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Wird Venezuela zu einem zweiten Argentinien?

Heute steht eine der wichtigsten Präsidentschaftswahlen des Jahres in Lateinamerika an: Venezuela wählt, wobei die Entscheidung maßgeblich lautet: Regierungspartei PSUV oder Rechte Opposition. Der Ausgang dieser Wahl wird nicht nur für die weitere Entwicklung Venezuelas sondern auch Lateinamerikas insgesamt entscheidend sein. Die folgende Artikelsammlung soll mithilfe von Artikelauszügen einen kurzen Einblick in die Rolle der rechten Opposition und die Haltung der Kommunisten, speziell der PCV, geben. Bei Beiträgen handelt es sich nicht zwangsläufig um Positionen der Kommunistischen Organisation.

Von Fritzie Stein

Artikelsammlung zur Wahl in Venezuela

„Die größte Ungewissheit liegt im Tag nach den Wahlen“ (amerika21): In dem Interview gibt der venezolanische Soziologe Ociel Alí López einen Überblick über die Kandidaten und Einschätzungen zur Wahl

Was die Mainstream-Medien über María Corina Machado nicht sagen (amerika21): In dem Beitrag beleuchtet Steve Ellner die Rolle und Positionen der rechten Politikerin Machado.

Unir a las fuerzas auténticamente democráticas para derrotar al autoritarismo (tribuna popular): In diesem Statement führt die PCV ihre Wahlunterstützung für Enrique Márquez aus.

Enrique Márquez „Even if Chavismo doesn´t want to, it must accept defeat` (El País): In diesem Interview gibt der von der PCV unterstützte Kandidat Enrique Márquez einen Einblick in seine Positionen zum Chávismus und zur rechten Opposition.

Venezuela am Scheideweg (junge Welt): In diesem Artikel stellt Julieta Daza die Kandidaten vor und liefert Hintergründe zur Wahl.

Die venezolanische Rechte: Ausverkauf und Türöffner für den US-Imperialismus

Hauptkonkurrent Maduros ist Edmundo González, gemeinsamer Kandidat des rechten Oppositionsbündnisses Plataforma Unitaria Democrática (PUD). Dabei ist González nur zweite Wahl, denn die eigentliche Ikone der Rechten, María Corina Machado, wurde wegen Korruption sowie Befürwortung der Sanktionen nicht zur Wahl zugelassen.[1] Dennoch hält sie weiterhin die Zügel in der Hand:

Nach ihrem Ausschluss von der Kandidatur bestand Machado darauf, dass die Unterstützung der Bevölkerung im eigenen Land und der internationale Druck die Regierung Maduro zum Einlenken zwingen würden. Kurz vor Ablauf der Frist für die Registrierung von Kandidaten im März dieses Jahres schaltete sie einen Gang zurück und wählte einen Stellvertreter, der an ihrer Stelle kandidieren sollte. Überraschend überzeugte sie Edmundo González Urrutia, einen wenig bekannten ehemaligen Diplomaten ohne Charisma und zugegebenermaßen auch ohne den Wunsch, für ein Amt zu kandidieren, als Präsidentschaftskandidaten der PUD. Als er die Kandidatur annahm, erklärte González, er habe nicht die Absicht, durch das Land zu ziehen und fügte hinzu „Maria Corina macht das sehr gut“.[2]

Laut dem venezolanischen Soziologen Ociel Alí López ist Machado den Ultrarechten zuzuordnen und repräsentiert die ökonomische Elite Venezuelas, die bisher von der Politik weitgehend ausgeschlossen war:

„Machado gehört nicht zu den traditionellen konservativen Sektoren, sondern führt eher einen Diskurs des Bruchs. Beim Staatsstreich [gegen Hugo Chávez] im Jahr 2002 gehörte sie zu den Unterzeichnern [des so genannten Carmona-Dekrets, das von etwa 400 Personen des öffentlichen Lebens unterstützt wurde und mit dem eine De-facto-Regierung eingesetzt wurde, die zwei Tage lang andauerte]. Sie hat Szenarien der Gewalt gefördert. Deshalb unterscheidet sie sich von der gemäßigten Rechten, die zwar die Regierung Maduro nicht anerkennt, aber einen friedlicheren Ausweg will, der nicht die von ihr offen vorgetragenen Aufrufe zur ausländischen Intervention beinhaltet. Sie hat Briefe unterzeichnet, in denen sie die israelische Regierung auffordert, in Venezuela zu intervenieren.

(…)

María Corina Machado stammt aus einer der reichsten Familien Venezuelas. So etwas hat es in den letzten 100 Jahren nicht gegeben, weil die Oligarchien in Venezuela nicht in die Politik eingestiegen sind oder aus der Politik vertrieben wurden, anders als zum Beispiel in Kolumbien, wo die meisten Präsidenten aus oligarchischen Kreisen stammen. In Venezuela ist das nicht geschehen. Erstmals in den letzten Jahren, mit der Anti-Chávez-Opposition, haben die Eliten begonnen, sich an der Politik zu beteiligen, und María Corina ist im Moment ihr größter Vertreter.“[3]

Machado steht so wie die gesamte lateinamerikanische Rechte für Privatisierung und Ausverkauf des Landes und ist damit die Hauptstütze des US-Imperialismus:

„Die meisten der wichtigsten Merkmale von Machados Diskurs und Positionen stimmen mit denen reaktionärer Führer und Bewegungen überein, die im Lateinamerika des 21. Jahrhunderts hochkamen. Ihr Bekenntnis zum Laissez-faire-Kapitalismus einschließlich der Deregulierung zur „Stimulierung der Privatinitiative“ weist in die Richtung des Neoliberalismus im Stil der „Schocktherapie“. Dieses Muster manifestiert sich in Javier Mileis Bestreben, „den Staat von innen heraus zu zerstören“, und in seiner damit einhergehenden Schocktherapiepolitik sowie in der Verteidigung von Pinochets „wirtschaftlichem Erbe“ durch Chiles rechten Führer José Antonio Kast. Machados Positionen zu den internationalen Beziehungen decken sich auch mit denen der Ultrarechten in anderen Teilen der Region. Machado macht keinen Hehl daraus, dass sie für die USA ist und deren Gegner, darunter Russland, China und Iran, feindselig gegenübersteht. In diesem Sinne sagt sie auch voraus, dass „wenn wir in Venezuela das erreichen, was wir vorhaben, dies der entscheidende Schlag gegen Regime wie Nicaragua und Kuba sein wird“.[4]

Es liegt offen auf der Hand, was ein Wahlsieg der Rechten in Venezuela bedeuten würde: Privatisierung, Ausverkauf, noch stärkeren Zugriff des US-Kapitals sowie eine Schwächung der eigenständigen Entwicklung Lateinamerikas rund um Länder wie Kuba, Nicaragua, Bolivien oder Brasilien. Dass ein Sieg der Rechten nicht ausgeschlossen ist und damit sehr ernst zu nehmen ist, zeigt ein Blick in die Wahlprognosen.

Die Kommunisten in Venezuela: Hauptstoß richtet sich gegen die PSUV und Maduro

Angesichts dieser Lage fällt die Wahlpolitik der Kommunistischen Partei Venezuelas (PCV) direkt ins Auge: Entgegen ihrer bisherigen Politik mobilisiert die PCV bei den diesjährigen Wahlen nicht für Maduro, sondern unterstützt Enrique Márquez, Mitglied der Partei Centrados, die durchaus der rechten Opposition nahe steht. Einen eigenen Kandidaten konnte die PCV aufgrund der juristischen Repressionen im Vorfeld gegen die Partei[5] nicht ins Rennen bringen, was von manchen zu einer Entschuldigung für deren Wahlpolitik konstruiert wird: „Die Kandidatur einer linken Opposition wurde erfolgreich verhindert, weshalb sich der um seine Partei gebrachte Flügel der KP Venezuelas gezwungen sah, mit Enrique Márquez einen nicht gerade progressiven Kandidaten zu unterstützen.“[6]

Warum die PCV gezwungen wurde, aufgrund der Repression jedoch gegen die Wahl Maduros zu mobilisieren, bleibt offen. Zumal ein Blick auf den von der PCV unterstützten Kandidaten Márquez diesen nicht nur als „nicht gerade progressiven Kandidaten“, sondern auch als Unterstützer der rechten Opposition darstellt. So äußert Márquez sich in der spanischen Zeitung El País frei zu seiner Haltung zu Machado:

„Machado is the main leader of the opposition. She’s been mistreated by the government, which has prevented her nomination. I don’t agree with her disqualification or with the obstacles placed in front of the people associated with her. (…) Machado is very important, even if she’s not going to be the candidate because of the regime’s decision. She and I have had many conversations over the years. We’ve had our differences, but this doesn’t prevent me from ignoring her democratic contribution.“[7]

Auch Márquez´ Haltung zur Wirtschaftsblockade spricht für sich. Anstatt die verbrecherischen Blockaden gegen Venezuela und Kuba klar zu verurteilen, sieht er das Hauptproblem darin, dass auch die Blockade keinen Regierungsumsturz gebracht hätte. So antwortet er auf die Frage, ob die Sanktionen gegen die Regierung geholfen hätten:

„The increase occurred during a time when it was thought that the sanctions — along with international pressure — were going to create the conditions for Maduro to hand over power. It was a time of human rights violations. But those conditions weren’t created, on the contrary. The sanctions gave the Chavistas a discursive excuse [for its faults]. Look at Cuba: many years of sanctions haven’t served the Cuban people. The existence of these sanctions on Venezuela hasn’t contributed to the replacement of Maduro, either.“[8]

Zu diesen Positionen Márquez´ schweigt die PCV in ihrem Wahl-Statement. Stattdessen spricht sie davon, Venezuela vor einem Weg in den Autoritarismus bewahren zu wollen und gibt als wesentliches Ziel, die Abwahl der PSUV und Maduros aus:

Hay que derrotar a Nicolás Maduro y abrir cauce a la reinstitucionalización del país. La permanencia de la cúpula corrupta del Partido Socialista Unido de Venezuela (PSUV) en el poder es un obstáculo para la restitución de los derechos consagrados en la Constitución; mientras permanezca enquistada allí, luchar será un delito en Venezuela. Y es esta dramática situación la que exige la construcción de una alianza político-electoral más allá de la izquierda.[9]

Ebenfalls wird in dem Statement ein möglicher Wahlsieg der rechten Opposition ausgespart. Dies scheint recht realitätsfremd, angesichts der Tatsache, dass die Entscheidung zwischen PSUV und Rechter Opposition fallen wird. Dass diese politische Ausrichtung der PCV in der Partei nicht einstimmig angenommen wurde, zeigen die Auseinandersetzungen rund um die Parteiausschlüsse zweier Mitglieder.[10]

Trotz sicherlich berechtigter Kritik an der Regierung der PSUV und ihren zum Teil repressiven Schritten ruft die Entscheidung der PCV, sich gegen die PSUV zu stellen und einen mit der rechten Opposition verbundenen Kandidaten zu unterstützen, viele Fragen hervor – vor allem wenn man den Blick auf die jahrelange US-Aggression gegen das Land und dessen Kampf dagegen wirft.

Ein Wahlsieg der Rechten wäre eine Niederlage für Venezuela und Lateinamerika!

Eine maßgebliche Ursache für die erschwerten wirtschaftlichen und sozialen Probleme in Venezuela ist die von den USA verhängte Wirtschaftsblockade. Mit diesem verbrecherischen Mittel sollte seit dem Sieg des Chavismus eine eigenständige Entwicklung des Landes verhindert werden – ebenso wie in Kuba. Ziel des US-Imperialismus ist der bedingungslose Zugriff auf diese Länder, mit den verheerenden Folgen von Ausverkauf, Privatisierung und Verarmung.

Für dieses Programm steht die Rechte in Venezuela und Lateinamerika insgesamt und muss dahingehend mit allen Mitteln bekämpft werden. Ohne die Regierungspolitik der PSUV vollumfänglich einschätzen zu können oder deren Widersprüche und Probleme relativieren zu wollen, ist klar, dass ein Sieg der Rechten eine Niederlage für die Entwicklung Venezuelas und Lateinamerikas wäre. Daher ist nur auf einen Wahlsieg der PSUV zu hoffen, damit Venezuela nicht zu einem zweiten Argentinien wird.


[1]https://amerika21.de/2024/01/267939/venezuela-machado-ausgeschlossen-tsj

[2]https://amerika21.de/analyse/270448/venezuela-mainstreammedien-machado

[3]https://amerika21.de/analyse/270604/venezuela-wahlen-2024-was-wird-passieren

[4]https://amerika21.de/analyse/270448/venezuela-mainstreammedien-machado

[5] https://kommunistische-organisation.de/artikel/ueber-den-kampf-der-kommunisten-in-lateinamerika-ein-interview-mit-hector-rodriguez-pcv/ Wir veröffentlichten dazu im Dezember 2023 ein Interview mit einem Genossen der PCV.

[6]https://www.jungewelt.de/artikel/480289.ohne-linke-opposition.html

[7]https://english.elpais.com/international/2024-03-31/enrique-marquez-maduros-opponent-at-the-polls-even-if-chavismo-doesnt-want-to-it-must-accept-defeat.html?outputType=amp

[8]Ebd.

[9]https://prensapcv.wordpress.com/2024/07/24/editorial-unir-a-las-fuerzas-autenticamente-democraticas-para-derrotar-al-autoritarismo/ Übersetzt per DeepL: „Nicolás Maduro muss besiegt und der Weg für die Re-Institutionalisierung des Landes geöffnet werden. Der Verbleib der korrupten Führung der Vereinigten Sozialistischen Partei Venezuelas (PSUV) an der Macht ist ein Hindernis für die Wiederherstellung der in der Verfassung verankerten Rechte; solange sie dort verankert ist, wird der Kampf in Venezuela ein Verbrechen sein. Und es ist diese dramatische Situation, die den Aufbau eines politisch-wählerischen Bündnisses jenseits der Linken erfordert.“

[10]https://www.jungewelt.de/artikel/480261.venezuela-spaltung-und-ausschluss.html

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