Wir veröffentlichen hiermit die verschriftlichte Ausarbeitung von Joachim Guilliard von seinem Vortrag „Rolle und Interessen des deutschen Imperialismus in Wirtschaftskriegen“ für den Kommunismus Kongress 2023. Der Vortrag musste krankheitsbedingt leider ausfallen.
Joachim Guilliard engagiert sich vor allem in der Friedens- und in unterschiedlichen Solidaritätsbewegungen – u.a. der Friedenskooperative Heidelberg. Er ist nebenberuflich Autor und Herausgeber von Zeitschriften und Büchern. Seine inhaltlichen Schwerpunkte sind Sanktionspolitik bzw. Wirtschaftskriege und Naher und Mittlerer Osten. Für den Kommunismus Kongress 2023 haben wir ihn für ein Referat zum Thema Sanktionen und den damit zusammenhängenden Interessen des deutschen Imperialismus gewinnen können.
Sanktionen werden uns in den bürgerlichen Medien häufig als zivile und damit legitime Druckmittel gegen andere Staaten präsentiert. Die Realität zeigt jedoch: Sanktionen sind Wirtschaftskrieg – mit fatalen Folgen für die betroffene Bevölkerung. Sie sind Mittel der Herrschaftsausübung und werden maßgeblich von den USA verhängt und von den EU- und NATO-Staaten mitgetragen. Wir wollen uns daher folgenden Themen und Fragen nähern: Was sind Sanktionen und welche Auswirkungen haben sie? Wer setzt sie ein und wem dienen sie? Welche widersprüchlichen Interessen gibt es in der Sanktionspolitik zwischen den USA und der EU bzw. der BRD? Wie schützen US-unabhängige, internationale Zusammenschlüsse wie z.B. die BRICS vor Sanktionen?
Vielen Dank an Joachim, dass wir seine Ausarbeitung nachträglich veröffentlich können.
Rolle und Interessen des deutschen Imperialismus in Wirtschaftskriegen
Gegen Wirtschaftssanktionen oder besser -blockaden der USA und der EU gibt es seit langem einen breiten Widerstand im globalen Süden, zu dem sich immer mehr Länder zusammenschlossen haben ‒ ungeachtet sonstiger Differenzen. Die Auseinandersetzung um die westliche Sanktionspolitik ist, wie sich zeigen lässt, ein zentraler Teil des Kampfes einer großen Mehrheit des Planeten gegen die westliche Vorherrschaft. Diese Auseinandersetzung bekam nun mit dem Wirtschaftskrieg des politischen Westens gegen Russland eine enorme Dynamik. Die praktischen Maßnahmen, die nun zunehmend im globalen Süden gegen Embargomaßnahmen ergriffen werden, beschleunigen die Umbrüche in eine multipolare Welt.
Die Wirtschaftsblockaden schlagen dadurch zunehmend auf ihre Urheber zurück, vor allem natürlich die gegen Russland. Und besonders hart trifft es bekanntlich Deutschland.
Es ist daher sinnvoll sich über ihre Wirkungsweise, ihre Folgen, den Widerstand aus dem Süden dagegen zu verständigen bevor wir uns dem recht widersprüchlich erscheinenden Agieren des deutschen Imperialismus in diesem Kontext zuwenden und seinen Interessen dahinter. [1]
Gegen ein Drittel der Menschheit
Bei den internationalen Auseinandersetzungen um Sanktionen geht es in erster Linie um umfassende Wirtschaftssanktionen, die eigenmächtig von einzelnen Staaten verhängt werden und Wirtschaft und Handel der Zielländer empfindlich treffen. Der Begriff „Sanktionen“ ist hier allerdings irreführend, da kein Staat oder Staatenbündnis das Recht hat, selbstherrlich Strafmaßnahmen zu verhängen. Die UN-Charta legitimiert allein den UN-Sicherheitsrat dazu. Im Rahmen der UNO werden sie daher durchgängig als „unilaterale Zwangsmaßnahmen“ bezeichnet.
Die Legitimität eigenmächtiger Embargomaßnahmen wird international ganz allgemein bestritten, da sie nur von wirtschaftlich dominierenden Mächten oder Bündnissen wirksam verhängt werden können und von daher in der Regel auch sehr selektiv eingesetzt werden. Gleichzeitig können diese Mächte sicher sein, nie selbst Ziel solcher Maßnahmen zu werden, selbst nicht beispielsweise bei völkerrechtswidrigen Kriegen, wie gegen Jugoslawien oder den Irak. Daher fördern unilaterale Maßnahmen keineswegs die „Stärke des Rechts“, wie u. a. führende Grüne hierzulande gerne ins Feld führen, sondern setzen auch nur das „Recht des Stärkeren“ durch. Auch wenn vorgebrachten Gründe berechtigt erscheinen mögen, bleiben sie im Grunde Akte der Willkür [aus dem „Arsenal des Faustrechts“, wie sie der Präsident der „International Progress Organization“ (I.P.O.) in Wien, Hans Köchler charakterisiert].[2]
Aktuell haben die USA teils allein, teils gemeinsam mit der EU gegen rund 40 Länder solche Maßnahmen ergriffen, bezogen auf die Bevölkerungszahl richten sie sich faktisch gegen ein Drittel der Menschheit. Einige, wie die Wirtschaftsblockaden gegen Kuba, Iran und Russland, sind allgemein bekannt. Die verheerenden Folgen der Blockaden gegen viele weitere, meist bereits völlig verarmte Länder wie Nicaragua, Mali, Simbabwe oder Laos hat jedoch kaum jemand auf dem Schirm.
Besonders umfassend sind die Blockaden gegen Nordkorea, Kuba, Iran und Syrien. Sie sind auch die langjährigsten. Ein kurzer Blick auf ihre Geschichte genügt um zu zeigen, dass sie mit Demokratie und Menschenrechten, mit denen die westl. Sanktionspolitik gerne gerechtfertigt wird, nichts zu tun hat. So laufen die Embargomaßnahmen der USA gegen die Demokratischen Volksrepublik Korea seit dem Beginn des Koreakriegs 1950. Während die Waffen seit 70 Jahren schweigen, wurde der Wirtschaftskrieg von den USA in wechselnder Intensität fortgeführt.
Ab 2006, nach dem ersten Atomwaffentest Nordkoreas kamen noch Sanktionen des UN-Sicherheitsrates hinzu. Da Nordkoreas 2003 den Atomwaffensperrvertrag kündigte und Pjöngjang kein anderes Land angegriffen hat, liegt an sich kein Völkerrechtsverstoß vor, der das Vorgehen legitimieren würde. Aber die fünf ständigen Mitglieder im Sicherheitsrat, die gleichzeitig auch die größten Atommächte sind, haben sich darauf verständigt, die zusätzliche Konkurrenz zu blockieren, während sie selbst ihren Abrüstungsverpflichtung aus dem Atomwaffensperrvertrag nicht nachkommen. Von Erfolg war das Bemühen bekanntlich nicht gekrönt.
Kuba
Kuba ist seit 1960 mit strengen Handels- und Finanzblockaden konfrontiert, als direkte Fortsetzung der militärischen und geheimdienstlichen Operationen, die Washington ab Ende 1959, nach dem Sturz des Diktators Fulgencio Batista, gegen die revolutionäre Regierung eingeleitet hatte und in der Invasion in der Schweinebucht gipfelten. Da Kuba bis dahin fast vollständig von den USA abhängig waren, wirkte die Blockade besonders brutal. Offen verkündetes Ziel war, „das Wirtschaftsleben Kubas zu schwächen […] um Hunger, Verzweiflung und den Sturz der Regierung herbeizuführen“.[3] Da der Rückhalt der Bevölkerung für die Revolution zu groß war, zielten sie bald vorwiegend darauf, die wirtschaftliche Entwicklung des Landes so gut es geht zu bremsen ‒ um zu verhindern, dass die sozialistische Insel ein zu leuchtendes Beispiel für andere unterjochte Länder wird.
Iran und Syrien seit dem Sturz des Schahs
Gegen den Iran haben die USA ab 1979, nach dem Sturz ihres wichtigsten Verbündeten in der Region, Schah Reza Pahlavi Wirtschafts-, Handels- und Finanzrestriktionen verhängt und stetig erweitert. Seit demselben turbulenten Jahr, in dem der US-Imperialismus mit dem persischen Schah-Regime der wichtigste Stützpfeiler im Nahen Osten weggebrochen war, ist auch Syrien mit US-amerikanischen Zwangsmaßnahmen konfrontiert. Washington setze das Land, wegen seiner Unterstützung palästinensischer und anderer antiimperialistischen Organisationen auf seine Liste „staatlicher Terrorismusförderer“.
Tödliche Folgen
Massiv in der Kritik weltweit stehen die Wirtschaftsblockaden ‒ ungeachtet ihrer politischen Einschätzungen ‒ natürlich wegen ihrer schädlichen Auswirkungen auf die Bevölkerung der betroffenen Länder. Von westlicher Seite wird zwar stets beteuert, dass ihre Maßnahmen sich allein gegen die jeweilige Regierung, das jeweilige Regime, richten würden. Doch selbst wenn dies tatsächlich der Fall wäre, liegt es auf der Hand, dass sie, sobald sie effektiv sind, d.h. den Handel und die Wirtschaft wirksam einschränken, sie stets in erster Linie die Bevölkerung treffen, vor allem deren ärmere, verletzlichste Teile. Tatsächlich sind Versorgungsengpässe bei umfassenden Blockaden stets vorprogrammiert. Letztlich behindern sie alle Importe und verteuern sie, während die Länder gleichzeitig durch Wegfall ihrer Exporte, die zum Einkauf nötigen Devisen verlieren. Wenn betroffene Länder zusätzlich auch vom internationalen Zahlungsverkehr und Kreditwesen ausgeschlossen werden, können sie nicht auf übliche Weise bezahlen, meist werden auch noch Transportmöglichkeiten blockiert.
In der Regel fallen auch immer sogenannte „Dual Use“-Güter unter die Blockadebestimmungen, also Güter, die zivil und militärisch genutzt werden können. Da es eine sehr große Bandbreite von Produkten gibt, die u. U. auch militärisch genutzt werden können, wird dadurch die Eigenproduktion stark beeinträchtigt ‒ von Maschinen und Ersatzteilen bis hin zu Pflanzendünger, Desinfektionsmitteln und Medikamenten.
Die heutigen Gesellschaften beruhen auf einem komplexen Netz unentbehrlicher Infrastruktur. Wenn z. B. aus Mangel an Ersatzteilen immer mehr Pumpen ausfallen, bricht für viele die Trinkwasserversorgung zusammen oder lässt der Ausfall des Abwassersystems ganze Stadtteile im Sumpf versinken und Cholera- und Typhus-Seuchen ausbreiten. Erhalten Bauern nicht mehr genug Saatgut und Dünger, bricht auch noch die Selbstversorgung mit Lebensmitteln zusammen.
Wenn mehrere solche Faktoren zusammenwirken, entstehen schnell lebensbedrohliche Notlagen. Richtig mörderisch wird es, wenn eine derart dominante Macht wie die USA ihre Gegner durch vollständige Blockaden zu strangulieren sucht, indem sie Drittländer und ausländische Firmen zwingt, sich den Embargomaßnahmen anzuschließen, durch Androhung von sogenannten „sekundären Sanktionen“ gegen sie selbst, sollten sie sich weigern. Davon sind vor allem Kuba und der Iran betroffen.
Die Blockaden können dadurch direkt tödlich sein, weil lebensrettende Medikamente fehlen, oder wie im Frühjahr in Syrien, weil Rettungskräfte teilweise wegen sanktionsbedingtem Treibstoffmangel nicht in die Erdbebengebiete gelangen und Hilfsorganisationen aufgrund der Finanzblockaden keine Hilfsgüter ins Land bekamen.
Eine gravierende Verschlechterung von Lebensverhältnissen geht stets mit einem Rückgang der Lebenserwartung einher. Daher führen Embargomaßnahmen unweigerlich auch zu einer wachsenden Zahl indirekter Toten, vor allem zu einem teils dramatischem Anstieg der Kinder- und Müttersterblichkeit und dem vorzeitigen Tot von Alten und Kranken. Dadurch kostete das umfassende Embargo gegen den Irak von 1990 bis 2003 mehr als einer Million Irakern und Irakerinnen das Leben, darunter ca. 500.000 Kindern.
Lang andauernde Wirtschaftskriege können daher sogar mehr Opfer fordern als militärische. Die aktuellen Handels- und Finanzblockaden gegen Länder wie Syrien, Venezuela oder Kuba wirken sicherlich nicht so verheerend wie das Irakembargo damals. Doch forderten auch die US- und EU-Sanktionen gegen Venezuela nach Schätzungen von Mark Weisbrot und Jeffrey Sachs in einer Studie für das Washingtoner Centre for Economic and Policy Research (CEPR) bereits zwischen 2017 und 2018 ca. 40.000 Menschenleben.[4]
Die von den USA und EU gegen Afghanistan verhängten Handels- und Finanzblockaden haben das Land nach dem Abzug der NATO-Truppen in eine katastrophale Lage gebracht. Experten befürchten, dass „Hunger und Elend“ nun „mehr Afghanen töten als alle Bomben und Kugeln der letzten zwei Jahrzehnten“.[5]
Auch in Syrien wirken die Wirtschaftsblockaden der USA und der EU, wie der damalige UN-Sonderberichterstatter, Idriss Jazairy schon im Mai 2019 berichtete, verheerender als der Krieg. Ihre Opfer würden nun nur „einen stillen Tod“ sterben.[6] Seine Nachfolgerin, Alena Douhan hat nach ihre Syrienreise im November letzten Jahres erneut eindringlich die Aufhebung gefordert. Sie hätten eine vernichtende Wirkung auf die syrische Zivilbevölkerung und verhinderten nach elf Jahren Krieg den Wiederaufbau des Landes und damit auch die Rückkehr von Millionen Flüchtlingen. Tausende von diese stranden stattdessen monatlich beim Versuch nach Europa zu kommen in Libyen oder ertrinken gar im Mittelmer.[7]
Und natürlich verursachen sie seit Jahrzehnten enorme wirtschaftliche Schäden, hemmen die wirtschaftliche Entwicklung und die Steigerung des Lebensstandards. Die kubanische Regierung schätzt den Schaden von 60 Jahren US-Blockade auf über 144 Milliarden US-Dollar. [8]
Dass Embargoopfer offenbar bewusst in Kauf genommen werden, belegt das berühmt-berüchtigte „Ja“ der damaligen Außenministerin der USA, Madeleine Albright, als sie gefragt wurde, ob die 500.000 tote Kinder durch das Irakembargo „den Preis wert waren“, den Preis dafür, dass die unbotmäßige einstige Regionalmacht nicht wieder auf die Beine kommt. Das offenbart keineswegs nur die besondere Skrupellosigkeit einer US-Politikerin, die Annalena Baerbock zu ihrem Vorbild erkoren hat und die auf grünen Parteitagen gefeiert wurde.
Tatsächlich sind schädliche Auswirkungen auf die Bevölkerung der angegriffenen Länder generell kein bedauerlicher Nebeneffekt, sondern gehören –entgegen allen Beteuerungen – zum Kalkül. Schließlich soll die Verschlechterung der Lebensbedingungen zu öffentlichem Druck auf die Regierung führen, den Forderungen der blockierenden Mächte nachzugeben, oder wie im Fall Kuba, Syrien, Iran oder Venezuela zum Aufstand nötigen. Alle Bürger der betroffenen Länder werden so als Geiseln genommen.
Ihre Ziele haben Wirtschaftsblockaden auch damit selten erreicht. Es gibt eine größere Zahl von Studien, die belegen, dass sie generell wenig bewirken. Noch nie konnten sie einen Krieg beenden und nur selten konnten sie das, ja häufige inoffizielle Ziel erreichen, die Bevölkerung zu einer Revolte gegen ihre Machthaber anzustacheln oder gar eine unliebsame Regierung zu Fall bringen.
Stattdessen haben umfassende Embargos die Position der herrschenden Eliten eher gefestigt als geschwächt. Da als Angriff von außen angesehen, veranlassen sie die Mehrheit der Bevölkerung, enger mit der politischen Führung des Landes zusammenzurücken (Rally-’round-the-Flag-Effekt“). Gleichzeitig erhöht sich dadurch auch in Länder wie dem Iran der Druck auf oppositionelle Kräfte, die leicht der Subversion und Unterstützung des Feindes beschuldigt werden können. D.h. statt durch Sanktionen eine Demokratisierung zu erzwingen, wie es offiziell oft angestrebt wird, beschränken sie im Gegenteil die Möglichkeiten fortschrittlicher Kräfte, demokratische oder soziale Verbesserungen durchzusetzen, drastisch.
Moderne Kriegsführung
Der einstige Sonderberichterstatter des UN-Menschenrechtsrates für Lateinamerika, Alfred De Zayas, brachte die grundsätzliche Problematik der vom Westen betriebenen Sanktionspolitik sehr gut auf den Punkt: Grundsätzlich seien Wirtschaftssanktionen vergleichbar mit „mittelalterlichen Belagerungen von Städten“, die zur Kapitulation gezwungen werden sollten. „Die Sanktionen des 21. Jahrhunderts versuchen aber nicht nur eine Stadt, sondern souveräne Länder in die Knie zu zwingen.“ Im Unterschied zum Mittelalter, würden die Blockaden des 21. Jahrhunderts „von der Manipulation der öffentlichen Meinung durch ‚Fake News‘, einer aggressiven PR-Arbeit sowie einer Pseudo-Menschenrechtsrhetorik begleitet werden, um den Eindruck zu erwecken, dass das ‚Ziel‘ der Menschenrechte kriminelle Mittel rechtfertigt.“[9]
Es ist letztlich eine Form moderner Kriegsführung und mittlerweile auch die am häufigsten angewandte. Da sie unblutig daherkommt, ist es leichter, dafür öffentliche Unterstützung zu finden oder, wenn nicht, sie auch so ‒ ohne größere Aufmerksamkeit zu wecken ‒ weitgehend unangefochten einzusetzen.
Die breit gefächerten Angriffe auf gegnerische Länder werden im Westen mittlerweile flankiert von einer Ideologie, die die westlichen „Werte “ und Regeln als Maß für jede Gesellschaft setzt und die die Staaten der Welt in Gut und Böse einteilt. Statt Völkerrecht soll nun eine „regelbasierte Ordnung“ gelten ‒ mit selbst festgelegten Regeln und durchgesetzt durch ein immer ausgedehnteres Sanktionssystem.[10]
Auseinandersetzung in UNO und Menschenrechtsrat
Die Auseinandersetzung um die Praxis der USA und der EU, andere Länder mit umfassenden wirtschaftlichen Restriktionen unter Druck zu setzen, wird vor allem auch im Rahmen der UNO und UN-Organisationen geführt. Bisher ist allerdings nur wenig von diesen Auseinandersetzungen dort in die westliche Öffentlichkeit gedrungen. Erst in diesem Jahr erhielt eine Resolution des Menschenrechtsrats etwas breitere Aufmerksamkeit, die sich gegen eigenmächtig, also nicht vom UN-Sicherheitsrat, verhängte Zwangsmaßnahmen richtet, da sie gegen Völkerrecht, gegen Menschenrechte und das Recht auf Entwicklung verstoßen. [11]
Sie ist jedoch keineswegs ein Novum. Seit der Gründung des Rates 2007 wird von der Bewegung der Blockfreien Staaten jedes Jahr eine solche Resolution gegen „die negativen Auswirkungen einseitiger Zwangsmaßnahmen auf die Wahrung der Menschenrechte“ eingebracht und mit wachsender Mehrheit verabschiedet.
Wie die vorhergehenden, verweist auch die neue Resolution darauf, dass nach den internationalen Pakten über „bürgerliche und politische Rechte“ und „wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte“ ein Volk in keinem Fall seiner eigenen Existenzmittel beraubt werden darf. Sie wiederholt die tiefe Besorgnis der Mehrheit im Menschenrechtsrat über die „schädlichen Auswirkungen einseitiger Zwangsmaßnahmen auf das Recht auf Leben, das Recht eines jeden auf das für ihn erreichbare Höchstmaß an körperlicher und geistiger Gesundheit und medizinischer Versorgung“ wie auch auf das Recht auf Freiheit von Hunger, auf einen angemessenen Lebensstandard und das Recht auf Entwicklung.“
Dieses Jahr stimmten 33 Mitgliedsstaaten für die Ächtung darunter auch Argentinien, Indien, Marokko, Pakistan und Südafrika. Die 13 Gegenstimmen kamen von den USA, den im Rat vertretenen EU-Staaten, Georgien und der Ukraine.
Die Mehrheitsverhältnisse in der UN-Generalversammlung (UNGV), von der seit langem regelmäßig zwei Resolutionen gegen eigenmächtige wirtschaftliche Zwangsmaßnahmen verabschiedet werden, sind ähnlich deutlich. Die erste wurde bereits im Dezember 1983 verabschiedet, gegen „wirtschaftliche Maßnahmen als Mittel des politischen und wirtschaftlichen Zwangs gegen Entwicklungsländer“. [12]
In Folgeresolutionen, die seit 1987 alle zwei Jahre von der „Gruppe der 77“ (G77) und China eingebracht werden, wurde zudem die internationale Gemeinschaft aufgefordert, dringend wirksame Maßnahmen gegen diese Praxis zu ergreifen.
Seit 1996 wird jedes Jahr eine weitere Resolution mit dem Titel „Menschenrechte und einseitige Zwangsmaßnahmen“ verabschiedet, die von der Bewegung der Blockfreien Staaten eingebracht wird und sich stärker auf die humanitären Folgen konzentriert. Beide Arten von Resolutionen stützen sich auf das grundlegende, in der UN-Charta verankerte Prinzip der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten andere Staaten.
Beide wurden in der Folge auch noch präzisiert und ausgeweitet. Die letzte, am 15. Dezember 2022 von der UNGV verabschiedete Resolution zählt 34 Punkte von Rechtsverstößen und schädlichen Auswirkungen auf. Sie verurteilt z.B. nun auch die Aufnahme von Mitgliedstaaten in einseitige Listen unter falschen Vorwänden […] einschließlich falscher Behauptungen über die Unterstützung des Terrorismus“ ‒ ein von den USA häufig gebrauchter Vorwand und „bekräftigt das Engagement für die internationale Zusammenarbeit und den Multilateralismus“. [13]
Sie wurde mit 123 Ja- gegen 53 Nein-Stimmen angenommen. Dem Nein der NATO- und EU-Staaten und ihren engen Verbündeten Australien, Israel, Japan, Neuseeland, Schweiz und Südkorea schlossen sich aus dem Süden nur so „bedeutende“ Staaten wie Marshall Inseln, Mikronesien oder Palau an
Resolutionen der Generalversammlung sind bekanntlich völkerrechtlich nicht bindend, im Unterschied zu denen des Sicherheitsrats. Durch ihren starken appellatorischen Charakter haben sie aber durchaus erhebliches Gewicht und können in Völkergewohnheitsrecht übergehen. Nach Ansicht einer Reihe von Experten, wie dem ehemaligen UN-Sonderberichterstatter Idriss Jazairy, könnte dies angesichts der Vielzahl der seit vielen Jahren verabschiedeten Resolutionen der UN-Vollversammlung bzgl. Ächtung von unilateralen Zwangsmaßnahmen bereits der Fall sein. [14]
Die USA erkennen natürlich diese Resolutionen, so beindruckend diese Serien auch sind, nicht an. Sie erklären sie schlicht für irrelevant, da sie das souveräne Recht der Staaten in Frage stellen würde, ihre Wirtschaftsbeziehungen frei zu gestalten und legitime nationale Interessen zu schützen.“ „Unilaterale Sanktionen“ seien ein „legitimes Mittel“, um „außenpolitische, sicherheitspolitische und andere nationale und internationale Ziele zu erreichen“.
Die EU-Staaten teilen weitgehend diesen Standpunkt. Auch sie beharren darauf, dass von einem völkerrechtswidrigen, unter das Interventionsverbot fallenden Zwang überhaupt keine Rede sein könne, da es schließlich jedem Land freistehe, zu entscheiden, mit wem es wie viel Handel treiben möchte.
Diese plumpe Argumentation halten jedoch auch die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages für nicht haltbar. Sie stellen klar, dass unilaterale Zwangsmaßnahmen als „extreme Formen der Druckausübung“ gelten und unter das Interventionsverbot fallen, sobald sie „die Schwelle der Erheblichkeit überschreiten“, indem sie vitale Staatsinteressen berühren und den sanktionierten Staat in der Ausübung seiner Souveränität spürbar behindern. Das ist bei den westlichen Embargos sicher der Fall.
Vor dem Hintergrund ist klar, dass viele Länder schon seit langem helfen, Wirtschaftsblockaden zu umgehen und dabei auch schon in den letzten Jahren zunehmend offensiver vorgingen. Mit dem Wirtschaftskrieg gegen Russland gab es in dieser Beziehung jedoch einen regelrechten Schub, der nicht nur Russland zugutekommt, sondern z.B. auch dem Iran.
Westen beim Russland-Boykott isoliert
Dass der Wirtschaftskrieg gegen Russland gründlich nach hinten losging, ist mittlerweile allg. bekannt. Wirtschaftsblockaden gegen ein derart großes, ressourcenreiches und politisch bedeutendes Land, wie Russland zu verhängen, war nüchtern betrachtet von vorneherein nicht aussichtsreich, weit weniger als gegen schwächere Länder, wie dem Iran oder Venezuela. Und auch gegen die konnte sich der Westen nicht durchsetzen. Gegen Russland stehen die NATO-Staaten zudem weitgehend allein. Bekanntlich weigern sich fast alle Staaten außerhalb Europas und Nordamerikas sich am Russland-Boykott zu beteiligen. Letztlich machen nur fünf Staaten außerhalb der NATO und der EU aktiv mit ‒ Australien, Japan, Neuseeland, Schweiz und Südkorea.
Viele der übrigen Staaten führen ihre Zusammenarbeit mit Russland nicht nur fort, sondern haben sie sogar noch intensiviert, an den Blockaden vorbei. Nicht nur China kauft russisches Öl und Gas in Rekordmengen, sondern auch zahlreiche andere Länder ‒ natürlich begünstigt durch Rabatte von bis zu 30 Prozent, die Moskau gewährt. Auch Indien hat z B. seine Ölimporte aus Russland vervielfacht. Russland konnte im März 2023 so viel Erdöl ins Ausland exportieren wie seit drei Jahren nicht mehr. [15] Häufig werden Erdöl und Derivate, wie Diesel, zum Weiterkauf in andere Ländern einfach umdeklariert. Etliche asiatische Länder, darunter auch die Türkei machen damit blendende Geschäfte. Selbst Saudi-Arabien hat den Import von Heizöl und Diesel für den Eigenverbrauch verzehnfacht und exportiert die so freigewordenen Kraftstoffe wesentlich teuerer nach Europa.[16]
Umgekehrt floriert auch der russische Import, indem unter Embargo stehende Waren über Nachbarländer importiert werden, wodurch die Liefermengen dorthin in dem Maße zunahmen, wie sie nach Russland sanken. [17] Gleichzeitig werden westliche Güter zunehmend durch asiatische ersetzt. Das schon zuvor beträchtliche russische Handelsvolumen mit China legte nach Berechnungen der New York Times bis Oktober 2022 bereits um 64 Prozent zu, das mit Brasilen verdoppelte sich und das mit Indien stieg auf mehr als das Vierfache. [18] Insgesamt vollzieht sich so seit letztem Jahr im Rekordtempo ein gravierender Umbruch im Welthandel.
Die russische Wirtschaft macht, wie der Wirtschaftsinformationsdienst Bloomberg im August meldete, beeindruckende Fortschritte und sei bald wieder auf dem Vorkriegsniveau.[19] Der IWF hat seine Wachstumsprognose für das russische BIP im Juli auf 1,5% erhöht, während es die BRD mit minus 0,3% zum Schlusslicht unter den großen Volkswirtschaften erklärte.[20]
Iran: wachsende Kooperationen mit dem Osten
Auch der Iran konnte seine wirtschaftlichen und politischen Beziehungen in letzter Zeit stark ausbauen. Zum einen durch eine immer engere Kooperation mit Russland. Vor allem aber durch den Ausbau der wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit asiatischen Staaten. China wurde mit Abstand größter Handelspartner und in Pekings „Belt and Road Initiative“ spielt er schon aufgrund seine Lage eine zentrale Rolle. Beide Länder haben ein langfristiges Kooperationsabkommen geschlossen, das chinesische Investitionen im Wert von 400 Milliarden Dollar vorsieht – gegen Erdöl-Lieferungen zu Vorzugspreisen.
Neben China hat auch Indien begonnen, den Handel und die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit der islamischen Republik wieder auszuweiten. Es steigerte nicht nur seine Öl-Importe wieder auf signifikante Mengen, sondern auch den Handel mit anderen Produkten.[21] Abgerechnet wird nun dabei nicht mehr in Dollar, sondern in Rupien. Südkorea will ebenfalls den Ölimport aus dem Iran wieder aufnehmen. Auch andere Staaten kaufen vermehrt iranisches Öl, sodass sich die iranischen Rohölexporte seit dem Herbst letzten Jahres verdoppelt haben.[22]
Dazu kommt, dass Iran in Kooperation mit Russland, Indien, China und seinen anderen Nachbarn Transportkorridore über sein Territorium ausbaut, zusätzlich zu denen in Ost-West-Richtung im Rahmen der Neue Seidenstraße auch in Nord-Süd-Richtung. Sie sollen sukzessive eine attraktive Alternative zu bisherigen Transportwege, wie dem Suezkanal sein, eine Alternative, auf die der Westen keinen Einfluss hat. Und Iran wird so zu einem zentralen Verkehrsknotenpunkt.
Die Kooperation mit den Länder Asiens und anderen wichtigen Staaten des Südens konnte Teheran schließlich mit der Vollmitgliedschaft in der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ), dem bedeutendsten sicherheits- und wirtschaftspolitischen Bündnis des Ostens und BRICS (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika) institutionalisieren. Dies stärkt auch die iranische Position gegenüber dem Westen entscheidend. Die beiden Bündnisse erkennen einseitige Zwangsmaßnahmen grundsätzlich nicht an.
Und von großer Bedeutung war natürlich die zuletzt von China zum Abschluss gebrachte Entspannung zwischen Riad und Teheran, die den Weg zu einer gleichzeitigen Mitgliedschaft der beiden Länder in der SOZ und BRICs freigemacht hat.
Der Iran spielt so eine zunehmend gewichtigere Rolle im Umbruch in eine multipolare Welt, während die EU-Staaten und besonders Deutschland sich mit dem dauerhaften Verlust lukrativer Geschäfte im Iran abfinden müssen.
Die Irankennerin Charlotte Wiedemann fasste dies einmal so zusammen: „Wenn Iran seinen regionalen Kontrahenten heute als gefährlich stark erscheint, spiegelt sich darin der Niedergang der USA ebenso, wie die iranische Fähigkeit, sich westlicher Einflussnahme seit 1979 entzogen zu haben.“ [23]
De-Dollarisierung
Der Widerstand gegen US-amerikanische Zwangsmaßnahmen wie auch das Bemühen um Schutz davor, befördern auch die Abkopplung vom Dollar und vom US-dominierten internationalen Finanzsystem. Beides sind ja zentrale Hebel im US-Sanktionsregime. Schon allein der Weg von Transaktionen über US-Banken oder die bloße Verwendung des Dollars bei ihren Geschäften, dienen den USA als Rechtfertigung dafür, Unternehmen anderer Länder zur Unterwerfung unter ihre Erpressungspolitik zu zwingen. [24]
Wenn immer häufiger Devisenreserven von Ländern, mit denen Washington im Clinch liegt, eingefroren und ihre Banken vom Zahlungsverkehr ausgeschlossen werden, kann sich natürlich kein Land mehr sicher davor fühlen. Folgerichtig arbeiten viele Staaten des globalen Südens nun mit Nachdruck daran, ihre Verwundbarkeit zu verringern – naheliegender Weise gemeinsam mit China und Russland.
So werden nicht nur zunehmend die westlichen Blockadebemühungen unterlaufen, sondern gleichzeitig auch ihre Abrechnung auf lokale Währungen umgestellt. Viele Länder bauen zudem eine Infrastruktur dafür auf, ihren Handel generell in anderen Währungen als Dollar und Euro abwickeln zu können.
Am weitesten ist dabei natürlich China, das mittlerweile schon rund 50 Prozent seines Außenhandels in seiner eigenen Währung abwickelt. [25] Ihr Anteil bei weltweiten Geschäften hat sich seit dem russischen Einmarsch mehr als verdoppelt. Er stieg von weniger als 2 Prozent im Februar 2022 auf 4,5 Prozent im Februar dieses Jahres und ist damit nicht mehr sehr weit von dem des Euro entfernt, der einen Anteil von 6 Prozent am Gesamtmarkt hat. [26]
Indien baut ebenfalls beschleunigt die eigene Landeswährung Rupie zu einer internationalen Handelswährung und Alternative zum US-Dollar auf. Und in Lateinamerika werden die seit langem gehegten Pläne einer gemeinsamen Regionalwährung wiederbelebt. Vor allem der brasilianische Präsident Lula da Silva drängt seit seiner Wiederwahl darauf und hat konkrete Gespräche mit Argentinien aufgenommen. [27]
Es wird zwar auch häufig über eine BRICS-Währung gesprochen, auf der Tagesordnung steht ein solch komplexes Unterfangen aber noch nicht. BRICS wird jedoch über seine Neuen Entwicklungsbank (New Development Bank, NDB) den Aufbau eines entdollarisierten Handelssystems vorantreiben. Diese multilaterale Entwicklungsbank soll dem Globalen Süden als Alternative zu IWF und Weltbank dienen. Sie steht auch anderen Ländern offen und kann zukünftig auch denen helfen, die durch Finanzblockaden vom US-dominierten Finanzsystem ausgeschlossen sind.
Noch hat der US-Dollar mit Abstand den größten Anteil am Welthandel und an den Devisenreserven. Doch wird seine Dominanz zunehmend in Frage gestellt. Hatte der US-Dollar 1977 einen Anteil von 85 Prozent bei den Devisenreserven und 2001 noch von 73 Prozent, so betrug er letztes Jahr nur noch 58 Prozent und sank bis April diesen Jahres auf 47 Prozent.[28] D.h. die Umbrüche, die im letzten Jahr einsetzten, haben einen Einbruch um 11 Prozent verursacht. Noch stärker brach die Nutzung des Euro bei weltweiten Geschäften ein. Sein Anteil bei Swift-Transaktionen z.B. sank seit letztem Jahr von 38 auf 24 Prozent.[29]
SWIFT-Alternativen
Neben dem Ausstieg aus dem Dollar arbeiten vielen Staaten und Bündnisse auch an Alternativen zum von den USA kontrollierten Finanzsystem ‒ von Kreditkarten bis zum internationalen Finanzkommunikationsnetzwerk SWIFT
Russland hat bereits 2014 ein eigenes Transfersystem, SPFS (System for Transfer of Financial Messages), etabliert, sowie ein nationales Zahlungssystem inklusive Kreditkarte namens Mir. Im Januar wurde es mit dem iranischen Finanzkommunikationssystem SEPAM zusammengeschlossen.[30]
Wesentlich leistungsfähiger ist Chinas „Grenzüberschreitendes Interbankenzahlungssystem“ (Cross-Border Interbank Payment System CIPS), das im Juni 2023 bereits über 1450 Teilnehmer aus 111 Ländern zählte, die darüber Geschäfte mit mehr als 4.200 Bankinstituten in 182 Ländern abgewickelten. [31] Von SWIFT, das von 11.000 Finanzinstituten in 200 Ländern genutzt wird, ist das chinesische System noch ein gutes Stück entfernt, kann aber durchaus schon als echte Alternative angesehen werden.
Auch die neun Mitgliedsländer der Asiatischen Clearing Union (ACU), zu denen u.a. Indien, Pakistan und der Iran zählen, planen ein eigenes grenzüberschreitendes Finanzkommunikationssystem aufzubauen. Bis dahin wollen sie das iranische SEPAM nutzen. [32]
Neue Blockbildung
Selbstverständlich läuft das alles nicht so reibungslos und gradlinig, wie es in der knappen Übersicht vielleicht klang. Auch wenn die Kooperation im globalen Süden enger wird, sind die gravierenden Unterschiede und Rivalitäten zwischen den Ländern nicht weg und das Engagement für eine multipolare Ordnung bedeutet für viele Länder nicht, dass sie nicht weiterhin an guten Beziehungen zu den westlichen Staaten interessiert sind und so auch immer wieder zu Zugeständnissen genötigt, die die Entwicklung hemmen.
Es handelt es sich bei den Regierungen, die sich gegen die westliche, imperialistische Dominanz wenden bekanntlich meist auch nicht um fortschrittliche Kräfte. Aber offensichtlich verschieben sich die Gewichte ‒ politisch wie wirtschaftlich ‒ rasant und eröffnen Spielräume für positive Entwicklungen.
Und die westlichen Wirtschaftskriege wirken dabei wie Katalysatoren, indem sie die Kooperation unter der Vielzahl der Länder festigen, die die reale Gefahr sehen, selbst direkt davon betroffen zu werden oder den Zwang von „Sekundärsanktionen“ überwinden wollen, der ihre Souveränität einschränkt und ihnen wirtschaftlich schadet.
Insbesondere schlägt der Kriegskurs, den die USA und ihre Verbündeten gegen Russland in Reaktion auf den russischen Einmarsch in der Ukraine eingeschlagen hat zurück. Manche sprechen davon, dass dieser die größte Neuaufteilung der Welt seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion eingeleitet hat.
Auf der einen Seite schuf der russische Einmarsch die einheitliche Front des Westens gegen Russland, die Washington seit langem anstrebt. So beteiligen sich auch formal neutrale europäische Länder wie die Schweiz und Österreich an den Wirtschaftsblockaden und nutzten die Regierungen Finnlands und Schwedens die Stimmung, um auch formal Mitglied der NATO zu werden.
Die angestrebte außenpolitische Isolierung Russlands ist jedoch wie oben schon skizziert krachend gescheitert. Auch wenn die Länder des Südens den russischen Einmarsch mehrheitlich als völkerrechtswidrig missbilligen, sehen sie die wesentliche Verantwortung für ihn bei den USA und der NATO und forderten von ihnen, von Beginn an, für ein rasches Ende des Krieges zu sorgen. Selbst Staaten, die eigentlich eher als westliche Verbündete gesehen wurden, wie die arabischen Golfstaaten oder Mexiko, weigern sich gegen Russland Partei zu ergreifen und beteiligen sich nicht am Wirtschaftskrieg. Dieser bringt die Länder des Südens besonders auf die Palme, da er auch ihnen mächtig zusetzt, der Westen sie damit ungefragt in seinem Hegemonialkonflikt mit Russland in Geiselhaft nimmt. All dies befeuert nun einen regelrechten Aufstand gegen die bisherige westliche Dominanz.
Statt einer Isolierung Russlands kristallisiert sich so die Bildung neuer, sich teilweise überschneidender Blöcke heraus, in denen Moskau eine bedeutende Rolle spielt. So rücken die vom Westen zum Feind erklärten Länder, wie Russland, China, Iran, Kuba und Venezuela enger zusammen, die gleichzeitig jedoch auch in anderen Bündnissen, wie BRICS und die SOZ integriert sind oder auch in der „Gruppe der 77“ (G77) und die Bewegung der Blockfreien Staaten (NAM). Vor allem BRICS und die SOZ haben starken Zulauf bekommen und entwickeln sich zu Gravitationszentren einer neuen multipolaren Ordnung. Mehr als 60 Staaten nahmen vor kurzem am Gipfeltreffen der BRICS-Staaten in Südafrika teil. Zahlreiche Länder haben die Aufnahme beantragt, sechs bereits aufgenommen: Argentinien, Äthiopien, Ägypten, der Iran, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate. Das erweiterte Bündnis „BRICS plus“ steht nun für fast die Hälfte der Weltbevölkerung und über 37 Prozent der weltweiten Wirtschaftsleistung. Für die Länder des Globalen Südens erwachsen sich daraus Möglichkeiten, sich aus dem Netz westlicher Bevormundung und Zwangsmaßnahmen zu befreien und die eigene Entwicklung forcieren.
Letztlich kann man auch von einem übergreifenden großen losen Block von Staaten reden, ‒ von Indien über die Golfstaaten und Südafrika bis Brasilien und Mexiko ‒ die aktuell dem Westen die Gefolgschaft verweigern ‒ nicht nur im Ukrainekrieg und bei Wirtschaftsblockaden ‒ und zusammen gut zwei Drittel der UN-Vollversammlung repräsentieren. Dem stehen rund 35 EU- und NATO-Staaten und noch 5 bis 10 weitere Länder gegenüber. Offensichtlich ist es der politische Westen, der sich zunehmend isoliert.
Bumerang
Besonders betroffen sind die EU-Staaten. Der Rückgang des politischen Einflusses in der Welt geht einher mit wirtschaftlichen Einbrüchen, nicht zuletzt auch wegen Einbußen durch die vielfältigen Boykottmaßnahmen, vor allem aber natürlich durch die gegen Russland. Was sie für schweres Geschütz gegen die russische Wirtschaft hielten, feuert mit voller Wucht zurück und gefährdet ihre eigene wirtschaftliche Stabilität. Für viele Experten wie Michael Lüders oder Michael Hudson sind Deutschland und seine EU-Partner dabei, damit wirtschaftlichen Selbstmord zu begehen.
Vor allem der hastige Ausstieg aus russischem Öl und Gas, der die Preise geradezu explodieren ließ, belastet durchweg, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß, Wirtschaft und Verbraucher und heizt die Inflation an. Zwar waren die Preise auch schon zuvor gestiegen, mit dem Boykott der russischen Lieferungen legten sie jedoch sprunghaft zu. Wobei dies selbstverständlich nicht nur eine Folge der Verknappung, sondern auch der Liberalisierung der Energiemärkte ist. Nach Wegfall des günstigen, durch langjährige Lieferverträge abgesicherten Pipelinegases aus Russland, kennt die Spekulation mit dem Rohstoff keine Grenzen mehr. Die fünf größten Öl- und Gasmultis BP, Shell, Exxon Mobil, Chevron und Total Energies haben 2022 Profite in Höhe von 200 Milliarden US-Dollar eingefahren und erwarten für dieses Jahr ähnlich hohe Gewinne. [33] Aber auch deutsche Stromkonzerne sahnen ab. RWE Gewinn von 1,5 Euro auf 3,2 Milliarden mehr als verdoppelt.[34]
Nach Berechnungen der Nachrichtenagentur Bloomberg auf Basis von Marktdaten belief sich die Belastung der EU-Staaten durch die steigenden Energiekosten bereits im Dezember 2022 auf rund eine Billion US-Dollar. [35]
Am stärksten schlägt der Wirtschaftskrieg bekanntlich auf Deutschland zurück, das sich bisher zu einem sehr hohen Anteil mit besonders günstigem russischem Erdgas aus Pipelines versorgte und daraus erhebliche internationale Wettbewerbsvorteile zog. Dass die deutsche Wirtschaft mittlerweile tief in der Krise steckt, leugnet niemand mehr. Am Donnerstag meldete das Statistischen Bundesamt, dass die deutschen Exporte im Vergleich zum Vorjahr um 5,8 Prozent eingebrochen sind,[36] die führende deutsche Wirtschaftsforschungsinstitute prognostizieren nun im September in ihrer Gemeinschaftsdiagnose einen BIP-Rückgang von 0,6 Prozent.[37] Der IWF hatte bereits im Juli die BRD mit einem Minus von 0,3 Prozent als Schlusslicht unter den großen Volkswirtschaften gelistet.[38] Und die Auswirkungen durch explodierte Energiekosten und drastische gestiegene Ladenpreise spüren wir alle.
Politik und Medien bemühen sich allerdings krampfhaft die Hauptursache, den Boykott von russischem Öl- und Gas auszublenden. Man nennt als Grund zwar gestiegene Energiepreise, führt diese aber, wenn überhaupt, auf den „russischen Angriffskrieg“ zurück.
Der Wirtschaftskrieg ist der „Elefant im Raum“, den selbst die Führungen der Linkspartei und der Gewerkschaften nicht thematisieren wollen, wohl aus Sorge vor dem Vorwurf, die antirussische Front zu schwächen, eine Art „Wehrkraftzersetzung“ zu begehen.
Wenn die Ampelregierung an ihrem Kurs festhält, wird Gas auch dauerhaft viel teuer bleiben und damit das Erfolgsrezept der exportorientierten deutschen Wirtschaft weiter zusammenbrechen.
Vasallentum?
Treibende Kraft in der Konfrontation mit Russland, der militärischen Aufrüstung der Ukraine, der militärischen Beteiligung am Krieg in der Ukraine und schließlich auch beim Wirtschaftskrieg ist zweifellos der US-Imperialismus, der mittels des Stellvertreterkriegs Russland als ernsthaften Gegenspieler in der Welt und wichtigen Verbündeten Chinas neutralisieren will.
Er konnte sich hier auch gegenüber dem deutschen Imperialismus durchsetzen, der bisher die wirtschaftliche Kooperation mit Russland im Energiesektor nicht aufgeben wollte und daher auch Nord Stream 2 bis Feb. 2022 weiterfolgte, trotz Gegenwinds aus Washington, unterstützt durch willfährige Verbündete im Land, insbesondere von den Grünen. Nach anfänglichem Zaudern reduzierte die Ampelregierung aber den Import von Öl und Gas wie kaum ein anderes EU-Land. Als die explodierenden Gaspreise dann den Druck steigen ließen, wieder russisches Gas über Pipelines zu beziehen, falls nötig auch über die neuen Nord-Stream-2-Röhren, nahm Washington diese Option durch ihre Sprengung erstmal gründlich vom Tisch.
Die Biden-Administration demonstrierte damit gleichzeitig auch seine Entschlossenheit und Brutalität, mit der sie ihren Willen auch gegen Bündnis-„Partner“ durchzusetzen, bereit ist.
Eine Röhre blieb allerdings intakt und Russland könnte darüber, wie Putin erst kürzlich erneut versicherte, Gaslieferungen nach Deutschland jederzeit wieder aufnehmen. Darüber wird in Berlin nicht mal diskutiert, sowenig wie über den terroristischen Sabotageakt aus dem eigenen Lager an einer für Deutschland und Westeuropa wichtigen Infrastruktur.
Aus Sicht Washingtons brachte der Wirtschaftskrieg trotz der Widerständigkeit der russischen Wirtschaft durchaus gewisse Erfolge. Die wirtschaftlichen Beziehungen Deutschlands und Westeuropas zum großen östlichen Nachbarn, die sie seit langem bekämpften, sind nun weitgehend gekappt und die Abhängigkeit von den USA durch die Umstellung der Erdgasversorgung auf US-amerikanisches Frackinggas gestärkt, wodurch die US-amerikanischen Energiekonzerne sich über rasant gestiegene Profite freuen können. Der durch Verlust an Wettbewerbsfähigkeit zu erwartende wirtschaftliche Niedergang Deutschlands und der EU wird als Kollateralnutzen gerne mitgenommen, stärkt er doch die Vormachtstellung der USA in Europa zusätzlich.
Daraus erhebt sich natürlich die große Frage, warum unsere Regierung und die anderen EU-Staaten dennoch mitspielen, den USA auf ihre Kosten dabei helfen „to make America great again“ ?
Vermehrt wird sie mit einem „Vasallenverhältnis“ beantwortet, die gegenüber den USA bestehe. Das ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Selbst die europäische Denkfabrik European Council on Foreign Relations (ECFR) spricht in einer kürzlich publizierten Analyse von einer zunehmenden „Vasallisierung Europas“. Auch sie konstatiert, dass die USA seit dem russischen Einmarsch in der Ukraine völlig die Politik in Europa dominierten ‒ nicht nur bezüglich der militärischen Unterstützung Kiews, sondern auch, indem sie allein die gemeinsame Kriegsstrategie diktierten. Alle „strategischen Entscheidungen“ würden „in Washington getroffen“. Dies wurde ja auch immer wieder deutlich demonstriert, z.B. wenn die NATO-Vormacht seine Verbündeten auf ihren Militärstützpunkt im pfälzischen Ramstein zitierte und anschließend Kanzler Scholz seine zuvor geäußerten Vorbehalte gegen diverse schwere Waffen, Kampfpanzer etc. beiseite schob und sie dann doch an die Front in den Osten der Ukraine sandte.
Wer sich nun aber einen Fortschritt erhofft, wenn die EU-Staaten sich von der Dominanz der USA lösen würden und von ihnen eine eigenständige, souveräne Außen- und Sicherheitspolitik fordern, übersieht, dass deren Unterordnung zum großen Teil freiwillig ist und aus Eigeninteresse erfolgt. Selbstverständlich darf man die vielfältigen Einflussmöglichkeiten des US-Imperialismus nicht kleinreden, angefangen von Soft-Power, durch den Einfluss auf Medien, Parteien, Kultur etc., über den wirtschaftlichen Einfluss durch die erhebliche Anteile des US-Kapitals an europäischen Unternehmen, bis zu den harten Bandagen, wie den Sekundärsanktionen.
Gegen einen einhelligen, entschiedenen Willen der herrschenden Klassen in den großen westeuropäischen Staaten könnte sich Washington jedoch schwerlich derart konsequent durchsetzen und sich willfährige Politiker wie Baerbock und Habeck nicht halten.
Die von den führenden Kapitalfraktionen verfolgte bewusste Unterordnung erfolgt in erster Linie, weil sie ihnen für die Verfolgung ihrer eigenen imperialistischen als erfolgversprechendste Option erscheint. Natürlich liebäugeln die deutschen Imperialisten spätestens seit dem Anschluss der DDR damit, als Weltmacht auf Augenhöhe mit den USA aufzusteigen, im Rahmen einer deutsch dominierten Europäischen Union. Aussichtsreich wäre dies aber höchstens in enger Kooperation mit Russland. Lange Zeit wurde dies von konservativ-nationalistischen Kreisen auch vorsichtig befürwortet.
Mit ihren Bemühungen im Rahmen der EU um „strategische Autonomie“ sind sie und ihre europäischen Partner bisher aber nicht weit gekommen. Im letzten Jahrzehnt hat die EU wirtschaftlich, technologisch und militärisch sogar an Boden gegenüber den USA verloren. Und mit Blick der aufstrebenden Mächte des globalen Südens mussten sie erkennen, dass sie ihre Pfründe, die die bisherige Weltordnung garantierte, nur im engen Schulterschluss mit dem US-Imperialismus verteidigen und den Verlust noch einige Zeit hinauszögern können. Nur so sehen sie noch eine Chance, auch weiterhin mit militärischen und wirtschaftlichen Maßnahmen ihre „regelbasierte Ordnung“ in weiten Teilen der Welt durchsetzen und dort die wirtschafts-, sicherheits- und machtpolitischen Regeln bestimmen zu können. Solange es in den EU-Staaten keine Linke gibt, die einen Kurswechsel durchsetzen kann, würde mehr Souveränität daran nichts grundsätzlich ändern. Da es jedoch US-imperialistische Bestrebungen bremsen und besonders schädliche Exzesse beenden könnte, ist die Forderung nach Abkehr von der Unterordnung auch nicht verkehrt, sie darf nur keine Illusionen in ein „besseres Europa“ wecken.
Auch wenn starke Interessens-Widersprüche bleiben, insbesondere in Bezug im Umgang mit China, überwiegt offensichtlich das gemeinsame Interesse Russland als Konkurrent niederzuringen und den Aufstiegs China zu bremsen.
Dafür sind sie offensichtlich bereit auch einen hohen wirtschaftlichen Preis zu zahlen. Wobei die Kosten wie immer sehr ungleich verteilt werden. Tatsächlich gibt es hierzulande ja nicht nur Verlierer, sondern auch mächtige einflussreiche Gewinner. So konnten die 40 Dax-Konzerne im Schnitt ihre Gewinne 2022 erneut steigern und schütten dieses Jahr so hohe Dividenden aus wie noch nie.[39]
Weltmachtstreben bleibt ungebrochen
Besonders gut florieren natürlich die Geschäfte der Rüstungskonzerne. Insbesondere die Herrschenden in Deutschland nutzten die zur „Zeitenwende“ hochstilisierte Ausweitung des Krieges in der Ukraine dazu, ihre längst fertigen ehrgeizigen Aufrüstungspläne forciert in Angriff zu nehmen. Sie zeigen damit, dass sie ihr Streben nach einer Großmachtrolle nicht aufgegeben haben und in der Eskalation in der Ukraine die Chance sehen, ihre militärischen Führungsansprüche rascher Realität werden zu lassen.
Unterfüttert vom satten 100 Mrd. Sonderkreditrahmen für die Bundeswehr sollen nach den Plänen der Ampelkoalition die deutschen Militärausgaben 2024 schon auf ca. 84 Mrd. Euro steigen (51,8 Mrd Euro im regulären Haushalt plus mindestens noch 19,2 Mrd. aus dem „Sondervermögen“, und 14,5 Mrd. zusätzliche Ausgaben nach NATO-Kriterien), womit angesichts lahmender Konjunktur die anvisierten zwei Prozent des BIP schon überschritten werden könnten.[40]
Laut Kanzler Scholz soll die Bundeswehr mit den angestoßenen gigantischen Rüstungsvorhaben zur größten europäischen Armee im Rahmen der NATO hochgerüstet werden. Auch die anderen EU-Länder rüsten massiv auf. Indem der deutsche Imperialismus als größte Wirtschaftsmacht in der Union die höchsten Militärausgaben anstrebt und bei den gemeinsamen militärischen Großprojekten die technologische und unternehmerische Führung, untermauert er seinen Anspruch, die EU zu einer führenden militärischen Macht in der Welt ausbauen zu wollen ‒ mit Deutschland an der Spitze.
SPD-Chef Lars Klingbeil drückte es im Juni 2022 in seiner Grundsatzrede in der Debatte um die „Substanz“ der zukünftigen „Zeitenwende-Politik“ der SPD so aus: Europa müsse „als geopolitischer Akteur mehr Gewicht bekommen“. Jetzt sei der richtige Moment. „Nach knapp 80 Jahren der Zurückhaltung“ habe „Deutschland heute eine neue Rolle im internationalen Koordinatensystem“ und müsse „den Anspruch einer Führungsmacht haben“.[41]
In einem Grundsatzpapier der SPD wird dabei die Erosion der US-Vorherrschaft in der zunehmend multipolaren Welt auch als Chance beschrieben. Noch seien die Beziehungen zu den USA, d.h. die Unterordnung im Schulterschluss mit dem US-Imperialismus, zentral für die Außenpolitik Deutschlands und der EU, perspektivisch allerdings würden sich „die USA strategisch und sicherheitspolitisch zunehmend dem indopazifischen Raum“ zuwenden und Raum für den über die EU vermittelten Aufstieg Deutschlands zur Weltmacht bzw. „Führungsmacht“ schaffen. [42] Die im Juni vorgelegte „Nationale Sicherheitsstrategie“ der Bundesregierung geht auch in diese Richtung.
Praktisch könnte sich das im Ukrainekrieg zu einem gefährlichen Szenario entwickeln, wenn die USA ihre militärische Beteiligung zurückfahren und es, wie es Wolfgang Streeck skizzierte, „Deutschland übertragen, dafür zu sorgen, dass die Ukraine trotz ihrer unrealisierbaren Kriegsziele im Kriegsgeschäft bleiben kann. Deutschland würde dann innerhalb der Nato für die langen Jahre eines Abnutzungskrieges gewissermaßen die Konsortialführung in Europa übernehmen, wie schon jetzt bei den Panzern, mit allen Konsequenzen, einschließlich, wenn es zu gut für Russland läuft, einer sich allmählich aufbauenden direkten Kriegsbeteiligung, etwa an der Spitze einer ‚europäischen Armee‘“.
Von den größeren militärischen Fähigkeiten erhoffen sich deutsche Imperialisten auf alle Fälle mehr Einfluss und ein wesentliches größeres Gewicht innerhalb der transatlantischen Machtverteilung.
Da eine grundlegende Maxime US-amerikanischer Strategie ist, zu verhindern, dass die US-Vorherrschaft über Europa durch ein starkes Deutschland im Verein mit Russland untergraben wird, kann Washington solche Bestrebungen selbstverständlich nur akzeptieren, wenn Deutschland seine Verbindungen zu Russland dauerhaft kappt. Das wurde gründlich vollzogen. Gleichzeitig hat der deutsche Imperialismus damit jedoch auch die Axt an die wirtschaftliche Basis für seine Ambitionen gelegt. Generell deutet alles darauf hin, dass nicht nur er und die gesamte EU mit dem militärischen und wirtschaftlichen Krieg gegen Russland sich das Wasser abgraben, sondern auch der US-Imperialismus, dessen Position in der Welt bereits ebenfalls deutlich geschwächt wurde.
[1] Ich kann die verschiedenen Punkte nur kurz anreisen, detaillierte Ausführungen findet man in den ausführlicheren Beiträgen auf meinem Blog: https://jg-nachgetragen.blog/category/embargos/
[2] Hans Köchler, Sanktionen aus völkerrechtlicher Sicht, International Progress Organization, 2018
[3] Helen Yaffe, The US Blockade Against Cuba Is an Act of War, Jacobin, 27.03.2022
[4] Mark Weisbrot u. Jeffrey Sachs, Economic Sanctions as Collective Punishment: The Case of Venezuela, CEPR, 25.4.2019
[5] J. Guilliard, Hindukusch: „Hölle auf Erden” ‒ 2 Jahre nach Abzug der NATO-Truppen aus Afghanistan, junge Welt, 16.08.2023
[6] J. Guilliard, Syrien: „Stiller Tod durch Sanktionen“, Ossietzky 13/2019)
[7] Sanktionen gegen Nothilfe ‒ Hilfsorganisationen fordern Aufhebung der EU-Sanktionen gegen Syrien, weil sie die Erdbeben-Nothilfe blockieren, german-foreign-policy, 8.2,2023
[8] Helen Yaffe, .a.a.O.
[9] UN-Sonderberichterstatter: Die Sanktionen gegen Venezuela töten viele Menschen, RT, 30.01.2019
[10] s. u.a. Norman Paech, Verdeckte Kriege im Schatten des Völkerrechts, Das Argument 340, Feb. 2023 / NachDenkSeiten 8..5.2023
[11] The negative impact of unilateral coercive measures on the enjoyment of human rights, Resolution A/HRC/52/L.18, 3 April 2023
[12] A/RES/38/197, Economic measures as means of political and economic coercion against developing countries, UNGV, 20.12.1983
[13] UN-GA Res 77/214. Human rights and unilateral coercive measures, General Assembly, Seventy-seventh session, 15.12.2022
[14] Idriss Jazairy, Report of the Special Rapporteur on the negative impact of unilateral coercive measures on the enjoyment of human rights, A/HRC/30/4, UNHRC, 10.8.2015
[15] Russische Wirtschaft: Ölexporte auf höchstem Stand seit April 2020, tagesschau.de, 14.04.2023
[16] Saudi Arabia imports record volumes of discounted Russian fuel oil in June, Al Monitor, 13.7.2023
[17] EU-Behörde hat Verdacht: Nachbarn helfen Russland, die Sanktionen zu umgehen, Berliner Zeitung, 21.02.2023
[18] How Russia Pays for War, New York Times, 30.10.2022
[19] Russia’s War Economy Expands More Than Forecast Despite Sanctions, Bloomberg News, 11.8.2023, Sanktionen ohne Erfolg? Russlands Wirtschaft erlebt beeindruckende Erholung, Telepolis, 14.8.2023
[20] IWF-Prognose: Deutschland ist Konjunktur-Schlusslicht, Statista, 26.07.2023
[21] Non-oil goods worth nearly $750m exported from Iran to India in 2 months, Tehran Times, 16.6.2023
[22] J. Guilliard, Der Wirtschaftskrieg gegen den Iran: Aufstieg der Belagerten, Unsere Zeit, 23.6.2023
[23] Charlotte Wiedemann, Iran und der Westen: Kleiner großer Satan, Qantara, 25.06.2018
[24] Einen Überblick über die Funktionsweise von Zwangsmaßnahmen der USA gibt Sascha Lohmann in Extraterritoriale US-Sanktionen, SWP-Aktuell 2019/A 31 v. 27.05.2019
[25] Prof. Horst Löchel, US-Dollar versus RMB – Bipolares Währungssystem möglich, Table Media, 6.6.2023, China wickelt Außenhandel erstmals mehrheitlich in Yuan ab, 02.05.2023
[26] Renminbi’s share of trade finance doubles since start of Ukraine war, Financial Times, 12.4.2023
[27] Gemeinsam unabhängiger ‒ Argentinien und Brasilien streben eine gemeinsame Währung an, IPG Journal, 03.02.2023, Brazil and Argentina to start preparations for a common currency — Other Latin American nations will be invited to join plan which could create world’s second-largest currency union, Financial Times, 22.2.023
[28] Philipp Fess, De-Dollarisierung: Wie nah ist der monetäre Machtwechsel?, Telepolis, 06. Mai 2023
[29] Beginn einer Ent-Euroisierung? Euro-Nutzung bricht laut Swift ein, DWN, 24.09.2023
[30] Pepe Escobar, Die große Leiche: Russland-Iran entledigen sich des Dollars und brechen die US-Sanktionen, The Cradle / seniora.org, 13.2.2023
[31] CIPS Participants Announcement No. 86, CIPS, 30.6.2023
[32] Südasien koppelt sich teilweise vom SWIFT-System ab, Deutsche Wirtschaftsnachrichten, 16.06.2023
[33] Wolfgang Pomrehn, Ölkonzerne fahren Rekordgewinne ein, 21.1.2023
[34] RWE profitiert von angespannten Energiemärkten, Handelsblatt, 25.01.2023
[35] Europe’s $1 Trillion Energy Bill Only Marks Start of the Crisis, Bloomberg, 18.12.2022
[36] Exporte im August 2023: -1,2 % zum Juli 2023, Pressemitteilung, Statistisches Bundesamt, 5.10.2023
[37] Institute senken BIP-Prognose auf minus 0,6 Prozent, tagesschau, 28.09.2023
[38] World Economic Outlook Update, IWF, Juli 2023
[39] Dividenden: Dax-Unternehmen zahlen so viel Dividende wie noch nie, Handelsblatt, 30.11.2022
[40] Jürgen Wagner, Bundeswehr: Aufrüstung um jeden Preis, junge Welt, 14.08.2023
[41] Lars Klingbeil: Die Sozialdemokratie hat die Chance, Europa zu prägen, Vorwärts, 21. Juni 2022
[42] Jürgen Wagner, Deutschland soll führen, junge Welt, 18.04.2023