereinigten Staaten und der Europäischen Union zu wehren. Diese Vorstöße haben, wie ich bereits gesagt habe, einen wirtschaftlichen Hintergrund. Denjenigen, die sagen, dass es um zwei gleichwertige Imperialismen handelt, möchte ich sagen: Nein! Erstens handelt es sich nicht um das Gleiche, das eine ist ein Zentrum, und das andere ist ein Subsystem. Hier gibt es keine Gleichheit. Und warum hat die militärische Spezialoperation begonnen? Weil eben dieses Zentrum versucht hat, mit Hilfe der Ukraine und des ukrainischen Volks als Rammbock benutzend, das postsowjetische wirtschaftliche Subsystem anzugreifen. Heute hat sich eine interessante Situation ergeben, in der die Interessen der russischen Elite, die Interessen der russischen Arbeiterklasse und die Interessen der ukrainischen Arbeiterklasse zusammenfallen. Es ist klar, dass dies nicht für immer der Fall sein wird, aber heute ist es so. Und alle diese drei Akteure, die an diesem Prozess beteiligt sind, haben ein Interesse daran, dass die ukrainische Regierung – die im Wesentlichen ein Stellvertreter des US-Marionettenregimes ist – zerstört wird. Und ich möchte noch einmal betonen, dass Russland auf offizieller Ebene und auf der Ebene des Verständnisses eines einfachen Soldaten keinen Krieg gegen die Ukraine führt, sondern gegen das ukrainische Regime, unter dem unter anderem das ukrainische Volk leidet. Es ist sehr wichtig, dies zu verstehen. Es gibt keinen Konflikt, sagen wir mal, zwischen zwei Nationen. Es handelt sich um einen Konflikt mit einem konkreten Neonazi-Regime, und deshalb handelt es sich um keine Redewendung oder einen Vorwand, um ihre wirtschaftlichen Interessen zu fördern. Nein, es ist wirklich ein Ziel, dieses aggressive und ziemlich gefährliche ukrainische Neonazi-Regime zu stürzen.
Ich möchte noch ein weiteres Argument anführen, das dafür spricht, dass Russland mit dieser speziellen Militäroperation nicht seine wirtschaftlichen Interessen verfolgt. Es hat mit der Tatsache zu tun, dass man in offenen Quellen nachlesen kann, wie viel die russischen Oligarchen während der militärischen Sonderoperation verloren haben. Sie haben nicht dazugewonnen, sie haben verloren. Das zeigt, dass der Zweck dieser speziellen Militäroperation nicht war, dass Russland etwas bekommen wollte. Nein, im Gegenteil, es führt nur zu wirtschaftlichen Verlusten. Dieser Krieg ist für niemanden von Vorteil. Jeder würde ihn gerne beenden, aber er kann nur so beendet werden, dass er sich nicht wiederholen wird. Wenn er jetzt beendet wird, würde das bedeuten, dass die imperialistischen Staaten – die USA und die US-Satelliten – wieder Waffen in die Ukraine pumpen, die Kampfkraft der Ukraine wiederherstellen und das Gleiche wird wieder passieren, aber unter schlechteren Bedingungen für uns. Das ist natürlich inakzeptabel. Daher sollten sich im Idealfall alle Kräfte, die den Krieg beenden wollen – alle Antikriegskräfte – zusammenschließen und sich dafür einsetzen, dass die Waffenlieferungen an das ukrainische Regime eingestellt werden, denn es gibt nur einen Weg, diesen Krieg zu beenden, nämlich der, dass es das Kiewer Regime verschwindet.
KO: In eurem Telegram-Kanal veröffentlicht ihr manchmal verschiedene Artikel, in denen darüber gesprochen wird, dass es in Russland unterschiedliche Interessen in Bezug auf den Krieg gibt. Einige sind dafür, andere sind dagegen. Könntest du uns etwas mehr darüber erzählen? Warum gibt es diese unterschiedlichen Interessen und wie äußern sie sich?
Alexej: Ich denke, dass alles vom konkreten Fall abhängt, aber alle haben einen wirtschaftlichen Hintergrund. Dementsprechend werden die Geschäftsleute, die zum Beispiel mit europäischen oder US-amerikanischen Unternehmen gemeinsame Sache gemacht haben, und diejenigen, die durch den Beginn einer militärischen Sonderoperation aufgrund von Sanktionen oder aus anderen Gründen Gewinneinbußen erleiden, natürlich gegen die militärische Sonderoperation sein. Aber wenn wir diesen Prozess vom Standpunkt des Staates und der staatlichen Interessen aus betrachten und nicht von den Interessen einiger Privatpersonen, privater Geschäftsleute, dann war die spezielle Militäroperation notwendig, weil Zelensky anfing, Erklärungen abzugeben, dass sie sich aus dem Abkommen über die Nichtverbreitung von Atomwaffen zurückziehen würden. So haben die ukrainischen Behörden offiziell eine Doktrin zur Rückeroberung der Krim mit militärischen Mitteln verabschiedet. Dies ist nicht nur eine Erklärung eines einzelnen Politikers. Es handelt sich um ein offizielles staatliches Dokument, in dem es heißt: „Wir werden die Russische Föderation angreifen, insbesondere die Krim, und sie mit militärischen Mitteln zurücknehmen.“ Natürlich konnte die Russische Föderation nicht lange die Augen vor den Geschehnissen verschließen. Und als die ukrainische Seite anfing, riesige Kräfte anzuhäufen und eine 100.000 Mann starke Gruppierung im Donbass zu bilden, wurde die Entscheidung getroffen, eine spezielle Militäroperation durchzuführen, denn andernfalls würde diese 100.000 Mann starke Gruppierung den Donbass anzugreifen. Uns liegen sogar die Pläne der Kommandeure der ukrainischen Streitkräfte vor, die sie von ihrer Führung erhalten haben. Sie bereiteten sich auf die gewaltsame Rückeroberung des Donbass vor und seine Unterstellung unter Kiews Kontrolle. Dies ist ein grober Verstoß gegen die Minsker Vereinbarungen. Zu den Minsker Vereinbarungen ist übrigens zu sagen, dass die ukrainische Seite sie völlig ignoriert hat. Heute hören wir von Politikern wie Angela Merkel oder François Hollande, dass sie sich nur für diese Vereinbarungen eingesetzt haben, damit die Ukraine besser auf einen künftigen bewaffneten Konflikt mit Russland vorbereitet ist. Dies deutet darauf hin, dass die ukrainische Seite von Anfang an nicht vorhatte, die Minsker Vereinbarungen einzuhalten.
Ich möchte hier einen Vergleich machen, der vielleicht nicht ganz zutreffend ist, aber trotzdem drängt er sich auf. Stellen Sie sich vor, das Dritte Reich hätte 1941 die Sowjetunion noch nicht angegriffen und die Rote Armee wäre als erste auf die Wehrmacht losgegangen. Riesige Verluste wären vermieden worden. Der Krieg hätte trotzdem stattgefunden, aber riesige Verluste von Territorien und Soldaten wären vermieden worden. Es ist also durchaus möglich, dass Russland nach einer solch tragischen Erfahrung in seiner Geschichte beschlossen hat, nicht zu warten und proaktiv zu handeln. Wie der russische Präsident Wladimir Wladimirowitsch Putin zu sagen pflegt: „Wenn ein Kampf unvermeidlich ist, sollte man zuerst zuschlagen.“ Ich gehe davon aus, dass sich die russische Führung bei der absichtlichen Einleitung der Militäroperation an diesen Grundsatz gehalten hat.
KO: Genau diese Einschätzung ist Teil der Auseinandersetzungen in der Internationalen Kommunistischen Bewegung. Stimmst du der Aussage zu, dass Russlands Außenpolitik derzeit den Völkern hilft, die der Westen unterdrückt? Und was sagst du zu der Losung, die z.B. in der gemeinsamen Erklärung der kommunistischen und Arbeiterparteien im Februar 2022 – Joint Statement – zum Ausdruck kam. Dort hieß es, dass die Arbeiterklasse der Ukraine und Russlands gegen diesen imperialistischen Krieg kämpfen sollte. Und gibt es irgendwelche Veränderungen in der Debatte über strategische und taktische Fragen in der ukrainischen kommunistischen Bewegung, wenn wir sie mit 2014 oder dem Vorjahr vergleichen.
Alexej: Die russische Außenpolitik hat sich in den letzten Jahren verändert, weil Russland daran interessiert ist Verbündete in anderen Teilen der Welt zu haben. Russland sieht, wie zuvor die Sowjetunion, dass das imperialistische Zentrum eine neokolonialistische Politik verfolgt, indem es sich die natürlichen Ressourcen, die finanziellen Ressourcen, die menschlichen und intellektuellen Ressourcen verschiedener Länder zunutze macht. Und natürlich ist diese kolonialistische Politik für viele, insbesondere für Russland, inakzeptabel. Es ist also ganz logisch, dass sich viele Staaten, die unter dieser Politik des Imperialismus leiden, zusammenschließen könnten, und Russland unternimmt, wie wir gesehen haben, einige Anstrengungen, dies zu tun. Ich habe den Eindruck, dass sich dieser Prozess nur verstärken wird. Und die Integration zwischen solchen Staaten wird auch intensiver werden. Ich für meinen Teil kann diesen Prozess nur begrüßen, denn er wird auch zu gewissen Transformationen in der russischen Gesellschaft führen: Wenn wir heute schon sehen, dass die neoliberalen Eliten in Russland, die für den Erhalt des Einflusses der USA und Brüssels innerhalb Russlands eintreten, dort immer schwächer werden, dann kann man sich über diesen Prozess nur freuen. Ich bin wirklich froh, dass das jetzt geschieht. Wir haben seit den frühen 90er Jahren darauf gewartet. Die Sowjetunion ist zusammengebrochen, und es schien, als sei alles vorbei, dass die liberalen Ideen triumphieren, aber dann schlug das Pendel in die andere Richtung aus. Der Idee nach, wird es sich irgendwo in der Mitte einpendeln. Und ich kann eine solche Politik der russischen Behörden nur begrüßen.
Zum Joint Statement: Auch hier gibt es einen gewissen Konflikt. Die Kommunistische Partei Griechenlands hat sich – das ist meine persönliche Meinung – auf die Seite des Imperialismus geschlagen, weil sie die Idee der gleichen Verantwortung für das, was zwischen Russland und den Vereinigten Staaten geschieht, vertritt. Sie ignoriert diese Realität, die ich vorhin beschrieben habe, dass es ein imperialistisches Zentrum gibt und das es imperialistische Interessen dieses Zentrums in dieser Region gibt. Und es ist in der Tat Russland, das sich gegen diese Aggression verteidigt. Die Kommunistische Partei Griechenlands hingegen setzt es gleich und ist nicht bereit, diese Tatsachen zu berücksichtigen. Dies führt eine große Zahl von Kommunisten in die Irre, die der Kommunistischen Partei Griechenlands Glauben schenken. Allerdings würde ich die Kommunistische Partei Griechenlands nicht vorschnell als Feind abschreiben, denn die Menschen die dort organisiert sind, sind sehr unterschiedlich. Und wir haben gesehen wie viele KKE-Aktivisten sich an der Blockade von Eisenbahnlinien beteiligt haben, als militärische Ausrüstung in die Ukraine geliefert wurde. Das heißt, die Menschen wollen ernsthaft verhindern, dass dieser Konflikt eskaliert. Sie versuchen mit allen Mitteln, ihn zu stoppen, wo immer sie können. Als Bewohner des Donbass sind wir sehr dankbar für diese Haltung, dass die Menschen in Griechenland, in Italien und in anderen Ländern, die sich aktiv gegen Waffenlieferungen wehren, dies offen und regelmäßig tun und Mut beweisen. Denn wir verstehen, dass es bedeutet, dass weniger Menschen hier sterben werden. Die Kommunistische Partei Griechenlands hat meiner Meinung nach jedoch trotzdem die falsche Position eingenommen. Zu dem Aufruf, dass die Arbeiterklasse in der Ukraine und in Russland gemeinsam für den Frieden kämpfen soll: natürlich unterstütze ich das mit aller Kraft. Aber wir wissen, dass Frieden mit Faschisten unmöglich ist, und Faschisten werden immer noch versuchen, uns zu vernichten. Wenn wir also heute mit den Satelliten, die von den USA unterstützt werden, Frieden schließen, werden die ukrainischen Faschisten nur noch stärker werden, und derselbe Konflikt wird mit neuer Kraft wieder ausbrechen. Wie ich bereits sagte, kann dieser Konflikt nur auf eine Weise beendet werden, nämlich durch die Absetzung der ukrainischen Regierung und damit der Ersetzung durch politische Kräfte, die nicht völlig von den Vereinigten Staaten abhängig sind. Ich bin nämlich überzeugt, dass Zelensky auf Betreiben der Vereinigten Staaten von Amerika diese Position eingenommen hat, die auf eine Eskalation des Krieges abzielte. Sobald es in der Ukraine solche vernünftigen Kräfte in der Politik gibt, denke ich, dass es sofort Frieden geben wird.
KO:Alexej, könnest du noch etwas darüber erzählen, was eure Organisation derzeit tut? Wie seid ihr organisiert?
Alexej: Leider befindet sich unsere Organisation derzeit in einer sehr schweren Krise. Diese Krise hängt mit der Tatsache zusammen, dass wir in der Ukraine nicht politisch aktiv sein können. Wir können keine Massenveranstaltungen, keine Kundgebung oder Demonstration abhalten. Wir können keinen runden Tisch abhalten, wir können nicht offen über die Probleme sprechen, die es in der ukrainischen Gesellschaft heute gibt, denn es würde sofort zu Verhaftungen kommen. Aus diesem Grund konzentriert sich unsere Arbeit auf die Formen, die uns heute zur Verfügung stehen. Das ist die Informationsarbeit, das ist die internationale Arbeit. Dazu gehört, dass wir heute mit euch kommunizieren, und versuchen, unsere Position an unsere Genossen in anderen Ländern heranzutragen, damit sie wissen, was passiert. Wir organisieren Unterstützung der politischen Gefangenen, die wir haben. Diese Tätigkeit ist jedoch recht schwierig, denn heutzutage ist selbst die Überweisung von Geld an die Familien, die unter den ukrainischen Behörden zu leiden haben, recht schwierig. Dies ist der erste Teil der Krise unserer Organisation – die Unfähigkeit, vollwertige politische Tätigkeit auszuüben. Der zweite Teil unserer internen Krise hat mit der Tatsache zu tun, dass wir seit langem nicht mehr in der Lage sind, eine Hauptversammlung für unsere Aktivisten abzuhalten. Denn die Leute, die sich auf dem Territorium der Ukraine befinden, können nicht in den Donbass oder nach Russland kommen, um beispielsweise an einem Kongress teilzunehmen, um unsere internen Organe, den Rat unserer Organisation, neu zu wählen. Aus dem gleichen Grund können wir nicht in die Ukraine kommen, weil wir sofort verhaftet werden. Dementsprechend ist es schwierig, eine Generalversammlung/Kongress abzuhalten und einige grundsätzliche Entscheidungen zu treffen. Daher läuft die gesamte Tätigkeit der Organisation auf die Tätigkeit einzelner Aktivisten in verschiedenen Bereichen hinaus. Das heißt, jemand kämpft mit einer Waffe in der Hand. Unser Genosse, einer der Gründer von Borotba, Evgeny Galushkin, ist im vergangenen August gestorben. Er kämpfte aktiv in Mariupol und wurde von einem Scharfschützen an der Schulter verwundet. Nach seiner Genesung war er wieder im Einsatz, dann erlitt er eine Gehirnerschütterung. An den Folgen der Gehirnerschütterung erkrankte er nach einiger Zeit, und es gab niemanden, der ihm damals helfen konnte, sodass er starb. Er starb also nicht im Kampf, sondern an den Folgen der Kämpfe. Unsere anderen Genossen kämpfen noch. Galyshkin kämpfte in der DNR als Mitglied des neunten Marineregiments der Donezker Volksrepublik. Unsere Kameraden kämpfen auch in der Vierten Brigade der Volksrepublik Lugansk. Wir sehen uns regelmäßig, kommunizieren miteinander. Aber hier können wir keine offiziellen Veranstaltungen abhalten. Also ja, heute befindet sich Borotba in einer gewissen Krise.
KO: Es ist sehr traurig zu hören, dass es Verluste unter unseren Genossen gibt. Von Zeit zu Zeit verfolgen und beobachten wir die Ereignisse. Und wir lesen, was über unsere Genossen geschrieben wird.
Wir kommen nun zu der letzten Frage. Aber zunächst ein kurzes Vorwort. Wir, als Kommunisten in Deutschland befinden uns in einem Land, das Krieg gegen Russland führt. Zumindest denken wir so darüber. In der Antikriegsbewegung in Deutschland gibt es eine Debatte darüber, ob der russische Angriff (so wird das hier genannt) zu verurteilen ist oder nicht. Die Gewerkschaften stellen sich auf die Seite der Regierung und verurteilen den Krieg einseitig. Das bedeutet, dass nur Russland verurteilt wird, hingegen die NATO-Seite unterstützt bzw. mit Verständnis behandelt wird. Gleichzeitig unterstützen sie die sich verschlechternden Bedingungen für die Arbeiterklasse in Deutschland. Was möchtest du als den deutschen Kommunisten sagen/mitteilen?
Alexej: Ich möchte mich bei den deutschen Kommunisten – die den Krieg wirklich beenden wollen – für ihre Unterstützung, für diese Position, für ihre Solidarität herzlich bedanken. Und denjenigen Kommunisten, die heute unter den Einfluss des imperialistischen Zentrums und ihrer Soft Power, verschiedener Stiftungen, NGOs, verschiedener Organisationen geraten sind, möchte ich wünschen, dass sie bald die Führung ihrer Organisationen analysieren und eine politische Entscheidung treffen, dass es so nicht weitergehen kann, wenn sie echte Kommunisten sind. Und gleichzeitig möchte ich an alle Genossinnen und Genossen appellieren, die wirklich wollen, dass dieser Konflikt aufhört. Wir können das gemeinsam erreichen, wenn wir Druck auf die Führungen der europäischen Staaten ausüben, auf Italien, Deutschland, Frankreich, Spanien und andere Länder, die beschließen, Waffen in die Ukraine zu schicken. Denn je mehr Waffen hierher kommen, desto länger wird dieser Konflikt dauern, desto mehr Blut wird vergossen werden. Man kann diesen Konflikt nicht mit neuen Waffen beenden. Er kann nur beendet werden, wenn diese Lieferungen aufhören. Deshalb möchte ich um Hilfe bitten, um solidarische Unterstützung, um die Kommunisten, die heute in Deutschland sind. Man muss aktiv diese Position vertreten, dass wir das ukrainischen Neonazi-Regime nicht unterstützen können. Ich denke, dass jeder Konflikt irgendwann endet. Wir können daran arbeiten ihn schneller zu beenden, so dass weniger Menschenleben verloren gehen. Ich denke, alles wird gut!
KO: Vielen Dank! Bei uns ist dein Appell angekommen, und ich hoffe, dass er auch bei anderen ankommt.
Du hattest uns noch nach unserem Kongress gefragt, der vom 06-08. Oktober in Berlin stattfinden wird. In Berlin werden wir die Themen, über die wir heute gesprochen haben, mit anderen Kommunisten aus verschiedenen Organisationen aus der ganzen Welt diskutieren. Wir wollen darüber sprechen, was wir im imperialistischen Zentrum tun müssen, um die Kriege zu stoppen, die die NATO-Mächte, insbesondere die USA und Deutschland, führen. Alle Informationen über den Kongress findet ihr auf unserer Website kommunistische-organisation.de das ist die korrekte Website der kommunistischen Organisation. Wir werden unser Programm bald veröffentlichen, und ihr könnt natürlich daran teilnehmen. Nochmals herzlichen Dank und einen schönen Tag!