English
русский
عربي

Die ,,Lager“ in der KO beim Namen nennen!

von Tom Hensgen

In der Veröffentlichung vom 16.03.2022 Zur Klärung der Imperialismusfrage – Eine Selbstkritik | Kommunistische Organisation wird beschrieben, dass es in der KO einen Dissens bei der Einordnung des Krieges in der Ukraine und auch allgemein bei der Analyse des Imperialismus gibt. Ich versuche kurz die bisherige Position der KO zum Imperialismus darzustellen und auf Argumente einzugehen, die Russlands Einmarsch als einen Akt der Verteidigung begrüßen.

Ich versuche die inhaltliche Debatte möglichst verständlich darzustellen, um das Verfolgen leichter zu ermöglichen. In diesem Text übe ich inhaltliche Kritik an Genossen und an anderen kommunistischen Gruppen. Das soll aber nicht herablassend wirken, sondern einfach offen ausdrücken, was ich zum Thema denke. Ich möchte anregen, dass sich gerne andere Akteure der kommunistischen Bewegung zur Debatte äußern können. Kritik und Selbstkritik sollten sowohl innerhalb von Organisationen als auch darüber hinaus in der Bewegung offen geäußert werden, sie ermöglichen uns zu lernen und dienen als Motor der Weiterentwicklung.

  1. Wie hat sich die KO denn bisher zum Imperialismus positioniert?
  2. Angst vor Äquidistanz?
  3. Nutzt der Einmarsch dem russischen Volk? Klassenübergreifende Sicherheitsinteressen?
  4. Nutzt der Einmarsch dem ukrainischen Volk? Entnazifizierung und Neutralisierung?
  5. Dann wenigstens die nationale Befreiung?
  6. Was sagte Lenin zu Kriegen?
  7. Konsequenzen aus der Befürwortung des russischen Einmarsches?
  8. Warum ich den russischen Einmarsch ablehne?
  9. Abschließende Anmerkungen

1. Wie hat sich die KO denn bisher zum Imperialismus positioniert?

Die programmatischen Thesen (pT) der KO wurden 2018 bei der Gründung der KO beschlossen. In den pT werden die Thesen vom „kollektiven Imperialismus“ und vom „Ultraimperialismus“ abgelehnt. Die These, dass in einer „multipolaren Weltordnung“ eine Hoffnung auf eine friedlichere Welt liegen würde, wird ebenfalls abgelehnt. Auch die These, dass kapitalistische Staaten eine friedensfördernde, „objektiv antiimperialistische“ Rolle spielen würden bzw. könnten, wird abgelehnt. Der Imperialismus wird als ein globales System, als die Epoche des monopolistischen Kapitalismus beschrieben, d.h. dass jeder kapitalistische Staat Teil des imperialistischen Weltsystems ist. Unsere pT stellen klar, dass der antiimperialistische Kampf gegen das Kapital und das kapitalistische System als Ganzes gerichtet sein muss. Die BRICS-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika) werden als aufstrebende Ökonomien bezeichnet. Es ist die Rede von gegenseitigen Abhängigkeiten innerhalb der imperialistischen Kette, wobei der US-Imperialismus als nach wie vor militärisch gefährlichster imperialistischer Pol der Welt bezeichnet wird und der deutsche Imperialismus als Anführer der EU und unser Hauptfeind. 4. Der Imperialismus | Kommunistische Organisation

Wesentliche Aspekte, die hier aufgezählt sind, dienen der Abgrenzung gegenüber anderen Akteuren der kommunistischen Bewegung, vor allem auch gegenüber der DKP. Bei der 2. Vollversamlung der KO, im Jahr 2019, wurde die internationale Resolution (iR) KO-2VV-Inter_Resolution_public_fin.pdf (kommunistische.org) verabschiedet. Darin findet sich ein positiver Bezug zur „Initiative der Kommunistischen und Arbeiterparteien“ (ICWPE) Initiative of Communist & Workers‘ Parties – Home (initiative-cwpe.org). Darin organisiert sind u.a. die TKP (Türkei), KKE (Griechenland), PdA (Österreich), SKP (Schweden), RKAP (Russland). Diese und auch die anderen Kommunistischen Parteien (KPen) darin vertreten ebenfalls das Imperialismusverständnis, welches sich in den pT widerfindet. So sehe ich die iR als eine Konsequenz aus den pT und weitere Abgrenzung gegenüber der DKP.

In den folgenden Jahren haben wir Texte zum Imperialismus veröffentlicht, die ebenfalls genau dem entsprechen, z.B. 2020 einen Text der SKP Zur Frage des Imperialismus / On the question of Imperialism | Kommunistische Organisation und 2021 dann 61 Thesen der TKP TKP: Thesen zum Imperialismus entlang der Achse von Russland und China (2017) | Kommunistische Organisation. Eine Veröffentlichung von uns vom 21.12.2021 endet mit den Worten: ,,Ohne Zweifel hat auch der russische Imperialismus nichts als die Absicherung der Interessen der eigenen Bourgeoisie im Sinn. Das steht in keinem Widerspruch dazu, dass Russland zurzeit nicht der Aggressor, sondern Ziel von Provokationen und Aggressionen seitens der NATO ist. Es ist aber falsch, aus der objektiven Situation Russlands einen vermeintlich “antiimperialistischen” Charakter abzuleiten oder gar aus dem imperialistischen Russland eine potentielle “Friedensmacht” zu konstruieren. Die Kommunistische Organisation lehnt solche Interpretationen und Positionen, die es in der kommunistischen Bewegung gibt, ab und weist darauf hin, dass solche Positionen die internationale Arbeiterklasse in die Irre führen und Illusionen über die Friedensfähigkeit des Imperialismus schaffen.“ Schluss mit der Aggression gegen Russland! | Kommunistische Organisation

Doch nun gibt es Genossen bei uns, die all das, was wir zum Imperialismus veröffentlicht haben – von 2018 bis 2021 – ablehnen, eine 180 Grad Drehung unternommen haben und den russischen Einmarsch begrüßen. Es gilt diese Drehung ernstzunehmen, sie einzuordnen und auf ihre Argumentationen einzugehen. Im Artikel vom 16.03.2022 ist die Rede von zwei ,,Lagern“ in der KO. Ich denke man muss das eine als ,,pT-Lager“ und das andere als das ,,DKP-nahe-Lager“ einordnen, um klarzustellen, dass das eine am Charakter der KO festhält und das andere inhaltlich an der DKP orientiert. Dem ,,pT-Lager“ geht es natürlich nicht bloß um die pT geht, sondern wie beschrieben ebenfalls um die iR, die Orientierung an die ICWPE und sonst alle Veröffentlichungen zwischen 2018-2021, d.h. insgesamt um den Charakter der KO, während das ,,DKP-nahe-Lager“ eine gänzlich andere Einschätzung vom Imperialismus (Russlands Einmarsch sei zu begrüßen –> antiimperialistische Friedensmacht???) vertritt.

Ursächlich für das Entstehen der zwei ,,Lager“ ist also, dass sich Genossen von uns an den Positionen der DKP und KPRF (kommunistische Partei der Russischen Förderation) orientieren. Beide Parteien sind nicht mit unseren pT vereinbar. Auch wenn sie sich bei der Beurteilung Russlands intern nicht einig sind, spielen Teile der Parteien, die den Einmarsch begrüßen (z.B. wurde bei einer Tagung des Landesvorstands der DKP Brandenburg der Einmarsch eine ,,friedenspolitische Maßnahme“ genannt DKPDahme-Oder-Spree – Beiträge | Facebook) eine wichtige Rolle. Immerhin baut die Befürwortung der russischen Invasion auf dem Imperialismusverständnis beider Parteien auf, dieses sollte noch gesondert behandelt und kritisiert werden.

In der Veröffentlichung vom 16.03.2022 wird behauptet, dass die verschiedenen Kommunistischen Parteien (KPen) ihre Standpunkte nicht gut begründen und andere Akteure nicht kritisieren würden. Dem stimme ich nur sehr bedingt zu. Bei sehr vielen KPen, die unseren pT nahe sind, sehe ich mehrere Veröffentlichungen zum Krieg in der Ukraine, teilweise veröffentlichen einzelne KPen sogar täglich neue Texte zu dem Thema. Ich sehe auch Artikel von KPen, die Standpunkte anderer KPen dazu offen und transparent kritisieren In Defense of Communism: KKE: Open letter about the Resolution of the CP of Spain — On the confrontation between USA, NATO, EU and Russia (idcommunism.com) // In Defense of Communism: The stance of the communists towards the imperialist war in Ukraine (idcommunism.com). Bei allen Veröffentlichungen müssen wir immer berücksichtigen, dass die verschiedenen Parteien ihre Analysen auf dem Fundament ihres Imperialismusverständnis anstellen, was bereits gut begründet ist. Stellungnahmen von Parteien sollte man ja nicht isoliert von ihren Strategien beurteilen.

2. Angst vor Äquidistanz?

Eine äquidistante Haltung in der Frage des Imperialismus einzunehmen bedeutet, dass man beide imperialistischen Pole (NATO auf der einen Seite und Russland-China auf der anderen) gleichmäßig verurteilt, in dem man die konkreten Kräfteverhältnisse missachtet. Äquidistanz würde heißen, dass man beide imperialistischen Pole als gleich stark einstuft. Man würde die NATO nicht als den Hauptaggressor charakterisieren. Ansätze einer äquidistanten Haltung sehe ich z.B. bei den Veröffentlichungen des Kommunistischen Aufbaus zum Ukrainekrieg. Kampf dem imperialistischen Krieg, heißt Kampf für den Sozialismus! – Kommunistischer Aufbau (komaufbau.org) // Feuer und Flamme dem imperialistischen Krieg! – Kommunistischer Aufbau (komaufbau.org) Das Zentralkomitee der MLPD geht in einer Veröffentlichung sogar einen Schritt weiter, indem sie die Frage stellt, ob sich Russland zum Faschismus entwickelt ohne auch nur ein Wort über Nazis in der Ukraine zu verlieren oder die NATO als Hauptaggressor bennenen zu können. Wobei ich es bei der MLPD schlimmer finde, dass sie die ,,Friedensdemos“ in Deutschland feiern statt große Teile dessen als NATO-Unterstützung einordnen. Gefährliches Spiel mit dem Feuer eines Weltkriegs: Keine NATO in die Ukraine – Abzug der russischen Truppen! — MLPD

Vertreter der Äquidistanz gehen in der Regel so vor, dass sie Staaten sozusagen in zwei Schubladen einsortieren: Entweder sind es imperialistische Zentren oder ,,Neokolonien“ (so geht scheinbar unter anderem Young Struggle vor). Diese ,,Analyse“ ist sehr vereinfacht, verkürzt und daher nur sehr bedingt brauchbar. Als Kommunisten sollten wir differenzierter an die Sache heran gehen. Die Genossen aus Griechenland (KKE) haben zur Veranschaulichung ihrer Analyse das Modell der imperialistischen Pyramide entworfen. Wir als KO (oder nur das ,,pT-Lager“?) vertreten ebenfalls dieses Modell, in einigen Veröffentlichungen nutzen wir die Metapher mit der Pyramide https://kommunistische-organisation.de/stellungnahmen/zum-handelskrieg-zwischen-den-usa-und-china // Machtverschiebungen in der imperialistischen Pyramide in der „Coronakrise“ | Kommunistische Organisation // Referat zur 3. Vollversammlung der KO | Kommunistische Organisation. Gemäß der Analyse gibt es an der Spitze der Pyramide die mächtigsten Staaten, dabei darf man weder nur militärische noch nur ökonomische Faktoren berücksichtigen. Je tiefer man sich die Pyramide anschaut, desto schwächer ist der Staat. Abhängigkeitsverhältnisse zwischen den Staaten beruhen auf Gegenseitigkeit. Das Modell darf nicht statisch betrachten werden, je nach Entwicklung der Staaten muss auch die derzeitige Konstellation innerhalb der Pyramide angepasst werden. Das Modell verhindert also, dass wir unterschiedlich starke Staaten auf die gleiche Ebene stellen, wobei wir dazu überhaupt erstmal feststellen müssen, dass Staaten unterschiedlich stark sind und dieses Merkmal als relevant anerkennen müssen. Doch trotz Anerkennung der Kräfteverhältnisse ermöglicht uns das Modell dennoch alle Staaten zu kritisieren und ihr Handeln zu verurteilen. Es ermöglicht uns auch, mehr als einen imperialistischten Pol einer handvoll Länder sehen, sondern zu erkennen, dass es zwei imperialistische Pole gibt, die in der Pyramidenhierarchie eine unterschiedliche Stellung einnehmen. Diese Herangehensweise liefert uns überhaupt erst die Grundlage, um das Geschehen in einzelnen Weltregionen in den Kontext des imperialistischen Weltsystems einordnen zu können.

In unseren pT charakterisieren wir die USA als den gefährlichsten imperialistischen Pol, d.h. sie sind an der Pyramidenspitze, wobei wir aber auch schreiben, dass die BRICS-Staaten aufstrebende Ökonomien sind. Vor allem bei China ist in den letzten 1-2 Jahrzehnten zu sehen, dass sie ihren Einfluss, Handelsbeziehungen usw. in zahlreichen Weltregionen enorm verstärkt haben, wodurch sich ihre Position in der Pyramide verändert.

Das Pyramidenmodell dient keineswegs dazu einen der Imperialisten zu verharmlosen oder in Schutz zu nehmen. Dennoch würde man mit Parolen wie ,,Weder NATO noch Russland“ beide Mächte auf eine Stufe stellen. Wir sollten berücksichtigen, dass die NATO der Hauptaggressor ist. Russland ist von ihr umkreist und bedroht, es reagiert aus der Defensive heraus (1409) Feindbild Russland: Wie der Westen die Konfrontation verschärft | Monitor | Das Erste | WDR – YouTube. Dennoch ist der russische Imperialismus als solcher zu benennen und zu verurteilen. Agitation und Propaganda von Kommunisten sollten sich nicht im gleichen Maße gegen Russland und gegen die NATO richten, das wäre die Äquidistanz, die potenziell eine Stärkung der aktuellen antirussischen Propaganda und des antirussischen Rassismus https://www.bz-berlin.de/berlin/marzahn-hellersdorf/brandanschlag-auf-internationale-lomonossow-privatschule-in-marzahn bewirken kann. Abgesehen von der Macht der NATO und ihrer Rolle im Weltsystem muss sie natürlich im Fokus liegen, weil wir in Deutschland sind und der Hauptfeind der deutschen Arbeiterklasse die deutsche Bourgeoisie ist und sie ein wichtiger Bestandteil der NATO.

Ich sehe in unserer Organisation keine Gefahr für eine Äquidistanz, da mir keine Genossen bekannt sind, deren Argumentationen in diese Richtung gehen. Es gibt jedoch einzelne Genossen, die Angst haben, dass es eine solche Haltung bei uns geben würde. Ich frage mich, woher diese Befürchtung kommt. Und aus dieser Befürchtung heraus, dann zur Schlussfolgerung kommen, man dürfe das aktuelle Handeln Russlands gar nicht kritisieren, halte ich für problematisch. Das Handeln Russlands ist nicht die Hauptaggression, sondern eine Gegen-Aggression und eine Reaktion auf die akute Bedrohlungslage durch die militärische Einkreisungspolitik der NATO. Doch auch wenn imperialistische Großmächte in einer defensiven Position sind müssen wir bei unserem Klassenstandpunkt bleiben und dürfen uns nicht mit imperialistischen Großmächten verbünden, indem wir ihr Handeln begrüßen.

Nachdem ich jetzt die Diskussionsbeiträge von dem Genossen Philipp Zur Kritik am „Joint Statement“ und zur NATO-Aggression gegen Russland | Kommunistische Organisation und der Genossin Klara Imperialismus, Krieg und die kommunistische Bewegung | Kommunistische Organisation gelesen habe, kenne ich die Begründung hinter dem Äquidistanzvorwurf. Es geht um das Verwenden des Pyramidenmodells und um die Einordnung Russlands als einen imperialistischen Staat. Kurz gesagt: Die beiden Genossen werfen allen, die hinter den pT stehen vor, eine äquidistante Haltung einzunehmen. Ich stufe Russland als imperialistisch ein, unter Anderem weil sich seine Kapitalistenklasse an der Neuaufteilung der Welt beteiligt, aufgrund von ihren ökonomischen und militärischen Fähigkeiten und ihrem Bündnis mit China (das Ganze muss in den nächsten Monaten von uns noch kollektiv behandelt und belegt werden.). Bei der Kritik am Pyramidenmodell geht es vor allem darum, dass laut KKE alle Staaten „Beutemacher“ sind. Klara formuliert es so: „Was ist die Kernaussage hier? Das Hauptsächliche ist, dass es zwar eine Hierarchie der Macht gibt, aber dass alle „Länder“, – der Genosse hätte hier tatsächlich zwecks besseren Verständnisses und Kohärenz seiner Argumentation die ‚Kapitalistenklassen‘ aller Länder schreiben sollen – entsprechend ihrer Machtstellung an der Beute beteiligt werden. Sie sind also allesamt Beutemacher, nur auf unterschiedlichen Entwicklungsstufen. Die Macht dient nicht der Unterwerfung, sondern bestimmt nur – vereinfacht gesagt – die Menge, die das jeweilige Land von der Beute abbekommt.“ Ich halte es für zutreffend, dass jeder Staat innerhalb des Weltsystems seine Beute macht: Die einen „nur“ mittels Ausbeutung ihrer eigenen Arbeiterklasse und die anderen beuten gleichzeitig die Arbeiter anderer Länder aus. Gemeinsam haben die Kapitalisten, dass sie alle Beutemacher sind. Je höher sie in der Hierarchie der Pyramide sind, desto mehr Arbeiter in anderen Ländern werden von ihnen unterworfen und ausgebeutet. Das beschreibt die Pyramidenhierarchie und in dieser Hierarchie sind die USA höher als Russland, weshalb ich den Äquidistanzvorwurf und die Kritik am Modell der KKE nicht teile. Ich habe zwar oben geschrieben, dass es sich dabei um ein Modell handelt, welches die Abhängigkeitsverhältnisse als gegenseitige beschreibt. Doch abgeleitet von der Stellung in der Hierarchie ergeben sich unterschiedliche Grade und Bedeutungen aus diesen gegenseitigen Abhängigkeitsverhältnissen. Klara schreibt: „Das zentrale Argument ist hier, dass es sich beim Imperialismus nicht um eine einseitige Abhängigkeit, so gesehen schon gar nicht um Weltbeherrschung, Unterwerfung und Ausbeutung der Welt, sondern um ein Regime der gegenseitigen Abhängigkeit handelt.“ Ich denke, dass es auch im Pyramidenmodell um Weltbeherrschung, Unterwerfung und Ausbeutung geht und dass all dies den gegenseitigen Abhängigkeitsverhältnissen nicht widerspricht. Die Staaten, die in der Hierarchie oben sind, können auf die Abhängigkeitsverhältnisse leichter verzichten, weil sie es leichter haben, andere Abhängigkeitsverhältnisse aufzubauen, dennoch sind sie auf die Ausbeutung und Unterwerfung der Staaten unten in der Pyramide gewissermaßen angewiesen. Eine weitere Kritik am Imperialismismodell der KKE ist, dass sie alle kapitalistischen Staaten als imperialistisch einstufen würde. Ich kann – wie Genossin Klara – auch kein griechisch, verstehe die Anwendung des Modells aber so, dass nur die führenden Staaten beider imperialistischen Pole imperialistische Staaten sind. Klara geht jedoch dazu über, Staaten nur in zwei Kategorien einteilen zu wollen (imperialistisch und nicht-imperialistisch), diese Kategorien sind zwar richtig und wichtig, sich darauf zu beschränken, was ggf. das gesamte ,,DKP-nahe-Lager“ macht, würde eine vereinfachte Darstellung der Realität abbilden, von der sich schwer Schlussfolgerungen ableiten lassen, die anscheinend oft falsch sind. Wenn man einfach beide imperialistischen Pole imperialistisch nennt, ohne sich ihre genaue Stellung in der Pyramide anzuschauen, dann ist es auch klar, dass man zu einem Äquidistanzvorwurf kommt. Wenn man jedoch anerkennt, dass es auch innerhalb von imperialistischen Staaten unterschiedliche Kräfteverhältnisse, Pole, Konflikte usw. usf. gibt, dann kann man auch Russland einordnen und daraus praktische Schlüsse im Sinne der Arbeiterbewegung ziehen.

3. Nutzt der Einmarsch dem russischen Volk? Klassenübergreifende Sicherheitsinteressen?

In der Epoche des Imperialismus kann die Bourgeoisie kapitalistischer Staaten keinen fortschrittlichen Charakter haben (ob Kolonien hierbei Ausnahmen bilden möchte ich an dieser Stelle nicht behandeln). Es gibt einen antagonistischen, unversöhnlichen Interessenswiderspruch zwischen der Arbeiterklasse und der Kapitalistenklasse und das in jedem Staat. Die Arbeiterklasse muss überall für die sozialistische Revolution kämpfen und egal, wie weit sie gerade davon entfernt ist, ist es notwendig, dass sie ihren Kampf eigenständig führt, d.h. die Arbeiterbewegung muss ideologisch, organisatorisch und finanziell unabhängig von der Bourgeoisie und der Sozialdemokratie sein.

Im Zuge der militärischen Kraft der NATO, den dutzenden Kriegen, die sie geführt haben und führen, den Millionen Toten, die die Kriege hinterlassen haben (1412) Die Anstalt: Der große Plan der USA, für den Nahen Osten! – YouTube und der Einkreisungspolitik, kommen einzelne Genossen von uns nun zu der Schlussfolgerung, dass die russische Bourgeoisie mit der russischen Arbeiterklasse das gemeinsame Interesse nach Sicherheit habe. Diesen Gedanken finde ich sehr problematisch, da es die Notwendigkeit einer eigenständigen Arbeiterbewegung zunichte macht und dafür plädiert, die Arbeiterbewegung unter der Flagge ihrer Bourgeoisie, d.h. ihres Hauptfeindes, zu mobilisieren und das für einen sogenannten ,,Verteidigungskrieg“.

Ich denke, dass der Gedanke von klassenübergreifenden Sicherheitsinteressen dazu führt, dass sich die russische Arbeiterklasse unter Flagge ihres Hauptfeindes sammelt, es eine Eigenständigkeit der Arbeiterbewegung verunmöglicht und somit dem strategischen Ziel der sozialistischen Revolution eine Absage erteilt. Wollen die Genossen, die mit klassenübergreifenden Sicherheitsinteressen argumentieren neben der Imperialismusanalyse der KO nun auch unsere Ablehnung der Etappentheorie und unsere Haltung zur Bündnisfrage verwerfen? Dass die einzelnen Kapitel unserer pT nicht isoliert voneinander betrachtet werden dürfen, ist ja klar, also muss allen bewusst sein, dass eine Revision unseres Imperialismusverständnis Auswirkungen auf andere programmatische Punkte hat.

Davon mal abgesehen dient der Angriff Russlands in die Ukraine eh nicht der Sicherheit, sondern viel eher der Unsicherheit, der Erhöhung der Gefahr eines dritten Weltkrieges. Denn beim Aufeinanderprallen der zwischenimperialistischen Interessen und Widersprüche sehen wir, dass sich die Konfrontation der Imperialisten mehr und mehr zuspitzt. Der russische Angriffskrieg erhöht die Zuspitzung und damit die Gefahr eines größeren Krieges. Die Erhöhung der Weltkriegsgefahr steht im Widerspruch zu den Sicherheitsinteressen der russischen Arbeiterklasse.

Philipp hat zwar recht, wenn er Russland als von der NATO bedroht beschreibt. Und es ist normal, dass Texte nicht ,,neutral“ sind, sondern den eigenen Standpunkt untermauern. Aber bei einem Text mit vielen Fakten wirkt es so als müsse dieser richtig seien, daher möchte ich betonen, dass auch dein Text einen bestimmten Standpunkt vertritt. Du schreibst 36 Seiten und die Existenz russischer Atomwaffen verdient einen Satz, weil es in der Art und Weise liegt, wie Fakten dargestellt werden. Und die Schlussfolgerung aus deiner Darstellung der Realität – die NATO wäre kurz davor in Russland einzumarschieren, um das Land zu zerstückeln und zu unterwerfen – halte ich für unrealistisch. Insbesondere seit dem russischen Einmarsch in die Ukraine hätte die NATO doch eine gute Gelegenheit, um in Russland einzumarschieren. Du schreibst ja selbst, wo sie überall wie viele Manöver, Soldaten, Stützpunkte, Waffen usw. usf. hat. Aber die NATO marschiert gerade nicht in Russland ein. Der Krieg findet nicht auf russischen Boden statt, er führt nicht zur Zerstückelung und Unterwerfung Russlands. Zumindest kann ich das gerade nicht sehen. Daher kann ich deiner Einschätzung, Russland würde präventiv Einmarschieren, um sich vor einem Einmarsch zu schützen, nicht zustimmen.

Viele Kommunisten in Deutschland skandieren die Parole ,,der Hauptfeind steht im eigenen Land“ und diese gilt sowohl für Deutschland als auch für Russland und jedes andere kapitalistische Land. Dennoch müssen wir berücksichtigen, dass sie in einem strategischen Sinne zu verstehen ist, d.h. dass es Situationen geben kann, in denen es für die Arbeiterbewegung sinnvoll ist unter Beibehaltung einer gewissen Eigenständigkeit ein taktisches Bündnis mit ihrer eigenen Bourgeoisie einzugehen. In diesem Aspekt gebe ich dem Genossen Philipp und der Genossin Klara recht. In meinem Beitrag zur PKK Das Selbstbestimmungsrecht der Völker und die kurdische Frage | Kommunistische Organisation habe ich bereits auf diese Fragestellung bezug genommen und erklärt, dass wenn diese keine proimperialistische Organisation wäre (Konjunktiv!), im Kampf gegen den ,,Islamischen Staat“ und die USA ein taktisches Bündnis mit der syrischen Regierung eingehen müsste. Es kann also Situationen geben, in denen Kommunisten (Ich weiß, die PKK sind keine) taktische Bündnisse mit ihrer eigenen Bourgeoisie eingehen sollten. Die Genossen aus dem ,,DKP-nahen-Lager“ wenden diese Möglichkeit jedoch falsch an: Sie argumentieren für ein Bündnis der russischen Arbeiterklasse mit ihrer imperialistischen Bourgeoisie, die ein anderes Land überfällt, das ukrainische Volk angreift, zur Flucht zwingt und versucht es zu unterwerfen.

4. Nutzt der Einmarsch dem ukrainischen Volk? Entnazifizierung und Neutralisierung?

Das ukrainische Volk leidet derzeit extrem unter dem Krieg, es hat zahlreiche Tote und Geflüchtete zu verzeichnen. Kann es in den Jahren nach dem Kriegsende vom Krieg einen Nutzen ziehen? Ich glaube es gibt Genossen, die meinen Russland könnte die Ukraine entnazifizieren und vom NATO-Einfluss lösen. Zwar wird kein Genosse behaupten, dass Putin ein Antifaschist sei, doch dass bei dem Krieg gegen ukrainische Faschisten und indirekt gegen die NATO gekämpft wird, ist ein Fakt.

Was der russische Einmarsch aber bewirkt, ist viel eher das Gegenteil: Die ukrainische Bevölkerung erkennt nicht mit Hilfe der Invasion plötzlich die Völkerfreundschaft zum russischen Volk, der Einmarsch stärkt den Nationalismus und Faschismus in der Ukraine. Die NATO eskaliert die Lage, wieso sollten sie die Ukraine als einen neutralen Staat zurücklassen? Ein Regime-Change in der Ukraine müsste mit massenhafter Repression gegen die Arbeiterklasse einher gehen, erhöht das Weltkriegsrisiko umso mehr und ist daher ebenfalls keine Perspektive. Es ist auch gar nicht (mehr) Russlands Ziel einen Regime-Change umzusetzen. Dass die herrschende Klasse in der Ukraine gegenüber dem russischen Staat zu Zugeständnisse bereit ist, d.h. zu einer wirklichen Entnazifizierung und einer Abgrenzung vom Westen ist auch unrealistisch, da es den Charakter des Staates erheblich ändern würde. Der ukrainische Staat ist zu sehr mit den dortigen faschistischen Strukturen verwoben als dass sie sich davon trennen würden. Während aus dem Westen Waffen in die Ukraine kommen, werden sie zwar mehr Waffen fordern, sich aber nicht in Form von Zugeständnissen komplett vom Westen loslösen. Solche Hoffnungen, wie der Krieg doch irgendwie der ukrainischen Arbeiterklasse nutzen könnte, sind Spekulationen, die ins Leere laufen.

5. Dann wenigstens die nationale Befreiung?

Die Krim und auch die sogenannten ,,Volksrepubliken“ in der Ostukraine (Lugansk und Donezk) spielen bei Diskussionen um den Krieg eine wichtige Rolle. Erstmal muss aber festgehalten werden, dass der russische Einmarsch in die ,,Volksrepubliken“ etwas anderes ist als der in den Rest der Ukraine. Ich bin mir nicht sicher, ob Genossen bei uns mit der nationalen Frage argumentieren, dennoch möchte ich kurz auf diesen Aspekt eingehen. 2014 hat die NATO den profaschistischen Putsch in der Ukraine unterstützt, das Ganze wurde und wird von westlichen Medien natürlich anders dargestellt (1409) Die Anstalt – Manipulation durch Medien im Ukrainekonflikt – 23.09.2014 – YouTube, doch seitdem hat sich die Lage in der Ukraine massiv verändert. Die ukrainische Regierung übt  rassistischen Terror gegen die ostukrainische, russische Bevölkerung aus 19.02.2022: »Kiew übt Staatsterror aus« (Tageszeitung junge Welt). Im Bürgerkrieg von 2014 bis 2022 sind ca. 14.000 Menschen verstorben. Der faschistische Terror gegen die ,,Volksrepubliken“ hat dazu geführt, dass diese den russischen Staat um Hilfe gebeten haben. Einige Kommunistische Parteien, wie z.B. die RKAP (russisch-kommunistische Arbeiterpartei) sprechen sich für die Unabhängigkeit der ,,Volksrepubliken“ aus und begrüßen dabei, dass die Russische Förderation diese anerkannt hat. Das Fordern und Begrüßen der Anerkennung der Unabhängigkeit ist jedoch was anderes als das Befürworten des russischen Einmarsches.

Sollten Kommunisten Hoffnungen auf einen imperialistischen Staat setzen, um die nationale Frage zu lösen? In meinem Diskussionsbeitrag zur PKK bin ich bereits auf die Thematik der nationalen Frage eingegangen. Wenn sich nationale Bewegungen in ihrem Kampf einem imperialistischen Staat unterordnen und sich von ihm abhängig machen, können sie keine antiimperialistische und fortschrittliche Klassenorientierung entwickeln. Ihr Verhältnis zum Imperialismus muss unser Hauptkriterium sein, wenn wir eine nationale Bewegung beurteilen. Spätestens als sich die ,,Volksrepubliken“ in die Abhängigkeit Russlands begeben haben bzw. mussten, hatten sie kein Potenzial mehr für eine sozialistische Entwicklung. Um es mit den Worten der TKP zu sagen: ,,Weder Russland, noch China können im Vergleich zu den Vereinigten Staaten die bessere Alternative sein. Die Alternative zu Kapitalismus kann nicht Kapitalismus sein. Die Alternative zu einem imperialistischen Machtzentrum kann kein anderes, neues Machtzentrum sein. Die Lösung dieser Situation liegt in der Diktatur des Proletariats.” TKP: Thesen zum Imperialismus entlang der Achse von Russland und China (2017) | Kommunistische Organisation Aus diesem einzelnen Zitat mag vielleicht der Eindruck einer Äquidistanz entstehen, daher kurz um es klarzustellen: Die TKP charakterisiert die USA richtigerweise als den mächtigsten Imperialisten auf dem Planeten und die NATO als den Hauptaggressor.

Ich habe jetzt zwar meinen Beitrag zur PKK erwähnt, ich möchte aber keineswegs die Nähe der PKK zu den USA mit dem Hilferuf aus den ,,Volksrepubliken“ an die russische Regierung gleichsetzen. Dafür gibt es viele Gründe, die ich hier nicht ausführe. Jeder von euch kann sich natürlich gerne meinen Diskussionsbeitrag genau durchlesen und dann meine Kritik an der PKK überdenken. Auch ohne beide nationalen Kämpfe gleichzusetzen, kann man in beiden Fällen kritisieren, dass unter diesen Umständen – der Unterordnung unter einen imperialistischen Pol – keine antiimperialistische Perspektive mehr denkbar ist.

Es muss vor allem festgehalten werden, dass auch die nationale Frage nicht dazu führen darf, dass Kommunisten den russischen Einmarsch in die Ukraine befürworten. Nun habe ich in diesen und in den vorherigen Kapiteln einige Gründe genannt, weshalb der Einmarsch nicht befürwortet werden sollte. Schließlich verurteilen in einem gemeinsamen Statement über 60 KPen die russische Invasion In Defense of Communism: UKRAINE WAR: Joint Statement of Communist and Workers’ Parties — No to the imperialist war! (idcommunism.com).

7. Lenin zum Krieg

Ich weiß jetzt nicht genau, ob ich den Text der Genossin Klara zu schnell gelesen habe oder ob sie zwischen ihren ganzen Leninzitaten wirklich die Behauptung aufstellt, Russland führe gerade einen nationalen Befreiungskampf. Mit unseren pT wäre das jedenfalls nicht zu vereinbaren. Wenn man von unseren pT ausgeht und Russland als imperialistisch charakterisiert sind hingegen die drei Leninzitate, die ich hier bringe eher angebracht. Mit diesen Zitaten versuche ich kurz seine Haltung darzustellen und sie auf die aktuelle Situation anzuwenden.

,,A. Potressow machte sich keine Gedanken über die Bedeutung der Wahrheit, die er in jenen Worten aussprach. Nehmen wir einmal an, zwei Länder führen miteinander Krieg in der Epoche der bürgerlichen, nationalen Freiheitsbewegungen. Welchem Lande soll man vom Standpunkt der heutigen Demokratie den Sieg wünschen? Es ist klar: dem, dessen Sieg die Freiheitsbewegung der Bourgeoisie kräftiger vorwärts stoßen und stürmischer entwickeln, den Feudalismus kräftiger unterwühlen wird. Nehmen wir weiter an, dass das bestimmende Moment der objektiven geschichtlichen Lage sich geändert hat und dass an die Stelle des sich national emanzipierenden Kapitals das internationale, reaktionäre, imperialistische Finanzkapital getreten ist. Das eine Land beherrsche drei Viertel von Afrika, das andere ein Viertel. Objektiver Inhalt ihres Kriegs ist die Neuaufteilung Afrikas. Welcher Seite soll man den Sieg wünschen? Die Frage ist in ihrer früheren Fassung unsinnig, denn es fehlen uns die früheren Einschätzungskriterien: weder langjährige Entwicklung der bürgerlichen Freiheitsbewegung noch langjähriger Untergangsprozess des Feudalismus. Es ist nicht Sache der heutigen Demokratie, weder dem einen Land bei der Befestigung seines „Rechts“ auf die drei Viertel von Afrika zu helfen noch dem andern (und möge es sich auch ökonomisch rascher entwickeln als das erste) bei der Unterwerfung dieser drei Viertel unter seine Herrschaft beizustehen.

Die heutige Demokratie wird nur in dem Falle sich selbst treu bleiben, wenn sie sich keiner einzigen imperialistischen Bourgeoisie anschließt, wenn sie sagt: „beide sind das größere Übel“, wenn sie in jedem Lande die Niederlage der imperialistischen Bourgeoisie wünscht. Jede andere Entscheidung kann in der Tat nur eine national-liberale sein, die mit wahrhafter Internationalität nichts gemein hat.“ Wladimir I. Lenin 19150200 Unter fremder Flagge – Sozialistische Klassiker 2.0 (google.com)

Die Kernaussagen:

  • Die Haltung von Kommunisten zu Kriegen ist abhängig von der Epoche.
  • In der Epoche des Imperialismus treten wir nicht für das ,,Recht“ einer der imperialistischen Blöcke ein, die Ukraine zu unterwerfen.
  • Die Kommunisten dürfen sich keiner einzigen imperialistischen Bourgeoisie anschließen, jede Bourgeoisie muss ihre Niederlage erfahren

,,Es kämpfen miteinander große Haifische, um fremde „Vaterländer“ zu verschlingen. Das Manifest zieht die unvermeidlichen Schlüsse aus den unbestreitbaren historischen Tatsachen: dieser Krieg kann nicht „auch nur durch den geringsten Vorwand eines Volksinteresses gerechtfertigt werden“; er wird vorbereitet „zum Vorteile des Profits der Kapitalisten, des Ehrgeizes der Dynastien“. Es wäre ein „Verbrechen“, wenn die Arbeiter „aufeinander schießen“ würden. So das Manifest.

Die Epoche des kapitalistischen Imperialismus ist die des reifen und überreifen Kapitalismus, der vor dem Zusammenbruch steht, der reif ist, dem Sozialismus Platz zu machen. Die Epoche 1789 bis 1871 war die des fortschrittlichen Kapitalismus, als auf der Tagesordnung der Geschichte die Niederringung des Feudalismus, des Absolutismus, die Abschüttelung des fremden Joches stand. Auf diesem und nur auf diesem Boden war die „Vaterlandsverteidigung“ zulässig, das heißt eine Verteidigung gegen die Unterdrückung. Im Kriege gegen die imperialistischen Großmächte könnte dieser Begriff auch jetzt angewandt werden, aber es ist eine Absurdität ihn auf den Krieg zwischen den imperialistischen Großmächten anzuwenden, auf einen Krieg, in dem es darum geht, wer die Balkanländer, Kleinasien usw. mehr ausplündern kann.“ Lenin – Der Opportunismus und der Zusammenbruch der II. Internationale (mlwerke.de)

Die Kernaussagen:

  • In der Epoche des Imperialismus ist bei zwischenimperialistischen Konflikten die ,,Vaterlandsverteidigung“, d.h. das Bündnis der Arbeiter mit der Bourgeoisie nicht zulässig. Kommunisten dürfen nicht für klassenübergreifende Sicherheitsinteressen eintreten, indem sie dafür plädieren, dass es in imperialistischen Staaten zu klassenübergreifenden Bündnissen kommt.
  • Die ,,Vaterlandsverteidigung“ ist nur legitim, wenn es sich gegen imperialistische Großmächte richtet, d.h. wenn diese nicht auf beiden Seiten des Konfliks involviert sind.

,,Die Epoche von 1789 bis 1871 hinterließ tiefe Spuren und revolutionäre Erinnerungen. Vor dem Sturz des Feudalismus, des Absolutismus und der Fremdherrschaft konnte von einer Entwicklung des proletarischen Kampfes um den Sozialismus nicht die Rede sein. Sprachen die Sozialisten im Hinblick auf die Kriege einer solchen Epoche von der Berechtigung des „Verteidigungs”krieges, so bauen sie stets gerade diese Ziele, das heißt die Revolution gegen Mittelalter und Leibeigenschaft im Auge. Die Sozialisten verstanden unter einem „Verteidigungs”krieg stets einen in diesem Sinne „gerechten” Krieg (wie sich Wilhelm Liebknecht einmal ausdrückte). Nur in diesem Sinne erkannten und erkennen jetzt noch die Sozialisten die Berechtigung, den fortschrittlichen und gerechten Charakter der „Vaterlandsverteidigung” oder des „Verteidigungs”krieges an. Wenn zum Beispiel morgen Marokko an Frankreich, Indien an England, Persien oder China an Rußland usw. den Krieg erklärten, so wären das gerechte Kriege, Verteidigungskriege, unabhängig davon, wer als erster angegriffen hat, und jeder Sozialist würde mit dem Sieg der unterdrückten, abhängigen, nicht gleichberechtigten Staaten über die Unterdrücker, die Sklavenhalter, die Räuber – über die „Groß”mächte – sympathisieren.“ W.I. Lenin: Sozialismus u. Krieg (Kap.1) (marxists.org)

Die Kernaussagen:

  • Es geht nicht darum, wer als erster angegriffen hat, sondern darum, wer diese Kriege führt. Wenn zwei Großmächte Kriege führen, sind wir gegen beide. Wenn eine Kolonie einen Krieg gegen eine Großmacht führt, ist es ein gerechter Krieg.
  • Das heißt, ob die NATO ja schon seit Jahrzehnten mit ihrer Politik angefangen hat, indem sie Russland bedroht hat und sich Russland aus einer defensiven Position ,,verteidigt“, darf nicht dazu führen, sich mit der schwächeren Großmacht zu solidarisieren.

6. Konsequenzen aus der Befürwortung des russischen Einmarsches?

Ich befürchte, dass einige Genossen nach dem Gedanken urteilen ,,Hauptsache gegen die NATO“ und dass sie meinen, wenn Russland nicht einmarschieren würde, würde sich niemand gegen die NATO stellen. Aber ist es nicht die Aufgabe aller Kommunisten eine eigenständige Arbeiterbewegung aufzubauen, die eben die NATO bekämpft statt sich einem der imperialistischen Pole unterzuordnen, weil niemand die NATO bekämpft?

Ich habe einige offene Fragen an die Genossen, die den Einmarsch begrüßen: Wenn ihr das militärische Vorgehen begrüßt, seid ihr dann dafür, dass mehr Leute dem russischen Militär beitreten und der russische Staat seine Militärausgaben erhöht, denn so könnte dieser ja mehr der NATO entgegensetzen? Seid ihr dafür, dass weitere tausende Russen festgenommen werden, die gegen den Krieg demonstrieren?

Eine Konsequenz aus dem Krieg ist, dass hier in Deutschland und vermutlich auch in anderen westlichen Ländern die Leute massenhaft auf Pro-NATO-Demonstrationen laufen. Wenn wir nun den Einmarsch befürworten, wird es uns als Kommunisten komplett isolieren. Viele der ,,Friedensdemos“ zeigen einen Rechtsruck in der Bevölkerung, einen sehr lauten Ruf nach Waffenlieferungen und einem Kriegseintritt. Wie wollt ihr diesem Rechtsruck entgegenwirken, wenn ihr euch hinter Russland stellt?

In Belarus gab es einen Streik, der Waffenlieferungen an Russland gestoppt hat. Die Genossen, die den russischen Einmarsch begrüßen, müssten dann aber solche Streiks ablehnen, weil sie für Waffenlieferungen an Russland sind?

Wenn man sich über die militärische Stärke Russlands informiert und auch berücksichtigt, dass Russland mit China verbündet ist und sie beide aufstrebende Staaten sind mit viel Einfluss, da dürfte man eigentlich zustimmen, dass beides imperialistische Großmächte sind. Die DKP würde mir da aber nicht zustimmen, soweit ich weiß stufen ihre Leitung und die Mehrheit der Basis China als sozialistisch und Russland als nicht-imperialistische Friedensmacht (oder mit anderen Worten: Sie bezeichnen entweder Russland als ganzes oder zumindest dessen Außenpolitik als ,,objektiv antiimperialistisch“) ein. Es geht mir aber nicht um die DKP, sondern die mögliche Entwicklung unserer Genossen offen als eine Gefahr für unsere Organisation auszusprechen. Und auch wenn der inhaltliche Einfluss von der DKP kommt, sehe ich leider, dass Genossen von uns darüber hinausgehen.

Insgesamt habe ich den Eindruck, dass obwohl die ,,Lager“ nicht homogen sind, das gesamte ,,DKP-nahe-Lage“ den Standpunkt vertritt, dass Russland kein imperialistisches Land sei. Denn die Haltung, wie z.B. die Angst vor der Äquidistanz, die klassenübergreifenden Interessen usw. deuten sehr darauf hin, dass die Genossen den russischen Staat grundsätzlich anders einschätzen. Es wäre jetzt aber merkwürdig, wenn Genossen nachdem Russland in die Ukraine einmarschiert ist, zu dem Standpunkt kommen, Russland sei nicht imperialistisch. Ich frage mich, wann und wie ihr zu der Haltung gekommen seid, dass die pT – unsere programmatischen Grundlagen – falsch seien. Die Genossin Klara beschreibt den Standpunkt der KKE als eine falsche Reaktion auf den rechten Opportunismus. Aber wie ist euer Standpunkt zustande gekommen? Vielleicht ist es eine Reaktion auf eure Angst vor Äquidistanz, vielleicht aber auch eine Reaktion auf die enorme Macht der NATO und ihre breite Anhängerschaft. In beiden Fällen würde ich die Reaktion als falsch charakterisieren.

Trotz dessen, dass der russisch-chinesische Pol im Weltsystem schwächer ist als der westliche, dürfen wir nicht für einer der Pole Partei ergreifen. Dass dieser in einer defensiven Position ist, bedeutet nicht, dass er einen Verteidigungskrieg im Sinne der Arbeiterbewegung führt. Die schwächeren Imperialisten zu unterstützen, würde dazu führen, ein relatives Gleichgewicht der imperialistischen Pole, eine multipolare Weltordnung, zu befürworten. Ist das in unserem Sinne? Ich denke nicht.

8. Warum ich den russischen Einmarsch ablehne?

Die Genossin Klara Bina schreibt in ihrem Diskussionsbeitrag: ,,Fragen wir aber, warum Genossen in der Organisation und in der Bewegung so vehement darauf bestehen, dass der russische Militäreinsatz verurteilt wird. Besteht die Sorge, dass große Teile der Arbeiterklasse in Deutschland sich unter die Flagge Russlands stellen könnten? Geht es darum, eine agitatorische Taktik anzuwenden? Oder geht es darum, Wahrheiten zu verkünden? Gibt es nicht die Sorge, dass wir dadurch möglicherweise in die gleiche Kerbe schlagen, wie die bürgerlichen Medien in Deutschland und dem politischen „Westen“?“

Mit anderem Worten fragt sie danach, warum wir (das ,,pT-Lager“) weiterhin hinter den programmatischen Grundlagen steht. Meine Antwort: Der russische Einmarsch führt nicht zu einer Schwächung der NATO oder des Faschismus, sondern zu einer Stärkung von beidem. Der russische Einmarsch stärkt Nationalismus und Faschismus in der Ukraine, die Repression in Russland wird massiv verstärkt, die NATO-Staaten rücken noch stärker zusammen, die Arbeiterklassen in ihr stehen noch enger hinter ihr als vorher. Die Gefahr eines dritten Weltkrieges wurde erhöht.

Stellen wir die Frage von der Genossin zurück an sie, warum sie den Einmarsch denn unbedingt verurteilen will und damit die programmatischen Grundlagen unserer Organisation verlassen will. Klara, du schreibst, dass du auf keinen Fall die Propaganda der deutschen Bourgeoisie unterstützen möchtest und aus diesem Grund den russischen Einmarsch nicht verurteilen willst: ,,Weil wir damit aktiv die Propaganda des Klassengegners unterstützt hätten.“ Immer und für jeden Preis genau das Gegenteil des Klassengegners zu propagieren, klingt für mich doch sehr linksradikalistisch. Wenn jetzt eine Impfpflicht eingeführt worden wäre, wärst du dann plötzlich dagegen, damit du nicht die Propaganda des Klassengegners unterstützt?

Es ist meines Erachtens nicht nur möglich, sondern darüber hinaus sogar die Pflicht der Kommunisten den Einmarsch zu verurteilen und sich gleichzeitig und hauptsächlich gegen die Propaganda des Klassengegners zu stellen. Genau das ist die Herausforderung vor der wir stehen.

9. Abschließende Anmerkungen

Die Frage nach der konkreten und abstrakten Ebene der Diskussion sollte man nicht trennen, sondern im Verhältnis zueinander beantworten:

  • Was nutzt der Krieg konkret der Arbeiterklasse in der Ukraine und in Russland? (Tod, Flucht, Repression, Rechtsruck, erhöhte Weltkriegsgefahr und/oder einen Stopp der NATO-Osterweiterung, Entnazifizierung der Ukraine) Was resultiert daraus für das Verständnis des imperialistischen Weltsystems? (Verschiebungen innerhalb der imperialistischen Pyramide oder ein Verwerfen des Imperialismusmodell?)
  • Als auch umgekehrt: Was folgern wir aus unserem Verständnis vom Imperialismus um den konkreten Konflikt zu bewerten? (Es ist ein Krieg, der aus jahrelangen zwischenimperialistischen Spannungen entstanden ist, die Interessen der Imperialisten stehen in einem unversöhnlichen Widerspruch zu denen der Arbeiterklassen und die Kommunisten aller Völker müssen gegen den Krieg mobilisieren, wobei die USA an der Spitze des Weltsystems sind und unser Hauptfokus auf unseren Klassengegner gerichtet sein muss.)

Es kam vor, dass Genossen, die die russische Invasion begrüßen, diese in Diskussionen mit dem gerechten Kampf des palästinensischen Volkes gegen die israelische Besatzung und mit dem Kampf der Sowjetunion gegen den deutschen Faschismus gleichgesetzt haben. Ich gehe hier auf diese gänzlich unpassenden Vergleiche nicht ein, da ich hoffe, dass sie voreilig ausgesprochen wurden und die Genossen nicht mehr dahinter stehen. Einen imperialistischen Staat mit einem sozialistischen Staat oder mit einem antikolonialen, antiimperialistischen Kampf gleichzusetzen bedeutet nämlich, dass ich nicht weiß, was für ein Klassenstandpunkt, was für ein Verständnis von Imperialismus, Sozialismus usw. dahinter steht.

Ich hoffe, dass ich mit dem kurzen und spontanen Text einen konstruktiven Beitrag zur Debatte leisten kann. Mir sind noch einige weitere Aspekte der Diskussion bekannt, die ich hier aber außen vor lasse, da andere Genossen darauf eingegangen sind und/oder eingehen und meine Zeit für das Verfassen des Textes natürlich begrenzt war. Mit diesem Beitrag habe ich versucht den Dissens mehr auf den Tisch zu legen, erwähnen möchte ich aber noch, dass die beiden ,,Lager“ nicht homogen sind und auch, dass nicht jeder fest einem ,,Lager“ zuzuordnen ist. Sowohl zu meinem inhaltlichen Standpunkt als auch zu meiner Einschätzung bezüglich der beiden ,,Lagern“ sind Ergänzungen und Kritiken natürlich sehr willkommen.

Aktuelles

Russland-Hetze und Faschismusrelativierung von „links“

Zur Veranstaltungsreihe „Good bye Stalin?!“ der Rosa-Luxemburg-Stiftung SachsenDie Rosa-Luxemburg-Stiftung hat 2023 in Leipzig eine Veranstaltungsreihe gestartet, deren Hauptinhalt antikommunistische, antisowjetische und Anti-DDR-Propaganda war. Worauf das Ganze hinauslaufen sollte, wurde dann spätestens bei der letzten Veranstaltung deutlich: die Einreihung der Linken in die Zeitenwende-Politik. Die Beteiligung der Rosa-Luxemburg-Stiftung und des lokalen Parteibüros der Linken linxxnet sollte mittlerweile nicht mehr verwundern. Eine neue Stufe war jedoch die Veranstaltungsunterstützung durch die VVN-BdA.

Vortrag zur Geschichte des Zionismus

Im Oktober hielten wir als KO in Leipzig im Rahmen der Aktionswoche des Kufiya-Netzwerks einen Vortrag zur Geschichte des Zionismus. Der Vortrag soll einen Einstieg in das Thema leisten und gibt Argumentationshilfen für die politische Auseinandersetzung an die Hand.