von Anselm Fuchs
Angaben zum Buch:
Brar, Harpal: Imperialismus im 21. Jahrhundert. Sozialismus oder Barbarei. Bonn: Pahl-Rugenstein Verlag Nachfolger GmbH, 2001. 206 Seiten. [ISBN: 3-89144-293-9]. Nicht mehr erhältlich.
Zweck und Inhalt des Buches von Harpal Brar ist die Überprüfung und Aktualisierung von Lenins Imperialismus Theorie. Methodisch knüpft er an den dialektischen und historischen Materialismus von Marx und Engels und dessen Weiterentwicklung durch Lenin und Stalin an, zudem werden unterschiedliche Quellen der Wirtschaftspublizistik mit bürgerlichen Statistiken über Erscheinungsformen des Imperialismus gegen Ende der 90er Jahre herangezogen. Ziel seiner Kritik sind kleinbürgerliche Vertreter und deren Reformvorstellungen von Globalisierung und Neoliberalismus.
Harpal Brar ist ein britischer Marxist, der bis 2019 Vorsitzender der CPGB-ML war. Er ist Herausgeber der zweimonatlich erscheinenden antiimperialistischen Zeitschrift Lalkar und hat mehrere Bücher geschrieben, unter anderem zu Opportunismus und Sozialdemokratie, zur Niederlagenanalyse der Sowjetunion und zu Imperialismus, Krieg und Krise. Dieses Buch entstand aus einem Vortrag auf der Konferenz „Imperialismus und neue Weltordnung” im November 1996, welche vom Verein zur Förderung des Studiums der Arbeiterbewegung in Deutschland veranstaltet wurde.
Im ersten Abschnitt unterstreicht der Autor den Zusammenhang von moderner Politik, modernen Kriegen, Klassenverhältnissen, internationalen Beziehungen und dem ökonomischen Wesen des Imperialismus, um der Frage, ob Lenins Imperialismus Theorie heute noch gültig ist, auf den Grund zu gehen. In diesem Zusammenhang stellt Brar erneut die Unzulässigkeit von Ultra-Imperialismus Vorstellungen unter Beweis, die im Zuge der als „Globalisierung“ bezeichneten Phase neu aufgekommen sind.
Der zweite Abschnitt widmet sich der Konzentration der Finanzinstitutionen, zu denen neben den Banken auch die Versicherungen gehören. Hier zeigt sich eindrücklich, in welchem Ausmaß die Finanzoligarchie mittlerweile das wirtschaftliche und politische Leben in der kapitalistischen Gesellschaft wesentlich beeinflussen kann. In anschaulicher Weise praktiziert der Autor das Aufsteigen vom Abstrakten zum Konkreten und kann dadurch vom Zustand des weltweiten Finanzsystems ausgehend die konkreten Bewegungen im Finanzwesen der USA und Japans nachzeichnen.
Der dritte Abschnitt zeigt die Auswirkungen des Kapitalexports für die Entwicklungen in den imperialistischen Ländern in Form von Überstunden, Arbeitslosigkeit und Elend einerseits und der Verschuldung der dritten Welt und daraus resultierend Armut und Elend in den unterdrückten Ländern andererseits auf. Hier werden neben den ausländischen Direktinvestitionen weitere Indikatoren, wie z.B. Verschuldung (er bezeichnet die Verschuldung der dritten Welt als Kolonialismus mit anderen Mitteln), Armut und Elend genannt, um die Monopolstellung der reichen Länder zu verdeutlichen.
Im vierten Abschnitt wird die weiterhin stattfindende Aufteilung der Welt unter den imperialistischen Ländern anhand der verschiedenen Formen staatlicher Abhängigkeit nachgewiesen (wobei diese hätten ausführlicher diskutiert werden können). Brar geht auf die Bedeutung der militärischen Macht und des Dollars als Leitwährung für den Führungsanspruch der USA im imperialistischen Block ein und er problematisiert die Tendenz zu Stagnation und Fäulnis.
Der fünfte Abschnitt thematisiert den britischen Imperialismus und die britische Arbeiterbewegung. Der schwindende relative Anteil der produktiv Beschäftigten an der Gesamtbevölkerung steht in einem unlösbaren Zusammenhang mit dem Kapitalexport. Für Großbritannien ergeben sich daraus steigende Armut, explodierende Management-Gehälter und die Spaltung der Arbeiterklasse. Brar appelliert für einen konsequenten Bruch mit der Ideologie und den organisatorischen Formen der Sozialdemokratie und fordert von den Kommunisten, die Spaltung der Arbeiterklasse zu erkennen und gegen die bürgerlichen Arbeiterparteien zu kämpfen.
Im sechsten Abschnitt wird die kleinbürgerliche Kritik am Imperialismus einer Kritik unterzogen, da diese Brar zufolge die Gesetzmäßigkeiten der Kapitalakkumulation völlig außer Acht lasse und sich in reaktionärer Manier nach den Zeiten der freien Konkurrenz sehnt. Hier wird nochmal der historische Materialismus als einziges Instrument hervorgehoben, um das aktuelle Produktionssystem endgültig loszuwerden.
Im siebten Abschnitt zieht Brar Bilanz seiner Analyse und stellt fest, dass sich die Welt heute mehr als jemals zuvor in eine Handvoll reicher Länder und eine überwältigende Mehrheit armer Länder geteilt habe, in denen wiederum eine Handvoll reicher Menschen über eine überwältigende Mehrheit armer Menschen regiert.
Brars Analyse sticht durch ihre methodische Nähe zur Leninschen Imperialismusanalyse hervor, die sich vor allem in der Beherrschung und Anwendung der Dialektik ausdrückt. Trotz seines Alters sollte dieses Buch weiterhin Bezugspunkt der Kommunisten in der Einschätzung des Imperialismus in der heutigen Zeit sein. Was in diesem Buch jedoch offen bleibt, ist die Stellung von Ländern, die sich nicht eindeutig dem imperialistischen Block oder der dritten Welt zuordnen lassen. Außerdem wäre eine Charakterisierung der verschiedenen Formen staatlicher Abhängigkeit wünschenswert. Des Weiteren nimmt der Autor keine Einordnung der zahlreichen Kennzahlen vor, die er in seiner Analyse heranzieht. So bleibt deren Vergleichbarkeit stellenweise fraglich.